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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.07.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030725012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903072501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903072501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-07
- Tag1903-07-25
- Monat1903-07
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In -er Ansicht, -aß besonders in der gegenwärtigen Reformperiode auch Stimmen aus anderen Partei- lagern Anspruch auf Gehör haben, geben wir dem Ersuchen des Herrn Rechtsanwalt Hermann Martin- Leipzig um Aufnahme seiner folgenden Ausführungen statt: „Die Regierung hat die Initiative ergriffen zur Um gestaltung deS Landtagswahlrechts, um die Unzufrieden heit in Dachsen zu bannen. Selbst ein Unzufriedener, bin ich in der Lage, mit ziemlicher Sicherheit die Gründe -er Unzufriedenheit, der sächsischen Verdrossen heit, anKugeven. Man muß unterscheiden -wischen allgemeiner und be sonderer Unzufriedenheit. Wer vor Gericht Unglück ge habt hat, wer darüber entrüstet ist, daß Exner vom Schwurgericht nur zu Gefängnisstrafe verurteilt worben ist, wer sich über die Lösung des Ehekonsltkts grämt, wer au- diesen oder ähnlichen Gründen einen sozialdemokra tischen Stimmzettel abgibt, hat nicht mitznreden. Da sind Sonderlinge, und ihre Zahl ist gering. Ihnen ist auch durch keine Reform zu helfen. Die große Menge ist vielmehr mit -er Landespolitik unzufrieden. Die sozialdemokratische Opposition interessiert in diesem Zusammenhang nicht. Tie ist prin zipiell und speziell. In einem Reichstagswahlkreise ent rüsteten sich in jeder Wahlversammlung die sozialdemo kratischen Redner, unter lebhaftem Beifall der Genossen, sogar darüber, daß die Generäle vor ihrer Verabschiedung nicht ebenso streng auf ihren Gesundheitszustand hin untersucht würden, wie die Empfänger der Invaliden renten vor Len Schiedsgerichten! Solche Unzufrieden heit ist nicht zu bannen. In Betracht kommt hier nur, warum viele Tausende, ja Zehntansende bürger licher Wähler ihre Stimme lieber einem Sozialdemo kraten als einem Anhänger der Kartellpartcien gegeben haben. Die Reform kann nur auf die bürgerliche, nationalgesinnte Opposition Rücksicht neh men. Daß auf diese Kreise der Steuerzuschlag, die Ctvil- liste oder gar der Ehekonfltkt irgend welchen Eindruck gemacht, daß diese Momente die Abstimmung der frei sinnigen oder nationalsozialen Wähler beeinflußt hätten, ist gänzlich unrichtig. Das sind konservative Querelen! Man bezeichne den Reichstagswahlkreis, in dem in bürgerlich-oppositionellen Flugblättern oder Reden diese Fragen auch nur gestreift worden sind. Die Angriffe haben sich, sofern sie sächsische Angelegenheiten zur Sprache brachten, gegen das Kartell und gegen die Wahlentrechtung gerichtet. Wer öffentlichen Ver sammlungen seit -cm 12. Dezember 1895 beigewohnt hat, wird bezeugen können, bah der Redner jedesmal, sobald er die Entrechtung auch nur streifte, eine mächtige Re- sonnanz fand. Auswärtige Redner waren geradezu ver blüfft, wenn sie dieses Thema, fast aus Versehen, an schlugen und mit einemmal von stürmischen Zwischen rufen unterbrochen wurden. Do patriotisch ist auch unser Sachsenvolk, daß eS sich für die Erhöhung der Civilliste oder die Lösung des EhekonfltkteS oder den Steuerzuschlag nicht durch Abgabe eines sozialdemo kratischen Stimmzettels bei Len Reichstagswahlen rächt. Aber gegen die Entrechtung von 1896 haben allerdings liberale Männer aus den verschiedensten Ständen bei den Reichstagswahlcn mit vollem Bewußtsein ihrer leidenschaftlichen