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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.05.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189705024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-02
- Monat1897-05
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.05.1897
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Die Hand voll Socialdemokraten und Radikale in einigen Ländern, die den umgekehrten Verlauf lieber gesehen hätten, waren von dem Wunsche nach einem europäischen Durcheinander, nicht von Sympathien fürGriechen- land oder gar von dem Glauben an die Gerechtigkeit seiner Sache geleitet. Der Abscheu vor der Frechheit des zwerghaften Störenfriedes übertönt die demokratische Phrase, und daS will viel sagen. DaS Gerechtigkeitsgefühl, das sich hierin äußert, wird freilich nur wenig Befriedigung finden. Blut verlust hat das „Hellencnvolk" nur in sehr geringem Maße zu beklagen, weil seine Streiter benebst den Hilsstruppen auS Italien sich als allzu gelehrige Schüler Falstaff'» zeigten; das Geld zur Kriegführung ist ihnen von StammeSgenossen im Auslande und von — anderer Seite geschenkt worden. So tragen sie, falls, wie ja wahrscheinlich, der Krieg bald beendet wird, von ihrem frevelhaften Unternehmen nichts Uebeles weiter davon, als eine kleine Unbehaglichkeit bei Ver gleichen zwischen dem Jetzt und den Zeiten eines Leonidas und eines Xenophon. Da die Leichtfüßigen von Larissa aber gar keine Griechen sind, so brauchen sie in der Erinnerung an jene hellenischen Helden eigentlich nicht zu erröthen und werden sich leicht trösten, wenn nicht die Großmächte im Interesse der internationalen Moral und noch mehr der europäischen Polizei dafür Sorge tragen, daß den FriedenS- brechern ein Erinnerungszeichen an ihre frische, fröhliche Kriegslust verbleibt. Die „Köln. Ztg." bat sich vor einigen Tagen aus Berlin telegraphiren lassen, in politischen Kreisen nehme man an, daß innerhalb der preußischen Staatsregierung doch „schärfere und tiefere Meinungsverschiedenheiten" üb»< die Angelegenheit des Vereinsgesetzes beständen, als ^ bisher geglaubt. In der Form, wie sie gegeben war und weiter verbreitet wurde, batte die Notiz eigentlich alar- mirend wirken müssen, sie ist aber wenig beachtet woroen. Unserer Meinung nach mit Recht. Die Behauptung, daß „innerhalb der Staatsregierung" Meinungsverschiedenheiten über die Revision des Vereinsgesetzes bestehen, ist zur Zeit wahrscheinlich gar nicht richtig. Man glaubt vielmehr zu wissen, daß die Befürworter einschneidender Verschärfungen im Ministerium sich schließlich mit einigen milden Cautelen gegen den Mißbrauch des Vereins- und VersammlungSrechtrs be gnügt haben und darüber ein Beschluß des Staatsministeriums vorliege. Eine freudige Uebereinstimmung wird die herbei- geführte allerdings kaum sein, und da an höherer Stelle nach wie vor der Wunsch nach sehr beträchtlichen „Compen- sationen" für die Beseitigung deS Verbots der Ver bindung von Vereinen besteht, so ist die baldige Ein bringung einer Gesetzesvorlage wenig wahrscheinlich und steht die Möglichkeit einer Wiederaufrollung der bezüglichen Frage innerhalb des Staatsministeriums in nicht sehr weiter Ferne. Die Angelegenheit ist auch parlamentarisch eine complicirte. Für einschneidende Aendrrungen des Vereins- gesctzes ist im Abgeordnetenhause sicher, für gelinde ver mutlich keine Mehrheit aufzutreiben, und für die Be schränkung auf die Erfüllung der im