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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980628016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-28
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Die Hebung der Seefischerei ist viel mehr eine socialpolitische und auch nationalpolitische Aufgabe des ganzen Reiches von nicht zu unterschätzender Bedeutung; socialpolitisch insofern, als die Seefischerei dem ganzen Volke bis an die entferntesten Grenzen des Binnenlandes ein gutes und sehr billiges Nahrungsmittel zu liefern vermag, und uationalpolitisch, weil wir für unsere Kriegsflotte zum großen Theil auf die Mannschaften angewiesen sind, die aus der Schule der Seefischerei hervorgehen, lieber diese Bedeutung des Gewerbes und über die daraus entspringenden „Auf gaben des deutschen Reiches gegenüber der Seefischerei" ist kürzlich eine ausführliche Darstellung in Schäffle's „Zeitschrift für die gesammten Staatswissenschasten" (Tübingen, H.Laupp) erschienen. Wir finden dort zunächst einen statistischen Ueberblick über den Umfang der Seefischerei in den verschiedenen europäischen Ländern, insbesondere in Deutschland. Nach der letzten Berufszählung vom 14. Juni 1895 hat sich die Zahl der Erwerbslhäligen in der Seefischerei gegen 1882 etwas vermindert; es sind nur noch 10 144 mit 42k Dienenden und 23121 Angehörigen, zusammen 33691 Personen. Vermehrt hat sich dagegen die Zahl der Fischer, welche keinen Nebenberuf ausnben, es sind nur noch 3832 in einem Nebenberuf thätig, während die Seefischerei andererseits von 2080 Personen nebenberuflich aus geübt wird. Beschäftigungslos waren in der Seefischerei am 14. Juni nur 41 Personen, am 2. December 1895 dagegen 557. An der Seefischerei besonders stark interessirt, bezw. lediglich für sie arbeitende oder wesentlich von ihr beschäftigte Berufe sind neben den Fisckern selbst die Fischhändler, die Fischereigeräthschaften-Fabrikanten und -Händler, die Fisch- conscrven-Fabrikanten, die Fischerzeugstricker, die Fischkrämer, die Fischleimsabrikanten, die Fischmariniranstalten, die Fisch netzmacher und -Stricker, die Fischpökler, die Fischräucherer, -Röster, und -Salzer, ferner besonder- die Fabrikanten von Fischereifahrzeugen. Sie alle gehören zu der Zahl Derer, die von der Seefischerei leben. Die Zahl der am 1. Januar 1896 in der Nordsee im Dienste der Hochseefischerei stehenden Fahrzeuge betrug 515, darunter bereits 88 Dampfer, mit zusammen 75 312 edm Raumgehalt und 2811 Mann Besatzung. Die Zahl der Fahrzeuge von 70—100 cbm hatte sich vermindert (157), die der größeren dagegen stark vermehrt; 119 hatten einen Naumgehalt von mehr als 200 cdm. — Was nun die Förderung der Seefischerei angeht, so stehen an erster Stelle die Versuche zur Hebung des Fischconsums, die darauf hinauS- gehen, daß durch das ganze Land Seefische das ganze Jahr hindurch in tadellos guter Waare zu einem solchen Preise zu kaufen sein sollen, daß auch die unbemittelten Schichten der Bevölkerung das billigste Fleisch, welches existirt, zur Ernährung benutzen können. An diesem Punkte setzt eine hochwichtige socialpolitische Aufgabe ein, welche die deutsche Seefischerei zu erfüllen hat und deren Bedeutung in demselben Maße wachsen wird, wie die Dichtig keit der Bevölkerung zunimmt und der Anspruch an die Lebenshaltung steigt. Das erste und hauptsächlichste Mittel zu ihrer Erfüllung bleibt natürlich die massenhafte Ver mehrung der deutschen Production; allein nebenher laufen noch viele kleinere Hilfsmittel, so z. B. Belehrung der Be völkerung über den Werth der Fischnahrung, über die richtige Behandlung des Fisches nach dem Fang, auf dem Versandt und in der bürgerlichen Küche. Die wünschenSwerthe Hebung des FischconsumS ist nur möglich bei ausgedehnter Erleichterung des Fischtransportes. Hier haben die Eisenbahnen zur Erfüllung der socialpolitiscden Aufgabe einzutreten und nach dem geradezu glänzenden Muster Englands zur Hebung des Evnsums von Seefischen im ganzen Lande wesentlich beizutragen. Uebrigens darf der Vergleich mit England nicht zurückgewiesen werden, da die Lage des ganzen Landes zur See so viel günstiger ist als in Deutschland. Auch dort verkehren die Fischzüge täglich zwischen der Nordspitze der Insel und London auf einer Strecke, die der von Hamburg nach München gleichkommt. Die wichtigsten Forderungen an die Eisenbahn verwaltungen sind: Einstellung besonderer Fischwagen; Einstellung besonderer Fischzüge mit Schnellzugs geschwindigkeit auf den Hauptlinien; sofortige Weiterbeförderung mit den Personeuzügen auf den anderen Linien; Ausdehnung der Frachtermäßigung auf conservirte Fische. Soweit ein täglicher Fischzugtransport heute nicht thun- lich oder angebracht erscheint, wäre es mindestens sehr wünschenSwerth, solche Züge in jeder Woche derartig zu befördern, daß namentlich nach allen katholischen Theilen Deutschlands und darüber hinaus nach der Sckw-iz, Italien, Oesterreich zu jedem Freitag eine große Menge frischer Seefische gelangen kann, da der Bedarf dann besonders groß ist. Durch eine derartige massenhafte Einführung des billigen Seefisches würde eine weitere Einbürgerung und demgemäß ein gesteigerter Bedarf von selbst erfolgen. Es ist aber schon oben darauf bingewiesen worden, welche socialpolitische Bedeutung die Verbreitung dieses billigen Volksnahrungsmittels hat. Daß der Confum noch einer großen Steigerung fähig ist, wenn auch in Süddcutschland der Seefisch überall leicht zugänglich gemacht wird, unterliegt keinem Zweifel. Gleichzeitig wird, wenn der Absatz er leichtert und ein geringerer Theil deS Ertrages sür Trans portkosten verbraucht wird, auch die Lage der Fischer selbst und die Seefischerei überhaupt gehoben; denn mit der Ver größerung des heimischen Marktes würde sich auch im Jn- lande der Seefischerei ein größeres Interesse zuwenden und es wäre zu erwarten, daß mehr Capital für ihre Zweck flüssig würde. Einen interessanten Beleg dafür, wie der Consum von Seefischen im Binnenland- gchobeu werden kann, bietet die kürzlich erfolgte Eröffnung der neuen Seesischhalle in München durch die deutsche Danipfsischereigcsellschaft „Nordsee", über die u. A. geschrieben wird: Die Halle ist in einen erfolg reichen Wettbewerb mit den Münchener Metzgermeistern ein getreten. Diese lassen jetzt bittere Klagen über den großen Schaden laut werden, der ihnen durch die Fischhalle in den wenigen Wochen ihres Bestehens erwachsen ist. Es wird jetzt bedeutend weniger Fleisch gekauft. Alles will billige — und man muß auch sagen — gute Fische essen. Die Preise der Kälber, deS HauptnahrungsmiltelS der Münchener, fallen von Tag zu Tag. An einzelnen Tagen blieben 400 Kälber un verkauft, ein Ereigniß, das bis jetzt auf dem Münchener Vieh markt noch niemals zu verzeichnen war. Die Gesellschaft „Nordsee" setzt täglich mehrere Hundert Centner Seefische ab. Das neue Nahrungsmittel ist besonders in den Arbeiter familien hochwillkommen. Demgegenüber ist in Berlin der Seesischconsum noch auffallend gering. Den darauf bezüglichen Berichten entnehmen wir Folgendes: Ein Seefisch-Verkauf, den die norddeutschen Eiswerke unter dem Einfluß des deutschen Fischereivereins und deS damaligen Kronprinzen Friedrich einrichteten, ging aus Mangel an Zuspruch wieder ein. Erst die Markthallen gaben dem Seefischhandel einen größeren Umfang; es fehlt in Berlin aber immer noch die richtige Verbindung zwischen der Groß-Markthalle und dem großen Publicum. Mau kaust unberechtigter Weise nicht gern solche Seefische, die reich lich vorhanden und deshalb billig sind. Dcr Gesammt-Fischumsatz iu Berlin betrug im Jahre 1896 198 750 Centner im Werthe von 7 140 000 Mehr als ein Viertel, 50 750 Centner, entfielen davon auf lebende Fische im Werthe von 3 140 000 In Bezug auf den Umsatz von Seefischen steht Berlin noch immer hinter anderen Großstädten zurück. Der Gesammt- umsatz betrug 1896 95 200 Centner im Werth von 2 285 000 es betrug somit der Jahres-Durchschnittspreis für den Centner 24 Jedenfalls kann hier wie an vielen anderen Stellen noch Manches für die Hebung des Absatzes und damit für die Hebung der Seefischerei fclbst geschehen. Auf die einzelnen Maßnahmen zur directen Hebung dieses wichtigen Gewerbes wollen wir hier nicht näher entgehen; eS giebt da noch vielerlei zu thun, obwohl keineswegs über sehen werden darf, daß in den letzten Jahren sckon manche fegensreiche Arbeit gethan ist. Am meisten umstritten ist wohl die Frage deS HeringSzollS, die auch in dem genannten Artikel eingehender behandelt, aber nicht durchaus entschieden wird. Da die Heringsfischerei den wichtigsten Zweig der Seefischerei bildet, ist die Frage natürlich sür die Hebung der Seefischerei überhaupt von besonderer Bedeutung. Die Ansichten über den etwaigen Werth eines höheren Heringszolles sind aber sehr getheilt. Daß derselbe als Finanzzoll nicht zu rechtfertigen ist, unter liegt keinem Zweifel, obwohl Oesterreich-Ungarn und Rußland dieses verbreitete Volksnahrungsmittel mit einem starken Finanzzoll belegt haben. Anders ein Schutzzoll, der dazu dient, Deutschlands Seefischerei in den Stand zu setzen, die für jeden Staat bereit liegenden Schätze des Meeres, soweit das Land ihrer bedarf, selbst zu ernten und die äußerst schwierige Lage der Küstenbevölkerung zu bessern. Nach der Ansicht berufener Beurtheiler würde eine Erhöhung des Zolles von 3 auf 9 die deutsche Seefischerei soweit concurrenzfähig machen, daß es weiterer Schutzzollmittel — Prämien — nicht mehr bedürfte, ohne daß der deutsche Consument den Schaden trüge, der vielmehr auf das Ausland abgewälzt werden würde. Höchstens könnte es sich um den Bruchtheil eines Pfennigs auf das Stück handeln. — Die Entwickelung der großen Herings fischerei in Deutschland bis zu dem Umfange, daß sie den Eigenbedarf Deutschlands ganz oder zum größten Theil deckt, ist im wirthschaftlichen und nationalen Interesse sehr WünschenSwerth, besonders angesichts der ungünstigen Lage der Küstenbevölkerung infolge des Rückganges der Segel schifffahrt, auch im Interesse der Kriegsflotte. Von diesem letzten Gesichtspunkte aus, den wir schon oben erwähnten, steigt natürlich die Bedeutung der Seefischerei mit rem wachsenden Bedarf unserer Kriegsflotte. Die staatliche Fürsorge für die Seefischerei bat sich im Allgemeinen besonders auf das Transport-, Wasserbau-, Signal- und Versicherungswesen zn erstellen, worunter die Hebung des Transportwesens gegenwärtig jedenfalls die erste Stelle beanspruchen muß. Nur eine angemessene Förderung des Transportwesens ver mag den Seefischen die uöthige Verbreitung im Binnenlaude zu schaffen und nur diese Hebung des Consumö kann ihrer- jeits die Seefischerei selbst in der nothwendigcn Weise fördern. ES werden damit gleichzeitig zwei mächtige socialpolitische Erfolge errungen, indem ein in bedrängter Lage befindliches und unter besonders schwierigen Verhältnissen arbeitendes Gewerbe gehoben und zugleich den breitesten Schichten der Bevölkerung im ganzen Lande ein gutes und billiges Volks- Oer Polenaufruhr 1846/48. i. r^,Die jüngst vorgenommenen Wahlen haben neben anderen Fragen auch die Polenfrage wieder in den Vordergrund ge rückt. Heute kann der blödeste deutsche Idealist nicht mehr für ein Königreich Polen oder eine Republik Polen schwärnren, nicht mehr auf den Jahrhundert unter „Zwangsherr schaft" seufzenden edlen Stamm Hinweisen und sich für seine Befreiung begeistern. Zn früheren Jahren war der Träger des polnischen Gedankens nur ein kleines Häuflein, das aber durch sein unverfrorenes Auftreten dem gute» Deutschen Sand in die Augen streute, so daß er die wenigen Großgrund besitzer und ihre Anhänger für die ganze polnische Nation nahm. Einsichtsvolle preußische und deutsche Politiker haben das schon längst gewußt und danach gehandelt, und wenn ihre Principien consequent verfolgt worden wären, so würbe heute die polnische Frage ein anderes Gefickt zeigen,als sie es thut. Ganz außerordentlich lehrreich in dieser Beziehung ist ein jüngst er schienenes Buch*) von dem früheren Landrath des Kreises Czar- nikau und späteren Präsidenten deS Regierungsbezirks Breslau, Juncker von Ober-Conreut, das sich mit dem Polen aufruhr von 1846—1848 befaßt und insbesondere die Zu stände im Kreise Czarnikau schildert. Beim Studium dieses BucheS kommen dem Leser wieder so recht die schwankenden Grundsätze in der Behandlung der Polen inS Gedächtniß, die Schaukelpolitik der einzelnen preußischen Ministerien und die durch eine falsche Auffassung der Lage hcrvorgerusene Erhöhung und Erweiterung der pol nischen Ansprüche. DaS Buch, das jetzt nach fünfzig Jahren die damaligen Zustände schildert ist eine Anklage gegen die Polenpolitik bcS JahreS 1848, und zugleich ein Hinweis darauf, wieviel auch in den folgenden Jahren versäumt worden ist, um Polen dem Deutschen Reiche innerlich mehr anzugliedrrn, die Polen selbst zu assimiliren. Es ist kein politisches Buch im eigentlichen Sinne, es sind Memoiren, die nicht immer ganz objektiv sind, die dem subjektiven Em pfinden deS Verfassers viel Spielraum lassen, die aber eine desto eindringlichere Sprache reden. Der Verfasser selbst bemüht sich objektiv zu sein. Er weiß, daß das Vaterlandsgefühl der Polen ein mächtige- ist oder besser damals war, er verurtheilt auch nicht diesen nationalen Standpunkt, den er ganz begreiflich findet, nur die Art der Hervorkehrung desselben, die Prätension und die Durchführung deS Gedankens einer Befreiung von Preußen und Gründung eines polnischen Reichs finden in ihm einen Widersacher, und zugleich übt er scharfe Kritik an der schwäch lichen Haltung der preußischen Regierung und erhebt bittere Anklage gegen das Zaudern der höheren Beamten, ihre In differenz und ihr Liebäugeln mit den Aufständischen. Nun läßt sich freilich nach fünfzig Jahren ein Zustand anders betrachten, al- zur Zeit, da er sich noch in (Nahrung *) Im Polen-Aufruhr 1846—1848. Au- den Papieren »ine- LandrathS. Gotha, Fr. Andr. Perth«-. 271 Seiten. 4 befand, zu einer Zeit, wo daS eigene Interesse die Menschen befangen machte und der Zeitgeist ein anderer war als >cute. Auch wir betrachten heute das Jahr 1848 mit andern Augen als die Zeitgenossen, ohne ihr Handeln mißzuverstehcn, auch wir bedauern so manche Vorfälle des tollen Jahres, ohne einen Vorwurf zu erheben gegen die Menschen, die damals von einem anderen Gesichtspunkte aus die Lage betrachteten, denen daS Gefühl und das Herz näher war, als der kühle Verstand und die nüch terne Erwägung und wir ziehen auS ihren Thaten ohne Vorwurf den Nutzen, den ihr Thun uns hinterließ. Aber auf der anderen Seite lernen wir aus der Geschichte unsere eigene Zeit verstehen, uns über sie erheben und ob jektiv unsere Handlungen und die unserer Zeitgenossen prüfen, sie mit den früheren Zeiten vergleichen und Nutzanwendungen machen. Und gerade in der Polenfrage ist das Buch ein solcher Leitfaden für das Verständniß derselben, eröffnet es Perspectiven, die uns zum Nachdenken und zur Stellungnahme zwingen. In der Behandlung der Polen seitens der preußischen Ne gierung war oft gewechselt worden, bis mit Flottweü'S Oberpräsidium wieder eine energische Regierung auftrat, die mit fester Hand und nach festen Grundsätzen die Provinz regierte. Flottwell trat 1830 an die Spitze der Civilverwal- tung und sorgte für Ruhe und Ordnung. Seiner Thätigkeit und seiner Fürsorge für die kleinen Leute, verdankte die Provinz eine verhältnißmäßige Ruhe und innere Ent wickelung, die freilich nicht nach dem Gesckmack der polnischen Heißsporne war. Als daher 1840 der Thronwechsel eintrat, drängten sich diese heran und fanden bei dem romantisch ver anlagten Könige Friedrich Wilhelm IV. Gehör, dem die „ritterliche polnische Nation" imponirte. Klerus und Adel haßten Flottwell bitterlich, sie kannten aber auch den König und setzten schon bei der Krönung eine polnische Agitation in Scene, die in der dreisten Rede, mit der Graf Naczynsky im Cvngresse daS nationale Polenthum begrüßte, gipfelte. Flottwell fiel in Ungnade und trat ab. Sein Nachfolger war Graf Arnim, der das System Flottwell verlassen und die „Herzen gewinnen" wollte. Die Folge war, daß „wieder in kurzer Zeit durch seine Schönthuerei mit den Polen alles DaS verloren war, was sein Vorgänger durch ein Jahrzehnt erreicht hatte." So kam es, bemerkt Biedermann, daß der Haß der Polen gegen die Regierung blieb, die Achtung aber sich in Mißachtung verwandelte, welche, da eS Niemand anderes thun durfte, die Polinnen gegen die Deutschen zeigten, wenn sie sich herabließen, der dringenden Bitte deS Herrn Oberpräsiveoten nachzugeben und „seine Soirsen" zu schmücken, sowie die entschiedene Bevorzugung anzunehmen, die er ihnen im Vergleiche zu allen deutschen Damen, und wäre «S die Frau des commandirenden Generals gewesen, erwies. Die vorher gefesselte Verschwörung fand während der Bälle Gelegenheit, die Fesseln abzustreifen und die Hände frei zu machen sür die nahenden Ereignisse. Die Polen spöttelten über dieses „Soirsen-Oberpräsidium". Flottwell war kaum ein halbe- Jahr abgesetzt, da sah sich der König gedrungen, schon in seinem ersten Posener