Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.05.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980521023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898052102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898052102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-21
- Monat1898-05
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ledaction «nd ErpEon: - JohanneSgafse 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Filiale«: Otto Klemms Sortim. (Alfred Hahn), Ulliversitötsftrabr 8 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Port, und König-Platz 7. BezugS-Preis t» der Hauptexpedition oder den im Stadt» bezirk und den Vororten errichteten Au»- aavestrllrn ab geholt: vierteljährlich ^>4^0, vei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau- X 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierlehährtich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung inS Ausland: monatlich 7.50. Abend-Airsgabe. MpMer Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes «nd Nolizei-Ämtes -er Lindt Leipzig. Arrzeigeit'PreiS dir 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redacttoasstrtch (4go- spalte«) 50>^, vor den ssuuiillennachrichten (6 gepalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichaiß. Tabellarischer und Zifferusatz «ach höherem Tarif. —c-— Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderung 80.—, mit Postbesürderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. 254. Sonnabend den 21. Mai 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. p. Heute liegen keine Nachrichten von Belang vom Kriegsschauplätze vor. Es wird nur durch eine in Madrid eingetroffene amtliche Depesche bestätigt, daß zwei amerika nische Kriegsschiffe, welche den Hafeneingang von Guanta- namo zu erzwingen suchten, sich zurückziehen mußten. Bisher ist den Amerikanern an keiner Stelle eine Landung auf Cuba geglückt. Wie uns aus New Aork berichtet wird, kommt zu den mancherlei Wischern, die sich die Amerikaner bei diesen Landungsversuchen geholt haben, noch der Verlust eines Fahrzeuges hinzu. Einer Meldung auS Key West zufolge soll nämlich das Patrouillenboot „Sarasota", welches bei Nacht die Fahrzeuge vom Eindringen in den Hafen von Key West abhielt, infolge eines Zusammen stoßes mit einem Lotsenboot gesunken sein. Aber auch Spanien ist von einer Katastrophe heimgesucht worden. Man meldet unS: * Cartagena (Ostküste von Spanien), 21. Mai. (Telegramm.) Auf dem Fort San Julian ist eine Geschoßfabrik in die Lust geflogen. Es wurden 10 Personen (davon sind 5 Sol daten und 5 Arbeiter) getödtet und 62 Personen, darunter der Gouverneur, verwundet. Die glückliche Ankunft der spanischen Flotte in San tiago (Cuba) hat die Stimmung in Madrid ungemein ge hoben, zumal gleichzeitig die Nachricht eintraf, daß die spanische Colonie in Buenos Aires für die National - Sub skription eine zweite Million Franken in Gold gespendet hat. Die größere Zuversichtlichkeit, welche sich der leitenden Kreise in Spanien bemächtigt bat, kam auch in den gestrigen Sitzungen deS Parlaments zum Ausdruck, worüber uns folgender Bericht zugeht: * Madrid, 20. Mai. (Senat.) Nach einem Rückblick auf die Geschichte der letzten Krise erklärte Sagasta feierlich, die Regierung werde niemals den Frieden annehmen, wenn die terri toriale Integrität Spaniens nicht aufrecht erhalten werde. Andernfalls sei die Regierung zum Kampfe bis auf» Aeußerste entschlossen. Aunon äußerte sich lobend über Cervcra. * Madrid, 20. Mai. (Kammer.) Sagasta stellte das neue Eabinrt vor und erklärte dabei, Leon Eastillo werde da» Portefeuille nicht übernehmen, weil er in Paris Lurch wichtige Unter handlungen zurückgehalten sei, und namentlich weil man nicht wisse, welcheHaltungdieMächte einnchmen würden.