Reichstage hinsichtlich deS 8 des Vereinsgesetzes gegebenen Zusage soll wiederum im Herrenhause nicht auf eine Majorität zu rechnen sein. Ob letzteres Hinderniß bestehen bleibt, wenn sich die Erste Kammer einem Willen des Monarchen gegenüber sieht, darf jedoch bezweifelt werden. Jedenfalls ist die Verstopfung wenigstens dieser Duelle einer in der verflossenen Woche wieder — ob mit oder ohne Grund, sei hier dahingestellt — mächtig gesteigerten Unzu friedenheit so dringlich, daß eine konservative Körperschaft, wie das Herrenhaus, wenn ihm die Gelegenheit ge geben wird, die Hand dazu bieten sollte. Es würde dadurch dem jetzigen demokratischen Reichstage den willkommenen Anlaß zur reclamenhaften Ausbeutung einer gerechten Be schwerde entziehen. Um dieses Ergebniß zu erzielen, müßte aber in der VereinSgesetz-Angelegenheit rasch vor gegangen werden. Denn der Reichstag wird sich bald nach einer „Motion" umseben. Er schläft sonst ganz ein. Auch kein Wunder, wenn, wie eben jetzt, Redner sich weitschweifig über einen Gegenstand verbreiten, um dann mit dem Ausdrucke — man weiß nicht der Furcht oder der Hoffnung — zu schließen, man werde doch nichts zu Stande bringen. Der preußische Landwirthschaftsniinister, der dieser Tage bei einem Mahle zwischen Birnen und Käse über das Herrschen eines „öden Parlamentarismus" klagte, hat Recht. Er hätte frei lich hinzufügen sollen, daß Deutschland zu keiner Zeit eines kräftige», zielbewußten Parlaments so sehr bedurft hätte, als in der Gegenwart. Die Verhandlungen deS preußischen Al^e^rdneten- Hauses sind auch nicht dazu angethan, über das Reichstags elend hinwegzutrosten. Man spinnt dort die Fäden der Cultusetats-Debatte in hergebrachter Länge und mit nach gerade stereotyp gewordenen Reden und Gegenreden über „Parität" ab. Es ist gewiß nicht der Fall, aber man hat den Eindruck eines Scheingefechtes. Was neu und den Klerikalen empfindlich ist, wird, statt nachdrücklich betont zu werden, kaum gestreift. So die der jüngsten Zeit angebörigen, für die Frage der Parität bei den Beamten- Ernennungen geradezu entscheidenden vernichtendenAuSlassungen des klerikalen Frhrn. v. Hertling und des Würzburger Professors der katholischen Theologie Schell über die wachsende Abneigung der klerikal gerichteten Katholiken gegen Wissenschaftlichkeit. Daß der Vaughan-Sckwindel, ob wohl er in einer Debatte über Lehrer und Untrrrichtswesen nach einer vertiefenden Erörterung förmlich schreit, im Ab geordnetenhause nur nebenher berührt wird, versteht sich beinahe von selbst. Die in Cassel abgehaltene „Kirchlich-sociale Con- ferenz", mit der Herr Stöcker sich wieder ein Operations feld schaffen wollte, hat kein anderes Ergebniß gehabt, als das, darzuthun, daß die politische Rolle des ehemaligen Hof predigers ausgespielt ist. Wir haben die „Kreuzztq.", die einen ausführlichen Bericht über die Verhandlung bringt, im Verdacht, daß sie hierbei aus Bosheit bandele. Die Flammen des Holzstoßes, den Herr Stöcker für den Fürsten Bismarck aufgerichtet hat, haben ihn selbst verzehrt. Wir haben mitgetbeilt, daß nach einer aus dem rheinischen Handwerkertage vorgetragenen Erzählung des Centrums abgeordneten Euler der preußische Landtagsabgeordnete Bau meister Felisch in der Handwerkerbesprechung bei Herrn v. Boetticher sich als Gegner der obligatorischen Innung für daS ganze Handwerk bekannt habe. Die Aeußerung mußte, als mit dem früheren und nachmaligen Verhalten deS Herrn Felisch im Widerspruch