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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 04.05.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-05-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050504013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905050401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905050401
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1905
- Monat1905-05
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- Monat1905-05
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BezugS-PreiS t» d« Haupttrpedttüm ob« b«r-r» ilu-gab». stellen abaeholtt vterteljLhrltch 8.—, bet zweimaliger täglicher gustellung tu« Hau» ^l S.7L. Durch die Post bezogen für Deutsch, land u. Oesterreich viertrljührltch ^l LLO, für die übrigen Länder laut ZrUungSprriSliste. Diese Nummer ksftet 4/^ ML aus allen Bahnhöfen und 111^1 bei deu ZeitungS-Berköuferu Nevakttou und Expedition: IbS Fernsprecher 222 Johauni-gafs« L Haupt-Atltalr Dresden: Martenstraß« 84 (Fernsprecher Amt I Nr. 4713). Hamt-Ftltale Berlin: LarlDoacker, Herzal-Bayr^ofbuchdaudlg, Lützowstratze 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. 4608). M orgen - Ausgabe. WWcr Tageblatt Handelszeitung. Ämtsölatt -es Hönigl. LanS- «nS -es Äönigl. Ämisgerichtes Leipzig, des Rates und -es Rolizeiamtes der Lta-t Leipsig. An zeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 28 Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeigen, GeschästSanzeigen unter Text oder an besonderer Stelle nach Tarif. Die «gespaltene ReNamezeile 7b Aunahmeschluß für Auzetgen: Abend»Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen»Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an dir Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe) aach besonderer Vereinbarung. Die Expedtttou ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. Or. B„ R. » W. Kliakhardtl. Herausgeber r vr. Victor Kltnkhardt. Nr. 224. Donnerstag den 4. Mai 1905. SS. Jahrgang. Var Äicdtigrte vsm Lage. * Der sächsische König stellte den Erzherzog Franz Ferdinand von Oesterreich L la suits des l. Ulanen- RegimentS Nr. 17 „Kaiser Franz Josef von Oesterreich, König von Ungarn". * Die englische liberale Partei hat Campbell- Bannerman als Leiter und Kandidaten für die Bildung eines neuen Kabinetts anerkannt. (S. Ausland.) * In Moskau hat die Volksmenge bei Straßen exzessen ein Restaurant zerstört; Gensdarmen stellten die Ordnung her. (S. die Krisis in Rußland.) * Bei den Straßenkämpfen in Chicago wurde eine Person getötet, 40 Personen wurden verletzt. Die Un ruhen dauerten in allen Teilen der Stadt bis spät in den Abend des Dienstags fort. (Vie lvirfranlrrrscb lmebeln wollten. Die „Revue bleue" ist ein Blatt, das man in. Oester, rsich seviös nennen würde. Seriös ist jemand, der so anständig und so langweilig ist daß man ihn für respektabel erklären muß, man mag wollen oder nicht. In dieser respektablen französischen Wochenschrift, die meist so farblos ist, daß sie gut tut, sich durch den Titel wenigstens etwas Kolorit zu geben, hat nun Georges Billiers die deutsche Politik dder vielmehr die Politik Wilhelms ll. einer überaus „seriösen" Untersuchung unterzogen. Herr Villiers ist ein respektabler politischer Schriftsteller. Zum Beweise dieser Behauptung diene, daß Graf Bülow ihn im Mai 1902 empfangen hat. Wir dürfen also seine Betrachtungen ernst nehmen, müssen es sogar, wenn wir nicht unhöflich und ununterrichtet scheinen wollen: und in der Tat ist es fa auch interessant genug, von einer journalistischen