(?) Sagasta wandtesichso- dann in heftigen Worten gegen dasvorgehen derAmeri- kanrr. Man müsse, bemerkte er, die nöthigen Mittel suchen, um den Sieg zu erlangen. Auf eine Anfrage Romero Robledo's erwiderte der Ministerpräsident, das Eabinet sei kein Partei- rabinet, sondern ein spanisches. Robledo wünscht über die Politik de- neuen CabinetS zu interpelliren und führte, nachdem Sagasta zugestimmt hatte, aus, die Seele der neuen Regierung sei Gamazo. Er frage diksen, ob er eine Besteuerung der Rente rio« zuführen wünsche. Gamazo erwiderte, die« fei eine Frage, welche dem Finanzminister obliege, der handeln werde, wie es die Ehre deS Landes verlangt. Wenn Sagasta sagt, man müsse die nöthigen Mittel suchen, um den Sieg zu erlangen, so spielt er damit auf Verhandlungen an, welche die Regierung mit der Pariser Rothschildsgruppe wegen einer 250-Millionen-Anleihe in Gold angcknüpft hat. Die Gruppe fordert außer besonderer Sicher stellung die Verlängerung der Privilegien der größeren spanischen Bahnen um 100 Jahre. Neber die Action der beiden feindlichen Kriegsflotten verlautet nichts Bestimmtes. Man nimmt nach wie vor an, daß daS Ziel deS spanischen Geschwaders (das, wie uns tele graphisch gemeldet wird, gestern Santiago verlassen haben soll) Havannah ist und daß Sampson versuchen wird, dasselbe noch vor Havannah zu stellen. Nach einem Telegramm der „Evening Post" aus Key West werden innerhalb 24 Stunden wichtige Vorgänge erwartet. Die Censur verbietet die Be kanntgabe von Einzelheiten über die beabsichtigten Bewegungen der amerikanischen Flotte. Es scheint sich um einen Wett lauf beider Flotten und darum zu handeln, welche früher bei Havannah ankert. In Washington wächst die Besorgniß vor Angriffen spanischer Schisse auf die Ostküste der Union, weshalb der Senat eine gemeinsame Resolution annahm, nach welcher Hilfsstreitkräfte zur See organisirt werden sollen, welche die Zahl von 3000 Mann nickt überschreiten und eine innere VertheidigungSlinie bilden sollen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 21. Mai. Auf die Aeußerung deS preußischen Landwirth- schaftsmini sters Krhrn. v. Hammerftein-Loxten am 17. d. im preußischen Abgeordnetenhause, er könne die Vermuthung nicht unterdrücken, daß die Stadt Leipzig formell zwar gewillt sei, die Verunreinigung der Luppe und der Elster durch die Schmutzwäfser der Stadt zu beseitigen, daß aber der ernstliche Wille fehle, diesem schreienden Uebelstande abzuhelfen — auf diese Aeuße rung fällt ein ganz eigenes Licht durch eine weitere Erklärung, die derselbe Minister in derselben Sitzung abgab. Nachdem die Interpellation v. Mendel-Steinfels über die Verunreinigung der Luppe und der Elster erledigt war, machte nämlich der Abg. v. Hagen auf die Beunruhigung aufmerksam, die in Meppen und Umgegend wegen der be absichtigten Zuleitung der Abwässer auS den PieSberger Kohlenbergwerken in die EmS besteht, und führte zum Beweise, daß diese Beunruhigung begründet sei, auS: „Es ist dieses Wasser außerordentlich salzhaltig und zwar von so schwerem Salzgehalt, daß auch Klärungsversuche kaum jemals zu dem Resultat führen werden, das Wasser unschädlich zu machen. Wie groß aber die Massen von