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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.08.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-08-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940813026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894081302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894081302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-08
- Tag1894-08-13
- Monat1894-08
- Jahr1894
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Bennigsen und Hammacher, begeht auch der dritte ausgezeichnete Sprößling des männergescgnetcn ZahreS 1821, 'Arthur Hobrccht, den siebzigsten Geburtstag in mitten einer durch die Jahre nicht geminderten reichen Wirksam keit. Diese drei Siebziger repräsentiren den ganzen deutschen Norden, ein glücklicher Umstand für eine Partei, deren Streben und natürliche Aufgabe eS ist, die Summe der nationalen Kräfte aller deutschen Territorien zu ziehen. Zu dem Rheinländer und dem Hanoveraner trat in dem West- Preußen Hobrccht der Man» VeS Ostens, der glänzendste und einer der letzten Vertreter der hohen geistigen und politischen Bildung, die diesen heute mehr und mehr inS Dunkle tretenden Theil des Baterlandes dereinst ausgezeichnet hat. Arthur Hobrccht ist später in das große politische Leben eingetreten, als seine Altersgenossen in der Partei, aber in der Pflege dcS deutschen und liberalen Gedankens ist er auch zeitlich nicht hinter ihnen zurückgeblieben. Schon von dem KönigSberger Studenten ist dezeugt, daß er, den Mittelpunkt eines Kreises bochstrebender Jünglinge bildend, ein glühender und forlreißeiiber Träger der deutschen Ideale gewesen ist. Die ideale Auffassung des Lebens und der Politik ist dem Gefeierten lreugeblicben und die Verwaltungsthätigkeit, der er sich nach dem Ab schluß seiner Studien widmete, hat ihn im Streben nach hoben staatlichen Zielen nur zu bestärken vermocht. Diese bereits in unserer heutigen Morgenausgabe erwähnte Wirk samkeit stellte den Jubilar in die Reihe der ersten Bürger meister einer an ausgezeichneten Stadtverwaltern wahrlich nicht armen Zeit. Wenn insbesondere die junge Reichs hauptstadt befähigt wurde, sich ihrer, von einer unerhörten Bevölkerungszunabmc begleiteten Erhebung an die Spitze der deutschen Städte würdig zu erweisen, so ver dankt sie diesen durch die Umstände erschwerten Erfolg vor Allem ihrem Oberhaupte zu kritischer Zeit. Patriotische Lpferwilligkcit bewog Hobrccht, dieses dankbare WirkungS- aebiet im Jahre 1878 zu verlassen. Die Finanzpolitik deS Reiches und Preußens Halle sich als verderblich und unhaltbar herausgestellt, eS bedurfte eines Mannes, der den Mutb hatte, von dem Lande die Erschließung neuer Hilfsquellen zu fordern. Hobrccht unterzog sich dieser Aufgabe, indem er als Nachfolger Eamphausen's das preußische Finanz ministerium übernahm. Meinungsverschiedenheiten überNebeu- umstände der Finanzreform verhinderten Hobrccht an der Durchführung des Werkes, er schied nach wenig mehr als Jahressrist aus dem Amte, um seine Kräfte der Volksver tretung zu widmen. Außerordentliche Begabung, sicherer Takt und die unbegrenzte Hochachtung von Freund und Gegner sicherten ibm auch auf diesem Felde einen vordersten Platz. Das preußische Abgeordnetenhaus — dem Reichstage gehört er zur Zeit nicht au — erblickt in dem staatSmännisch denkenden, vornehm handelnden nnd mit edler Bered samkeit ausgestalteten Abgeordneten seine Zierde, und die nationalliberale Partei dieses Hauses verehrt in ihm ibren durch weises Maßhaltcn wie Festigkeit gleich