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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.08.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030826028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903082602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903082602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-26
- Monat1903-08
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Reklamen unter dem RedatttonSstrich s4 gespalten) 78 vor den Famtliennach» richte» (S geipalteu) 80 Labellartscher und Ztsferusatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenanuahme L8 (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt^ nur mit de, Morgeu-AuSaabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70^-» Anuahmrschluß für Äryeigern Abeud-AuSgaber Bormittag« 10 Uhr. Morgsn-Aa-gaber Nachmittag« 4 Uhr. Anzeige» sind stets an di« Expedition p» richte». Die Expedition ist Wochentag« unmrterbrvchen geöffnet von früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck und Berlag vou S. Pol» in Leipzig. Nr. 433. Mittwoch den 26. August 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. August. La» führende bayerische SentrnmSorgan und die Ernennung de» Freiherr» v. Stengel. AugesichtS der Ernennung des bayerischen Staatsmannes Freiherr» v. Stengel zum Reichsschatzsekretär ist eS natürlich von ganz besonderem Interesse, welche Stellung das führende Organ der .regierenden Partei" in Bayern dazu eianimmt. Wenn daS Blatt sich zunächst darüber freut, daß ein Bayer zu der hohen und wichtigen Reichsstellung berufen worden ist, so ist ihm diese Genugtuung sicherlich zu gönnen. Merkwürdig berührt nur die Motivierung, warum die Er nennung eines bayerischen Fachmannes selbstverständlich gewesen sei. Das Blatt meint nämlich, weil der bayerische Ministerpräsident Freiberr von PodewilS bei seiner Antritls- visite in Berlin zur Inangriffnahme der Reichssteuerreform gedrängt habe, sei eS erklärlich, daß ein bayerischer Finanz mann da- Reichsschatzamt anvertraul erkalten habe. Nach dieser Motivierung könnte etwa, wenn Preußen eine Aende- ruag in der bayerischen Armee anregt, ein preußischer General bayerischer Kriegsminister werden. Wir möchten dann wohl sehen, was die bayerische Zentrumspreffe dazu sagen würde. Die Gewundenheit der Motivierung ist aber sehr erklärlich — man will eben nicht gern anerkennen, daß der deutsche Kaiser durch die Berufung eines Bayern zu einer der höchsten Reichsstellen wieder einmal beweist, wie nichts nutzig das Geschwätz ist, das Reich solle „ver- preußt" werden. Der Humor der Sache ist nur, daß Freiherr von Stengel voraussichtlich sehr balv das bayerische Zentrum zum Gegner baden wird. Das bayerische ZentrumSorgan verlangt nämlich, daß der neue Reichsschatzsekretär erstens den Reicks ausgaben Einhalt tun solle, zweitens nicht etwa mit neuen Steuern, die den Konsum belasten, kommen solle. Nun steht erstens fest, daß voraussichtlich in diesem Winter eine neue Forderung für die Armee und vor aussichtlich im nächsten Winter eine neue Forderung für die Marine kommen wird, und wenn Freiherr von Stengel sich diesen Forderungen widersetzen wollte, so hätte er sein neues Amt gar nicht übernehmen dürfen. Zum Zweiten steht fest, daß Freiherr von Stengel ein ausgesprochener Gegner aller direkten Reichssteuern ist; wenn also neue Einnahmequellen geschaffen werden muffen, so muß sich der Reichöschatzsekretär den indirekten Steuern zuwenden, und