Salz sind, welche durch diese Wässer deS PiesbergeS in die Ems geleitet werden sollen, ergiebt sich aus der Thatsach», daß das Pumpwerk am Piesberge per Sekunde 450 l Grubenwassrr liefert, und daß jede- Liter 36 A Salz enthält (hört! hört!); das macht in der Sekunde 16 200 g; oder 16,2 lc^, also per Tag 13996 lc^ Salz, gleich 140 Doppelwaggon- ladungen. (Hört! hört!) Die Stelle an der Ems, die jetzt in Aussicht genommen sein soll, um dieses salzhaltige Wasser hinein- zuleiten, bewässert fruchtbare Wirsen und Weiden, die Pferd« und Rindvieh u. s. w. in großer Meng« «rnähren, und rs würde zu den größten Nachlhetlen, ja selbst zur Vernichtung der ganzen werthvollen Wirsen und Weide» kommen, wenn diese- Pro jekt auSgeführt würde." Erläuternd sei hierzu bemerkt, daß bislang die Gruben wässer deS PieSbergS m die Haase gingen. Bis vor etwa 15 Jahren waren sie nicht wesentlich verunreinigt; dann aber nahm infolge zunehmender Wasserdurchbrüche aus den Tiefen deS PieSberges der Salzgehalt zu und veranlaßte die Wiesen besitzer an der Haase zu bitteren Klage». Die Stadt Osnabrück, die bis vor etwa 10 Jahren im Besitze des PieSbergeS war, legte Klärteiche an und fuhr mit der Verbesserung derselben fort, bis vor etwa 10 Jahren der Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein den Pies- berg ankaufte, um sich vom Kohlrnringe frei zu machen. Während dieser zehn Jahre hat der Verein die Bemühungen, die immer salzhaltiger werdenden Grubenwässer des Berges zu reinigen, ununterbrochen fortgesetzt — vergebens; die Wiesen besitzer im Haasethale klagen heute noch mehr als früher. Wohl Niemand weiß das besser, als der preußische Land- wirthschaftsminister, denn er ist im Kreise Bersen brück, den die Haase durchfließt, begütert und wurde Landrath dieses Kreises, als die Streitigkeiten der Wiesenbesitzer mit der Stabt Osnabrück im Gange waren und die Stadt zur Anlegung der Klärteiche nötbigten. Nun hat der Georgs-Marien-Bergwerks- und Hütten verein, um von den Wiesenbesitzern an der Haase Ruhe zu bekommen, sich entschlossen, einen Canal von 48 km Länge zu bauen, um die Grubeuwässer nicht mehr nach der Haase, sondern nach der Ems zu leiten. Dagegen aber pro- testiren, wie aus den Ausführungen des Äbg. v. Hagen hervorgeht, die Wiesenbesitzer an der Ems, so daß die Wiesen besitzer an der Haase in der Sorge schweben, es werde Alles beim Alten bleiben. Dieser Sorge gab, nachdem der Abg. v. Hagen gesprochen, der Abg. vr. Hahn Ausdruck und richtete an Herrn v. Hammerstein-Loxten die Frage, wie die preußische Regierung sich zu der fortgesetzten Schädigung der Anlieger der Haase durch die Abwässer des Piesbergs stelle. Zur Begründung dieser Anfrage führte er nach dem steno graphischen Sitzungsberichte aus: „Die Schädigungen der Wiesenbesitzer an der Haase dauern fort und rs ist noch nicht abzusehen, wann und wodurch wirklich Besserung geschaffen werden soll. E» ist das eine Angelegenheit, die nicht allein die Besitzer der Haascwiesen selbst angeht, sondern dir ganze Gegend in Mitleidenschaft zieht, weil der Betrieb der Landwirthschast dort mehr oder minder davon abhängig ist, daß man sich das nüthige Heu, Gras rc. von den Haasewiejen beschaffen kann; es ist das eine Angelegenheit, die weit über das Haase th al hinaus ihre Bedeutung hat. Ich würde deshalb dankbar sein, wenn die großen Besorgnisse der dortigen Landwirthe vielleicht durch eine Auskunft des Herrn Ministers zerstreut werden könnten." Und wie lautete die Antwort des