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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.05.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-05-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050530025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905053002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905053002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1905
- Monat1905-05
- Tag1905-05-30
- Monat1905-05
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Di« 4 gespaltene NeNamezeile 7Ü Unnahmefchlutz fir S»zet»en: Abeud-AuSgab« vormittag- lO Uhr. Marge»-Ausgabe: »achmMag» 4 Uhr. ——- Anzeige» stad stet» an die Expedttioa zu richten. Extra-Beilagen (»ar mst da Morgen- Ausgabe- »ach besoaderrr veret-barn»-. Die ExpedMon ist wochentags iwauterbröche» aetlstue» vo» früh 8 bi« abeud« 7 Uhr. Druck und ««lag vo» «. Pol, tu Lrtpzl« (Inh. vr. «.. R . L W. kltnkhardtt Haau-geber, Vr. Victor Kllukhardt. Dienstag den 30. Mai 1905. 99. Jahrgang. Var AiÄtigrie vom lagt. * Der Reichstag ist heute geschloffen, nicht vertagt worden. * Die Novelle zum ServiStarif und Klassenein teilung der Orte wird augenblicklich von den amtlichen Stellen bearbeitet, damit sie im Herbste dem Reichstag vorgelezt werden kann. (S. Pol. TageSsch.) * In Lodz streiken jetzt 30000 Arbeiter. (S. die Krifi« in Rußland.) * Der enalisch« Gesandte Lowther, welcher in Fez ringrtroffen ist, wird vom Sultan die Wiedereinsetzung ElmenebhiS zum Kriegsminister und die Verbannung de« bisherige» Günstling«, de- angeblich aatienglischen Hadjitaza, fordern. * In Nachitschewan (Transkaukasien) metzelten die Tartaren massenweise die Armenier nieder. Auf dem Bazar wurden alle Armenier ermordet. Die Mohamme daner beraubten die armenische Kirche. Ueber 100 Armenier wurde» i» drei Tage» gelötet. (S. Die Krisis in Rußland.) * Nach einer Meldung aus Tokio ist das OKschvader Rkpogatow» ganz vernichtet; an Bord dieser Schiffe be- sanden sich 6479 Mann und 458 Geschütze. Um der Ge fangenschaft zu entgehen, suchte und fand ein russischer SchlffSkommandant des Geschwaders Nebogatows den Tod ia de» Welle«. (S. ruff.-zap. Krieg.) Vie Kameruner „Lintennst". Eine Sommersensation: das Schutzgebiet Kamerun hat im Jahre 1902 an Stelle von 5000 Mark, die für Bureauausgaben ausgesetzt waren, 37 000 Mark ver- braucht und der Reichstag soll setzt den Mehrbetrag nachträglich gut heißen. Allgemeines Staunen ob des absonderlichen Casus. Das Faktum erscheint im ersten Augenblick in der Tat befremdlich und fordert zur Kritik heraus. Woran denn naturgemäß auch kein Mangel ist. „Der unglaubliche Verbrauch von Federn und Tinte, von Bureauleim und Aktenschwänzen zeigt, welche Lr- gien der Assefforismüs in unseren Schur aebieten feiert!" ruft pathetisch ein Blatt aus! „Das ist ja nur möglich, wenn sich das merkwürdige Naturereignis abspielt, daß die Tinte eintrocknet und das Löschpapier verschimmelt!" spöttelt ein andres. Ein drittes macht unter allerlei Cautelen gar die Andeutung, die .Bureau-Utensilien könnten am Ende infolge einer bisher nur in Rußland beobachteten geheimnisvollen Zersetzung sich auf der Reise von Deutschland nach ihrem Bestimmungsort in Wutki oder Sekt verwandelt haben. In Wahrheit erklärt sich die Sache, wie der „Preuß. Corrcsp." geschrieben wird, ziemlich einfach. Allerdings regiert St. Bureaukratius im Schutzgebiet. In allen Landen, die