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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.04.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970410017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897041001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897041001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-10
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Sie hat die Arbeiterschutzgesetzgebung veranlaßt, sie ist Bewahrrrin der bürgerlichen Freiheit, sie gewährleistet nach dem Nieder gang der „BourgeoiSwissenschaft" den geistigen Fortschritt, ^vo sind die Genossen nicht nur die einzigen zuverlässigen Stützen der deutschen Nationaltraft, sondern nach der neuesten Weisheit ist den socialdemokratischen Vereinen auch der glänzende Aufschwung des deutschen Erwerbslebens mit zu zuschreiben. Die rothe BereinSsimpelei wird zu einem Mittel der volkSwirthschaftlichen Entwickelung verklärt. Unsere Zeit soll an neuen Gedanken arm sein; hier ist einer. Kluge Genossen waren bisher nur der Ansicht, daß ihre Wahl- und Zahl-, Rauck- und Kegel-, Sing-, Spiel- und GewerkschastSvrrrine lediglich zur lauten und stillen politischen Wühlerei sehr geeignet seien; die tiefere, die nationale Bedeutung dieses vielgliedrigen BereinswesenS haben sie nicht erkannt. Der Socialdemokratie in dieser Beziehung die Augen zu öffnen, war dem conservativen Socialpolitiker Or. Rudolf Meyer Vorbehalten. Ihm sind die social demokratischen Vereine Förderer des großen Aufschwunges der deutschen und schweizerischen Großgewerbe, da sie, wie er meint, den Arbeitern nicht nur eine bessere wirthschaftliche Lage, sondern auch „gesteigerte Geschicklichkeit" erkämpften und ihnen überhaupt „die Mittel zur Entwickelung der besten geistigen Eigenschaften" gaben. Erst nach dieser Entdeckung vermag man jenes tief sinnige Wort Johann Iakoby'S recht zu würdigen, nach dem die Gründung des kleinsten Arbeitervereins einst für die Nachwelt wichtiger als die Schlacht bei Sadowa sein soll. Doch die Richtigkeit neuer Gedanken muß bewiesen werden. Das reiche Lob, welches Herr vr. Rudolf Meyer wegen seiner neuesten Veröffentlichung jetzt als „gründ licher konservativer Forscher" von der Socialdemokratie erntet, ist für seine Anschaang nicht beweiskräftig. Im klebrigen fehlt c« aber gänzlich an ausreichenden Gründen für dieselbe. Wenn man auch zugeben kann, daß die gesteigerte Tüchtigkeit der Arbeiter in neuerer Zeit das deutsche Erwerbsleben gleichfalls günstig beeinflußte, so fehlte doch jeder Beweis für eine Förderung desselben durch das socialdemokratische Vereinsleben. Mit rein persönlichen An schauungen, die ohne befriedigende wissenschaftliche Beweis gründe ausgesprochen werden, ist jedoch der socialen Er- kenntniß wenig gedient. Man fördert damit nur die Ver wirrung der Geister. Die neue Tugend, die man jetzt plötzlich an den socialdemokratischen Vereinen entdeckte, ist lediglich geeignet, die schweren Uebel, welches dieses aus gedehnte und von einem leidenschaftlich einseitigen Geiste beseelte Vereinswesen zeitigte, zu bemänteln. Unter diesen Nebeln ist nicht das kleinste die schlimme Beeinflussung der Charaktere junger Arbeiter. In dem Gluth- strome des rothen BereinSlebens gehen in jedem Jahre ursprünglich gut veranlagte Charaktere zu Grunde. Sie sind ein Opfer des falschen Ehrbegriffes, den die Socialdemokratie predigt. Für sie ist es höchste Ehrenpflicht deS Arbeiter« e,n Streiter im Clafsenkampf zu werden, was d.e Mitgliedschaft in