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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.01.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189801068
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980106
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980106
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-06
- Monat1898-01
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.01.1898
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Druck und Verlag von E. Bolz in Leipzig. S2. Jahrgang Donnerstag den 6. Januar 1898. Di« Morgen-Ausgabe erscheirt um '/,7 Uhr. Li» Abend-Ausgabe Wochentag« um 5 Uhr. Ne-action und ErpeLittoa: I«bannesgaffe 8. Die Ex-edition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend» 7 Uh4 Filialen: Ltto klemm'« Sortim. (Alfred Hahn), Universitütsstraße 3 (Paulinum), Loui« Lösche, Vatharinenstr. 1«, part. und AöaigSpla- 7. Auzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamea unter dem Redactionöstrich («ge spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Lchriften laut unserem Prei'- vrrzeichniß. Tabellarischer und Mernjap nach höherem Tarif. WgcrIagMalt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rashes nn- Nokizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. A»nah«rschlLß fir Iin-ei-eu: Ab»ud-Au-gabe: vormittag« 10 Uhr. Morg«u»Au«gabe: Nachmittag» «Uhr. Bei de« Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreisen sind stet» an die Ex-edition zu richten. tztra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Dl-gab«, ohne Postbefürderung SL—, mit Postbefürderung ^l 70.—. BezttgS-PreiS en der Hauptexpedltton oder den im Stadt bezirk und deu Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^<4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierlrstädriich ü.—. Direkte tägliche Krruzbandirndung in« Ausland: monatlich ^l> 7.50. Kiaotschau abgetreten! —p. Wir erhalten folgende Meldung, die wir noch gesteruAbrnd durch Extrablatt verbreiteten: Vertin, 5. Januar. (Telegramm.) Der „Rctchsanzeigrr" meldet nach einem Telegramm au« Peking: Hinsichtlich der Ucderlassung von Kiao- tschau ist zwischen der deutschen nnd der chinesischen Regierung eine Verständigung erzielt worden. Dieselbe hat im Wesentliche» folgenden Inhalt: Ter deutschen Regierung soll dadurch die Erfüllung des berechtigten Wunsche« ermöglicht werden, ebenso wie andere Mächte einen Stützpunet für Handel und Schifffahrt in den chinesi schen Gewässern zu besitzen. Die Ucberlassung hat die Form eine« Pachtvertrages für längere Dauer. Es steht der deutschen Regierung frei, innerhalb de« überlassenen Gebiete« alle nöthigen Baulichkeiten und Anlagen zu erreichten und für -en Schutz derselben die erforderlichen Matzregeln zu treffen. Da« überlassene Gebiet umfatzt das gesammte innere Wasserbecken der bkiaotschau - Vucht bi« zur Hochwasser grenze, ferner die südlich und nördlich vom Ein gänge der Bucht liegenden grötzereu Landzungen bi« zu deren natürlicher Begrenzung durch geeignete Höhenzüge, sowie die innerhalb der Bucht und vor der Bucht gelegenen Inseln. Das abgetretene Gebiet hat eine« Gesammtinhalt von einigen Luadrat- met len und wird eingefatzt von einer grötzeren, riug« um die Bucht gezogenen Zone, innerhalb welcher keine Matz nahmen oder Anordnungen chinesischerseits ohne die Zustimmung Deutsch land» getroffen werden dürfen. Insbesondere dürfen deutscherseits für nothwendig erachteten Re- gultrungen