von den Fittichen des deutschen Aars be- schattet werden, sorgt der Potsdamer Rechnungshof als irdischer Statthalter des Heiligen dafür, daß diesem kein Titelchen seiner Rechte verkümmert werde. In Kamerun ist ehedem der vorwitzige Versuch gemacht wor- den, den Potsdamer Herren unter Vermeidung un nötiger Weitschweifigkeit über den Geschäftsgang im Schutzgebiet Rechenschaft zu geben. Tas hat man sich in Potsdam nicht lange gefallen lassen und so ist dort eine Reorganisation des Äureauverfahrens nach dem bewährten Muster der Behörden in der Heimat not wendig geworden. Auf dem alten, abgekürzten Ver fahren beruhte der früher übliche Pauschalansatz von 5000 Mark für Bureaufpesen: die Aenderung bewirkte schon 1901 ein Hinaufschnellen der Spesen um etwa 15 000 Mark und naturgemäß desgleichen. 1902 kamen erhebliche, zum Teil einmalige weitere Ausgaben zu diesem Mehrbedarf, da infolge der Erschließung des Hinterlandes bis zum Tsadsee hinauf dort eine ganze Reihe neuer Stationen errichtet wurde und somit mit dem nötigen Bureaubedarf ausgestattet werden mußte. Auf der Höhe von 1902 haben sich die Ausgaben auch weiterhin bisher gehalten. Man mag über den Pots- damer Rechnungsrat und seine etwas kostspieligen Pe danterien denken, wie man will: diese kostspieligen Pedanterien haben jedenfalls sehr wesentlich mit dazu beigetragen, daß Preußen und damit Deutschland das geworden sind, was sie sind. Ob die Durchführung der Potsdamer Methode auf die Außengebiete des Reichs für die Dauer sich haltbar erweisen wird, ist eine Frage für sich. Jedenfalls kann man dem einzelnen Verwaltunas- zweig oder der einzelnen Behörde keinen Vorwurf aus Kosten machen, die bei vorschriftsmäßiger Geschäftsfüh rung nicht zu vermeiden sind. Bei dem Auslaufen der Bureaufpesen im Kameruner Schutzgebiet spielen aber noch zwei weitere Faktoren eine gewaltige Rolle. Erstens verzehnfacht sich auf den: Wege von der Heimat nach dem Bestimmungsort der Wert des Vureaumaterials infolge der Seefrachten und anderer Transportspesen. Größere Lager können aus klimatischen Gründen nicht gut erhalten werden. Das Klima verbietet nicht nur das Vorrätighalten großer Posten an Bureaumaterial, sondern macht darüber hinaus den Bureaumenschen im Schutzgebiete durch allerlei kleine Scherze das Leben schwer. Die Tinte trocknet infolge der Hitze in der Tat sehr schnell ein. Nämlich im trockenen Hinterland. Gleichzeitig ver schimmelt das Löschpapier. Nämlich in den feuchten Küstenregionen, z. Ä. in Duala. In der Regenzeit geht dies so weit, das ein Bogen Löschpapier. infolge der Feuchtigkeit, die er anzieht, kaum zwei Stunden lang brauchbar bleibt. Aber nicht nur das Lösckwapier ver schimmelt und wird feucht, dem Schreibpapier geht es nicht anders, alle Einbände gehen aus dem Leim und ahes Metallische wird durch eine dick« nm Handumdrehen unbrauckchar. So die Stahlfedern, so die Radiermesser. Diese Radiermesser spielen im Käme- runer Schreibstubenbetrieb eine große Rolle. Die schwarzen Schreiber verschreiben sich ununterbroä-en, was ja wohl keiner Erklärung bedarf, und bleiben in einem Radieren. Radiergummi und Radiermeffer sind für sie unentbehrlich. Radiergummi überzieht sich sphr bald mit einer klebrigen Schicht und muß fortgeworfen werden: das Radicrmesser verrostet in einem Tage und folgt dem Gummi. Man sieht, es ist in Kamerun nicht leicht, mit Schreibmaterial sparsam umzugehen. Der