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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000104029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900010402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900010402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Reclame» unter demRedactionSstrich (4ge- spalten) 50^j, vor den Familiennachrichtrn (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Hxtra-Vetlagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Jinnahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreißen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzlg. St. Jahrgang. Anzeigen für die Frnhnnmmern vom 7. und 8. Januar erbitten wir bis späteftens morgen, Freitag, Abend V Uhr. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Januar. Auf die Vorstellungen, welche die deutsche Regierung in London wegen Beschlagnahme des Hamburger Dampfers „BundeSrath" und der Bark „Hans Wagner" durch die in den südafrikanischen Gewässern stationirten englischen Kriegs schiffe erhoben hat, ist eine Antwort der englischen Regierung allem Anscheine nach nicht erfolgt. Dafür fahren englische Blätter fort, zu „beweisen", daß die Beschlagnahme deS „BundeSrath" gerechtfertigt sei, weil das Schiff ein Ambulanz-CorpS für die Boeren, 7000 speciell für Boerenpferde gearbeitete Sättel oder gar fünf große Kanonen und 50 Tonnen Geschoß an Bord gehabt habe. Aber selbst wenn daS wahr wäre — was im höchsten Grade unwahrscheinlich ist — und wenn erwiesen werden könnte, daß dieses Kriegsmaterial für Transvaal und nicht für Portugal bestimmt gewesen wäre, so ließe sich wohl die Wegnahme dieses Materials, aber nicht die Beschlagnahme deS ganzen Schiffes rechtfertigen. In allen Behauptungen der englischen Blätter wiederholt sich zudem stets vaS Wort „Verdacht", und auf bloßen Verbackt hin ist nicht einmal eine Wegnahme irgend eines Theilcs der Ladung zu entschuldigen. I» unserem Auswärtigen Amte scheint man den guten Willen der englischen Regierung, die Sache nach Recht und Billigkeit zu erledigen, nicht zu bezweifeln und die Verzögerung einer Antwort auf die Schwierigkeit, sich von London aus mit dem Comman- dauten der betreffenden englischen Kriegsschiffe zu ver ständigen, zurückzuführen. Wir wollen hoffen, daß diese Anaahme zutrifft, und halten «S für angebracht, wenn man in Berlin jener Schwierigkeit Rechnung trägt und auf eine Antwort nicht eher drängt, als bis sie in er schöpfender Weise erfolgen kann. Inzwischen aber ist es bei der Schwäche unserer maritimen Machtmittel und derBertagung des Reichstags ebenso angebracht, wenn aus der Mitte des deutschen Volkes heraus sowobl der englischen wie der deutschen Regierung zum Bewußtsein gebracht wird, daß die letztere bei der entschiedenen Wahrung ihrer Rechte den weitaus größten Theil der Nation auf ihrer Seite hat. Mit Genug- thuung theilen wir daher die folgende Zuschrift des Vor standes der Deutschen Colonialgesellschaft in Berlin mit: „Gegen die Vergewaltigung deutschen PrivateigenthumS durch die Beschlagnahme des Reichspostdampfers „Bundes- rath" seitens des englischen Kriegsschiffes „Magicienne" wendet sich di« Deutsche Colonialgesellschast mit folgender energischen Ver- Wahrung: Englische Willkür. „Nach ZeitungSineldungkn, die bisher keinen Widerspruch erfahren haben, ist der Reichspostdampfer „Bundesrath" der deutschen Ostafrika-Linie, welcher die Hamburger Abtheilung des Rothen Kreuzes nach Transvaal bringen sollte, vor der Delagoabai angehalten und durch das englische Kriegsschiff „Magicienne" als Prise in den Hasen von Durban gebracht worden. Tas also ist Eng- lands Dank für die wohlwollende Haltung der deutschen Reichsregierung! Die sofort angerufene Vermittelung des Auswärtigen Amts