aus gezeichneten Führer. Das umfassende Wissen und die reiche Erfahrung, die der einstmalige Berwaltungsmcknn gebäuft, stehen in weit höherem Maße im Dienste der Gesetzgebung, als das parlamentarische Auftreten des nicht häufig Redenden vermuthen läßt. Insbesondere sind Hobrecht'S Verdienste um die große Verwaltungsrcforin der neuesten Zeit, die Land gemeinde-Ordnung für die östlichen Provinzen Preußens, nur einem engere» Kreise bekannt geworden. Eine harmonisch auSgestallcte Natur, wendet er über daS politische Leben hinaus warmen Antheil allen geistigen Regungen zu, wie er denn selbst durch literarische Bethätigung in den Kreis der künstlerisch Schaffenden getreten ist — ein GeisteSritter in jedem Betracht. Möge sein blankes Gcwaffcn dem Vater lande noch lange unversehrt erhalten bleiben! Der jetzige Reichskanzler hat bekanntlick bei seiner Vertheidigung dcS Zedlitz'schen Schulgesetzentwurss gegen die liberalen Gegner dieses Entwurfes einen Vorwurf ge schleudert, der im Grunde nichts Anderes behauptete, als daß der Liberalismus der Vater des Atheismus sei. Von diesem Vorwurfe zu dem andern, der Liberalismus sei der Vater des Anarchismus, ist nur ein kleiner Schritt. Es kann daher auch nicht befremden, daß der letztere Vorwurf in zahlreichen gegen den Anarchismus gerichteten Broschüren in allem Ernste erhoben wird. Eber kann es befremden, Laß gerade die „Norddeutsche Allgcm. Ztg." wenigstens einen Theil dcS Liberalismus gegen diesen Vorwurf in Schutz nehmen zu müssen glaubt. Sic schreibt nämlich in der Be sprechung einer solchen Broschüre: „Wir möchten gegenüber dieser jetzt häufig begegnenden Anklage doch betonen, daß wir andererseits ohne den Liberalismus — oder was die Gegner zeitgemäßer Reformen so zu nennen pflegten — vielsachnoch in Zu ständen stecken würden,die beute soziemlich Jedermann perhorrescirt. Auch wird wohl kaum eine politische Grundanschauung namhaft gemacht werden können, mit der inan nicht, wenn das Princip, einseitig und ohne jedes Compromiß, bis in die letzten Conscquenzen getrieben wird, „am Rande deS Ab grunds" anlangt. Und endlich liegt es nur zu nahe, die Charakte- ristik auf jede Partei, die sich, mit irgend einein Zusatz „liberal" nennt, zu beziehen. Gleichwohl begeht man einen handgreislichen Jrrthum, wenn man in allen diesen Parteien nur die getadelten „liberalen" Anschauungen voraussetzt und in denen, die sich im Besitz der conservativen Firma befinden, nur wirklich konservatives Wesen und dessen Bethätigung sucht. Man läuft, wen» man mit dem Begriff „Liberalismus" operirt, ohne den Vorbehalt, daß sich die Definition nicht nothwendig und nicht in ganz genauen Grenzen i»it den überkommenen Parteibezeichnnngen deckt, Gefahr, die neuerdings in starkem Maße eingerissene und überaus bedenkliche Verwirrung der politischen Begriffe noch zu steigern." Damit soll wenigstens dem wirklichen „Liberalismus", der diesen Namen durch die Thal verdient und nicht Radikalis mus mit Liberalismus verwechselt, das Zugcständniß ge macht werben, daß er gerade eS gewesen ist, der Zu stände beseitigt hat, die dem Anarchismus Nahrung hätten geben können. Gerade gegen diese entschiedensten Gegner des Zedlitz'schen Entwurfes, die nicht Zustände hcrbeigesührt sehen möchten, welche den Agilalivncn der radikalsten Gegner jedes kirchlichen Einflusses auf die Schule hätten Vorschub leisten müssen, wendete sich aber der Vorwurf des Reichskanzlers, der die Gegner schaft gegen reactionairc Maßregeln mit Begünstigung radikaler Forderungen verwechselte. Hat Graf Eaprivi