Autorität des Ans- lnndes die fetzten Geheimnisse einer Fürstnipspche ent- schleiert zu sehen und zu erfahren, wie wir Frankreich knebeln wollten. Billiers greift bis zum Regierungsantritt des deutschen Kaisers zurück. Er weist nach. Wie Wilhelm II. eine Reihe von Airfmerksamkeiten Frankreich erwiesen hat. Telegramme, Empfänge hervorragender Persönlichkeiten. Konlddlenzen, Schiffsbesuche, Manövereinladnngen Und andere kleine Geschenke, die die Freundschaft, wenn auch nicht erhalten, so doch anbahnen sollten, folgten auf einander. Herr Billiers zählt sie gewissenhaft auf, be merkt aber dann kühl und unerbittlich, die Politik be stehe aus Interessen und nicht aus Liebenswürdigkeiten. Was steckt hinter alle den:? so fragt der französische Schriftsteller mißtrauisch, und wir möchten hier neben bei bemerken, daß dieses Mißtrauen lehrreich ist. Wir sind seit 'sechszehn Jahren zu liebenswüvdig geworden, und weil dem deutschen Nationalcharakter diese Liebens- Würdigkeit eigentlich gar nicht liegt, wittert alle Welt hinter der angeblichen Maske unheilvolle Pläne. Doch weiter. Wilhelm II. ist von einem Gedanken ganz durchdrungen: das Werk seines Großvaters soll erhallten und ausgebaut werden. Um diesen Zweck zu erreichen, verstärkt der Kaiser rastlos fein Heer, wirbt er unermlld- lich um Rußlands Freundschaft, lenkt er geflissentlich Frankreichs Aufmerksamkeit auf koloniale Fragen und sucht er die „diplomatische Autonomie" Frankreichs in Fesseln zu schlagen. Die Verstärkung des Heeres gelang ihm, aber schon der zweite Teil des Programms erwies sich als unausführbar. Rußland wendet sich seit Bis marcks Sturz mit Entschiedenheit Frankreich zu. Hin gegen gibt der chinesisch-japanische Krieg dem Kaiser Ge- legenheit, ein Zusammengehen zwischen Rußland, Frank reich und Deutschland herbeizuführen, und am 23. Juni 1897 wird das französisch-deutsche Togo-Abkommen ge schlossen. In China kämpfen unter Waldersee die ein stigen Gegner von Sedan Schulter an Schulter : kurz und gut, die Beziehungen zwischen Deutschland und Frank reich werden enger. Es gelingt der deutschen Politik, „Frankreich von jeder europäischen Aktion fern zu halten." Plötzlich aber, Ende des Jahres 1901, tritt die fran zösische Politik aus ihrer Zurückhaltung heraus und nähert sich einerseits Italien, anderseits England. Während der Dreibund in allen Fugen kracht, gewinnt Frankreich diplomatisch an Terrain, und nun schäumt Wilhelm II. zornig über. Das Werk seines Großvaters 'ist bedroht, und seine Roden im April und Mai des Jahres 1904 klingen kriegerisch. Mit einem Wort: Marokko ist nur ein Vorwand. Es handelt sich darum. Frankreich zu fesseln und ins Schlepptau zu nehmen. Die bismärcki- schen Anschauungen dominieren in der Wilhelmstraße: sie f'.nden ihre Verkörperung in Herrn von Holstein. (Diese letzte Behauptung versöhnt durch ihren Humor mit den acht Seiten historischer Retrospektive, die wir über uns ergehen lassen mußten.) Graf Bülow, sagt Herr Villiers, ist konziliant und geschmeidig, er möge darauf hinarbeiten, daß Wilholm II. sich von die sem Einfluß befreit. Auf die Ausführungen des französischen Publizisten müssen wir leider mit einem Wrangel-Wort antworten: „Majestät überschätzen mir!" Die Politik, die er dem Deutschen Reiche andichtet, ist wohl schwerlich von vorn herein so weitschauend erfaßt und so konsequent durch- geführt worden, wie Herr Villiers dies jetzt rückschauend konstruiert. Und wäre es der Fall, so müßte sie die Billi. gung aller Deutschen finden. Es versteht sich von selbst, daß wir