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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020703015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902070301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902070301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-03
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Porto). ENra-iyetiagen (gesalzt), nur mit der Moraeu»Ausgabe, ohne Poftbesörderuag «X—, mit Poftbesörderuag 70.—. )innah«eschluß für Ii»)eigen: Abeud-AuSgab«: Bormtüag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» sind stets au dw Expedition za richte». Die Expedition ist Wochentag» uuuuterbrochrn geöffnet vo» früh S bi» Abend» 7 Uhr. Druck »ad Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 3. Juli 1902. 96. Jahrgang. Die socialen Verhältnisse der Juden in Preußen und in Deutschland. Im neuesten Heft der „Jahrbücher für National- ökvnomie und Statistik" veröffentlicht A. Rupp in S. 767—79« den Abschluß seiner statistischen Unter suchungen über die socialen Verhältnisse der Juden in Preußen und in Deutschland. Den Tabellen und Er läuterungen Ruppin's die wesentlichsten Gesichtspunkte entnehmend, hat man zunächst der Wechselwirkungen zwischen Judcnthum und Christenthum zu gedenken. Der hervorragendste Factor bet der gegenseitigen Beein flussung von Juden und Christen ist die Mischehe. Die Zahl der Mischehen zwischen Juden und Christen ist in der Zeit von 1875—1899 beständig gewachsen; sie betrug 1875—79 im Jahresdurchschnitt 239, 1895—99 da- gegen im Jahresdurchschnitt 433, hat sich also beinahe verdoppelt. Dem Judenthum wird durch die Mischehen insofern wesentlich Abbruch gethan, als von allen im Haushalte ihrer Eltern lebenden Kindern aus Mischehen nur 24,47 Procent jüdisch sind, während es 50 Procent sein müßten. Der Verlust des Judenthums in Folge der Mischehen wird dadurch noch größer, daß vielfach nach dem Eintritte der Volljährigkeit die Kinder aus eigenem Entschlüsse zum Christenthum übertreten. Was die Ehescheidungen anbelangt, so sind sie nicht erheblich häufiger als bei Ehen reltgtonsgletcher Ehegatten. Bei Stellung der Juden im Erwerbs leben hält Nuppin den Einfluß des Mittelalters auf das Judenthum für weitaus maßgebend. Im Ackerbau machen die erwerbsthätigen Juden nur 0,04 Procent, im Handel jedoch 5,71 Procent der erwerbsthätigen Christen aus, d. h. im Handel sind im Verhältniß zur Bevölke rungszahl etwa fünf mal soviel Juden wie Christen thätig, während in der Landwirthschaft die Juden nur V« des auf sie nach dem Verhältniß der Christen ent fallenden Contingents stellen. Noch klarer wird die Sachlage durch das Verhältniß, in dem 100 Juden sich auf die einzelnen Berufsabtheilungen vertheilen. Es entfallen nämlich auf den Handel 54,56 aller erwerbs thätigen Juden, auf die Industrie 18,80 Procent, -. h. cs sind beinahe aller erwerbsthätigen Juden in Handel und Industrie beschäftigt. Von den übrigen sind 16,36 Procent selbstständig ohne Beruf, 5,95 Procent sind im öffentlichen Dienst und in den sogenannten freien Be rufsarten thätig, während nur 2,61 Procent als häus liche Dienstboten und 0,36 Proccnt mit Lohnarbeit ihren Erwerb finden. In starkem Maße sind die Juden in den letzten zwei Jahrzehnten in die gelehrten Berufe ein gestromt. Die Vermehrung in der Verwaltung und der Rechtspflege betrug 0,36 Proccnt, in der Gesundheits und der Krankhcitspflege 0,77 Procent. Im Heeres- und im Flottendienste haben sich die Juden von 0,68 auf 1,04 Procent vermehrt. Mit der Stellung der Juden im Erwerbsleben hängt ihre ör t l i ch e V c r t h c i l un g eng zusammen. Sandel und Industrie haben ihren Hauptsiy in den Städten, deshalb bewohnen die Juden in viel größerem Maße als die Christen die Städte, insbesondere