sich jetzt zu einer andern Ansicht bekehrt und beginnt er einzuseben, daß gerade der gemäßigte Liberalismus durch sein Drängen nach vorsichtiger Beseitigung überlebter Einrichtungen dem RadicaliSmuö die schärfste Waffe aus der Hand windet? Leider fehlt auf diese Frage die Ant wort, da Niemand weiß, ob Graf Eaprivi weiß und billigt, was die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" tliut und sagt. Wir schrieben gern die eben citirte Auslassung auf sein Conto; nachdem aber die zweifellos kanzlerisch-ofsiciöse „Franks. Ztg." die Angriffe der „Nordd. Allgem. Ztg." als eigenstes Fabrikat dieses Blattes bezeichnet hat, wird man eS Niemandem ver denken können, wenn er auch die jetzt an den Tag gelegte bessere Einsicht in daS Wesen des Liberalismus auf das Conto der „Nordd. Allgem. Zeitung" schreibt. Auf der galtztschc» Landesausstellung in Lemberg vollzog sich dieser Tag in Privater Form ein Act von einiger politischer Bedeutung. Es handelt sich um den Besuch der Ausstellung durch die ungarischen Mi nister. Diese kamen zwar in keiner Weise als ofsicielle Persönlichkeiten, aber ihre Anwcsenbeit wurde alsbald von dem officicllen Galizien mit großer Genugtbuung zur Kennt- niß genommen und letztere durch einige Festlichkeiten zum Ausdruck gebracht, über die der Telegraph bereits berichtet bat. Die Herzlichkeiten, welche in den beiderseitigen Reden widerklangcn, machten sich auch bei der Abreise der Minister geltend. Graf Stanislaus Badens brachte die „im Herzen jedes Polen tiefwurzclndc Sympathie für die ungarische Nation" zum Ausdruck, und Ministerpräsident Or. Wekerle antwortete mit der Ver sicherung der freundschaftlichen Gefühle, die Ungarn für Galizien hege. Besonders bemerkt werden dürste die Aeußerung deS erstgenannten Redners, welcher daran erinnerte, daß „die Polen und die Ungarn im vollen Bewußtsein der ihnen durch die Geschichte überlieferten Aufgabe sich immer zusammcn- ffnden, wo es gilt, für die Großmachtstellung der österreichisch-ungarischen Monarchie einzutrcten und für dieselbe keine Opfer zu scheuen". Sehr beachlens- werth ist auch, was der „Dzicnnik Polski" zu dem Besuche schreibt: „Polen und Ungarn haben der Hochherzigkeit des Monarchen ihre politischen, nationalen und civiiisaloriiäicn Errungenschaften zus verdanken. Den ungarischen Ministern gebühre seitens der Polen ausrichliger Dank dafür, daß sie ihr Interesse für das pol nische Nationalfest manifcslirt haben. An diesem Nationalseste, hätte man glauben sollen, würden schon Wege» der Stammes- vcnvandtschasl Tausende von Slawen sich betheiligen: in Wirklichkeit aber kamen hierher zuerst die deutschen Abgeordneten, die durch Talent, Wissen und Stellung hervorragen, und ihnen sind die ungarischen Minister gefolgt. Bald werden in größerer Zahl Gäste aus Ungarn eintreffen, wogegen von einem Besuche der slawischen „Mitdriidcr" keine Spur ist. Diese Enttäuschung seitens der Stanimesverwandtcn und das sreundschastliche Entgegenkommen von Seite der Deutschen und Ungarn werde» die Polen sicherlich im Gcdächtniffe behalten, und wer weiß, ob diese Erinnerung nicht auf die politischen Vorgänge entsprechend einwirken werde." Ja, wer weiß! Vor etwa vierzehn Tagen waren Dcle- girte der Polen aus Preußen in Lemberg, und was da eredct wurde, klang ganz anders, als die VersöhnungS- ymnen beim Besuch der ungarischen Minister; da war die Parole: rücksichtslose national-polnische Propaganda in Galizien und Schlesien nach preußischem Muster, da handelte es sich nur um ein Ziel: die Wiedererrichtung Großpolenö