das Werk Wilhelms I. und seiner Berater er- halten wollen und müssen. Es versteht sich von selbst, daß wir dazu eines starken Heeres bedürfen. Wir haben das gute Recht, uns eines Bundesgenossen zu versichern, und durchaus natürlich war es, daß wir zunächst unseren Blick nach Rußland wandten, mit dem uns alte dynastische und geschichtliche Traditionen verbinden. Und was unser Verhältnis zu Frankreich angeht.so ist es ja durchaus nicht unloyal, wenn wir unseren Nachbarn im Westen sagen: «Die Welt ist groß und wir sehen neidlos zu, wenn ihr euren Anteil an dem Weltbesitz zu vermehren trachtet, ja, wir sind gern bereit, euch dabei zu helfen und zu unter- stützen. Mr zeigen euch, wo es nur irgend geht, sine versöhnliche und friedliche Gesinnung, nur den Bestand des Reiches dürft ihr nicht antasten. Eure diplomatische Autonomie will niemand beschränken, nur den Versuch, Deutschland zu isolieren, müssen wir bekämpfen, Werl sein Endziel, 'das ihr ja auch gar nicht verleugnet, klar zu tage liegt, und wenn ihr uns ratet, wir sollten auf die bismärckische Tradition verzichten, so raten wir euch, auf die Tradition Gambettas zu verzichten, und wir dürfen dieses mit demselben Recht." Indessen glauben wir nicht, daß es notwendig ist, an gesichts der Marokkofrage 'die Geschichte von zwei Jahr zehnten aufznrollen. Der Fall liegt außerordentlich ein- fach. England und Frankreich haben versucht, Deutsch- land zu ignorieren, und Frankreich hat nicht einmal die unerläßliche Höflichkoitsform eingehalten. Die deutsche Regierung hat nach allzulangom Zögern erkannt, daß sowohl die nationale Würde, als auch äußerst gewichtige inaterielle Interessen energischen Einspruch forderten. Daß die .Haftung des Grafen Bülow im April 1904 verfehlt war, kann jetzt kaum noch von irgend jemand bestritten werden, aber der Ministerpräsident Rouvier hat ein Wort gesprochen, das auch für uns gilt: „Ich kann die Vergangenheit nicht ändern!" Auch das halten wir noch wie vor bedenklich,-daß der Kaiser salbst sich in diplo- mrMchen Aktionen exponiert. Endlich sind wir mit dem Ton der offiziösen Blätter keineswegs einverstanden. Bald führen diese Blätter eine übertrieben schroffe Sprache, bald wieder gefallen sie sich in einem fast kind- lichen Optimismus, wie z. B. jetzt, wo wieder einmal er klärt wird, die Entsendung der englischen Gesandtschaft nach Fez habe keine Spitze gegen Deutschland. Indessen kann der Reichskanzler nicht für jedes Endvsfilet der- antwortlich gemuckst werden. Und wenn er tortiter in re suaviter in mockn auf der nun ern-geschlagenen Bahn fortschroitet. so kann er allerdings behaupten, daß er die bismärckische Tradition auf feiner Seite habe, und alle die künstlichen Interpretationen und gefviss-entlüchen Miß deutungen des Auslandes werben dann in nichts zer fallen, weil unser Ziel und unser Weg klar vor den Augen der gesamten Welt liegt. ki« getrruer kckrdanlt. Ein getreuer Eckhardt, so schreibt die „Sachs. Ntl. Korr.", hat in den „Dresdner Nachrichten" (Nr. 118) das Wort ge nommen, um die nationalliberale Partei Sachsens vor falschen Wegen zu warnen. Sein Mahnwort richtete er un mittelbar vor dem Zusammentritt des Landesausschusses in Chemnitz an den „alten Geist des sächsischen National liberalismus", um ihn gegen die verhängnisvolle Politik der „Jungliberalen" scharf zu machen. Seme größte Sorge ist nämlich — das Kartell Er hält den Nationalliberai«, rühmend das schöne Beispiel der konservativen Partei vor, die stets mit „lobenswerter Selbstlosigkeit" sich um die Er haltung de» Kartells