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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980712024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898071202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898071202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-12
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage« (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abrnd-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig. 348. DienStaK den 12. Juli 1898. 82. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. ,-H> Unsere Betrachtung kann heute sehr kurz sein. Die Feindseligkeiten neigen sich ohne Zweifel dem Ende zu, und die Krisis in Spanien beginnt. Gamazo's Widerspruch im Ministerrath ist von Erfolg gewesen, das Cabinet hat nach einer Londoner Depesche abgedankt. Jetzt, wo eS gilt, noch zu retten, was zu retten ist, legen die Herren Minister ihre Aemter nieder und überlassen eS Anderen, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. DaS ist jedenfalls die leichteste Art, sich auS schwierigen Verhältnissen herauszuwickeln. Wer nunmehr der Nachfolger sein wird, ist schwer zu sagen. Die Regentin kann wählen: Silvela und Romero, Weyler und Martinez Campos, alle vier sehr angesehene Männer. Der letzte ist in vieler Beziehung erprobt, aber nach seinem eigenen Wort ist er in erster Linie Spanier, er könnte dann in zweiter trotz seines ConservatiSmuS Todtengräber der Monarchie sein. General Weyler hat gewiß bisher den Mund ordentlich voll genommen, ob aber seine in Cuba be liebte Regierungsweise den Spaniern im eigenen Lande ge fallen wird, das glauben wir nicht. Vielleicht würde er gern ein bischen Diktator spielen, ein zweiter Prim oder Serrano werden. Die Politiker Romero Nobledo und Silvela verfügen nicht über genug parlamentarische Anhänger, und dieser An hang ist nöthig, um zu regieren. Wenn heute Gevatter Sanchez mit Romero gebt, so kann er morgen für Silvela schwärmen, und Romero sitzt bei vollem Dampfe fest. Dann functionirt das Räderwerk der Negierungsmaschine nicht und Sanchez muß seinen Willen haben und Silvela muß zum Lokomotivführer ernannt werden, so lange, bis die Mehrheit der Kammer wieder einen Andern auf den Schild erhebt oder ein Pronunciamento der Verfassung das Lebenslicht ausbläst. Vor Santiago ist am Sonntag Nachmittag um 4 Uhr wieder geschossen worden, wie es scheint, nicht mit großem Ernst. Der Telegraph berichtet Larüher: * Madrid, 12. Juli. Amtlich wird aus Havanna gemeldet: Da der Feind den Vorschlag der Räumung Santiagos abwies und eine bedingungslose Capitulation forderte, so wurden die Feindseligkeiten am 10. d. M. 4 Uhr 45 Min. Nachmittags wieder ausgenommen. Der Feind griff bei lebhaftem Ecwehr- und Geschützfeuer wieder an. Marschall Blanco befahl, den Platz aufs Aeußerste zu vcrtheidigen. Der Feind gab die vor geschobenen Laufgräben auf den Hügeln bei San Juan auf. Das Geschwader beschoß gleichzeitig die Stadt. Um 7 Uhr hörte das Feuer auf. Unsere Truppen behaupteten ihre Stellungen. Unsere Verluste waren wenig zahlreich. Ein Cavallerie-Officier ist verwundet. * AgliadorcS, 11. Juli. Die amerikanischen Schlachtschiffe „Brooklyn", „Texas" und „Indiana" begannen gestern Nachmittag kurz nach 3 Uhr über die am Ufer sich erhebenden Felsen hinweg auf Santiago zu schießen. Es war aber unmöglich, den Geschossen die nöthige Elevation zu geben, und somit sielen alle in viel zu