In Amsterdam haben zwei hervorragende Führer der holländischen Socialdemokraten, I)r. VituS BruinSma und van Zinderen Baller, die namentlich im Norden des Landes großen Einfluß hatten, ihren Austritt aus der Partei gemeldet. Wie van Zinderen Bakker im „Friesischen Volksblatt" erklärt, wurde er dazu durch das revo- lutionaire, anarchistische Treiben einer Masse veranlaßt, welche für ein ideales Zusammenleben noch gar nicht reif ist und von Menschen geleitet wird, die keinen Begriff ihrer Pflicht und ihrer Verantwortlichkeit haben; der Socialdcmokralische Bund würde daher besser thun, sich offen und ehrlich den Namen Anarchistischer Bund beizzulegen. Dann^wird dem fanatischen Expredigcr Tomcla Nieuwcnhuiö ein Sündenregister vorgehalten, so scharf und so sachlich, wie eS noch keiner gethan, was sich eben nur da durch erklären läßt, daß Bakker durch jahrelangen Umgang seinen Mann genau kannte und ihn in den versckiedcnskc» Lagen und Verhältnissen zu beobachten Gelegenheit batte. Da der Domcla NieuwenhuiS vorgehaltene Spiegel auch das wohlgetroffeno Bild vieler anderen Parteihäuptcr ohne Rück sicht auf die 'Nationalität zurückwirst, so mögen die bezeich nendsten Stellen hier folgen: Domela's Sündenregister besteht darin, „jede Missethat des Individuums auf Rechnung deS Systems zu setzen, weiches dasselbe so gemacht hat; sich Freidenker in religiöser Hinffcht zn nenne», aber Fanatiker in dem Glauben an eine Zusammensetzung der Gesellschaft zu sein, wie man sich dieselbe in seinem Kopfe ausgedacht hat: mit ausgerissenen Augen nach den Sternen zu blicken, die reißende Fluth aber, die bald bis zu den Lippen kommt, nicht zu bemerken; über Brüderlichkeit und Menschentiebe zu schein, aber Haß und Erbitte- rung gegen jeden, der anders denkt, zu säen: nichts zu thun, um frei von Kritik zu bleiben, aber andere zu verdächtige», wenn diese prak'isch thätig sein wollen; über Blut und Rache fortwährend zu schw itzen, aber zu feige zu sein, um laut zu bekennen, daß i»a» zu den Männern der That gehöre; Apostel heißen zu wollen einer Lehre, welche die Menschheit zu einem harmonischen Ganzen zusammensassen würde, aber gehässiger und unduidsamer zu sein als ein Ketzerrichter des Mittelalters: init den Lippen den Satz zn ver künden: „Wer von euch der größte sein will, muß alle» dienen können", aber mitleidlos alles niederzutrelen, was der eigenen auf geblasenen Sinnesläuschnng im Wege steht; die Losung „Jedem das Seine" im Munde zu führen, aber gelegentlich mehr zu nehmen, als man verdient; sich großer Worte zu bedienen, aber andere, die über das Wie? und Warum? Nachdenken, lächerlich zn machen; die gesellschaftlichen Einrichtungen der Gegenwart zu beschimpfen, aber nie einen praktischen Vorschlag zu ihrer Besserung zu machen: in einem neue» Hause wohnen zu wollen, aber zu träge zu sein, um die Baustoffe herzustellen; in diesem Hause ein üppiges Leben zu führen, aber den Arbeiter, der die Mittel zum Genuß beschafft, zu beschimpft»", van Zinderen Bakker, der früher einer der überzeugtesten und feurigste» Socialdeniokraien gewesen ist, läßt sich jetzt zu dem Gestündmß herab, daß, ebenso wenig wie seinerzeit Constanti» das Lhrislenthum mit Gewalt einsuhrc» konnte, es jetzt möglich sein würde, aus revolutionärem Wege eine ideale Gesellschaft zu gründen, und kann schließt er mit den Worten: „Gesetzt, es gelänge, den vermeintlichen Feind (das Capital) zu über wältigen, so würden doch der Egoismus, die Eitelkeit und die lln- einigkeit derer, welche die Freiheit erobert haben, die Ursache werden, daß