Herrn v. Hammer stein-Loxten? Wörtlich folgendermaßen: „Meine Herren, ich kann zunächst mittheilen, daß der Umfang der Grubenwässer des Piesbergs auf etwa die Hälfte des früheren Umfanges zurückgegangen ist, weil in einzelnen Theilen des Bergwerkes ein so gewaltiger Wasserdurchbruch eintrat, daß man sich genöthigt gesehen hat, einzelne Stollen voll ständig zu vermauern. Also der Umfang der Grubenwässer, allerdings danebru auch die Production des Bergwerke-, ist nunmehr auf etwa die Hülste deS bisherigen Umfanges zurückgesührt. Seit Monaten und länger wird nun darüber verhandelt, in welcher Weise es möglich ist, das Grundwasser aus dem PieSberge nach der Enis thunlichst ohne landwirthschaftliche Schädigungen abzuführen, oder doch solche Schädigungen möglichst rinzuschränken. Diese Verhandlungen sind noch nicht zum Abschluß gelangt. Ich bin nicht in der Lage, über deren augenblickliche Lage dem Hohen Haufe Mit theilung zu machen." DaS war Alles. Gegen den Georg-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein die kränkende Vermutbung auszusprechen, dieser sei zwar „formell gewillt", die Sache zum Abschlüsse zu bringen, habe aber dazu nicht den „ernstlichen Willen", das kam dem Herrn Minister nickt in den Sinn. Mit vollem Rechte. Er kennt zwar die Schäden, welche Lie Pies- berger Grubenwässer im Haasethale anrichten, gründlich und aus eigener Erfahrung, aber er weiß auch, daß ernstlicher Wille und die Aufwendung erheb lichster Geldsummen dort nicht genügen, um dem schreienden Uebelstande abzuhelfen. Und da er daS weiß und von diesem Wissen bei seiner Ant wort auf die Klagen und Fragen der Abg. v. Hagen und vr. Hahn sich leiten ließ, warum hatte er un mittelbar vorher bei seiner Antwort auf die An frage des Abg. v. Mendel-Steinfels sich nicht eben falls von diesem Wissen leiten lassen? Verdient die Verwaltung der Stadt Leipzig weniger Vertrauen als di« Direk tion deS Georg-Marien-Bergwerks- und HüttenvereinS? Hat die Erstere jemals sich verdächtig gemacht, formelle Zusicher ungen zu geben, aber des ernstlichen Willens zur Erfüllung solcher Zusicherungen zu ermangeln? Wir glauben, die Ver waltung der Stadt Leipzig wird nicht umhin können, diese Frage an Herrn v. Hammerstein-Loxten oder an eine höhere Instanz zu richten. Der braunschweigische Landtag hat die kürzlich von uns gewürdigte Resolution, die von der Justizcommission ein gebracht worden war, erfreulicherweise einstimmig angenommen und damit unzweideutig bekundet, daß die braunschweigische Volksvertretung die welfische Agitation auch in der milderen Form, wie sie von den sogenannte» vaterländischen Ber einigungen betrieben wird, entschieden mißbilligt. Aus der langen Rede, die Staatsminister v. Otto bei dieser Gelegenheit hielt, verdienen zwei Stellen besonders hervorgehoben zu werden. Bekanntlich sind die Rückgabe des Welfenfouds und eine Begegnung Kaiser Wilhelm's H. mit dem Herzog von Cumber land in Wien als Anzeichen dafür gedeutet worden, daß Preußen die Ansprüche des Herzogs von Cumberland jetzt anders beurtheile, als früher. Dem gegenüber erklärte Staatsminister von Otto auf Grund eiugeholter In formationen (und zwar auf Grund von Informationen, die erst nach Einbringung der fraglichen Resolution der Justizcommission eingeholt worden sind), daß bei den maßgebenden Stellen in Preußen die Auffassung obwalte, es habe sich in den thatsächlichen Verhältnissen, welche die Thronfolge des Herzogs von Cumberland in Braunschweig unmöglich