geringer Entfernung nieder. Da weder die achtzölligen Geschütze noch die schweren Kanonen ein besseres Resultat ergaben, wurde das Feuer nach etwa einer Stunde wieder eingestellt. * New Purk, 12. Juli. Nach einer Depesche des „World" aus Washington war die Artillerie allein bei Santiago engagirt. Das Feuer war so viel wie möglich auf die FortS gerichtet, um der Flott« die Einfahrt in den Hasen zu er-1 möglichen. Die Verluste der Amerikaner sind gering gewesen. Sie verloren an Todten einen Hauptmann und zwei Gemeine, ein Lieutenant und drei Soldaten wurden verwundet. Inzwischen ist nun auch General Miles vor Santiago angekommen und hat sofort eine Besprechung mit Shafter und Sampson gehabt. Glücklicherweise hat er Verstär kungen mitgebracht, denn im amerikanischen Lager ist nicht Alles so, wie es sein sollte. Abgesehen von der Zweitheilung der Leitung, von den Krankheiten und der befestigten Stellung der Spanier, kommen auch noch andere Mängel zum Vorschein. So berichtet der Berichterstatter des „New Aork Herald", gewiß eines in dieser Beziehung einwand freien Blattes: „Noch ein solcher Sieg, 'wie am 1. Juli, und unsere Truppen müssen sich zurückziehen. Die Lage ist außer ordentlich schwierig. Die Stadt Santiago wird von sechszölligen Kanonen geschützt. Wir haben nur dreizölligc Kanonen. Die Bc- lagerungsgeschiitze sind noch nicht einmal aus den Schiffen. Es ist unmöglich, Santiago mit der Infanterie, welche jetzt aus seine Wälle schaut, zu nehmen. Tas ist ebenso unmöglich, als einen Geld- schrank mit einer Taschenpistole zu öffnen. Es würde Unwahrheit sein, die Sachlage anders darzustellen. Es hätten überhaupt gar keine Truppen ohne gehörige Menge Artillerie nach Santiago gesandt werden sollen. So lange diese nicht eintrifst, kann gar nichts geschehen. Wir blicke» einer möglichen Katastrophe ent gegen. Unsere Züge haben weiter nichts bewiesen, als den helden haften Muth der amerikanischen Soldaten. Um die Wahrheit zu reden, so wurde der Zug in Unwissenheit unternommen und mit einer Reihe von Fehlern ausgeführt. Diese Sätze schreibe ich einzig zu dem Zwecke, damit die gejammte amerikanische Presse darauf dringt, daß in Washington sofort Maßnahmen getroffen werden, die Lage hier zu erleichtern. Zuerst mutz Artillerie Herkommen. Bis dahin muß die Flotte handeln. Admiral Sampson könnte viel bewirken, wenn er Truppen und Vorräthe landete. Die Armee braucht Artillerie. Sie braucht Verstärkungen. Sie braucht Maulesel zum Transport. Und sie braucht sie jetzt." In der Zwischenzeit ist nun allerdings Manches geschehen, immerhin bleibt das Urtheil interessant. AuS Spanien liegen folgende Nachrichten vor: * Madrid, 12. Juli. Der spanische Macineminister soll erklärt haben, es sei unrichtig, daß Cervera geheime Ordre gehabt habe, den Hasen von Santiago zu verlassen und in See zu gehen, wenn er nicht Widerstand leisten könne. Cervera habe demnach aus eigenem Antriebe gehandelt. — Der fran- zösische Botschafter conferirte längere Zeit mit dem Minister des Aeußeren. * Madrid, 11. Juli. Die Meinungen über Fortsetzung des Krieges oder Friedensabschluß sind hier get heilt. In militairischen Kreisen wird behauptet, das spanische Heer auf Cuba sei noch intact und müsse deshalb Widerstand geleistet werden, selbst wenn Santiago genommen werden sollte. — Wie gerüchtweise verlautet, erhielt der Kriegsminister abermals ein Telegramm des Marschalls Blanco, in dem dieser erklärt, die