Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980705027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898070502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898070502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-05
- Monat1898-07
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgcn-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr, Filialen: Otto Klemm's Tortim. «Alfred Hahn), Universitätsstratze 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Aatharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Nc-action und Expedition: JohanncSgassc 8. Dir Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bis Abends 7 Uhr. Bezugs-Preis t« der Hauptexpedition oder den im Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung Ins Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. l tlMger T agcb l alt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Natlies nnd Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Nnzcigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50A, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40 ^. Größere Schriften laut unserem PreiS- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsay nach höherem Tarif. »rtra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefvrderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: VooniriagS 10 Uhr. Msrge n-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. 335. Dienstag den 5. Juli 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. <H> „Die unter meinem Befehle stehende Flotte hat der amerikanischen Union als Geschenk zur Feier deö Unabbängig- keilsfestcs die Zerstörung der ganzen Flotte Eervera's hescheert, Niemand ist entkommen", mit diesen Worten leitet Admiral Sampson seinen Bericht über den Kampf zur See, der mit der Vernichtung der spanischen Schiffe endete, ein. Der Bericht zieht einige Einzel heiten und ergänzt, was schon initgetheilt. Wichtig ist, daß Eervera nicht im Hafen von Santiago unthätig gelegen, sondern versucht hat, „zu entkommen", wie die Amerikaner sagen, den Feinden eine Schlacht anzubieten, wie die Spanier meinen. Nach der ersten Meldung batte mau annehmen können, daß Cervera ganz unrühmlich im Hafen von Santiago feine eigenen Schiffe verbrannt habe; das ist al>o nicht der Fall. Er hatte den Fall Santiagos vor Augen gesehen, hatte gesehen, daß aller Heldenmut), der Landtrnppcn, die einen fünffach größeren Feind vor sich hatten, nichts nützte, und hatte deshalb beschlossen, das feindliche Geschwader zu durchbrechen und entweder den Feind zu besiegen, oder sich nach Havanna durchzuschlagen. Nach Lage der Dinge war dies nickt allein ein tollkühnes, son dern ein aussichtsloses Unternehmen — er hat es aber doch versucht und spanische Meldungen sprechen mit einem gewissen Stolze davon, daß er durch das Eeutrum der amerikanischen Schisse dnrchgefahren nnd sechzig Meilen westwärts gesegelt sei. Daraus, daß man angeblich nach ter ersten Kanonade keinen Schuß hörte und die Spanier größere Fahrgeschwindigkeit hallen, nahm man spanischerseitS das Gelingen des Planes an und Marschall Blanco in Havanna folgerte ferner daraus, da das spanijchcGeschwader nach dem ersten Schußwechsel beim Dnrckbrechen der amerikanischen Schußlinie keine Signale gegeben habe, daß cs in Sicherheit sei. Daß indessen das Fehlen der Signale ans eine vollständige Nieder lage und Vernichtung deuten könnte, kommt ihm nicht in den Sinn und auck die Minister in Madrid verheimlichen alle bestimmten Nachrichten. Obgleich gestern Mittag in der spanischen Hauptstadt durch ein Extrablatt