der Wasserläufe keine Hiuderniffe entgegengesetzt werden. Um Conflicte zu ver meiden, welche das gute Einvernehmen zwischen beide» Mächten beeinträchtigen könnten, übertrug die chtuestsche Regierung für Sie Taner der Pachtzett alle ihr tu dem überlassenen Gebiete zu stehenden Hoheit-rechte auf die deutsche Regierung. Tie Pachtzeit und die Pachtsumme ist in dem sehr kurzen Telegramm, welches den Abschlutz meldet, nicht angegeben. Sollte aus irgend einem Grunde die ktaotschau. Bucht für die von der deutschen Regierung in Aussicht ge nommenen Zwecke sich nicht -affend erweisen, wird die chinesische Regierung, nachdem sic sich mit der deutsche» Rcgiernng darüber ins Einvernehmen gesetzt hat, der letzteren an einem anderen Punkte der Küste für den t»S Auge gefaßten Zweck ein besser geeignetes Gebiet überweise». Tie chinesische Regierung wir» in diesem Falle die von der deut schen Regierung in dem Maotschau - Gebiete er richteten Baulichkeiten und Anlagen u. s. w über nehmen nnd die dafür verausgabten Beträge ersetzen. Kiaotschau deutsch! Tiefe Kunde wird überall in deutschen Landen, auch weit über die Reichsgrenzen hinaus, mit freudiger und stolzer Genugthuung vernommen werden, denn sie bedeutet den ersten erfolggekrönten Schritt der Politik de« deutschen Reiche« auf der von Kaiser Wilhelm in Kiel mit festem und klarem Wort vorgezeichneten Bahn über die Marken Deutschlands hinaus auf das Weltmeer, die zu betreten nicht länger gezögert werden durste, wenn anders der immer mächtiger sich auSbreitende deutsche Handel nicht ohne den nachhaltigen und sicheren Schutz bleiben sollte, dessen er im Concurrenzkampf mit anderen Welt mächten bedarf und den er schon lange beanspruchen konnte. Dauernd wird voraussichtlich das deutsche Banner über der Kiaotschau - Bucht wehen, der Hafen und das kohlenreiche Hinterland deutscher Besitz sein, falls wir nichts Besseres dagegen einzutauschen finden. Damit ist, spät zwar, aber in einer unseren weitestgehenden Wünschen vollkommen entsprechenden Weise die Quittung honorirt worden, die Deutschland dem chinesischen Reiche seit dem Abschluß de« Frieden« von Shimonoseki zu präsentiren in der Lage war. Bekanntlich waren es Rußland, Frankreich und Deutschland, welche dem siegreichen Japan in den Arm fielen und China davor behüteten, daß die über Nacht auf den Plan getretene ostasiatische Großmacht ihm übermülhig den Fuß auf den Nacken setzte und es zu schimpflichen Friedenöbcdingungen zwang. Rußland und Frank reich machten sich rasch und zwar in ausgiebigstem Maße bezahlt, nur Deutschland gegenüber zeigte man sich in Peking taub und immer taub. Da war e« denn nicht mehr als billig und verstand sich von selbst, daß unsere Diplomatie in Uebereinstimmung mit der gesammten nationälgesinnten Presse bei der ersten sich bietenden Gelegenheit — leider war es, da deutsche Missionare unter den Messern chinesischen Pöbels ihr Leben lassen mußten, eine wenig erfreuliche — mit kühner Hand, aber ihrer Sache gewiß, da Rußlands und Frankreichs Zustimmung gesichert war, selber zugriff. Verblüfft und grollend steht nur England bei Seite, da« sich zwar officiö« mit dem von deutschem Kraftbewußtsein und Unternehmungsgeist geschaffenen tait »ccvmpli wohl oder übel abgefunden zu haben scheint, dessen Presse aber in Ver- betzung und Quertreibereien schlimmster Art vom Tage der Landung deutscher Schiffe in Kiaotschau an alles Mögliche Aufgeboten hat, um unS den „frechen Raub" wieder abzujagen. und die öffentliche Meinung England« ist auch heute noch keineswegs beruhigt. Ungemein komisch mußte e« wirken, daß man in London während de« ersten Stadiums der fatalen Angelegenheit sich eifrigst und mit der Hoffnung auf Erfolg bemühte, Rußland gegen un« auSzu- spielen, da«, zweifellos von Deutschland verständigt, dessen notbgedrungenen Schritt billigte und nachher, unserem Beispiele folgend, selbst die Hand auf chinesisches Gebiet legte. Auch in Tokio klopfte man vergebens an und mußte erleben, daß Japan weit größere Neigung zeigte, sich dem ostasiatischen „Dreibund" anzu schließen, als für England die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Einen förmlichen Korb holte John Bull sich in Washington, und schließlich versagte auch seine diplomatische Kunst in Peking selbst. Noch gestern wußten englische Blätter zu versichern, daß die chinesische Regierung, nach dem sie anfänglich zur Nachgiebigkeit geneigt gewesen, sich eines Besseren besonnen und dem Befehlshaber der deutschen Kiaotschau-Flotte die stricte Aufforderung habe zugehen lassen, die Bucht unverzüglich zu räumen, und heute Abend geht un« folgende Meldung de« Londoner „Reuter'schen Bureau«" zu: London, 5. Januar. (Telegramm.) Dem Vernehmen nach sind die Schwierigkeiten für jetzt behoben, aber nichts desto weniger ist im klebrigen die Lage unverändert. Die Chinesen fürchten, daß die Möglichkeit eines Bruches nicht voll ständig ausgeschlossen sei, da man glaubt, der deutsche Gesandte habe die Verfolgung der Angelegenheiten nur bis zur Ankunft deS Prinzen Heinrich aufgefchoben. Wie im ganzen Verlaufe der Kiaotschau-Angelegenheit, so zeigte sich auch in entscheidender Stunde die englische Presse „bestinformirt": gleichzeitig mit dem Londoner Telegramm traf unS die an der Spitze de« Blatte« wiedcrgegebene Berliner Meldung von der Abtretung der Bucht als der Erfüllung eine« berechtigten Wunsche«, wie e« in der chinesischen UeberlassungS-Urkunde heißt. Die Meldung ist zweifellos heute auch in London publik geworden, und man darf gespannt darauf sein, wie sie d o rt wirkt. Auf Grund „vor züglicher Information" wußte der „Manchester Guardian" noch vor wenigen Tagen mitzutheilen, sobald China Deutsch land bezüglich KiaotschauS Concessionen machte, würden dort englische Schiffe einlaufen, und im Falle China Land abträte, würde England eine Concession verlangen. Da« Letztere mag eS halten, wie e« will, an da« Erstere glauben wir so wenig, wie die Regierung deS Lord Salis bury selbst. Aber wenn die englische Regierung auch ihre Drohung wahr machen sollte: „lamon!" Noch ist dir Meldung der „Kölnischen Zeitung" nicht dementirt worden, daß, falls Deutschland in Kiaotschau von einer anderen Macht behelligt werden sollte, es nicht allein sein würde. Gemeint ist die Unterstützung Rußlands, daS nur seinen eigensten vitalen Interessen ins Gesicht schlagen würde, wenn es die deutsche Nachbarschaft von Port Arthur durch eine englische ersetzen ließe. Alles ist gegen England, und so wird e« schwerlich mit Deutschland anzubinden wagen. WaS den Kiaotschau-Vertrag selbst anlangt, so haben wir schon wiederholt hervorgehoben, daß chinesische Landabtretungen stets in der Form einer „Verpachtung", d. h. auf unbestimmt lange oder ewige Zeiten und gegen ein fast nur nominelle« Entgelt zu Stande kommen. Die Größe de« überlassenen Gebietes genügt vollständig zu einem Stützpunkte der deutschen