zahlreichen Vereinen und den regelmäßlgkn besuch noch zahlreicherer Versammlungen voraussetzt. Wer "icht an diesem Seile zieht, ist nach socialdemokratischer Auffassung eia schlechter Kamerad; wer sich gar weigert, von den Genossen „aufgeklärt" zu werden, der ist ein „beschränkter Capitalisten- knecht"undnochschlimliiereS.Soniancherunersabrenewarmherzige junge Arbeiter hält es für seine höchste Menschen- und StaatSbürgerpslicht, nach den mit gleißenden Worten in Werkstätten, Versammlungen und Zeitungen gepriesenen socialdemokratischen Ehrbegriffen zu handeln. Er betheiligt sich an zahlreichen Vereinen und Dereinchen und wird ein eifriger VersammlungSläufer. Bald hat er allerlei Pöstchcn und Ehrenstellen unter seinen Genossen inne, und so ist er oft früher ein vollendeter „Politiker" und Parteiinanu, ehe er Anspruch darauf machen darf, ein auch nur über die traurigste Mittelmäßigkeit in seiner Branche sich erheben der Arbeiter zu sein. Der junge Weltverbesserer führt in Versammlungen und Vereinen das große Wort, unser ge summtes Staatswesen ist ihm elende Pfuscharbeit, er trägt eine neue Welt fertig in der Tasche mit sich herum, aber in der Werkstatt — Tausende von Arbeitgebern können es be stätigen — sitzt von ihm kein Schlag und kein Stich richtig. Ungezählte Arbeiter werden von der sie gänzlich in Anspruch nehmenden socialdemokratischen Vereinösimpelei für immer an der gründlichen Ausbildung ihrer gewerblichen Fähigkeiten gebindert. Anderen ist die Politik die Hauptsache und tüchtige Arbeitsleistung nebensächlich; bei Vielen leiden Familienleben und Kindererziehung ganz augenfällig unter der unablässigen Vereins- und Versammlungshetze, die den Mann nicht in seine Häuslichkeit, sondern in die Kneipen führt. Es ist uns also vollständig unmöglich, aus der Betrachtung deS socialdemokratischen Vereinslebens den Schluß zu ziehen, ihm sei eine Förderung der gewerblichen Entwickelung Deutsch lands zu danken. Es läßt sich das Gegentheil leichter be weisen. Allerdings hat noch kein Statistiker das Verhällniß zwischen Socialdemokratie und Arbeitstüchtigkeit zahlenmäßig gemessen. Geistigen und seelischen Kräften läßt sich nicht mit der Zählkarte beikommen. Doch immerhin giebl eS gewisse feststehende sociale Thatsachen, von denen man ohne großes Wagniß den Schluß ziehen kann, daß die Entwickelung deS socialdemokratischen Vereinslebenö der gewerblichen Tüchtigkeit der Arbeiter eher hinderlich als forderlich ist. Nach der socialdemokratischen Weltanschauung erhält der Arbeiter nur den geringsten Theil des ihm ge bührenden Arbeitsertrages. Erst der Zukunftsstaat mit seiner Gleichheit und Brüderlichkeit wird den „Enterbten" völlige Gerechtigkeit widerfahren lassen. Alles Mühen und Streben unter der Herrschaft der heutigen Wirtschaftsordnung kommt der Capitalisten - Classe zu Gute und dient un mittelbar oder mittelbar zu einer weiteren „Knechtung" der Arbeiterclasse. Ist es bei einer derartigen im Propbetenlone vorgetragenen Anschauung überraschend, wenn zahllose unter ihrem Banne stehende Arbeiter die Lust verlieren, nach gewerblicher Tüchtigkeit zu streben, wenn in ihnen überhaupt die Liebe zu dem gewählten Beruf erstickt wird'? — ES ist z. B. ausfallend, daß zahlreiche Klagen über mangelnde Tüchtigkeit der Arbeiter aus solchen Bezirken an die Oeffentlickkeit gelangen, in denen die Socialdemokratie besonders stark entwickelt ist. Wir verweisen in dieser Be ziehung auf Sachsen. Die Handelskammern dieses gewerb- fleißigen, aber von der