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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030905026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903090502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903090502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-05
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Anzeigen »Preis die 6gespaltene Petitzeite 2S Reklamen unter dem Redaktion-strich (4gespallen) 75 H, vor den Famtllenuach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offrrtenaunahmr 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nnr mit der Morgeu-AuSgabe, ohne Postbesörderuag ^4 60.—, mit Postbesörderuag 70.—. Anuahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags anunterbrocheu geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 452 Sonnabend den 5. September 1903. 87. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. September. Der Merseburger Trtnkspruch des Kaisers hat durch den Himveis auf Wittenberg, „wo der größte deutsche Mann für die ganze Welt die größte befreiende Tat getan und die Schläge seines Hammers aufweckend über die deutschen Gefilde schallen ließ", lebhafte Genugtuung in allen evangelischen Kreisen deS deutschen Volke- hervorgerufen und zugleich die Hoffnung erweckt, daß ein Bescheid des Grafen Bülow, der in der ganzen wissen schaftlichen Welt Befremden erregte, nicht aufrecht erhalten werden wird. Bekanntlich teilte die „Deutsch - evangelische Korrespondenz- kürzlich mit, dem bisherigen Leiter de» preußischen historischen Instituts in Rom Professor Schulte sei durch den päpstlichen Archivbeamten, Jesuiten pater Ehrle ein Bündel Akten zum Ablaßstreit vom Jahre 1517 zur Veröffentlichung vorgelegt worden. Schulte, der als Katholik Bedenken getragen, die Veröffentlichung zu bewirken, habe dieserhalb beimReichSkanzler angefragt und darauf den bezeichnenden Bescheid erhalten: „Ignorieren!" Von amtlicher Seite ist diese Mitteilung der „Deutsch-evang. Korr." bisher unwidersprochen geblieben. Sie wird jetzt ihrem wesentlichen Inhalte nach bestätigt durch eine Zuschrift, die der „Saaleztg." von einem Gelehrten zugegangen ist, der bis vor kurzem im historischen Institut in Rom mit Schulte gearbeitet bat. In dieser Zuschrift heißt eS: Der Jesuitcnpater Ehrle hat mit dem Vatikanischen Archiv nichts zu tun, er ist Präfekt der Vatikanischen Bibliothek, eines von dem Archiv getrennten Institutes. Er kann daher dem Prof. Schulte kein Akten-Konvolnt vorgelegt haben, ganz abgesehen davon, daß dies überhaupt nicht üblich ist. Seine Initiative beschränkte sich vielmehr darauf, daß er den auf dem Gebiete der deutsch-italie nischen Handelsgeschichte bereits höchst verdienten Gelehrten er munterte, den Beziehungen der Fugger zur Kurie nach zugehen. Hierbei stieß Prof. Schulte selbständig auf die Abrechnungen über den päpstlichen Ablaß von 1517. Prof. Schulte ist überzeugter Katholik, aber auch ein von wissen schaftlichem Wahrheitsdrang beseelter Gelehrter. Für ihn konnte aber bei jener Entdeckung das Bedenken entstehen, ob gerade er als Katholik und Direktor des auf ein gutes Einvernehmen mit dem Vatikan angewiesenen preußischen Instituts berufen sei, diese Ablaß-Akten zu veröffentlichen, die sein Forschungs gebiet doch nur sehr mittelbar berührten. Es kam hinzu, daß er wohl die Wichtigkeit der Akten, welche nur Details längst bekannter Tatsachen enthalten, überschätzte. In diesem Zweifel hat er aller dings die vorgesetzte Behörde, an deren Spitze der Reichskanzler als preußischer Ministerpräsident steht, angegangen, und diese hat, wohl von Schultes übertriebener Bedenklichkeit angesteckt, soviel bekannt geworden ist, entschieden, daß die Publikation der Forschungen (nicht diese selbst) vorläufig unterbleiben solle. Daß eine solche Aengstlichkeit dem Vatikan gegenüber — wenn