als unentbehrliche» Kampfmittel gegen den Umsturz bewährt habe und nun mit Schmerzen sehe, wie der „Linksliberalismus" auf einen vollen Bruch hinarbeite. Nehmen wir zur Ehre des „warmen Freundes unseres Vaterlandes" an, es sei weniger die Sorge um das Wohl der eigenen Partei^ die ihm die Feder führt, al» der Ge danke um daS Heil SachsenS, so spricht doch aus seinen Aus lassungen so deutlich der Parteipolitiker, daß wir allen Grund haben, unö über die volle Verkennung des Verhält nisses beider Parteien zu wundern. Wenn der Verfasser so schmeichelhafte Worte findet für die Führung der national- liberalen Partei unter Männern wie Georgi, Schill, Niethammer, Gontard, Kellner, Schieck, so gibt er doch zu, daß die Partei ihre Bedeutung und ihren besonderen Beruf hat. Es wäre ja auch sonst naheliegend für ihn, sie einfach aufzufordern, sich zum Heile SachsenS aufzulösen und ihre Mannen in das empfangSbcreite konservative Lager zu entsenden. Hält er aber die Partei für daseinsberechtigt, so sollte eS ihm doch keine Anstrengung kosten, einzusehen, daß sie sich betätigen, nach Geltung und Einfluß ringen muß. Nun hat sich ge zeigt, daß daS Kartell für sie einen Stillstand, ja einen Rück gang brachte. Wie konnte daS auch anders sein? Wenn e- eiue Partei des lieben Frieden» halber aufgibt, nach der aus schlaggebenden parlamentarischen Stellung zu streben, so ver- urteilt sie sich selbst zum Zerfall oder zu langsamem Selbst mord. Doch um einen Hotieren Standpunkt als die „Warte der Partei" einzunebmen: ist denn die Zeit de» Kartells dem politischen Leben in Sachsen wirklich in so hohen, Maße zu gute gekommen, daß kein anderer politischer Gedanke m den Köpfen ehrlicher vaterländischer Männer mehr Raum finden darf? Hat das Kartell sich wirklich als Schutz- und Trutzbollwerk gegen die Sozialdemokratie bewährt? Drängt sich nicht aus den Tatsachen heraus jedem der Gedanke auf, daß es geradezu den Radikalismus im Volke, züchten heißt, wenn man aus einem Parlamente wie unseren Landtag die Parteigegensätze, die doch nun einmal da sind und da sein müssen, durch eine künstliche Abmachung fernhält oder sie zur Bedeutungslosigkeit abschwächt? In keiner parlamentarischen Körperschaft von irgend welchem Ansehen fehlt der alte Gegensatz zwischen konser vativen und liberalen Grundanschauungen, und es läßt sich geschichtlich beweisen, daß dieser Gegensatz für das Staatsleben eigentlich unentbehrlich ist, wenn eS nicht der Stagnation ver fallen soll. Zu dieser Einsicht sollte sich auch die konservative Partei SachsenS aufschwingen und endlich das naive Verlangen, daß sich die nationalliberale Partei nur in der Rolle eines parlamentarischen Dekorationsstücks gefallen möge, aufgeben. Zwei Parteien, die gewisse Grundlagen teilen, im übrigen aber im politischen Wettbewerbe stehen, tuen gut, sich an den auch sonst ganz hübschen Grundsatz zu halten: Leben und leben lassen! Also ist der „Zusammenschluß der Ordnung«- Parteien" in Acht und Bann getan? Nein, wir sind nur der Meinung, daß sich dieser Zusammenschluß, da, wo er notwendig ist, wo ihn die politische Einsicht fordert, in der Regel eben weil dem so ist, mit aller wünschenswerten Entschiedenheit Herstellen wird. Bei den diesmaligen Land- tagswahlen liegt aber — ob sich nun die Sozialdemokratie beteiligt oder nicht — aus bekannten Gründen ein solcher Zwang nicht vor, und kommt einmal ein anderes Wahlgesetz zustande, daS der Sozialdemokratie vielleicht die Aussicht er öffnet, sich wieder eine Vertretung im Landtage zu schaffen, so werden die staatserhaltenden