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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.06.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050617025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905061702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905061702
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1905
- Monat1905-06
- Tag1905-06-17
- Monat1905-06
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VezugS-VreV i» der HauptexpedNto» oder der«, A»SMv» flrllni abftrholt: vierteljährlich L—, bei rweimaligrr täglicher 8>»ftell»ß tW» Ha»< 8.7b. Durch bi« Dost bezog«, für Deutfch. laud u. Oesterreich vierteljährlich ^tl LLO, für bi« übrige» Lä»d«r l»ut F»tt»»q-vr«t-ltft«. Diese N««»er »»stet auf alle» Bahnhöfen uvb III bei den ^eitungr-vertäufern s * AetzaMo» ««rb Erpe-ttt»»: 153 Fernsprecher AL Johanniggasie 8. Haupt-Ailtsle Dresdeu: Marieaslrab» 84 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Hau»1-KUt«lr verlt«: rirlDunkker, Hrrzal-Uayr^ofbuckbandlg- Lützowstratzr 10 (Fernsprecher Lmt VI Nr. 4L08). Abend-Ausgabe. MWM TaMM Handelszeitung. Amtsblatt bes ÄSnigl. Land- und des ÄSnigl. Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizeiamtes -er Ltadt Leippg. Anzeiften-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 25 Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeigen, Geschästsanzrigen unter Text ober an bcionderer Stelle »ach Tarif. Die «gespaltene Rrklamezeile 75/>L. Anuahmeschlutz für Anzeigen: Abend-Au-gabr: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Llprdition zu richten. Vrtra-Vetlage« (nur mit der Morgen- Au-gabr) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet vo» früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. l>r. «., R. L W. Klinkhardtl. Herausgeber: vr. Bietor Klinkhardt. Nr. 30L Sonnabend 17. Juni 1905. 99. Jahrgang. vsr Wchtigrte vsm lagt. * In der Marokko-Frage hat die Span- nung zwischen Deutschland und Frankreich nachge. Iassen, so daß eine befriedigende Lösung vorauszusehen ist. (S. Letzte Nachr.) * Die sapanische Offensive dauert trotz des Eintritts der Regenzeit an. * Die Waffenstillstandsverbandlun ¬ gen werden nach einer nicht gerade glaublich klingen den Meldung von General Linjewitsch und Mar schall Oyama persönlich geführt werden. (S. russ.- jap. Krieg.) Vie Vereinheitlichung der Rrbeiterverricheriing Am 2. März 1905 führte Staatssekretär Graf von Posadowsky im Reichstag aus: Wenn wir heute in der Freiheit zu handeln uns befänden, würde kein ver nünftiger Mensch daran denken, je eine besondere Or ganisation der Kranken-, der Unfall- und der Inva lidenversicherung zu schaffen. Das System unserer sozialpolitischen Gesetzgebung ist naturgemäß ein Er zeugnis chronologischer Entwickelung; würde man diese Gesetzgebung neu aufbauen, so müßte man eine einheit liche Organisation schaffen, die einfacher und minder kostspielig wäre. Es versteht sich fast von selbst: nachdem wir nun ein mal diese mehrfache Gestaltung haben, kann nicht daran gedacht werden, die Einzelbauten auf einmal niederzu reihen, um auf völlig geebnetem Boden einen Neubau einheitlicher Arbeiterversicherung aufzuführen. Man wird nur allmählich einzelnes abtragen, anderes neu- oder ausbauen oder neu aufrichten können. Den Blick auf das in fortschreitender Annäherung anzustrebende Endziel gerichtet, wird man Schonung des Wertvollen sich angelegen sein lassen müssen. Das nächste stiel der Reform kann nicht Verschmelzung, vielmehr nur in tun lichst organischer Verbindung zu erzielende Verein fachung und Verbilligung der drei Persicherungsarten sein. Wenn in dieser Richtung zu Reformen geschritten werden soll, so werden wir nicht nur eigene, sondern auch ausländische Erfahrungen berücksichtigen. In