Unzufriedenheit einen möglichst deut lichen Ausdruck gegeben. tDie- ist einer der Punkte, wo sich die Wege -er Nattonalltberalen und der Frei sinnigen immer trennen müssen: die Förderung der Sozialdemokratie auS Unmut ist für erstere un denkbar. — Red.) Das ist ja gerade das anstößigste an der ganzen Wahlrechtsänderung ge wesen, daß die Kritik -er öffentlichen Meinung nur bet den NeichstagSwahlen zum Ausdrucke kommen konnte. Das Reich hat -aS büßen müssen, was die Landes vertretung gesündigt hatte. Gänzlich verfehlt ist der Ein wand, die Unzufriedenheit mit dem neuen Wahlgesetz hätte doch schon bei den Reichstagswablen von 1898 zum Aus druck kommen müssen. Volksbewegungen sind dickflüssig und langsam, aber sicher. Die Wahlrechtsverdrossenheit hat sich sogar sehr schnell entwickelt. Sein ausgesprochen reaktionäre- Gesicht trägt unser Landtag ja erst seit 1902. Denn erst in diesem Jahre sind die letzten Sozialdemo kraten aus der Kammer auSgeschieden. Also: Wir sind mit dem Regiment in Sachsen, besonders mit unserer Volks vertretung, unzufrieden. Die Art derReform. Wenn es also feststeht, baß die Entziehung des Wahl rechts und die reaktionäre Zusammensetzung der Zweiten Kammer die spezifischen Ursachen der Landesverdrossenhcit bilden, so ist damit ohne weiteres auch der Hauptrichtungö- punkt für die Reform gegeben. Die große Menge desBolkeS.die aus der Hand in den Mund lebt, vor allem aber die Arbeiterschaft, muß wieder in ihre politischen Rechte eingesetzt werden. Ein Wahlrecht, welches diese Aufgabe nicht löst, würde ein Schlag ins Wasser sein. Das allgemeine gleiche direkte Wahlrecht empfiehlt sich deshalb vor allen andern Systemen. Es herrscht im Reiche, es wird demnächst in Bayern, Württemberg, Baden, Hessen die Herrschaft er langen. In allen Kulturstaatcn vollzieht sich die Ent- wtcklumg des Wahlrechts in dieser Richtung. Dennoch steht fest, daß man bet uns von diesem Ziele sehr weit entfernt ist. Wer heute Lei un» für ein allgemeines gleiches Land- tagswahlrccht plädieren wollte, würde von den maß gebenden Politikern einfach ausgelacht werden. Und in der Tat würde dieser Sprung ein äußerst gewagter sein. Wenn man dieses Wahlrecht will, muß man auch eine volkstümliche Regierung und Verwaltung wolle«. WaS in Sübdeutschland möglich ist, ist bei uns heute noch unmöglich. In Württemberg und in Hessen haben sogar die Regierungen die Initiative zur Einführung deS allgemeinen gleichen direkten Wahlrecht- ergriffen! Wer bet uns praktische Politik treiben will, muß sich nach einem Wahlrecht umschcn, welches Garantien gegen eine Majo risierung der Zweiten Kammer durch die Sozialdemo kratie bietet. Ein solches Wahlsystem haben wir aber in dem alten Wahlgesetz vom Jahre 1868 besessen. Durch die Bestimmung, daß nur die wählen durften, die 1 Taler Staatssteuer zahlten, waren im Jahre 1895 von 500 000 an sich Wahlberechtigten 150000 vom Wahlrecht ausgeschlossen. Diese Rechnung hat damals der Führer der Konservativen, der Abg. Mehnert, selbst aufgemacht. Einige Wochen vorher hatte der Abg. Schill die Zahl der Ausgeschlossenen auf 120000 angegeben. Wie dieser Zensus gewirkt hat, geht daraus hervor, daß die Sozialdemokratie im Jahre 1895 von den 82 LandtagSsiven nur 14 inne hatte, während von den 23 sächsischen Reichstaasmandaten bereits 9 in sozial- demokratischem Besitze waren. Bet den letzten Landtags wahlen unter dem alten Gesetze hatte die Sozialdemokratie sogar keine Verstärkung erfahren. Eminent konservativ hat auch die noch jetzt geltende WahlkreiSeinteilung in 37 städtische und 45 ländliche Kreise gewirkt. Anderseits begünstigte das alte Gesetz die Sozialdemokratie, indem schon -er Kandidat gewählt war, der die relative Mehr heit -er Stimmen auf sich vereinigte. MankanndeS- halb gar nicht» Besseres tun, aks das alte Wahlrecht wieder herzu st eilen. Bet dieser Gelegenheit muß freilich das nachgcholt werden, was die Nattonalliberalen im Iabre 1890 in der Hitze des Ge fecht- vergessen hatten: Die drei Großstädte, die fast ein Drittel der ganzen Bevölkerung umfassen, müssen min destens die doppelte Anzahl von Mandaten erhalten, wie bisher. Daß der Zensus keine ideale Einrichtung ist, versteht sich von selbst. Diese Ungleichheie hat aber den Vorzug vor andern Ungleichheiten, daß sie dreißig Jahre lang von unserm Volke getragen worden ist. Man hat sich an diese Wahlrechtsbeschränkung gewöhnt. Wahlsysteme gleichen ja insofern den Steuersystemen, als sie desto weniger drücken, je länger sie bestehen. Schon auS diesem allgemeinen GrunLe empfiehlt sich die Rückkehr zu dem alten Wahlrechte, das in den Augen unseres Volkes «in freiheitliches gewesen ist. Wette Kreise sind noch heute der Ansicht, daß wir bis zum Jahre 1896 das allgemeine gleiche Wahlrecht besessen hätten! Daß wir Liberale jeden andern Vorschlag, besonders wenn er von -er Regierung kommt, ohne Voreingenommenheit prüfen werden, ver- steht sich von selbst. Zweierlei muß die Reform aber leisten, wenn sie die sächsische Erbitterung auS der Welt schaffen soll: Sie muß der Menge des Volkes das Wahl recht zurückgcben und die Bevorzugung der Bauern und Rittergutsbesitzer beseitigen. Was ist das für ein schreien des Mißverhältnis, daß in unserm Lande, wo nicht mehr als 13 Prozent -er Bevölkerung in der Landwirtschaft leben, eine agrarische Majorität die Zweite Kammer und damit das Land beherrscht! Ebenso miserabel ist die Zu sammensetzung der Ersten Kammer. Unsere Verfassung beruft heute noch 22 Rittergutsbesitzer in die Erste Kammer, aber nicht einen einzigen Kaufmann oder In dustriellen. Unserm Lande stehen vermutlich heftige politisch« Kämpfe bevor. Die Väter des geltenden Wahlrechts halten sich schon bereit, der Reform die Zähne aus- zubrcchen. Mit einem Neförmchcn läßt sich unser Volk aber nicht mehr abspeisen, nachdem sogar die Re gierung das geltende Wahlgesetz als ungerecht bezeichnet hat. Diese Ungerechtigkeit muß eben aus der Welt geschafft werden. Uns könnte nichts Schlimmeres passieren, als wenn die Reform ausliefe, wie das Hornberger Schießen. Etwa mit dem Erfolge, daß «in paar Sozialdemokraten in den Landtag hinein gelangten, nach Analogie der Konzessions-Schulzes in den preußischen Garderegimentern. Das sächsische Volk will seine politischen Rechte wieder erlangen, die es seit der Er richtung des Norddeutschen Bundes bis zur Entrechtung im Jahre 1890 besessen hat. Die Regierung kann, wenn sie ernstlich will, diesem Verlangen gerecht werden. Jeder- mann weiß, daß die Krone hinter ihr steht, daß die Dynastie das Bedürfnis empfindet, die Anhänglichkeit des Volkes zurück zu gewinnen. Die konservative Partei kann sie in dieser ernsten Situation unmöglich im Stich lassen. Sie würde sich sonst zwischen zwei Stühle setzen und um allen Einfluß bringen. Wir rufen deshalb der Regierung zu: Landgraf, werde hart! Es gilt, eine echt landgrüflichc Aufgabe zu lösen. Es gilt, -en Widerstand der Privile gierten gegen volkstümliche Reformen zu brechen." Die Sankprozesie und die Gerichte. Drei große Bankprozesse sind auf einmal verhandelt worden, der Pvmmernbankprozcß in Berlin, die Prozesse gegen Terlinden in Duisburg und gegen Treber-schmidt in Kassel. Das ist viel, zu viel, wenn man bedenkt, um welche