Parteien eben den Kampf mit aller Kraft ausrunehmen haben. DaS ist ihre Pflicht und Schuldigkeit. Und dasselbe gilt erst recht von den ReichStagswablen. Wie man manchen Orts erfahren bat, ist eS durchaus nicht immer günstig, wenn man sofort ver sucht, die gesamte nicht sozialdemokatische Wählerschaft für einen Kandidaten zu gewinnen, sozusagen unter einen Hut zu bringen. Gewöhnlich versagt dann ein großer Teil, weil er nicht ohne weiteres seine politische Ueberzeugung hintan stellen will. E» kommt aber gerade darauf an, „schon im e.sten Wahlgang alle Wähler mobil zu Machen, und ' zu diesem Zweck ist e» in vielen Fällen nur günstig wenn die Zahl der Kandidaten nicht auf das äußerste beschränkt ist, sondern jede Partei sich nach ihren Kräften betätigt. Für die Stichwahl wird sich dann der Zusammenschluß von selbst ergeben. Irren wir nicht, so hat das konser vative „Vaterland" erst kürzlich diese Taktik selbst empfohlen. Diese praktischen Erwägnngen scheinen uns io der Tat heute weit mehr berechtigt al- daS hypnotische Hinstarren auf da» Kartell. ES ist ein Talisman, der seine eigenen Anbeter nur zu leicht betrügt. Im übrigen sei der Warner in deu „DreSdoer Nachrichten" daran erinnert, daß sein guter Rat, am Kartell „festzuhalten", schau deshalb hinfällig ist, weil eS, wie er doch weiß, tatsächlich schon lange als Abmachung von Partei zu Partei aufgegeben ist. Man kann nicht „festhalten", was gar nicht vorhanden ist. Nun wirft sich der „treue Eckhart" zum Schluß gegen deu bösen „IungliberalismuS" gewaltig ins Zeug. Er beschuldigt ihn, daß er die „Uebermacht de« Großkapitals über die Nicht- besitzenden", den Anspruch auf Orden (!), Titel! und „Herr- schäft im Staate" noch steigern und den „Geldsack mit seinen Trusts, seinen mittelstandsmörderischen Warenhäusern und Ramschbazaren", seiner „brutalen Unterdrückung an- derer" an die Stelle ausgleicheuder Gerechtigkeit zu setzen trachte. — Wahrhaftig, wenn eS einen IungliberalismuS von dieser Sorte gibt, dann hat der Verfasser recht und wir teilen seine Entrüstung. Aber wo existiert bei un» em derart scheußliche- Gebilde? Weon daS Wort „Jung- liberaliSmuS" einen Sinn haben soll, so muß der Verfasser doch wohl a« die von den nativnalliberalen Jugendvereinen ausgehende politische Richtung gedacht haben. Aber daS ist schwer zu verstehen, da in ganz Sachsen nur ein jungliberaler Verein besteht. Diesen „IungliberalismuS" kann er auch deshalb nicht meinen, weil er ja wissen muß, daß er sich gerade durch besondere Betonung deS sozialen Gedanken« charakterisiert und gerade deshalb von der konservativen Presse sortwährend — trotz des lebhafteste» Einspruchs — geheimer Hin neigung zur Sozialdemokratie verdächtigt wird. Wie soll sich denn die häßliche „Geldsackpolitik", die der Verfasser dem „Juny- liberaliSmuS" nachsagt mit dieser angeblichen Sympathie für die Sozialdemokratie zusammenreimen? Diese beiden Verdächtigungen heben doch einander auf. WaS meint also der „warme Freund" mit seinem Schlagwort „Iuna- liberaliSmuS" ? Auf wen paßt der von ihm erlassene Steck brief? Wir haben nur eine Erklärung: Er hat sich aus ausaedroschenem Stroh einen Popanz zurechtgedreht, womit er Menschen und Pferde scheu zu machen vorhat. Auf den „IungliberalismuS" schlägt er los, aber die nationalliberale Parte: meint er. Er ist unzufrieden, weil sie wieder ihre Selbständigkeit betont und bestimmte Forderungen erbebt — Forderungen, die sich mit guten Gründen schwer, mit Schlag worten, wie Industrialismus, Großkapitalismus und Geld sackpolitik