man einer neuen Sclanerci, und zwar noch einer viel schlim meren, als der vorigen, anheiinfiele." van Zinderen Bakker vcr- sichert, daß die Zahl derjenigen Sociatdemokraten, die ebenso denken, wie er, eine sehr beträchtlich« sei. Die französischcn Geschworenen der Seine baden dem großen Anarchistenproccß einen nicht unerwarteten Ab schluß gegeben, indem sie fast sämmtlichc Angeklagte, als der Bildung einer Vereinigung zur Ausführung von Verbrechen nicht schuldig, sreisprachen nnd nur zwei Angeklagte wegen Dieb stahls und einen wegen verbotenen Waffentragens vcrurtheiltcn. Die Geschworenen haben sich dabei streng an die Ausführung« bestünmung deS neuen Anarchistengesctzcs gehalten, »ach welcher nicht die Theoretiker dcS Anarchismus, sondern nur die Anbänger der Propaganda durch die That von dem Gesetz getroffen werden sollen. Die Angeklagten, die in erster Linie in Betracht kamen, also Grave, Fanre nnd Fencon, leugneten nicht nur jeden persönlichen Zu sammenhang mit den Mord- und DiebeSanarchistcn, sondern bestritten auch, je zu Gewaltthaten aufgcsordcrl zn haben, nnd eS scheint dem Generalstaatsanwalt Bulot nicht gelungen zu sein, aus den Schristen und Reden der An geklagten den gegentheiligcn Beweis zu führen. Jedenfalls aber hat er in sehr geschickter Weise das logische Band auf- Feuilleton. »I Sein Weib. Roman frei nach dem Englischen von Emil Bernfeld. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Sie hatte in den verflossenen beiden Wochen Zftit gehabt, Ruhe und Festigkeit zu gewinnen und war dem entscheidenden Momente heute mit Festigkeit gcgenübergctreten. Früh halte sie sich von ihrem Lager erhoben, der Gedanke an daS, was sich heute vollziehen sollte, das bedrückende Gefühl, daß der letzte Tag ihrer Freiheit erschienen sei, hatte sie nicht ruhen lassen. Aber mit der Entschlossenheit war zugleich auch ein gewiffer Mutb, den Kampf auszunehmen, ein gewisser stolzer Trotz über sie gekommen. Sie wollte ihre Rechte, die ihr geblieben, auch wabrnchmcn und verthcidigcn, sie wollte eigen, daß sie sich nichts von ihnen rauben lasse, noch gewillt ei, auck nur um eines Haares Breite von der strengsten Behauptung des Standpunktes abzuwcichen, de» ihr der Eontract cinräumte. Sie wußte jetzt, daß nickt HumphreyS der ihr aufgedrungene Gatte sei, und war gewillt zu ver meiden, daß von diesem letzteren auch nicht ein Blick auf ihr Antlitz falle. Sie kleidete sich einfach, unscheinbar an und befestigte einen dichten Schleier an ibren Hut, der ihr Gesicht beim Kommen, bei der Eeremonic und beim Gehen verhüllen sollte. Nichts weiter als eine Namensunterschrift, die ihr formell den Namen deS verhaßten Gatten gab, war man von ihr zu fordern berechtigt, und nichts weiter war sie ent schlossen zu geben, — sprach hierbei außer dem Entschluß, starr den Standpunct des ContracteS innezuhallcn, noch etwa» in ihr mit, so war eS die mädchenhafte Scheu, der mädchenhafte Stolz, der ihr trotzig den schützenden Schleier vor das Gesicht drückte. Der alle Schreiber kam, um sie zur Magistratur abzu- holen, aus der die Eheschließung stattsinden sollte, und sie ging mit ihm. Der doppelt genommene Schleier bedeckte ibr Gesicht, der Hut der frommen Schwester Serene, den sie zu dem Gange entliehen, umschloß ihren Kopf aus allen Seiten bis zum Kinn, ein dunkler anschließender Mantel umgab ibren Körper bis zum Halse, um den ein leichte» buntseidene» Tuch, da» einzige freundlichere kleine Toilettenstück, welche» da» Düster der streng verhüllten Erscheinung eia wenig unter brach, geschlungen