machen, nichts geändert. Wird diese Aufklärung in alle» national gesinnten Kreisen mit Genugthuung begrüßt werden, so ist eine zweite Stelle in der Rede des Staatsministers von Otto ebenfalls der Zu stimmung aller VaterlandSsrennde sicher. Wir meinen jene Worte, die der braunschweigische Minister an die Verlesung eines Paragraphen der braunschweigischen Verfassung an- knüpste: „Eine Treue gegen die Dynastie, die über alle anderen Rücksichten weggrbt, ist unmöglich." Diese Worte eines deutschen StaatSministrrs sollten vor Allen die bayerischen „Patrioten", die hessischen Rcchts- I parteiler und die politischen Komiker im Fürstenthum Reust ä. L. beherzigen. Sanitätsraths Türkin. Ls Eine Kleinstadt-Geschicht« von Klaus Rtttland. Nachdruck verboten. Dann erschien Frau Kaufmann Grotjohann, die neugierigste Dame auf zehn Meilen im Umkreise; dann Frau Drösel mit ihren beiden sehr erwachsenen Töchtern Ganning und Lening, zum Geschlecht der „Fetthammel" gehörig, der zur Ruhe gesetzten Gutsbesitzer, wie man sie in den kleinen mecklenburgischen Städt chen sehr zahlreich findet; dann die Frau Senator Jürgens, die immer irgend etwas übel nahm, und die schüchterne kleine Frau Steuercontroleurin, die stets überschrieen wurde, und sich gewöhnlich verschluckte, wenn sie auch einmal mit ihrer Meinung hervortreten wollte, — bald war die ganze „gute Stube" voll. „Na, Tanting", eröffnete nach einiger Zeit Frau Grot johann die Debatte der Tagesfrage—„haben Sie den SanitätS- rath schon nach seiner Rückkehr gesprochen?" Tanting schüttelte den Kopf. „Nein, aber gestern Nach mittag, al» ich durch die Rostocker Straße ging, sah ich sie am Fenster stehen." Tanting nahm gleich so ipso an, daß nicht dem Sanitätsrath, sondern seiner Nichte das Interesse galt. „Ist sie hübsch?" riefen alle unisono. Frau Bütermannen zuckte mitleidig die Achseln. „Na — wir haben hier hübschere!" (Mit einem Blick auf die stroh blonden Fräulein Dräsels) „Ihr Mann freilich" — zur Frau Senator Jürgen» gewandt — „der findet sie sehr apart." „Was? Hat er da» gestern Abend gesagt?" Tanting nickte triumphirend. Sie konnte di« Frau Senator nicht leiden, weil die einmal gesagt hatte, von Bütermann's Bier kriege man Kopfschmerzen. Nun hatte sie ihren Hieb weg! „Jawohl. Sr ist ihr begegnet, al» sie mit ihrem Onkel vom Bahnhof kam; ganz weg war er von ihr." „Und davon hat er mir kein Wort erzählt!" Frau Jürgens kniff die Lippen zusammen, und rothe Flecke traten auf ihre gelblichen Wangen. Die erste Feindin, welche Jndschi in ihrer neuen Heimath gewonnen hatte. „Sie soll ja einen ganz fremdländischen Namen haben, hat SanitätsrathS Täken meinem Mädchen erzählt", berichtete zag haft die kleine Steuercontroleurin; — „wie war'» doch gleich? Jnd-schi - „Da werden Sie sich wohl verhört haben, meine Liebe, so heißt kein Mensch!" opponirt« Frau Dräsel. „Utbrigen» — komisch finde ich's doch vom Sanitätsrath, die alte Borsteln wegzuschicken und so einem jungen Ding die Wirthschaft an zuvertrauen." „Und vollends so Einer, die nur türkisch spricht und im Harem gelebt hat, wo sie den ganzen Tag nichts thun wie singen und tanzen!" fiel die Frau Senator giftig ein. „Na, das wissen Sie doch nicht so genau, Verehrteste!" pro- testirte die Apothekerin. Aber Frau Jürgens lachte höhnisch auf. „So was kennt man doch!" „Als ob sie selbst unter den Muselmännern gelebt hätte!" flüsterte Frau Grotjohann ihrer Nachbarin Johanne Dräsel zu. „Nun, ich bin neugierig, wie sich die Sache macht. Aber