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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.10.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19031014020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903101402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903101402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-10
- Tag1903-10-14
- Monat1903-10
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Durch die sozialdemokratische Agitation wird die Autorität der zu Recht bestehenden Gewalten untergraben, daS Volk dem Staatsgedanken abwendig gemacht und die nationale Einheit im Innern zerstört. Diese Zer störung der nationalen Einheit im Innern hat aber zur unaus bleiblichen Folge eine Herabminderung der nationalen Machtentfaltung nach außen hin. Das Dasein und die Tätigkeit der Sozialdemokratie muß sich schließlich auch auf die Führung der auswärtigen Politik lähmend gelten machen. Dieser Fall ist jetzt, aller Welt sichtbar, ein getreten. Der Besuch des Zaren in R o m ist in Folge des Auftretens der italienischen Sozialdemo kraten unmöglich geworden und zwar nicht bloß für jetzt, sondern, wie der „Köln. Ztg." aus Rom be richtet wird, überhaupt, da nicht anzunehmen ist, daß die inneren Verhältnisse Italiens sich zum Bessern wenden werden. Nach den offiziösen Darlegungen der russischen Blätter ist eS daS russische Volk, das gegen Italien infolge deS Treibens der dortigen Sozialisier! Stellung nimmt. DaS heißt natürlich, die russische Regierung sieht die Verhältnisse des italienischen Staates, bei aller Sympathie für daS italienische Herrscherhaus, nicht als so geordnet an, daß eine unmittelbare Berührung deS Zaren mit diesem dem sozialistischen Terrorismus unter liegenden Staatswesen wünschenswert erscheinen könnte. Die russische Regierung hält offenbar die Autorität deö mon archischen Gedankens in Italien nicht für genügend gewahrt und gefestigt. DaS Zentralorgan der deutschen Sozialdemv kratie erblickt in dem Fernbleiben des Zaren von Rom einen Triumph deS republikanischen gegenüber dem monarchischen Gedanken. Es schreibt in seiner Nr. 239 vom 13. d. M.: Der Protest der italienischen Sozialdemokratie hat eine Wirkung erzielt, die in der Geschichte der modernen Monarchenreisen noch nicht zu verzeichnen war. Ter mächtigste Herrscher Europas scheut sich, den Besuch an einen Königshof zu unternehmen, da er erkennen muß, daß das Volk des Landes, in das er zu reisen sich auschickt, nicht geneigt ist, ihn so zu empfangen, wie Monarchen gewöhnt sind, empfangen zu werden. Und eS wird sich gar nicht leugnen lassen, daß in der Tat die italienische Sozialdemokratie mit ihren Manifestationen einen Sieg erfochten und sich als mitbestimmender Faktor gegenüber den äußerpolitischeu Kombinationen der italieni schen Regierung durchgesetzt hat. Die italienische Regierung muß jetzt durch die Sozialdemokratie ihres Landes, die sie nicht zu zügeln verstanden hat, etwas erleiden, was zu Zeiten eines CriSpi unmöglich gewesen wäre. Was sich sitzt in Italien in krassester Weise vor den Augen aller Welt ereignet hat, muß sich überall, wenn auch vielleicht mehr verschleiert, fühlbar machen, wo die Sozialdemokratie nach Belieben schalten und walten darf. Oder sollte der deutsche Reichskanzler etwa nicht der Ansicht sein, daß die Tatsache der drei Millionen Stimmen, die am 16. Juni bei uns für die Bebel und Genossen abgegeben worden sind, von den Staatsmännern der anderen Nationen, z. B. Englands, gar sehr in Rechnung gestellt wird? Eine Regierung, die der revolutionären Bewegung im heimischen Lande nicht Herr zu werden vermag, verliert zunächst das Vertrauen