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Sächsische Volkszeitung : 23.09.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-190309239
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19030923
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19030923
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungSächsische Volkszeitung
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-23
- Monat1903-09
- Jahr1903
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 23.09.1903
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Erscheint täglich nachm, mit Ausnahme der Eomr- u. Festtage. Bezugspreis» Vierteljahr!. 1 Mk. SV Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnummer 6858. Bei auherdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer 10 Pfennige. Unabhängiges Tageblatt ahrheit, Recht und Freiheit vuedSruclrerei. waaktion unil LercdsMrMle» Aresde«, Pillnitzer Strafte 43. Inserate werden die 6 gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit 15 Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. Redaktions-Sprechstunde: 11—1 Nhr. Fernsprecher» Amt l. Nr. 1S6K. Nr. Ä16. Katholiken» Thekla. Mittwoch, den 23. September 1903. Protestanten» Thekla. 2. JahrgttNg. Festrede des Herrn Reichsaerichtsrat vr. Lpahn zur Jubelfeier des Herrn «np. Echrnittinann zu Leipzig. „In der Festschrift zum 50 jährigen Ortsjubiläum unserer Trinitatiskirche hatte unser Herr Jubilar unserin Herrn Bischof ver sichert, diese Gemeinde wolle sich bemühen, auch ein festes Boll werk zu sein für das Gottesreich. Gr hatte damit sich und der Gemeinde eine nicht leichte Aufgabe gestellt. Denn nicht allzulange vor dem Tage seines Amtsantritts in unserer Psarrgemeinde, dessen 25. Wiederkehr zu feiern wir heute versammelt sind, hatte Sachsen ein Gesetz erlassen, das die Bewegungsfreiheit unserer Kirche be engte niid damit die kirchliche Entwickelung hemmte. In einein Umfange, wie es von keiner anderen Staatsregierung beansprucht worden war, hatte inan das sogen, plnootum rvAium aufrecht erhallen iind die Nerkündung der Verordnungen auch nur rein kirch lichen Inhalts voii der Zustimmung der Staatsregierung abhängig gemacht. Unsere oberste kirchliche Behörde, das Apostolische Vikariat, ist nicht als eilte allein dem heil. Vater, sondern als eine zugleich dem Kultusminister untergeordnete Behörde anznsehen, die Ver mehrung der öffentlichen Gottesdienste im Lande und die Erbauung von Kirchen in den Städten zur Befriedigung der anwachsciiden religiösen Bedürfnisse ist nicht von der Entschlicsinng der kirchlichen Organe allein, sondern zugleich von der knltusmiiiistericllen Ge nehmigung abhängig gemacht. Allerdings bestimmt die Verfassung, daß die Abhaltung katholischen Gottesdienstes nur untersagt werden dürfe, wenn sie mit dem StaatSwohl unvereinbar sei, was aber unter dem Staatswohle zu verstehen ist, hat der Kultusminister zu bestimmen, der seine Entscheidung ohne die Angabe von Gründen trifft. Als Priester darf in Sachsen nur ein Deutscher angcstellt werden, der seine Gymnasialbildnng auf einem deutschen Gymnasium und seine theologische Ausbildung in dreijährigem Studium auf einer deutschen Universität erlangt hat. Selbst einzelne geistliche Amtshandlungen soll nur ein Geistlicher vornehmen, der diesen Erfordernissen genügt. Ordensleute sind von der Seelsorge aus geschlossen. Damit isi der ticfrcichende Einfluß der Ordcnsnussionen auf die sittliche Gestaltung unseres Volkslebens gänzlich ausgeschaltet. Durch die Bestimmungen über die Vorbildung der Geistlichen wird bei dem herrschenden Prieslermangel die geordnete Seelsorge in hohem Maße erschwert. Mir kommt nicht zu, an Saasens Gesetzen Kritik zu üben, aber auch dem Widerwilligen drängt sich die Frage auf, welchen Anlaß die katholische Kirche in Sachsen zu dieser Beengung ihrer Wirksamkeit in ihrer Lehre, ihren kirchlichen Ein richtungen, ihren Religionsübungen, ihrer Priesterausbildung ge geben habe, sie, die, wie der nicht nach den staatlichen Erforder nissen ausgebildete Herr Jubilar beweist, bei seiner Wirksamkeit nur darauf ausgeht, gläubige, seeleneifrige Priester zu erziehen, denen gilt, was Paulus an'den Bischof Titus schrieb: „Dringe nachdrücklich darauf, den Regenten und Obrigkeiten Unterwerfung und Gehorsam zu erweisen," die uns nach Christi Weisung lehrt, „dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, die mit Petrus uns auffordert, „uns der menschlichen Ordnung zu unterwerfen, um Gotteswillen." die die Regierung des Landesherrn als göttliche Einsetzung, den Gehorsam gegen ihn und die Treue in der Ab- gabencntrichtung als ReligionS und Gcwissenspflicht, die Wider setzlichkeit als Empörung wieder Gott hinstellt. Daß jede Be hinderung der freien Wirksamkeit der Kirche nicht ohne Rückwirkung auf die Verhältnisse unserer Psarrgemeinde mit ihren eigenartigen Schwierigkeiten in ihrer Verwaltung bleiben kann, bedarf keiner Auseinandersetzung. Und dennoch ist unsere Gemeinde gewachsen. Die Gründe ihres Wachstums und ihren heutige» Zustand mit wenigen Strichen zu zeichnen, bietet die heutige Festfcier besonderen Anlaß. Die wirtschaftliche und politische Entwickelung unseres deutschen Vater landes hat seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts zu einer Umgestaltung hergebrachter Verhältnisse geführt. Die frühere Ab geschlossenheit der einzelnen Gebiete, die zur Ansbildung der Stammeseigentümlichkeilen führte, ist einer größeren Beweglichkeit der Bevölkerung unseres Vaterlandes gewichen, die mit einem starken Wachstum unseres Volkes zeitlich verbunden ist. Da die großen Schritte, die den Boden der Geschichte erweitern, nach Professor Katzells zutreffender Bemerkung auf dem Meere ge schehen, so sind an der Bevölkerungszunähme die durch die Ver kehrswege und die Flüsse mit dein Meere verbundenen Gebiete Mittel- und Norddcutschlands stärker beteiligt, wie der Süden. Insbesondere übt Sachsen eine besonders starke Anziehungskraft auf die arbeitende Bevölkerung aus. Die stärkere Bevölkerungs- zunahme von Nord- und Mitteldeutschland mit der in der Kopf zahl des einzelnen Volksstammes liegenden Macht, sowie der Umstand, das; der Verkehr den» Boden eine über die ihm nach seinem Umfange znkommende Macht, hinausreichende Macht verleiht, hat eine Verschiebung der politischen und wirtschaftlichen Kräfte bedingt, der die Verlegung des politischen und wirtschaftlichen Schwer punktes des neuen Reichs aus dem Süden nach dein Norden folgte. Aus dieser Allgcmcinerscheinung erklärt sich die Anteilnahme auch unserer Kirche an der Anfwärtsbewegung des Nordens, die uns zugleich zeigt, von wie großer Bedeutung für das deutsche Volk die Behauptung der Stellung der katholischen Kirche in Nord- und Mitteldeutsch land ist nud welche schwere Pflichten auf den Schultern der.Katho liken in diesen Gebieten ruhen. An der Anfwärtsbewegung von Nord und Mitteldeutschland ist energisch Leipzig beteiligt, dessen Bevölkernngszifser >000 die Zahl 450000 überstiegen hatte, wobei sich sein städtischer Charakter noch auf mehrere ängreuzcnde Orte mit tausende» von Bewohnern erstreckt. Noch stärker wie das Anwachsen Gesamtlcipzigs ist in ihm verhältnismäßig das An wachsen der katholischen Gemeinde. Während zur Zeit der Er bauung unserer Dreifaltigkeitskirche die Katholiken nicht 2 Prozent der Gesamtbevölkerung Leipzigs ausmachten, erreichten sie >ooo mit weit über 10000, den Prozentsatz von -PF. Und dabei kommt mit dieser Zahl unsere Psarrgemeinde nicht voll zur Geltung. Denn einmal gibt die Statistik kein ganz zutreffendes Bild und dann ist unsere Psarrgemeinde nicht auf die ^-tadt beschränkt, sondern er streckt sich stundenweit über das Weichbild der Stadl hinaus. Die Zählung des Statistikers ist deshalb nicht zutreffend, weil sie unS die Einwohnerzahl am !. Dezember des Halbjahres gibt, wodurch die gewerblichen und industriellen Saisonarbeiter und die zahl reichen Landarbeiter ungezählt bleiben, die nur vom Frühjahr bis Herbst hier, im Winter aber in ihren Heimatsorten sind. Wie groß die Zahl der Katholiken unter diesen Wanderarbeitern ist, wissen wir selbst nicht schätzungsweise. Außerhalb Leipzigs zählt aber unsere Psarrgemeinde noäi über 5000 Katholiken. Das An wachsen der katholischen Gemeinde ist nun keineswegs die Folge von Religionsübertrittcu oder von einer stärkeren Zunahme der katholischen Familie» im Vergleiche zu den evangelischen, es findet vielmehr seine Erklärung in der innerstaatlichen Wanderung der Bevölkerung des deutschen Reichs und in der Einwanderung aus dem Auslande. Der Zuzug nach Sachsen erfolgt eben zu einem großen Teile aus Gegenden, die überwiegend oder doch siark von Katholiken bewohnt sind. An dem Anwachsen der Bevölkerung durch Zuzug sind nun, wie in allen großen Städten so auch in Leipzig und hier verhältnismäßig in verstärktem Maße in der katholischen Gemeinde die jugendlichen Personen und die älteren Leute nicht so zahlreich beteiligt, ivie die arbeitende Bevölkerung von >5 bis zu 00 Jahren. Die Folge davon ist das einmal stärkere Anwachsen Neuleipzigs gegenüber Allleipzig wegen seiner besseren Arbeitsgelegenheit. Während wir hier von' >005 bis 100» einen Zuwachs der Katbolikeu von 7785 auf 0080 oder nur 10 Pro zent halten, stieg dieser dort von 6600 auf 9545 oder um 44,48 Prozent. Dieser Zuzug arbeitskräftiger Personen zeigt uns, wie die Städte dem Lande nicht nur die Produkte ihrer Ernäh rung gegen den Austausch ihrer Waren, sondern auch die Kräfte der erwerbenden Arbeit verdanken. Die Folge des Zuzugs ist ferner ein Ueberwiegen der arbeitenden Bevölkerung in der Gesantt- bevölkeruug und iin Ueberwiegen der zngezogcuen Bevölkerung über die Eingeborenen. Wir hatten 1000'j„ Leipzig 8808 gleich 18,05 Prozent Katholiken bis zu >5 Jahren, 14680 gleich 78,58 Prozent von 15—60 Jahre», 020 gleich 8,87 Prozent über OO Iabre. Von den Katholiken bilden die Zugezogene» 85,7 Prozent, die Eui- geborenen 14,8 Prozent. Von den 10000 Katholiken Leipzigs sind in Leipzig und in Sachsen überhaupt nur 8780 geboren. Beson ders zalsireich ist in unserer Gemeinde die Altersstufe von 20—40 mit 0715 gleich 52,10 Prozent vertreten. Dabei tritt in ihr auf fallender Weise ein Ueberwiegen der männlichen Bevölkerung über die weibliche hervor, während in der Gesamlbevölkerung Leipzigs die weibliche Bevölkerung zahlreicher wie die männliche ist. Gezählt wurden etwa 2000 unverheiratete Männer mehr, wie unverheiratete Mädchen. Daß der Anteil der Kinder an der Gesamtzahl der Katholiken in Leipzig unter der für das Reich ermittelten Ver- hältuiSzahl etwas znrückblcibt, bewirkt eine geringe Erleichterung der Schullasten, weil ohne sie eine Vermehrung der Lehrkräfte, der Schulränme und der Schnluleusilien geboten wäre. Dabei waren von den 1848 Kindern, die >00l unsere Schule besuchten, 500 aus wärts geboren. So erfreulich als Gesamterscheimmg das Wachs tum unserer Gemeinde ist, so hat doch der Mangel an Seßhaftig keit, die in der großen Zahl der unverheirateten Arbeiterbevölke rung gegenüber der Familienbevölkcrung hervorlritl, für das kirch liche Leben eine Schattenseite. Es schließt in sich eine außerordent liche Erschwerung der seelsorgerischen Einwirkung aus die Pfarr- kinder. Die große Bedeutung, welche sich die Arbeit in unserem Kulturleben errungen hat. hat der jungen Bevölkerung eine früher nicht gekannte Macht verliehen, die sieh leider auch in der vermin derten 'Anhänglichkeit an die Kirche äußert. Das Gegengewicht, welches gegen diese Strömung auf dem Lande daS höhere Mannes und das Grcisenalter gewähre», versagt in unserer Gemeinde, weil beide Altersstufe» in ihr zu schwach vertreten sind. Es ist der Unterschied, den Weber schildert: Du heische i und hoffst, und ich entsage: — Tu gehst in den Tag, ich aus dem Tage: — All Deine Gedanken sind in der Zeit, — Tic verrinnen all in der Ewigkeit. Ein zweiter Grund der Erschwerung der Seelsorge tätigkeit bildet der Wegfall des persönlichen Zusammenhanges des Pfarrers mit dem zugezogenen Pfarrkinde. Welche Bande knüpft nicht zwischen dem Pfarrer und dem eingeborenen Pfarrkinde die Spende der Taufe, die Vorbereitung auf die Sakramente der Buße, des Altars und der Firmung, die Vermittelung der gött lichen Gnade in der Beichte von Kindheit an, die häufige Dar reichung der Nahrung der Seele in der heiligen Kommunion! Wie innig wird beider Verhältnis durch die Anteilnahme des Pfarrers an der Freude des Pfarrkindes in der Eingehung der Ehe und an dessen Seite durch die Stählung seiner Anverwandten zum Todes kampfe mit der letzten Oelung. Und dabei verbindet häufiger und enger wie die Freude der Schmerz, dem niemand von uns ent rinnen kann, mag man auch das Gegenteil versichern, der uns. an unsere Fersen geheftet, von dem Tage unserer Geburt bis in die Stunde unseres Todes begleitet. An Taufen haben wir nur etwa 050—700, au Erstkommunionen etwas über 200, an Beerdigungen gegen 800 und an Trauungen etwas über >00 Paare im Jahre. Diese durch die Pfarramtshaudlungeu vermittelten Beziehungen zwischen Pfarrer und Pfarrkind fehlen bei den Fremdgeborenen: zieht er zu, so kommt oft nicht er zum Pfarrer, der Pfarrer muß ihn auf suchen, wenn er ihn in Erfüllung seines HirtenamkeS mit der Kirche in Verbindung halte» null. Tie seelsorgerliche Behandlung der Gemeinde, ihre Pastoraliou, läßt sich daher in Leipzig nicht auf die Kirche und das Pfarrhaus beschränke», der Pfarrer muß dem einzelnen in sein Haus, seine Wohnung, seine Arbeitsstelle Blei iin Herzen. Erzählung von I. R. von der La ns. Aus dem Holländischen übersetzt von L. van Heemstede. (7. Fortsetzung.» »Nachdruck verboten.» „Papa, ist Dir nicht wohl?" rief sie ängstlich. „Du bist auf einmal so bläh geworden und siehst mich so sonderbar an. Ich will Dir ein Glas Wasser holen." „Nein, nein, es ist nichts, es ist gar nichts. Kmd — ich bin nur ein wenig müde von dem vielen Sprechen und Trinken — bleib' nur sitzen, ich werde mir das Wasser schon selbst einschenken ..." lind mit schwankenden Schritten trat er zn einem kleinen Schränkchen und goh mit zitternder Hand aus der Karraffe, die dort stand, ein Glas Wasser ein, das er hastig hinabstürzte. Von Schwäche übermannt aber sank er in den nebenstehenden Sessel. „Siehst Du wohl, Papa, dah Dir nicht wohl ist? Soll ich schellen?" frug Annette, die seine schlaff nieder- hängende Hand ergriffen hatte und ihm fortwährend ängst lich in die Augen blickte. „Nein, mein Kind, um Gottes willen nur kein Auf- Hebens gemacht." so hielt er sie mit nervöser Hast zurück, „es ist nichts, als eine leichte Kongestion, es ist schon wieder vorbei — Iah mich nur ein wenig zu mir kommen." Annette legte mit zärtlicher Sorge den Arm um ihres Vaters Hals und wollte sich so bald nicht beruhigen lassen. Sie war wegen ihrer Kränklichkeit in manchen Dingen zurückgeblieben, aber während der vielen Tage und Nächte, da sie allein in ihrem Zimmer stundenlang wach im Sessel oder im Bett gelegen hatte, nach dem matten Schein des NachtlichtchenS an der Decke blickend, hatte das schwache Kind über manches nachgcdacht, was in ihrer Nähe vor- ging, und manches Wort, das nicht für ihr Ohr bestimmt war, hatte sie dabei anfgefangen. So war ihr Geist, nicht durch daS laute Spiel und andere Dinge, welche sonst die Jugend beschäftigen, abgelenkt. in ganz eigener Weise ent wickelt, und so begriff oder ahnte sie manches, was Kindern in ihrem Alter sonst gewöhnlich fremd bleibt. „Ich sehe es Dir an, Papa", sagte sie, nachdem sie ihn eine Zeit lang aufmerksam beobachtet hatte, nachdenk lich, aber entschieden, „Du bist nicht wohl, oder . . ." „Oder . . . was meinst Du?" frag er, sie scharf an- sehend und von dem ernsten Ton aus dem Munde eines Kindes überrascht. „Oder Du hast Kummer!" sagte sie frei heraus, als wenn sie ihrer Sache vollkommen sicher wäre. Der Doktor fand keine Antwort, sondern schloß seine Tochter fest in die Arme und drückte ihr einen Kuß ans die blanke, von blauen Aederchen durchzogene Schläfe. Das Mädchen wand sich sanft aus den Armen seines Vaters los und küßte ihn wiederholt ans den Mund und die Augen, um durch diesen Erguß ihrer kindlichen Liebe ihm zu zeigen, wie wohl sie ihn verstand, wie sie seinen Kummer teilte, ohne zn wissen, was ihn drückte, und wie sie alles, alles hingeben möchte, um ihm Trost bieten zu können. Endlich richtete sie sich wieder ans und warf ans ihren Vater einen langen, liebevollen Blick; Tränen schimmerten in ihren Angen. ihre blassen Lippen zitterten, aber vermochten kein Mort hervorzubringen. Denn auch er saß schweigend da und blickte sie aufmerksam an, nicht mehr so unheimlich starr wie vorhin, sondern sanft, gütig, dankbar, klagend, ja fast flehend, als wenn er in ihren tränenfeuchten, aber doch sternklaren Angen Trost suche für das ihn innerlich folternde Leid. „Darf ich Dich etwas fragen, Papa?" flüsterte Annette endlich kaum hörbar, die Arme wieder um seinen Nacken legend. Er nickte schweigend, während auch in seine Augen ein feuchter Schimmer trat. Annette brachte ihr dunkelblondes, zartes Köpfchen noch näher all das graue, müde Haupt ihres Vaters und flüsterte noch leiser: „Hast Du auch Blei im Herzen. Vater?" „Kind! liebes Kind!" rief der kräftige Mann, wie vernichtet von diesem kindlichen Wort. Er drückte sie in einer neuen Aufwallung von Schmerz und Liebe an sein Herz und überha"chte sie mit Küssen, während die Tränen von Vater und Tochter sich miteinander vermischten. Sie sprachen kein Wort, aber die Küsse und Thräncn waren beredt genug. Endlich wehrte der Doktor das Mädchen leise von sich ab nud richtete sich in seinem Stuhl auf. „Laß mich jetzt gehen, Annette", sagte er mit weicher Stimme, „Du bist mein liebes, mein allerliebstes Kind!" Er schenkte sich noch ein Glas Wasser ein und trank ein wenig, dann warf er einen Blick auf die kleine Wecker uhr, die ans dem Kamin stand und munter tickte. „Es ist unvermerkt spät geworden", sagte er, „geh. jetzt gleich zn Bett, Du bist schon viel zn lange anfgebliebeii. und nun habe ich Dich auch noch gestört .... Willst Tn mir versprechen, gar nicht mehr zn denken an das. was . ." Der Doktor schwieg, es war ihm nicht möglich weiter zn reden; Annette wußte schon, was er meinte, wenn sie ihn auch mit ihren großen, braunen Augen fragend ansah. „Du mußt eS nur ganz zn vergessen suchen, willst Du?" fing der Doktor mit einer gewissen Befangenheit »nieder an. „Vergessen?" flüsterte das Mädchen, „darf ich denn nicht für Dich beten, Papa?" „Gewiß, liebes Kind, Du mußt viel für Deinen Vater beten, recht viel!" Annette nickte, und der Ausdruck ihres engelgleichen Gesichtchens wurde ungemein feierlich. „Dann werde ich nur daran denken, um für Dich zu beten." sagte sie. „Gut, mein Schatz!" und er drückte einen letzten väterlichen Kuß auf die reine Stirn. ..nun ruhe wohl und schlafe bald ein. hörst Du?" „Ich werde es versuchen; gute Nacht Papa!" Noch ein herzlicher Händedruck, und Doktor de VrieS verließ das Zimmer. Das Mädchen hörte seine Schritte im Gang und auf der Treppe, bis alles still war. Unwillkürlich blieb sie. in Gedanken versunken, mitten im Zimmer stehen. Das eigen tümliche Geständnis. daS ihr>.ln Vater in einem unbewachten Augenblick entschlüpft war. beschäftigte noch immer ihren Geist; er hatte zwar auf ihre schüchterne Frage keine direkte Antwort gegeben, seine Ergriffenheit sprach aber für das scharfsinnige oder vielmehr feinfühlige Kind deutlich genug. (Fortsetzung folgt.)
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