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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.05.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-05-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050523028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905052302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905052302
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1905
- Monat1905-05
- Tag1905-05-23
- Monat1905-05
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VezuaS-PreiS t» d« HauptexprbiNoo od« deren Au-qabs- slillro ab««dott: viertrljührlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zusleituag in-Hau« L.7Ü. Durch die Post bezogeo für Deutlch- land u. Oesterreich vierteljährlich 4.K0, jür di« übrigen Länder laut Zeitunq-prei-liste. Liese Nummer »eftel aus allen Bahnhöfen und III ^I^I bet den ^»Uung-.Berkäufern Aedatttvn und Erveditto«: 1Ü3 Fernsprecher L22 Johanni-gass» S. Haupr-Filtale Dresden: Marienstrab« 34 (Ferulprecher Amt l Nr. I71S). Haupt-Atltale Berlin. SarlDnncker, Herzg l-BayrHosbuchbaudlg, Lützoiostraße iO Arrvfvrecher Amt VI Nr. 4603). Abend-Ausgabe. M ip.sigcr Tagtblass Handelszeitung. Amtsölatt des Äönigk. Land- und des ÄSnigt. Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipfig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2ü Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeigen, Gefchäst-anzeigen unter Text oder an besonderer Stell» nach Taris. Di« 4 gespaltene Reklamezeitr 75^. Annahmeschlutz kür Anzetgen: Abe ad-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: aachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet- au di« ixpedUioa zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen. Au-gabe- nach brsouderer Vereinbarung. Die Expedition ist Wochentag» ununtrrbrochro aeässuet von früh 8 bi- abend- 7 Uhr. Druck and Verlag von E. Potz in Leipzig jJnh. 1>r. «„ R. L W. ikltakdardtl Herausgeber: Vr. Victor Minkhardt. Nr. 26V. Dienstag den 23. Mai 1905. SS. Jahrgang. Var Mchligur vsm Lagt. * Das Militärverbot in Restaurants bei Abhaltung von sozialdemokratischen Versammlungen wird vom Garni- sonkommando Leipzig künftig in gleicher Weise an gewendet wie bei dem 12. Armeekorps. (Siehe Leipziger Angelegenheiten.) * Die „Wiener Zeitung" veröffentlicht eine ministerielle Verordnung, wonach das Verbot der Ausfuhr von Futterartikeln aufgehoben wird. Diese Aufhebung ist auf Ungarn ausgedehnt worden. * In Lyon stimmte eine von 700 Polizisten besuchte Versammlung für die Fortsetzung des Ausstandes. Gleichzeitig wurde beschlossen, an den Präfekten eine neue Abordnung zu senden. Man hofft, daß der Streik heute noch beendet werden wird. (S. Ausland.) * Der König von Serbien will Gruitsch mit der Bildung des neuen Kabinetts beauftragen. (S. Ausland.) c«mult im Kauze Oer gemeinen. Im ehrwürdigen britischen Parlament hat gestern die Opposition die Mitglieder der Regierung brutalisiert, die Ministeriellen haben ihrerseits den Oppositionsrednern das Wort verweigert, und der Londoner Korrespondent des Wölfi schen Telegraphenbureaus schließt seinen Bericht mit dem im Protokoll höchst gewichtigen, obschon nicht ganz stilgerechten Satze: „Kaum kennt die Geschichte des englischen Parla mentes ein Beispiel so stürmischer Vorgänge, wie eS dasselbe (!) heute erlebt hat." In einer Doppelsitzung haben ein liberales M. P. des Namens SoareS und der gewaltige C.