Oesterreich wurde bisher nur eine' Kranken- und eine Unfallversicherung nach Art der unsrigen, aber zum Teil auf wesentlich anderen organisatorischen Grundlagen eingeführt. Die Krankenversicherung erfolgt durch Be zirks-Krankenkassen, denen ohne Unterschied des Berufs olle im Kassensprengel beschäftigten Versicherungspflich tigen anzugehören haben, sofern sie nicht einer Betriebs, oder einer Bau-Krankenkasse, oder einer die gesetzlichen Mindestleistungen gewährenden Genossenschafts- (In- nungs-) Krankenkasse, oder einer Bruderlade (Knapp schaftskasse), oder einer Vereins-Krankenkasse (freien Hilfskasse) angehören. Auch die Unfallversickierung er folgt nicht durch Berufsgenossenschaften, sondern durch territoriale Versicherungsanstalten, welche der Regel nach für jedes K'ronland in der Landeshauptstadt er richtet sind; als Mitglieder dieser Anstalten gelten neben den Unternehmern auch die Versicherten, welck»e 10 Prozent der nach dem Kapitaldeckungsverfahren auf zubringende Beiträge zu tragen haben. Eine Inva lidenversicherung nach Art der deutschen ist noch nicht eingeführt. Im Dezember 1904 hat die Regierung dem Reichsrat ein „Programm für die Reform und den Ausbau der Arbeiterversicherung" vorgelegt, den Ent wurf eines einheitlichen, die Kranken-, Invaliden- und Unfallversicherung umfassenden Gesetzes nebst Motiven. In letzterem ist der Ueberzeugung Ausdruck gegeben, mit einer auf gewisse Einzelheiten beschränkten Gesetzes reform sei eine gedeihliche Entwickelung der Arbeiter versicherung nicht zu erreichen. Eine solche könne viel mehr nur von einer allgemeinen und durchgreifenden Um- und Ausgestaltung der Arbeiterversicherung er wartet werden. Und zwar unter der Voraussetzung, daß der Staat sein hohes Interesse an der Lösung dieses sozialen Problems durch ausgiebige Zuwendung staat licher Mittel betätige. Soweit die Krankenver sicherung in Betracht kommt, lassen sich die Grund züge der geplanten Organisation etwa wie folgt kenn zeichnen. Die Krankenkassen sollen den Unterbau der Arbeiterversicherung bilden, die Krankenkassen müssen also das wichtigste Glied der ganzen Arbeiterversiche- rung werden. Der Entwurf will im Prinzip die bis- herige Kassenorganisation beibehalten und nur die Bau- Krankenkassen, welche eine nennenswerte Bedeutung nie erlangt haben, beseitigen. Die Mindestzahl der Ver sicherten für jede Bezirks-Krankenkasse soll 1000, für jede andere zugelassene Kasse 500 betragen. Dem Be dürfnis der Bevölkerung nach Dezentralisierung soll durch Errichtung lokaler Geschäftsstellen Rechnung getragen werden. Die Kassen sollen zu „Durchführungsorganen" für die Träger der Inva liden- und Unfallversicherung, zu Vertrauensstellen für die Interessenten der Arbeiterversicherunq ausgestaltet werden und in dieser Eigensckxrft im wesentlichen fol gende Funktionen übernehmen: die Evidenthaltung der Versicherten (das Meldewesen), die Einreihung der selben in die Lohnklassen, die Einhebung der Beiträge für alle drei Versicherungszweige, endlich die Vorberei tung aller Entscheidungen über Unterstützunasansvrüche aus der Invaliden- und Unfallversicherung. Das Selbst verwaltungsrecht der Kasse soll zwar hinsichtlich der eigentlichen Krankenversicherung erhalten bleiben, nicht aber auf die Aufgaben ausgedehnt werden, in denen die Kassen nur „als Beauftragte der Träger der Invaliden- und Unfallversicherung fungieren". In Ausführung dieses Gedankens wird bestimmt: Der Vorstand wird von der Generalversammlung je zur Hälfte aus den Mitgliedern und aus den Tienstgebern gewählt. Zur Besorgung der laufenden Geschäfte sind besoldete (in Eid und Pflicht zu nehmende) Beamte zu bestellen; der leitende Beamte, der nach Einvernehmung des Vor standes von der staatlichen Versicherung