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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041219023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904121902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904121902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-19
- Monat1904-12
- Jahr1904
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Vuzeigerr-Preis die 6gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem Redaktionsstrüh iäaespalten) 7S nach den Famistenuach- richten <8 gespalten) bO — Tabellarisch« und Ziffernsa» werd«» entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 -H. Annahmeschlutz für Anzeigen. Abrnd-Au-gabe: vormittag- 10 Uhr. Morgeu-Au-gab«: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zurichteu. Extra-Vetlagen (nur mit der Morgen- Ausgabe- nach besonderer Vereinbarung. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Potz iu Leipzig (Inh. Dr. V., R. L. W. Klinkhardtr. Nr. 6i5. Montag den 19. Dezember 1904. Var llttcdtigrte vom Lage. * Die Ausdehnung des Futtertarifs auf Kar toffeln, die für Brennereirwecke und als Biehfutter be stimmt sind, ist vom Königl. Finanzministerium abgelehnt worden. (S. Leipz. Angel.) * Graf Apponhi hat für sich und seine Genoffen er klärt, sie würden im neuen ungarischen Reichs- t a g ihre Plätze auf Grund des jetzigen Mandats behaupten. (S. Ausland.-) * Zu Ehren des aus der Verbannung bcimgekehrten Rationalisten Habert sanden in Pari« Demonstrationen statt, Frau Syveton leugnet den Bericht des „Matm" über ihre Aussage ab. (S. Ausland.) * Auf dem Trafalgar-Square hat gestern ein Riesen- meeting von Londoner Arbeitslosen stattgefunden. (S. Ausland.) * Der Gouverneur von Kiew bat eine kaiserliche Er mächtigung für die Chefs der Militärbezirke mitgeteilt, die Urheber von militärischen Ausschreitungen, wofür Todesstrafe oder Zwangsarbeit anaesetzt ist, den Kriegs gerichten zu überweisen. (S. ruff.-jap. Krieg.) * Die sibirische Pest ist in dem russischen Gouverne ment Wjatka (Zentralrußland) ausaebrochen. Bis jetzt sind 247 Erkrankungen gemeldet. (S. A. a. W.) * Ein Teil der japanischen Flotte ist nach Singa- pore in See gegangen. (S. ruff.-jap. Krieg.) * Aus Port Arthur meldet der „Standard", die Lage der Garnison werde verzweifelt. Die Belagerungs arbeiten gegen die RordostfortS sind soweit fortgeschritten, baß die Japaner nur 12 Meter vor den russischen Stellungen liegen. (S. ruff.-jap. Krieg.) Leitgemiir« Erneuerung üer Migl. ?rr«rrirchrn Srivelhttcdeli ZachyerrtsMgen'Oeremr. Die Gutachten des Königl. Preußischen Gewerblichen Lachverständigen-Vercins in Mustcrschutzangelegenbeiten haben in der letzten Zeit mehrfach in den beteiligten Kreisen wie auch bei den Gerichten energischen Wider spruch hervorgerufen. Es ist sogar vorgekommen, daß durch den Sachverständigen-Verein in ein und derselben Sache in den verschiedenen Instanzen zivci einander direkt widersprechende Gutachten abgegeben worden sind. Die veränderte Stellungnahme i>at der Sachver- srändigen-Verein in einem Falle damit begründet, daß er beim Erstatten des ersten Gutachtens nicht gewußt habe, wie das betreffende Muster entstanden sei, denn die Art, wie ein Muster entstanden sei, könne d a s U r t e i l ü b e r scineNcnheit und Eigen- tümlichkeit verändern. Diese bisher in der Judikatur und Literatur des Jn- und Auslandes noch nie dagewesenc Begründung wnrde vom Berliner Kammergericht mit Recht als durchaus unzutreffend bezeichnet, denn die Entscheidung der Frage nach der objektiven Schutz fähigkeit des an gemeldeten Musters könne unmöglich von einem derartig sub jektiven Moment auf Seiten des An melders abhängig gemacht werden. Im strikten Gegensatz hierzu lpit ein sächsischer Ge- richtshef leider das Gutachten des Königl. Preußischen Sachverständigen-Vereins lediglich im Ergebnis ver wertet und ist dadurch in dem betreffenden Prozeß zu einer Verurteilung des Beklagten gekommen. Die hiergegen beim Reichsgericht eingelegte Revision blieb erfolglos, das Reichsgericht bestätigte das ver- urteilende Erkenntnis des säclffischen Gerichtes mit der Begründung, daß die gegen deg Umfall des Preußischen Sackwerständigen-Vereins gerichteten Ausführungen sich auf tatsächlichem Gebiete bewegten nnd nicht der Be urteilung des Revisiousgerichtes unterlagen. Juristisch wird das Urteil des Reichsgerichts zweifellos richtig sein. Das Rechtsgefühl des Gewerbes sträubt sich aber mit Macht dagegen, daß ein derartig krasser Umfall einer Königl. Preußischen Sachver- ständigen-Lereinigung vom höchsten Gerichtshof schließ- lich noch „im Ergebnis" sanktioniert wird. Die Folgen des zweiten unhaltbaren Sachver. ständigen-Gutachtens sind zunächst unabsehbar. In der davon in erster Linie betroffenen graphischen Branche hat eine große Beunruhigung Platz gegriffen. Schaden ersatzklagen von hohen Beträgen werden leichten Herzens angestrengt, eine Reihe von Unternehmungen sieht sich direkt in ihrer Existenz bedroht, die gesamte freiheitliche Fortentwickelung des Gewerbes steht in Frage. Zahl reich Buchdruckereien sind durch die Fclgewirkung des verfehlten Sachverständigen-GutachtenZ außer stände, die gerade jetzt um die Weihnachtszeit reichlich erteilten Auf träge in begonnener Ausstattung zu vollenden. Der Krcisverein Berlin der Schriftgießercibcsitzer Deutsch- lands hat daher in Erwägung dieser Mißstände in seiner lebten Sitzung beschlossen, durch die Handelskammern und das Aeltestenkollegium beim preußischen Handelsminister unter aus führlicher Begründung dahin vorstellig zu werden daß eine anderweitig, den weit verzweigten modernen gewerblichen Verhältnissen mehr Rechnung tragende Zusammensetzung des ge- werblichen Sachverständigen-Vereins — speziell für das in den letzten zwanzig Jahren enorm gervachsenc Ge biet der graphischen Gciverbc — baldigst in Er wägung gezogen werde. Die Schriftgießereibesitzer-Vercinigung Deutschlands beabsichtigt, sich dem Berliner Vorgehen anzuschließcn. Es ist kein Zweifel, daß diese Bewegung, welche mit großer Macht einsetzt, die gesamten graphischen Gewerbe Deutschlands in ihre Kreise ziehen und auch auf andere Branchen übergreifen wird, so daß die einmal in Fluß gekommene Frage einer zeitgemäßen Erneuerung der Sachverständigen - Institute sobald nicht zur Ruhe kommen wird. ver rurrircb-japsmrche Krieg. Am Namenstag de» Zaren. ist nach einem Petersburger Telegramm der Großfürst Dmitri Konstantinowitsch für Auszeichnung im Dienste zum (Generalleutnant befördert worden. Dem Großfürsten Boris Wladimirowitsch wurde ein goldener Säbel für Tapferkeit verliehen. In den Reichs- rat wurden der Kommandeur des IX. Armeekorps, General Liubjowitzky, der Gehülst des Generalseldzcug- meisters Großfürsten Michael Nikolajewitsch, General leutnant Altvater, im übrigen auch ein Ministergehülse und zwei Gouverneurgehülstn berufen. Die Ariegrgrrichte gsgen Ausschreitungen. Die Blätter in Kiew veröffentlichen eine Bekannt machung des Gonvcrncurs Generalmajors Ssawitfch, welche besagt, daß der Kaiser den Chefs der nicht in Kriegszustand erklärten Militärbezirke das Recht erteilt hat, die militärischen Chargen der mobili sierten Truppenteile und ihrer ins Aeld rückenden Kommandos den Kriegsgerichten zu über- geben, wenn sie Ausschreitungen im Zusammen- hange mit Verbrech» begehen, für die in den Kriegs- gcsctzen Todesstrafe oder Zwangsarbeit vorgesehen ist. Das XII. Armesksrps unter dem Befehl des Generals Beckmann soll der driften Mantschurci-Armee eingefügt werden. Die Abfahrt -es 8. Geschma-ers, welche aus vier alten Panzern und einem Kreuzer be steht, soll Ende Januar erfolgen. Die Fertigstellung von Neubauten ist in diesem Termin unmöglich, daher wohnt dem Geschwader eine geringe Bedeutung inne, zumal ein Teil der Schiffe nicht einmal moderne Schncllfeuerkanonen hat. Das Schiffsiuaschiuenwessn in Rutzfqnb Die „Nowojc Wremja" klagt über die Vernach lässigung des Maschinenwesens in der russischen Flotte und behauptet, die Kriegsschiffe „Stereguschtschi", „Straschny" und „Nowik" seien nur wegen Maschinenhavarien zu Grunde ge- gangen. Der „Retschitelny" sei wegen Maschinenhavaric von den Japanern weggefllhrt worden, der „Nastoropny" habe sich wegen Maschinenhvarie selbst versenken müssen. Von den Schiffen des Geschwaders Roschdjest- wcnsky hätten schn mehrere Torpedojäger Havarien erlitten, und man flüstere von großen Ma s ch i n c n ha va r i e n anderer Fahrzeuge. Die russisch Marine habe zuwenig t ü ch t i g e S ch i f f s- mechaniker. Namentlich frage sich, wie solche für das dritte Geschwader beschafft werden - sollten. Häufig werden Mechaniker in den Dienst gestellt, die marinetechnisch gar nicht vorgebildet sind. Von unteren Chargen der Maschinenmannschaft sind drei Viertel völlige Neulinge und ein Viertel schlecht geschult, da erst in letzter Zeit ein modernes Schulschiff für Maschinen wesen in Dienst gestellt wurde. Erzherzog Leopold Salvator über die russische Artillerie. Ter „Nowojc Wremja" wird aus Mukhn vom 16. d. M. telegraphiert: Aus Briefen Hs Erzherzogs 88. Jahrgang. Leopold Salvator an den Prinzen Jaime von Bourbon ist ersichtlich, daß in höheren Militärkreisen Oesterreichs die Ueberzeugung vorherrsch, nach Liaojang sei ein Umschwung im Feldzuge zu gunsten der Russen eingetreten. Der Erzherzog, ein Kenner dcS Artilleriewesens, sei von den Kampfleistungen der russischen Batterien entzückt und prophezeit der russischen Artillerie eine entschidende Be deutung in den Zukunstsschlachten. Von der japanischen Flotte. „Daily Telegraph" meldet aus Tichisu von gestern: Ein Teil der japanischen Flotte ist nach Singapore in See gegangen. — Am 15. Dezember lvaren 25 Kriegs schiffe bei Dal ny zusammengczogcn. Dio japa- nischcn T r a n s p o r t d a m p f e r sind jetzt mit Ge schützen versehen. Eine Anzahl Kauffahrteischiffe erhielt leichte Bewaffnung, nm den Blockadcdienst zu über nehmen. Au» 4>ort Arthur kommt das unkontrollierbare Gerücht, japanisch Artille rie habe ein r u s j i sch e s T o r p e d o b o o t in den Grund gebohrt: auch ein Pulverturm fei aufge- flogcn. Ter „Daily Telegraph" meidet aus Tschifu von gestern: Ein japanischer Bote von der Belagerung?, armee bat Einzelheiten über den Angriff der Japaner am 3. Dezember auf das Itzeschan- und das Bordi-Fort überbracht. Das Fort Bordi war von den Russen mit einem 600 Fuß langen und 300 Fuß breiten Grahn umzogen worden: der Graben war mit Kero sin ö l gefüllt und dieses mit Holz und Stroh bedeckt. Als die japanisch Sturmkolonne auf dem Grahn vor drang, setzten die Russen diesen inBrand , und viele Hundert Javaner verbrannten voll- ständig. Tas Feuer dauerte eine Nacht und den folgenden Tag an. In der zweiten Nacht war der Graben ausgebrannt und die Japaner griffen in kleinen. Abteilungen an, wobei sie sich hinter großen Holzschildcrn deckten. Es kam zum Bajonettgefecht, Im Bajonettkamps nahmen die Japaner eine neue Stellung und machten 150 Gefangene. Neben der japanischen Flagge wurde auf unaufgeklärte Weise auch die chine sische gehißt. Einem javanischen General riß eine Granate einen Arm und ein Bein weg. Die zwischen Stössel und Nogi ansgetnnschten Briese werden in einem Reuter-Telegramm aus Tokio mit geteilt. Ter Brief Stössels in Sachen der .Hospitäler ht folgenden Wortlaut: „Ich hgh die Ehre, Sie zu benach richtigen, daß Ihre Artillerie unsere durch die Flagge Hs Noten Kreuzes leicht erkennbaren Hospitäler bom bardiert. Von den Stellungen Ihrer Artillerie aus sind diese Flaggen sichtbar. Ich bitte Sie, die Beschießung zu untersagen. Dieser Schritt ist mir eingegeben durch die Hochachtung vor unseren tapferen Helden, die, nachdem sie ruhmreich gegen Ihre Sol daten gekämpft haben, jetzt oerwundet in den Hospitälern des Roten Kreuzes liegen. Auch einige verwundete Japaner befinden sich unter diesen Helden. Ich versichere Sie meiner tiefen Hochachtung." Nogis Antwort lautet: „Ich beehre mich, zu versichern, daß die japanisch Armee, welche Menschlichkeit und Verträge achtet, seit dem Beginn der Belagerung niemals absicht- l i ch gegen Gebäude und Schiffe mit der Flagge des Roten Kreuzes gefeuert hat. Der größte Teil der Festung ist von den Stellungen der Artillerie nicht sichtbar und wie Sie wissen, erreichen nicht alle Geschosse das gewollte Ziel, umso mehr, als infolge des langen Feuilleton. Die heilige Caecilie. 54j Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Fliederduft von drüben her, ihn umflutend, gleich einer Friihlingssinfonie, — vereinzelt hier und da ein Blütenbaum in seiner schneeweißen Pracht, — im Abendhauch wiegen sich die feinen Rispen des Goldregens gleich flimmernden Perlen schnüren. Aus einem Boskett kommt ein sehnsuchtS- banger, schluchzender Laut! O, leben und g-, meßen!! — Wie Oswald seinem Hause nahe ist, befällt ihn mit einem Male Unruhe — Besorgnis. Dies kranke Kind, das er nicht kennt, — Annemaries Liebling, auf den er hundertmal eifersüchtig gewesen ist, wenn sie mit diesem warmen Leuchten in den Augen von ihrem „süßen Karle- Männchen" gesprochen hat, — nie ohne ein paar Kose- namen, oft mit einem verräterischen Zittern der Stimme! Nur keine schlechte Nachricht jetzt, die ihr die Stimmung verdirbt, — vielleicht sie sogar zurückhält Er bleibt stehen, steht die Straße herunter, — rechts, — links nichts! Dann also hinein, — eS ist Zeit zum Um kleiden schade um den köstlichen Abend! Im Begriff, den Portier hcrbeizuklingeln, hält Oswald nochmals inne .... ist das nicht? .... Richtig, ein Depeschcnbote! Ruhig noch eine Minute warten, bis der Mann anhält oder vorllbergeht! Er geht nicht vorüber! Die Hand an der Dienstmütze, bleibt er stehen. „Herr Kapellmeister Mentzel, nicht wahr? Ich habe doch die Ehre" — „Jawohl, — ganz recht, — also" — „Telegramm für Frau Gemahlin! Soll ich" — „Nein, — geben Sie nur her! Ich nehme es mit hinauf!" „Ergebensten Tank, Herr Kapellmeister!" Eilig hebt der Mann zwei Finger an den Mützenrand, läuft weiter: Oswald wendet sich, sieht ihm nach. Der Bote geht zehn, elf Häuser weiter, verschwindet dann in einem villenartigen Gebäude. Während des Treppenanfsticgs reißt Oswald das Telegramm auf, und liest: „Zustand hoffnungslos. So fort kommen. Lombardi." Er runzelt die Brauen, zuckt mit den Schultern, drückt das Papier in einen Klumpen zusammen und steckt es in die Tasche. Wieviel Uhr ist es denn? Schon sieben vor bei! Er wird sich eilen müssen mit dem Ankleiden, — zu halb acht ist der Wagen bestellt, — pünktlich um acht soll das Konzert beginnen. — Oswald öffnet sacht die Haustür mit dem Drücker, geht auf den Fußspitzen den Korridor entlang. Die Tür zum Schlafzimmer klafft ein wenig. Er hört Stimmen gemurmel, ein Geräusch von knisternder Seide, etwas weißes schwebt an seinem Blick vorüber. Also am Werk — bei der Konzerttoilette! Ob man für ihn auch alles gehörig vorbereitet hat? Er öffnet die Tür seines Arbeits gemaches, .... alles in bester Ordnung! In dem Punkt ist Annemarie absolut zuverlässig, nie wird sie das mindeste versäumen, was Oswalds Bequemlichkeit betrifft. Hastig streift er Rock und Weste herunter, sicht in den Spiegel. Ein hübsches, — sehr hübsches Gesicht — ein wenig schlaff, ein wenig verlebt, — ach, das gefällt den Weibern! Rosige Apfelgcsichter bei Männern sind ihnen unangenehm. Wie hat Bianka Vollmar ihn vor kaum einer Stunde angeblickt — angelächelt I Er lächelt letzt auch Einen Augenblick verursacht ihm der Ge- danke an das Telegramm eine unbehagliche Empfindung, — gleich darauf wird er ihrer Herr. Er wird doch der Narr nicht sein, die ganze künstlerische Zukunst Anne maries aufs Spiel zu sehen um eines kleinen dummen Kindes willen, das höchst wahrscheinlich in dieser Stunde schon gestorben ist! Rasch noch einmal die Bartbinde an legen und mit Brillantine nachhelsen I Die Vorhänge im Zimmer sind vorsorglich zngezogen, aber hier unter dem einen scheint ein Fensterflügel offen zu stehen, — das darf nicht sein! Es ist ein linder Maiabend, aber diese Früh- lingslnft kann so tückisch sein, — und nur um Himmels willen kein Schnupfen!! — Ein paar glockenreine, süße Töne kommen von jenseits des Korridors herüber. Aha! Annemarie singt sich die Stimme an, — eine Skala, — jetzt eine perlende Kadenz. Es steckt ein Vermögen in ihrer Kehle — sicher! In der ersten Zeit seiner tollen Verliebtheit ist Oswald der Gedanke ihres öffentlichen Heraustretens fürchterlich gewesen, — kein anderer soll sie sehen und hören, als nur er,... . und nur e r will für sie sorgen, sic schmücken und pntzen nach seinem Sinn! Jetzt .... mag man sie bewundern in Gottes Namen, — mag sic ihm auch helfen, Geld verdienen! Er ist nun 'mal nicht dazu geschaffen, den erbärmlichen Mammon zusammcn- zuscharren! Rädcrrasseln unten am Hause, — Paulinens diskret pochender Finger an der Tür: der Wagen sei da! Was Teufel — jetzt schon? Da muß er sich ja eilen! Kaum nimmt er sich die Zeit, etwas Parfüm in sein seidenes Tuch zu gießen — forträumcn kann er nichts mehr, die Lacksticfcl drücken ihn ein wenig, aber sie sitzen wie ge gossen — noch dem weichen Haar den gewissen Schwung — keine Hamletlocke — überhaupt nichts gekünsteltes — aber auch nicht korrekt — ganz ungewollt — so ist e» recht, schöner Oswald! Im Flur gibt Annemarie dem Mädchen noch Ver- Haltungsmaßregeln für den Fall eines Briefes — einer Postkarte — einer Depesche. Das weiche Kindergesicht, chen ist blaß, die Augen blicken ernst, beinahe abwesend. Sie rafft ihr raschelnde« weiße- Seidenkleid unter dem Hellen, langen Mantel auf, nickt Oswald einen zerstreuten Gruß zu, steigt an seiner Seite die Treppe herunter, ohne ein Wort mit ihm zu sprechen. Mag er doch glauben, sic wolle ihre Stimme schonen! — Dreizehntes Kapitel. Es ist am nächsten Morgen. Annemarie Mentzel-Lorn- bardi ist in ihrem Wagen nachts gegen ein Uhr nach Hause gekommen — ohne ihren Gatten, der noch mit einem Teil der Familie, mit einigen Freunden in einein eleganten Restaurant zusammengeblieben ist. Es hat allgemeine Empörung über den stühzeitigen Aufbruch der jungen Frau, die ja die Heldin des Abends war, ge geben. Warum denn so ungemütlich sein, — -en Stören- fried spielen wollen nach einem solchen Erfolge? Sic hatte wunderbar schön gesungen, hatte stürmischen Bei- fall, endlose Dakaposalven geerntet, — hatte dies alles über sich ergehen lassen mit einer ganz außerordentlichen Gelassenheit, — „Zoll für Zoll schon die künftige Diva", wie ihre Verehrer einander zuflüsterten, — hatte sich in den Pausen diverse Musikdirektoren, Impressarien, Agenten vorstellen lassen und deren Komplimente, Vor- schlüge, Anerbietungen ruhig angehört. Iung-Daniel war ganz aus dem Häuschen gewesen: „Himmlisch habens gesungen, reinweg himmlisch! Und was hab' i g'sagt? Erinnern's g'fälligst: waS hab' i g'sagt? Sturm laufen werden's um die Stimm', Himmel und Erd' in Bewegung sehen! Jetzt nur klug — nur kühl, — nit zugreifen niit beide Händ'! Kalt werden und prüfen — und bissel schrauben die Herren — schad't ihnen nir, — sterben nicht d'rum!" Zu seinem Staunen hatte der kleine, feurige Maössto sehen müssen, daß Annemarie seiner Ermahnungen gar nicht bedurfte, daß sie aus eigenem Antrieb so „klug un kühl" war, wie er sichs wünschte, daß ihr der Rausch ihres jungen NuhmeS durchaus nicht zu Kopf stieg und sie kein einzige» unüberlegtes Versprechen gab, kein Wort zuviel
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