jetzt, Kinnings, müssen wir gehen; 'S ist schon beinahe elf Uhr", mahnte Frau Dräsel ihre blonden Küken zum Aufbruch. Und der weibliche Frühschoppencongreß zerstreute sich. Der Sanitätsrath kam von einer Fahrt nach Hause. „Ist das Fräulein oben?" fragte er Fiken, die Diestmagd. Diese bejahte. „Eben ist der Tapezierer weg. Aber das wird schön da oben, allen» so fein — wie beim Herrn Graoofen!" Seit Fiken vor zwei Jahren einmal ihre Cousine besucht hatte, di« im gräflich Hahn'schen Haushalt zu Basodow Stubenmädchen war, seitdem wußte sie, was elegant war! Erwartungsvoll lächelnd stieg der Sanitätsrath die Trepp« hinauf. Es war doch ganz hübsch, jetzt immer etwas zu haben, woraus man sich freuen konnte, wenn man von den langen, eintönigen Landfayrten heimlehrte, so ein junges, heitere» Gesicht! Seit gestern war Jndschi damit beschäftigt, das Zimmer umzugestalten, welche» frllyer Frau Borstel bewohnt hatte und welches nun deS jungen Mädchens specielleS Wohnrimmer sein sollte. Gleich damals, nachdem ihre Mitreise beschlossen war, hatte Jndscht ihre Möbel und andere Habseligkeiten nach Deutschland abgeschickt; nun waren dieselben, da Onkel und Nichte sich unterwegs in Pest und Wien noch einige Zeit auf gehalten, fast mit ihnen zugleich «ingetroffen, und di« Jn- stallirung konnte beginnen. „Ei, dar wird ja etwas ganz Besonder«»!" rief der eintretende Onkel. Jndschi'S Willkommengruß klang nicht ganz deutlich, denn sie hatte Stecknadeln im Munde. Hoch oben aus einer Tritt- leiter stand sie, die Arme empor gestreckt, sodaß die weiten AerMel der feuerrothen NegligSrjacke zurückfielen, und steckte die Falten einer Draperie zurecht. Der kleinstädtische Tapezierer gehilfe hatte ihr nicht» nach Geschmack machen können. Diese dummen, regelrechten Falten. Körting blickte sich staunend um. Das Zimmer war ja kaum wiederzuerkennen! An den Fenstern hingen — statt der vorherigen blaugestärkten Weißen Tüllgardinen — sonderbare gelbe orientalische Stoffe mit grellbunten Kanten, vor den Thüren schwere arabische Caromani-PortiOren; an der Wand, wo früher das steife, braune Rips-Sopha mit dem Mahagoni tisch und den wulstigen Fauteuils sich breit gemacht hatte, stand jetzt Jndschi's Schreibtisch, sehr groß und stattlich für einen Damenschreibtisch (es war derjenige ihres Vaters gewesen); im Hintergründe waren ihre Lieblingsbücher aufgestellt. An der gegenüberliegenden Wand war ein merkwürdiges Möbel zu sehen. Jndschi's Bücherschrank, ein Riese, den sie sich nach ihrem eigenen Geschmack aus lauter alten, wurmstichigen, aber kunstvoll gear beiteten Feldern und Holztheilen hatte zutammensetzcn lassen, die zumeist Moscheen und alten türkischen Hausern entstammten; auch ein Stück Haremsfenster-Gitterwerk war dabei; das Ganze hatte eigentlich gar keinen Stil, sah aber doch geschmackvoll aus. In der Mitte des Zimmers stand eine Couchette, mit einem echten Cachemire-Shawl bedeckt; davor ein paar arabische Tabourets und ein schwarzes Tischchen mit einem sonderbar verschnörkelten, aus fratzenhaften Ungetbümen gebildeten Fuß; ein Freund hatte Jndschi daS curiose Ding einst aus China mitgebracht. Bor dem Fenster stand auf langen, dünnen Beinen ein Arbeitskorb, mit großen Mengen Wolle, Seide und Goldlitze angefüllt. Die meisten Gegenstände aber waren an den Wänden angebracht; da hingen Bilder, alte Waffen, Musikinstrumente, Fächer, Felle und Schmuckgegenstände; und den größten Raum nahmen einige Wandbekleidungen ein, wie sie der Sanitatsrath noch nie