stebend, Befremden erregen. Sie ist aber nicht gefallen. Herr Felisch erklärt jetzt, Euler habe ihn „zum Mindesten" falsch verstanden. Das ist deutlich. Der „Weltfriertag" ist, soweit bis jetzt ein Ueberblick möglich, in unserer Stadt und in Europa in der vollkommenen Ordnung eines gewöhnlichen Werkeltags verlaufen. Die französischen Socialdemokraten haben ihn erklärtermaßen nur „im Herzen" gefeiert und die englischen nach Maßgabe des vorgestern mitgetheilten Artikels ihres Organs, des „Reynolds Newspaper", der direct zum Kriege gegen Deutschland und zum Austreiben der deutschen Arbeiter in England aufruft. DaS paßt trefflich zu dem Verhalten der englischen „Brüder" während des Hamburger AuSstandeS. Die Losung des Wrltfeiertags lautst bekanntlich: „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch". In Berlin hat man sie für dieses Jahr in einem Flugblatt« loca'isirt und dahin abgeschwächt: „Proletarier, abonnirt auf den Vorwärts". Das ist zwar kein ganz würdiges, aber, weil rein geschäftlich, ein angemessenes Pendant zu dem Londoner socialdemokratischen Kriegsruf. Deutsches Reich. -g- Leipzig, >. Mai. Der Kirchenvorstand derTbomas - gemeinve bat in einer seiner letzten Sitzungen beschlossen, das Gesuch des geschäftsfübrenden Ausschusses deS Evan gelisch-Socialen Congresses um Gewährung der Thomaskirche zu einem Festgotlesdienste abz ul ebnen. Ueber die Gründe, vie hierfür bestimmen!» gewesen sind, erfahren wir von wohlunterrichteter Seite Folgendes: Innerhalb der Körperschaften, die sich mit der „socialen Frage" actio be schäftigen, haben im Laufe der Zeit mannigfache Scheidungen stattgefunden. Es bestehen bekanntlich kirchlick'-sociale, ckrist- lich-sociale, evangelisch-sociale, national-sociale, deutsck-sociale Vereine, Parteien, Congresse. Hand in Hand mit dieser Spaltung und mit der gegenseitigen Bekämpfung der ver schiedenen Richtungen ist es gegangen, daß deren Thätigkeit, bei den Einen mehr, bei den Änderen weniger, auf politi sches Gebiet übergreift und zu einer politisch-agitatorischen geworden ist. Der Kirchenvorstand war der Ansicht, daß die Kirche als solche grundsätzlich sich von Bestrebungen der letztbezeichneten Art fern und frei zu halten habe. Die Ver- willigung der Thomaskirche zu einem FestgotteSdienste an eine dieser Parterrichtungen würde ferner bedenkliche Consequenzen haben können, wenn ähnliche Gesuche anderer Körperschaften, die sich mit der socialen Frage oder auch mit rein politischen Angelegenheiten befassen, künftig an den Kirchenvorstand herantreten würden. Vor Allem war maßgebend für den Kirchenvorstand die Rücksicht auf seine Gemeindemitglieder. Der Kirchenvorstand ist berufen zur Vertretung der ganzen Kirchgemeinde. Ohne jede sachliche Berechtigung, aber thatsächlich ist die Ablehnung des be- zeichneten Gesuches als ein Act der Parteinahme gegen die Bestrebungen des evangelisch-socialen Congresses aufgefaßl worden. Mit größerem Rechte würde in der Verwilligung ein Act der Parteinahme für diese Bestrebungen haben ge funden werden können. Es würde dies geeignet gewesen sein, den auf abweichendem Standpunkte stehenden Theil der Ge meindeglieder zu verletzen und zu beunruhigen. — Wenn etwas dem Kirchenvorslande seinen Beschluß erschwert bat, so war es die Thatsache, daß als Festprediger Herr Hoj Prediger vr. Braun-Stuttgart ausersehen war — ein Mann, dessen Persönlichkeit den sämmtlichen Mitgliedern deS Kirchen Vorstandes nur sympathisch sein