kubanischen Frei- willigen seien für Fortführung des Krieges, da sie hofften, im Landkriege Erfolge zu erringen. * Port Said, 11. Juli. DaS Geschwader Camaro's ist nach Spanien in See gegangen. * Rom, 11. Juli. Privattelegramme aus Messina melden, daß die drei Torpedobootzerstörer vom Geschwader Camara's nur 180 Tonnen Kohlen dort einnahmen; es ist das eine nur für einige Tage Seefahrt hinreichende Menge. Die Kohleulieserung erfolgte durch Privat-Eiablissemenis, nicht durch die Magazine der königliche» Marine. Wie die Telegramme hinzufügcn, bekundete die Bevölkerung Messinas den spanischen Seeleuten gegenüber angesichts deren sehr würdiger Haltung lebhafte Sympathien. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Juli. Wie bereits gestern mitgetheilt worden, wird in der Ein ladung zu der vom 2l. bis 25. August in Crefeld statt findenden „45. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands", die richtiger als 45. Parteitag des (scn- trums zu bezeichnen wäre, gesagt, daß diese Versammlung in ein Jubiläumsjahr falle: „Ein halbes Jahrhundert ist seit dem Umsturzjahre 1848 dahingegangen." Diese geschichtliche Tbatsache wird zu der Behauptung ver- werlhet, „die Katholiken aller deutschen Gaue" hätten sich „in jener Zeit der Auslösung jeglicher Ordnung ausnahms los als die treuesten Unterthanen und als die unerschütterlich en Stützen der bedrohten Throne" bewährt. — Sonst pricS der UltramontaniSmuS den Katbo- liciSmus schlechtweg als „daS" Bollwerk gegen jede Revo lution; heute spricht man etwas vorsichtiger von den „Katholiken aller deutschen Gaue", weil j e d e s Kiud weiß, daß 1848 die katholischen Länder der Herd der Revolution waren. Aber auch in ihrer Beschränkung auf die deutschen Gaue zeigen sich die klerikalen Verfasser der Einladung nicht als Meister. Tenn selbst die eingeschränkte Anpreisung des Katbolicismus als des Boll werks gegen die Revolution kann vor der Geschichte nicht bestehen. Wir sehen von den Berliner Vorgängen, bei denen die katholischen Polen eine bedeutende Rolle spielten, ganz ab. Ist aher etwa König Ludwig! von Bayern nur von seinen protestantischen Unterthanen zur Thron entsagung getrieben worden? Waren eS nur Protestanten, die im Main- und Taubergrund, im Oden wald und in den N e ck a r g e g e n d e n die Rent- beamten der Standeshcrren und Edelleute verjagten, die Grund- und Zebntbücher vernichteten, Schlösser zerstörten und die Jagdrechte verletzten? Kann die republikanische Schilderhebung, die nach der Verwerfung der Reichsverfassung durch die Negierungen nicht allein in dem protestantischen Sachsen, sondern weit lebhafter in Württemberg, in der Nheinprovinz, in Westfalen und in der Pfalz entstand, den dortigen Protestanten allein aufs Conto geschrieben werden? Und wie stand eS, um von Baden ganz zu schweigen, in Wien? Schrecklichere Scenen, als die österreichische Kaiserstadt, die hoffentlich auch vom Localcomitö der 45. Kathoiiken- versammlung als zu deutschen Gauen gehörig betrachtet wird, in jenen Octobertagen deS Jahres 1848 gesehen hat, sind kaum irgendwo in deutschen Gauen vorgekommen. Wir erinnern nur an die Abschlachtung des Kriegs ministers Latour. Der rasende Hausen stöbert ihn im vierten Stock deS Ministeriums auf, schleppt ihn hinunter, zerschmettert ihm mit Hammerschlägen die Hirn schale, und nachdem Latour unter Säbelhieben und Pikenstößen sein Lehen verhaucht, reißt der entmenschte Pöbel dem Leichnam die Kleider ab und knüpft ihn an einen Laternenpfahl auf. . . Waren die Revolutionaire Wiens Protestanten? Wenn angesichts solcher Thatsachen das Crefelder Localcomit« Behauptungen wie die obige wagen darf, so erkennt man daraus, wie hoch es die geschichtlichen Kenntnisse „der Katholiken Deutschlands" einschätzt. Wir condoliren! lieber die Frage, welche Parteien außer dem Centruin im Präsidium des Reichstags vertreten sein würden, bat sich inr Anschluß an eine unnütze Bemerkung der „Mil. u. Pol. Corr." eine verfrühte, aber nicht uninteressante Erörterung entspannen. Die Bemerkung hatte gelautet: Ter neugewählte Reichstag wird gleich nach seinem Zusammen tritt stürmische Scene» erleben, weil die Socialdemokratrn das Verlange» stelle» werden, in der Leitung der Geschäfte des Hauses mit vertreten zu sein. Tas Centrum dürste diesem Anspruch in seiner Mehrheit Folge zu gebe» geneigt sein, eS wird also darauf ankommen, wie sich die Linke zu der Frage stellt, ob ein Social demokrat dem Präsidium angehüren soll oder nicht. Da der geistliche Nath Wacker aus Baden nicht in den Reichstag gewählt ist und in ter neuen Centrumsfraction die klerikalen Vertreter jener Taktik, die bei den Stichwahlen das Eintreten für socialdemokratische Candidaten empfahl, überhaupt nicht in großer Zahl auS den Wahlurnen hcrvor- gegangc» sind, so verdient die vorstehende Bemerkung an und für sich keine Beachtung; daß die Socialdemokratie in das Präsidium des Reichstags eindringt und die „regierende" Partei die Hand dazu bietet, ist ausgeschlossen. Es ist aber bezeichnend, mit welchem Eifer die „Germania" protestirt. Sie schreibt nämlich: Das Alles ist pure Erfindung und eine freche Erfindung, soweit das Centrum Labei in Betracht gezogen ist. Der „Mil. und Pc!. Corr." ist es wohl lediglich darum zu thun gewesen, mit dieser in die „nationalen" Blätter lancirtrn Notiz das Centrum zu dis- creditiren. Vemerkenswerth ist eS, daß die „D. TgSztg." keinen Anstand nimmt, die Notiz zn verbreiten, obschon sie selbst an die stürmischen Scenen nicht glauben will. Sie benutzt dieselbe aber zu der Erklärung: „Wir würden nur bedauern, wenn die conservative Fraktion eine Stelle im Präsidium annähme." Tie conservative Fraction wird aber schwerlich von der „D. Tgsztg." darüber Rath eiuholen. Der „Vorwärts" ruft „Bitte, abwartcn" und bemerkt: „Gewiß hat die Socialdemokratie nach den bisher vom Reichstag geübten Gepflogenheiten das Anrecht auf einen Präsidentensitz. Aber ob sie dies Verlangen stellen wird und wie sich die Angelegenheit dann gestalten könnte, darüber sollten sich die Herren der Presse vorläufig nicht ihre Köpfe zerbrechen, denn das Verhalten unserer Fraction kann erst fcstgestellt werden, wenn die Fraction sich versammelt hat." Es beliebt also dem socialdemokratischen Centralorgan, sich zu stellen, als ob eS die Frage als offen betrachte. In Wirklichkeit wird aber gar nichts darauf ankommen, was die versammelte Fraction beschließt. Was über die Conferenz in Wien verlautet und der Um stand, daß die deutschen Abgeordneten auf der sofortigen Aufhebung der Sprachenverordnungen beharren, machen es begreiflich, daß Gerüchte über die unmittelbar bevorstehende Demission de« Handelsministers vr. Bärnreither ver breitet waren. Es ist unzweifelhaft, daß die Stellung des I Handelsministers überaus schwierig geworden ist. Gestern Vor- I mittag wurde jedoch in politischen Kreisen in Abrede gestellt, » daß der Ausbruch einer Ministerkrise, deren sachliche Gründe Fruilleton. Lauernblnt. 