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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.03.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-03-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040303029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904030302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904030302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-03
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- Monat1904-03
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Bezugs-Preis 1» L« Hauptexpedttton odrr deren Ausaab«- jtzllm adg«h»lt: viiteliührlich 8.—. btt zweimalig« täglich« Zustellung tu« -au« 3.7k. Durch di« Pos: bezogen für Deutsch, land u. Oesterreich vierteljährlich ^l 4.50, für di« ädrige, Länder laut Zettung-prei-ltste. Netznktt»» »»» »ro«dM,, . JohmmiSgass» S. Fernsprecher ISS «. WL AUtalerpedMnneu: Alfred Hahn, Buchhandlg., UnlverfitätSftr.« Aernspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen- M»ß« 14 (Fernsprecher Nr. 2035! ». König«. Platz 7 (Fernsprecher Nr. 7K0V). Haupt-Filiale Tre«den: Mariensttaße 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: LarlDuucker, -rrzgl.Bayr.Hofbuchbandlg- Ltitzowstraße 10(Fernjprrch«rAmtVI «r.460«.) Abend-Ausgabe. WpMcr.TllgMM Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und -es Volizeiarnles -er Ltadt Leipzig. Nr. M. Donnerstag den 3. März 1904. Anzetgm-PrrtS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Tabellarisch« und Ziffern satz entsprech««- höh«. — Gebühre» für Nachwellnng« und Offertenauuahm« 25 Grtra-Beüage» l-efat-t), «,r «it der Morgen-Ansaade, oha« Postbuförtz««», 60.—, »tt Paftbeförd««UlO ^l 70.—. Annah« eschlnß ftr Auzeig«: Abeud-An-gab«: voruüttaa« 10 wtz. Morgeu-Au-gabe: nachmittag« 4 VH«. Luzeige, si^ stet« au dir Lrp«ditiau pn ckchä«. Di« Expedition ist Wochentag« umlutrrdaach« geöffnet vo, früh 8 di« abeud« 7 Uhr. Druck und Berta« m>, G. Patz i» LeÜPg (Inh. vr. «.?R. L W. Sttukhardy. 98. Jahrgang. Vai iviGligrtt vo» lag«. * Offiziös wird verküridet: „Beim Beginn der jetzigen Tagung des Reichstage- hegte man mehrfach die Erwartung, daß es möglich sein würde, in ihrem Verlaufe auch liiber Handelsverträge Be schluß fassen zu können. Die Hoffnung braucht ja noch nicht ganz aufgegeben zu werden, sie ist aber gegen wärtig sicherlich auf ein recht kleines Maß redu ziert. Jedenfalls ist es auch heute noch nicht möglich, auch nur annähernd genau den Zeitpunkt zu bestimmen, zu welchem die Vorschriften der bisherigen Handels tarifverträge ihr Ende erreichen werden." * Die für heute anberaumte Kriegsgerichts verhandlung in der Pirnaer Duell-An- gelegenheit wurde auf unbestimmte Zett vertagt. * In verschiedenen ruffischen Städten ist die Bil dung von Freischaren im Gange. * Amerikanische Berichterstatter wollen lvissen, die Japaner hätten auf der Halbinsel Liao-tung Truppen gelandet, um Port Arthur vom Lande her einzuschließen. * Die Japaner haben sich in Phtvngjang «Nordkorea) verschanzt,' nördlich der Stadt fanden neuer dings Patrouillenkämpfe statt. vir Züchtigung ärr geringer. In der Dienstag-Debatte des Reichs- tages richtete der Abg. v. Gerlach die Frage an den Staatssekretär des Reichsjustizamtes, ob denn nun eigent- lich den Dienstboten und ländlichen Arbeitern gegenüber ein Züchtigungsrecht bestehe oder nicht. Im