das wirklich das Motiv jener Entscheidung gewesen sein sollte, was doch nicht unbedingt der Fall sein muß — nicht am Platze war, zeigte sich bald: der Jesuitenpater Ehrle, von Schulte selbst befragt, wies jedes Bedenken gegen die Publikation jener Akten weit ab und erklärte, daß nichts der römischen Kirchenleitung ferner läge, als die dunklen Punkte ihrer Geschichte zu verhüllen. In der Tat darf man wohl sagen, daß von solchen Veröffentlichungen der Bestand der römisch-katholischen Kirche auch nicht im geringsten berührt wird. Daß die oberste Leitung des preußischen historischen Instituts in Rom in dem Bestreben, das bestehende gute Einvernehmen mit der Leitung der vatikani schen wissenschaftlichen Institute (Bibliothek und Archiv) zu erhalten, zunächst gegen Publikationen wie die geplante Bedenken hegt, ist selbstverständlich; aber unzweckmäßig ist es, die Erledigung solcher Bedenken so geheimnisvoll zu behandeln, wie das hier schon von den Anfängen an geschehen ist. Eine offene Aussprache der nächsten beteiligten Instanzen — ich meine Schultes und der zuständigen vatikanischen Beamten — würde viel unnützes Gerede und Ge schreibsel erspart haben. Nach dieser Darstellung hat sich Graf Bülow päpstlicher als der Papst selber erwiesen. Wenn der Iesuitenpaler Ehrle keine Bedenken gegen die Veröffentlichung deS Ergeb nisses der Schulteschen Nachforschungen begie, so ist eS un verständlich, warum Graf Bülow die Veröffentlichung ver- binderte. Im Interesse der Wissenschaft hätte diese Ver öffentlichung erfolgen müssen, selbst wenn von vatikanischer Seite Einwendungen dagegen erhoben worden wären. Das preußische historische Institut in Rom verfehlt seinen Zweck, wenn die Forschungsergebnisse seiner Beamten weiteren wissenschaftlichen Kreisen unzugäng lich bleiben. In dem vorliegenden Falle hatte die wissenschaftliche Welt Preußens, und nicht nur diese, einen doppelt berechtigten Anspruch darauf, Kenntnis von dem Schulteschen Funde zu erhalten, weil der Ablaßstreit des Jahres 1517 zu Luthers bahnbrechendem ResormalionSwerke den unmittelbaren Anstoß gegeben hat. Die Merseburger Worte des Kaisers über dieses Reformwerk berechtigen jeden falls zu der Hoffnung, daß der Schulische Fund nicht länger „ignoriert" wird. Tas Ergebnis der Ersatzwahl in Dessau. Unsere Annahme, daß die pessimistische Auffassung, der sozialdemokratische Bewerber in Dessau werde gleich im ersten Wahlgange siegen, der Berechtigung entbehre, ist durch daS Ergebnis der Ersatzwahl bestätigt worden, ebenso allerdings auch unsere weitere Annahme, beide bürgerliche Kandidaten würden anStimmenzahlverlieren. Wenn bei HerrnSchrader der Rückgang gegen die am 16. Juni auf den Kandidaten Roes icke gefallenen Stimmen nicht wesentlich hervortritt, so ist dabei zu berücksichtigen, daß auf Herrn Schrader gleich im ersten Wahlgange ein großer Teil der nationalliberalen Stimmen gefallen ist. Für die Stichwahl kommt eS ja auch vor allem darauf an, daß die Stimmen für beide bürgerliche Kandidaten zusammengezäblt werden und da diesmal nur etwa 15 000 Stimmen auf die bürger lichen Bewerber gefallen sind, so ergibt sich ein Rückgang von 2000 Stimmen gegenüber den Wahlen vom16. Juni. Der Sozialdemokrat hingegen hat einen Stimmenzuwachs von etwa 600 Stimmen zu verzeichnen. Mithin ist das Plus der bürgerlichen Stimmen, das am 16. Juni ungefähr 5000 betrug, um .die Hälfte heruntergegangen. Trotzdem reicht auch die so bedeutend herabgcminderte Mehrheit noch aus, um die Wahl Schraders zu sichern, da nach den Er fahrungen der vorigen Stichwahl der sozialdemokratische Kandidat höchstens noch 400 bis 500 Stimmen aus eigenen Reserven wirb ausbringen können. Voraussetzung für den Sieg Schraders ist freilich, daß die konservativ-bündlerischen Wähler I deS Kandidaten Schirmer sich nur nicht der Stimmabgabe I«-Inhalten, sondern