des „Jmparcial" die Hiobspost von der Zerstörung der Flotte bekannt wurde, leugneten tie Minister immer »och, consignirtcn aber taö Militair. Es ist indessen bis jetzt trotz der anfänglich großen Erregung nicht zu Ruhestörungen gekommen. Der amerikanische Bericht vom Sonntag über die Ver nichtung der spanischen Flotte lautet: * Siboi'.cl), 3. Juli. Tie spanische Flotte machte heute früh 9'^ Uhr den Versuch, zu entkommen. Uni 2 Uhr Nachmittags war auch das letzte spanische Schiff, der „Christobal Colon", sechzig Meilen westlich von Santiago ausgelaufen und strich die Flagge. Die „Maria Theresa", der „Almirante Oquendo" und die „Bizcaya" wurden gezwungen, auf de» Strand zu laufen, in Brand gesteckt und in die Lust gesprengt, weniger als zwanzig Meilen von Santiago. Der „Furor" und der „Plutou" wurden schon vier Meilen vom Hafen zerstört. Aus unserer Seite wurde einer getödtet und zwei verwundet. Die Verluste auf Seiten des Feindes betragen wahrscheinlich einige Hundert, welche durch Schüsse, durch das Feuer, die Explosionen und durch Ertrinken nmgekvmmen sind. Wir haben ungefähr 1300 Gefangene gemacht, unter denen sich auch Cervera befindet. Bon den amerikanischen Schissen ist nur die „Gloucester" beschädigt. Die Nachrichten sind so bestimmt, daß ein Flunkern durchaus ausgeschlossen ist. Die Gerechtigkeit aber und die Wahrheit vor der Geschichte erfordert, daß wir auch die spanischen Depeschen hierüber verzeichnen. Sic lauten: * Madrid, 4. Juli. Einzelheiten über die Seeschlacht fehlen, indessen ist es dem Geschwader Ccrvera's gelungen, in cincm Hafen au der Südküste CubaS auzutreffen. Wie Draln- mclvuugeu aus zuverlässiger Quelle berichten, ist es sein Geschwader Cervera'S nach einem sehr heftigen Gcjchützkaulpse nut dem amerikanischen Geschwader gelungen, die Richtung nach der Nordküste Cubas eiuznschlageu; man glaubi, daß es noch Havanna gehe. Tie Lage in Santiago babe sich seit dem Eintreffen der Verstärkungen gebessert. Die Belagerung könne lauge Zeit dauern, obgleich nach der Abfahrt Les Geschwaders Cervera'S die Amerikaner den Hauplgeguer verloren batten. (7 Uhr 30 Min. Abends.) Eine amtliche Drahtnachricht meldet ans Santiago: „Das Geschwader Cervera'S unterhielt eine Stunde lang Gejchützfeucr und verschwand sodann in westlicher Richtung, von fünf amerikanischen Panzern und mehreren Nachten verfolgt. Wir babeu zwei Torpedobvotszerstörer verloren." Man wird unschwer aus den spanischen Meldungen er kennen, daß sie zwar wahr, aber nickt vollständig sind. Vollständig sink die amerikanischen, sie geben das Ende der Flotte an. Nach Telegrammen New Iorker Blätter ist Eervera verwundet — ob schwer, ob leicht, bleibe dahingestellt — und befindet sich als Gefangener auf der „Gloucester". Er soll, nach dem Grund seines Ausfalles gefragt, angegeben haben, daß er vorgezogen habe, das Nisico eines Kampfes auf sich zu nehmen und zu kämpfen, als in einer Mausefalle zu sterben. Der Verlust dcr Flotte, die starke Umzingelung, Ne wvbl unzweifelbare Thatsache, daß Pando die Stadt Santiago nicht erreicht hat — Escario ist nach einem heftigen Kampfe mit Verlust von 20 Todten und 70 Verwundeten in der Stadt angekommen —, ter Mangel an Munition, an Lebensmitteln, die Menge der Verwundeten in der Stadt haben General Shajlcr veranlaßt, die Uebergabe der Stadt zu fordern. Bis Montag früh sollte sich ter spanische Befehlshaber entschieden haben. Vorläufig wollte dieser davon nichts wissen, er antwortete, daß ihm seine Pflicht befehle, den Platz zu vertheidigen, indessen Sbafrer legte noch 2l Stunden Bedenkzeit, aus