zu Gesicht bekommen hatte: seltsame, phantastische Gebilde, Blumen, Thiere, menschliche Wesen und Arabesken, halb gemalt, halb gestickt, auf grobkörniger gelbgrauer Leinwand. Aufmerksam musterte er die curiosen Dinger. „Gefallen Dir Meine Wandbekleidungen, Onkrlch«n?" rief Jndschi von ihrem erhabenen Standpunkt herab. „Nicht wahr, sie wirken nicht übel? Aber ich habe auch manchen langen Tag daran gear beitet!" ,,Wa»? Das hast Du selbst gemacht?" Sr traute seinen Ohren kaum. „Aber, Mädchen, da bist Du ja eine Künstlerin! Und dabet sagtest Du neulick, Du hättest gar keine Talent«, weder musikalisches noch Maltalent!" „Ist auch kein eigentliche« Maltalent", beharrte sie. „Irgend etwas corrert nach der Natur oder Vorlagen zu zeichnen, ist mir rein unmöglich. Da» hier ist nur so ein müßiges, un- nützeS Phantasiespiel, mir ganz allein zur Freude. So, nun fällt der Zipfel hübsch. Und jetzt will ich in die Küche. S, geht heute rasch. Wir haben Lntroootes und Maccaroni mit Tomatensauce." Und sie war zur Thür hinaus. „Wieder Tomaten!" seufzte der Sanitätsrath. Das war noch ein bedenklicher Punkt. Jndschi gab sich alle Mühe — aber sie kochte immer so seltsame Sachen, wie sie gewiß dort unten im Süden recht beliebt waren: Reis niln turoa, gebackene Fischt mit Pitanten Saucen, allerlei Misch-Gerichte von Fleisch und Gemüse, wunderliche süße Speisen — nichts Kräftig-Mecklenburgisches. Aber er wollte sie nicht kränken und schlang die verhaßten Maccaroni gutmüthig hinunter — freilich mit einem kleinen Seufzer. „Ach, Onkelchen", meinte Jndschi betroffen — sie beobachtete ihn scharf! — „ich glaube, das ist nicht Dein Geschmack —" „O — sic sind wirklich ganz gut —" Aber sie schüttelte den Kopf. „Wenn ich nur erst Mal ein paar Damen kennen lernte, die mir Rathschläge geben konnten —" „Da fallt mir ein", unterbrach er sie, „gestern begegnete mir die Majorin v. Borstewitz — ihr Mann ist pensionirter Officier — und bat mich, Dich recht bald zu ihr zu führen. Ist Dirs heute Nachmittag recht? Dann suchen wir gleich noch einige andere auf — vor Allen Justizrath Kretzmanns, sehr nette Leute; er ist in meinem Scatclub." „Bravo!" rief Jndscht, „stürzen wir uns in den Strudel der Klützowet Gesellschaft. Weiht Du, daß ich mich ordentlich darauf freue. Gewiß eine ganz neue Sorte Menschen für mich — einfache, harmlose Leute, nicht wahr?" „Hm — nun — so gan, harmlos?" entgegnete er zweifelnd. Und nach einer Weile setzte er warnend hinzu: „Gib' Nur Acht, sie haben doch ihre Mucken." Die Familie v. Borstewitz wohnte am alleräußersten Ende der Rostocker Straße, dicht am Bahnhofe, in einem ganz neuen Hause, wo es Noch ziemlich stark nach Kalk und Oelfarbe roch. Borstcwitzens zogen häufig um und stets in ganz neue Häuser, welche die engherzigen Kleinstädter auS Rheumatismusfurcht mieden und welche deshalb billig zu haben waren — eine Ge wohnheit, die Borstewitzen» den Spitznamen „Familie von Trockenwohner" eingetragen hatte. Dor sieben Jahren waren sie nach Klützow gezogen, erstens, weil in Mecklenburg die Steuern gering sind, und zweiten», weil Villen die umliegenden reichen Rittergüter ein« gute Schwiegersohnpersprctiv« für die beiden erwachsenen Töchter Lydia und Hedwig zu eröffnen schienen. Die letztere Rechnung hatte sich freilich als falsch erwiesen; man hatte zwar anfangs bei all diesen vornehmen Magnaten auf „ahn", „in" und „ow" Visitrn grmacht, war auch da und dort «ing«lad«n
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite