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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980211020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898021102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898021102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-11
- Monat1898-02
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Dt» Morge»-A»«gab« erscheint nm '/,7 Uhr, di» Ubeud-Lutgab« Lochentag« «u b Uhr, Ledutio» »L- Lrve-itio»: J»da»«e«,asse 8. DieEkVeditiou ist Wochentag« anunterbroche» geöffnet von früh 8 bi« Wend« 7 Uhr. Filiale«: Ltt» Kien,««'« Torttm. (Alfred Hahn), UsiversitätSstratzr 3 lPanlianm), Laut« Lösche, Katharinsrstr. 14, »art. nnd K»nig«vla» 7. Vez«gs»Pre1» M tz« Hnnvtqvedittm« oder de« Nn GtNdt» dqirk nnd den Vororte» errichtete» Au«» «bestelle» abgeholt: vierteljährlich^ 4^(d vei »wetmaltaer täglicher tzaftellnng in« Han« ul LEO. Dnrch di« Post bezog«» für Lentschland »ad Oesterreich: vtertrl;ädrlich Uil «.— Direcrr tägliche Krevzbandlenduog tdß Ln«la»d: mouaUich ul 7.LÜ. ^-75. Slbend-Ausgave. MpMerTlUMM Anzeiger. ÄMlsbkatt -es L'ömglichen Land- und Ämtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Notizei-Ämtes -er Lladt Leipzig. «»ze»ge»aPret- tzte -gespaltene Petitzeile LS Meclamr» au ter de« Redaetio»«strich (4ß» WaÜea) üO^, vor de» Namtltamachricha» (Sgespaltr») 40 Srützer« Schriften laut «nsere» Pvei«, verzeichnib. Tabellarischer uad gtffernsatz nach höherem Tarif. Extra»Veila,en (gefalzt), »ar mtt d« Morgen-Au-aabe, oha« Postbefördernnzs ul SO.—, mit Postbesöcderuag ul 70.—>> Aauahmeschlug für Anzeigen: Abrud-Au-gab«: vormittag« 10 Uhr. Lorge u-AnSgab«: Nachmittag« 4 Uhr. vei deu Füioleu und Auuabmrstelleu je ein» halbe Stund« früher. Anzeige» sind stet« an die Eppedttt«» zu richte». Dwck «md Verlag von L. P olz in Leipzlch Freitag den 11. Februar 1898. 92. Jahrgang. zu gelangen. „Um deS Dreibundes willen", hieß eS vor sechs l Jahren. Nun aber erfahren wir, daß Oesterreich — stärker f interessirt als Italien — zwar gerne einen Vertrag, wie ihn Caprivi später abschloß, vom Fürsten Bismarck batte haben Wege, wenn nicht daS, waS Herr v. Manteuffel in Dresden verlangt und Herr v. Ploetz zugesagt bat, deni Bunde einen sehr weiten Spielraum ließe, einen Spielraum, auf dem in den einzelnen Wahlkreisen, in denen bündlerische oder anti semitische Candidaten gegen conservative aufgestellt worden sind, um so schärfere Fehden auSgekämpst werden können, je weniger der Bunvesdirector vr. Diederich Hahn in Halle ein Hehl daraus gemacht Hat, daß seine Sympathien viel mehr auf Seiten der Antisemiten, als auf Seiten der Con- seroativen sind. Politische Tagesschau. * Leipzig, ll. Februar. Die „Linke" macht den Versuch, aus dem befriedigen den Verlause der Verathung des Auswärtigen Etats im Reichstage Capital für sich und Len — Parlamentarismus zu schlagen. Voran Herr Eugen Richter, dem eö aller dings weniger um den Ruhm deS Reichstages, als um die Hervorhebung seiner eigenen Persönlichkeit zu thun ist. Es ist eine alte Gewohnheit dieses politischen Gewerbetreibenden, sich am Abend jeglichen TageS, an dem er in einer Volks vertretung geredet hat, in seiner Zeitung die Censur auszu stellen und natürlich eine glänzende Censur. Im Lichte seiner Selbstkritik ist er immer „Mittelpunkt" gewesen. DaS Verfahren ist schon oft belacht worden, aber uiemalS herzlicher als am Dienstag, wo den Lesern der „Freis. Ztg." versichert wurde, Herr Richter habe eine „hochinteressante Verhandlung" herbeigeführt und mit