die großen. Speciell inBerltn haben sich die Juden 1861—1900 verfünffacht, ihr Antheil an der Gesammtbevdlkerung ist von 8,79 Proc. auf 8,14 Procent im Jahre 1895 gestiegen, um auf 4,88 Procent im Jahre 1900 -urückzugehen. Nur Frank furt a. M., Posen, Mannheim und Breslau haben eine größere jüdische BcvölkcrungSquote. Bon den 53 916 Berliner Juden waren am 1. Decemver 1880 nur 18 529 geborene Berliner, während 29 954 aus Preußen, 1771 aus dem übrigen Deutschland und 8602 aus dem Aus lände, namentlich aus Oesterreich-Ungarn, stammten. Die große Wohlhabenheit der Juden äußert ihre Wir kungen auf die Schulbildung und bas Univer sität S st u d t u m bet den Juden. Nur etwa die Hälfte aller jüdischen Schulkinder in Preußen erhalten blos Elementarunterricht, dagegen 94,5 Proccnt aller christ lichen Kinder; höhere Schulen besuchten 3,98 Procent aller christlichen, aber 41,34 Procent aller jüdischen Kinder. Die jüdischen Dtudtrenden preußischer Staats angehörigkeit machen 9,82 Procent aller preußischen Studtrenden aus. Unter dieser Durchschnittsziffer bleibt die juristische Facultät mit 8,19 Procent und die philosophische mit 8,92 Procent; über ihr die mebicinische Facultät mit 19,92 Procent. Die CrtminalitätSziffer der Juden ist seit 1892 beständig gestiegen, eine Erscheinung, die Rupptn nicht auf eine Zunahme des verbrecherischen Hanges bei den Juden, sondern fast ausschließlich auf die Erweiterung der Strafgesetzgebung zurückführt; durch die neuen Ge setze über Bank- und Bvrsenwesen, den Schutz der Handelsangestellten und der Arbeiter würden die Juden in Folge ihres starken AntheilS an den Selbstständigen in Handel und Industrie verhältnißmäßig in viel größerer Anzahl betroffen, als die Christen. Hieraus erkläre sich der größere Procentsatz der verurtheilten Juden bei den Verbrechen und Vergehen gegen Staat, öffentliche Ord nung u. f. w. Bei den Verbrechen und Vergehen gegen die Person stehen die Juden (mit Ausnahme von Be leidigungen und Zweikampf) günstiger da als die Christen, ebenso bei den Verbrechen und Vergehen im Amte. Bei den Verbrechen und Vergehen gegen das Vermögen sind die Juden, so weit Sachbeschädigung, Nahrungsmittel verfälschung und offensichtliche EigenthumSverleyungen, j wie Raub und Diebstahl, in Frage kommen, geringer br- thetligt, übertreffend aber die Christen bei den meisten anderen Vergehen gegen da» Tigenthum, insbesondere bei Betrug, Erpressung, Urkundenfälschung, Concursver- gchen und Wucher. Bei den zuletzt aufgeführten Delikten mit größerem jüdischen Antheil nimmt Ruppin eine größere Disposition der Juden zu diesen Delikten an. Deutsches Reich. v. Berlin, 2. Juli. Don einer merkwürdigen Unterbaltung zwischen Kaiser Wilhelm I. und dem Zaren Alexander III. wird in dem kürzlich erschienenen Buch „Au« der slavischen Welt" von Teja VirtuS von Trol Mittheilung gemacht. Da hinter diesem Pseudonym die Gemahlin eine» österreichisch-ungarischen Diplomaten sich verbirgt und da sie sich in ihrem Buche al» eine aus gezeichnete Kennerin der slavischen Zustände erweist, so wird man ihrer Mittbeilung, so sonderbar sie auch erscheint, Glauben schenken können. Wie sie erzählt, unterhielten sich einmal die beiden Monarchen und zogen scherzweise einen etwaigen Kriegsfall zwischen Deutschland und dem russischen Reiche in Erwägung: „WaS würde Eure Majestät thun, wenn eine Fehde mit uns ausbräche?" fragte Kaiser Wilhelm. Ich würde zu meinen Kosaken sagen: „Haut di« Deutschen aus!" meinte der Zar energisch. „DaS Aushauen Übernehmen wir selber — unser Säbel ist schneidiger als Eure Knute". UebrigenS, überlassen wir das „AuShauen" unfern großen Künstlern — die mögen uns Beide aushauen — in Stein und Granit — al» Denkmal unserer Freundschaft —" sagte lächelnd der deutsche Kaiser, und beide Monarchen schüttelten einander warm die Hände. -4- Berlin, 2. Juli. (Eine klerikal-agrarische Attacke.) Die „Rhein. Bolksstimme", das Organ der klerikal-agrarischen Aristokratie, widmet anläßlich einer Besprechung der Verlängerung des Dreibundes den ihr verwandten Parteien, nämlich den Conservattven einer seits und dem Centrum andererseits, einige Liebenswürdig keiten, die an Hohn von dem „Vorwärts" und der „Frei sinn. Ztg." sicherlich nicht hättcm übertroffen werden können. Das Blatt erklärt nämlich, obwohl Handels verträge der Genehmigung des Reichstags unterständen, hätte Reichskanzler Graf Bülow mit gutem Recht in Wien und Rom befriedigende Erklärungen über die Abschließung neuer Handelsverträge abgeben können, denn der Reichs kanzler kenne seine Pappenheimer. Nun folgt nachstehende Charakterisirung der konservativen Partei: „In der conservativen Partei sitzen zu viele adlige Herren, die es nicht übers Herz bringen können, der Regie rung selbst in der gerechtesten Sache Opposition zu machen. Sie sträuben sich Wohl eine Zeit lang, wenn ihnen aber scharf zu gesetzt wird, so fallen sie regelmäßig um. ... Die rückgrat s- schwachenadligenHerren in der conservativen Par tei fördern auf eigene Kosten das Wohl und die Bedeutung der Jndustriekönige. « . , - Das Commando „Richt Euch!" sitzt den conservativen Herren zu fest in den Gliedern." Darauf bekommt das Centrum sein Theil ab: „Mit dem anderen Tbeile de'' sogenannten zollsreundlichen Mehrheit, dem Tentrum, sieht es leider nicht besser aus. Ein großer Theil des Eentrums besteht aus großstädtischen Herren, denen selbstverständlich die großstädtischen Interessen — und das sind die Interessen der Großindustrie und des Handels — vor Allem am Herzen liegen. Es sitzt halt Jedem das Hemd näher, als der Rock." Das Blatt schließt mir der grimmigen Resignation: «Der Reichskanzler weiß genau, daß die rückgratsschwachen Herren aus der conservativen Partei und die großstädtischen Herren aus dem Centrum schließlich in den Satz der linken fröh lich einstimmen: „Der Herr Reichskanzler hat ganz recht."" Diese Charakterisirung ist boshaft, aber sic schildert die Sachlage nicht unrichtig. Falsch ist e- nur, die Linke mit heranzuziehen, denn die Parteien der Linken, d. h. die beiden freisinnigen Gruppen und die Socialdemokraten, stimmen ja in jedem Kalle gegen die Regierungsvorlage. Gerade darum aber dürfte das Blatt mit seiner Schilde rung der voraussichtlichen Haltung speciell der Conser vativen Recht behalten. Im Jahre 1894 konnten die Con- fervativen geschloffen gegen die Handelsverträge stimmen, weil -te Linke nahezu die Hälfte der bewilligenden Mehr heit stellte. Diesmal sind die gesammten Stimmen der Linken der Opposition zuzuzählen, so daß ein sehr großer Bruchthcil der Conservativen und des Cen trums nothwcndig ist, um zusammen mit den National liberalen und der Reichspartei die Mehrheit zu bilden — wofern nicht der Zolltarif scheitern soll. Mag sich nun die Rechte auch noch so sehr anstellen, als ob ihr das Scheitern der Tarifvorlage ganz gleichgtltig wäre, so wird doch die Charakterisirung der „Rhein. Volksstimme" schließlich zutreffen, nur mit der Erweiterung, das durch aus nicht nur die adligen Herren der konservativen Partei umfallen werden. Eine Canalvorlage, die eine innere preußische Angelegenheit ist, kann die konserva tive Partei schließlich noch zu Falle bringen, ohne ihr Vcr- hältniß zwischen sich und der Krone andauernd zu ver derben; internationale Abmachungen aber darf sie nicht so ohne Weiteres scheitern lassen, und wenn sie jetzt den Zoll tarif zu Falle bringt, so wird sie später doch die Handels verträge genehmigen müssen, also von ihrer gegenwärtigen „muthvollen Haltung nichts weiter ernten, als den Vor wurf der Inkonsequenz. Was das Centrum anlangt, so ist das rheinische agrarische Organ völlig im Rechte, wenn es, was wir vorher gethan haben, auf den Gegensatz zwischen großstädtischen und agrarischen Interessen inner halb dieser Partei hinweist. Berlin, 2. Juli. Ueber die Fortschritte des Schiffsbaues in Deutschland äußert sich der britische Generalkonsul in Hamburg, Sir W. Ward, in folgenden anerkennenden Worten: „Wie außerordentlich bedeutende Fortschritte das deutsche Schiffsbauwesen während der letzten zwanzig Jahre so wohl hinsichtlich der Zahl der Schiffe, wie mit Rücksicht auf die technische Vervollkommnung der Fahrzeuge ge macht hat, ist allgemein bekannt. Dieser Thatsache Rech nung tragend, war ich in meinen Jahresberichten be müht, die Aufmerksamkeit auf die bedeutungsvolle Ent wickelung dieses Zweiges des deutschen industriellen Lebens htnzulenken, das in Hamburg und Bremen hauptsächlich, aber auch in mehreren anderen Nordsee häfen seine Brennpunkte hat. Es erscheint weiter in hohem Grade bcmerkenswerth, daß trotz der Abnahme der Frachttransporte und trotz des Rückganges der Be förderungssätze im Jahre 1901, wodurch manches Schiff- fahrtSuntcrnehmen bezüglich der Aufbringung der Kosten für Feuerungsmatcrial, Löhne, Ladegcbühren u. s. w. in erhebliche Schwierigkeiten gerieth, der neu hinzu gekommene Tonneiiraum eine weitere, überraschend hohe Zunahme gegen die beiden Vorjahre, in denen die Ver hältnisse für die Entwickelung des Schiffsbaucs durchaus günstig lagen, aufznwcisen hat. Während von 1890 bis 1900 die Zahl der auf deutschen Privatwcrften für deutsche und fremde Rechnung erbauten Tonnen von 470 000 auf 505 000 stieg, hat das Jahr 1900 in den von deutschen Schiffsbauuntcrnehmcrn ncuerbauten Fahrzeugen eine Gesammttonnagc von 600 000 Tonnen erreicht. Weitaus der größte Theil dieser neu hinzugekommenen Schiffs räume entfällt auf deutsche Schiffe; für fremde Rechnung Das Postscriptum. Von Michel ThivarS. Nachdruck verdat«!. I. Frau von Royöre war in der letzten Zeit öfters unpäß lich gewesen. Ihr Mann, der sich leicht aufrcgte, wenn cs sich um die Gesundheit seiner lieben, kleinen Frau handelte, ließ den Doctor holen. Dieser untersuchte die junge Frau, behorchte sic und fühlte ihr den Puls. „Die Sache ist doch nicht ernst?" fragte der Gatte un- rnhiq. Der Doctor lächelte cigenthümlich. „Meine kleine Frau", erklärte er, „Sie werden Ihren Koffer packen und Ihren Mann bitten, Sie in ein Seebad zu bringen, wo Sie sich zwei Monate aufhalten werden. Weiter habe ich nichts zu verordnen." — Herrn von Royöre versetzten diese Worte in große Ver- lcgenheit; denn seine Thätigkcit gestattete ihm nicht, zwei Monate lang von Paris fern zu bleiben, und allein wollte er die junge Frau, die erst 19 Jahre zählte, nicht reisen lassen. Sic wäre in dem Badeorte sicher vor Furcht ge storben. Und weder in seiner, noch in ihrer Familie wußte er Jemand, dem er die Rolle des Beschützers hätte anver- traucn können. Was thun? Das Gebot des Arztes mußte doch befolgt werden. Der junge Gatte befand sich also in Heller Berzweif. lnng und wanderte eben unruhig den Boulevard auf und ab, als er einem großen Mann mit strahlendem Gesicht be gegnete; cs war einer seiner Freunde, den er seit etwa vier Wochen nicht gesehen hatte. „Ah, sich da, Poupeville! Was machst Du denn? Man sieht Dich ja gar nicht mehr!" „Ich bin ja auch Strohwittwer", versetzte der Andere lachend. „Meine Frau und meine Kinder sind an der e e» „So, so!" rief Royöre, plötzlich intercssirt. „Ja, ich habe da unten in der Normandie, in einem kleinen Nest — Sommcrvillc heißt eS — ein Häuschen ge- miethct. Du glaubst gar nicht, wie die Kinder sich da er holen! Ich fahre immer am Sonntag hin und komme am Montag zurück. Das Häuschen ist reizend; e» hat blo- den einen Fehler, daß eö zu groß ist. So, so! Das Hänschen war zu groß? Ja, aber . . . Frau Poupeville und Frau von Royöre waren ja immer gute Freundinnen gewesen, und die Sach« wjjr-e sich doch gewiß leicht machen lassen. „Aber natürlich!" meinte Poupeville, als sein Freund ihm die Situation erklärt hatte. „Ich trete Dir mit Ver gnügen die Hälfte de» Hauses ab und bin überzeugt, die Damen werden sehr erfreut sein, sich gegenseitig Gesellschaft leisten zu können. Sonnabends fahren wir Beide dann immer zusammen hin; den Rest der Woche werden wir uns schon nicht allzu sehr langweilen", setzte er augen blinzelnd hinzu. — So bestieg denn Royöre einige Tage später in Gesell schaft seiner Frau die Eisenbahn. In Sommerville holte Frau Poupeville daS junge Paar von der Bahn ab und brachte es in dem Nestchen, das sie für ihre Freundin hatte Herrichten lassen, bestens unter. Am nächsten Tage kehrte Herr von Royöre nach Herz, zerreibendem Abschiede nach Paris zurück. „Du wirst mir doch schreiben?" „Natürlich! Jeden Tag!" „Adieu, Herz!" „Adieu, mein Liebling!" Die kleine Frau hatte rothe Augen, und der Gatte biß auf seinen Schnurrbart, um eine dicke Throne zu unter drücken, die in seinen Augen zitterte. II. In der ersten Zeit kam die Trennung Frau von Royöre recht bitter an. Immerfort mußte sie an den Gatten denken. Doch bald gelang eS der zartfühlenden Freundlichkeit der Krau Poupeville, dem anmuthigen Geschwätz der drei Kinder, die sie so niedlich mit ihren großen, verwunderten Augen ansahen und sie fragten: „Warum weinst Du denn, Tante?", sowie den Zerstreuungen deS Strandes und dem grandiosen Schauspiel des Meeres, ihren Schmerz nach und nach zu mildern. Morgens nahm sie das vom Arzte verordnete Bad, Abends musicirte sie; und Nachmittags, wo die Hitze zu stark war, um einen Spaziergang zu unter nehmen, setzte sie sich an den Schreibtisch und schrieb an ihren Mann. Und waS für Briefe! .. i Manchmal rückte die Dinerstunde heran, und sie schrieb immer noch. Diese gemeinsam geführte Existenz hatte die zwischen den beiden Frauen herrschende Intimität noch erhöht. Daher erlaubte sich Frau Poupeville, die älter als ihre Gefährtin war und in der Ehe größere Erfahrung besaß, zuweilen ein leichtes Lächeln, wenn sie diese umfangreichen Briefe sah. „Ich bitte Sie!" sagte Frau von Royöre, gleichsam zur Entschuldigung; „man muß ihn doch trösten, den armen Pank! Er wird sich schön langweilen!" „Glauben Sie wirklich, daß er sich so sehr langweilt?" fragte Krau Poupeville ironisch. „Aber natürlich, darauf möchte ich schwüren!" „Nun, trotzdem, meine liebe Freundin, sicher ist sicher! Folgen Sie meinem Rath; setzen Sie zur Vor ¬ sicht jedesmal ein Postscriptum unter Ihre Briefe!" „Ein Postscriptum? Aber das setze ich ja sehr oft darunter!" „Ja, ja, aber nicht so, wie ich cs meine", entgegnete Frau Poupeville lächelnd. „Ich werde Ihnen 'mal das Postscriptum zeigen, das ich eben unter meinen letzten Brief geschrieben habe. Da lesen Sie!" Frau von Royöre las: I*. 8. Es wäre sehr liebenswürdig von Dir, wenn Du zu der Schneiderin mit Herangehen wolltest, die mir das Kleid für unser Bertchen zur vorigen Woche ver sprochen hatte. Ich habe cs noch nicht bekommen, und das arme Kind hat nichts anzuzieheu. — Gleichzeitig kannst Du mir vier Kilo Chocolade mitbringen. Ich habe für die Kinder zum Frühstück nicht ein Täfelchen mehr. Ich muß auch ein Paar Stiefel für Jacques und ein Bade- costüm für Andre haben; seins ist zu eng geworden. Ich weiß, diese vielen Laufereien werden Dir unangenehm sein, mein lieber Robert, doch ich weiß ebenso gut, daß Du das vollständig vergessen wirst, wenn die Kinder Dir am nächsten Sonnabend um den Hals fallen und ihre Mama Dir mit einem herzhaften Kusse danken wird. Also, auf Sonnabend. Und vergiß nichts! Als Frau von Royöre diese Zeilen gelesen hatte, sah sie ihre Freundin fragend an. ' „Ich sehe nichts Besonderes darin", sagte sie. „Wenn Sie aber Chocolade brauchen — ich habe welche auS Parts mitgebracht und werde Ihnen .. ." „. . . Welche abgeben? Danke! Ich habe im Küchen schrank noch gegen 6 Pfund liegen." „Sechs Pfund!" rief die kleine Frau erstaunt. „Sie sagten doch, Sie hätten kein Täfelchen mehr!" „Allerdings!" „Aber, ich verstehe nicht. . ." „Sie werden mich gleich verstehen! Was thun die Männer, die während der Badcsaison von ihrer Familie getrennt sind, in Paris in ihrer freien Zeit? Vielleicht schlagen sie in der ersten Zett, wenn ihre Thätigkcit be endet ist, auS Gewohnheit den Weg nach ihrer Wohnung ein. Doch die Einsamkeit wird ihnen schnell über. Ihre Häuslichkeit, wo sie an einen liebenswürdigen Empfang, an daS heitere Lachen der Kinder gewöhnt sind, erscheint ihnen düster und kalt mit den verdeckten Möbeln und dem unheimlichen Schweigen. Sie gehen aus. Ein früherer Kamerad, der noch Junggeselle ist, begegnet dem „ver lassenen" Gatten auf dem Boulevard. Man geht ins Restaurant, man geht in den Club, man geht zum Rennen, man geht... oh, die unverheirathetcn Freunde sind der verderb der Ehemänner!" „Aber Paul ist nicht so!" protestirte die kleine Frau entrüstet. „Robert hoffentlich auch nicht", fuhr Frau Poupeville fort. „Doch, da der Müßiggang eiu schlechter Rcuhgeber ist, so richte ich es stets so ein, daß meinem Mann keine freie Zett bleibt. Daher mein Postscriptum. Ich überhäufe ihn mit Besorgungen, mit einzuholendcn Auskünstcn; mit einem Wort: ich beschäftige ihn. So beuge ich vor. Fol gen Sie mir, meine Liebe; benutzen Sie die Erfindung des Postscriptums!" m. Die junge Frau war durch diese Rede ordentlich un ruhig geworden, und am folgenden Sonnabend wollte Panl, der in den Augen seiner Frau wie in einem Buche las, die Ursache dieser Unruhe wissen. „Ach, es ist ja nichts, wirklich nichts!" versetzte sic ver legen. Schließlich aber, als er mit Fragen in sic drang, er zählte sie die Geschichte von dem Postscriptum. Der junge Mann brach in lautes Lachen aus. „Das ist ja köstlich! Tie gute Frau glaubt also wirk lich, daß ihr Mann alle diese Besorgungen eigenhändig ausführt? Ach, du liebe Zeit! Er denkt ja gar nichi daran. Er hat da so ein altes Factotum, auf das er sich unbedingt verlassen kann!" Dann fügte er im Tone gravitätischen Ernstes hinzu: „Sie hegen also Mißtrauen gegen mich, Madame?" „Ach, Paul, werde nur nicht böse . . . Ich dachte . . ich sagte mir ... Du mußt Dich doch so langweilen." „Ich bin nie allein, Madame; ich habe stets Jemand bei mir, und zwar eine hübsche junge Dame! Da sehen Sic!" Damit zog er eine Photographie aus der Tasche. „Mein Bild!" rief die junge Frau freudig und lehnte sich zärtlich an die Schulter ihres Gatten. „Ach, Du guter Kerl! Dafür sollst Du auch morgen ein Geheimnis; er fahren!" „Morgen erst? Warum nicht gleich ? " „Nein . . . nein . . . morgen . . . wenn Du abrcist!" — Der Tag verflog wie ein Traum, und als der Moment der Trennung gekommen war, verlangte Paul das ihm versprochene Geheimniß zu wissen. Frau von Royöre zögerte ein wenig. „Nun? Was ist es denn?" rief der Gatte, um sie zu ermuthigen; „hast Du auch ein Postscriptum? Ich wette, es ist ein Auftrag, ein Einkauf?" „Ja", versetzte sie, „Du könntest mir auch was be sorgen: eine ... eine ... Wiege." Er sah sie überrascht an und wurde vor Freude roth bis an die Haarwurzeln. Dann umsing er seine Frau mit beiden Armen, bedeckte sie mit Küssen und ries: „Ach, mein süßes Herzchen, eine solche Neuigkeit ist wirksamer al» alle Postscripta der Welt!"
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