Socialdemokratie am meisten durchwühlten Landes, pflegen auch über Arbeiterzustände ein Urtheil abzugeben. Schon wenn man nur einige Handels- kammerberichte aus den letzten Jahren durchblättert, stößt man auf zahlreiche Mittheilungen, die unsere Anschauung unterstützen. So bezeichnet die Dresdner Nähmaschinen fabrikation tüchtige Arbeiter als selten, obgleich die Löhne hoch sind. In der Strohhutfabrikation hat sich der Stamm geschulter und tüchtiger Arbeiter immer mehr gelichtet. Die in Sachsen weit verbreitete Industrie künstlicher Blumen klagte schon vor Jahren, daß eö den Arbeitern „an gewerblichem Geschmack und Geschmeidig keit" fehle; im letzten Bericht der Dresdner Handelskammer wird darauf hingewiesen, daß man den Mangel an tüchtigen jungen Arbeitskräften stark empfinde. In den Wagenbau anstalten des genannten Bezirks wird es immer fühlbarer, daß tüchtige Arbeiter fehlen; die Dresdner Schlosserinnung berichtet, daß die Beiträge zu der Socialgesctzzebung in keinem Verhältniß zu dem Können und Wollen der Arbeiter stehen; in der Seilerei ist an guten Gehilfen ein großer Mangel und dasselbe meldet eine Faßfabrik in Beziehung auf die Bötlchergesellen. Auch aus den sächsischen Kleinstädten wird, wie z. B. aus Radeburg, berichtet, daß trotz der erhöhten Löhne die Leistungs fähigkeit der einheimischen Arbeiter geringer geworden sei und man aus diesem Grunde fremde habe heranziehen müssen. Zahlreich sind die Klagen im sächsischen Baugewerbe über die nachlassende Tüchtigkeit der Arbeiter, ebenso wird aus dem Tischlereigroßgewerbe mitgetheilt, daß Lust und Liebe zum Beruf zurückgegangen sei. Die Unternehmer im Zittauer Bezirk klagten vor einiger Zeit über das Anwachsen social- vemokratischer Gesinnung und die Abnahme der ArbeitS- willigkeit. Der in Dresden, Leipzig und Chemnitz betriebene» Schirmfabrikation wird e« schwer, genügend gute Arbeits kräfte zu erhalten. In den ausgedehnten Elbsandstein- brüchen fehlen seit Jahren „die wirklich tüchtigen und geschulten" Arbeiter. Eisengießereien berichten, an besseren Arbeitern sei empfindlicher Mangel, bei der Er zeugung elektrischer Artikel sei „an guten Arbeitern kein Ueberfluß". Nach Mittheilungen auS einer Glocken- und Bronzekunstgießerei ist man weder mit der Tüchtigkeit noch mit der Willigkeit ver Arbeiter zufrieden. Die Chemnitzer Handelskammer betonte bereits vor längerer Zeit, es seble den guten geschulten Arbeitern der Nachwuchs. Eine Maschinenfabrik des dortigen Bezirks schrieb an die genannte Kammer, es halte schwer, wirklich brauchbare Arbeiter zu bekomme». Aus den Textilgroßgewerben versicherten uns einzelne Unternehmer, daß es so tüchtige Wirker wie früher nicht mehr gebe und auck in der Weberei die Berufsbildung der Arbeiter oft unter den Anforderungen leide, welche die rotbe Politik und das ausgedehnte politische VcreinSwesen an sie stellen. Dieses svcialdemokratische Vereinswesen ist in allen Gegenden stark gepflegt, aus denen die vorstehenden Klagen an die Oeffentlickkeit dringen. Allein im Dresdner Bezirk giebt es etwa 125 größere politische, gewerkschaftliche Unter stützungs- und andere Vereine, ohne die zahlreichen kleinen Clubs und Conventikel, die von der Socialdemokratie ge gründet oder doch beherrscht werden. Die Bestrebungen, welche innerhalb dieses vielgliedrigen Vereinswesens sich auf die Erlangung einer beste reu Berufsbildung richten, sind ganz nebensächlich. Als Hauptzweck gilt bekanntlich die politische Schulung und Zusammen fassung der Massen. Aber auch