29s Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboten. Er lächelte schmerzlich; was hatte ein Lebensflüchtling seines Schlages gerade diese Gegend aufzusuchen? Er sah an dem mächtigen Bauwerk empor, dessen obere Linien sich scharf gegen den Nachthimmel abzeichneten . . . sollte er ihm fluchen? Sollte er nach Art der modernen Weltbeglllcker nur im Gelde den Satan sehen, der unser Erdenleben zur Hölle macht? Nein! ob nun Gold oder Silber oder Blei oder Muschelschaalen das allgemeine Werthausgleichungsmittel bilden, so viel war ihm doch klar geworden, daß die Menschheit, so lange sie nicht in die Thierheit zurücksinken will, ein Eigenthum wird anerkennen und den Werth desselben nach irgend welchem willkürlich an genommenen Maßstabe wird abschätzen müssen; nicht auf dem Golde ruhte der Fluch, sondern auf der Leidenschaftlichkeit und bösen Lust des Menschenherzens, und dieser Fluch würde wirksam bleiben, auch wenn wir, statt mit Gold, mit den Arbeits bescheinigungen eines socialdemokratischen Zuchthausstaates unsere Bedürfnisse bezahlen würden. Er ging weiter, überschritt eine der Spreebrücken und befand sich bald auf dem großen Platze zwischen den Museen und dem Königsschlosse. Mit dunklen Fensteraugen starrte ihn der alt ehrwürdige Riesenbau der Hohenzollern gespenstisch an; Niemand schien da drinnen zu wohnen; der alte Kaiser wenigstens hauste in seinem kleinen bescheidenen Palais da drüben Unter den Linden. Hier in diesem verlassenen Gemäuer gingen wohl nur die Erinnerungen an vergangene Zeiten und Geschlechter um, oder auch die Ahnungen kommender Wandlungen und Neu gestaltungen? Und gegen diese mächtige, steingewordene Ueber- lieferung, gegen dieses gemeinsame Erbtheil eines ganzen Volkes, gegen den Ruhm und die Würde eines Jahrhunderte alten ur tüchtigen Fürstengeschlechts kämpften diese marktschreierischen Weltverbesserer an, um den Massen die Königstreue auszu treiben und ihnen den Glauben an die Erlösung durch einen zur Oberherrschaft berufenden deutschen Handwerker oder semitischen Fabrikanten beizubringen? Hatte dieser Wahn denn Aussicht auf Erfolg? Und wenn dies unbegreiflicherweise wirklich der Fall wäre, ach, wie gar bald würde sich das mit Skorpionen einer socialdemokratischen Schreckensherrschaft gegeißelte arme Volk doch wieder zurücksehnen nach dem milden väterlichen Regi- mente eines constitutionellen Königthumes? Du wirst erwachen, Du in den Wahn gelullte Menge, und Dir den Schlaf aus den Augen reiben und die Dir vorgegaukelten Ziele als Das er kennen, was sie sind: hirnverbrannte Doctrinen, kindlich-unreife Phantastereien, Ausgeburten der Tollheit oder bewußte Ver lockungen und Vorspiegelungen eines selbstmörderisch verblendeten Menschenhasses. Wer einem Volke der Erlöser werden will, und er Hot keine Liebe im Herzen und predigt nur Gewaltthat und Blutvergießen, dem sollte man einen Stein um den Hals binden und ihn ins Wasser werfen, do, wo es am tiefsten ist! Er schüttelte ungeduldig mit dem Haupte und stöhnte leise auf, daß sich ihm gar kein sicherer, sonnenheller Ausweg aus dem dunklen, hoffnungslosen Durcheinander aller dieser verhäng- nißvollen Jrrpfade der Volksseele zeigen wollte. Da hob er das Antlitz und sah, wie hinter der Kuppel der Domkirche der Himmel sich zu lichten begann; die Morgendämmerung schoß ihre ersten noch bleichen Strahlen