Ruktanck in Züüwertattika. Trotha» Proklamation. Die Proklamation des Generals von Trotha, die bisher nur aus englischer Quelle bekannt war, liegt jetzt in der „Deutsch-Südwestafrik. Ztg." unter den „Offizi ellen Mitteilungen" im Wortlaut vor. Sie lautet: Proklamation. Gibeon, den 22. Avril 1905. An die aufständigen Hottentotten. Dec große, mächtige, Deutsche Kaiser will dem Volk der Hottentotten Gnade gewähren und hat befohlen, daß denen, die sich frei willig ergeben, das Leben geschenkt werde. Nur solche, welche bei Beginn des Aufstandes Weiße ermordet oder befohlen haben, daß sie ermordet werden, haben nach dem Gesetz ihr Leben verwirkt. Dies tue ich Euch kund und sage ferner, daß es den wenigen, welche sich nicht unter werfen, ebenso ergehen wird, wie es dem Volk der Herero ergangen ist, das in seiner Ver blendung auch geglaubt hat, es könne mit dem mäch tigen Deutschen Kaiser und dem großen deutschen Volke erfolgreich Krieg führen. Ick, frage Euch wo ist heute das Volk der Herero, wo sind heute seine Häuptlinge? Samuel Maharero, der einst Tausende von Rin dern sein eigen nannte, ist, gehetzt wie ein wildes Lier, über die englische Grenze gelaufen, er ist so arm geworden, wie der ärmste der Feldherero und besitzt nichts mehr. Ebenso ist es den anderen Großleuten, von denen die meisten das Leben verloren haben, und dem ganzen Volk der Herero ergangen, das, teils im Sandfeld verhungert und verdurstet, teils von den Deutschen getötet, teils von den Ovambos gemordet ist. Nicht anders wird es dem Volk der Hottentotten ergehen, wenn es sich nicht freiwillig stellt und seine Waffen abgibt. Ihr sollt kommen mit einem weißen Luch an einem Stock mit Euren ganzen Werkten und es soll Euch nichts geschehen, Ihr werdet Arbeit be- kommen und Kost erhalten, bis nach Beendigung des Orlogs der große Kaiser die Verhältnisse für den Frieden neu regeln wird. Wer hiernach glaubt, daß auf ihn die Gnade nicht Anwendung finden könne, der soll auswandern, denn wo er sich auf deutschem Gebiet blicken läßt, da wird auf ibn geschossen werden, bis alle vernichtet sind. Für die Auslieferung von an Ermordungen Schul- digen — ob tot oder lebendig — setze ich folgende Be lohnung: Für Hendrik .... 5000 - Stuermann. . . . 3000 - - Kornelius . . . 3000 - - die übrigen schuldigen Führer je 1000 De«- General der Deutschen öev mächtigen, großen Deutschen Kaisers. von Trotba. vir Wrir in fturrlana. Anarchie in rvarseha« and L»-z. In Warschau sind sämtliche Gouverneure Polens ein getroffen, um sich mir dem Obergouverneur über Mittel zur Abstellung der Unruhen in den polnischen Grenzbezirken zu beraten. Gestern nachmittag gegen 4»/, Uhr organtsierte, wie dem „L.-A." gemeldet wird, eine starke Arbeitermenge einen neuen Uebersall aufZuhälterund Prostituierte, die sich in 2 Häusern der Wonzkidunaj-Gasse versteckt hielten. Dabei wurde auf beide» Seiten von den Schußwaffen erfolg reich Gebrauch gemacht. Kosaken zerstreuten endlich tue Kämpfenden und verhafteten 29 Dirnen und 65> Zuhälter. Iu einer anderen Straße überfiel die Menge eben falls mehrere Zuhälter, die eine Frau durch Schüsse schwer verwundeten. Der durch drei Kugeln getroffene Polizist Kalinow ist gestorben. — Aus Lodz, wo 30 000 Arbeiter streiken, sind fast sämtliche Groß industrielle iu Eile nach Warschau geflüchtet. Sie fürchten die unter Drohungen ein^zebrachten Forderungen der Arbeiterschaft. Die