-B. selbst, der in Newcastle schon da« Fell deS Bären ver- teilte, die Person des Premierministers bedrängt. Kein Teil der Materie ist neu; Balfours Edinburgh-Programm, das zeit liche und innere Verhältnis zwischen der Kolonialkonfe renz und der „Befragung deS Landes" sind während dieser Session beständig umstritten worden, der Aufmarsch der Lloyd-George, Winston Churchill, Hugh Cecil, aller ministe riellen und liberalen Ritter ist sosehr eineWiederholung früherer Demonstrationen, daß man an Bismarcks Witzwort vom KrönungSzug in der „Jungfrau von Orleans", wobei stets dieselben Statisten hinten sich wieder anreihen, erinnert wird. Auch die rüde Versammlungsdemagogie der irischen Nationa listen ist oft seit dem Winter praktiziert worden; niemals aber sind Disziplin und Tradition, sind die heiligsten Satzun- gen des Parlaments mit solcher Planmäßigkeit wie gestern miß handelt worden. Der Bericht de« WolffbureauS, der nach der Meldung von BrodrickS Auskunft über die Pest in Indien einsetzt, lautet: Der liberale Soares stellte die Frage, ob die Regierung, wenn sie zurzeit der im Jahre 1906 abzuhaltenden Kolonial konserenz noch im Amte sei, beabsichtige, die britischen Vertreter zu ermächtigen, die Frage der Vorzugszölle mit een Vertretern der Kolonien zu erörtern. Balfour erwiderte, diese Frage sei von der Negierung noch nicht in Erwägung gezogen worden, aber keine Negie rung könne den Besprechungen der Konferenz Schranken setzen, besonders wenn die Regierung eine engere Handels verbindung mit den Kolonien wünsche. Auf eine Reihe weiterer Fragen, die von Campbell-Bannerman und anderen Mitgliedern der Opposition gestellt werden, zog der Premier in Abrede, baß er die Politik, wie er sie in seiner am 3. Oktober 1904 in Ed in bürg gehaltenen Rede gekenn- zeichnet habe, anfgegeben habe. Weiter erklärt» Balfour, die Koloniaikonseren^solle frei sein, sie könne aber weder die Kolonien noch bas Mutterland binden. Darauf beantragte Campbell-Bannerman unter lauten Beifalls rufen der Liberalen die Vertagung des Hauses wegen der Erklärung Balfours, daß dre Frage der Be vorzugung der Kolonien möglicherweise der Kolonialkonferenz unterbreitet werde, bevor das Land Gelegenheit habe, seine Meinung zu äußern. In der Abendsitzung wurde sodann das große Verhör inszeniert. Campbell-Bannerman führte aus, die Erklärung Balfours bedeute einen Wechsel in der Politik der Regierung, und verlangte Aufklärung. Darauf erhob sich der Kolonialminister zur Ant wort. Die Liberalen jedoch, welche eine sofortige Antwort Balfours selbst wünschten, brachen in den unausgesetzt wieder holten Ruf: „Balsour! Balfour!" auS. Der Kolonial minister versuchte umsonst, sich Gehör zu verschaffen; in dem Lärm war nicht ein Wort von seinen Ausführungen zu ver stehen. Der Vizesprecher legte sich ebenfalls vergeblich ins Mittel, trotzdem er erklärte, daß Balfour später baS Wort ergreifen werde. Die Opposition weigerte sich, Lyttelton anzuhören. Dieser sprach über zehn Minuten zum Hause, ohne daß ein Wort seiner Rede vernehm bar war, und setzte sich schließlich nieder. Der Lärm dauerte fort. Während dessen weilte Balfour in gewohnter Ruhe auf seinem Platze. Nachdem Lyttleton seinen Platz wieder eingenommen habe, versuchte der Oppositionelle Winston Churchill zu reden; seine Stimme wurde aber nun durch die lärmenden Rufe der Ministeriellen übertönt. Churchill trat dicht an den Platz des Sprechers heran und redetet« von dieser Stelle aus, ohne daß jedoch das geringste von seinen Aeußerungen zu hören war. Der Liberale Lloyd-George richtete darauf an den Vizesprecher die Frage, ob nicht, da Balfour direkt zu genaueren Erklärungen über seine Ausführungen ausgefordert worden sei, dasHauS einen Anspruch darauf habe, diese Erklärungen von ihm zu empfangen. Der Sprecher erwiderte, es bestehe die Möglichkeit, daß noch weitere Mitglieder Fragen an den Premierminister zu stellen wünschen, der später antworten werde. Der Kolonial minister erhob sich darauf abermals und versuchte zu sprechen, wurde jedoch wiederum niederHeschrieen. Der konserva tive Freihändler Hugh Cecil ersuchte die Versamm lung, Lyttelton doch