der eigenen Volksgenossen. Darüber hinaus aber muß im Auslande auch der Glaube erweckt werden, daß eine solche Regierung schließlich bei der Ab wägung weltpolitischer Verhältnisse kein entscheidendes Ge wicht mehr in die Wagschale zu werfen hat. — Man berichtet uns noch: * Rom, 14. Oktober. (Telegramm.) Sämtliche Blätter bedauern, daß der Besuch des Zaren verschoben ist. Der „Tribuna^ scheinen die Ausfassungen auswärtiger Blätter unrichtig (?!), nach denen der Aufschub durch die sozialistische Kampagne veranlaßt sei, die dahin ging, den Kaiser auszuzischen. Das Blatt „Patria" verlangt die Anwendung des Strafgesetzes gegen diejenigen, die die guten internationalen Beziehungen störten, und fügt hinzu, daß man in Italien dem beabsichtigten Auszischen keine Bedeutung beilegte. „Giornale d'Jtalia" und „Messaggero" greifen die Regierung anläßlich der Verschiebung der Reise des Zaren an. Tie klerikalen Blätter „Osservatorc Romano" und „Voce dein Beritä", die ebenfalls ihr Bedauern äußern, behaupten, der Aufschub der Reise beweise, daß der Papst nicht frei (?!) sei, weil die Agitation einiger sozialistischer Deputierten ihn daran hindere, den russischen Kaiser zu empfangen. „Messagers" zu- zufolge wurde der italienische Botschafter in Petersburg aufgesordert, nach Rom zu kommen; er wird daselbst am 26. Oktober erwartet. Das Zentrum bleibt de« Polen tre«. Wer nach der offenen Kriegserklärung der ober schlesischen Polen an das Zentrum und nach der mann haften Aufnahme des Fehdehandschuhs durch einzelne oste! bische Zentrumsblätter geglaubt hat, das Zen trum werde eine Froutveränderung gegenüber den Polen vornehmen, hat sich geirrt. Die Politik des Zentrums wird nicht in Berlin und nicht in Breslau (trotz des unbe streitbaren Einflusses des Fürstbischofs Kopp) gemacht, sondern am Rhei n. Das führende Zcntrumsorgan, die „Köln Bolksztg.", nimmt zwar mit großem Schmerze von dem unartigen Benehmen ihres polnischen Schoßkindes Notiz, gibt aber gleichzeitig kund und zu wissen, daß das Zentrum nicht das mindeste an seiner Polcnpolitik ändern werde. Nach der Mei nung des rheinischen Blattes würde das Zentrum un logisch und ungerecht handeln, wenn es sich durch die Hal tung der oberschlesischen Polen beeinflussen ließe, denn das Zentrum erblickte in dem Eintreten für die Polen ein Werk der Gerechtigkeit; es fasse die Polcnpolitik der preußischen Regierung als ein Unrecht gegen die Polen ans. „Wer dem Zentrum eine Aenderung seiner bisherigen Polenpolttik insinuiert, der in sinuiert ihm nichts anderes, als daß es heute als Recht betrachten soll, was es gestern als Unrecht bekämpft hat." Nein, das ist keine Insinuation, sondern nur richtige Logik, während die Argumentation der „Kölnischen Volks zeitung" eine Scheinlvgik ist. So lange die Polen sich nur gegen die preußische Regierung und gegen die .Hakatisten" wandten, konnte das Zentrum sich anstellen, als ob die Polen sich nur gegen einen Druck wehrten, als ob sie also nicht die Angreifer, sondern die Angegriffenen wären. Wenn nun aber die Polen eine Kriegserklärung gegen das Zentrum erlassen, wenn sie die oberschlosischen Zen- trumsabgeordneten aus dem Reichstage verdrängen wollen, obwohl das Zentrum stets kür sie eingetreten ist und derselben Konfession angehört wie sie, so beweisen sie damit, daß sie das Deutschtum schlechthin befehden, ohne Rücksicht aus die Konfession und ohne Rücksicht darauf, ob sie wohlwollend behandelt werden oder nicht. Damit geben die Polen einer Politik, die sie als Gegner behandelt, ausdrücklich Recht. Deshalb würde das Zentrum sich nichts vergeben, wenn es „heute als Recht betrachtete, was es gestern