bestellt wird, hat die bezüglich der Krankenversicherung gefaßten Vor standsbeschlüsse auszuführen, falls er sie aber als dem Gesetz oder dem Statut widersprechend erachtet, erst die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen, überdies in Angelegenheiten der Invaliden- und Unfallversiche rung den Weisungen der betreffenden Versicherungsan stalten zu folgen. Die Generalversammlung besteht aus Delegierten, welche je zur Hälfte von den Kassenmit gliedern aus ihrer Mitte und von den Dienstgebern ge wählt werden. Es kann genügen, durch Vorstehendes eine Stich probe des österreichischen Reformplanes bekannt zu geben. Wer sich für das Thema interessiert, findet Tat sächliches und Kritisches in der „Arbeiter-Versorgung", dem Zentralorgan für das gesamte Arbeiter-Versiche rungswesens im Deutschen Reiche. ver ruttstcd-japanstcbe Weg. Nachträglicher zuin Zwischenfall van Hüll. Seit der Katastrophe in der Koreastrabe hat der bekannte Kapitän Klado seinen journalistischen Eifer verdoppelt. Tag aus Tag ein veröffentlicht er unenmich lange marinetechngche Artikel in der „Nowoje Wremja", die trotz ihrer Länge cs verdienen, gelesen zu wenden. Denn mitunter stöbt man bei ihrer Lektüre aus überraschende Einzelheiten über die ver unglückte Expedition der «rohen ruisischen Armada. Bei spielsweise sind die Nachrichten Wer den traurigen Zustand, in dem sich die russische Motte zur Zeit des Hüller Zwischen falles befand, von nicht geringem Interesse. Der Admiral Roschdjestwensky erhielt einen Tag, bevor er mit seinem Geschwader von Lübau aus in See ging, ein offizielles Schreiben vom Marineministerium, und zwar durch einen Eilboten, zugestellt: in diesem Schreiben wurde ihm mitge- trist, dah die Stabilität des ,-Suworow" uitd der anderen Panzerschisse vom selben Typus bei hohem Seegänge eine viel geringere als die vorschriftsmäßige sei. Infolgedessen wurden alle möglichen Mabregeln vorgeschrieben, um diesem gefährlichen Mißstande abzuhelsen. Empfohlen wurde u. a., die Raen herunterzulassen, um das Gewicht des Oberkörpers der Schisse zu vermindern. Da aber dis Gewicht der Naen im Verhältnis zum Gesamtgewicht der Schiffe ganz unbe deutend ist, so konnte man allein aus dieser Empfehlung er sehen. daß die Herren im Marincministerium sich an einen Mrohhalm klammerten. Gleichzeitig konnte dieselbe als Maßstab für die ernsten Befürchtungen dienen, welche die Experten bezüglich der Stabilität der schisse hegten. Selbst, verständlich wurde den Besatzungen nichts davon mitgeteilt, um keine Panik Hervorzurusen. Daß diese Befürchtungen jedoch wohlbegründet waren, erfuhr man bald darauf beim soge nannten Hüller Zwischenfall. In jener Unglücksnacht war der Seegang nicht hoch. Immerhin betrug der Winkel der seitlichen Scywankungen fünf Grad. Ms man die Kanonen- luksn öffnete, hinter dene/i die dreizölligen Geschütze stehen, welche die wirksamste Waffe «egen Torpedoboote sind, stürzten die Wellen herein und bald standen Geschütze, und Mann schaften im Wasser. Aus dem Panzer„Orel" schöpfte loga.r eines der Geschütze Wasser und zersprang . beim daran:» folgenden Schub. Aus einigen anderen Panzerlch'.nen wurden die Luken der Lreizölligeg Geschütze gar nicht geöffnet. Aus diesen Tatsachen wird ersichtlich, m welcher kritvcheu Lage uch die russischen Schiffe befanden, als sie einem wirklichen, todesmutigen Feinde gegenüberstanden. Lin deutscher Stratege über dietandfchlacht. Wenn heute so gut wie keine Meldungen über den Krieg Vorstegen, jo ist das auf den Umstand zurückzusühren. Satz die Rufssn den Japanern das Verschweigungswitem endlich bis zur gleichen Meisterschaft abgelernt haben. Von Einfluß darauf sind natürlich auch die zu erwartenden Vermittelungs- Verhandlungen. Ueber die beiderseitigen