Wunsch des englischen EonsulS, jedenfalls auch in seinem Interesse, zu, sodaß also heute DienStag Mittag entweder die Stadt übergeben sein, oder die Beschießung beginnen sollte. Man schätzt die wehrlose Bevölkerung dcr Stadt, Fremde, Greise, Frauen und Kinder auf 20 000. Die Lage der amerikanischen Truppen ist keine rosige, sie leiden stark unter der Hitze und Shaster selbst soll krank sein. Wie die Dinge heute stehen, ist ein weiterer Widerstand Selbstmord. Die militairische Ehre dcr Spanier ist gerettet, soweit sie Muth und Tapfer keit verlangt, soweit als die militairische Ekre sich auch in Umsicht nnd Fürsorglichkeit an dcr höchsten Eommandvstelle insbesondere in Madrid bewähren soll, ist sic mangelhaft gewesen. Immerhin, die Spanier haben gethan, waS sie konnten, und wenn Sagasta noch nicht zum Frieden geneigt ist und auf die angeblich hunderttausend Mann, die in Euba zu kämpfen und zu sterben bereit sind, hinweist, so wird er doch andere Gedanken bekommen, wenn er von den weiteren kriegerischen Maßnahmen der Amerikaner hört. Den amerikanischen Höchstcommandirenden General Miles lassen die Thaten der als Hoffnungen der Nation in allen Hankcezeitungen gepriesenen Sampson, Shafter und Schley — wo ist dieser geblieben, ist er wirklich todt? — nicht ruhen. Er soll schon am Montag von Tampa abgedampft sein, um den Oberbefehl selbst zu übernehmen. Natürlich kommt er mit großen Verstärkungen und läßt verkünden, daß die Kriegsleitung wünscht, daß die wichtigsten Städte sobald als möglich bom- bardirt werden, da die Ereignisse der letzten 24 Stunden diesen Plan sehr erleichtern. Sechs Batterien und mehr als 4000 Mann sind auf dem Wege, die Truppenmacht vor Santiago zu verstärken. Vom Kriegsschauplätze aus den Philippinen lauten die Nachrichten für die Spanier nicht tröstlicher. Die Stadt Manila wird heute vou dcr Land- und Wasserfeste her an gegriffen werden. Ter Eapitain der „Ulloa" hält mit 3oO Marincsvldateu das Fort von Malate besetzt. In Madrid weiß mau davon freilich nichts und leugnet, kaß amerikanische Verstärkungen auf Luzon angekommen seien, trotzdem aus ganz zwcifelfreier Ouelle ihre Landung in Cavite vom l. Juli gemeldet und außerdem noch als pikante Zugabe die Weguabme ter Ladroneninselu und Gefangennahme der spanischen Beamten telegrapbirt wurde. Wie eS vor einigen Tagen in Manila aussab, das be richtet ein Neuter'sches Telegramm, das jetzt von London ver breitet wird: - Manila, 27. Juni. Die Spanier halten die Felder von Tagupau besetzt, welche an die Stellungen der AusstäuLischeu stoßen; sie zerstören die botanstchen Gärten. Bei einem Versuch, die Insurgenten aus der Vorstadt Malate zu vertreiben, schossen die Spanier irrlhüinlich auf ihre eigenen Leute und tüoteten etwa zwölf. Kürzlich begab sich Felipe Buencamino nach Cavite, um, wie er angab, eine Ver mittelung zwischen den Spaniern und Aguinaldo anzubahneu. Ta mau aber annahm, daß ec Aguinaldo ermorden wolle, wurde er in Haft genommen. Aus dem Gefängnisse richtete er an den spanischen Gouverneur einen Brief, in dem er ihm dringend nahe legte, Manila zu übergeben nnd den Spaniern Mangel an Fähigkeit und Energie für die Vertheidignng derselben vorwarf. Zum Schluß unserer heutigen Kriegsberichterstattung wollen wir noch bemerken, daß Ea mara'S Flotte durch den Suezcanal gefahren und in Port Said angekommen ist, wo sich nun auch glücklich daS spanische Kvhleuschisf „San Augustin" befindet. Ferner vermelden wir noch, daß ein spanisches Kanonenboot am 30. Juni bei Niquero gesunken, seine Mannschaft jedoch gerettet und die Munition geborgen sein soll, und zum Schluß setzen wir noch die letzte Depesche aus Madrid her, die eine geradezu classische Wippchen meldung des spanischen Marineministers ist: * Madrid, 5. Juli. Der Mariueminisler äußerte über die Ausfahrt Ccrvera's aus dem Hafcn von Santiago seine hohe Befriedigung. Wie hierher gemeldet wird, hat das spanische Geschwader de» Admiral Sampson vor Santiago überrascht und wurde alsbald von dessen 5 besten Schiffen, die neben der spanischen Flotte herfuhreu, angegriffen. Auf gut Deutsch heißt daS: wir prügelten uns, einmal lag ich unten, einmal der andere oben, er riß aus, ich vorne weg . . . Solche osficielleu Depeschen können die Sympathie für Spanien, die noch immer, wie mit jedem schwächeren Gegner herrscht, nicht erhöhen. politische Tagesschau. * Leipzig, 5. Juli. Die »ationallibcralc Fraction wird bekanntlich im neuen Reichstage nicht stärker sein, als sie im letzten war; daß aber trotzdem die nationalliberale Partei mit Befriedi gung auf den Verlauf der Reichstagswahlen zurückblicken darf, tritt zu Tage, wenn man nicht nur die Zahl der er rungenen Mandate, sondern auch die Zahlen der bei den Hauptwahlcn abgegebenen Stimmen berücksichtigt. So viel aus oie Stärke der Fractionen aukommt, sobald die Volksvertretung zu entscheiden hat, so bedeutsam er scheint die Zahl der Wähler, wenn man beurtheileu will, wie eS um die Grundlage» einer Partei im Volke und nm ihre Zukunft steht. Die amtliche Statistik, Li: nach den Wahlen zu erscheinen pflegt, fehlt bisher. Ersa:. bietet eine Ausstellung, die soeben der Statistiker Professor A. L. Hick mann veröffentlicht und die, wenn sie auch viel leicht einige nicht unerhebliche Veränderungen erfahren wirt, doch Wohl allgemein als unparteiisch angesehen werden wirr Diese Statistik ergiebt erstens, daß v« nationalliberale Parl.i bei diesen Wahlen als die zweitstärkste der bürgerlichen Parteien sich erwiesen hat,und zn>eitenS, daß sie, während alle anderen größeren bürgerlichen Parteien zurückgegangeu sind und die Wablbetbeilignng sich gegen l893 vermindert hat, die einzige von den bürgerlichen Parteien ist, die eine erhebliche Vermehrung derWählerzahlen aufweisen kann. Das geht klar aus der folgenden Gegenüberstellung der bei den Hauptwahlcn 1893 und 1898 für die einzelnen Parteien abgegebenen Stimmen hervor: i88r . 1898 Centrum .... 1 468 500 1330 000 Coiiservative . . . 1038 300 900000 Freis. Volkspartei . 000 4lX) 500000 Reichspartei . . . 438 400 220000 Aulis. Resormpartei 263 900 310000 Freis. Vereinigung . 258 500 230 000 Polen 229 500 180 000 Eiidd. VolkSpartei . 160 800 120 000 Natinimllibrrnlc 8t) 7 801» 1 188 000. Zugenommen haben danach also, von den „Reformern" abgesehen, nur die Natioualliberale», und zwar um 163000 Stimmen; sie sind damit an Vie zweite Stelle gerückt. Dagegen verloren hat an Stiirunenzahl zunächst das Eeutrum, nnv zwar nahezu 140 000 Stimmen. Beide kon servative Parteien baben noch mehr, nämlich 350 000 Stim men, verloren. Ausfällig ist, daß zwei Drittel des Stimmen verlustes bei den Eouservativeu auf die freiconservative Partei kommt. Sie hak fast genau die Hälfte ihrer früheren Stimmen eingebüßt. Sodann die beiden freisinnüzeu Parteien und die süd deutsche Volkspartei; sie baben zusammen rund 2 iO 000 Stimmen verloren, wovon nahe 47 000 auf die Süddeutsche Volkspartei entfallen nnv 106 000 auf die Freisinnige Volkspartei. Nur 28 500 ist hingegen der Verlust dcr Freisinnigen Vereinigung. Verloren haben weiter vie Polen nnd zwar nahezu 50 00o Stimmen. Der elsässische Protest, der 1893 noch 114 700 Stimmen halte, ist diesmal auf 90 000 herunter gekommen. Zuzenommen baben die Dänen, nm etwa 000, worunter, wie kürzlich miigetbcilt, sich die dänischen Optanten befinden, die sich zur deutschen Staatsangehörigkeit in den letzten Jahren ent schieden baben. Ilm die Liste der bürgerlichen Parteien vollzählig zu machen, sei noch erwähnt, daß die bayerischen Bancrnbündlcr gegen 72 000 im Jahre 1893 diesmal 140 000 Stimmen auf gebracht haben und dem Bund dcr Landwirthe 00 000 Stimmen zuzuschreiben sind. Weit erheblicher als die Zahl, um welche bei den Hauptwahlcn die für die uationalliberalen Eandidaten abgegebenen Stimmen gegen 1893 gewachsen ist, ist allerdings ter Stimmenzuwachs, den die Socialdemo kratie am 10. Juni zu verzeichnen hatte. Aber man darf nicht vergessen, daß die Socialdemokratie in allen Wahlkreisen Eandidaten ausgestellt hatte, während die Nationalliberalen nur da mit eigenen Candidaturen hervortraten, wo sie wenig stens einige Aussicht ans Erfolg hatten, und daß bei den Hauptwahlen die Parole „Gegen die Socialdemokratie" nur in einer verhältnißmäßiz geringen Zahl von Wahlkreisen be achtet wurde, während den Nationallibcralcn selbst da, wo sic im Kampfe gegen tie Umstnrzpartci stanven, eine zerstörende Interessenpolitik in die Flanke fiel. Und trotzdem dieses Leuilletsn. ünuernblut. 23j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verbot.». Wie ein Sturz Eiswasser wirkte diese Erklärung auf Tell's entflammtes Empfinden. Er hatte sich also doch nicht geirrt. Sie war im Grunde ihres Herzens ebenso übcrmllthig und protzenhaft, wie nur irgend ein verwöhntes Dämchen ihres Standes; sic konnte nicht begreifen, daß ein armer Staatsanwalt sich wegen der Aufspürung des Diebes einer so geringfügigen Summe so viele Umstände machte. Mit einem solchen Fräu lein, er glaubte es jetzt schmerzlich einzusehcn, hatte er doch nur wenig geistige Berührungspuncte; ihr Wesen konnte ihm nie jene Ergänzung bieten, die der liebende Mann von der Ge liebten zu erwarten ein Recht hat. Enttäuscht, verletzt und sofort sich auch trotzig aufbäumend gegen den Hochmuth dieser Vertreterin einer bevorzugten Clafse, richtete er sich stolz auf, warf das Haupt in den Nacken und ver setzte mit schneidender Ironie: „Sie haben ganz recht, mein gnädiges Fräulein; dem Freiherr» von Brank bedeutet sein Ver lust nicht mehr, als wenn mir zum Beispiel ein Markstück ins Wasser gefallen wäre. Warum soll man sich da noch besonders bemühen? Daß es freilich noch einen anderen Standpunkt giebt, der das Materielle ganz außer Beachtung läßt und nur deshalb noch dem Thäter forscht, um dem gekränkten Rechte eine Genugthuung zu verschaffen, daran haben Sie freilich nicht ge dacht; das kümmert auch eine Dame nicht. Mir aber müssen Sie schon diesen philiströsen Standpunct verstatten, er ziemt sich für den bürgerlich-dunkeln Beamten, der keine Rittergüter und keine Ahnen hat." Sein verwundetes Herz war von Bitterkeit erfüllt, und dennoch fühlte er sich gleichzeitig von einem Alp erlöst: Ellen hatte offenbar keine Ahnung von dem wirklichen Thäter. Wie er auflodert, dachte Ellen, im gerechten Grimm gegen meinen geheuchelten Dünkel. Aber ich will lieber unschuldig leiden unter dem Vorwurf, den er mir macht, als daß ich dieser seiner leidenschaftlichen Empfindlichkeit reinen Wein eingeschenkt hätte. Doch konnte sie sich nicht enthalten, mit sanfter, wie um Verzeihung bittender Stimme zu sagen: „Sie zürnen mir, ich habe Ihnen nicht wehe thun wollen, Herr Staatsanwalt." „Natürlich nicht!" gab er höhnisch zurück, „wir leben nur in so verschiedenen