dafür ist kein Be weis erbracht, daß jenes Vereinswesen mittelbar, etwa durch Erhöhung des geistigen Gesichtspunktes, die ge werbliche Geschicklichkeit der Arbeiter gefördert habe, wie Di. Meyer das annimmt. Denn geistig ist die Social- Lemokratle durchaus einseitig. Der von ihr ausgehende Ein fluß richtet sich gegen unsere gesammte Wirtschaftsordnung und deren Vertreter. Wenn man die Behauptung aufstellt, daß eine derartige Weltanschauung unter den Arbeitern ge werbliche Geschicklichkeit und die besten geistigen Eigenschaften entwickeln, die natürlich zur Befestigung jener gehaßten Wirtschaftsordnung beitragen würden, so muß dafür ein sich auf Thatsachen gründendes besseres Beweisverfahren an getreten werden, als eS durch den genannten Socialpolitiker geschah. Der von dem socialdemokratischen Vereinswesen ausgehende Geist ist der Steigerung unserer großgewerblichen Leistungs fähigkeit nicht förderlich gewesen. Wenn die deutsche Arbeit heute auf dem Weltmarkt mehr gilt als in früheren Jahren, so hat dazu die Erstarkung der deutschen Nationalkrast seit 1870 beigetragen, durch dir auch der volkswirthschaft- liche Unternehmungsgeist in Deutschland neue Anregung und kräftigen Rückbalt fand. Vor Allem ist unsere indust rielle Entwickelung aber auch der Klugheit zuzuschreiben, mit der wir besonders in den letzten zehn Jahren von anderen großen Handelsvölkern technisch wie kaufmännisch zu lernen wußten; sie ist begründet in dem Fortschritt« der technischen Wissenschaften, der mit dem geistigen Ausbau der deutschen Hochschulen und Mittelschulen in enger Verbindung steht. Den Einflüssen dieser Thatsachen hat sich auch der Arbeiter FerriHeton. Adolphe Thiers und der deutsch-französische Krieg. Bon Paul Pasig. Nachdruck verbot««. Kaiser Wilhelm I. und Adolphe Thiers, der viel genannte französische Politiker und glänzende Geschichts schreiber — Beide in dem gleichen Jahre, letzterer nur wenige Wochen nach dem Begründer deS neuen deutschen Reiche«, geboren: ist das nicht eine merkwürdige Fügung de- Schick sals, die zu denken giebt? Allerdings gehören beide Männer, obwohl der unvermeivliche Gang der Ereignisse sie in eine feind liche Stellung zu einander brachte, schon insofern zusammen, al« sie ihr Bestes thaten, ihren Völkern das höchste Gut, den durch einen unerbört frevelhaften Angriff bedrohten Frieden, zu erhalten, wenn eS auch nicht in ihrer Macht lag, den einmal ins Rollen gekommenen Stein zum Stillstand zu bringen. Schon bevor der Krieg auSbrach, batte Adolphe ThierS, geb. den 15. April 1797 zu Mar seille, wegen seiner treu legitimistischen Gesinnung nach dem Napoleonischen Staatsstreiche verbannt und später begnadigt, als Kammermitglied zur Opposition zählend, in der ent scheidenden Sitzung vom 15. Juli 1870 den Krieg mit Preußen Widerrathen, obwohl er selbst für einen eifrigen Verfechter der „natürlichen Grenzen" Frankreichs, d. h. der Rheingrenze, galt. Allein er hatte sich nicht allein als ge wiegter Jurist, sondern weit mehr als erfahrener Historiker, der die praktischen Lehren der Geschichtsforschung zu ziehen weiß, in jener Zeit künstlich geschürter Aufregung ein klares, nüchternes Nrtheil zu bewahren verstanden, und als er die Aufstellung einer Commission zur Prüfung der angeblich so schwer compromittircnden Actenstücke verlangte, wurde er durch elende Schmähruse und wüsten Lärm der kriegs lustigen Heißsporne zum Schweigen gezwungen. Noch an demselben Tage beschloß bekanntlich der gesetzgebende Körper die Kriegserklärung an Preußen, die wenige Tage später — l9. Juli — in Berlin amtlich überreicht wurde. Bi- zur Katastrophe von Sedan hielt sich der greise Staatsmann in Pari« auf, blutenden Herzen- da« von ihm geahnte harte Geschick de- geliebten Baterlande- verfolgend. Bll- dann die Republik erklärt worden war, handelte e- sich vor Allem darum, der jungen Staatsform die Anerkennung der Mächte und, wenn irgend möglich, deren Intervention zu Gunsten Frankreichs zu erreichen. Es war die- eine ebeoso schwierige, als delicate Aufgabe. Paris lief bereit« Gefahr, gänzlich cernirt zu werden, und daher batte die Regierung eine Delegation nach Tour« beordnet, welche die Ver bindung mit den Provinrrn aufrecht erhalten sollte. Mit dieser schwierigen Mission, da« Ausland zu soudirrn, wurde Thier« betraut. Während nun Iule« Favre den vergeblichen Versuch machte, mit BiSmarck einen Waffen stillstand zu vereinbaren, besuchte der 78jährige Diplomat (vom 12. September ab) die Hauptstädte London, St. Petersburg, Wien und Florenz, um hier freilich weiter nichts als einige Liebenswürdigkeiten und ein bedauerndes Achselzucken einzuheimsen. Bismarck nämlich war inzwischen auch nicht . unthätig gewesen. Er batte in zwei Rundschreiben an die diplomatischen Vertreter im Auslände — von RheimS am 13. und von Meaux am 18. September — mit der ihm eigenen Aufrichtigkeit und genialem Geschick klar und bündig die Ziele der deutschen Politik dargelegt, die darauf hinauSliefen, Deutschland für alle Zukunft gegen etwaige räuberische Ueberfälle seitens seiner westlichen Nachbarn nach Möglichkeit sicher zu stellen. DaS aber könne nur durch eine hinreichende Gebietsabtretung geschehen. An dieser Forderung waren die Unterhandlungen mit Favre gescheitert und scheiterten alle folgenden Vermittelungsversuche. Mit leeren Händen und bekümmerten Herzens war ThierS von seiner Rundreise an die europäischen Höfe zurückgekehrt. Inzwischen war aber auch die Cernirung von Paris durch die deutschen Truppen ziemlich perfect geworden, und da« Hauptquartier befand sich in Versailles. Straßburg halte bereit« am 27. September capitulirt, und Metz fiel einen Monat später. Die Lage der Franzosen hatte sich demnach bedeutend ungünstiger gestaltet, und um mit mög lichst heiler Haut aus den immer verderblicher drohenden Wirr nissen berauszukommen, suchten sie aufs Neue Unterhandlungen mit Bismarck anzuknüpfen. Auch diesmal wurde A. Thiers mit Führung derselben beauftragt. Am 28. October kam er in Versailles an, hatte eine Unterredung mit Bismarck, und kehrte zunächst nach Paris zurück, um sich zu weiteren Unter handlungen mit der deutschen Regierung autorisiren zu lassen. Dieselben begannen nach seiner Rückkebr au« Paris am 30. October m Versailles und dauerten bis zum 8. No vember, waren aber gleichfalls erfolglos. Die französische Regierung hatte nämlich vorgeschlaaen, eine Nationalversamm lung zu wählen, welche über alle künftig zu unternehmenden Schritte, also über die Kriegs- und Friedensfrage, frei ent scheiden solle. Dafür begehrte sie einen Waffenstillstand von 25 Tagen mit der Bedingung, daß Paris sich während dieser Zeit verproviantiren dürfe. BiSmarck dagegen betonte, daß Letzteres nur unter der Voraussetzung gestattet werden könne, wenn den Deutschen irgend ein militairischer Ersatz, etwa ein oder zwei Pariser Fort», dafür geboten würde. Denn andernfalls wären die bisherigen Erfolge der Deutschen, wenn die Verhandlungen refultatlo« blieben, illusorisch ge worden. Auch stellte die deutsche Regierung eS den Franzosen frei, selbst ohne Abschluß eine« Waffenstillstandes die Wahlen -vornehmen zu lasten, wobei sie ihnen jede mögliche Er leichterung verhieß. Allein die Franzosen gingen auf beides nicht ein, und so zerschlugen sich die Berbandlungen, ein Beweis, daß eS den damaligen Machthabern weniger um den Frieden und die Herstellung geordneter Zustände im Lande, al« vielmehr um Erlanguim gewisser Hortheile zu »hat- kräftigerer Fortführung de« Kriege«, vielleicht auch um selbst- süchtige Zwecke zu thun war! BiSmarck beeilte sick>, am 8. November in einer Circulardepesche den diplomatischen Agenten genauen Bericht über den Gang der Verhandlungen zu erstatten. E- heißt da u. A.: „Ich war erstaunt, als der französische Unter händler diese Vorschläge, bei welchen alle Vortheile auf französischer Seite waren, ablehnte und erklärte, einen Waffenstillstand nur dann annehmen zu können, wenn der selbe die Zulassung einer umfassenden Verproviantirung von Paris einschlösse. Ich erwiderte, daß diese Zulassung eine so weit über den Status gno und über jede billige Er wartung binauSgehende militairische Concession enthalten würde, daß ich ihn fragte, ob er ein Aequivalent dafür zu bieten im Stande sein werde und welches? Herr Tbiers erklärte, zu keinem militairische» Gegenanerbieten ermächtigt u sein" u. s. w. Ferner: „Se. Majestät war mit Recht br- remdet über so ausschweifende militairische Zumuthungen und enttäuscht in den Erwartungen, welche Allerböckstderselbe an die Unterhandlungen mil Herrn Tbiers geknüpft hatte. Die unglaubliche Forderung, daß wir die Frucht aller seit zwei Monaten gemachten Anstrengungen und errungenen Vortheile aufgeben und die Verhältnisse auf den Puncl zurückgeführt werden sollten, auf welchem sie seit Beginn der Einschließung von Paris gewesen waren, konnte nur von Neuem den Beweis liefern, daß man in Paris nach Borwänden, der Nation die Wahlen zu versagen, suchte" u. s. w. Am Schluß aber spricht der Kanzler unumwunden seine Ueberzeugung also auS: „Der Verlauf der Verhandlungen hat mir die Ueberzeugung hinterlaffen, daß eS den jetzigen Macht habern in Frankreich von Anfang an nicht Ernst damit gewesen ist, die Stimme der französischen Nation durch freie Wahl einer dieselbe vertretenden Versammlung zum Ausdruck gelangen zu lassen, und daß eS ebenso wenig in ihrer Absicht gelegen, einen Waffenstillstand zu Stande zu bringen, sondern daß sie eine Bedingung, von deren Unannehmbar keit sie überzeugt sein mußten, nur darum gestellt haben, um den neutralen Mächten, auf deren Unterstützung sie hoffen, nicht eine abweisende Antwort zu geben, v. Bismarck." Im deutschen Baterlande athmete man erleichtert auf, al« das Scheitern auch dieser Verhandlungen bekannt wurde. Hatte man doch bereits zu fürchten begonnen, die Febern der Diplomaten möchten, wie ehedem, verderben, was die Schwerter erstritten hatten. Nunmehr sehen wir den greisen Staatsmann um eine beberzigenswerthe Erfahrung reicher geworden, erst wieder in den Verlauf des Kriege« eingreifen, als nach der Capitulation von Paris — 28. Januar 1871 — dir Franzosen, von ihrer eiteln Selbstüberschätzung geheilt, ernstlich den Frieden erstrebten. Am 8. Februar wurde ThierS von nicht weniger als 26 Departements in dir Nationalversammlung gewählt, die am 12. d. Mon. in Bordeaux zusammentrat, um über Krieg und Frieden zu entscheiden, und vier Tage später, am 16. Februar, übertrug dieselbe dein hochverdienten, bejahrten Staatsmann« al« Zeichen deS höchsten Vertrauen- die