unter diesen sind erfahrungsmäßig nur solche einträglich, die den Konsum belasten. Das Blatt stellt also dem Neichs- schatzsekretär zwei Bedingungen, die er beim besten Willen nicht erfüllen kann, und wenn angesichts dieser Tatsache das Blatt mit der Versicherung schließt, daß eS die Ernennung deS neuen ReichSschatzsekretärS „unumwunden" aufs freudigste begrüße, so wirb sich Freiherr v. Stengel für eine derartige Unumwundenheit verbindlichst bedanken. MtlilLrpenstonSwesen und Veterancnfürsorge. DaS Scheiden deS bisherigen Staatssekretärs des Reichs- schatzamtS, Frhrn. v. Thielmann, von seinem Posten wird von all denen nicht ungern gesehen werden, die die endliche Beseitigung der großen Härten und Mängel herbeiwünschen, die auf dem Gebiete des MilitärpensionSwesens und der Veteranenfürsorge bestehen und deren Fortdauer in den allerweitesten Kreisen immer peinlicher empfunden wird. Wenn erst im Jahre 190l und erst veranlaßt durck die Cbina- expevition die längst dringlich gewesene Verbesserung der Lage der Kriegsinvaliden und Kriegshinterbliebenen durch daS Not gesetz vom 31. Mai 1901 zustande kam, wenn ferner seither wiever mehr als 2 Jahre ins Land gegangen sind, ohne daß mit den schweren Mißständen und Unbilligkeiten aufgeräumt worden wäre, die auf anderen Gebieten deS MilitärpensionS wesens stehen geblieben sinv, so baden hier wesentlich die mit Zähigkeit festgehaltenen finanziellen Bedenken des ReickSschatz- fekrelärs verzögernd und hemmend eingewirkt. AuSweichenv und ablehnend war in der Regel seine Haltung gegenüber den wohlbegründcten Forderungen, die in der fraglichen Hinsicht im Reichstage seit Jahr und Tag niit Beharrlichkeit und seltener Einmütigkeit gestellt wurden. Insbesondere ist jetzt auch zu boffen, daß die strengen Bedingungen, unter denen bedürftige Kriegsveteranen die ReichSbeibülfe von 120 .4! jährlich erlangen können, bald die gebotene Milderung erfahren werden. Beim Verbleiben deS Frhrn. v Thielmann auf seinem Posten wären die Aussichten dazu wenig günstig gewesen. War doch unter seiner Amtsführung im Jahre 1899 durch Ver fügung deS Reichskanzlers (ReichSIchatzamt) die — übrigens in neuerer Zeil außer Kraft getretene — harte Fest setzung erlassen worden, daß bei den unter das Reichs gesetz vom 22. Mai 1895 fallenden Kriegsteilnehmern (dauernd gänzlich erwerbsunfähige) die vom Gesetz geforderte unterstützungsbedürftige Lage da als vorliegend nicht an genommen werden dürfe, wo aus Grund gesetzlichen AlimentationSanipruchS oder nach den tatsächlichen Verhält nissen für den nothdürftigen Unterhalt gesorgt ist, oder wo der Antragsteller an Bezügen aus eigenem Vermögen jeglicher Art, an Renten auf Grund der ArbeiterversicherungSgesetzc, an Zuwendungen aus PensionSkassen, Stiftungen u. dergl. bereits gleiche Einnahmen bezieht, wie sie im Gesetz als Beihülse vorgesehen sind. Schon eine Einnahme von nur 120 batte hiernach einige Jahre lang die Einweisung in die Reichsbeihülfe ausgeschloffen. Die Mause» nngsthcorctiker sind wieder voller Hoffnung. Da einer der sozialdemo kratischen Führer der Ansicht Ausdruck gegeben hat, daß es auf dem nächsten Parteitage zu einer Auseinandersetzung zwischen den Revolutionären und den Revisionisten kommen müsse, so sind sofort die Mauserungslheoretiker überzeugt, daß nunmehr eine Spaltung innerhalb der Sozialdemokratie sich vollziehen werde. Sie müssen zwar zugeben, daß die Mehrheit der jetzigen NeichSlagsfraktion auf der Seite der Revolutionäre stehe, nehmen aber als sicher an, daß die Mehrheit der sozial demokratischen Wähler sich den Revisionisten zuneige. Wie oft haben nun schon die MauserungStheoreliker die Spaltung in der Sozialdemokratie als bevorstehend angekündigt?! Sie ist bisher nock nicht eingetreten, und da der nächste sozial demokratische Parteitag in nicht allzuferner Zeit abgehalten werden wird, so wird man ja bald wieder sehen können, wie die neueste Prophezeiung sich bewährt. Sicherlich ist es mög lich, daß einmal ein kleiner Bruchteil von der Sozialdemokratie der Bebel, Singer und Genossen sich absplittert. Man würde das aber kaum eine Spaltung nennen können. Ob es sich in absehbarer Zeit vollzieht, lcheint sehr zweifelhaft. Bisher hat sich der Haß gegen das Bestehende immer noch mächtig genug eiwiesen, Meinungsverschiedenheiten in der Sozialdemokratie zuriicktrelen zu lassen. Hieran dürste sich vorläufig auch nichts Ludern. Ganz unbegründet aber ist die Meinung, baß die Mehrzahl der sozialdemokratischen Wähler den Revisionisten zuzuzählen sei. Ein statistischer Beweis wird sich hier überhaupt nicht erbringen lassen. Wenn indessen in der sozialdemokratischen Bewegung der letzten Jahr zehnte ein Moment in die Erscheinung getreten ist, so ist eS das gewesen, daß die Masse sich umso leichter gewinnen läßt, je mehr und je unwahrscheinlichere Versprechungen ihr gemacht werden. Hierin sind nun die Revolutionäre den Revisionisten der Natur der Sache nack überlegen, und des halb ist weit eher darauf zu schließen, daß die Mehrzabl der Wähler auf der Serie Bebels und nicht auf derjenigen Voll mars steht. In de» Politik ist die Illusion eine sehr schleckte Beraterin. Schließlich muß auf die Wendung aufmerksam gemacht werden, die von den MauserungSiheoretikern in neuester Zeit vollzogen ist. Früher wurde von ihnen angenommen, daß in nicht allzu ferner Zeit die gesamte sozialdemokratische Partei sich zu einer Arbeiter-Reform-Partei umgestalten werde, letzt wird diese Hoffnung nur betreffs des Vollmar schen Flügels ausgesprochen. Hoffentlich schreitet die Er kenntnis der MauserungStheorie auf dieser Bahn um so weiter vor, je öfter sie Enttäuschungen mit ihren Prophe zeiungen wegen der Spaltung der sozialdemokratischen Partei erleben. Kritik der englischen Kriegführung in Südafrika. Aus London, 25. August, wird uns gemeldet: Der Be richt der zur Untersuchung des Krieges in Südafrika ein gesetzten Kommission ist gestern veröffentlicht worden. In demselben wird zugegeben, daß eine Reihe von falschen Berechnungen hinsichtlich der Natur und der Ausdehnung der Operationen gemacht seien, die eine große Reihe von Mißverständnissen und Ver sehen zur Folge hatten. Die Kommission tadelt scharf, daß keine Kriegsvorräte vorhanden gewesen seien, erkennt aber an, daß man sich, als man einmal mitten im Kriege war, mit der Lage geschickt abgefunden habe, und läßt denen, die daran beteiligt waren, volle Gerechtigkeit wider fahren; sie erklärt es jedoch für einen Kehler, daß nicht genügend Vorkehrungen getroffen seien, um eine Wieder kehr solcher Zustände zu verhüten. An dem gegen wärtigen Militärsystem müsse man fest- halten, da es sich weiter ausbtlden lasse; dieBertei - dignng der englischen Küsten seiin gefähr lichem Maße schwach. Die Kommission hält weiter die Rekrutierungsfrage für ernst und sagt, das Heer als Gan »es repräsentiere in keiner Weise äle militärische Kraft des Reiches; sie lobt die Kolvnialtruppen, die in einem kommenden Kriege von hohem Werte sein würden, doch seien gut ausgebildete Offiziere und eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der Disziplin notwendig. Lord Roberts erklärte bei seiner Vernehmung, die Zahl der gemachten Fehler sei größer bei den höheren Chargen der Offiziere als bei den niederen. Die Kmmnission gibt zu, daß es unmöglich sei, in Friedcnszeiten eine für den Krieg hinreichende Anzahl von Sanitätsoffizieren zu halten, sie empfiehlt ein System zu wählen, das dem deutschen ähnlich sei. Kämpfe zwischen de« Ei«gebore«enstLmmen Indiens. -An der Nord-Westgrenze Indiens gärt es wieder ein mal. Der fanatische Sunni-Fakir aus Maimana in Afghanistan, welcher sich vor einiger Zett in Tirah niederlieb, um dort einen Kreuzzug gegen die Sekte der Shiahs zu organisieren, hat sein Ziel erreicht. Anfangs schien es, als ob die Stämme nicht sehr geneigt wären, feinen Einflüsterungen zu folgen, allein bei den Mohamme danern genügt es. die Leute von «der richtigen Sette anzu packen und ihr Seelenheil als gefährdet hinzustellen. Das hat auch hier wieder einmal Erfolg gehabt, namentlich als der Fakir seinen Glaubensgenoffen predigte, -atz die Shiah-Leute der Fluch des Landes wären und — man be achte die feine Nuance — die Alliierten der Eng länder seien. Es fanden verschiedene heftige Zusammenstöße mit wechselndem Erfolge statt, dem weitere folgen dürsten. Möglich, daß wir es nur wieder einmal mit einer der üblichen Stammeszwistigkeiten zu tun haben, die ebenso rasch vorübergehen, wie sie auSbrachen. Möglich aber, da ge rade das religiöse Element in den Vordergrund gedrängt ist, daß die Bewegung einen größeren Umfang nehmen und dann alle die Stämme des Nordwest zuerst in Mitleiden schaft ziehen wird. Sehr charakteristisch ist das Betonen der englischen Sympathien der Shiahs, da dies ein schlechtes Licht auf die so häufig betonte Loyalität der angreifenden Sunni-Stämme wirst. Man war nicht müde geworden, die große Loyalität der Alfrodis zu preisen, die, nachdem sie im letzten Feldzuge besiegt, nunmehr, nachdem man ihnen die Unabhänaiakeit in allen inneren An gelegenheiten gewährleistet hatte, sich in großen Scharen bei der indischen Armee anwerben ließen. Davon ist es jetzt still geworden, und wie die obigen Vorfälle beweisen, war das Ganze ein Schein. Deutsches Reich. Berlin, 25. August. (Nachsommerplaudereien.) Sehr amüsant zu lesen ist die Bemerkung, welche die „Ger mania" der „Freisinnigen Zeitung" zu kosten giebt, weil diese gemeint hatte, dem Nachfolger des Frhrn. v. Thiel mann schwebe nichts mehr und nichts weniger vor, als da» Zentrum in der Frage der Reichsfinanzreform zu spalte» und mit Hilfe der ihm näherstehenden süddeutschen Zentrum«- abgeordneten im Bunde mit den Konservative» uad de» Nationalliberalen den Miquelschen „Automate»" durch- zubringe». „Wir müssen gesteben", meint die „Germania", „daß wir Eugen Richter die Aufstellung einer solchen Kom bination nicht zugetraut haben. Mao sollte Übrigen meinen", heißt eS dann weiter, „daß der Abgeordnete Richter näher liegende Dinge zu tun hätte, al» sich den Kopf de« Zentrum- zu zerbrechen über die zukünftige Finanzpolitik de« Reich.L. Dah». wir ,um Beispiel die Aufgabe, sich des sozialdemokratischen Ansturm» auf die freisinnigen Landtagsmandate zu erwehren. Verlangen doch bereits mit drohend erhobener Faust die „Genoffen" in Breslau uad Königsberg, daß die Freisinnigen ihnen prinzipiell je eine» der Mandate für das Abgeordnetenhaus überlassen sollen." Nach dieser nicht uneindringlichen Ermahnung, e» mit dem Zentrum nicht zu verderben, heißt eS dann zum Schluß: „Mit der Reichsfinanzreform wird e» unseres Erachten» vor läufig noch gute Weile haben, wie auch die „Kreuzzeitung" schon hervorhob/ — Wonach zu achten! Berlin, 25. August. (Der .Vorwärt»" und Herr von Trotha.) Der „Vorwärts" hatte in seiner Sonntagsnummer das Dementi deS Herrn von Trotha iu der „Kaiserinsel" - Affäre mit einer schweren Beleidigung erwidert uad verlangt, daß die Staatsanwaltschaft wegen Beleidigung deS Herrn von Trotha gegen ihn eru- schreite. In seiner DienStagSnummer hat der „Vor wärts" die Beleidigung in noch schärferer Form wieder holt. Da, nachdem diese Angelegenheit nunmehr die Feuilleton. i7s Renate von Grieben. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck verbalen. Das Mittagsmahl, bei welchem zu Frau von Griebens Verwunderung auch Renate erscheint, verläuft recht ein silbig. Denn so taktlos ist die Majorin doch nicht, ihrer Nichte mit einer Silbe über 'den Verlust nahe zu treten. Aber eben weil sie das nicht wagt und dennoch ein halbes Hundert Kragen aus ihrer Seele brennen, bringt sie kein Gespräch in Fluß. Ihrer 'Tochter geht es ähnlich, nur daß sie mehr Herz besitzt, fremdes Leid eher mit empfindet, als die Majorin. Denn Hertha ist nicht schlecht; aber sie hat in ihrem Leben auf so manches verzichten müssen, wozu sie sich durch Geburt, wie durch ihres Vaters gesellschaftliche Stellung berechtigt glaubte, daß sie, hart am Rande des Altjungfern- tums, vorzeitig von dessen Schärfe im Urteil, von seiner neidvollen Ducht zu kritisieren unld, im Gewohnheits zwänge, mit geringen Mitteln das Prestige zu wahren, in etwas reichlichem Maße jenen korrekten Stolz der Armut angenommen hatte, welcher, mit dem eigenen Mangel kokettierend, nur zu leicht den Anschein mitleidlosen Hoch mutes gewinnt. Skun bewundert sic aus vollem Herzen Renate, die nach dem vorgestrigen leidenschaftlichen Schmerzensausbruchc heute so gefaßt zu decken weiß, was ihr Inneres bewegt. Wenn sie hätte in 'dieses Innere schauen können! Nein, den Schmerz hätte sie doch nicht mitfühlen können, der Renatens Brust durchwühlt, als sie nach Tisch auf ihrem Zimmer zum wer weiß wievielten Male den Brief durch lieft, den ihre Freundin Grete gestern nachmittag von Georg Boühard erhielt: „Berlin N. O., den 4. Juli 189*. Meine Schwester! Ich bitte Dich, liber dies« Anrede etwas weniger zu erschrecken, als heute morgen im Portal des Kricdrich- ftraßen-Bahn-hofs. Ich will diesmal auch kein Geld von Dir, will überhaupt gar nichts mehr auf der Welt, als ein« Kugel, die ein verloddertes Leben einigermaßen glatt ab schneidet. Wenn diese Zeilen in Deine Hände gelangen, hat sie ihre Schuldigkeit getan, und man» wird sich an schicken, die sogenannten sterblichen Ucberreste Kurt von Gersbachs von Polizei wegen auf irgend einen Friedhof zu fahren — dem Leichnam Lothars von Grieben kann das nicht gelten, weil ich soeben meine sämtlichen Papiere ver brannt habe. Eigentlich hätte ich nun aar keine Veranlassung, Dein feingestimmtes Empfinden durch ein posthumes Schriftstück zu erregen, aber ich habe seit einem Dutzend Jahren mit so viel gemeinen Kreatzrren zu schassen gehabt, daß Du mir als Dessert meines Lebens das bißchen Plaudern mit einem anständigen Wesen gönnen dürftest. Ich bin 'doch nun einmal Dein -Bruder, und solltest Du das nicht ohne weiteres glauben, so wird Dein