allerdings leicht bekämpfen, wenn auch nicht wider legen lassen. Wer hat denn mit der leidigen Interessenpolitik den An- fang gemacht? Eiwa die nationalliberale Partei im Namen der Industrie? War es nicht vielmehr der Bund der Land wirte, der zuerst au» dem Rahmen wirtschaftlicher Be strebungen herauStrat und mit der größten Rücksichtslosigkeit „Politik" machte, und war eS nicht die konservative Partei, die sich willig vor den Streitwagen der Herren v. Wangen heim und Orrtel spannte? Wir bitten nachzudenken! Ver langt die konservative Partei im Namen des Grundbesitzes StaatShülfe bi- zur äußersten Grenz« der Möglichkeit, so ist da- „berechtigte Interessenvertretung" — regt sich aber die Industrie, um ihre Interessen geltend zu machen, so ist das unleidliche Geldsackpolitik, und d:e nationalliberale Partei wird, obwohl sie bekanntermaßen vom Standpunkte aus- aleichender Gerechtigkeit auch für den Schutz der Landwirt schaft eingetreten ist, gröbster Einseitigkeft geziehen! „Geld- fackherrschast" — entstammt da- Wort nicht dem sozial- demokratischen Lexikon? Und wie zum Hohn wird dann zum Schluß der „alte Geist de» Nationalliberalis mus" aufgerufen, um die „Katastrophe" — gemeint ist der Bruch des Kartells — abzuwenden! Wir können dem treuen Warner versichern, daß er, wenn er beauftragt gewesen wäre, die in der nationalliberalen Partei vor handenen Gegensätze — in welcher Partei gibt es keine? — zu beseitigen und „Alt" und „Jung" die Notwendigkeit des Zusammenhaltens zu predigen, er seine Sache nicht gescheidter anfangen konnte, als er es tat. Dieses Gefühl hatte auch der Landesausschuß, als er in Chemnitz das merkwürdige Geleitwort der „Dresd. Nachr." zur Kenntnis nahm — m:t heiterem Danke! Vie Marolckkottage. Während der „Stundard" auf die mit seinem Ge danken einer Quadruvelallianz begonnene antideutsche Propaganda nicht verzichtet, hat die „Mor- ning Post" den vereinzelten Mut gehabt, die offizielle Taktik der britischen Regierung als ungeschickt zu kritisieren und den Wert der französischen Entente zu be zweifeln. Nunmehr greift ein bemerkenswerter Artikel Eduard Diceys in der „Empire Review" diese Voraussetzungen selber an. Es heißt darin: „Es sei dahingestellt, ob unsere insulare Stellung oder die Un abhängigkeit unseres Charakters die Veranlassung ist. jedenfalls scheint das englische Publikum eine ganz außergewöhnliche Unfähigkeit zu besitzen, irgend eine Frage, die andere Länder angeht, anders als einseitig zu betrachten." Als Beleg für die Wahr heft dieser Behauptung führt Ticey Las Verhalten Eng lands. d. h. der englischen Bevölkerung, gegenüber dem amerikanischen Bürgerkriege, dem pol- nischen Aufstande von 1864, dem Freiheits- kämpfe Italiens, dem Kriege um Sckleswig- Holstein, dem deutsch-französischen Kriege usw. an. Der Verfasser weist nach, wie falsch es von Seiten der englischen Presse gewesen sei, nach der Doggerbank-Affäre Böswilligkeit auf Seiten der russi - scken Offiziere anzunehmon. und mit dieser ge fährlichen Stellungnahme des englischen Publikums ver- gflsicht er es, wenn heute häufig die Ansicht geäußert wird, das Verhalten Deutschlands gegenüber Marokko sei so wenig zu entjchuldigen, daß man eS lediglich der deutschen feiredlichen Gesinnung England gegenüber zu schreiben könne. Dicey macht auf Äre merkwürdige Tat sache aufmerksam, daß zwar offiziell manches über das malisch-französisch? Abkommen gesagt, daß dieses Ab kommen jedoch niemals in seinem Wortlaut ver öffentlicht worden ist. Außerhalb der Regierungen Englands und Frankreichs scheine