war, — eö kam ihr vor, und dieser Gedanke hatte sie geleitet, als trete sie ihren Feinden in Rüstung und mit geschloffenem Visir gegenüber. Auf dem Bureau der Magistratur angelangt, erschrak sie einen Moment heftig, alles Blut in ihr strömte zu ihrem Herzen und ihre Kräfte schienen sie verlassen zu wollen, als sie in deni Halbdunkel des Gemachs seitwärts zwei Männcr- gestalten bemerkte — zwei Männer, von denen der eine der ihr bestimmte fremde Gatte sein mußte. Im nächsten Augen blicke balle sie ihre Fassung wieder gewonnen. Es war ja „GesckästSsache", was hier vor sich geben sollte, eine „bloße Geschästssache", hatte man gesagt, und nicht anders wollte sie eS nehmen — was gingen sie jene Männer an, gleichviel welcher von Beiden ihr Gatte war, den sie nie Wiedersehen wollte. Das niedere Zimmer mit den kleinen Fenstern nach dem Hofe hinaus lag an dem trüben nebligen Tage in dusterem Zwielicht; auf dem Tische vor dem Beamten brannte eine einsame Lampe. Ivan, die mit abgcwcndetem Kopfe einsam seitwärts neben dem alten Humphreys stand, sah, wie der größere der beiden Männer vorschritt, an den Tisch trat und dort seinen Platz als „Bräutigam" nahm — eine Aufforderung des Beamten rief sie gleichfalls an den Tisch — an die Seite des fremden Mannes. Sie erschrak, aber sic gehorchte fest. Sic trat an den Tisch, an die Seite deS Fremden, der sie mit einer leichten Verneigung grüßte, ohne den Blick auf sie zu richten, ohne neugierig oder zudringlich zu versuchen, die Hülle, die ihr Gesicht bedeckte, zu dnrchdringen. Maschinen mäßig stellte der Beamte seine Fragen nach dem Namen und Beide beantworteten sie; maschinenmäßig bezeugte der alte umphreys Ivans Identität und der andere Fremde, der sich nwalt Mr. Owen Markham nannte, diejenige dcS Mannes an ihrer Seite: Mr. Folconer Thrales. Ioan zog den Schleier nicht fort, und Niemand forderte sie dazu auf, sie legte nur den Handschub der rechten Hand ab, um mit ihr die Feder zur Unterschrift führen zu können. Dann, als der Mann neben ihr diese Hand mit losem Griff erfaßte und, den Ring auf ihren vierten Finger schiebend, eintönig die bekannten Worte hcrzusagcn begann: „Ich, Falconer Tbrale, nehme Dich» Ioan Brownell, zum Weibe, u. s. w.", schrak sie von Neuem zusammen und e» überkam sie rin Gefühl, als vermöge sie nicht zu unterscheiden, ob sie in einen Traum verfalle oder socbcik au» einem Traum erwache. Fast unfrei willig blickte sie empor und durch den dichten Schleier aus den Mann hin, der ihre rechte Hand irr der seinen hielt und an ihrer Seite die bindenden Eheworte sprach, und ein Auf- blitzcn des Erstaunens über das Unerwartete, daS sie sah, verdrängte auf einen Moment jedes andere Gefühl in ihr. Das war kein verknöcherter, alter Mann dort »eben ihr, eö war ein schönes, edles, junges Männergesicht, eine jugendlich elastische, große, schlanke Männergestalt, eine stolze Haltung, ein flammendes Auge; seine ruhige, feste Stimme klang sonor und sympathisch, an ihre Hand pulsirle es warm und kräftig von der seinigcn, die sie umfaßt hielt. Sie war verwirrt und wendete hastig den Kops ab, ihren Theil der Eeremonic nur mechanisch vollziehend, fast nicht wissend, was sie that. Als der kurze, schmucklose Act vorüber war, neigte sie sich leicht zum stumme» Gruß an den Beamten, trat in die Tiefe dcS Zimmers zurück und glitt hinaus, ohne ihren Blick noch auf einen der Anwesenden zu richten, und ohne von diesen, die sich stumm zurückhielten, durch einen neugierigen Blick belästigt zu werden. » * » In dem Bureau Markham's in GrayS Inn befanden