Kriegs- und Handelsmarine; auf weiteren Landerwerb ist eS au« den schon zur Genüge erörterten Gründen überhaupt nicht abgesehen, wenn englische Blätter auch, um in letzter Stunde noch Stimmung gegen Deutschland zu machen, uns solche Absicht imputiren. Von größerem Belang dagegen ist es, daß uns freie Hand für die Regulirung der Wasserläufe im Hinterlande der Bucht gelassen und somit die Möglichkeit gegeben ist, eine kommerzielle Verbindung KiaotschauS mit der Hauptstadt Chinas herzustellen. Wir sind mit dem unblutigen ehrenvollen Siege der deutschen Diplomatie im fernen Osten zufrieden und wünschen dem deutschen Handel ein fröhliches „Volldampf voraus!" Die kaiserliche Marine im Jahre 1897. II. Die kaiserliche Marine hat im verflossenen Jahre einen bedeutenden Schritt in ihrer Entwickelung zurückgelegt. Die Hauptthätigkeit der militairischen Ausbildung concentrirte sich in den großen Herb st Übungen der Uebungsflotte, die unter der Leitung des commandirenden Admirals v. Knorr von Mitte August bis Mitte September in der Ost- und der Nordsee stattfanden. Das gesammte in den heimischen Gewässern be findliche schwimmende Schiffsmaterial, nahe an 60 Schiffe, war für diese Uebungen zusammengezogen. Die Formation der Flotte wurde diesmal, abweichend von dem bisherigen Gebrauche, in der Ostsee vorgenommcn. Die Flotte trat, nachdem ihr wesentlichster Bestandtheil — das erste Geschwader — aus Rußland, wohin es den Kaiser begleitet hatte, zurückgekeyrt war, in Danzig zusammen, ging von dort manöverirend nach Westen vor und marschirte unter ständigem Manöver nach der Ostküste Holsteins. Besonders schwierigen Dienst hatten hierbei die Tor pedoboote, die allmählich zum Angriff auf die Flotte vor F»«iN«tsn. Zufall. Bon T. Hoff. Nachdruck verboten. Leni war emancipirt. Die würdige Tante, die sie erzogen hatte, behauptete das täglich, demnach unt-rlag es keinem Zweifel. Die Angeschuldigte selbst bezweifelte es am allerwenigsten und würde es sehr übel vermerkt haben, wenn sonst Jemand sich er laubt hätte, es zu thun. Es war ja ihr ganzer Stolz, daß sie trotz der hausbackensten Erziehung kein solch' Alltagsgeschöpf war, wie die Töchter der Gutsnachbarn und die ehemaligen Pen sionsgefährtinnen, die bei ihrer Handarbeit nur über ihre groß artigen Erlebnisse auf den Casinobällen im Städtchen und bei der letzten Einquartierung zu plappern verstanden, oder gar artig Vater und Mutter nachahmend, über Ernteaussichten und Erträgnisse des Milchkellers oder Geflügelhofe« Volksreden hielten; natürlich nur bildlich gesprochen, denn wirklich öffent lich zu reden, hätten sie für höchst unpassend erachtet. Nein, solch ein sittiges deutsches Mägdelein — Leni bediente sich dieses Ausdrucks mit einer gewissen Verachtung — war sie nicht. Sie war ganz „Lu äs möcle", wie sie es bezeichnete, „ein forsches Mädel", wie die Brüder sie auf gut Deutsch nannten. Der Pferdestall war ihr lieber als ein Ballsaal, und sie wußte die Insassen de» ersteren zu behandeln und über sie zu urtheilen, wie der schneidigste Cavallerist. Sie hatte einmal ein rohes Pferd ganz allein zugeritten, daß der eine Bruder bei einem großen Distanzritt damit den zweiten Preis errungen, und sie konnte eS heute noch nicht Lberhinden, daß sie den Ritt nicht selbst hatte machen dürfen, da sie, nach ihrer Ansicht, unzweifel haft den ersten Preis davon getragen haben würde. Nächst den Pferden erfreuten sich die Hunde am meisten ihrer Gunst, und