Ein- sührungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch wurde zu Art. 95 der Zusatz beschlossen: „Ein Züchtigungscecht sieht dem Dienstberechtigten gegenüber dem Gesinde nicht zu." Nun hat aber der preußische Minister des Innern nn Jahre 1V98 eine Verfügung erlassen, nach welcher 8 77 der preußischen Gesindeordnung fortbcsteht. Nach diesem Paragraphen darf das Gesinde keine gerichtliche Genugtuung fordern, wenn es die Herrschaft durch un gebührliches Betragen gereizt hat und daher mit „ge ringen Tätlichkeiten" bedacht worden ist. Dieser Auf- fassung haben sich auch die Gerichte angefchlossen, und wiederholt sind Dienstboten, die sich durch Miß handlungen der Herrschaft berechtigt glaubten, ihren Dienst zu verlassen, obendrein noch bestraft worden. Auf diese Vorhaltungen erwiderte Staatssekretär Or. Nieder ding mit einer äußerst feinen juristischen Unterscheidung. Prügeln, so sagte er, ist verboten, eine Züchtigung ist erlaubt. Wir bezweifeln, daß ein Dienst mädchen, das Ohrfeigen bekommen hat, getröstet sein wird, wenn sie erfährt, daß sie nicht geprügelt, sondern nur gezüchtigt worden sei. Und wir müssen doch be merken, daß eS eine etwas äußerliche Auffassung ist, lediglich das körperliche Schmerzgefühl in Betracht zu ziehen. Verletzen Schläge denn nicht auch Dienstboten an ihrer Ehre? Ganze Aktenstöße und Folianten von Zeitungspapier erörtern die Frage, ob ein ungezogener Junge einmal übergelegt werden dürfe oder nicht. Hier aber, wo es sich um Erwachsene und bisweilen um Er- wachsens weiblichen Geschlechts handelt, bleibt alles beim Alten. Aber die Antwort des I>r. Nieberding klärte nicht einmal die Situation. Denn kaum hatte er erklärt, eine Züchtigung sei erlaubt, da fuhr er fort: „Das Bürgerliche Recht verbietet für ganz Deutschland eine Züchtigung. Diese Bestimmung gilt auch neben und über den bestehen- den Gesindeordnungen." Ist dem so, dann möge auch die Auffassung der preußischen Verwaltungsbehörden und Gerichte in diesem Sinne geklärt werden. Man gebe sich doch keiner Täuschung darüber hin: Die Soldatenmiß handlungen werden nicht verschwinden, wenn nicht mit den mittelalterlichen Rudimenten auf allen Gebieten ganz energisch aufgeräumt wird. Der Offizier, der auf dem väterlichen Gute gesehen hat, wie Knechte und Mägde nicht „erzogen" werden sollten, findet es nicht schlimm, wenn die Leute ab und zu einen „Jagdhieb" aufgebrannt bekommen. DaS merken die Unteroffiziere sehr bald und das schlechte Beispiel greift reißend um sich. Dieses aller bescheidenste Recht deS Individuums, das Recht der „Rückcnfreiheit", sollte der moderne Staat unter allen Uniständen achten. Der russisch-japanische Krieg. Pat»»«M«n-Ampfe t« «»»--Aar«». Aus Mulden, 2. März, meldet die „Rufi. Telegr. Agentur": Auf einem ErkundiaunßSritt begriffene Kosaken wurden am 28. Februar bei Pyjongjaug von den Stadt mauern aus von Japanern beschossen. Nach Er- tunviaung der feindlichen Stellung zog sich die Abteilung auf da« Gros zurück. Ein amtliche« Telegramm de« Generalmajor-Pflug vom 2. Mär; meldet, wie nnS aus Petersburg berichtet wird: Weiteren Nachrichten zufolge näherten sich unsere Patrouillen am 29. Februar vormittags, nachdem sie die Nacht ungefähr 12 Werst von Phjöngjang entfernt verbracht hatten, der Stadt und gingen gegen eine aus sieben Offizieren bestehende japanische Patrouille vor, die gezwungen wurde, sich nach der Stadt zurück