mit allem Nachdruck für Schrader eintreten. I Wir können nur wiederholen, daß eS schon mit Rücksicht auf den nahe schon bevorstehenden sozialistischen Parteitag in Dresden durchaus vermieden werden muß, daß ver Partei tag unter dem Eindruck eines neuen Sieges, noch dazu er fochten in einem noch niemals bisher vertretenen Kreise, eröffnet wird. Tte revolutionäre Propaganda im russischen Heere. Durch wiederholte Maßnahmen hat die russische Militär verwaltung gezeigt, daß sie der staatsfeindlichen und revo lutionären Propaganda innerhalb der Armee große Beach tung schenkt. In das Gebiet dieser Verordnungen fällt ein neuerdings von der sozialdemokratischen Zeitschrift „Iskra" veröffentlichter Gebeimerlaß folgenden Wortlauts: Nr. 102. Der Kommandant des Militärbezirks hat befohlen, die Abteilungschefs ernstlich darauf aufmerksam zu machen, bei der Auswahl der Soldaten für die Chargenschulen vorsichtig zu sein und die größte Vorsicht bei Ernennung von Unteroffizieren zu ge brauchen, da zu solchen nur zu leicht Fabrikarbeiter und städtische Elemente infolge ihrer Intelligenz und Schulbildung bestimmt werden, die aber zumeist schon vor ihrem Eintritt ins Heer vom Grunde aus verdorben zu sein Pflegen. Kasan, . . . Der Chef des Stabes: Generalleutnant Zander. Daß solche Gebeimerlaffe ihre Berechtigung haben, ergibt sich eigentlich schon aus der Tatsache, daß sie trotz aller Sekretierung immer wieder in die Oeffentlichkeit gelangen, was nicht möglich wäre, wenn sich nicht in den militärischen Kanzleien Leute befänden, die mit der revolutionären Pro paganda in Beziehungen stehen und dieser auch die geheimsten Aktenstücke mitteilten. Ein russisches Blatt, die„Oswoboschdenie", will nun sogar wissen, daß der bekannte Grneraladjutant und Oberbefehlshaber des Militärbezirks Kiew, General Dragomirow, sein Entlassungsgesuch damit begründet habe, daß ihm die häufige Verwendung von Truppen gegen die Be völkerung „peinlich sei". Man darf, meint die „Köln. Zig.", einige Zweifel hegen, ob diese Angabe richtig ist, ganz un zutreffend aber wäre jedenfalls die Annabme, daß Gei^ral Dragomirow mit der revolutionären Bewegung in einem ge wissen Grade sympathisiert habe. Dragomirow ist ein sehr eigen artiger, außerordentlich selbständiger und selbstbewußter Mann, der sich infolge seines großen Ansehens in der Armee manche ab und zu etwas barocke Seitensprünge erlauben durfte. In allem aber, was er unternahm, wurde er nur durch die Interessen der Armee geleitet, die er allerdings manchmal anders auf faßte, als die amtlichen Kreise. So widersprach er seinerzeit der strafweisen Einstellung von Studenten, die sich revo lutionärer Umtriebe schuldig gemacht hatten, in das Heer, und es gelang ihm in der Tat, diese Maßnahme rückgängig zu machen. Jetzt scheinen die geheimen russischen Wühlschnfteu diesen Vorgang so auSlegen zu wollen, als ob Dragomirow sich dadurch auf Seite der Studenten gestellt habe, während eS in seinem Widerspruch ausdrücklich hervorgehoren wurde, daß er nur deshalb gegen die Maßregel sei, weil er das Heer nicht als Strafanstalt betrachtet haben wollte. Auch mag ihm die praktische Erwägung nicht fremd gewesen sein, daß die aus solche Weise eingestellten Studenten als Förderer und Verbreiter revolutionärer Gedanken im Heere wirken und die Disziplin schäbigen würden. Der Versuch, Drago mirow als einen Förderer revolutionärer Ideen hinzustellen, ist jedenfalls ganz hinfällig. Deutsches Reich. * Berlin, 4. September. Eine internationale Konferenz für drahtlose Telegraphie wird, wie ge- meldet wird, im nächsten Jahre in Berlin stattfioden. Wie bei der Vorkonferenz im August d. I. wird die Einladung wiederum vom deutschen Reich ausgehen. An der Haupt konferenz weiden sich nicht nur die an der Vorkonferenz beteiligten Staaten England, Frankreich, Italien, Oester