kolossalen Summen hier vertrauensvolle Leute ge schädigt sind. Es handelt sich um Anklagen gegen Männer, die sich in «iu flußreich en und angesehenen Stellungen be fanden und ihre unheilvolle Tätigkeit so geschickt zu be mänteln wußten, -atz sie noch kurz vor ihrer Entlarvung mit neuen Ehrenämtern, auch königlichen Titeln ausge zeichnet worden sind. Daß die geschehenen Täuschungen einen so weiten Umfang annehmen und jahrelang fort gesetzt werden konnten, beweist, daß der Kontrollapparat bei unseren Aktiengesellschaften ein vollkommen unzuläng licher ist. Aussichtsrat und Revisoren sind die beiden ein zigen vom Vorstände unabhängigen Kontrollorgane. Was kann ein AufstchtSrat kontrollieren, der alle Monate einmal, bei den meisten Gesellschaften noch selte ner, Zusammentritt, um eine summarische Kenntnis von den geschehenen Geschäften zu nehmen und hauptsächlich über neue sein Gutachten abzugeben und sie zu fördern! Und nun gar die unglückseligen zwei oder vielleicht vier Revisoren, denen nach Ablauf eines Jahres die Licken Geschäftsbücher der Gesellschaft vorgelegt werden und die diese nachprüfen sollen. Ihre Prüfung soll und kann nur eine formale sein, ob die Eintragungen in Las Hauptbuch durch Eintragungen in die Tagesbücher nachgewiesen werden und ob die Ausgaben belegt sind und alles auch auf dem richtigen Konto gebucht ist. Das ist zwar wichtig. Ob aber die einzelnen Ausgaben sachlich nicht viel zu hoch sind, ob die Einnahmen bei einem ordnungsmäßigen Ge schäftsbetrieb nicht hätten höhere sein müssen, diese fach- liche Prüfung können und sollen sie gar nicht leisten. Das wäre Sache des AufsichtSrats gewesen. Auf diese Mängel der Verwaltung unserer Aktiengesellschaften sei für heute nur hingewiesen. Sie sind weniger ein Mangel unserer Gesetze, die den Aktionären hier nicht wirksam zu Hülfe kommen können. Sie sind vielmehr «in Mangel der kaufmännischen Praxis, und zwar einerseits fehlt den Vorstandskreisen der gute Wille, sich einer Kontrolle zu unterwerfen, anderseits liegt die Ursache in -er Bequem- lichkcit oder Schwäche des AufsichtSrats und der General versammlung. Die große Mehrzahl der Aktiengesellschaf ten hat es nur der Ehrlichkeit ihres Vorstandes, nicht der Organisation ihres GesellschastSapparateS, zu danken, wenn bei ihnen nicht gleiche Veruntreuungen vorkommen. Die ungenügende Kontrolle rächt sich, abgesehen von dem Verlust des Kapitals, auch bet der Liquidation und -em Konkurs. Denn über manche Geschäfte gibt die vor handene Korrespondenz nur ungenügend Auskunft, über manche Beteiligung bei einem fremden Unternehmen fehlt «s an klaren, -ie eigenen Interessen sichernden Ab machungen. Diese Unklarheit macht dann auch den ge wöhnlichen Schlußakt des Trauerspiels, das Strafver fahren, das die ob des Frevels erregten Gemüter durch den Spruch der irdischen Gerechtigkeit versöhnen und an dere auf schicker Ebene Schivankcnde abschrcckcn soll, ganz ungemein schwierig. Was dem Recht-freund, wenn er diesen Verhandlungen znhört, besonders unangenehm anffällt, ist die übermäßig große Abhängigkeit der Gerichte von dem Gutachten der Sachverständigen, besonders der Herren Bücherrevi soren. Da bekundet der von der Staatsanwaltschaft zu gezogene Bücherrevisor, daß dieser Posten von zwei Mil lionen Mark nach den Regeln der doppelten Buchführung zu den Passiva gehöre, während der von der Verteidigung Zugczogene ibn zerlegen und fast ganz als Aktivposten buchen will. Das sind doch rechtlich« Erwägungen, welche das Gericht selber anstelle» kann und über die es ein Gut achten Sachverständiger nicht brauchen müßte. Bet der zunehmenden