zuziehen. Tue Anwesenheit unserer Patrouillen in der Nähe von Phjöngjang verursachte Beunruhigung. Feindliche Schützen besetzten alsbald die Mauern und Türme und er öffneten, in der Erwartung, angegriffen zu werden, ein Feuer. Unsere Patrouillen, die sich der Stadt auf 700 Schritt näherten, melden, daß die Stadt von alten und neuen, vom einde noch nicht besetzten Befestigungsanlagen umgeben sei. n der Stadt befänden sich wahrscheinlich nicht mehr als 1000 Japaner. * LauSan, 2. März. D«m „Reuterscheu Bureau" wird aus Tokio am 2. März gemeldet, die Russen hätten die Tele- grapheuämter inAudschuundPengpieng besetzt,denDistrikt-- Gouverneur gefangen genommen und die amtlichen Papiere beschlagnahmt. Die Russen seien in der Nähe von Andschu nur 40 Mann stark an einen unmittelbar bevorstehenden Bormarsch nach Süden glaube man deshalb nicht. In der Nähe von Antung sei dir Stärke der Russen ungefähr 2000 Mann; ihre Hauptmacht sei bei Lianjang konzentriert. Irgend ein Zusammenstoß von Bedeutung werde südlich vom Jalu nicht erwartet. Man glaube, die Russen wollen den Jalu zur Verteidigungslinie gegen da- Bor rücken der Japaner machen. Fort Srtheer. Nach einer amtlichen Depesche de-StatthalterS Alexejew an den Zaren aus Port Arthur von heute meldet Admiral Stark, daß der Feind weder am 28. und 29. Februar, noch am 1. Marz in Sicht von Port Arthur erschien und auch nicht bei den von Kreuzern und Torpedobooten in einem Um kreis von 60 Meilen von Port Arthur vorgenommenen Er kundungen gesehen wurde. * New Sark, 2. März. iNeuter.) Nachrichten ans Washington zufolge lantze« japanische StettlrLfte auf der Halbinsel Lao-tung, u« die Einschließung Port Arthurs »am Laube au« tu» Werk zu setzen. Diese schwerwiegende Nachricht bedarf noch der Bestätigung. * Part-, 2. März. Rach ein« Meldung aus Tschifu wurden in Port Arthur 20 Chinesen verhaftet, die der japa nischen Flotte nächtliche Signale gaben. (Berl. Lokalanz.) * Petersburg, 2. März. Der „Rufi. Telegr. Agentur" wird aus Port Arthur gemeldet: Nachrichten ausTschisu undWet-bai- wai zufolge sind bei der ersteren Stadt sieben, bei der anderen ungefähr fünfzig Leichen von Japanern an Land gespült. ES ist anzunehmen, daß die Toten zu den Besatzungen der Schiffe gehören, die an (em Kampfe in d« Nacht am 25. Februar teil genommen haben. Einige d«r Schiffe hatten wahrscheinlich Be schädigungen erlitten wegen des Sturme«, der am 27. Februar herrschte, einen Nothafen ab« nicht anlaufen können und find dann gesunken. — In den letzten Tagen ist alles ruhig gewesen. Au« Tientsin meldet der „Standard", die Ruffen hätten die Ortschaften südlich von Mukden stark befestigt. In Haitscheng seien Tausende von Kulis Tag und Nacht mit der Anlage von Verschanzungen und Wällen beschäftigt. * Tokio, 2. März. Heute fand eine außerordentliche Sitzung des Kabinett« statt, in der die Maßnahmen, betreffend eine Krieg«stener, die dem Parlament vorgelegt werden soll, besprochen wurden. Es handelt sich um eine Erhöhung der Steuer von 70 Millionen Den. Außerdem wird neben der Erhöhung der Grundsteuer eine Vermehrung der Zölle auf Spirituosen und Tabak, sowie die Einführung mehrerer neuer Abgaben geplant. Der Kaiser hat da« Parlament auf de» 13. Marz einberufen. Freisehare«. * Petersburg, 2. Marz, iTelegramm der Russischen Tele- graphen-Agentur.) Wie aus Moskau gemeldet wird, haben sich dort 700 