Land- tagSabschiede vom 6. August 1841 und später in dem vom 12. März 1843 übertriebene polnische Prätensionen znrück- zuweisrn. Aber eS half nichts. Arnim wurde schon 1842 als Minister nach Berlin berufen und an seine Stelle trat der bis herige Vicepräsident von Buermann, „ein begabter, durchaus feiugeistiger, ausnehmend liebenswürdiger und artiger, stets ent gegenkommender Herr", zum Präsidenten von Brombcrg wurde Freiherr von Schleinitz ernannt. Tie entgegenkommende Haltung der Posener und Berliner Regierung wirkte mehr anfcuernd als versöhnend und die Beunruhigung der Provinz wurde immer stärker. Leipzig war damals eine Art Sammel- punct oder eine Durchgangsstation für die Polen. Schon im Jahre 1841 schrieb ein Pole in der „Allgemeinen Leipziger Zeitung" gegen die preußische Verwaltung und erging sich in unverhohlener Weise ui der Bemerkung, daß „iu Posen die Vorbereitungen zum Ausstand so öffentlich und unverhohlen getrieben würden, baß die Hökerinnen und Inden davon sprechen und dieselben bemerkt hatten, und daß, um diese Oesfentlichkeit vollständig zu machen, in all dem Treiben weiter nichts gefehlt hätte als eine Kriegserklärung". Die emigrirten Polen in Frankreich wühlten mächtig, und wenn auck bei ihnen eine aristokratische Partei, die den Fürsten Adam von Czatoryski aus dem Stamme der Jagellonen als König von Polen auf den Schild erbeben wollte, und eine demokratische, fast communistische Partei cxistirte, so traten doch diese Strömungen vor dem Gedanken eines selbstständigen Großpolcns zurück. Von Frankreich wurden immer mehr Fäden mit den Polen im Großherzoglhum angeknüpst, unter den Augen der Regierung entwickelte sich eine Propaganda, aber die Regierung schien nichts zu sehen, sie that nichts dagegen. „Im Januar 1844, schreibt Ober-Conreut, wurde plötzlich durch die Zeitungen bekannt, daß in Posen selbst einige dreißig polnische Ueberläufer, die sich seit lange in der Stabt ohne Beschäftigung zwecklos umhertrieben, verhaftet worden seien; amtliche Benachrichtigungen von oben her an die Kreisbehörden erfolgten nickt! — Ueber den Kreis Czarnikau Warrn auch solche unnütze Vaganten vielfach ver breitet, und sie verkehrten dort vorzugsweise in Althütte bei einem Gutsbesitzer Szuman, einem fanatischen polonisirten nationalen Convertiten aus der deutschen Colonie Romanshof bei Czarnikau, dessen cultivirterer Bruder Pantaleon den Namen Schumann in aller deutscher Form sortführte. tDicser, einst Procurator zu französisch-sächsischer Zeit, dann Beamter der Generalcommission in Posen, inbaftirt und begnadigt, jetzt Gutsbesitzer im Wougrowitzer Kreise, galt dort für einen schlauen Agitator. Wie in Althütte ein ultrapolnischcr Sammelpunkt war, so auch in Gembitz bei v. PaliSzewSki und seinem „WirthschaftScommissar" Lorenz, der später recht zeitig flüchtig wurde. — Erst auf besondere Anfrage beim Oberpräsidenten erhielt der Czarnikauer Landrath am 9. Mai 18 l4 die selbst erbetene Auskunft, daß die vielen Verhafteten „unter den niederen Bolksclassen, Handwerkern, Tagelöhnern, auch gemeinen Soldaten Anhänger zu werben gesucht und geheim durch Vorbereitung eines Aufstands an Unter nehmungen gegen daS Königreich Polen für den Herbst von Posen aus gearbeitet hätten, und daber achtzehn nach Magde burg zu besserer Ueberwackung abgeführt, die übrigen in die Arbeiterabtheilung eingestellt, mehrere sehr Compromittirte aber schon vorher nach Frankreich selbst abgegangen seien." Es war hiernach der Beginn einer förmlichen Verschwörung, worüber der Landrath erst auf specielle Bitte und sogar erst vier Monate nach dem Vorgänge selbst diese rein thatfäch- lichen Angaben ohne weitere Orientirung erhielt. Freiherr Junker von Ober-Conreut war im Jahre 1814 Landrath in Czarnikau geworden. Er hatte eine echt preu ßische Beamtennatur, und zeigte später auch, daß er das Staatswohl sogar gegen verkehrte Maßnahmen von oben her zu vertheidigen wußte. Elemente, die zu patriotischem Sturze dienen konnten, existirten im Kreise kaum. Neben den vier Districtscommissaren, drei Bürgermeistern, davon einer unzuverlässig, und vier Gensdarmen kamen nur noch zwei anwesende deutsche Gutsbesitzer in Betracht. Die bürgerliche deutsche Vertretung war vorläufig indifferent, die Bauern desgleichen. Vielfach waren ihre wirthschaftlichen Interessen mit denen der Polen verknüpft. In eingehender Weise schildert nun Ober-Conreut in seinem Buche sein amtliches Wirken und seine schwierige Stellung. Er war besonders darauf bedacht, den Kreis wirthschastlich zu heben und vor allem Chausseeverbindungen herzustellen, denn damals sah eS noch recht wüst in Posen aus und im Frühjahr und Vorwinter war auf den Communicationswegen kaum fortzukommen. Auch für Schaffung von Flußübergängen durch das Netzebrucktbal zur Verbindung des deutschen Nord- tlnils mit dem polnischen Südthcile des Kreises war er besorgt. Die Atmosphäre war eine schwüle. Am 7. November 1815 wurden in Posen vierundzwanzig Verhaftungen vorgenommen, man war einer Verschwörung auf der Spur. Am 16. oder 17. Februar 1846 sollte der offene AuSbruch der Revolution zu erwarten sein. Das war eine schwierige Lage sür den lungen Landrath. Telegraphiren kannte man noch nicht, Militair gab eS nicht und Bromberg liegt von Czarnikau 16 Meilen, damals zum größten Theile ohne Chausseevcrbindnngen ent fernt. Da jeder insurrectiouelle Angriff jedenfalls zunächst auf die Städte mit ihren Hilfsquellen und auf die Behörden >n den Städten zu erwarten fein durste, so verfügte ter Landrath für die beiden Städte im polnischen Krcistheile südlich an der Netze und auch für die nördliche deutsche Stadt die Einberufung städtischer Wachtmannschaften Mangels jeder Garnison zur Besetzung ter Natbswachen und Stadtciugänge, zu Patrouillengängen, Consignirung der Spriyenmannschasten und Hinderung jedes unerlaubten Glockenziehens. AuS dem nördlichen KreiStheile wurden die zwei Gendarmen in die polnische Kreisstadt zur Disposition des Landraths gezogen, und der Versuch gemacht, noch je zwei aus dem märkischen Friedland, was gelang, und aus dem westpreußiscken Deutsch- Krone zu erlangen, was mit Rücksicht auf eigene Besorgniß abgeschlagen wurde. Da inzwischen die Agitatoren MiroslawSki und I)r. Lebelt verhaftet worden waren, kam eS nicht zum AuSbruch. In dessen wurde weiter gewühlt. Es wurden von den polnischen Gutsbesitzern „Hetzjagden" veranstaltet und diese vorwiegend zum Reden oder zu Waffen-, Reit- und Exercirübungen des Personals benutzt, geheime Versammlungen wurden ab gehalten und die Anzeichen vermehrten sich, daß die Revolution nicht aufgegeben, sondern nur aufgeschoben war. Czatoryski erließ eine großartige Erklärung zur Befreiung vom Tyrannen joche und in Russisch-Polen und im Freistaate Krakau kam r- zu Scharmützeln.
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