Bräutigam, wenn er nicht wieder einmal eine Kapitallüge verbrechen sollte, es Dir bestätigen — dieser Vampyr, dem ich verfallen war, seit ich mit einer Empfehlung Papas in sein elterliches Haus kam, der mich in den Sumpf hinabzog — tiefer und tiefer. Na türlich nicht gleich in 'den schimitzigen, mistduftenden der Bauernfänger und Pennbrüder, nein, ganz allmählich sank man: zunächst in den glatt überfirnißten der jounesso ckoree, mit deren wöchentlichem Taschengel'd nicht einmal mein Monatswcchsel konkurrieren konnte. Dann — es mußte doch Geld geschafft werden — zu Trents-ei-guarante, Lao«ai-ai, Lustiger Sieben und derlei prickelndem Zeit vertreib, den Du, die wohlerzogene Tochter des Geheimen Oberregierungsratcs von Berlin sV., höchstens aus der Literatur kennst, oder vielleicht auch daher nicht. Nun also — sonderbarerweise wird mir nicht einmal leicht, es niederzuschreiben — dann fälschte der stuck, jur. von Grieben aus Berlin sV. -Wechsel, und Du kannst Dir denken, wer ihm den Rat dazu gab. Nur scha'dc, daß der junge Prokurist der Firma I. D. Killmann trotz seiner Kurzsicksiigkeit den Betina entdeckte und, statt mir Gelegen heit zu geben, denWechsel durch einen ganz neuen gefälschten lwas mir ganz lächerlich schien) zu decken, die Kleinigkeit an den Geheimrat nack Berlin meldete, der seinen Erst gebornen zur Rede und kurzerhand vor di« Wahl stellte, sich vor den Gcschwornen zu verantworten oder ein Schriftstück zu unterzeichnen, in dem der Studiosus Lothar von Grieben sich mit einigen dreißigtauscnd Talern in bar völlig abgefun'den bekannte und erklärte, fortan weder bei Lebzeiten, noch nach dem Tode des Geheimrats irgend welche Ansprüche aus väterlich« oder mütterliche Unter stützung zu erheben, auch niemals unaufgefordert eine Ver bindung mit dem Elternhause anknüpfen zu wollen. Der Studiosus war nun für leinen Vater tot. Die Dreißig tausend hatten mir natürlich in die Augen gestochen — ob ich mich des Anrechts auf -das Bier- stis Sechsfach« begab, war mir damals herzlich unwesentlich; ich war „rangiert", wie ich cs nannte, und hoffte das Wum-dcrbarste von der Zukunft und schier Seligkeit von der heißblütigen Johanna aus dem soliden Hauiie I. D. Killmann. Daß die Hergab« einer so großen Summe an mich ein Erzfehler unseres Erzeugers war, lehrten später die Folgen, aber unser Papa hielt ja auf seine reinen weißen Hän'de ebenso viel, wie auf die weiße Halsbinde, in der ich ihn gemeinhin kannte, und war immer ein Freund glatter Abrechnung. Kür mich ging nun die flotte Fahrt los — tour in twnck — Up anck ckown — mit wenig Ups und vielen Downs, wohl verstanden! Ein IIp mar, daß ich nach dem Tode von I. D. Kill mann dessen hübsche Tochter Johanne dem Luchs von Pro kuristen — Georg Volkhard — vor der Nase wcgschnappte und demnächst die Freude erlebte, ihn aus Gesichtsweite zu verlieren, ein Down, daß ihr Stiefbruder Walter ihr Vermögen mit der -Geschicklichkeit eines Taschenspielers verpulverte; ein Dp, daß mein -Eheweib mir später mit dem ersten besten Schwätzer davonrannte — ein Down, daß ich dem ehrenwerten Walter Killmann, gewerbsmäßigem Spieler mit etwas oorrigor la kortuno, eine Zeitlang als ganz gemeiner Schlepper diente ustv. Als IIp sehe ich end lich auch den Glücksfall an, daß unseres Vaters Einziger jetzt Chancen hat, von einem anständigen Mensche» auf eine Art aus dem Leben geputzt zu werden, die immer noch, kauts cko mioux, für honorig gilt, sicherlich für anständiger, als wenn man sich selbst — doch, passons IL-cksssus! Wenn Du mir also noch nachträglich einen Gefallen tun willst, so danke Deinem Ritter von heute morgen, dem zarten Herrn Erich Buschkorn, für die Kugel in den Körper Deines Bruders. Der gute Junge verdient's; und wenn ich die Wahl hätte — an seiner Stelle heiratete ich ihn lieber zweimal, als einmal das glutäugige Scheusal mit dem Prophetenbarte. Natürlich habe ich aar kein Anrecht auf Vertrauen seinerseits, wüßte auch nicht, womit ich die Wahrheit seiner Aussagen beteuern sollte. Bei meiner Ehre auch nicht? — Pfui Teufel! Aber wenn Du mir nicht glauben willst, so frage Herrn Bollhard. den bebrillten Semmelblonden. Der Mann ist so etwas wie unser Papa ins Geschäftlich- Bürgerliche übersetzt, mit seiner starren Ehrenhaftigkeit, um derentwillen ich ihn so herzlich haßte. Wenn diese Zeilen Dich vor Walter Killmann warnen können, so haben sie ihren Zweck erfüllt und ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe: bewahre meine Schwester vor einem Vampyr und vereitle einem Lumpen den Ge nuß, aüch noch die Taler zu verputzen, auf die ich vor Jahren zu Gunsten eben dieser Schwester verzichten mußte. Und damit ade! Dein Bruder Lothar von Grieben." Die Hände im Schoß sieht Renate über den Brief hin weg in das dunstige Grau des Berliner Himmels, brennenden Auges, ohne eine Träne. Sie hat keine mehr, seit sie sich gestern nach Bollhards Besuch ausgeweint. Mit apathischer Ergebung hat Renate gestern Greten» Mitteilungen überKillmann hingenommen,hat ihr seelisches Auge das Idealbild des Verlobten gradweise verblassen sehen, bis nichts mehr blieb als ein trübes Grau in Grau, daraus ein paar stechende Augen hervorlvderten. Bei jeder anderen als Grete Horsten wäre der Verdacht neid voller Eifersucht in ihr aufgestiegen, ihr gegenüber jedoch, die mit so seelenvoller Milde ihr die eigene Enttäuschung schilderte, die vor Jahren eben derselbe Mann ihr be reitet, zu dem Renate aufgeschaut hatte wie zu einem Heros — der abgeklärten Seelenstimmung Tretens gegen über kamen solche Gedanken nicht auf. So hatte denn Lothars Brief für Renate nur das eine Schrecknis: der Tod des Bruders. Ja, sollte sie den noch lebend wünschen? Ueber die Frage ist sie bis zu dieser Stunde noch nicht hinausgekommen. Und über ein Zweites nicht: ihre Ab- neigung gegen den Mann, der zuerst die Hand erhoben, um das Zau-bcrglas, durch das sie bis vor kurzem Kill- manns Bild geschaut, zu zertrümmern, der den ersten Zweifel am Wert des Geliebten als keimendes Samen korn in ihr Herz gelegt hatte. Erich Buschkorn, der ihr den Bruder getötet, ist sie minder gram als Georg Boll- Hard. Sie empfindet es als schweres Unrecht, letzteren zu verabscheuen, aber sie kann nicht anders. Ibr seelenstarkcs Sichschicken in daS Unabänderliche hat Grete von Horsten nicht ohne Grund bewundert. Re nate hat mit keiner Wimper gezuckt, als die Freundin sie nach der ersten Lektüre von Lothars Zeilen leise fragte: „Was nun?" sondern mit schier erschreckender Gelassenheit geantwortet: „Ich würde dich bitten, mich morgen nach der Lebuser Straße zu begleiten. Du sagtest ja, dort sei die von Herrn Buschkorn genannte Wohnung." „Herr Vollhard hatte sic von ihm erfahren." .^Welche Hausnummer war's doch? — Sechsund, vierzig oder achtundvierzig? Aber das hast du wohl aus geschrieben? Möglicherweise muß ich auch nach dem Poltzeibureau, doch hoffe ich, man wird nichts dagegen
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