gegen die finster brütende Nacht ab; bald würden diesem leichen Geplänkel ganze Salven von Licht und Glanz folgen und triumphirend würde der junge Tag Herauf ziehen, ein ewig siegreicher Held und Welteroberer, der die Nacht mit ihren dunklen Schatten und bangen Traumgebilden auch aus dem letzten Schlupfwinkel aufscheuchen und verjagen würde. Was zagst Du, Seele, daß es keine Rettung gebe? So lange das Licht siegen wird über die Finsterniß, so lange wird auch der Lichtmensch, das heißt derjenige Mensch, der nur Liebe im Herzen trägt, siegen über die Schatten und Schäden des gesell schaftlichen Lebens. Froher Ahnungen voll schaute der Unglückliche zum Himmel empor; als er den Blick wieder senkte, sah er sich scheu um: eine Schuhmänner-Patrouille war in seiner Nähe vorüber gegangen, und sie gemahnte ihn, daß er das, was er vorhatte, schnell ausfiihren mußte, wenn ihn der nahende Morgen nicht daran verhindern sollte. Er schritt auf die Schloßbrücke zu. In ihrer Nahe führen in die Uferböschung gemauerte Stufen zum Wasser hernieder. Auf dieser Treppe verschwand er. Bald darauf tönte ein Schuß und dann das Aufklatschen eines ins Wasser fallenden Körper». Der Schiffer auf einem der in der Nähe verankerten Spree kähne hatte den Schuß gehört; er kroch aus den Federn und guckte aus seiner Koje in oie Dämmerung hinaus. Da er nicht» Besonderes gewahr wurde, zog er sich gähnend zurück und suchte wieder sein Lager auf. Eine Stunde später erschienen zwei Polizeiamte beim alten Gebauer und forschten vergeblich nach Peter Dechner; er war, wie der bestürzte Alt« versicherte, schon in der Nacht abgereist. Die im Laufe dieses Tages in der Nähe der Weidendamm brücke aufgefischte Leiche eines Unbekannten war nach dem Leichenschauhause gebracht worden; dort wurde sie erst durch Vermittelung der Staatsanwaltschaft als die Leiche des Maurer meisters Peter Dechner erkannt und dem Bruder des Ver storbenen, dem Instrumentenmacher Adolf Dechner, zur Be erdigung überantwortet. Siebzehntes Capitel. Die Sitzung der Strafkammer des Landgerichts hatte bis in den späten Abend gewährt. Die letzte Sache, bei der auch der Staatsanwalt Tell mit zuwirken halte, war die Aburtheilung des verhafteten Carvalho gewesen. Tell hatte in fast halbstündiger Rede auf Grund der ihm von Peter gemachten schriftlichen Mittheilungen den ganzen Hergang jenes nächtlichen Einbruches mit peinlichster Genauigkeit und packender Redekunst geschildert. Offenen Mundes, starr vor Erstaunen, harte Carvalho zugehört; erschöpfender hätte er selber die Sache nicht erzählen können. Hatte Peter Dechner denn geplaudert? War sein Eid so gar nichts werth gewesen? Fürchtete er nicht die Rache der verrathenen Genossen? Als aber Tell dazu überging, die nichtswürdige Art und Weise zu schildern, wie der Angeklagte sich der Mithilfe Peter's versichert, wie er ihn umgarnt und verlockt, sich in sein Ver trauen hineingelogen und seine socialistische Verstiegenheit, die eine rein theoretische Verirrung des Idealisten ohne alle prak- tschen Consequenzen und ohne jede Gefahr für die Gesellschaft gewesen wäre, dazu benutzt hätte, ihn zur Theilnahme an einem gemeinen, auf schlaue Weise als selbstlose Großthat hingestellten Verbrechen zu verführen, da hatte das Erstaunen und die Verblüffung Carvalho's den höchsten Grad erreicht — war denn dieser Staatsanwalt allwissend? Sah er denn einem Jeden in die Herzkammern hinein und konnte er dort auch