seiner gewaltigen Hand dem SlaatSsecretair v. Bülow ein Piedestal errichtet, auf dem dieser Diplomat eine leidlich gute Figur machen konnte. Letztere Anerkennung bezeichnet übrigens einen Fortschritt. Zu den Zeilen deS Fürsten Bismarck er schien Herr Richter in seiner Zeitung auch immer als der Mann, der den Ton angegeben hatte, dem damaligen Reichs kanzler aber wurde regelmäßig verbrieft, daß er gegen den großen freisinnigen Staatsmann nickt hätte ankommen können und verhätlnißmäßig oder auch unverhältnißmäßig schlecht „abgeschnillen" hätte. Läßt nun auch diesmal der profunde Kenner und überlegene Beurtbeiler der Auswärtigen Politik von der Ruhmestorte, die er sick bescheert, einige Brosamen für den Vertreter deS Auswärtigen Amtes auf den Boden fallen, so bietet das Gebäck doch eine so belustigende Erscheinung wie nur jemals. Die Wahrheit ist, daß am Dienstag außer Herrn v. Bülow nur die Redner Beachtung fanden, die ihm vollständig beipflichteten. Herr Richter, der vor dem SlaatSsecretair sprach, erregte die allgemeine Un geduld, weil man eben auf Erklärungen deS Herrn v. Bülow wartete, und Bebel, welcher die gouvernementaleKundgebung abzufchwäcken gedachte, wurde nur von seinen „Geuoffen" angehört. Wir stellen das aus dem Grunde nachträglich fest, weil Herr Richter in der Verhandlung „den Beweis" finden lassen möchte, „in wie sachlicher und gründlicher Weise sich im deutschen Reichstage (lies: in diesem Reichstage) auch Fragen der auswärtigen Politik erörtern lasten". Davon ist keine Rede. Der Dienstag trägt die Signatur deS Regierungs mannes v. Bülow und der Mittwoch die deS alten CurseS, vertreten durch den Grafen Herbert Bismarck. Diesen hat Herr Richter wirklich provocirt, aber dessen rühmt sich der Neclameverständige wohlweislich nicht. Hat er doch durch die Behauptung, deS Fürsten Bismarck Handelspolitik sei „planlos" gewesen, über die vom Freisinn gehätschelte Aera Caprivi ein VernichtungSurtheil heraufbeschworen, das inappellabel ist. Graf Herbert Bismarck ist kein blendender Redner, aber während der geraumen Zeit, da er sprach, glaubte der Hörer eine Arme,ünderbauk vor sich zu sehen, besetzt von den Männern des neuen CurseS bis herunter zu deu unverantwortlichen, aber sehr einflußreichen Einstüsterern de« zweiten Kanzlers, den Rickert, Alexander Meyer u. s. w. Von einem Manne, der dabe, war, wie sachliche Vordere,- tuogen zum Abschlüsse von Handelsverträgen getroffen worden waren, hörte man, wie Graf Caprivi daS gewonnene Material bei Seite schob, um zu Verträgen um jeden Preis wollen, daß es aber nickt nur keine politische Verstimmung, sondern höfliches Verständniß für die deutschen Beweg gründe bezeigte, als Bismarck ablebnte. Ein „Vacuum" — das wußte man und Gras Bismarck bestätigte es — wollte auch der erste Kanzler nicht. Wir wären unter ihm ohne Zweifel im Vertragszustande mit Oesterreich verblieben und wir hätten ohne den verhängnißvollen Kanzlerwechsel und die Verschleuderungslust deS Grafen Caprivi beute Verträge, deren Erneuerung uns niit den schweren inneren Kämpfen verschont haben würde, die jetzt unser öffentliches Leben mit erklärlicher, ja, nolbwenriger, aber darum nicht minder beklagenswerther Einseitigkeit beherrschen. Die erbittertsten Feinde von Friedrichsruh, selbst die im Frühjahr 1890 hoch gekommenen Schranzen und lustigen Räthe, werden nicht zu behaupten wagen, daß Graf Herbert Bismarck vorgestern als grollendes Organ eines grollenden BaterS geredet habe. Er war durchaus sachlich und voll Anerkennung für die Politik der jetzigen Regierung, in die er, daS sei für den häoiiscken Freisinn bemerkt, nicht einzutreten gedenkt. Die jetzige Regierung aber bereitet schon heute neue Handelsverträge vor, aber eben Verträge von der Art, wie sie Fürst Bismarck in Aussicht genommen hatte, Handelsgesckäste, bei denen beide Parteien ihre wirthschastlicken Lebensinteressen wahren, keine Geschenke zur Erhaltung der polit-schen Freundswaft. Der Freisinn bat wieder einmal seine unglückliche Hand bewährt, indem Richter durch einen Lobspruch auf die Aera Caprivi einem Berufensten die Veranlassung bot, die ärgsten Blößen dieser Aera aufzudecken. Zwischen den Organen der Eonscrvativen und deS BundcS der Landwtrthe herrscht wieder Friede. Die „Corr. d. B. d. 8." Hal sich überzeugt, daß Herr v. Man teuffel ,n Dresden nicht erklärt hat, „es sei Pflicht deS Bundes, bei der Concurrenz conservativer und antisemitisch gleichmäßig agrarischer Candidaten für den Conservativen zu stimmen", sondern nur: „Nun meine ich, wird eS die Pflicht des Bundes der Lar.dwirthe sein, bei der Prüfung derjenigen, denen er osteris paridus seine Unterstützung zuwendet, folgende GesichtSpuncte zu berücksichtigen. Zunächst der alte Bestand. Der Einbruch eines Antisemiten in einen conservativen Wahlkreis, meine ich, muß für den Bund der Landwirthe ausschlaggebend sein, zu sagen: Nein, hier ist rin conservativer Wahlkreis, ein conservativer Candidat wird mir präjentirt, der alle die Verpflichtungen erfüllt, die ich ihm aufzuerlrgen im Stande bin; wir werden für den con servativen Candidaten eintreten." Das officielle BundeSorgan nimmt daher die schroffe Auslassung, die eS an die angebliche L'eußerung deS Herrn v. Manteuffel geknüpft und die so große Entrüstung im conser vativen Lager hervorgerufen halte, zurück und schiebt die Schuld an dem „Mißverständniß" der „Kreuzztg." zu, die über die Manteuffel'sche Rede falsch berichtet habe. Die .^kreuzztg." meint dagegen, da« BunteSorgan hätte sich bester unterrichten müffen, ist aber im Uebrigen mit der Erklärung deS BunbeSorgans zufrieden. Aehnlich wird sich auch wvh die „Cons. Corr." auSlasten, und so stände dem vollen Frieden I zwischen Bund und conservativer Partei nichts mehr im Man kann nicht sagen, daß der Proccf; Zola an sich, je länger er dauert, an Interesse gewänne. Zwar hat der Vorsitzende nicht verhindern können, daß die DreysuS- und die Esterbazy-Angelegenbeit fortwährend berührt und zum Gegenstand verfänglicher Fragen Labori's gemacht werden, aber, abgesehen von der Aussage des früheren Kriegsministers Mercier, der sick bekanntlich dagegen verwahrte, erzählt zu haben, es habe kein geheimes Schriftstück im Proceß DreyfuS existlrt, nachher aber auf die Frage, ob ein Schriftstück mit- getheilt worden sei, erwiderte: „Ich kann nicht antworten",— zwei Aussagen, in denen Loch indirekt das Vorhandensein des ominösen Aktenstückes zugegeben ist, — bat der Proceß Ent hüllungen von Belang nicht gebracht, wenn man nicht auch die ausweichende Antwort Casimir-Perrier'S auf die Frage: „Hat ein solches Beweisstück existirt?", dabin rechnen will. Einen großen Eindruck machte gestern nach der Constatirung Labori's, daß die Zeugen sich nicht nur hinter das AmtS- und Staatsgeheimniß, sondern, wie Oberst du Paty de Clam, hinter daS Privatgeheimniß zurückzieben durften, daS Auf treten des Generals Pellieux, des Untersuchungsrichters im Proceß Esterhazy,dererklärte, trotzdeS Amtsgeheimnisses Alles sagen zu wollen. Was er aber sagte, war Nichts. Er gab wie Boisdeffre unr Mercier nur die Versicherung, daß er Esterhazy für unschuldig, DreyfuS für schuldig halte und wieder holte nur die bekannte Tbalsacke, daß das Gericht daS in den Zeitungen veröffentlichte Faksimile Esterhazy'« als apogryph angesehen habe. D»e wichtige Frage, welches DreysuS an geblich „rettende" Schriftstück der Archivar de« KriegS- ministeriumS Grivelm an Oberst Picquart auSgeliefert hat, blieb völlig im Dunkeln und um die Verwirrung in der ganzen DreyfuS-Esterhazy-Affaire vollzumachen, erklärte Oberst Henry, der Nachfolger Picquart's als Chef deS JnformationS- bureauS, Leblois, der Vertheidiger DreyfuS', sei nicht, wie Labori behauptet, auf seinem, sondern auf Picquart's Bureau gewesen, um jenes „rettende" Aclenstück einzusehen, eine sonder bare Unklarheit, die auch dann nicht behoben wurde, als Henry und LebloiS einander gegenübergestellt wurden. Mit Recht rügten Labori und der frühere Minister Thsvenet die absichtlich lässige Art, mit welcher die Untersuchung im Proceß Esterhazy geführt worden ist, namentlich in Bezug auf daS „rettende" Schriftstück und die verschleierte Dame, die ge heime Acten des KrlegSministeriumS zur Verfügung gehabt haben soll, welche nachher in die Hände Eiterhazy's kamen. DaS sind alles Momente, welche von Neuem bestätigen, daß die Re gierung der Republik etwa- vor der Oeffentlichkett zu ver heimlichen Hal, und daß dies ein Aclenstück ist, von welchem man fürchtet, daß e« Frankreich mit einer auswärtigen Macht in Mißhelligkeiten bringen könne. Mehr ist aber bei dem Proceß Zola bis jetzt nicht herauSgekommen: weder ist für die Schuid Esterbazy'S ein, wenn auch nur entfernter. Be weis erbracht worden, noch hat sich ein für DreyfuS ent lastendes Moment ergeben. DaS ist wohl zu beachten, und ebenso ist die Thatsache nicht völlig zu ignorire», daß l meisten in den Processen dieser beiden Vielgenannten betheiligk gewesenen amtlichen Personen mit aller Bestimmtheit au GerichtSstelle versichern, eS gebe nur einen Verräther n: das sei DreyfuS. Daß also eine Revision deS DreyfuSprccessis, wenn es zu einer solchen käme, zu Gunsten de» Berin- theilten aussallen würde, läßt sich nicht behaupte«, obgleich Manches dafür spricht, Wohl aber dies eine, daß bei d< k Processirung des DreyfuS' ungesetzlich verfahren worden >u. Paul Krüger ist, wie wir schon mittheilten, nun zum vierten Male zum Präsidenten der südafrikanischen Republik gewählt worden. War auch seine Wiederwall wahricheinlich gewesen, so hatte man doch den beiden anderen Candidaten Schalk Burger und Joubert immerhin eine g wisse Chance zugesprochen. Die Wahl hat aber einen radezu glänzenden Sieg Krüger'S ergeben, da er beträchtlich mehr als doppelt so viel Stimmen erhalten hat, als d c beiden Gegner zusammengenommeu. Die Wiederwahl Krüger mit einer so großen Majorität wird den Engländern uu.> auch der englischen Königin, die dem Präsidenten wohl noch immer nicht die „kngje tru« vergessen kann, sicherlich nick: sehr angenehm sein. Wohl haben auch die anderen Candidaten, insbesondere Burger, vor der Wahl betont, daß sie ebenso wu: Krüger die Selbstständigkeit ihres Vaterlandes hochhielten, und nicht daran dächten, den Engländern Concessionen zu macken, aber die Boeren waren klug genug, lieber den Manu zu wählen, der bereits den Beweis geliefert hatte, daß er re-, engliicker Anmaßung nicht zurückweicht, und der in gleicher Weise mit dem Säbel in der Faust und mit den Waffen der Diplomatie den Engländern gegenüber Erfolg gehabt ha: Die Ereignisse deS Winters von 1896 muffen Krüger'» Popularität bei den Boeren noch gesteigert haben, denn bci der vorigen Präsidentenwahl im Jahre 1893 hatte er noch nicht 1000 Stimmen mehr als sein Gegenkandidat Joubert, während er diesmal 7000 Stimme« mehr hat als Jouberr und Burger zusammen auf sich vereinigt hat. Das Land be kundet damit, daß eS eine Politik billigt, die nicht chauvinistisch, aber fest ist. Krüger steht bereits im 73. Lebensjahre, er freut sich aber noch großer Rüstigkeit. Wie der Telegraph meldete, ist Präsident BarrioS von Guatemala ermordet worden. In süd- und mittelamerika- nifchen Staaten sind ja Verschwörungen gegen das Leben Lee Staatsbäupter etwas Alltägliches; erst vor kaum einen: halben Jahre ist der Präsident von Uruguay, Borda, dao Opfer einer solchen geworden. Da noch keine Einzelheiten über die Ermordung deS Präsidenten BarrioS bekannt sind, so kann man der Bermuthung Ausdruck geben, daß auch er von politischen Verschworenen, nicht au« Privatrache, um gebracht worden ist. Als BarrioS im März 1892 die Prä sidentschaft in Guatemala übernahm, machten sich Viele auf eine neue Schreckcnsperiode gefaßt. Diese Befürchtungen erwiesen sich jedoch a<S unbegründet, da der neue Präsident, ein europäisch gebildeter Mann, alles für die Wohlfahrt des Staates that und alle Parteien zu versöhnen bestrebt war. Bis zum vorigen Jahre hatte BarrioS daher auch nur einige geringfügige Unruhen zu bekämpfen gehabt, da aber brach im Herbst vorigen JabreS eine Revolution aus, an deren Spitze ein Vetter des Präsidenten, ProSpero Morales, stand, der längere Zeit Kriegsminister gewesen war und als Ferrillrtsn. Alice. iss Roman von I. Lrrmina. Nachdruck »erröten. Nie hatte sie so tief gefühlt, welches unzerreißbare Band sie mit ihm vereinigte ... Er war nicht der allein Schuldige, sie war es mit ihm, vielleicht ebenso sehr als er. Davidot hatte Recht, sie war seine Complicin, denn sie hatte ia nicht die Kraft, ihn anzuklagen und zu verdammen. Für's Leben gehörte sie ihm an, im Guten wie im Bösen. Am Morgen wollte sie zu ihm eilen, und Beide wollten sie zusammen fliehen. UebrigenS würde Davidot sie nicht verrathen, davon war sie fest überzeugt. Es gab in Frankreich auch noch sehr viele Orte, wohin man sich verstecken konnte. Im Nothfalle würden sie aus wandern, die Welt war ja groß genug! So verging die Nacht, ohne daß Alice sich rührte, bis endlich der Ruf ertönte: „Die Reisenden nach Villeneuve einficigen!" Um Uhr fuhr die Postkutsche von dannen, und Alice verfiel in einen unruhigen kurzen Schlummer. Plötzlich schlugen die Worte an ihr Ohr: „Wer hat denn gesagt, er wolle nach Balenton?" Die junge Frau fuhr aus ihren Träumen empor, und der Wagen hielt. „Welche Richtung muß ich einschlagen?" fragte sie schüchtern. „Dort drüben liegt'«", versetzte der Kutscher, „aber eS geht steil hinauf." Ohne Hilfe sprang fi« auf die Erd«, wandte sich dem ihr angegebenen Weg zu, und die Postkutsche fuhr nach der anderen Seite weiter. Obwohl die Sonne schon seit langer Zeit aufgegangen war — eS war fast 8 Uhr —, so war e« Alice doch zu Muth, als umgebe sie finstere Nacht. Der Nebel war so dicht, daß ihr Blick ihn nicht zu durchdringen vermochte. Jetzt erst bemerkte sie, daß sie durchnäßt war, uad daß ihre Haare trieften. Sie trocknete sich, so gut «S gina, mit ihrem Taschentuch ab. Was kümmerte sie da« Alle«? Die Hauptsache war, daß sie ihren Weg nicht verlor. Die Gegend war vollständig einsam, und sie bemerkte einen Fußpfad, der durch Gestrüpp und über Kieselsteine führte. E» regnete noch immer, und ihr Gesicht