Fadrikantensrau Geyer wurde vor der Abreise von Arbeitern festgenommen, ihr Gepäck rund- sucht; ihr Wohnhaus wurde umzingelt. Die Arbeiter verlangen Lohnerhöhungen, die Fabrr kanten lehnen ta:e- gorisch ab. Militärischer Schutz trifft in Lodz ein. Morosow. Wie aus Petersburg gemeldet wird, ist der bekannte Moskauer Großiaufmanu Sawa Morosow infolge enicc- Schlagan falls gestorben. Er stand in Beziehung zu Gorki und hatte für diesen die Kautionssumme bezahlt. Schitomir. Nach dem „B. T." ist der Verfasser des nachträglich als gefälscht fcstgestellten Berichtes über die Vorgänge in Schitomir, den der offizielle RegicrungSbote veröffentlicht hatte, ermittelt. Die „Nowosti" teilen mit, daß dies agitatorische Machwerk vom Staatsanwalt res Schsto- mirer Landgericht« herrührt. Blutbad in Transkaukasien. AuS Petersburg wird dem „L. A." depeschiert: In der transkaukasischen Kreisstadt Nachitschewan ist seit vier Tagen ein Blutbad im Gange, mit dem verglichen das Ge metzel von Baku geringfügig erscheint. Die Tataren machen dort die Armenier massenweise nieder. Auf dem „Basar" von Nachitschewan wurden alle Armenier ermordet, darauf ihre Läden ge plündert, die Wohnungen angezündet. Straßen und Plätze sind mit Verwundeten und Toten besät. Aus den Dörfern ist das Blutbad noch fürchterlicher. Die Moham medaner berauben sogar Vic armenische Kirche. Die Tataren haben den „heiligen Krieg" erklärt. E» werden Massen überfälle von persischen Kurden erwartet. Mehr als 100 Armenier wurden in drei Tagen getötet, darunter ein Priester. Die Behörde steht auch hier diesem grauenvollen Treiben machtlos gegenüber. ver «irrircb-japanirebe Krieg. Die Seeschlacht in -er Asrea-Stratze. Aus Petersburg wird gemeldet, daß gestern die ganze Nesivenzgesellschafl sich in größter Aufregung befand, be sonders jene Familien, die Angehörige und Freunde bei der Flotte RoschdjestwenSkyS haben. Der Marinestab glich einem regelrechten Auskunftsbureau, wohin alles strömte. Man erhielt schließlich die wenig tröstliche Ant wort, der Marinestab besitze noch keine offiziellen Nachrichten über die letzte Seeschlacht. Zunächst wurde daS Gerücht verbreitet, das Panzerschiff „Borodino" sei untcrgegangen. Nach einer anderen Version sollte es der „Fürst Ssuworvw" sein. Dann wurde der Untergang des „Orel" gemeldet. RoschdjeslweuSky sei gereitet, doch verwundet. DaS Gerücht schwebte auf aller Lippen. Ein Teil der russischen Schiffe, darunter „Alexander III.", sollte bereits in Wlaviwvstot eingetrofsen sein. Nachher wurde be hauptet, Nofchdjestwcnsly sei vom Flaggschiff „Fürst Ssuworvw" auf das Minenbool „Brawy" übergeführt worden. Nach ungewißen Petersburger Meldungen aus Wladiwostok sollte« dort 4 Fahrzeuge de« russischen Geschwader«, sowie ein Feuilleton. 4s Inge Wilhelmi. Roman von I. Oppen. Nachdruck verbolen. Man unterstützte sie auf jede Art und erleichterte ihr den Werdegang und im regen Verkehr mit Gleichstreben den hatte sie besondere Anregung und Förderung. Doch nach dem zweiten Semester schon erkrankte ihr Vater plötzlich an einer heftigen Lungenentzündung. Die aufopferndste Pflege konnte ihn nicht erhalten. Ehe die tieferschütterten Frauen sich klar werden konnten über den Ernst und die Schwere der Krankheit, war daS geliebte Leben entflohen. Ein Herzschlag hatte demselben ein jähes Ende gebracht. Der Jammer beider war grenzenlos. Es war der erste heiße Schmerz, der