strategischen Pläne werben alle möglichen und unmöglichen Vermutungen von Berufenen und Unberufenen an den Tag gelegt. Zu dieser schwierigen Frage bat sich ein kriegserfahrener deutscher General, der in diesen Tagen inkognito auf der Lütticher Weltausstellung weilte, folgendermaßen geäußert: Die Situation ist klar. Der japanische Plan ist Purch das Eingreifen der beiden Um- gehuiigLgeneräle Kuroki und Nogi für jeden Sachverständigen vollständig aufgchellt, ist auch bei der Sachlage der einzig natürliche und angemessene. Linjewitsch müßte nun mii Blindheit geschlagen sein, wenn ihm dies entgangen wäre. Seine Stratcnie acht auf das einzige dagegen mögliche Mittel hinaus: Er laßt sich an den Mügeln werfen; dagegen wird er versuchen, im Zentrum mit mindestens 300 000 Mann die Japaner zu durchbrechen und sie in zwei Teile zu teilen. Ge lingt es ihm dann, sich nicht sesthälten zu lassen, sondern in Eilmärschen südwärts vorzudringen, dann könnte es ihm glücken, dem Kriegsschauplatz wieder weiter nach Süden, d. h. näher an Japan zu verlegen. Dadurch würde die Verbindung Oyamas abgeschnitten, Port Arthur bedroht und die japa- nffchen Diversionen aus Ninguta—Wladiwostok in Frage ge stellt. Das ist die Situation — aber ich bemerke: Wollen ist nicht vollbringen. Die rvaffenstillftanv»verhan-l»rngen. Zwischen den Regierungen in Tokio und Petersburg ist ein Meinungsaustausch im Gange, der über Washington ge führt wird und ein Zusammentreffen des Generals Linjewitsch und des Marschalls Oyama im fernen Osten zum Gegenstand hat. Der Zweck dieser Zusammenkunft soll der Abschluß eines WaffenstiWandes sein, der der Frie denskonferenz in Washington den Weg ebnen soll. Anfänglich dachte man daran, daß em vorläufiges Protokoll in Washing ton unterzeichnet werden würde, man glaubt aber jetzt, daß der Abschluß eines Waffenstillstandes am besten den beiden Befehlshabern anzuvertrauen sei. Die, Zeitdauer des Waffen stillstandes ist noch nicht bestimmt, ovch soll sie verhältnis mäßig kurz sein, so daß der Fortgang der Friedensbesprechun- gen nach Möglichkeit beschleunigt wird. Die Frie-en«au»fichten. Gras Jnouye, deriapanische Gesandte in Berlin, empfing am Freitag einen Mitarbeiter des „B. L.-A." und wies auf dessen Fragen nach dem Stande der Friedensverhand- ! lungen nachdrücklich auf die Schwierigkeiten hin, die der er folgreichen Arbeit einer Friedenskonferenz zurzeit noch ent- gegenstehen. Der Inhalt seiner Ausführungen war folgender: Graf Jnouye besitzt noch keinerlei Nachrichten über die Bedingungen, die Japan für den Friedensschluß zu stellen ge- denkt. Bindende Erklärungen seien überhaupt erst zu er warten, sobald die Vertreter der beiden Mächte zusammen Feuilleton. Inge Wilhelm!. Roman von I. Oppen. -iachdri-ck verbot«». Jngeborg beschloß noch einmal ernstlich mit ihr über die Zukunft zu sprechen. Sie glaubte jetzt aus ihren Briefen die Sehnsucht herauszulesen, eine dauernde Heimat zu finden. Schon nach wenigen Wochen hatte sie die Gewißheit, daß der Landrat, wenn er nochmals um die Hand Mar- gas anhalten würde, sicher Erhörung fände. Mit diesem frohen Berichte wollte sie nicht länger zögern und schrieb an den Landrat ein Billett, in dem sie ihn für den Nachmittag zu sich einlud. „Frohes und Liebes kann ich Ihnen mitteilen," stand in den wenigen Zeilen. „Kommen Sie um vier Uhr nachmittags, dann bin ich allein." Sie übergab dem Mädchen den Brief zugleich mit einigen Büchern, die sie in der Rodeschen Leihbibliothek gegen andere wechseln sollte. Sie hatte in letzter Zeit leichtere Lektüre wählen müssen, da sie sich zu ernsteren Studien nicht aufnahmefähig genug hielt. Dav Mädchen hatte den Brief in eins der Bücher ge legt und »ourde, wie immer, im Bücherladen von den An wesenden in eine etwas lebhafte Unterhaltung gezogen. Man gab ihr die Bücher mit und da sie über Gebühr lange ausgeblieben war, beeilte sie sich nach Hause zu kommen. Ta Jngeborg nicht mehr nach dem Brief fragte, ver gaß auch das Mädclxm vollständig daran, die junge Frau wunderte sich zwar, daß der Landrat am nächsten Tage nicht kam, aber als er dann am Ende der Woche zu ge- wohnter Zeit eintraf und sich seines Fernbleibens wegen entschuldigte, fiel es Jngeborg nicht ein, ihn zu fragen, ob er den Brief erhalten habe. Sie war so erfüllt von dem, was sie ihm sagen wollte, und freute sich an dem Glücke, das die Nachricht bei ihm hervorrief. Pollständig in Gedanken mit den beiden verbunden, batte sie lange Zeit nach dem Fortgang des Landrats in ihrem Zimmer gesessen und Pläne für die Zukunft ge schmiedet. Sie freute sich auf den Verkehr mit Marga, die doch nun in absehbarer Z«tt al» Landrätin in L. residieren würde, und zum ersten Mal seit langer Zeit stieg wieder etwas Lebenslust und Hoffnung in ihr auf. Sie hatte daher kaum bemerkt, daß die Zeit so schnell vergangen, und ihr Gatte zur gewohnten Zeit nicht er schienen war. Er hatte oft noch am Abend in seinem Berufe zu tun, und so machte ihr sein Fernbleiben keine weiteren Sorgen. Sie richtete selbst den Tisch zum Abendessen her. Heute wollte sie ihrem Gatten diese Nachricht über bringen, die ihn gewiß auch so erfreuen würde wie sie. Sie nahm ein Buch zur Hand und begann zu lesen, doch die Stunde ging so langsam hin, sie wurde unge duldig und besorgt. Sie öffnete das Fenster und spähte auf die dunkle Gasse hinaus. Da endlich sah sie ihn kommen. Er war abends im Klub gewesen. Wie seltsam, er ging sonst nie dahin, ohne ihr vorher davon zu sagen. Ein bitteres Gefühl quoll in ihr auf. Doch sie kämpfte es rasch nieder und trat ihm lebhafter und freudiger, als sie in den letzten Wochen gewesen, ent gegen. Sie hielt ihm beide Hände entgegen, die er nicht zu beachten schien. Sein Gesicht war blaß, doch in seinen Augen loderte und glühte es geheimnisvoll. Langsam und schlaff sanken die Hände Jngeborgs herab. Eine bange Ahnung von etwas Furchtbarem und Schwerem überkam sie. Er war durch das Wohnzimmer geeilt, dort blieb er einige Momente stehen, er schien zu überlegen. Dann eilte er, ohne sie weiter zu beachten, in sein Studier zimmer, dessen Tür er geräuschvoll ins Schloß warf. Jngeborg begriff sein Wesen nicht. Sie lauschte, eS blieb alles still, dann hörte sie ihn rastlos auf- und niederwandern. Schnell entschlossen öffnete sie die Tür. „Ernst, was hast du, ist ein Unglück geschehen? Sage mir alles. Von deinen Lippen kann ich das Schwerste er tragen, nur quäle mich nicht mit deinem Schweigen." Er sah auf sie nieder. Ein höhnisches Lachen ver zerrte sein Gesicht. „So, also von mir, Heuchlerin du, Kokette laß diese Komödien, zwei Jahre lang habe ich sie ertragen, nun ist es genug." Sie war zurückgewichen, abwehrend hob sie die Hände gegen ihn aus. „Ich glaube, du bist wahnsinnig, sonst würde ich dir diese Beleidigung, diese Schmähung nicht vergeben." „Wahnsinnig, ich", — schrie er auf, „fast möchte ich's glauben. Nichts wäre natürlicher nach dieser Qual." „Willst du dich nicht endlich erklären?" Er riß aus seiner Tasche einen Brief heraus und schleuderte ihn auf den Tisch. „Hast du das geschrieben?" stieß er bebend hervor. Sie neigte sich über die Zeilen. „Jal" antwortete sie fest. „Das ist gut, daß du wenigstens bei der Wahrheit bleibst, so sind wir schnell miteinander fertig. Den Brief fand Bürgermeisters Sylvia in einem Leihbibliotheks buch, und da er geöffnet war, hatte sie ihn selbstverständ lich gelesen und ihrem Vater gebracht. Als ich meine Besuche erledigt hatte und nach Hause kommen wollte, bat mich Kapobus zu sich. Hier händigte er mir das Schriftstück ein und empfahl mir, etwas mehr acht auf nieine Frau zu geben, die in ihrer Unvorsichtigkeit und ihrem Leichtsinn kein Beispiel wäre für die Heranwachsen den Töchter der alten Kreisstadt und auch kein Umgang für ehrliche Frauen. Natürlich hatte sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet, man weicht mir aus wie einem Geächteten, ich komme um meine ganze Achtung und das Vertrauen aller. Zu Hause ein Bettler und da draußen ein Ge schändeter. Ich bin in den Klub gegangen, um den Landrat zu erwarten, ich wollte mit ihm Abrechnung halten, er war aber nach dem Besuch bei dir abgereist. Warum hast du mir das getan, wie konntest du mich belügen und so betrügen?" „Ich habe dich nicht belogen und dich nicht betrogen", sagte Jngeborg gelassen, „deine Schmähungen treffen mich nicht. Der Brief ist durch einen unglücklichen Zu fall in andere Hände geraten. Wenn du ruhiger bist, will ich dich aufklären." „Und du meinst, ich würde deinen Phantasien glau ben, jetzt noch, nachdem alles gegen dich ist? Seit un endlich langer Zeit macht dein Verkehr in unliebsamer Weise von sich reden, mehr al» einmal hast du mich kom promittiert. Ich bat dich, dich zurückzuziehen, doch du ließest dir nicht genügen. Ich war dir nichts. Andere hatten deine Freundschaft, wohl gar deine Liebe, nicht umsonst hat die ganze Stadt dich verurteilt, über dich den Stab gebrochen. Alle wußten e» längst, ehe mir, dem Blinden, die Augen geöffnet wurden." „Also die da draußen wußten es alle längst. Und du hast zu Anfang nicht daran geglaubt. Das Urteil dieser kleinlichen, ach, so mißgünstig und niedrigdenken den Menge ist dir so maßgebend, daß du jede Erklärung von mir von dir weist. Ich will mich nicht verteidigen, ich gebe dir Zeit zum Nachdenken. Was du über mich beschlossen, es soll mir recht sein, diese kurze Stunde trennt uns für immer. Ich verzeihe dir, ich habe dich anders, höher beurteilt. Ich habe in dir das Edelste gesehen, jetzt weiß ich, daß ich dich mit demselben Maßstabe messen muß, wie die andern. Du bist einer, den vielen gleich. Dir habe ich dann gewiß Unrecht getan, verzeihe mir! —" Ehe er antworten konnte, war sie hiuausgegangen. Stöhnend verbarg Dr. Wilhelmi sein Gesicht in den Händen. Er sah sein Ideal in Trümmern. Zorn, Leidenschaft kämpften in ihm. Hatte er ihr nicht alles geopfert, in einem Jahrzehnt nur an sie gedacht, ganz ihren Wünschen nachgegeben, sie so hoch und heilig ge- halten, wie den kostbarsten Schatz, und sie hatte ihn ver- raten, seine Ehre vernichtet, ihn lächerlich gemacht, und nun hielt sie es nicht einmal für nötig, sich zu ver teidigen! — Sie konnte es gewiß nicht, sie war ja schuldig. Solch ein Billett schreibt nur die Geliebte dem Geliebten. Das war durch die ganze Stadt heute gezogen, mau flüsterte hinter ihm her, man drückte ihm teilnehmend die Hand, man gab ihm gute Ratschläge, um sich inner lich an seinem verstörten Aussehen zu weiden, an der Seelenqual, die sich in seinen Zügen ausprägte. Wen sollte er zur Rechenschaft ziehen! — Sollte er Skandal auf Skandal häufen? — Er fand nirgends einen Ausweg, einen Trost. Er wollte dem Landrat schreiben, dann überlegte er wieder. Auge in Auge mußte die Aussprache erfolgen. Er wollte in seinen Zügen lesen, den Verräter entlarven und dann, wenn er es getan hatte, sich mit ihm schlagen. Und dann O, wenn ihn doch eine Kffrgel träfe, dann hätte alles Leid ein Ende. Wie sollte er leben unter diesen Menschen. Doch wieso jetzt schon an die Zukunft denken. Erst müsse er Gewißheit haben — Genugtuung. Wertlos war ihm ja ohnedies das Leben, all seine Hoffnungen waren vernichtet, das Glück zerstört. Die Nacht brach herein und immer noch fand sie d«n
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