reich, Rußland, Spanien, Ungarn und die Vereinigten Staaten von Nordamerika beteiligen, sondern auch die skandinavischen Reiche Schweden, Norwegen und Däne mark, Holland, Belgien, Portugal, Griechenland, wohl auch die Türkei. Gegenstand der Verhandlungen dieser Konferenz werden in erster Linie die Ergebnisse der Vorkonferenz sein. AIS solches ist in erster Linie die mög lichste Freiheit derBewegung auf demGebiete der drahtlosen Telegraphie zu bezeichnen. Die Küsten stationen sollen gehalten sein, im Verkehr mit Schiffen auf See alle Telegramme ohne Unterschied deS Systems anzuuehmeu oder zu befördern. Alle HülfSgesuche und Unfallmeldungeu von Schiffen werden mit Vorhand befördert. Als Taxe für drahtlose Telegraphie soll die jetzige Taxe für die Benutzung der Drahtleitungen unter Zurechnungen einer angemessenen Vergütung für den Betrieb der drahtlosen Einrichtungen erhoben werden. Die Taxen werden von der an nehmenden Station an Land oder Bord vereinnahmt. Der Dienst der einzelnen Stationen für drahtlose Telegraphie soll so eingerichtet werden, daß sie sich gegen seitig so wenig wie möglich stören. Diese Bestimmungen sind auf der Vorkonferenz im allgemeinen angenommen worden. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika habe» ledig lich einen formellen Vorbehalt gemacht, sich aber grundsätzlich mit den Bestrebungen einverstanden erklärt. Förmliche Vor behalte sind allein von Italien und von England gemacht worden. Die italienische Regierung hat sich verpflichtet, für die Dauer von 14 Jahren den Austausch von Telegrammen mit Stationen anderen Systems als Marconi nicht zuzulaffen. Italien will aber sei» Möglichstes tun, den Vertrag mit der Marconigesrllschaft im Sinne der Bestrebungen der Konferenz abzuändern. Außerdem hat England erklärt, daß die Gesetz gebung sie zu einer allgemeinen Zurückhaltung verpflichte in Beziehung auf die Zulassung sämtlicher Systeme. * Berlin, 4. September. Zum nächsten sozialdemo kratischen Parteitage liegen nicht weniger als 115 An träge und Resolutionen vor. Zehn Anträge behaudela die Frage der Mitarbeit von Sozialdemokraten an bürgerlichen Blättern, darunter ein Antrag der Partei genossen in Hamm, der schlankweg besagt: „Den Partei genossen ist die literarische und journalistische Mitarbeit au bürgerlichen Preßorgancn ohne die Genehmigung deS ParteivorstandeS nicht gestattet." Die Elbiuger Genossen empfehlen eine besondere Rekrutenagitation vor der Einziehung. „Die künftigen Soldaten sind über ihre Pflicht gegenüber dem sogenannten inneren Feinde auf zuklären." Die Bremer Sozialdemokraten verlangen „in anbetracht der unerhörten Gesiunungsriechereien in Militär vereinen", der Parteivorstand möge alljährlich eio Flugblatt herauSgeben, das die Reservisten vor dem Beitritt zu Krieger, vereinen warnt. Die Braunschweiger wollen die Bahn-und Post-Etatdebatten au die betressenden Beamten in Broschüren form verteilt wissen. Bezeichnend ist auch ein Antrag auS München-Gladbach: „Die Maifeier ist aus den ersten Sonn- Feuilleton. 3j Ingeborgs Kinder. Roman von Margarete Böhme. !>iac.rruck verboten. Thyra nickte zerstreut. Die Aeußerungen der alten Wäscherinnen fielen ihr ein. Das war auch so eine Konserve der guten alten Zeit: Die Borliebe für alles Gediegene, Desftige, Massive, die sich hier in den großen wie in den kleinsten Dingen und Lebenserfordernissen geltend machte. „Der Deubel soll -wischen die Göhren fahren", rief ein Heller Sopran in die Stille Hinein. „Es tut not, daß du 'mal drein hautest, Vater. Guten Abend, Thyra. Das ist ja ganz was Neues . . ." Anna war einen Kopf kleiner als ihre Freundin, ob gleich sie, wenn sie nicht gerade neben dieser stand, die Mittelgröße noch ein wenig überragte. Sie hatte auch dunkles, sehr modisch frisiertes Haar und ein weiches, blütenzartes Gesicht, dessen Schönheit nur