Exekutivgewalt der französischen Republik. Die neue Regierung unter Thier«' Vorsitz sprach sich für einen „ehrenvollen Frieden", wenngleich mit Abtretung der geforderten Gedietktheile, au«, und die Mehrzahl der Versammlung gab ihre Zustimmung. So kam der Präliminarfrieden von Versailles, 26. Februar, zu Stande, von dem Tb irr« am 28. Februar der National versammlung in Bordeaux Kenntniß gab. Es war dies für den greisen Politiker Wohl eine der schmerzlichsten Stunden seines langen, an Bewegungen reichen Lebens, als er unter lautloser Stille den Inhalt des Friedensvertrags der Versammlung, die in atbemloser Spannung lauschte, mittheilte Mehrfach zitterte seine Stimme, und vor innerer Bewegung vermochte er die Verlesung nicht zu Ende zu führen, Barthölömy de St. Hilaire nahm ihm diese schwere Pflicht ab. Trotz lebhafter Opposition seitens der Victor Hugo, Quinet u. A. siegte doch die Vernunft: mit 546 gegen 107 Stimmen wurden am 1. März die Präliminarien an genommen, eine Nachricht, die bekanntlich in, deutscheu Vater lande überall nie gehörten Jubel entfachte, der sich zu weihe vollster Begeisterung steigerte, als Kaiser Wilhelm — am 2. März — von dem frohen Ereignisse seiner Gemahlin in jenem herrlichen Telegramme Kunde gab, das mit den un verweichlichen Worten schloß: „Der Herr der Heerscharen hat überall unsere Unternehmungen sichtlich gesegnet und daber diesen ehrenvollen Frieden in seiner Gnade gelinge» lassen. Ihm sei die Ehre! Der Armee uud dem Vater lande mit tieferregtem Herzen meinen Dankl" So weit die Beziehungen A. TbierS' zum deutsck- französischen Kriege- denn bei Abschluß deS definitiven Friedens zu Frankfurt a. M — 10. Mai — war er nur insofern betheiligt, als er das Oberhaupt der französische i Regierung war. Wie unter ThierS die Furie der Commune in Paris niedergeworfe», wie er am 31. August desselben Jahres mit 497 gegen 93 Stimmen zum Präsidenten der französischen Republik erwählt wurde, wie er in dieser Verantwortung^ reichen Stellung die Verwaltung und das Heer reorganisiele und durch seine kluge, sparsame, von Abenteuern freie Politik, der Mäßigung die schnellere Auszahlung der Kriegskostenen! schädigung an Deutschland und somit die frühere Räumung besetzt gehaltener französischer GebietStheile ermöglichte und wie er al« überzeugung-treuer, gemäßigter Republikane, dem Ansturm der vereinigten monarchisch gesinnten Rechten weichen mußte — 23. Mai 1873 —, das gehört ebenso wenig in den Rahmen dieser Skizze, als ein näheres Eingeben auf die wissenschaftlichen Verdienste deS großen Manne». Wir erwähnten bereit«, daß dieselben auf historischem Gebiete liegen. Sein Haupt werk ist: ,.Mstoilo cku Lousulat et ck» I'Lmpire", 20 Bände, 1845—1882. deutsch von Bülau. Bnrkhardt und Sieger u. a AtS Geschichtsschreiber ist auch er nicht ganz von der natio nalen Untugend aller Franzosen freizusprechen, die Objektivität und Wahrheitsliebe zuweilen zu Gunsten nationaler Eitelkeir zu unterschätzen. Adolphe Thier« starb am 3. September 1877 zu St. Germain en Laye und wurde am 8. in Pari« feierlich auf Staatskosten beiaesrtzt. Die Franzosen baden allen Grund, den hundertjährigen Geburtstag diese« Manne« als eine« ihrer besten Söhne zu feiern, und mit ihnen ehren auck wir neben dem Historiker in ihm den warmen Freund seines Vaterlandes, der unter den schwierigsten Verhältnissen, wenn auck in der Befangenheit französischer Dorurthrilr, nicht am Vaterland» verzweifelt»
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