Freiwillige, darunter viele Reserveoffiziere, eingeschrieben. — In Nischnij-Nowgorod hat der in aktive General Grijeditsch dem Stadthaupte vorgeschlagen, zum Zwecke des FreischarenkriegeS eine Freischar von 1000 Einwohnern der Stadt zu bilden. Wladiwostok. * Wladiwostok, 2. März. Auf Veranlassung zweier ver abschiedeter Offiziere und zweier Direktoren der Chinesischen Bank ist hier ein berittenes Freiwilligenkorps in der Bildung begriffen, das direkt dem Kommandanten der Festung unterstellt wird. Die Freiwilligen machen sich selbst beritten und sorgen für ihre Ausrüstung und Verpflegung. Viele den gebildeten Ständen angehörige Personen, wie Be amte, Kaufleute, Advokaten, treten u, bas Korps «i» — Biele Einwohner verlassen die Stadt. — Das tu Reval beheimatete Schiff „Betti" ist hier eingetroffcn. DaS Schiff hatte am S. Februar Nagasaki verlassen, war von den Japanern -efahst und von zwei Kriegsschiffen zurückgeführt worden. In stür mischer Nacht gelang es dem Schiff zu fliehen. * Lantz»», 3. März. (Tel.) De» „Standard" laiktz a«- Tokio von gestern gemeldet, aus glaubwürdig« O«»e «miaute, daß eine Strecke von 2 Kilometern der mandschurtjche» Gtsan- bahn in der Nähe von Rtuguta zerstört und die ttttgrnphtsche Verbindung zwischen Niuguta und Wladiwostok zerschnitten sei. Ueber Wladiwostok, die viel genannte SriegShase»stabt am Stillen Ozean, schreibt Eugen Zabel in seinem neuere« Reisewerk „Aus der Sibirischen Bahn »ach China" tVv- lin, Allg. Verein für deutsche Literatur): Man könmte die Frage aufwersen, weshalb die Ruffen in der Mandschnvei unter so gewaltigen Opfern zwei Städte wie Datnij umd Port Arthur gründen, während sie in Wtadttaastot «n Stillen Ozean bereits einen Kriegs- und Handelshafen besitzen und bis vor kurzem alles getan haben, um ihn zu lebenskräftiger Entwickelung zu bringen. Die „Be herrscherin des Ostens", wie diese Stndt von den Russen mit so großem Stolz genannt wird, erstreckt sich Wer sieben Kilometer lang an den Abhängen von Bergen hin. die von der Nord- und Westseite eine Bucht des Japa nischen Meeres, das „Goldene Horn", malerisch umgeben. Man hat nicht umsonst diese Bezeichnung für den Meer busen gewählt, an dem die Stadt vor 43 Jahre» begründet wurde. Rußland suchte auS seirrew ungeheure» Länber- gebiete einen Weg zum Weltverkehr auf Lew Wasser und schuf sich, 0000 Kilometer von Petersburg, an den Ufern des Stillen OzeanS einen Ersatz für -en De« zum Mittel- meer, der durch Konstantinopel versperrt ist. Der Hastm von Wladiwostok ist über 6 Kilometer lang und über einen Kilometer breit Er ist so tief und ruhig. Laß auch die größten Schiffe dort einfahren und vor Anker gHen können. Erwartete man hier einerseits eine lebhafte Ei», und Ausfuhr von Waren aller Nationen, so wurde» andererseits die Höhen -er Bncht mit Fort- und Batterie» befestigt, um bei kriegerischen Verwickelungen Liefen Bo- sitzstand verteidigen zu können. Wie großen Hoffnungen man sich noch vor wenigen Jahren hingab, beweist da- in Form einer Pyramide amsgeführte Denkmal, da- bett, Admiral Newelskij, dem Begründer der russischen Macht im östlichen Asien, 1807 errichtet wurde. Auf dem Monu ment liest man die Worte, die einst Kaiser Nrkolau» tu, Hinblick auf die Entwickelung der Dinge in Asien ge brauchte: „Wo einmal die russische Flagge aufgezogen ist, da soll sie nicht wieder sinken." In Wladiwostok sollte