konnte. Der Kirchenvorstand durste aber diese persönliche Rücksicht gegenüber dem vor- brzeichneten grundsätzlichen Standpuncte, den einzunehmen er sich für verpflichtet hielt, nicht üben. /S. Leipzig, 1. Mai. Der Achtstundentag ist nach socialdemokratischer Auffassung bekanntlich nur die längste Zeit, für die der Mensch zur Arbeit geboren sei, keineswegs Fe«illetsir. Lenz und Liebe im deutschen Liede. Bon Paul Pasig. „Sie singen von Lenz und Liebe, von seliger, gold'ner Zeit" — mit diesen Worten kennzeichnet Uhland treffend den Grund ton jener Poesie, die wir als die „sangbare" mit dem Namen „Lyrik" zu bezeichnen pflegen. Lenz und Liebe, sie bilden ein zusammengehöriges, untrennbares Ganzes: denn was der Lenz im Naturleben ist, daS bedeutet die Liebe für das Menschenberz, daS jung« insbesondere: die „selige, goldene" Zeit deS Erwachens zu einem neuen Leben ungeahnten Glückes, wo alle Blüthen irdischen Wohlbehagens sich in ihrem schönsten Glanze entfalten. Äber weil eS daS Herz ist, das hier in einem duftigen Strauße auSklüht, so kann es nicht anders sein, daß dieser Liebes- und Herzensfrühling sich auch vor Allem in der Sprache des Herzens, d. h. dem schlichten, meist sangbaren Liede, kündet .... Friedrich Rückert war es, der in seinem unsterblichen „Liedesfrühling" jene LenzeSlust der jungen Liebe in fünf duftigen „Sträußen" („Erwacht", „Entflohen", „Entfremdet", „Wieder gewonnen", „Verleumden") auSblühen läßt.... Ich Hab' in mich gesogen Den Frühling treu und lieb, Daß er, der Welt entflogen. Hier in der Brust mir blieb. Hier sind die blauen Lüfte, Hier sind dir grünen Au'n, Die Blumen hier, die Düst», Der blüh'nde Rasenzaun .... Mit diesen Versen löst der Dichter gewissermaßen da» wunversame Geheimniß jedes LiebeSfrühlingS, jener rätsel haften, und doch so wonnigen Vermählung von Lenz und Licbe, indem er die Empfindungen seine- von FrühlinaS- wonnen übervollen Herzens auf die Erkorene auSströmen läßt: Da quellen auf die Lieder Und strömen über sie Den vollen Frühling nieder, Den mir der Gott verlieh. Und wie sie davon trinken, Umblicket ring» im Raum, Blüht auch von ihren Funken Dir Welt, rin Frühlingstraum. Schon di« ersten, kaum bemerkbaren Regungen des jungen Lenzes üben «inen eigeyaxtigen Zauber auf da- ahnung»- selige Mrnschenheri au», je härter der Bann war, in dem der eiseSstarre Winter dasselbe gefangen hielt. Daher begrüßt Lena» die kiimal» veris, gewöhnlich Himmrls- schlüssrl (d. b. jenes mit dem gelbrolhen Pünctchen auf den fünf Blütbrnblatlern) genannt, als das sicherste Zeichen des nahenden Lenzes, zugleich in wehmüthiger Erinnerung an die längst entschwundene Zeit der einstigen Liebe-seligkeit .. . Mir auch im Herzen Blüht» vor Zeiten, Schöner denn all» Blumen drr Liebe, Krim ul» variel Es ist ein von unseren Dichtern mit Vorliebe gebrauchtes Bild, den jungen Lenz als einen Freier, einen Bräutigam, zumal als einen etwas ungestümen, sich poetisch zu verkörpern. Letzteres liegt Wohl in seiner Jugend, welche die ungebändigte, ungestüme Kraft leicht überschäumen läßt. Daher heißt es bei Lenau so überaus keck: Da kommt der Lenz, der schöne Junge, Ten Alle» lieben muß. Herein mit einem Freudensprünge Und lächelt seinen Gruß ... Er zieht daS Herz an LiebeSketten Rasch über manche Kluft Und schleudert seine Slngraketen, Die Lerchen, in die Luft. So verstehen wir auch den geheimnißvollen Zauber, den nicht selten eine einzige linde Frühlingsnacht in der Pflanzen welt hervorbringt: wir meinen die unerschöpfliche Blütben- fülle, die uns zuweilen an einem tbauschweren Morgen über rascht und uns ein Märchen au» „Tausend und einer Nacht" dünkt. Der Dichter löst uns dies Räthsel in dem Gedichte „Die Brautnacht" von Wilhelm Müller. Der Lenz ist herabgestiegen, um mit seiner Erwählten, der festlich ge schmückten, jungfräulichen Erde, seine Vermählung zu feiern. Die Thautropfen, die auf den Blüthen zittern, sind nichts, als die „lang erstickten Thränen" der in LirbeSsehnsucht harrenden Braut.... Und sieh', der Morgen steigt empor — Welch Wunder ist geschehen? In ihrem vollen Blüthenflor Erh' ich dir Erde stehen! O Wunder, wer hat da» vollbracht? Der KnoSpen spröde Hülle, Wer brach sie auf in einer Nacht Zu solcher LiebeSfülle? O still und fragt den Bräutigam, Den Lenz, den kühnen Freier, Der diese Nacht zur Erde kam Nach ihrer HochzeitSfeierl So gilt denn vom ganzen Lenze, seit dem ersten Erwachen der linden Lüfte, die uns ankünden, daß sich nunmehr „Alles, Alle» wenden" muß, bis zur duftigsten, buntfarbigsten Ent faltung der lichten FruhlingSpracht, da» Wort, das v. Log au dem Wonnemonat Mai, dem erlestnstra der Lenzmonde, widmet: Dieser Monat ist ein Kuß, den der Himmel girbt der Erde, Daß sie jetzo seine Braut, künftig eine Mutter werde. Selbst die ernste, stille Kar-oder Marterwoche mit ihrem TodeSantliy und ihrer erschütternden Tragik vermag den Grundgedanken der Frühlingspredigt: Lenz und Lirhel nicht gänzlich in den Hintergrund zu drängen. Warum nicht? Der Erlöser am Kreuze, wa» ist er ander», als die mensch gewordene höchste Liebe, die sich aufopfert für da» zeitliche und ewige Heil der verlassenen Menschheit? Ist da» nicht da» ureigenste Wesen jeder wahren Liebe, daß sie selbstver- leugnend sich dem Geliebten völlig hingiebt, sich für ihn auf- opfert? Wohl dürfen wir daher dieser ernsten Woche mit dem Dichter (.Die Karwoche" von Ed. Mörtcke) zurufrn: O Woche, Zeugin heiliger Beschwerde! Du sttmmft so ernst zu dies» Frühll»g«w°nnr. Du breitest im verjüngten Strahl der Sonne DeS KreuzeS Schatten auf die lichte Erde — und mit demselben zu schließen: Und Lieb' und Frühling — alle» ist versunken aber nur vorübergehend, um am Osterfeste rin um so herr lichere» Aufrrstehen zu feiern! Ja, nun stimmt die weite Schöpfung mit un» in jenes urgewaltige Victoria ein („Oster morgen" von E. Geibel): Ihr Veilchen in den WaldeSgrllnden, Ihr Primel weiß, ihr Blüthen roth, Ihr sollt eS alle mit verkünden: Die Lieb' ist stärker als der Tod! Und nun naht der Mai mit all der unsagbaren, viel besungenen, aber nie ausqesungcnen LiebeSseligkeit, unter dem verschwiegenen, blütbendustigen Hollunderstrauche oder draußen am murmelnden Bächlein ... O Bächlein, sag' wohin? Du hast mit deinem Rauschen Mir ganz berauscht den Sinn . . . Oder im knospenden Walde bei Drosselschlag oder Nachtigallengesang, wo er eS gern „in alle Rinden" ein- schnitte: Dein ist mein Herz und soll eS ewig bleiben! Niemand bat ergreifender und inniger jenes verschwiegene, aber eben darum so beseligende Minneglück besungen, als R. Rein ick in seinem „Zwiegesang", dessen Schlußstrophe lautet: WaS sang daS Vöglein im Gezweig Durch die stille, schöne Maiennacht? WaS sang doch wohl da» Mädchen gleich Durch die stille, schöne Maiennacht? Von Frühlingssonne da» Bögelein, Von LirbeSwonne da» Mägdelein. Wie der Gesang Zum Herzen klang, Vergeß' ich nimmer mein Leben lang! Freilich — selbst dem wonnevollsten Lenze sind nicht immer sonnige Tage beschicken. Frost und Schnee, so ungern sie gerade im Wonnemond gesehen werden, melden sich zu weilen selbst dann noch als ebenso unwillkommene, als zu dringliche Gäste, und häufig genug hat ein einziger Nachtfrost die Hoffnung de» ganzen JahreS eisigen Hauche» vernichtet und Herzeleid, Noth und Elend über ganze BevölkerungSclassen gebracht! Sollte e« im Leben anders sein? Wie viele innige Wünsche und beiße Hoffnungen, unter dem ersten Eindrücke deS Liebes zauber» im Herzen emporgesproßt, schlagen im später» Leben, daS in seiner Nüchternheit die Schwärmerei der Jugend nase rümpfend und achselzuckrnd verpönt, fehl.... Wie viel heilige LirbeSschwüre, dereinst in der duftigen Rosenlaube durch Hand und Mund besiegelt, werden gebrochen, gebrochen unter dem Drucke blasirter Alltagsmeinung oder conrentio- neller Rücksichten .... E» fiel rin Reif in der FrübliagSaacht, Er fiel wohl auf di« Blaublllmrlrin, Eie stad verdorben, gestorben Au» diesem Grunde sind die Dichter in ihrem Rechte, wenn sie» eingedenk drr Flüchtigkeit de» Lenze»» an den Lollgenuß des Augenblicks erinnern. Freilich wäre eS nur eine Pseudo liebe, die nur bierin dem flüchtigen Lenze gleichen würde, nicht Werth, Liebe genannt ^u werden, sondern ein kurzer Rausch, der, wenn er verflogen ist, auch die keineswegs erfreulichen Nachwirkungen eine» solchen binterläßt. Die echte Liebe weiß sich hiervon frei und spricht mit Hoffmann von Fallersleben: Siehe, der Frühling währet nicht lang': Bald ist verhallt der Nachtigall Sang; Blühen noch heute Blumen im Feld, Morgen ist öd' und traurig die Welt, Aber der Liebe selige Lust Ist sich des Wandel» nimmer bewußt u. s. w. Ja, der, welcher das innerste Wesen der wahren Liebe erfaßt bat, weiß, daß gerade ihre auffälligste Verwandtschaft mit dem Lenze darin besteht, daß sie auf eine ernstere Zu kunft binweist: dem Blühen und Duften deS Frühlings folgt die Zeit heißer Sommerarbeit und verheißungsvollen Ernte segen«! Wie thöricht, wer auf letztere um den Preis eines ewigen Frühlings verzichten wollte! So auch im Leben! Der Liebe Lust genießen in vollen Zügen, ist LebrnSweiSbrit; aber hierin den eigentlichen Zweck der Liebe erkennen, wäre thörichter Selbstbetrug! Darum beherzigen wir wob> Fr. Rückert'» Mahnung: Schön ist daS Fest des LenzeS, Doch währt es nur der Tage drei! Hast du eia Lieb', bekränz' »S Mit Rosen, eh' sie gehn vorbei! stimmen aber zugleich auS vollster Ueberzeugung E. Geihel's weiser Betrachtung bei: O darum ist der Lenz so schön Mit Duft uud Strahl und Lied, Weil singend über Thal und Höh'n So bald er writerzieht. Und darum ist so süß der Tramp, Den erste Liebe weht. Weil schneller wie die Blüth' amßBamn Er hinwehr und verschwebt rc. Doch warum in diesen beginnenden Tagen deS jungen LenzeS und mit dem ernsten Gedanken seine» derrinstigen Scheidens daS Herz schwer machen, ehe dessen heiß«» Sehnen gestillt ward? Jetzt, da „die Welt wird schöner mit jedem Taa", geziemt eS, Lenz und Liebe in ihrem ersten feuerigen Ausflammen zu feiern .... Wie singt doch Mirza Schaffy hierüber: War'» nicht auch zur jungen Frühlingsleit, AI» dein Herz sich meinem Herz erschloß? AI» von dir, du wmrdersüße Mach, Ich den ersten laugen Kuß genoß? Durch den Hain erklang Heller Lustgrsaog, Und die Quell« von den Bergen sprang — Scholl e» von den Höh'n Bi» zum Thale weit: v wt« wunderschön Ist di» Frühlingszeit!
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