brannte wie Feuer, doch Mr« war nicht geeignet, sie von ihrem Wege abzubrtngen. Im Gegentheil, je mehr st« sich Vtm Ziele näherte, desto größer wurde ihr Eifer. Sie vergaß vollständig, warum sie eigentlich hier war, und nur die eine Hoffnung belebte sie, daß sie „ihn" bald Wiedersehen würde. Wie würde er sie aufnehmen? Er hatte ihr auf das Strengste verboten, ihn zu stören, doch sie hatte gute Gründe, und er würbe sie wohl nicht schelten können! Die halbe Stunde, die, wie ihr der Kutscher gesagt hatte, Balenton entfernt lag, erschien ihr unendlich. Natürlich hatte man sich geirrt, der Weg war fast zwei Meilen lang und außer dem sehr schlecht. Sie war jedoch eine gute Fußgängerin, ob wohl sie noch nie in ihrem Leben einen so langen Marsch gemacht hatte. Nur einmal, als sie von Neuilly zurückgekommen war, doch an diese entsetzlich« Nacht erinnerte sie sich jetzt nicht mehr. Endlich begegnete sie Leuten, Bauern und Bäuerinnen, die mit Geräthen in der Hand über die Felder zogen. Sie sahen sie kaum an, und Alice hatte ebenso wenig Lust, «in Gespräch an- zuknüpfen. Balenton war damals nur ein kleiner Flecken von etwa hundert Häusern, und die junge Frau bemerkte, als sie sich in der Hauptstraße befand, auf den ersten Blick das Wirthshaus „Gol denen Löwen". Zu jeder anderen Zeit würde Alice, schüchtern wie sie war, es nicht gewagt haben, einen so unbekannten Ort zu betreten; jetzt aber mußte sie ihre Schwäche energisch be kämpfen und handeln. Al« sie die Thür geöffnet hatte, befand sie sich in einem großen Zimmer, in dessen Hintergründe ein Mann auf der Ofenbank saß. Sie ging entschlossen auf ihn zu und sagte: „Mein Herr, haben Sie di« Freundlichkeit, mir mitzutheilen, wo sich das Schloß deS Herrn v. Herbecourt befindet." Der Alte rührte sich nicht, und die junge Frau wiederholte chre Frage, doch vergeblich. „Was wollen Sie?" sprach plötzlich eine Stimme hinter ihr. Es war die Wirthin, eine dicke Frau, die unbemerkt ein getreten war. „Ach, Madame", versrtzte Alice, sich umwindend, und ohne den barschen Ton der Frau zu bemerken, „ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir eine Auskunft geben könnten. Wo befindet sich daS Schloß deS Herrn Marqui« o. Herbecourt?" Mißtrauisch und doch von dem hübschrn Gesichte Alice'« mildrr grstimmt, erwidrrte die Frau in weniger hartem Tone: „Wal für rin Marqui»?" „Drr Marqui« d. Herbrcourk." „Den kenne ich nicht." „Ach", versetzte Alice lächelnd, „daS ist ja nicht möglich, der Name ist Ihnen vielleicht nicht ganz geläufig; aber der Marquis v. Herbecourt nimmt eine viel zu hohe Stellung ein, als daß sie ihn nicht kennen sollten." „Ich erinnere mich aber wirklich nicht. Was ist er denn?" „Er ist einer der Minister des Königs. Jetzt erinnern Sie sich wohl?" „Ein Minister? Ach, Sie meinen wohl Herrn v. Som merais?" „Nein; wer ist denn dieser Herr v. Sommerais?" „Nun, der war einmal Minister, zur Zeit Napoleons I." „Aber nicht doch, Herr v. Herbecourt ist ja Minister Karl's X." In diesem Augenblick trat der Wirth, ein dicker Mann mit rothen Backen, ins Zimmer. „Weiß es der Herr vielleicht?" fragte Alice lebhaft. „Der, der weiß vielleicht, wo der Keller ist", versetzte die Wirthin schroff, „aber sonst weiß er nicht viel." Trotzdem fragte sie aber: „Höre einmal, Alter, kennst Du einen Marquis v. Herbe court?" Mit heiserer Stimme erklärte der Mann, er habe in seinem ganzen Leben noch nie diesen Namen gehört. Alice glaubte, man wolle sich über sie lustig machen, und wiederholte: „Aber das ist ja nicht möglich, das