noch als Unrecht betrachtet hat", sondern es würde nur die Konsequenz aus einer neuen Tatsache ziehen. Nach der Logik der „Kölnischen Bolksztg." könnte mam überhaupt neuen Tatsachen gegen über keine Stellung nehmen und müßte einen Menschen, den man für einen Freund gehalten, auch ferner freund schaftlich behandeln, obgleich er sich eine unzweideutig feindselige Handlung hat zu schulden kommen lassen. Die „Kölnische Bolksztg." Hoist freilich, daß die Polen bald wieder reumütig zum Zentrum zurückkehren werden. Das Blatt meint: „Indem das Zentrum fortfährt, für die be rechtigten Forderungen der Polen einzutreten, werden die Polen am meisten inne werden, daß sie m i t dem Zen trum weiter kommen, als gegen das Zentrum." Lluch dies ist ein Beweis einer vollkommen verworrenen Logik. Wenn das Zentrum trotz der polnischen Kriegserklärung weiter für die Polen eintritt, so sehen die Polen ja, daß sie gegen das Zentrum zum mindesten ebenso weit kommen, wie mit dem Zentrum, und sie haben dann nm so weniger Anlaß zur Umkehr, als die „Kölnische Bolksztg." an einer andern Stelle des hier gekennzeich neten Artikels sehr richtig sagt: „Wer in der Politik Er fahrung hat, der weiß, daß die Politik keine Dankbarkeit kennt." Aber den Zwang kennt sie sehr wohl; diesen auSznüben ist aber das Zentrum zu human gegenüber den Polen nnd zu undeutsch. Rosebery gegen Chamberlain. Während der Herkules AlbionS, Joe Chamberlain, von der Gicht geplagt darniederlieat und seine Agitationsreise in Sachen Schutzzoll contra Freihandel bat unterbrechen müssen, ergreift die gewichtigste Stimme der Gegenpartei, Lord Rose bery, immer noch das geistige Haupt der Liberalen, daS Wort. Er sprach gestern in Sheffield, wo ja auch Chamberlain kürz lich eine Lanze für sein System eingelegt, in der Albert Hall. Die Zuhörerschaft bereitete ihm einen begeisterten Empfang. Zu Beginn seiner Rede entwarf Lord Rosebery eine spöttische Schilderung der jüngsten Vorgänge im Kabinett. Während der Premierminister von der Aufrechthaltung des bisherigen Kornzolls abgeraten habe, sei ein großer Minister nach Birmingham gegangen und habe erklärt, das Reich sei in Gefahr, wenn der Zoll nicht er höht werde. Er, Redner, bezweifle, ob überhaupt durch das Kabinett eine Untersuchung über die Frage der Zollpolitik stattgefunden habe; in jedem Falle aber hätte man doch den Sturm nicht verhindern können, indem man sich auf das Barometer setzte. Rosebery be zeichnete sodann Chamberlain als das gegenwärtige Haupt der Regierung. Der Schatzkanzler Austen Chamber lain, setzte Rosebery hinzu, besorge die Politik seines schutzzöll- nerischen Vaters. Balfour halte seine Stellung lediglich inne, bis der wandernde Glaubensbote mit einem Oelzweig im Munde wiedergekehrt sei. Er, Rosebery, glaube nicht an das System der Vergeltung. Chamberlains Politik sei ein bloßes Gewirre schimmernder Seifenblasen, die einem in der Hand zergehen, wenn man nach ihnen greift. Für ihn sei keine Verlockung kn der von Chamberlain gebotenen Aussicht vorhanden, daß dieses Land in einen Kampf mit der ganzen zivilisierten Welt verwickelt sein werde. Bisher sei an Chamberlains Politik alles Hypothese und Behauptung; ein großer Handelsstaat wie England aber könne seine Handelspolitik nicht auf Hypothese und Behauptung hin und her wälzen. Er sei glücklich, daß der Mann, der zugleich gesagt habe, er liebe, wenn er ge schlagen werde, wieder zu »schlagen, nicht an der Spitze des Auswärtigen Amtes stehe. England brauche keine Verwickelungen mit Rußland, Deutschland, Frankreich und andern Ländern hervorzurufen. Der Freihandel, fuhr Redner fort, habe wachsendes und überreiches Gedeihen zu Wege gebracht und Chamberlain werde den gegenwärtigen großen auswärtigen Handel Englands in Gefahr bringen, um eines kleinen illusorischen Handels mit den Kolonien willen. Es gebe keine Spur von Beweis dafür, daß das Mittel Chamberlains nicht schlimmer sei, als die Krankheit, die er sich vorgenommen habe zu heilen, oder daß durch einen Plan die Bande zwischen den einzelnen Teilen des Reiches enger geknüpft würden. Im Gegenteil, derselbe sei geeignet, die Einigung des Reiches lahmzulegen, ja möglicherweise zu zerstören. England sei bisher Transportfirma und Abrechnungshaus für die Welt gewesen, man möge sich hüten, daran zu rühren. Sei einmal der Plan Chamberlains zur Annahme ge langt, so werde man nicht mehr davon abgehen können, denn das Schutzzollsystem werde Interessen und Trusts schaffen, in manchen Fällen auch Korruption, und derartige Elemente würden jeden Rückzug ^verhindern. Mau solle ein Heil mittel suchen in wissenschaftlicheren Methoden, in besserem Unterricht und hauptsächlich darin, daß man die Welt sich als einen Markt für seine Rohstoffe und Lebensmittel erhalte. Chamberlain habe von einem Anerbieten gesprochen, welches die Kolonien gemacht hätten. Wo sei dieses Anerbieten? Ein angemessener und praktischer Reichs tarif sei eine Unmöglichkeit. Ein solches System werde zahllose Streitigkeiten und ziemlich sicher den Zerfall deS Reiche- her- beiführen. Der Kolonialsekretär Lyttleton, der sich einer Neuwahl zum Unterhause unterziehen muß, erklärt in einem Wahlaufrufe, daß er völlig mit der Aenderung der Politik übereinstimme, die Balfour und Chamberlain zusammen befürworten. Er sei der Ansicht, daß die Regierung in Stand gesetzt werden müsse, das Mißverhältnis der ausländischen Konkurrenz zu mildern und wirksam über eine Er mäßigung der ausländischen Tarife gegenüber britischen Waren zu unterhandeln, dadurch, daß sie die Vollmacht be käme, eine Steuer auf ausländische Fabrikate zu legen. Er sei überzeugt, daß das Reich noch fester zusammengefübt werde, wenn man die handelspolitischen Bande zwischen seinen ein zelnen Teilen verstärke. Die Zukunft Serbiens. Dos Zentralorgan -er gemäßigten serbischen Radi kalen, „Ustavnä Srbya", bespricht heute einen am Sonn- abend im Wiener „Fremücnblatt" erschienenen Leitartikel Feuilleton Das neue Modell. iLj Roman von Paul Oskar Hücker. ylarvdrn-- i>erboten Man schrieb jetzt Anfang Januar. Das Neujahrsfest roar mit großem Pomp im Hause Capitant gefeiert worben. Da nach einer kurzen Regcnperiode ein für -as Pariser Klima selten starker Frost eingesetzt hatte, so wagten sich nur bie kuragiertesten Sportsleute hinaus. Die verwöhnte Marion scheute die Kälte und den Ost wind, schon ihres Teints halber, den sie nicht gern Strapazen aussetzte. Unter den regelmäßigen Besuchern der Versuchsbahn befanden sich aber doch auch ein paar Damen der eleganten Welt: zumeist Mmc. Gobrvn und Mme. Lockert. Auch die Tochter Rothschilds, die Baronin Zuylen, begleitete ihren Gatten, den Klubvorstand des Automobilsports, trotz der rauhen Witterung. Ihrer raupenartigen Ausrüstung nach hätte man sic freilich nicht für die charmanten Schmetterlinge gehalten, die Abend für Abend in wahren Meisterwerken der Nadel kunst den Neid ihrer Mitschwestern und die Bewunderung der Herren erregten. Sie trugen über ihren Pariser Promenadentoiletten weite, sackähnliche Ledermäntel, die bis zu den Füßen hinab und bis übers Kinn empor reichten. Ihre Stiefclchcn steckten in Pelzschuhcn, und diese in einem Ledersack, der einen Thermophor enthielt. Ihren Kopf verhüllte eine Ledcrkappe mit festem Schleier, Respirator und dicken, großen Brillengläsern. In