auch wissenschaftliche- Leben erblühen. Im Jahre 1898 wurde da- Orientalische Seminar für das Erlernen der Sprachen, die in jenen Gegenden verbreitet sind, errichtet, während das Mufettm als Sammelstütte für alle- dient, was im Gebiete de- Amur erforscht nnd gefunden worden ist. Künfunddreißig Jahre hindurch blieb die Stadt, die gegenwärtig 20000 Einwohner, darunter viele Deutsche, zählt, Freihafen, und der Gedanke, der ihrer Begründung zu Grunde lag, schien sich als ein in jeder Beziehung glücklicher zu er weisen. Seitdem ist aber Wladiwostok in seiner das Meer beherrschenden Stellung immer mehr bedrrcht worden und in seiner Bedeutung zurückgegangen. Man erkannte, daß die klimatischen Verhältnisse, die dort bestehen, den Inter essen de- Frieden- wie de« Kriege- keinen geringen Wider- stand entgegensetzen. Die Stadt liegt, wie man sich auf der Landkarte leicht überzeugen kann, aus demselben Breitengrade wie Venedig. Trotzdem ist das Wetter dort Feuilleton. y Die Freundin aus Russisch-Polen. Von Elsbeth Meyer-Foerster. Nachdruck verböte» Einmal, grade im grüßten Wirrwarr der „dichterischen" Aufregungen fiel mir eine Berliner Zeitung in die Hand, und ich las etwas von einem politischen Prozeß, der mit der polizeilichen Aushebung eines Lokals in -er Kom- mandantenstraßc begonnen hatte und so gut ivie im Sande verlaufen war. Der Name Äle-eanky figurierte in diesem Prozeß unter den Namen der Zeugen, und ich legte mir die Zeitung, welche die Fortsetzungen des Pro zesses verhieß, beiseite, nm die späteren Exemplare dazu- zusammeln. Doch es erwies sich, daß im Städtchen am anderen Tage die einzige Ausgabe des „Berliner Tage blattes" — ein Weinlrändler gestattete sich feinen Luxus - Vergriffen mar, und so ging es ein paar Tage hindurch, bis ich unter dem strahlenden Ereignis meiner „Pre miere", — sie fand im Schtitzensaale statt — die Angelegen heit vergessen hatte und dem Prozeß meiner eigenen Ver urteilung oder «Kreisprache mit bewegtem Gemüt ent gegen fieberte. Dann gingen die Jahre darüber hin, nahmen sowohl die neunzehnjährige Jugend wie auch die Geigen und Trompeten des Himmels und den Lorbeerkranz au- den Händen des SchittzenhanSvorftandes al« verbrauchte« Ge- rumpel in den uncrgrüüdlichen Sack, ivarfen mir Neur in den Schoß, da- vielleicht bester auSfah, aber nimmer mehr das Erste ersetzen konnte. Wieder war ich auf einer „dramatisch«:n" Reise begriffen, doch diesmal war e« kein ängstlicher Einakter mehr, son der» ein abendfüllende- Theaterstück, an da- ich mich ge wagt hatte. Hier sanden die Proben nicht wie seinerzeit im Schützenhause zwischen wackelnden Kulissen statt, durch die der Wind streichen konnte, sondern die ganze geheim ni-volle Kuliffen-welt einer großen und vornehmen Bühne gab den Rahmen für meip Werk. Ich hatte mich zur ersten Probe eingefunden und saß in einer der dunklen Rethen Parkett-, in der beinahe völligen FinsterntS de» riest««», am vormittag gleichsam toten Dheaterraum«, vor mir die halber leuchtete Bühne, aus der die Gestalten, meine Gestalten, hin und her eilten. Der erste Akt ging seinem Ende zu und gewappnet erwartete ich die Mutmaßungen und Urteile der Schau spieler, die nach der ersten Probe für den Autor meist nicht sehr ermutigend lauten. Ms das dreimalige Klopfen de« Regisseur« da- Ende der Scene verkündet hatte, ver teilten sich die Darsteller hinter die Kulissen. Der