Welten, daß wir einander kaum verstehen." Sie hatte Thränen im Auge, als sie neben dem Schweigenden dem Schlosse zuschritt. Aufs Neue hatte sich eine tiefe Kluft zwischen zwei Wesen geöffnet, die doch so gern einander in die Arme gestürzt wären. Dreizehntes Capitel. Auf der Rückfahrt des Staatsanwalts und seiner beiden Be gleiter wurde fast gar nicht gesprochen. Der Criminal-Com- mifsar, der das beneidenswcrthe Talent besaß, zu jeder Zeit schlafen zu können, um stets Frische und Kraft für die oft un erwarteten nächtlichen Amtsverrichtungen in Vorrath zu haben, schnarchte wie ein Murmelihier. Tell stellte sich müde, um sich schweigend in die Wagenecke zurücklehnen und seinen wenig erfreulichen Gedanken nachhängen zu können. Nur Just, der sich seinen Kalkstummel mit amerikanischem Tabak gestopft hatte und bläuliche Wölkchen in die Luft blies, saß aufrecht und warf ab und zu einen verstohlen forschenden, besorgten Blick nach dem Staatsanwalt. Auf dem Bahnhof Friedrichstraße in Berlin angekommen, trennten sich die drei Herren. Doch kaum hatte sich der Cri- minal-Commiffar entfernt, als Just sich wieder zu dem Staats anwalt zurückbegab und ihn leise fragte, ob er ihn begleiten dürfe. „Ich wollte eigentlich allein sein, um zu arbeiten", erklärte Tell nicht gerade entgegenkommend. Doch Just ließ sich nicht abweisen. „Zu lange werde ich Ihnen nicht lästig fallen." Sie stiegen in eine Droschke und fuhren nach Tell's Wohnung in der Genthiner Straße. Als sie dort das Arbeitszimmer des Staatsanwalts betreten hatten — die Nachmittagsdämmerung brach schon herein —, prüfte Just die verschiedenen Thüren, ob sie auch geschlossen wären, und fragte: „Ihre Aufwärterin ist doch nicht anwesend?" „Nein, wir sind allein." „Das ist gut, Herr Staatsanwalt. Darf ich mich sehen? Ich bin wirklich ein wenig müde geworden." Er ließ sich auf das zustimmende Nicken des Anderen in einen Polsterstuhl fallen, schlug die Beine übereinander und blickte wie Einer, der eine Mitlheilung zu erwarten berechtigt ist, schweigend nach dem über einen Mahagoni-Vertikow leise tickenden Regulator. „Nun?" fragte Tell, den dieses Verhalten befremdete. „Nun?" klang es von Just's Lippen zurück. „Haben Sie mir denn gar nichts zu sagen?" »Ich, Ihnen? Wie kommen Sie darauf? Ich denke, Sie haben mir etwas mitzutheilen." Vorwurfsvoll zog Just die dunklen Brauen zusammen. „Herr Staatsanwalt, ist das auch recht? Warum halten Sie einem treuen Freunde gegenüber so hinter dem Berge?" „Ich verstehe wirklich nicht", erwiderte Tell, der nun doch ein wenig befangen wurde, was hätte ich ihnen zu verheimlichen?" Es war ein fast spöttisch-überlegener Blick, den Just jetzt nach dem Staatsanwalt richtete, und doch lag in diesem Blicke wieder etwas von der unwandelbaren Treue und Ergebenheit des Hundes. „Meinen Sie, ich habe nicht gesehen, wie Sie sich zweimal am Spaliere gebückt und Dinge aufgehoben haben, die jeden falls auf die Spur der Einbrecher zu führen geeignet sind?" Aengstlich legte ihm Tell die Hand auf den Mund: „Um Gottes willen, schweigen Sie! Wollen Sie mich zu Grunde richten?" Nun war es an Just, den Staatsanwalt erschrocken an zustarren. „Ich? Sie zu Grunde richten? Da sei Gott vor! Lieber lasse ich mich für Sie in Stücke hauen!" Und ganz leise und geheimnitzvoll fuhr er fort: „Doch was haben Sic ge funden? Sprechen Sie, Herr Staatsanwalt, erleichtern Sie Ihr Herz; ich habe ja längst bemerkt, daß Sie etwas bedrückt. Theilen Sie mir's mit, vielleicht weiß ich Rath." Der Ton, in dem er dies sagte, klang warm, vertrauenerweckend und be ruhigend. So