dieser fast unheimlich wirkenden Ausrüstung, die sie aber vor den Unbilden der Witterung vollkommen schützte, lagen sie dem Sport ob. Marions Sinn war mehr auf Schönheit gerichtet. Sie konnte sich durchaus nicht dazu entschließen, sich der art zu verunstalten. Sobald also das Wetter eine un- freundliche Miene machte, war sie für den Automobil sport nicht zu haben. Traurig kehrte Donat nach der Fabrik zurück, als er Frau Marion auf der Bersuchsbahn nicht gefunden. Inzwischen war sie dort aber -och noch cingctrvffen — ganz erschrocken, daß ihr Freund die Wertstatt verlassen hatte und die Monteure, die sich ohne ihn nicht an das Modell prägten, feierten. „Wo waren Sie, Donat?" fragte sie fast vorwurfsvoll „Sic werden doch unserm großen Schlager Ihr Interesse nicht entziehen?" „Es war mir so bang nach Ihnen", gestand er ihr. „Donat, ich verbiete Ihnen . . ." ,Was? Etwa Sie lieb zu haben?" Sie sah sich ängstlich um. „O, das — dürfen Sie doch nicht, bester Freund." „Wer kann es mir denn verwehren?" „Ich darf es nicht dulden." Nun nahm er ihre Hand wieder und preßte sie in wachsender Leidenschaft. „Ein deutscher Dichter hat ein mal die bittende Frage geformt: ,^Wenn ich. dich lieb hab, was geht's dich an?" . . . Kennen Sie das Eitat?" Sic schüttelte den Kopf. Dann wiederholte sie cs. „O, das ist lustig", sagte sie. „Es ist nicht lustig, Frau Capitant. Es liegt ein Stücklein Verzweiflung darin." „Donat — ich komme nie. nie wieder, wenn Sie mir nicht versprechen, das nächste Mal ganz artig zu sein." „Wenn Sie mir erklären, daß Sie nicht wiedcrkommen, so reise ich noch heute ab." Entsetzt blickte sie auf. „Sie wären im stände . . .?" Trotzig preßte er die Lippen aufeinander und nickte energisch. „Das könnten Sic mir antun? Und Ihre Arbeit — die Fabrik?" „Was mich jetzt noch dabei hält, das find nur Sie, Die ganz allein." „Ums Himmels willen! Sie bringen uns beide in Ungelegenhciten." Er seufzte tief auf. „Wenn Sie fort find, packt mich oft die Verzweiflung. Und auch — die Eifersucht!" Sie gab ihm hastig ihre Hand. „Sie sollen immer nur das Liebste und Beste von mir denken. Ich dulde es nicht, daß Sie eifersüchtig sind." „Es liegt in Ihrer Hand. Geben Sie mir keine Ur- fache. Ich leide, leide unsagbar. Nachts schlafe ich nicht mehr, zur Arbeit bin ich fast unbrauchbar geworben." „Das soll nicht sein", stieß sie fast erschrocken hervor. Für einen Augenblick preßte sie seine Hände an sich. „Was Sie tun, tun Sie für mich, liebster Freund. Denken Sie daran. Es ist mein Glück, das Sie sckzaffen, wenn Sie bei dem Werke auöhalten. Und ich werde es Ihnen danken, Donat, immerzu, immerzu!" Wie ein Rausch kam es über ihn. Sie sprachen deutsch miteinander, was die Monteure nicht verstanden. Aber beobachtet fühlten sie sich, trotzdem sie in der halbdunklcn Ecke der Werkstatt standen. Als er ihre Hände zu seinem Gesicht erhob und an seine glühende Wange preßte, zuckte sie erschrocken zusammen, denn in diesem Augenblick wandte sich einer der Monteure mit einer Frage an Donat. Verwirrt wandte er sich um und stammelte ein paar deutsche Worte. Marion war viel schneller gefaßt. In meisterlicher Weise wußte sie sich in jeder Situation zu be herrschen. Von nun an kam sie fast alle Tage. Donats Urlaub ging mit Schluß des Monats zu Ende. Er hatte George Capitant in Aussicht gestellt, Latz er am 20. Januar die erste Probefahrt mit dem neuen Modell werde vornehmen können. Capitant hatte inzwischen die verschiedenen Systnnändcrungen vom Patentamt schützen lassen. Seine Stimmmung schwankte je nach dem günsti gen oder ungünstigen Bescheid, den Donat ihm gab. Er überhäufte den Deutschen mit Liebenswürdigkeiten