Di- rektor eilte mit Hem Regisseur an das im Vestibül befind liche Buffet, um sich zu stärken. Einsam saß ich in der Dunkelheit deS ParkettranmeS, von Freude, Hoffnungen und Zweifeln bestürmt. Ich saß wie im Traume, von der Reaktion der Reisestrapazen übevwältigt — -er langen Reise vom Norden her bis in diese süddeutsche Stadt. Ich hörte und sah alles, die lebhaften Gesten des Inspizienten, die Bewegungen «der Arveiter, die neue Kulissen ein schoben, aber ich war wie im Schlaf, — ermüdet und er drückt von der Hitze und langen Erwartung in jenem stumpfen Zustand, -er großen Aufregungen vorangeht und die Nerven so angenehm au-ruhen läßt. Ich sah alles und sah doch nicht-, und meine Aufmerksamkeit wurde gleichsam erst aufgeweckt, al- ich aus dem Sous- flcurkasten ein« weibliche Gestalt hervorkriechen und sich auf einem der herumstehenden Stühle nieberlaflen sah. Ss war die Souffleuse, Li« noch da- Rollenheft in Händen hielt und nun au« ihrer Täsche ein Papierpaketchen zog, aus dem sich ein Butterbrot und ein gekochte- Ei ent puppten. Inmitten -e- Wirrwarrs heretngeschovener Versatzstücke begann sie langsam ihr Frühstück zn ver- zehren. Ich aber saß wie gelähmt und starrte nach ihr hin. War das möglich? Dar da« Theaterfpük oder Täuschung meiner Sinnes! Helka Glcscanka saß dort, nicht die Helka von einst, die kokette Schönheit, sondern eine verblühte Dreißigjährige, mit einem blatternarbigen Gesicht, bei dessen Anblick sich mein Herz mit Trauer füllte. Alte, längst vergessene Mädchentage stiegen auf vor meinem Blick, ein 'Sturm von Erinnerungen! Ich eilte die zur Bühne führende Treppe hinauf, zitternd in der Ahnung, baß mich keine Aehckltchkett trog, daß e« in der Tat die einstige Freundin war, 'die da oben vor mir faß. Sic war'S! Ich sah e- nun deutlich, klar und un widerleglich im Hellen Tageslicht, al- wir «ine Stund« später gemeinschaftlich da- Theater verließen. Di« Be grüßung zwischen »onffleuf« und Lutortn als affe Freundinnen hatte deim Kuliffenvülkchen nicht wenig! Aufsehen erregt, die Souffleuse war erst seit ganz kurzer Zeit am Theater engagiert, — ihre vornehmen Allüren, ihre Andcutnngen einer verflossenen luxuriösen Existenz hatte man für den beim Theater so üblichen „Pflanz" ge halten, — jene Großprahlerei, hinter der die arnren Unter geordneten -er Vühnenwelt ihre hoffnungslose Gegen wart zu verstecken suchen. Im großen und ganzen schien sic die Teilnahme der Schauspieler wenig herausgesoödert und still für sich ge. lebt zu haben. Denn niemand von allen, denen ich, während sie wieder in ihren Souffleurkasten hinunter stieg, von ihrer Vergangenheit erzählte, wußte mehr von ihr al« ihre Wohnungsadreffc, und daß sie noch einen alten Vater zu ernähren habe, der sie zuweilen aus den Proben holte, in einem vettschoffenen Paletot, vor dem Ausgang auf sie wartend. — Ich war wie zerschmettert, al« ich nun so im Hellen Tage-lil^> neben ihr herschrttt. Zehn Jahre waren vergangen seit ^Damals!" Eine verhältnismäßig so kurze Zeit! Und hier hatte sie genügt, mit einem gaidn Menschenleben aufzuräumen, es zu erdrücken und zu entstellen, daß man nur mühsam die Züge von einst entziffern konnte. „Du erkennst mich wohl immer noch nicht?" fragte Helka mit einem bitteren Lächeln, al- wir im Garten meines Hotel- angekonunen waren, und einander nunmehr, beide um das erste Wort vcvlegen, gegenüber