anzuhören, batte aber mit seiner Bitte ebenso wenig Erfolg wie der Sprecher mit seinen wieder holten Versuchen. Nunmehr forderte Bannerman Balfour persönlich auf, seine Anfrage zu beantworten. Balfour erhob sich und sagte, eS würde ihm unzweckmäßig ge schienen haben, sofort nach Bannerman zu sprechen, da er doch die im späteren Laufe der Erörterung noch folgenden Angriffe nicht im voraus beantworten, aber doch zum Hause nur einmal hätte sprechen können Er habe nie gehört, daß das HauS sich je geweigert habe, ein Mitglied der Regierung in einer die Regierung berührenden Frage anzuhören. Er habe nie ge hört, daß eS eine Opposition gegeben habe, die eS für ihr Amt halte, die Reihenfolge der Redner vorzuschreiben. Wenn der heutige Austritt Nachfolger finden sollte, so würde dies das Parlament zu gründe richten. Nach diesen Erklärungen de« Premierministers machte Lyttleton einen neuen Versuch, zum Hause zu sprechen, aber aufs neue erhob sich der Lärm. Der Kolonialminister fuhr ruhig in seiner Rede fort, diese ging aber im Tumult völlig verloren. Der Ire Mac Neill rief dem Minister zu: „Schaffen Sie doch Ordnung rm Kulilager", während andere Iren ihm spöttisch zuriesen: „Rufen Sie die Polizei zu Hülfe! und dem Premierminister politische Feigheit verwarfen. Nachdem die Lärmszenen eine volle Stunde ge dauert hatten, erklärt* der Sprecher auf Grund der Ge schäftsordnung die Sitzung für vertagt. Die Mitglieder verließen das Haus, ohne daß es zu weiteren Zwischen- sällen kam. Herr Balfour hat sich bis zum Schluß der Sitzung nicht überwältigen lassen; der Agnostizismus und die Ueber- legenheit, womit er die Rhetoren eintaxiert, haben ihm auch gestern gute Dienste getan, jedoch es erscheint frag lich, über wie viele Subsivicn er noch verfügt, um in parlamen tarischen Kämpfen siegreich zu sein, die mit den letzten Zeiten des Herrn Combes eine bedauerliche Ähnlichkeit nachgerade aufweisen. Im übrigen wäre der „Zerfall" des Unter hauses, daS Sinken seines geistigen Niveaus, nicht erst von diesem Montag zu datieren, und längst ist eS mit seiner dogma tischen Unantastbarkeit,seiner verfassungsrechtlichen Allmacht vor bei. Die Mitternachtsordnung, die „Closure", die Beschränkung der Debattefreiheit durch die Zehn Minuten-Satzung, daS Blockierungssystem halfen daS Gebäude erschüttern, von dem der erste Stein sich gelöst hat, als die irischeObstruktion derPhrase ein Ende bereitete. Herr Balfour sieht sich vor einem Unter haus, das die Kontrole der Exekutive kaum noch ausübt, dessen Wille durch eine „Private Member Bill", dessen be jahende oder verneinende Autorität sehr geschwunden sind, er sieht sich vor einer törichten Föderation, deren vermeintlicher cobdenitischer Eifer ihm ein Lächeln abzwingen kann, nachdem soeben die Fremdenbill gezeigt hat, welche Physiognomie Herr Campbell-Bannerman unter seiner Löwenhaut verbirgt. Aber Herr Balfour ist Philosoph, und er wird eS für un- philosophisch halten, alle seine Nächte an einer Stätte des Randals zu verbringen. ver lurrirch-japanirche Krieg. Nochmals die falsche Meldung des Neuterfchen Vureau». AuS Tokio wird der „Köln. Ztg." depeschiert: Die von Lieuter" verbreitete Meldung über die angebliche deutsche Besitzergreifung von Haitschou ist von der japanischen Vie Marokkottage. Unsicherheit. Die „Times" melden auS Tanger, der Sultan von Marokko habe die französischen Vorschläge über die Aus übung der Polizeigewalt an der französisch-marokkanischen Grenze angenommen. Weiter sagt das Blatt, Graf Tattenbach habe bisher keinerlei Erfolg erzielt, der es gestatten würde, die Mission Taillandiers als gescheitert anzusehen. — Nach einer Meldung des „Imparcial" begleitet der spanische Premier Billaverde den König auf dessen Auslandsreise nicht. Die Meldung wirkt, wie aus Madrid gemeldet wird, beruhigend, da vielfach ein Eingehen neuer schädlicher Ver pflichtungen anläßlich dieser Reise befürchtet wurde. Der liberale Minister Billanueva hielt eine beifällig auf genommene Rebe in der königlichen Akademie für Juris- vrudenz, worin er gegen die schlechle Behandlung der Spanier in Algier protestierte und erklärte, da Spanien« Zukunft in Marokko liege, müsse es sich den fran zösischen Monopolgelüsten widersetzen, da letztere mit der Annullierung der spanischen Nationalität und Unabhängigkeit gleichbedeutend seien. Tittoni Nach der römischen „Gazzetta del Popolo" wird Tittoni sehr bald Verhandlungen mit der Türkei zur definitiven und friedlichen Lösung der TripoliSfrage ausnehmen. Diesem Zwecke habe seine Konferenz mit dem italienischen Bot schafter in Konstantinopel gedient. Tittoni wolle, daß Italien sich in derselben Weise Tripolis versichere, wie England sich der Insel Cypern bemächtigte, d. h. durch jährliche Bezahlung einer Summe, die höher sei, als die Einkünfte, die der Sultan gegenwärtig auS dieser Provinz ziehe. Der AuSgang dieser Verhand lungen werde zum großen Teil von der Haltung Deutsch lands abhängen wegen seines Einflusses in Konstantinopel. Man hoffe jedoch auf der Consulta, Kaiser Wilhelm werde dem befreundeten Italien keine Hindernisse bereiten. Auch an hoher Stelle billige man Tittonis Plan. Vas vsm „Matin" gemeldete Abkommen zwischen England, Frankreich und Italien wegen Abessinien« wird in den nächsten Tagen unterzeichnet werden, da die Verhandlungen einen erfreulichen Gang nehmen. Regierung und auch in einigen japanischen Blattern wgleich auf Grund der deutschen Erklärungen in loyaler und nachdrücklicher Weise richtigge stellt wor den, und in offiziösen japanischen Blättern wurde hinzugefügt, man ersehe daraus, daß in Deutschland die Absicht und der Wille herrsche, die Integrität Chinas nicht zu verletzen und eine ehrliche Politik der offenen Tür fortzusetzen. „Reuter" hat hier die Meldung nicht dementiert. — Dazu bemerkt die „Köln. Ztg.": Man muß es als im höchsten Grave auffällig bezeichnen, daß das „Reutersche Bureau", daß die falsche Meldung verbreitete, sie, nachdem die deutsche Richtig stellung erfolgt war, nicht auch in Astasien, jedenfalls aber nicht in Japan dementiert hat. Daß die deutsche Richtig, stellung dem „Reuterschen Bureau" zugcgangen ist, ergibt sich daraus, daß „Reuter" sie in Europa und ebenso in den Bereinigten Staaten verbreitet hat. Es müßte dem Bureau doch bekannt sein, daß die Nachricht gerade für Japan besonderes Interesse hatte, und es wäre eine ganz selbstver ständliche Forderung derLoyalität gewesen, daß „Reuter" die von ihm anaestiftete Verwirrung sofort durch Ueber- mittelung der Richtigstellung beseitigt hätte. Weshalb das in Japan nicht geschehen ist, darüber wäre eine Erklärung außer ordentlich wünschenswert; erfolgt sie nicht, so wird man an nehmen müssen, daß diese falsche Meldung und die nachherige Unterlassung der Richtigstellung zu einem planmäßigen System gehören, das darauf hinausläust, die deutsche Politik bei anderen Staaten unter Anwendung gleichviel welcher unlauterer Mittel anzuschwärzen und zu per- d ä ch t i g c n. Lin neuer Riefenbahnban im asiatischen Ruhland. Trotz der Opfer, die der furchtbare Krieg im fernen Osten dem russischen Reich auserlegt, findet man es doch an der Zeit, das Projekt einer turkestanisch - sibirischen Bahn zum Gegenstand von Negierungsverhandlungen zu machen. Schon vor 40 Jahren hatte man die Absicht^ die heutige trans sibirische Strecke von Ssaratow über Lsemipalatinsk und Minussinsk nach dem Amur zu legen, strategische Erwägungen aber waren es, die schließlich für die nördliche, kürzere Strecke den Ausschlag gaben. Strategische Gründe sind es auch heute wieder, die das Projekt einer Verbindung von Tomsk nach Turke st an aufkommen lassen. Es ist die von Indienher drohende englische Gefahr, die man durch das Bahn projekt zu bekämpfen strebt. Eine Rentabilität wird die Strecke, trotzdem sie durch die rcickum Landschaften des Altai- gebrrges gehen soll, kaum haben. So grandios auch das Pro jekt dieses neuen Riesenbahnbaues sein mag, so muß doch die Frage aufgeworfen werden, ob Rußland nicht besser tun würde, ein europäisches Eisenbahnnetz weiter auszu- xiuen. Mancher reiche Landstrich harrt da noch der Er- chließung durch die Bahn. Auch in den beiden Kommissions itzungen mögen solche Erwägungen dazu geführt haben, daß von 18 Regierungsvertretern sich nur 8 für den Bahnbau aussprachcn. Freilich die dritte Sitzung war eine nichtöffent liche, da in ihr die strategische Bedeutung der tur- kestanisch-sibirischen Bahn behandelt wurde. Und diese mili tärischen Gründe werden wohl auch hier wieder den Ausschlag geben, sehr zum Unsegen für die russische Volkswirt- schäft. Tinziebung -er koreanischen Gesan-tschasten. Der «Köln. Ztg." wird aus Soeul berichtet, daß tatsäch- lich durch kaiserlichen Erlaß vom 5. April die Einziehung der koreanischen Gesandtschaften im Auslande genehmigt worden sei. Die Führung der Geschäfte werde den diplomatischen Ver tretern Japans übertragen; nur ein koreanischer Sekretär werde den japanischen Gesandtschaften bcigeaeben. Ebenso habe Japan die Verwaltung des Forstwesens schon über nommen. In Soeul, Tschcmulpo, Fuson und Geni'an sollen Forstämter erster Klasse, an anderen Plätzen solche dritter Klasse errichtet werden. Das Personal werde je zur Hälfte ans Japanern und Koreanern bestehen. Vie Lösung -er jperssnensrage. Aus Petersburg meldet eine Depesche, die der sal - scheu Alternative Noschdjestwensky-Birilew ein Ende macht, die Ernennung Birilcws zum Flottenchef im Stillen Ozean sei vom Zaren bereits unterschrieben und werde dieier Tage veröffentlicht werden. Birilcw ist, wie nunmehr gesagt wird, an Stelle ^krydlows ernannt, dessen Posten bis heute seit seiner Rückberufung unbesetzt geblieben ist. Ter Kommandant von Wladiwostok wird Birilew unterstellt werden, um Zwistigkeiten, wie sie seinerzeit in Port Arthur zwischen Stössel und Wiren bestanden, zu vermeiden. Feuilleton. u) Und es erhob slch ein Sturm. Erzählung von ElisabethMöhrtng. -tachdruck verbalen. In dieser Nacht stand Mutter Jessen vor Marret, deren Augen schon so tief im Kopfe lagen wie die einer Toten und rief sie aus ihrem kümmerlichen Schlaf. „Nu will ich dich nich mehr quälen, mein Dcern — nu, wo ich so gute Nachricht habe, nu muß er ja wohl spätestens Sonntag kommen. Bei Witwe Lenzen hat er ein Zimmer gehabt, wenn er für einen halben Tag oder eine Nacht an Land war und da können wir ja auf ihn warten." Und alle halbe Stunde sagte die Alte dasselbe, und dabei griffen ihre alten steinernen Hände fest nm Marrets Handgelenke. — — — — — — — — Als Hannes Rickmers die Hände hebt, um die Ge- meinde zu segnen, geht Marret auS ihrem Stuhl und öffnet die Tür von St Johann weit, daß ihre» Vru- ders Worte auf frommen Schuhen über die Dünen und das Drödersieler Watt laufen und weit in das Meer, über das die tansendfüßigen grau geflügelten Segel kriechen. Tonst hat Marret das nie getan, und sie weiß nicht, warum sie e- heute tut. ES schrie die Angst auS einem Nebelhorn so laut vom Meer herüber in ihre An dacht hinein, daß sie von ihren weihen Händen aufsah. Da schritt der junge Lehrer, dessen Frau nicht sterben kann, durch die schmale Tür der Sakristei, und das Kupfcrgeld in dem verblaßten lila Klingelbeutel schlug ängstlich mit Mutter JesscnS Taler zusammen, der an diesem Ort auch nicht mehr galt. Und wieder brüllte der Tod aus dem Horn, und der Lehrer sah sich um auf der Schwelle der kleinen, heiligen Kammer, wo die Kranze für die Verschollenen hingen. Da stand sie auf unter dem Zwang dieser Augen, die wie entsetzte Hellseher über die Betenden hinstierten. Die Brödcrsieler Franen gingen an Marret vorüber und sahen sie an, und Fresine Terrenscn blieb bei ihr stehen. „So schöne Nachricht, waS? Vater sagte, daß Ihr Mann sehr gut ein eigenes Schiff haben könnte oder selbst eine Reederei anfangen. Glück wie er hat. Geht es Frau Jessen wieder gut? Unser Knecht meint, dah sie viel älter aussche. Aber was die Sehnsucht macht, kann man auch an Ihnen sehen." Da kam eine Frau quer über den Kirchhof gelaufen und bei Erik Ebertens Grab sctjöpftc sie Atem Es war die Frau, die des Lehrers Haushalt besorgte, und sie schrie: „Er soll »un nicht erst die Klingclbeutelpfennige zählen. Die Picrtelstunde, die seine Frau noch zu leben hat. Der Tod streicht ihr schon daS Gesicht schmal und grau, aber an den Mund kann er noch nicht, der jammert noch nach dem Mann." Und damit war sic schon auf dem Kirchensüll, über den Hanne» Rickmers schritt, die Bibel fest am Herzen und den Hals steif, aber die Augen voll ängstlicher Fragen. Und Marret wich vor diesen Augen zur Seite. „Marret!" Ta mußte sie doch hcrantreten. „Marret, ich wollte dich noch sprechen in diesen Tagen." „Ja, du weißt auch nicht aus noch ein, was? und Luise?" „Ter habe ich nichts gesagt. Du hast recht, das ist etwas zwischen dir und mir zwischen zwei Rickmers. Aber ich kann nicht finden, daß meine Schuld so groß ist." Und als Marret schwieg, fuhr er fort: „Was sollte denn auch werden, Marret? Unter fremde Leute paßt du nicht. Und Jes hat dich so lieb. Glaubst du, daß Luisens Liebe mir leicht zu tragen war? Aber die Liebe, die wir Rickmers uns zurecht träumen, konnte nicht einen Tag und eine Nacht lang auf der Welt cinhergehcn, so feine weiße Füße hat sic." Weil sie gar keine Worte hatte, ging er. Fresine TerrensenS rotes Sonntagskleid flatterte zwischen den Gräbern. Und Hannes Rickmers Talar machte manchmal einen schwarzen Strich durch das luftige Kleid, wenn der Wind ihn seitwärts schlug. „To hat man das also als Last zu tragen?" dachte Marret und sah dem roten Kleid nach, das nun nur noch wie eine kleine Flamme unter dem schwarzen her- vorlecktc. Und Marret brachte das rote und das schwarze Kleid mit ihren Gedanken in Verbindung. „Gesine Dynsen aber wollte die Last nicht tragen und quälte Gott, sic von ihr zu nehmen. Und Gott tat cs. Aber nnn hatte sie den Stein im Hause. Ich habe keinen Stein auf der Diele, aber es wohnt Vater Swenson auf dem Flur, und die alte Frau schläft neben mir. Lieber wäre mir schon der Stein. Nein diesen Stein auch nicht! Lieber Jes, viel lieber JeS, und wenn es eine Last ist, so will ich eS tragen." Und sie mnrmeltc vor sich hin die Worte aus dem Briefe ihres Mannes: „Ich laß mir nicht den Mund mit Scewasscr stopfen, Marret. Und wenn dein Gebet so ist wie das von Gesine Dynsen, wird dich Gott strafen wie jene. Und ich lasse mir den Mund nicht mit See- wasser stopfen." Kein Mensch war auf dem Kirchhof. Vielleicht strich die Seele der sterbenden Lehrerfrau an den grauen Sandsteinen vorüber, nnd Marret rief laut wie unter dem Zwang eines anderen Willens: „Jes!" Als sich der Name in Wind und Nebel bei den Toten verlor, hörte sie ihren Namen aus dem Prediger garten rufen, und cs war Jakob, der kleine Kurzfuß. der sic rief: „Marret, du sollst machen, daß du zu TerrensenS kommst, die fahren in die Stadt und wollen Frau Jessen und dich mitnehmen, weil Sonntags die meisten Schiffe ankomw.cn." Witwe Lenzen brach ihre zweite Kaffceichncckc mitten durch und sagte: „Wenn ich das gewußt hätte, würde ich mich darauf eingerichtet haben, Mutter Jessen. Na, man ran. Und
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