und Aufmerksamkeiten. Auch Marion hatte sich eine Lehre aus -em neulichen Gespräch genommen. An den nächsten Gesellschaftsaben den zeigte sie sich so zurückhaltend, datz Donat keinerlei Ursache zur Eifersucht hatte. Die folgenden Tag« über wich ihm Capitant vom frühen Morgen an nicht mehr von der Stelle. Es hing viel, wenn nicht alles für die Zukunft seiner Fabrik vom Ge lingen seines Versuchs ab. Die Konstruktion, die der Deutsche zusammenstellen lieb, hatte kostspieliges Material und hohe Löhne erfordert. Die 'Maschine repräsentierte ein für seine finanziellen Verhältnisse sehr beträchtliches Kapital. Endlich handelte es sich nur noch um die äußere Aus stattung des neuen MagenS. Da setzte nun ihre und Capi- tantö Tätigkeit ein. Mit Marions fast zierlicher Charrette ließ sich das Gefährt, das ja ganz andern Zwecken dienen sollte, nicht vergleichen. Aber seine Form hatte nichts Ungeschicktes. Die ersten Versuche mit dem fertiggestellten Motor unternahmen die beiden Herren allein, ohne irgend einen Fremden vorher zu benachrichtigen. Bloß der geschickteste der Monteure ward mitgenommen, um bei den zunächst unausbleiblichen Störungen des Betriebes sofort mit zur Hand zu geben. Es waren Tag« fast krankhafter Spannung. Sogar Marion brachte es dann fertig, mehrmals noch vor Tagesgrauen aufzusteben, damit sie bereits um acht Uhr früh zu den Probefahrten bereit war. An den wetteren Touren, die gegen Schluß der ersten Woche unternommen wurden, beteiligte sie sich freilich nicht. Die geradezu beängstigende Eile, mit -er das Gefährt längere Strecken nahm, hätte bas häßliche Automobil gewand von ihr verlangt. Dazu konnte sie sich aber noch immer nicht entschließen. Hauptsächlich Donats halber, dem sie sich in der Gesichtsmaske mit den eulenartigen Brillengläsern nicht zeigen wollte. Die letzten Versuchsfahrten, bet Herren Donat die äußerste Leistungsfähigkeit ausprobieren wollte, führte er ganz allein aus. Die Nervosität Capitants störte ihn bei der Stcueruna. Die größte Tour unternahm er eines Tages in die Normandie. Er fuhr noch bei Dunkelheit auf der ihm inzwischen genügend bekannten Straße nach Dreur unb Alenvon. Im Bogen schlug er sich nach Lisieux und ge wann mittags die Ortschaft Audomel. In der Nähe von Audemel widerfuhr ihm das erste Mißgeschick, eine „Panne", wie es im Sportjargon heißt. Dies war aber kein Unfall, der mit der Konstruktion deS Wagens zu sammenhing, die Maschine leistete vielmehr wirklich Ueber- rafchendes, die Ursache bildete vielmehr das Platzen eines Pneumatikreifens. Donat mutzt in Audemel so lange Auf enthalt nehmen, bis er unter dem Beistände des tele graphisch herbcigerufenen Gehülfen, den Capitant in ziem licher Verzweiflung sofort begleitet batte, -en Schaden repariert hatte. Inzwischen vergingen die Damen in Paris vor Angst: Liselotte glaubte bestimmt an ein Unglück, das dem toll kühnen Fahrer zugestoßen sei. Mit um so größerem Enthusiasmus wurde Donat bei seiner Heimkehr ausgenommen. Die Damen hatten sich beide nach der Fabrik bcaeben. Es war schon spät am Abend, als das Automobil end- lich auf dem Fabrikhofe eintraf. Donat war, gleich feinen beiden Begleitern, über und über mit einer Staubkrmte bedeckt. Auch daS Fahrzeug, das in der Frühe blank ,re» putzt den Hof verlassen hatte, war bis zu den Sitzen hinauf bespritzt. Im ganzen hatte Donat während dieses Tages neben Stunden lang die größte Geschwindiakeit des Motors spielen laßen und eine Strecke von fast vierhundert Kilo metern in dieser kurzen Spanne Zeit zurirckgelegt. Liselotte atmete erleichtert auf, als er endlich die
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