in seiner un überwindlichen Schwere sie vollkommen nicderschmet- terte. Jngeborgs Mutter war gebrochen. Schon nach wenigen Wochen mußte der Hausarzt konstatieren, daß sich bei ihr ein Herzleiden entwickele und nach wenigen Monaten war sie ihrem Gatten in den Tod gefolgt Jngeborg war Waise. Sie stand vollständig allein in der Welt. Die Verwandten ihrer Eltern batte sie nicht gekannt und ihre Großeltern hatte sie schon in früher Jugend verloren. Ter Hausarzt, ihr väterlicher Freund, brachte sie nun in einem Pensionat unter. Lange Zeit litt sie see lisch und Physisch, doch endlich siegte ihre Jugendkraft und sie begann langsain sich aufzuraffen und in der Arbeit Befriedigung und Vergessen zu finden. Wilhelmi hatte sie in diesen Jahren nur wenig ge- sehen, obgleich sich ihre Herzen suchten, mieden sie sich. Jngeborg kannte ihren Freund und wußte, daß er selbst schwer mit Sorgen zu känipfen hatte und ihr vorläufig nicht» sein durfte. Ihr Studiengang ging langsam, aber regelmäßig vorwärts, sobald sie jedoch anfing, sich praktisch zu be tätigen, Krankenhäuser zu besuchen, bei Operationen zu gegen zu sein, merkte sie, wie richtig ibre Eltern und ihr erfahrener Freund, ihr Hausarzt, über sie geurteilt hatten, sie konnte einen unüberwindlichen Abscheu und Ekel vor allem Widerlichen und Häßlichen nicht unter drücken und trotz des Aufgebots aller ihrer Energie und Willenskraft bemächtigte sich ihrer eine krankhafte Er regung nach solchen Eindrücken und es dauerte lange, ehe sie sich davon erholen konnte. Sie verschloß diese ihre Wahrnehmungen, durch- kämpfte es mit sich allein und arbeitete tapfer drauf los. Sie hatte ihr Staatsexamen hinter sich und be gann nun an einem Krankenhause praktisch zu arbeiten. Es traten gerade während dieser Zeit typhöse Krank heitserscheinungen auf und obgleich man die Patienten sofort isolierte, war sic die erste, der sich der KrankheitS- stoss mitgeteilt hatte. Wochenlang schwebte sie zwischen Leben und Tod. Man zweifelte an ihrem Aufkommen. Als sie dann endlich genas, kam sie in ein Sana torium, wo sie sich vollständig erholen sollte. Dort litt es sie nicht lange, da sie hörte, daß Wilhelms wieder in der Residenz war; eine unbeschreibliche Sehnsucht nach ihm bemächtigte sich ihrer, sie glaubte nicht eher ganz wieder genesen zu können, als bis sie ihn wiedergesehen habe. So kehrte sie in die Pension zurück, dort vereinten sie sich für immer. All' diese Gedanken durchjchwirrten Jngeborgs Hirn und sie hörte eigentlich nur auf halbem Ohr auf das Plaudern des Doktors, sie begehrte nichts, sie tvar voll kommen glücklich und zufrieden in dieser Einsamkeit zu zweien. Die freinden Menschen waren ihr ja alle gleichgültig, seine Nähe beglückte sie und ein Zusammenwirken mit ihm, daS war ihr höchste» Lebensziel, ihr heißester Wunsch. AlS sie nach minutenlange,» Schweigen zu ihm aus blickte, und in seine strahlenden Augen sah, drängte sie eine Entgegnung zurück, nickte nur stumm auf seine letzte Frage und verschloß seinen Mund mit heißen Küssen. Sie mußte ihn, ja alles zu Liebe tun, diese Kleinig- keiten und Äußerlichkeiten sollten nie einen Schatten auf ihr Glück werfen, nach dem sie sich jahrelang gesehnt. Und warun, sollte sie auch schließlich nicht diese kleinen Opfer bringen, die doch so selbstverständlich waren und so notwendig. Sie klagte sich innerlich des Hochmuts und des Egois mus an und begann nun