wird — das ist unsere feste Zuversicht — schleunige Aufklärung und Genugthuung schaffen. Aber der Vorgang ist nur «in Symptom. Die Thatsache bleibt bestehen, Laß die Mißachtung Deutschlands wegen mangelnder Seemacht in Len Gemüthern des englischen Volkes anscheinend bereits derart Wurzel geschlagen hat, daß der Befehlshaber eines englischen Kriegsschiffes unbedenklich einen Bruch des Völkerrechts begeht, wenn es sich um Deutsch land handelt. Dieser Mangel an Scheu vor der Antastung unserer Flagge muß bald und nachdrücklich vertilgt werden; denn es liegt darin offenbar ein gefährlicher Zündstoff, welcher leicht zu den ernstesten Verwickelungen führen kann. Auch dem hartnäckigsten Gegner der Schaffung einer starken d e u t s ch e n K r i e g s s l o t t e muß mit der blendenden Helligkeit des Blitzes die Gefahr vor Augen treten, in der daS deutsche Reich täglich und stündlich schwebt, schmähliche Einbuße an Ehre unv Gut zu erleiden, weil es zur See nichts gilt. Möge daher der Mahnruf an das deutsche Volk, der in diesem Begebniß liegt, nicht unbeachtet verhallen! Den Ab- theilungen der Deutschen Colonialgesellschaft wird empfohlen, die weitere Entwickelung dieser Angelegenheit ebenso wie es seitens der Central verwaltung geschehen wird, mit Aufmerksamkeit zu verfolgen und, sofern nicht ungesäumt eine zufriedenstellende Erledigung des Falles ein tritt, durch Veranstaltung von Protestversamm lungen und durch Resolutionen der Entrüstung über die geschehene Verletzung der deutschen Ehre, sowie dem Verlangen nach Gewährung voller Genugthuung Ausdruck zu geben." Wie wir des ferneren aus bester Quelle erfahren, sind bereits öffentliche Kundgebungen in dieser Sache seitens der Abteilungen Berlin und Berlin-Charlottenburg der Deutschen Colonial gesellschast in Vorbereitung." Hinzugefügt sei nur noch, daß die diplomatische Action der deutschen Regierung wesentlich dadurch unterstützt wird, daß nach einem Telegramm der „Franks. Ztg." aus New Aork der amerikanische Botschafter in London, Cboate, an gewiesen worden ist, wegen der Beschlagnahme der ameri kanischen Mehlsendungen durch ein englische- Kriegsschiff in der Nähe der Delagoabai zu protestircn. Die Errichtung einer katholisch-theologischen Facultät an der Universität Straßburg, welche als der „Hauptzweck" der Unterhandlungen des Professors v. Hertling in Rom bezeichnet wird, soll nach dem „Bayer. Cour.", nachdem Herr v. Hertling jüngst aus Rom nach München zurück- gekehrt ist, „nicht unwahrscheinlich" sein. Man habe die Meinung sämmtlicher deutschen Bischöfe über dieses Vor haben eingeholt, von denen die Mehrzahl zugestimmt habe. Auch der frühere Nuntius in München, Lorenzelli, habe die Errichtung befürwortet. In dem elsässischen katholischen Blatte „Der Elsässer" haben sich zwar Stimmen aus dem Klerus gegen den Plan erhoben, eS sei aber unrichtig, anzunehmen, daß die gesammte Geist lichkeit gegen die Errichtung der neuen theologischen Facultät wäre. — Die „Germania", welche diese Mittheilung des bayerischen Blattes wiedergiebt, berichtet zugleich, daß sie in Folge einer Aeußerung deS Professors Kraus in Freiburg, der Untergang der katholisch-theologischen Facultäten an den deutschen Hochschulen sei eine an maßgebender Stelle be schlossene Sacke, in Nom an der „allein maßgebenden Stelle" Erkundigungen eingezogen und die Antwort erkalten habe, daß „eben diese maßgebende Stelle daS Bestehen, sowie den weiteren Ausbau dieser Facultäten nicht nur gut heißt, sondern sogar fördert und unterstützt, unter der selbstverständlichen Bedingung, daß die Staatsorgane dem hochwürdiasten Episkopat deu unumgänglich nöthigen Einfluß ans diese Facultäten gewähren." Hier wird der entscheidende Punct berührt. Daß in deu leitenden kirchlichen Kreisen eine starke Abneigung gegen die katholisch-theologischen Facultäten der staatlichen Hochschulen besteht, ist eine Thatsache, welche auch durch die Angaben deS bayerischen klerikalen Blattes wieder bestätigt wird; eine Anzahl deutscher Bischöfe hat sich gegen die Errichtung der Facultät in Straßburg ausgesprochen und in der elsässischen klerikalen Presse ist öffentlicher Widerspruch dagegen erhoben worden. Der Wunsch, den Nachwuchs der katholischen Geistlichkeit ausschließlich in kirchlichen Seminaren zu erziehen, ihn vollständig vor der Berührung mit der übrigen studirenden Jugend zu bewahren, ist in den leitenden kirch lichen Kreisen sehr verbreitet. Wenn dagegen die auf dem Standpuncte des Herrn von Hertling stehenden katholischen Gelehrten für die Fucultäten eintrele», so können sie dabei vielfacher Zustimung auch außerhalb de- Katholi- ciSmuS sicher sein. Nebenbei sind katholisch-theologische Facultäten schon deshalb nicht zu entbehren, weil die Gesetze mehrerer deutscher Staaten über die Vorbildung der Geistlichen ein Studium auf deutschen Hochschulen vorschreiben. Aber die zahlreichen Conflicte, in welche während deS 19. Jahrhunderts katholische Professoren wegen ihrer Lehre mit den kirchlichen Oberen gerathen sind, so früher in Bonn und BreSlau, so neuerdings in Würzburg, haben auch die Schwierigkeit deS Be stehens katholischer Facultäten dargethan. Der Staat kommt in solchen Fällen nur allzu leicht in die Lage, entweder den Professoren den Schutz zu versagen, auf welchen sie al- Lehrer staatlicher Hochschulen Anspruch haben, oder seibst in Streitigkeiten mit ver römischen Kirche über wissenschaftliche oder gar dogmatische Fragen zu gerathen. Es bleibt abzu warten, wie man diesen Schwierigkeiten bei der Errichtung einer katholisch-theologischen Facultät in Straßburg begegnen will. Vermuthlich ist über die Ernennung und Entlassung der Professoren, die beiden Fragen, auf welche Alles ankommt, noch keine endgiltige Verständigung erfolgt; denn da« Münchner Blatt bezeichnet die Errichtung der Facultät nur al- „nicht unwahrscheinlich". Der Lrieg in Südafrika. ES ist zum Lachen! —H. Am 30. October gingen, wie erinnerlich, dem General White bei seinem ersten großen Ausfall aus Ladysmith die Esel durch, waS eine schwere Niederlage zur Folge hatte, jetzt ist dem guten General Frerich, der bekanntlich noch vor Thorschluß auS Ladysmith entkam, ein ganzer Eisen bahnzug mit Proviant davon und mitten in die Stellung der Boeren bineingelaufen. viLäcils ost satiram non sondere. Wir berichteten nach Londoner Blättern schon kurz über diese, angeblich von Verrätherhand eingeschobene unvorhergesehene Nummer deS englischen Schlachtprogramms, aber wir geben gern auch noch dre jetzt vorliegende ausführ lichere Meldung. Sie lautet: * Landon, 3. Januar. Ueber den Zwischenfall, der de« nach ColeSberg-Junction gerathrnen Eisenbahuzug betraf, wird dem „Reuter'scheil Bureau" aus Naauwpoort von heute gemeldet: Auf der Bahnlinie ereignete sich ei« unglücklicher Zufall. 26 mit Lebensmitteln beladene Güter wagen, die im Bahnhofe Rendsburg standen, geriethen bergab in der Richtung aus ColeSberg-Junction in» Rollen. Bei der zerstörten Bahnüberführung zwischen Rendsburg und Colrsberg zerschellten die Wagen, worauf der Feind die Ladung zu plündern begann. Daraufhin wurde au» Rends burg ein Zug mit einer Lompagnie de- Suffolk- Regiment- nnd einer Anzahl Lap - Eingeborener abge- laffen um die Rettung der BorrLthe zu versuchen. Der Feind eröffnet« auf die SuffolkS von Bander- waltS-Foutein auS da» Feuer mit einem Geschütz und zwang sie, in einem Wasserlauf Schutz zu suchen. Darnach rich teten di« Boereu ihr Feuer auf die beiden Züge und tödteten mehrere Eingeborene. Im Sauze« feuerten sie 20 Geschosse ab. Schließlich kehrte der Entsatzzng nach Rendsburg zurück. Die Verluste auf englischer Seit« sind nicht bekannt. Müssen die Boeren sich über die- nachträgliche Weihnachts geschenk de» Generals French gefreut haben! Es bestätigt sich nicht, WaS die gestrigen Londoner Abendblätter als Trost im Unglück sich kabeln ließen, daß englisches Artilleriefeuer den Proviantzug in Trümmer geschossen, um ihn nicht dem Feinde in die Hande fallen zu lassen, die Wagen gingen von selbst auS denFugen,und dieBoeren brauchten dieFrüchte,die ein freundliche- Geschick ihnen vom Baume schüttelte, nur aufzulesen. Bequemer konnte eS ihnen wahrhaftig nicht gemacht werden. Auch der andere Trost, Verräther hätten den Streich gespielt, scheint den be° lrübten Lohgerbern genommen zu werden, denn nach der Darstellung deS Reuter'schen Bureau- ist der Zug auf ab schüssiger Bahn in- Laufen gekommen, weil er ungenügend bedient worden ist. Die Schuld liegt also an der mangel- § Die ganze Hand. Roman von Hans Hopsen. Nachdruck verbo'e». Er führte sie sacht an angeregt plaudernden Paaren und Gruppen vorüber und erreichte in einem kleinen Nebenzimmer, worin sich <^rade Niemand aufhielt, unangesochten mit seinem Schützling Vic Thür aus den Gang. Dort aber waren sic kaum ans Garderobenzimmer gelangt, als die vorsorgliche Wirthin, die ihre Lugen überall hatte und von der Ausdauer ihrer Gäste die Werth schätzung ihrer Salons abhängig glaubte, sie auch schon einholte und stellte. „Aber, thcuerster Landrath, Sie wollen mir doch nicht meine Perle vor der Zeit entführen? Bleiben Sie doch Beide noch ein HaVbstündchen. Lieban wird singen ... Er hat dem Be gleiter schon die Noten aufs Pult gelegt ... in drei Stimmlagen wird er singen: Discant, Tenor und Baryton, in einem Athem. Ich söge Ihnen, es ist phänomenal. Den muffen Sie hören. Und gleich nachher wird Josef Kainz Hopfen'sch« Gedichte vor trugen. Solch' eine meisterhafte Recitation dürfen Sie sich nicht entgehen lassen, Nanda, und Sie auch nicht, theuerster Land rath. Tuscheln und zanken, wie vorhin, könnt Ihr da drinnen auch noch. Also fort von der Wvhnungsthiir und zurück in den Musiffaal!" Alma Seckenstedt unterstützte ihre dringlichen Worte mit noch dringlicheren Geberden. Es war ihr heiligster Ernst. Gesell schaften geben war ihr Besürfniß und Beruf. Sie betrieb ihn mit leidenschaftlicher Anstrengung und Ausdauer, ja mit nicht ge ringen Opfern an Zeit und Geld. Sie war das Kind einer reichen ResugiSfamilie und hatte, noch recht jung, einen um Vieles älteren Mann geheirathet, der eine glänzende Laufbahn im Staatsdienste hinter sich hatte, und sich dann im Besitze ihres Ver mögens darin gefiel, rin gastfreies Haus zu machen und all wöchentlich ein köstliches Diner zu geben. Sie hatten keine andere Leidenschaft, hatten keine Kinder, und so ward es ihm nicht schwer, sein« Frau zur mustergiltigen Wirthin angesehener Gäste auSzübilben. Der Seckenstedtssche Salon suchte seines Gleichen. Sie setzte ihn auch nach dem Tode ihres Gatten fort. Sie war noch nicht vierzig Jahre alt,, sehr schlank und hoch gewachsen, von vornehmer Haltung und tadellosen Manieren, mit jener kostbaren Einfachheit gekleidet, die den Kenner entzückt, und machte auf zehn Schritt Entfernung noch immer den Eindruck einer schönen Frau. Im Ehestiften zeigte sie besonderes Geschick. Daran mußten — auch zur größeren Ehre ihres Salons — in jedem Winter zwei oder drei Paare glauben. Doch hatte sie leider für sich selbst noch Keinen gefunden, der ihr zur Genüge vornehm und auch zu verlässig erschienen wäre, zu ihrem zweiten Gatten erhoben zu werden. Bis ihr ein solch' außerordentliches Wesen vorkam, setzte sie die ihr zur anderen Ndtur gewordene Gastfreundschaft rüstig fort. Biele Leute bei sich bewirthen, viele und namhafte, und sich in der Ue'berzeugung wiegen, daß davon gesprochen würde, das war eben ihre Passion, die ihr Thun und Denken bestimmte, und für deren Erfolg sie sich lieber an Werkeltagen Dies oder Jenes versagt hätte, was sie nicht so nothwendig dünkt«, wie die Luft, als Mittdlpunct eines der interessantesten Salons der Reichshauptstadt und als unübertreffliche Wirthin berühmter Gäste zu scheinen und zu glänzen. Es war ein liebenswürdiges, menschenfreundliches Sorgen und Thun dieser Wittwe und auch etwas Pietät dabei, sogar mehr Pietät als Eitelkeit, denn sie meinte, damit die Tradition ihres Gatten fortzuführen, der als vortragender Rath im Auswärtigen Amte eine Menge Leute bei sich zu sehen bemüßigt und gewohnt gewesen war. Dafür ver langte sie aber auch eine gewisse Anerkennung und vor Allem häufiges Erscheinen und Ausdauer in den von ihr so freigebig und so gern bereiteten Vergnügungen. Zwei oder drei junge Damen, Töchter von angesehenen Familien, am liebsten Fräulein mit wohlklingenden, adeligen Namen mußten ihr dabei als Helfer und Adjutanten zur Seite stöhen, wofür diese von Frau von Secken- stedt auch mit besonderer Sorgfalt gehätschelt und zu allen Ver gnügungen herangezogen wurden. In diesem Winter bewährten sich als ihre sicheren Stützen das Fräulein von Wesselbrunn und Miß Lydia Mac Minn, eine junge Engländerin aus guter Familie, die mit einer alten Tante seit etwa Jahresfrist in Berlin lebte und in der b-sten Gesellschaft verkehrte. Sie war größer als Nanda, wenn auch nicht so groß wie die Alle überragende Hausfrau; sie hatte ein schönes Gesicht und regelmäßigere Züge; dafür war ihr Körper geradliniger und ihre Bewegung steifer, obschon ihr im Tennis und Croquetfpielcn nicht leicht eine gleich kam. Sie schwatzte die tollsten wie die simpelsten Geschichten mit der gleichen, unbewegten harmlosen Engel-Miene heraus, als käm' ihr das Eine so selbstverständlich vor wie das Andere. Sie sang mit kleiner, süßer Stimme, spielte mit Bravour den Flügel, im- prodksirte Charaden und lobende Bilder, kannte, da sie beim engli schen Botschafter wohl gelitten war, die ganze Aristokratie und war mit allen diesen Eigenschaften eine nicht genug zu hätschelnd« Anziehungskraft für den Salon bei Seckenstedt». Sie wurde dem entsprechend von der Geheimräthin mit der größten Zuvor kommenheit behandelt. Dennoch stand dem Herzen Alima's das Fräulein von Wesselbrunn näher, und daß dieses sie heute, am letzten jour 6xo,^so früh vor Festesschluß verlassen wollte, ging ihr schon gar nicht in den Sinn. Es war schwer, ihrem artigen Drängen zu widerstehen, dies Mal aber parirte das Fräulein von Wcsselbrunn die geschickten Handgriffe, die sie in den Salon zurückschieben wollten. Ich denke nicht daran, Herrn Landrath Wendcwalt Ihrer schönen Gesellschaft zu entziehen, verehrte Frau Geheimrath. Er ist nur so liebenswürdig, mich in den ersten besten Wagen zu heben und kehrt gleich wie'der zu Ihnen gurück. Mich aber müssen Sie enifchüldigen. Sie wissen, Papa . . . ." „Ach was, Papa", erwiderte die eifrige Wirthin. „Papa schläft, nach alter Gewohnheit, bereits zwei Stunden den Schlaf der Gerechten und freut sich im Schlafe, wenn sein Herzblatt sich ein wenig awüsirt." „Heute nicht, Frau Geheimrath. Er fühlte sich nicht ganz wohl am Tage und wünschte, daß ich nicht zu lange ausbliebe. Auch ist es heute so gefährlich in Ihrem Salon . . ." „Wie so? Me so?" Nanda stockte ein wenig. Es schien ihr, sie hätte zu viel gesagt und unzart für ein Fräulein. So wand sie sich heraus, so gut es ging. „Es ist heute so zahlreicher Besuch bei Ihnen. Die Luft ist so schwül, und die Heirathsanträge fliegen Einem nur so am Kopfe vovbei. Einig« Damen neben mir schienen mir schon ge troffen worden zu sein. Für mich ist's nicht so gefährlich, dafür habe ich, vielleicht aus Neid, empfindliche Migräne bekommen." Frau Alma reckte die stattlich« Figur hoch aus und rief stolz: „Ei, mein« gute Nanda, so manches brave Mädchen hat in diesen beschevvenen Räumen ihr Lebensglück gefunden. Im vorigen Winter waren es drei Paare, erinnern Sie sich? die ich glücklich unter die Haube brachte. In dieser Saison sind es schon zwei. Fehlt noch eins. Beeilen Sie sich doch! Das wäre ja wunderbar, wenn. . . ." Sie hielt inne, bald das Mädchen, bald den Mann fragend betrachtend, ob etwa zwischen diesen Beiden sich ein Annäherung vollzogen hätte und etwas Eheliches stiften ließe. Der Landrath alber sah ihr zu ernst, fast traurig aus, und Nanda beteuerte mit einer nachdrücklichen Handtbewegung, daß sie zur alten Jungfer prädestinirt wäre. Und nun wechselten Beide noch etliche Entschuldigungen und Versicherungen, bis Frau Alma mit einem: „Na, dann gute Nacht, und meine Empfehlung an Papa!" Urlaub gab und einen Kuß auf die Stirn der Tiefknixenden dazu. ' —-- — . Diese warf im Vorübergehin noch einen Blick durch die weit offene Thür in den Salon. Er war voll Licht und Lust und Be wegung. Aus einem Kranze von doppeltem Tuche reckte sich der schöne Kopf Lydia's empor, und ihre hocherhobene Hand winkte der Scheidenden fröhlichen Abschied zu. Wendcwalt und das Fräulein schritten langsam die weich belegten Stufen der Treppe hinab, wo auf allen Absätzen unter hageren GumMibäumen eichene Stühle zum Ausouhen standen. Es war ihm, als sollt' er noch etwas zur Warnung sagen. Aber sie schwieg und sah starr auf den dunkelrothen Teppich hinab, der sich Wit der Treppe ums geschnitzte Geländer wand und auf dem hin und wieder die Spitze ihres lackirten Tanzschuhes sichtbar ward. Wendcwalt schwieg auch. Plötzlich war's dem Landrath, als fühlt« er wie durch einen elektrischen Contact, der durch ihren Arm in den seinigen und durch diesen in sein Herz ging, daß hinter ihrem scheinbar ruhigen Acußeren sich eine wilde Ungeduld verbarg. Er stand still und säh sie an. Aber der madonnenhafte Aufschlag dieser lichten Augen erschien so fromm und arglos, daß er jeden Verdbcht weit fortschickte. Er blickte die Tauentzienstraße hinauf und hinab; das lange, breite Boulevard lag in vornehmer Stille, nirgends ein Fuß gänger, der Verdacht erregt«, nur eine Zeile geduldiger Droschken, di« sich vor den erleuc^eten Fenstern der Frau Geheimrath Seckenstedt in Erwartung sicherer Fahrgäste wie jeden Donners tag, so auch heute, hier anrinanderreihten. Es ward ihm h«iß im Kopfe, es ward ihm peinlich, sie so allein in die Nacht fortfahren zu lassen. Er überwand sein Zögern, ihr Name preßte sich gewaltsam über seine fest geschlossenen Lippen, und es klang wie ein hakberstickter Hilferuf Mischen dem Rasseln des herzu fahrenden Wagens, das kurze, von dem stolzen, starken Manne so gegen alle Gepflogenheit wie stöhnend ausgesprochen« „Nanda!" Sie zuckte zusammen, und ihre Hand suchte sich aus der Umklammerung der seinen zu winden. Aber die hielt diesmal fest. Eh' er den tollen Wunsch, der sich ihm auf die Zunge drängte, auslsprechen konnte, fiel das Fräulein ihm ins Wort und sagte bittend: „Dir dort oben lauern auf Ihre Hurückbunft. Was sollen diese Klatschbasen denken, wenn Sie so lange ausbleiben? Sind Sie mir wirklich gut, so müssen Sie mich doch vor jeder üblen Nachrede bewahren wollen. Also lassen Sie mich, bitte!" Er ließ sie trotzdem nicht. Es war ihm, als redeten ihre Augen ganz etwas Anderes als die Lippen. Er wollte ihr einen unerhörten Vorschlag machen . . . ab«r mit der traumhaften Sicherheit, die da» schüchtern« junge Mädchrn jetzt dem erfahrenen
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