sich die beiden Freunde allein. Der junge Advocat stand, die Arme aus dem Rücken, nachdenklich vor sich binblickcnd, seit wärts an dem Kamin, an den er sich mit der Schulter lehnte; Falconer saß, die Beine vor sich ausgcstrcckt, den Oberkörper zurückgelehnt, die Arme aus der Brust verschränkt, gleichfalls sinnend in einem Fauteuil. Eine kurze Zeit de» Schweigens verging. Dann richtete Tbrale sich, wie um düstere oder mißmuthigc Gedanken abzuschütteln, plötzlich empor und wendete sich an seinen Freund. „Alles in Allem", sagte er mit Gleichmüthigkcit, „ist die Sache besser vorübergegangen, als ich erwartete. Keine unnützen Fragen, keine Scene irgend welcher Art. Sehr gut so!" „Ich muß gestehen, daß sich daS junge Mädchen nach Lage der Dinge mit vielem Tact benommen hat", bemerkte Markham nachdenklich. „Es war eine peinliche Situation — mir selbst wurde bald kalt, bald heiß". „Pah! Du bist nervös! Frauen sind e» nicht, wenn sie klug sind l — Aber, apropos, hast Du meine — meine Gattin wiedergeschen seit jenem ersten Tage in Winnats?" „Nein. Humphreys handelte als mein Beauftragter. Er hat mit ihr verkehrt." „Gleichviel. Du hast sie immerhin mehr gesehen als ich. Kein Blick auS meinem Auge konnte aus ihr Gesicht fallen — hast Du'» wohl bemerkt ? Beim ZeuS, ich werde meine Frau nicht grüßen können, wenn ich ihr begegne, weil ich sie nicht kenne. Drollig, he?" „Sic hat Dir ein Paroli geboten, in der That. Es gefiel mir von ibr. Diese tiefe Verschleierung war die beste Form, die sie wählen konnte." „Und mir ganz recht. Ich hatte gelobt, sic nicht zu sehen, und sie hat mir die Cache leicht gemacht. Es ist am besten so. Ich kenne sie nicht nnd ich hoffe, sic wird fortsahren, mich nicht zu kennen, wie cs unser Eontract crbcischl. Ich habe nichts mit ihr zu schaffe», wie sie nichts mit mir. Der Sachwalter, den sie mit Erhebung ihrer Rente und Ver waltung derselben beauftrage» mag, steht zwischen uns und erschöpft jeden weiteren Verkehr. Ich würde ekcr da« ganze Vermögen in der Zeit, die mir blieb, vergeudet, als ein anderes Arrangement getroffen habe», daß man mich mciiieö Besitzes, und, was mehr ist, meines Ncchtö beraubte!" Markham schüttelte sinnend den Kops. Er hätte streiten, zornig werden können, wenn nicht sein sorschcndcr Blick, den er verstohlen auf seinen Freund geheftet dielt, ibm gezeigt, daß in dessen Augen, in dessen Miene» ein Ausdruck gehcimcu Kummers, unterdrückten Schmerze« lag, der seine glcich- giltigcn, «chnischcn, wie seine trotzigen Worte bitter Lügen zu strafen schien. „Tbrale", sagte er nachdrücklich, „Du solltest offener gegen mich sein." „Offener!" warf Falconer mürrisch hin. „Thorhcit! Wie ein jammerndes Weib oder ein erboster Schulbube zu Dir schwatzen und erzählen von Dinge», die mir das Lebe» ver gällen und für Dich kein Interesse haben, da Du inckls an ihnen ändern kannst! Laß sic ruhen! Es ist mir verhaßt, bei ihnen zu verweilen!" „Die ganze Sache ist so seltsam! Diese TestamenISclauscl Deines Vater«, meine ich. Ich sollte von den Verhältnissen zwischen Dir und Deinem Vater mehr wissen, Thrale!" „Pah! Weißt Du nicht genug von ihnen? Du weißt, daß ich schlecht mit ibm stand. Kann'S Dick Wunder nehmen. Wenn Du einen kleinen Reflex davon in seinem Testamente wiedersindcst?" „Einen kleinen Refler! Don Teufel auch, jene TestamentS- clauscl ist mehr als das! Eine bloße Mißstimmung zwischen Euch, ein Nichtsympathisiren mit einander konnte nicht ge nügen zu einer solchen That —" (Fortsetzung folgt.)
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