auf alles näher einzugehen. Beide begegneten sich in ihren Wünschen und in ihren Ansichten. Die Stunden waren dahingeeilt. Der Doktor sprang hastig auf. Es schlug eben drei Uhr, in einer Viertelstunde mußte er in der Anstalt sein. Unter Scherzen und Lachen nahmen die beiden Glück lichen von einander Abschied. Während der Doktor auf seinem Rade schnell auf der Chaussee dahinsanste, denn das Krankenhaus befand sich in der Nähe des Waldes außerbalb der Stadt, hatte Jngeborg sich auf den Platz gesetzt, den er eben verlassen und träumte von Vergangenen, und Gegenwärtigem. Müßig ruhten ihre Hände im Schoß. Sie wünschte, die Zeit hätte Flügel. Sobald der geliebte Mann die Räume verlassen hatte, erschien ihr alles in ganz aride, rein Lichte und sie entdeckte hier und dort manches, was ihrem Auge wehe tat und was sie nach außen bin störte. Wieder begann sie mit sich zu rechten, sich undank- bar zu schelten, kleinlich und abbängig. Sie sprang auf, warf den Kopf zurück und begann nun in den Zimmern hin- und herzugehen, zu ordnen und zu stellen, dann packte sie die bübschen Kunstgegenstände auS, die sie da und dort hinstellte, ficki an ihrer Schönheit ergötzend, Formen und Farben bewundernd. Auguste hatte inzwischen geräuschvoll in der Küche hantiert und erschien nun nach kurzer Zeit, um den Nach- mittagskasje« zu bringen. Jngeborg, die nicht gewohnt war, um diese Zeit etwas zu nehmen, wollte sie abweisen, doch das resolute Mädchen behauptete, Frau Doktor wäre so zart wie ein Strohhalm und müsse entschieden gepflegt werden. Lächelnd ordnete sich nun auch Jngeborg dem Haus tyrann unter. Doch kaum hatte sie sich an den Kaffee tisch gesetzt, als cs klingelte und Auguste im nächsten Moment die Tür aufriß. „Frau Doktor, Frau Doktor", rief sie, rot vor Er regung, „die Frau Bürgermeister!" Ehe Jngeborg sich noch erheben konnte, rauschte die stattliche Dame ins Zimmer. „Meine liebe Frau Doktor", rief sie der erstaunten jungen Frau entgegen. „Ich konnte es mir nicht ver sagen, Sie in Ihrem Heim zu begrüßen." Jngeborg bedankte sich höflich und kühl. Tie zu dringlichen Augen der Frau, das brandrote, feiste Ge sicht machten ihr einen unangenehmen Eindruck. Wäh rend sie den Besuch anfsorderte, Platz zu nehmen, batte Frau Bürgermeister die Lorgnette zur Hand genommen und sah sich ganz ungeniert im Zimmer um. Sie musterte die eleganten Möbel, die schweren, seidenen Portieren und zog vor Erstaunen die Stirne in die Höhe „Dieser unerhörte Luxus", dachte sie. „Dabei soll sie gar nichts haben, die Bettelprinzcssin. Und wie sie sich hat, sic könnte doch wirklich Gott danken, wenn ihr einer ein wenig zur Hand geht in der fremden Stadt." „Sie sind wohl noch gar nicht in Ordnung, liebe Frau Doktor", meinte sie, auf die Möbel deutend. „Es ist wohl sehr schwer, alles hier so untcrzubringen? Ja, wir Kleinstädter sind sehr bescheiden, können nicht viel Ansprüche machen, fühlen uns aber ganz be haglich und leben scbr glücklich miteinander. Einer hilft dem andern und ich habe eit immer so gehalten, daß ich jeder jungen Frau mit Rat und Tat zur Seite gestanden habe. Betrachten Sie mich nur ganz als Ihre Mutter und besuchen Sie uns nur recht zwanglos. Meine Tocbtcr Sylvia, die übrigen« sehr talentvoll ist nnd viel gelernt bat ist sogar auck> ein wenig Groß- städterin — ich halt« st« »u ihrer Ausbildung axf »in
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