die verborgensten Gedanken lesen? Aber es sollte für Carvalho noch schlimmer kommen. Die weitere Rede des Staatsanwaltes wurde für ihn zu einer Art moralischer und körperlicher Mißhandlung, unter deren zer fleischender Wirkung er sich schmerzlich stöhnend zusammen krümmte und mehrmals drauf und dran war, auszurufen: Halt, es ist genug! Ich gesteh« ja Alles ein! Verurtheilt mich, aber laßt mich nicht länger durch diesen Ankläger da foltern! Wie wohl ein Leichenredner, wenn es ihm darauf ankommt, eine Trauerversammlung bis ins innerste Mark zu rühren, den Verstorbenen unter Verschweigung seiner Schwächen nur in der reinen Schöne einer ihm angedichteten Vollendung zeigt und jedem einzelnen der Leidtragenden berechnend vorhält, welch ein herrliches, unersetzliches Wesen er an dem Dahingegangenen verloren habe: so zermürbte auch Tell nicht nur den Angeklagten, sondern auch die Richter und das mitanwesende Publicum, indem er Peter Dechner, den Maurermeister, als einen hoch begabten, von Grund aus edlen und selbstlosen Menschen schil derte, der nur durch fortgesetzte Mißerfolge und eine Kette widriger unverschuldeter Schicksale auf die schiefe Ebene social demokratischer Verirrungen gedrängt worden wäre. Ein einziger materieller Erfolg, irgend eine freundliche Wendung seiner trost losen äußern Lage, der Zuspruch eines wahrhaft treuen und ehren- werthen Freundes würden diesen verbitterten Mann unzweifelhaft sofort umgestimmt und in die Bahnen bürgerlicher Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit zurückgefllhrt haben; ein schönes, groß an gelegtes Menschenleben galt es hier zu retten; statt dessen hätte sich der Satan in Gestalt eines internationalen Hochstaplers, eines ehr- und gewissenlosen Banditen, an den Unglückseligen herangedrängt, um ihn vollends haltlos und elend zu machen und den Verrathenen dann meuchlerisch in den Abgrund der Schande zu stürzen. Wenn er, der Staatsanwalt, die geheimnißvollen und um so verderblicheren Einflüsse des Angeklagten auf den des höchste/ Mitleids würdigen Selbstmörder bis in die letzten Nervenfasern zu verfolgen und bloßzulegen vermöge, so verdanke er dies zwei eigenartigen Umständen: erstens seiner verwandtschaftlichen Beziehung zu Peter, der sein Stiefbruder gewesen sei, und zweitens dem erschöpfenden Bekenntnisse, das Peter noch kurz vor seinem freiwilligen Ende niedergeschrieben und ihm durch einen Dritten zugcsandt habe. Und wie nun diese bloßsteller.K Blutsverwandtschaft mit Peter glücklich erwähnt war — o! sie hatte dem selbsibewußten Manne eine ungeheure Willens anstrengung gekostet und ihm den Schweiß in feinen Kügelchen auf die Stirn getrieben —, da empfand er das gesteigerte Be- dürfniß, diesen Stiefbruder geradezu als ein weißes, fleckenlose», nur der abgefeimtesten Verführung zum Opfer gefallenes Lamm darzustellen, während er zur Schilderung des Angeklagten die Farben nicht grell und brennend genug zu nehmen wußte; ja, zuletzt tauchte er seinen Pinsel in den Pech- und Schwefel pfuhl der Hölle, um das Conterfei dieses in Menschengestalt umhergehenden Teufels nur einigermaßen dem Original ent sprechend wiederzugeben. „Sehen Sie dort den Nichtswürdigen an", so fuhr er in seiner donnernden Philippica fort, „leider kann er nur des Dieb stahls mittels Einbruchs angeklagt werden, in Wahrheit aber ist er ein verabscheuenswerthrr Mörder, und die Schmach de»
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