saßen. „Ja, daS ist der TyphuS, der da« angertchtct hat. In Tiflis war eS, am Notschka- Bavittä, «vo er mich zu packen kriegte ich war dort mit der Orel-Truppe. Hast du nie von der Orel-Truppe gehört, die das altruffische Volkslied und den altrussischen Bauerntanz im Kaukasus wieder zu Ehren gebracht hat? Unsere Trupp« war ja weltberühmt. Und dort in Tiflis, wo wir vor dem Prinzen Salontk sangen, geschah mir da- Malheur." Sie sprach von Dingen, warf mit Namen um sich, die mir völlig neu und fremd in« Ohr fielen; — in der Art aller Menschen, die nur au-gefüllt sind von ihrem eigenen Schicksal, schien sie eine Kenntnis alle» dessen, waS sie an ging. auch bet dem gänzlich Unbeteiligten vorau-zusetzen. Denn sie war ganz erstaunt, und eine Wolke de« Miß mut« zog über ihr« Stirn, als ich ihren Rückblick auf Ver gangene» mit der Frage unterbrach: »Ja, Helka, — wie kamst du denn zum Theater? Al» sch Be letzt» Nachricht von Nr bekam, »ar ,» doch nach der Katjastrophc tu, „Ladwcnka ^Restaurant" und du warft soeben zu deinem Manne zurückgekehrt?" — Die schwieg nach dieser Krage und sah eine« Augen- blick unschlüssig vor sich hin. ES schien, als fühle sie sich zu müde oder zu gleichgültig, um ein Lange- und Breite- zu erklären. — Aus ihrem Herzen, das so viel seitdem durchstürmt und durchlitten haben mochte, war wohl die einstige Mädchenfreundschaft bis auf eine schwache Er innerung auSgelöscht. Aber ihr Mitteiffamkeitsbeditrs- nis, wahrscheinlich lange genug unterdrückt in ihrer armen und abhängigen Stellung, siegte: „To weißt du nichts von allom, was später kam?" fragte sie. „Von meiner Scheidung, meinem Uebergang zur Bühne, meiner Meilen Heirat, — nichts??" Und als ich stumm den Kopf schüttelte, fuhr sie fort. „Da muß ich freilich weit ausholen. Mein Gott! Es sind im Grunde erst zehn Jahre. Aber was ist in ihnen alle- geschehen! Du großer Gott! In diesem winzigen Menschenleben!" Ich hätte vorhin, beim Eintritt in den Garten, -em Kellner bedeutet, meinem MittagS-Couvert ein zweites betzufügen, un!d beide hier im Garten aufzulegen. Der Kellner war meiner Order nachgekommen und hatte in der Veranda gedeckt, in die er uns mit einer höflichen Schwenkung der Serviette einladen kam. Prüfen musterte sein geübtes Auge meinen Gast, so wie «S heute Morgen bei meiner Ankunft auch mich gemustert hatte. Ich brauchte mich der kleinen, blatternarbigen Freundin Souffleuse jedoch nicht zu schämen. Mit dem Raffinement und Chic, da« die geborene Polin auch in den dürftigsten Lebenslagen nicht verleugnet, waren -diese Fähnchen ans ihrem Leibe zusammengehalten. DaS dunkelblaue Woll kleid saß tadellos, um die immer noch schmiegsame and elegante Taille schlang sich ein Gürtel au- kiiberflittern, der vorn den ruffischen Doppeladler zeigte. Dieselbe patriotische Koketterie wiederholte sich in der Stickerei deS Brusteinsatze-, der von Husarenschnürcn in roten eleganten Lchluppen umrandet war. Die Frisur und di« Beschulung waren tadello-. Kurz, da- ganze Uentzere verriet eine Natnr, die gewöhnt ist, Kalin» mit sich -u treiben, und auch nachdem die Schönheit längst zerstört ist, noch einen gewissen Dutt de» Reizvollen ,u erhalten jucht. «Str waren in di« Beranda ein,elreten »nd begannen unser Mahl. Bor unseren Auge» la, di« fre»»dltch- »ommerschön-,it de» jetzt ganz menschenleeren «eri«».
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