ist ja nicht möglich." Dann unterbrach sie sich plötzlich und fuhr fort: „Oder gicbt eS vielleicht noch ein anderes Balenton?" „Nein, das giebt es nicht; das hat mir wenigstens ein Herr von der Post gesagt, der mir erklärte, eS wäre das einzige in ganz Frankreich." Die Frau, die im Grunde genommen recht gutmüthig war, sah die Angst, die sich auf Alice's Gesicht abspiegklte und meinte: „Sie müssen sich darum nicht ängstigen; es handelt sich hier vielleicht nur um «in Mißverständniß. Wer hat Ihnen denn gesagt, daß eS in Balenton einen Marquis v. Herbecourt giebt?" „Jemand, der sich darin unmöglich täuschen kann, mein eigener Gatte." „Hm", machte die Wirthin, „Ihr Gatte?" „Ja mein Gatte, her Vicomte Clairac von Chantefoffe", sprach Alice, die jetzt alle unnöthigen Vorsichtsmaßregeln ver- chmähte, in stolzem Tone. „Herr d. Elairac, Secretair deS Ministers de« König», drr hier in Balenton rin Schloß besitzt." In diesem Augenblick trat ein mit einem rothen Jagdrock bekleideter Mann, eine Peitsche in der Hand haltend und von zwei prächtigen Jagdhunden gefolgt, in'» Zimmer. „Ah! Da kommt je gerade Herr Vincent, der Piqueur, der wird uns das sofort sagen können." Der Titel Vicomte, der der jungen Frau den einer Bicomtesse beilegte, hatte seine Wirkung nicht verfehlt, und die Bedenken der Wirthsleute waren verschwunden. Herr Vincent hörte die Worte Alice's aufmerksam mit an, kratzte sich hinter dem Ohr und antwortete schließlich: „Einen Marquis oder Minister giebt es nicht in der Gegend. Bielleicht finden Sie einen in Limeil oder Brevannes", fügte er hinzu. „Nun gut", erklärte Alice, „ich werde nach Limeil, nach Brevannes, überall hingehen. Ich bin überzeugt, ich täusche mich nicht, und muß meinen Mann auf jeden Fall sprechen." „Hören Sie", fuhr die Wirthin fort, die plötzlich ganz mütterlich geworden war, „Sie sehen rocht ermüdet aus. Sie kommen von Paris, nicht wahr? Ein strammer Marsch, setzen Sie sich doch eine Viertelstunde. Wir werden Ihnen eine tüchtige Suppe kochen, und während der Zeit werde ich mich erkundigen. Wenn es hier einen Marquis und einen Minister giebt, so werden wir ihn schon entdecken." Alice widerstand. Es war ihr, al» wäre jede ihrer Ge sundheit gewidmete Minute ein Diebstahl, den sie an Gaston beging. Und doch sah sie ein, daß di« Wirthin sich sicherer und schneller als sie selbst erkundigen konnte. Die brave Frau bestand um so mehr auf ihrer Forderung, als sie Alice's Bedenken bemerkte, und schließlich behielt sie doch das letzte Wort, denn die junge Frau ließ sich überreden. Es würde ja höchstens eine Viertelstunde dauern, und schließlich handelte es sich doch um ernste, sehr ernste Interessen. „Sie sind ganz sicher, daß sich Ihr Mann in Dalenton aufhält?" „Gewiß, ganz sicher, er hat mir ja mehr als zehnmal ge schrieben." „Und Sie haben ihm geantwortet?" „Ja, natürlich." „Nun, dann werde ich schon das Nöthigc erfahren. Seien Sie ganz unbesorgt, meine Dame, Sie werden bald Neues von mir hören." Mit diesen Worten rief sie eine Magd, empfahl ihr die Fremde an und verließ daS Gastzimmer, während der Wirth anfing, mit dem Piqueur zu trinken und sich lebhaft mit ihm zu unterhalten. Alice war ungeduldig, doch sie zweifelte leinen Augenblick, baH dieser Aufenthalt nur ganz zufällig war. Es lag ein un glückliches Miprerständniß zu Grunde, das sich schnell aufklären mußte. Man zeigte sich ihr gegenüber so gefällig, das war ein gutes Zeichen. Und dann, weshalb sollte sie auch unruhig sein?
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