Rolf, der zottige Neufundländer, war ihr stehender Begleiter, nicht etwa ihr Beschützer, auf ihren einsamen Strei fereien durch Wald und Flur; die Zumuthung, daß sie eine« Schutzes bedürfe, würde sie mit Empörung zurückgewiesen haben, sie kannte keine Furcht und meinte Kraft genug zu besitzen, um sich im Nothfall bei einem Angriff mit dem schweren Knopf ihrer Reitpeitsche zu vertheidigen. Allerdings war sie noch nie in die Verlegenheit gekommen, eS zu versuchen. Daß Leni für die Gleichberechtigung der Frau mit den Herren der Welt stritt, versteht sich von selbst, nur auf da« Wahlrecht legte sie keinen Werth, denn Politik und Alle«, wa« damit zu sammenhing, war ihr mehr al« langweilig; aber da» gestand sie nicht etwa rin; sie hätte sich damit ja auf eine Stufe mit andern jungen Mädchen gestellt. An» Heirathrn dachte sie nicht. Don Gotte« und Recht» wegen einen Mann al» Herrn über sich anerkennen zu lassen, da« hätte ihr gerade gefehlt! Sie wollte lieber ihr eigener He« fein «d bleiben. Und »R» soll», st, «sch »tt chren «Gtzabe. reien als Hausfrau anfangen? Nein, daran war gar nicht zu denken! Mit den jungen Leuten, die in ihrem väterlichen Hause aus und ein gingen, verkehrte sie auf dem Fuße guter Kameradschaft lichkeit, und wenn es einem einfiel, ihr gegenüber zarte Redens arten zu machen, so lachte sie ihm offen ins Gesicht. Trotz alledem war das muntere Mädchen überall beliebt, und außer einigen ganz pedantischen alten Damen hielt ihr Jeder, besonders aber die Herrenwelt, ihre Wunderlichkeiten zu gute. So war es ihr eine überraschende Thatsache, daß ihr einmal ein junger Mann eine wirklich mißbilligende Miene zeigen konnte. Es machte sie geradezu wortlos und fast befangen, denn sie wußte sich dem Niedagewesenen gegenüber nicht zu benehmen. Der Kühne, der sie in diese unerhörte Lage brachte, war Doctor Bernd, ein junger Assistenzarzt, den der alte Medicinal- rath an seiner Statt schickte, als die Erkrankung einer Magd ärztliche Hilfe nöthig machte. In der Meinung, ihren guten Freund, den Hausarzt dort vorzufinden, war Leni ins Krankenzimmer getreten, um sich über den Krankheitsfall belehren zu lassen; dergleichen interessirte le, sie hatte sogar schon flüchtig daran gedacht, selbst Medicin tudiren zu wollen. Daß sie nun plötzlich einem Fremden gegen- tberstand, hatte ihre Wißbegier nicht zurückzuschrecken vermocht. Ihre sachgemäßen Fragen hatten den jungen Mann in Erstaunen gesetzt und ihn veranlaßt, di« Vermuthung auSzusprechen, sie sei gewiß al» Pflegerin der Kranken in Hau», Hof und Dorf schon vielfach thätig gewesen. Hellauf hatte Leni gelacht, es schien ihr zu komisch, daß Je mand sie für eine Art barmherzige Schwester halten konnte, und sie äußerte da« auch ohne Scheu. Ja, einen Verband anlegen, in leichteren Fällen einmal dm Arzt spielen und ein Hausmittel verordnen, wobei sie auch gewöhnlich da» Recht« träfe, da» sei etwa« für sie, aber still am Krankenlager au»harren, da« hielte sie nicht eine Viertelstunde au». Und um dem Herrn gleich eine klarere Anschauung davon zu gebn, weß Geiste» Kind sie sei, hatte sie daran anknllpfend noch über eine so ernstliche Neigung zum medicinischen Studium gesprochen, wie sie sie in Wahrheit eigentlich noch gar nicht em pfunden. Dabei hatte sie sich «ine Cigarre au» dem Becher ge nommen, den der Vater eben dem jungen Arzt angeboten — man war während de» Gespräche» in dir Wohnriiume zurückge- kehrt — und schickte sich