Entwicklung von Handel und Industrie im Deutschen Reich muß man angesichts der Häufigkeit der Rechtsfälle, in denen die Prüfung kaufmännischer Ge schäftsbücher nötig wird, von unseren heutigen Juristen verlangen, daß sie mit den Grundsätzen sowohl der ein fachen als auch der doppelten Buchführung genau vertraut sind- Es wird darum nicht der Verlängerung des Stu diums bedürfen. Der Bücherrevisor mag dann immerhin noch als Gehülle des Richters zugezogen werden, was er jetzt zwar als Sachverständiger nach dem Buchstaben des Gesetzes auch nur sein soll, in Wahrheit liegt die Sache in folge der Unkenntnis der meisten Richter über die kauf männische Buchführung aber so, daß er von dem Gut achten der Bücherrevisoren abhängig ist und daß, wenn zwei verschiedener Ansicht sind, eben nichts bewiesen oder der Richter hülslos ist. Ich habe auch gehört, daß Bücher revisoren entgegengesetzte GntaciNen darüber abgaben, ob eine Bilanz, welche einen Ueberschnß ergab, dennoch wegen der Art der Zusammensetzung dieser Aktiva für diesen speziellen Geschäftsbetrieb als eiue ungünstige zu bezeich- Feuilleton. Der Sommer in der Kunst. Bon Theodor Lamprecht. »iacdvruck verboten. Den Sommer kann man als die LieblingSjahreSzeit -er Künstler bezeichnen. Dann steht das Leben der Natur aus feiner Höhe, die Vegetation zeigt die reichsten und schönsten Bildungen, die Farben prangen in tiefster Intensität: un mehr, al« zu irgend einer anderen Zett, vermählt sich um diese Zett des Jahre- daS Leben deS Menschen unmittelbar mit dem der Natur. Zog dieser Reichtum, diese Freudigkeit deS Sommers die Künstler an, so bot^etne Darstellung auch der Technik der Malerei Vorteile. Denn während die Lust- und Lichterschctnungen des Frühlings und deS Herbstes vielfach recht verwickelter und delikater Natur sind, bewegen sich die deS Sommer- im allgemeinen aus einer einfacheren und doch geruht in dieser Einfachheit großartigen Skala. So finden wir, baß die Landschaft der italienischen Renaissance fast durchgängig den Charakter der Lommcrlanbschaft trägt. Mit scharfer Beobachtung haben die Florentiner die wesentlichen Merkmale sestge- stellt: auf ihren Hintergründen sieht man grüne blumen gestickte Wiesen und Hügel, von stillen Flüssen burchstrvmt, von blau in der Ferne verblassenden Bergzügen begrenz». ZmveUen faßt sie eine besondere Lust, das Blühen und die Fröhlichkeit deS Sommers zu schildern, wie eS z. B. bet Piero di Cosimo in feinen mythologischen Bildern, etwa dem „Tode der ProkriS" in London, der Fall ist, wo er sich nicht genug an Schmetterlingen, an Blumen, an blühen den Büschen tun kann. Im ganzen aber haben doch die Toskaner bei der Behandlung der Landschaft mehr die Gestaltung deS Raumes im Auge gehabt, als -ie Absicht verfolgt, die charakteristischen Stimmungen und Er scheinungen deS Sommer- zur Darstellung zu bringen; und nur den großen Lionardo muß man auch hier auS- nehmen, der in seinen köstlichen toskanischen Hügelland- schäften jenen gedämpften und weichen Lichtton mit Voll kommenheit schilderte, der die Landschaft gleichsam zu streicheln scheint, der ihr alle Härten und Schärfen nimmt und der alle ihre Lokalfarben in einer großen sanften und zarten Harmonie vereinigt. Die wahren Sommcrmaler der Renaissance aber, und meine» Erachtens die größten Darsteller deS LonmierS, die die Kunst überhaupt kennt — das waren die Venezianer. Sie, die in ihrer Lagunenstadt kaum etwas Grünes sahen, außer in den Gärten der Pa- lazzi, sie hatten eine leidenschaftliche Liebe zu dem üppigen Prangen deS Sommer»; und wenn sie die blühenden Hügel deS benachbarten Vicenza erblickten