durch einen etwas vulgären Ausdruck der Züge beeinträchtigt wurde. Die beiden jungen Mädchen reichten einander die Hand. „Es ist währ, wir haben uns lange niA gesehen, Anna . . ." „Komm, setz' dich", sagte Anna, indem sie sich auf den Sargdeckel, der schon fertig gezimmert auf dem Fuß boden stand, niederhockte und auf den freien Platz neben ihr deutete, „drinnen hört man sein eigen Wort nicht bei dem Radau. Ist ja gar keine Zucht in der «Bande. . ." „Ich mutz noch auf den Kirchhof, bevor es ganz dunkel wird. Möchtest du mich vielleicht ein Stück durch -en Park begleiten, Anna?" Das Mädchen sprang auf: „Jawohl, komm nur..." Drauhen schob sie ihren Arm in den ThyraS und schritt schwatzend neben ihr her. „Das Mensch ist rein deS Satans", sagte sie, mit -em Kinger rückwärts deutend, wo sich hinter den erleuchteten Fenstern des Wohnhauses wieder die Stimme der Stief. mutter erhob. „Wenn sie glaubt, daß ich ganz und gar bas Aschenputtel für sie mache, dann schneidet sie sich... O je . . ." Und dann schoß sprudelnd schnell eine Flut von Jeremiaden über erlittene Unbill und schreiende Ungerechtigkeit über die roten Lippen. Wenn man dem flinken Zünglein alles aufs Wort glauben durfte, war Anna eine wahre Märtyrerin stiefmütterlicher Bosheit und Härte. Thyra hörte nur mit halbem Ohre auf das Geschwätz. Es fiel ihr zum ersten Male aus, wie viel Bedeutung Anna den Nichtigkeiten des alltäglichen Lebens bei legte . . . Herrgott, am Ende war es doch nicht so etwas unerhört Schreckliches, wenn die überarbeitete Frau der hcimkehrendcn Stieftochter, deren Hülfe sie ohnehin jetzt tagsüber entbehren mußte, noch einige Beschäftigungen zuwies. Durch eine tiefe, dunkle Kastanienallee, die sich zwischen altersgrauen Patrizierhäusern entlang zog, waren sie in den weiten, von gelbrosa Abendlicht er hellten Park getreten. „Ich gehe morgen fort von hier. . . nach Berlin", sagte Thyra. „Du . . . nach Berlin?" staunte Anna, stehen bleibend. Deshalb? Auf lange?" jedenfalls auf längere Zeit. Ich werde mich -ort noch etwas weiter ausbilden", entgegnete Thyra aus weichend. Es schien ihr nicht rötlich, Anna die näheren Umstände, die sich um ihre plötzliche Abreise gruppierten, erst lang und breit auseinanderzusetzen. Anna hatte den Arm der Freundin losgelassen. „Du hast doch immer ein kolossales Glück", sagte sie neidisch. „Gerade, nach Berlin. . ." und nach einem leisen Aufseufzen: „ich wollte, ich könnte gleich mit- machen. Aber lange dauert's auch nicht mehr . . . zum Frühjahr halten mich keine zehn Pferde mehr in tem Nest. Ich kann jetzt ziemlich alles. Bei Jobstens habe ich im vorigen Jahre Kochen gelernt; zum Bügeln bin ich schon früher gegangen und im Februar bin ich mit der Dchneiderschule fertig. Dann gehe ich auch nach Berlin und suche mir dort eine Stelle. Ja . . . hm . . . was ich sagten wollte ... Du nimmst wohl einen Brief an Bahne für mich mit und besorgst ihn eigenhändig? . . Du kannst ihm dann auch gleich sagen, daß ich zum Früh jahr nach Berlin komme." „Aber Anna . . . hast du das noch nicht dran gegeben —" „Was? Daß ich nach Berlin will?" „Nein, die Geschichte mit Bahne. Es war doch eigent- lich eine Kinderei." Anna warf den hübschen Kopf mit einer heraus fordernden Bewegung in den Nacken. „Kinderei? Meinst du? Sieh 'mal einer an . . . wat det Beer deicht! Da bist du schief gewickelt, mein Schatz! Aus mir und Bahne wird ein Paar, so wahr ich Anna Balattd heiße. Warum auch nicht? Wir lieben einander. Und passen wir vielleicht nicht zusammen?" jch meine nur so . . . Bahne ist doch jetzt Offizier. Die Leute haben bei ihrer Heirat furchtbar viel Rück sichten auf ihren Stand zu nehmen." „Ach, du meinst wegen der Kaution. Herrjeses, Las spielt bei seinem Vermögen gar keine Rolle. Er hat allein von seinen Eltern her hunderttausend Mark auf der Hamburger Bank. Und vom alten Rathmann erbt er mindestens noch 'mal so viel. Also darum brauchen wir uns keine Gedanken zu machen." „Nicht allein das Geld... es hängt noch sonst viel drum und dran. Hat Bahne denn versprochen, -ich zu heiraten?" „Natürlich ... Ach Gott, wie lange ist das schon her!" „Eben. Könnte er nicht heute anders über die Sache denken?" jch weiß nicht, was dir einfällt", sagte Anna erbost, jch glaube gar, du gönnst mir die Partie nicht." „Um Himmels willen, Anna! Das kann kaum dein Ernst sein!" „Na — eben. Warum soll er denn heute anders denken. Er schreibt mir doch noch immer." „Ja — dann freilich. . „Und -er alte Rathmann hat es gut auf mich stehen", fuhr Anna fort, „er begegnet mir kein einziges Mal, ohne mich anzureden und schön mit mir zu tun. Der hätte nichts dagegen einzuwenden. Verlaß -ich drauf." Thyra antwortete nicht. Bahne Lüpfen, der einzige Enkel des reichen Rathmann Lüpfen, war auch ein in timer Freund von Fritz und Theodor gewesen, der sich, wenn die beiden Jungen mit ihren «Schwestern gingen, ihnen oft als Fünfter anschloß. Mit -er Zeit — Bahne war damals Obersekundaner und Anna stand kurz vor der Konfirmation — hatte sich -wischen beiden ein harm loses Techtelmechtel angesponnen. Thyra hatte um das kleine Geheimnis gewußt, ohne demselben viel Wert bei- zulegen. Jetzt war Bahne schon seit Jahren fort; er hatte die militärische Earriere eingeschlagen und stand zur Zeit als Sekondeleutnant in Berlin bei der Luftschiffe» abteilung. Bei seinen späteren Besuchen in der Heimat hatte er nie versäumt, bei Juppersens vorzusprcchen. DeS Königs Rock stand gut zu feinem hidbschen frischen Gesicht mit dem keck aufgezwirbelten Schnurrbart. Er markierte in feinem Auftreten gern den schneidigen Residenzler, der ein wenig von oben herab die Sitten und Manieren der heimatlichen Kleinstadt belächelte, im übrigen aber war der hübsch« uniformierte Jirnge, dem trotz seiner großstädtischen Allüren noch eine kindliche Treuherzigkeit aus den Augen lachte, überall gern gesehen. Seines offenen, an genehmen Wesens wegen mochte auch Thyra ihn gut leiden, nie aber war es ihr in den «Sinn gekommen, daß die Beziehungen -wischen Anna und ihm, die aus der Schulzeit datierten, noch bestehen könnten. Aber wenn sie noch miteinander korrespondierten, mußte es -och wohl sein. Anna hatte ihre Hand wieder aus Thyras Arm gezogen und ging still, anscheinend nachdenklich gestimmt, neben dieser her. Thyra unterbrach das Schweigen nicht. Sie hatte es nie so sehr, wie eben jetzt, empfunden, eine wie tiefe Kluft die verflossenen Jahre zwischen der ehemaligen Freundin und ihr gerissen hatten, und die Erkenntnis verursachte ihr ein seltsam zwiespältiges Ge fühl von Trauer und Befreiung. Die Vergangenheit war tot; ein neues Leben begann; ein Leben, das sie sich selber schaffen würde, ein neues Leben mit neuen Men schen, neuen Freunden ... Die Schatten der Mädchen fielen lang und schmal über die kiesbestreuten Weg«. Anna war zierlicher gekleidet als Thyra; dennoch machte sic den Eindruck eines ge putzten Dienstmädchens neben der Dame. „Wann fährst du morgen fort?" fragte sie, hastig den Kopf hebend. „Ich denke gegen vier." „Gut. Ich schreibe gleich. Du versprichst mir, Bahne den Brief persönlich zu bringen." „Ich werde ihm den Brief geben, sobald ich Gelegen heit finde, ihn zu sprechen. Wann das sein wird, kann ich nicht im voraus wissen," ,^Ja, ja. Ich komme zur Bahn. Also bis morgen. Ich will jetzt zurück. Sonst speit die wieder Gift. Adieu, Thyra!" „Adieu, Anna! Bis morgen." Mit einem flüchtigen Händedruck trennten sich die Mädchen. Sie hatten einen Umweg in dem aus gedehnten Park gemacht; das letzte blasse Abendrot ver schwand eben hinter dunklerem Gewölk im Westen. Der Nebel breitete eine feine, weiche Silberschicht über den
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