an, dieselbe in Brand zu setzen. Das war der verhängnißvolle Moment, in dem sie die er wähnte erstaunliche Erfahrung machte. Und e» blieb nicht nur bei der Miene. Bernd erklärte ganz offen, daß er ein Feind jeder Art von Emancipation sei. Er stammte au» einer Familie, in der noch alte deutsche S'tte herrschte. Die Eindrücke, die er in der Kindheit empfan gen, lebten im hellsten Licht in seiner Erinneruna fort, und seine Mutter, seine Schwestern galten ihm al» Ideale edler Weiblichkeit. Mit warmer Brg:isicrung sprach er dann von dem Schaffen und Wirken solcher Wesen, und — Niemand wider sprach ihm. Echtz nach einer geraumen Weil« fand Levi ihr, Sprach« wieder, und auch dann noch wurde das folgende kleine Wortge fecht nicht mit der gewohnten Schneidigkeit von ihrer Seite ge führt. Dieser ersten Begegnung folgten im Laufe der nächsten Wochen viele ähnliche, da der Arzt öfters hinaus muhte und der Hausherr, der froh war, in der Einsamkeit, zu der die schlechten Wege ihn in der kalten Jahreszeit verdammten, einmal einen Gast bei sich zu sehen, ihn gern kommen sah und ihn stets länger als nöthig zurückhielt. Bei diesen Besuchen begab sich das Merkwürdige, daß der Emancipationsfeind jedesmal tiefer in die schönen Augen der kleinen Emancipirten blickte und jedesmal mehr von ihrem munteren Wesen bezaubert wurde. Ihre Wunderlichkeiten, suchte er sich einzureden, wenn er dem Gute zufuhr, seien nur äußerlich angenommen und erklärlich durch das Aufwachsen mit den Brüdern und die Ungebundenheit des Landlebens, in anderen Verhältnissen würde sie dieselben leicht abstreifen, besonders, wenn die Lieb« sie dazu triebe. Auf dem Heimwege aber muhte er sich jedesmal gestehen, daß diese Hoffnung eine völlig unbe rechtigte sei, und daß er seine Gefühle mit aller Gewalt bekämpfen müsse, wenn er sich nicht selbst muthwillig unglücklich machen wolle. Der Gegenstand seiner Träume und Kämpfe war durch den Verkehr ebenfalls in eine ihr völlig fremde Stimmung versetzt. Sie wollte sich selbst beweisen, daß sie nichts auf die veralteten Ansichten des jungen Arztes gab, und brachte deshalb in seiner Gegenwart mit einer gewissen Absichtlichkeit ihre EmancipationS- gelüste zur Sprache, oder bemühte sich, denselben in ihrem Be nehmen Ausdruck zu gebm. Nachher machte sie sich dann Vor würfe, und was das Aergerlichste war, sie fand gar kein Ver gnügen mehr an all dem lustigen Zeitvertreib, der sonst ihre Tage auSgefüllt. Sie zürnte mit dem Störenfried, und wenn er erwartet wurde, stand sie doch am Fenster und schaute nach ihm au», und versäumte keinen Augenblick, den sie mit ihm zusammen verleben konnte. Dieses Hin- und Herschwanken wurde ihr allmählich uner träglich. Sie war sich noch nie im Unklaren darüber gewesen, was sie wollte oder was sie nicht wollte, und nichts sollte sie dazu bringen, ihrer Natur untreu zu werden. Mit einem herzhaften Entschlüsse suchte sie sich von dem ihr verhaßten Zustande zu befreien. Nie mehr Wiedersehen wollte sie Den, der sie in den selben versetzt, dann fand sie wohl von selbst den alten Gleich mut- wieder. Ein ganz eigenartige» Gefühl machte sich jedoch, al» sie diesen Vorsatz gefaßt, sehr bald nachher bemerkbar, und ganz unver- mittelt legte sich plötzlich, trotzdem e« Heller Mittag war, ein leichter Nebel über die Winterlandschaft vor ihren Augen. Diese bedenklichen Anzeichen veranlaßten sie, sich doch noch eine kleine Hinterthür aufzulassen, in Gestalt de» Zusätze»: .Wenn un» ein Zufall trotz meiner Bemühungen, ihn zu meiden, zusammen- fühtt, soll e» mir ein Zeichen sein, daß ich besser daran thue, mich ohne Widerstand in mein Schicksal zu ergeben.' wa« sie mtt diesem „Schicksal' meinte, erörterte sie nicht einmal vor sich selöft. Trotz der großen Verschiedenheit ihrer Naturen stimmten Bernd und Leni doch darin überein, daß sie keine Fatalisten waren, und merkwürdigerweise auch darin, daß sie sich an diesem einen denkwürdigen Tage einer Inkonsequenz in dieser Hinsicht schuldig machten. Auch Bernd hatte endgiltig beschlossen, Leni aus den: Wege zu gehen, um damit seinen Kämpfen ein Ende zu bereiten, sein Verstand hatte ihn dazu vermocht, aber sein Herz hatte ihm dann doch noch das Zugeständniß abgerungen, wenn es bei seinem heutigen Besuch auf dem Gute gegen seinen Willen zu einem Zwiegespräch mit Leni käme, es für einen Wink des Schicksals gelten zu lassen, daß sie ungeachtet aller Bedenken die ihm bestimmte Lebensgefährtin sei. Beide blieben ihrem Selbstgelöbniß treu. Leni unternahm zu der Stunde, in der der Arzt erwartet wurde, eine Schlitten fahrt auf Wegen, die er nicht zu berühren hatte, und Bernd er klärte nach hastiger Erledigung seiner Pflicht, den Heimweg so fort antreten zu müssen. Mit trotziger Genugthuung sagten sich Beide, daß so die Möglichkeit einer Begegnung völlig ausge schloffen sei, aber wohl war weder dem Einem noch dem Andern dabei. LeniS Pascha mußte da» entgelten, sie trieb ihn zu solcher Eile an, daß er wie der Wind dahin stob. Rolf, der wie immer seine Herrin begleitete, wurde dieser Dauerlauf mit der Zeit zu beschwerlich, trotz wiederholter Auf munterung blieb er mehr und mehr zurück. Dieser Ungehorsam ärgerte Leni in ihrer gereizten Stimmung, und theils zue Strafe, theils um ihren Willen durchzusetzen, nahm sie den Hund an die für solche Fälle mitgenommene Leine und schlang deren Ende um ihre Taille, da sie die Hand nicht frei hatte. Ein Weilchen folgte Rolf, als sich aber Schlittengeläut hinter ihm vernehmen ließ, stemmte er sich plötzlich mit solcher Gewal: gegen die Leine, daß die überraschte Herrin mit einem Ruck auo dem Schlitten in den Graben an der Wegseite flog. Bernds Kutscher, der auf der Hinfahrt die Erfahrung ge macht, daß auf dem nächsten etwa» unebenen Wege zur Stadt Schneewehen das Fortkommen erschwerten, hatte inzwischen einen Umweg, auf dem Aehnliches nicht zu befürchten stand, ein geschlagen. — Der Zufall, dem die jungen Leute ein so rührendes Vertrauen bewiesen, in dem sie ihm die Entscheidung in der wichtigsten Lebensfrage überlassen, mußte sich doch erkenntlich beweisen — so kam es, daß gerade in dem Augenblick, in dem sich Leni mühsam aus den Schneemassen über den Grabenrand em- porzuarbeiten strebte, während Pascha in der bisherigen Eile seinen Weg fortsetzte, Bernd» Schlitten an der Stätte de» Un falls anlangte. Daß der junge Mann mit einem Sprung neben der Benin glückten stand und der Kutscher ungeheißen dem Flüchtling nach setzte, war geschehen, eh« noch einer sich Zeit zur urberlegung ge nommrn. Und nicht viel länger dauerte els, bi« Bernd di« gänz lich unverletzte und durchau« nicht widerstrebend« Leni in seinen Armen hielt und selige Lirbe«w»rtt in ihr Ohr flüsterte. So vertieft Warrn die Undankbare« in ihr Glück, daß sie nicht mit einem Gedanken an den freundliche» Zufall dachten, der der »Gründ« desselben gen^s«.
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