oder die fruchtbaren Gesilbe um Padua, bann sogen sie die Schönlxit der sommerlichen Natur mit tiefen Atemzügen ein. Und war nicht der Sommer da- wahre und getreue Abbild des ganzen Leben» in der Doaenstadt, seiner tteppiakeit, seiner reisen Schönheit seine» festlichen Rausche»? So wurden die Venezianer die großen Darsteller b«S Sommer», de» Lebens und der Natur. Am kühnsten und großartigsten hat Gevrgione, der große Pfadfinder venezianischer Kunst, das Thema angeschlagen. Im Palazzo Givvanelli zu Ve nedig sieht man die sogenannte Familie: in herrlichster Landschaft sitzt, nur mit einem Umschlagetnch bekleidet, eine junge Mutter und säugt ihr Kind, indes, auf einen Stab gestützt, ein blühender Mann die beiden behütet. Und das Louvre in Paris bewahrt jenes herrliche „Konzert im Freien", auf dem man Frauen und Männer in der ganzen Blüte ihrer reifen Schönheit, die einen in der Pracht ihrer unverhüllten Körper, die anderen im Schmucke eleganter Kleidung, zu seligstem Lebensgenüsse vereint sieht. Das sind die hesperischen Tage sommerlichen Glückes, die so still und leise vorttberziehen, wie leiclste Wölkchen, bas sind die Tage vollkommenen Genusses; das ist die hoho Zett des Leben-. Die Landschaften auf diesen Bildern Georgivncs sollte man zollwetfe betrachten; denn niemand wieder hat einen solchen unbeschreiblichen Reichtum in der Einfachheit entwickelt, niemand eine solche Fülle köstlichster Schönheit auf so engem Raume zusammcngedrängt. Schattige Haine, kühle Grotten, lauschige Hecken, herrliche iktaumgruppen, stille Wasser, luftige Hügel — alles findet man auf diesen Bildern. Giorgione» Ideen haben bann alle nachfolgen den Künstler Venedigs ausgenommen und weiter ent wickelt: alle haben die Pracht und die Lust de» Sommers in hundertfachen Weisen besungen; wer erinnerte sich nicht der strahlenden sommerlichen Heiterkeit auf Tizians „Bacchus und Ariadne", ober der jauchzenden Lebenslust in Veronese» „Raud der Europa", ober de» köstlichsten Blickes auf eine üppige Parklandschaft auf Tizians Bildnis der kleinen Strozzi? Und dann alle jene Darstellungen der Venus, deren Typus gleichfalls Giorgionc zuerst aufstellte — was sind sie anderes, als Hohelieder auf die Schönheit und das Glück des Sommers? Draußen die in sommer licher Pracht laclxmdc Natur, die ihren Glanz gleichsam in die kühlen Säle des Palastes hereimvirft; drinnen, in aller Wohligkeit des Lebensgenusses, die vollendete Pracht menschlicher Schönheit, beide einander ergänzend, einander hebend, einander deutend, Neben den Venezianern kann wohl nur noch ein Künstler als Maler des Sommers ebenbürtig genannt werden; und das ist Rubens Ja, auch er war ein Sommerkind, voll unerschöpflicher Heiterkeit, voll unver- sieglichcn Reichtums; er liebte die Ueppigkeit des Som- wer«, und er konnte sich nicht genug darin tun, sie in aller ihrer Pracht immer wieder barzusicllen. Sich selbst hat er im Kreise seiner Familie gemalt, ivie er in feinem sonuner» lich prangenden Garten spazieren wandelt; in seinen Liede «festen, in seinen Sch.ifcrscenen und Bacchantendar- stellnngen hat er den großen Hymnus der zeugenden Natur, der Fruchtbarkeit des Sommers mit einer unver gleichlichen Kraft, mit einen, sieghaften Jubel gesungen, und auch seine Madonnen liebt er mit der Rose, der Ko- nigin des Sommers, zu schmücken. Ihm sind seine Schüler und Nachfolger aus diesem Wege nachgegangen und so ist der Sommer da» Leitmotiv der ganzen vlämischen Kunst geworden. Ander« mar die Stellung der Nachbarn de- Blamen, der Holländer, zur Darstellung de» Sommer».
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