niemand eine Ahnung davon gehabt zu halben. Der Verfasser fährt fort: „Die Veröffentlichung war ein Ueberraschungserfolg. Ueber- raschungen dieser Art werden aber in der Regel weder im privaten, noch im öffentlichen Leben von den Ueber- raschten so hoch geschätzt, wie von dm Ueber- raschern. Gerechter- oder ungerecht erweise hat Deutsch land starken Grund zu der Annahme, daß inan ihm mehr als irgend einer anderen europäischen Macht die Gelegen, heft hat nehmen wollen, gegen das Abkommen vor seinem Abschluß Protest zu erheben." Mr. Dicey ist überzeugt, davon, das England, falls inan ihm 'durch einen Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich in ähnlicher Weise mrtgcspicklt haben würde, sicherlich ein derartiges Verfahren als kränkend empfunden haben würde. Vie Stellung -er Vereinigten Staate«. Wir erhalten von einem zuverlässigen Gewährsmann die folgende Mitteilung: Die Behauptung der englischen und französischen Blätter, daß Präsident Roosevelt die ihm vom Kaiser Wilhelm übersandte Mitteilung über die Haltung Deutschlands in der Marokkofrage in einer für Deutschland ungünstigen Weise beantwortet habe, ifi ganz unzu treffend. Für alle unterrichteten Kreise ist eS kein Geheun- nis, daß Nordamerika ein sehr starkes Interesse au deu marokkanischen Angelegenheiten nimmt, was auch bei der Affäre Raisuli-Perdicari- deutlich zu tage trat. E» gibt auch in New Aork Personen, welche sich in hervor ragender Weise darum bemühten, den Präsidenten Roose velt auf die Seite Frankreich» und Englands hinüber zu riehen. Natürlich wäre e« unmöglich gewesen, einen be sonderen Marokkovertrag zwischen Nordamerika und den „marokkanischen Schutzmächten" Europa- abzuschließen; man hoffte jedoch emen Notenwechsel zwischen Washington, Pari» und London zustande zu bringen, durch welchen Nordamerika amtlich seine Zustim mung zu dem englisch-französischen Marokko- vertrage aussprechen sollte. Gelegentlich der Be- freiung de- amerikanischen Bürgers PerdicariS hatte die amerikanische Regierung strengstens vermieden, daS angebliche Vorrecht Frankreichs in Marokko irgendwie anzuerkennen. Vielmehr ließ Präsident Roosevelt durch den amerika nischen Botschafter in Paris Herrn DelcassS nur münd lich seinen Dank für die bei der Befreiung PerdicariS fran- zösischerseitS geleisteten guten Dienste aussprechen. Der schnelle und freimütige Schritt Kaiser Wilhelm-, wodurch Präsident Roosevelt über die von Deutschland vertretene Rechtslage genau unterrichtet wurde, hat daher allen weiteren Versuchen der bezeichneten Kreise einen Riegel vorgeschoben und ver hindert, daß Frankreich und England in dieser Streitfrage doch noch eine Unterstützung in Washington finden könnten. Ha?» Sch«le. Für die im gestrigen Morgenblatt behandelten Takt losigkeiten der amerikanischen Diplomatie liegt ein neue» Beispiel vor. Wie die „Voss. Ztg." aus Paris meldet, beißt eS in der Antrittsrede deS neuen Botschafters der Vereinigten Staaten, Mac Cormick, an den Präsidenten Loubet: „Ich bin auch glücklich, die Entwicklung der Ge danken festzuftellen, die in der letzten Zeit unmerklich eine freundschaftliche Annäherung zwischen Frankreich und dem Mutterlande der Amerikaner herbeigesübrt haben." Dieser Absatz ist höchst auffallend. Es ist bisher niemals Brauch gewesen, daß ein Botschafter in seiner ersten amtlichen Kundgebung, ohne sichtbaren Anlaß und ohne daß eine sein eigene» Vaterland berührende politische Frage die» ' nötig macht, die Beziehungen de» Staate-, bei dessen Re-
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