giebt es doch noch treue, selbstlose Seelen, dachte der Staatsanwalt, der den Segen des Elternhauses, die Gunst und Förderung abseiten von Freunden und Verwandten bisher ent behrt hatte und den Weg durchs Leben allein gegangen war. Dankbarkeit weitete ihm dos Herz, er fühlte sich zu diesem schlichten Manne mächtig hingezogcn, der ihn schon vom ersten Tage ihrer Bekanntschaft an so sympathisch berührt hatte; was er keinem anderen Menschen anzuvertrauen den Muth gefunden hätte, diesem langjährigen Begleiter und Freunde seiner Eiterst wollte er es ins Ohr raunen, er wußte, hier würde er nicht verrathen werden. So setzte er sich denn auf den Divan, der dicht neben Just's Polsterstnhl stand, und einen Brief, den er aus der Brusttasche hervorgcholt hatte, seinem Gaste überreichend, sagte er ohne jede weitere Vermittelung: „Der Einbrecher ist Peter Dechner gewesen." Entsetzt fuhr Just zusammen: „Das ist unmöglich!" Doch bald betrachtete er sich die Adresse des Briefes genauer, seine Stirn runzelte sich, seine Brauen zogen sich finster zu sammen, und wie Einer, der gegen seinen Wunsch und Willen überzeugt wird, nickte er mehrmals langsam mit dem Kopfe. „Sie haben meiner Seele recht! Das sieht verteufelt verdächtig aus." „Nicht wahr", fiel Tell ein, „hier ist jeder Zweifel aus geschlossen! Peier muß zufällig von seinem Bruder Adolf erfahren haben, daß draußen etwas zu holen sei, und daraufhin hat er seinen verruchten Plan entworfen und auch ausqeführt. „Hm, hm! Hm, hm!" machte Just; „es sieht wahrhaftig so aus. Doch nehmen Sie die Sache nur nicht so schwer, mein lieber Herr Staatsanwalt; welcher Vernünftige wird Ihnen einen Vorwurf machen, wenn einer Ihrer Stiefbrüder aus dcr Art geschlagen ist?" Heftig sprang der Andere vom Divan auf: „Wer mir einen Vorwurf daraus machen wird? Alle Welt! Man wird mich behandeln, als wäre ich der Sünder!" — Er stürmte leiden schriftlich durchs Zimmer und stieß Verwünschungen gegen die ständisch gegliederte Gesellschaft aus. „Sic kennen die An schauungen und Vorurtheile nicht, die durch Kastengeist und Classenhochmuth erzeugt werden. Wenn Peter als Thäter er mittelt wird, so bin auch ich zugrunde gerichtet; wo ich mich nur sehen ließe, würde man mit Fingern auf mich weisen, ent weder hinter mir herzischeln oder offen vor mir ausspeien! O, wenn Sie auch ungläubig mit dem Kopfe schütteln, ich weiß, wie sich diese gesinnungstüchtige Canaille, die sich die Gesellschaft nennt, in solchem Falle zu verhalten pflegt! Auch amtlich würde ich keine Seid« mehr spinnen; die College» würden mir den Rücken kehren, die Vorgesetzten mich wie einen Pestkranken meiden. Wenn ick mich nicht selbst vcrnichten will, so darf kein Mensch von diesem Fund« etwas erfahr«»; auch von diesem Knopfe nicht, den ich ebenfalls draußen gefunden l>abe." Er wies einen Steinnußknopf vor, den er aus seiner Westentasche gelangt hatte. Ich muß diese für die Untersuchung unschätzbaren Dinge geradezu unterschlagen — begreifen Sie das? Denn ich würde sonst die Spur aufdecken, die direct in die Höhle eines Verbrechers führt, der mir blutsverwandt ist. Geben Sie her!" Er nahm den Brief, dessen Jnhalr der Andere als eine einfach« Rechnung mit darunter geschriebener Aufforderung zu sofortiger Zahlung erkannt hatte, mit krampfhaftem Griffe wieder an sich, zündete eine Stearinkerze auf dem Wandtische unter dem Spiegel an und näherte das Papier der Flamme. „Halt!" ries Just, „verbrennen Sie ihn nicht! Geben Sie ihn "mir! Auch den Knopf! Ich werde Beides verwahren, —-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite