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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.04.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-04-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050414028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905041402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905041402
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1905
- Monat1905-04
- Tag1905-04-14
- Monat1905-04
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VrzagS-PrM in der Hsuvtexprditlon oder der« Ausgabe- strL« adgeholt: vtrrteljährUiy 3.—, bei zweimaliger täglicher 8«stelt»ag in« s)auS 3.7b. Durch dir Post bezöge» für Deutsch. land u. Oesterreich vierteljährlich 4.00, sür die übrigen Länder laut Zeitunq-preidliste. Liese Nummer kostet auf allen Bahnhöfen und III bei den Zeitungs-Berkäusern k * Reduktion und Gx-e-Moa: IbL Fernsprecher 222 JobauniSgasse 8. d*«Zt°FUt«lr LreSVea: Mariensrratz« 34 (Fernsprecher Lmt I Nr. 1713). Hau»t»KUt«le Verltn. TurlDuucker, Herzgl.BavrHofbuchba>thlg, Lüyowstrahe 10 (Ferulvrecher Amt VI Nr. 4SOS1 AD end -N ns q ave. U'l'ip.riirl'r Cagtlilatt Handelszeitung. Nmtsbtatt des Aönigl. Land- und des Königs. Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizeiarntes der Ltadl Leipzig. An zerqen-Preis die Kqespoltene Pctitzeile 25 Familien- und SteUen-Anzeisien 20 ^s. Finanzielle Anzeigen, Geschäft-anzeigen unter Text ober an besonderer Stelle nach Tarif. Die 4gespaltene Rellainezeile 70^. Annahme,chluj; sür Anzrigen: Abend-Ansgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen inur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Bereinbaruag. Dir Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet vem früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig lJnh. vr. B., R. L W. Klinkbardt). Herau-geber: Vr. Victor Klinkhardt. Nr. 1S1. Freitag den 14. April 1905. SS. Jahrgang. Var Aichligrte vom Lage. * Aus holländischer Quelle kommt die Nachricht, daß zwischen Deutschland und Holland Verhandlungen über die Abtretung der Insel Timor an Deutschland ge pflogen werden. An Stellen, die hiervon wissen müßten, ist nichts dergleichen bekannt. * Der Berliner Korrespondent des „Standard" meldet, die französische Regierung habe tatsächlich anderen Mächten, darunter Oesterreich, Italien, Spanien und den Vereinigten Staaten, mitgeteilt, daß DelcassS die deutsche Regierung vom Inhalt des englisch-französischen Ab kommens über Marokko vor der Unterzeichnung unterrichtete; doch sei leicht zu erweisen, daß die deutsche Regierung keine amtliche Kenntnis von dem englisch-französischen Abkommen gehabt habe. (S. den Sonderartikel.) * Die Berggesetzkommission des preußischen Abgeordnetenhauses beginnt am 5. Mai die Beratung des Zechenstill'egungs-GesetzeS. * Petersburger Meldungen der „Vossischen Zeitung" über einen angeblich im Sinne des Ministers des Innern ausaeardeiteten Wablgesetzentwurf, dessen Einzelheiten da» Wolfsbureau gemeldet batte, werde durch die Peters burger Telegraphenagentur amtlich al« apokryph erklärt. (S. den Sonderartikel.) * Nach einer Meldung aus Hongkong dampsten zwei japanische Kriegsschiffe am Dienstag an Cap Rock vorbei, nordwärts; sie zeigten keine Lichter. (S. russ.-jap. Krieg.) evamberlain dri cke» liberale» Unionirten. —o. London, 13. Avril. Soeben hatte der „Morning Leader" berichtet, daß Herr Josef Chamberlain bei einem Diner der Txrrifreformirga gestanden habe, er hege zwei «roße Hoff- nungen; er wolle das Alter von hundert Jahren erreicl>en und doch noch in den Besitz der Premiersmacht gelangen. Ob der Exkolonialsekretär nur scherzte, ob es ihin Ernst mit jenen Worten war, ist nicht zu entscheiden. Jeden- falls hat Chamberlain gestern einen doppelten Erfolg er- rungen. Er hat im Unterhause einem Abendmeetina des „manÄLewent committee" der Tarifreformer, unter Vorsitz des Lords Ridlen, beigewohnt, und zweifellos ist das Resultat der zweistündigen, nichtöffentlichen Be ratung ihm günstig gewesen. Er hat ferner in einer Rede beim Iahresmeeting des Liberal Union Club ge zeigt, wie sehr er, wahrend die Winston Churchill, Hugh Cecil, Lloyd-George, Asguith, Campbell - Bannerman. alltäglich das Hell des Löwen verteilen, feine aggressive Kraft beliauptet hat. Von allen Seiten fchallt ihm das Echo entgegen und von jeder Seite ist der Klang ein anderer. Die Opposition erklärt, Herr Chamberlain wolle den Vorschlag des Zolls aus Lebensmittel preis- geben, der beim Beginn der Tarifresormcampagne als das wichtigste Stück des imperialistischen Vorzugszoll- systems betrachtet wurde. Viele Liberale, die einen vlöv- lichen „eollapse" des Clzamberlainismus prophezeiten, verhehlen ihre Sorge nicht, und die Radikalen rechnen mit dem Anfang einer neuen Plxffe. Bei den Unionisten herrscht, soweit inan dem offiziellen Kommentar des „Standard" folgen darf, der Eindruck vor, daß der Er- kolonialfekretär eher etliche seiner Horderungen vertagen als die Zersplitterung der Partei erlauben wird. Selbst bei denen, die das Mitglied für West - Birmingham nicht von Auge zu Auge gesehen haben, ist eine Reaktion zu seinen Gunsten eingetreten, und es werden schon „aufzeramtliche" Erwägungen bemerkbar, wie weit die Freihändler in der Annahme dessen geben können, was, wie es scheint ein „Veriöhnungsprogramm" ist. Daß die unionistische Partei gefestigt ist und die beute tagende Generalversammlung der Tarisliga nur vollenden wird, was Ctxrmberlain im Liberal Union Club und im „mtilmtrelueur eoiulinttoe" ausgenommen hat, kiürdigl auch die „Exchange Telegraph Company" als nahezu sicher an. Als oratorische Leistung gehört die neueste Prokla- mc'.on dem GesamttypnS der Reden des Burer,krieg- Ministers an, sie ist reich an Tatsachen, rücksichtslos und wiederholt init eiserner Ausdauer ihre Motive. Chamber- lain komplimentierte zuerst den Lord Lansdowne. der fehlte, und seine Verivaltung, zu der alle liberalen Unionisten das größte Vertrauen hätten. In Leicester hatte der Tarifreformer vor ein paar Jahren ein deutsch, englisches Bündnis empfohlen, isvt nannte er das Ab kommen „mit unserm großen Nachbar, den Franzosen", eine der bedeutendsten diplomatisäzen Taten, die seit 20 bis 25 Jahren vollbracht worden seien. Die Zeit, m der Differenzen zwischen den beiden Nationen bestanden, die Situation des Jahres 1895, als Herr Chamberlain ins Amt kani und Aegypten. Siam, Newfoundland, Afrika Konflikte schufen, ist nach dem Manne, der gestern deni Lord Salisbury und Delcafl^ huldigte, end- gültig vorüber. Nur Interessengemeinictiaft soll in Zu- kunft gelten. Herner erörterte der Redner die eng- l i s ch - j a p>a n i s ch e Allianz, deren Ausdehnung zu einem Bund gegenseitiger Verteidigung er verlangte, und deren Urheber er wegen seiner Voraussicht und seines Mutes unter lebhaftem Applaus belobte. Es berührt eigentümlich, zu lesen, wie klar und fest der aus der konservativen Regierung geschiedene Politiker die Losung vorschreibt, indessen der faktische Ministerpräsident als untätiger Skeptiker verschrien ist. „Es gibt", so be merkte Herr Chamberlain, „stets viele Staatsmänner, die, um das gelindeste Risiko zu vermeiden, eine Politik des lasser t'aire verfolgen, die jedoch weit be drohlicher ist." Der Redner des Westminster - Palast- Hotels legte sich und den Lord Lansdowne auf einen ostasiatischen Hriedensstatus fest, der dem japanischen Verbündeten das Recht an seinen neuen Eroberungen garantiert. Im zweiten Teile seiner Rede bemächtigte Chamber lain sich seines Lieblingsthemas von der „imperialen Einheit", die er mit dem suggestiven Schlagwort vom „Schutz des vereinigten Königreiches vor dem Zerfall" der Versammlung zu Tank übersetzte. Deshalb sei Home Rule ein Haktor der „Desintegration" und eine schlimme Gefahr.. Am gleiclmi Tage, da Balfour im Parlament mit der „Zweideutigkeit" Campbell-Bannermans und dem Nationalismus der irischen Ultras kämpfte, benutzte Chamberlain die akademische Irländerfreundschaft des .Heazogs von Devonshire, um die konservativen Dissidenten und den unionistischen Hreihattdelsklub in den Hintergrund zu drängen, Er spottete über die „hybride Organisation", welcher ja auch der Chamber lain verhaßte Mr. Thomas Gibson Bowles nahe steht, er spottete über „unsere Hreunde", die sich gern den sympa thischen Clxwakter von „Verfolgten" beilegen möcknen: in Wahrheit könne man den freiwilligen Austritt der vier Kabinettsminister aus der konservativen Regierung nicht als eine „Verjagung" bezeichnen. In langem Erkurs skizzierte Chamberlain die Geschichte der konservativen Partei, nm seine veränderte Dentung der Unter'cknede zwischen Nabrnngszoll und Vorzugszoll anzubringen. Er berief sich auf das Oberbaus, das soeben die Reso lution des konservativen Freihändlers Lord Balsour of Bnrleiqb abgelebnt bat, nnd stimmte dem Herzog von Marlbouronqh bei, der allerdings die Idee eines Schutzzoll les auf Lebensmittel verschmäht /»ibe; was hier im Namen des Ministeriums erklärt worden ist, das gilt nach dem Chamberlain des Westminster - Hotels auch für die Tarifresormpartei und für seine eigene Person. Er nannte sich bereit, sich mit dem Herzog txm Devonshire über das Prinzip der indirekten Steuer und die Möglichkeiten, die auch sein Gegner gestattet, zu unterhalten: dann ironisierte er wieder die „Hybriden", ihre Grldbülfen an sreihändlerisciu: Kandidaten und ihre Komiteeagitation. Herr Chamberlain, der ßollreformer, schmeichelte den liberalen Unionisten, die dem Prinzip der englischen Demokratie getreu seien, die übrigen Ver eine sind nach ihm Clignen und Coberien. ivelche dre „Geisler aus der ungelfeuren Tiefe" anrusen ohne daß sie kommen. Tie antiministeriellen Ergebnisse der Nach wahlen haben für Clxunberlain uictffS Schreckliches; denn die gefährliche Stimmung war vor der Tarifreform schon im Lande, und wenn auch einige Mann über Bord sind, so erhofft der Erkolonialsekrerär ein desto stärkeres Beharren derer, die bleiben. „Dime, swutlemen. «ükb us, null not vvltb our oppom-uh«", hat Chamberlain gestern dem Meeting znrückgernfen; er ist sich gewiß, daß die nächsten General ivahlen von Problemen beherrscht sein werden, die dein Chamberlainismus Liebesdienste tun. Das eine Problem ist das der Arbeitslosen, das andere Agens ist der Gegen satz zu T e n t s ch l a n d, dessen Handelsverträge, wie Chamberlain dargelvgt l>at, durchgängig ohne Be ziehung auf Großbritannien abgeschlossen worden sind. Er wisse nicht, sagte der Erkolonialsekretär. ob das Aus- würtige Amt einen Protest gelvagt habe, aber dies wisse er, daß ein positiver Erfolg mangeln werde, so lange Großbritannien keine Waffen liabe, um diese Angriffe aus den britischen -Handel abzuschlagen. Tie Meistbe günstigungsklausel. die wohl auf England werde ange wandt werden, betreffe nur Artikel, die Großbritannien nicht produziere oder die ihm gleichgültig seien. Das letzte Argument Chamberlains sind wiederum die .Kolonien: von Tag zu Taa wird ihm dieses Problem dringlicher, und am dringlichsten ist ihm die Frage >bana- das und dessen Annäherung an die Vereinigten Staaten. Der „Daily Chro-nicle" urteilt, daß der Riß im Regie rungslager durch die Proklamation im Westminster- Palasthotel „überklebt" sei; das ist mehr, als die Opposition vor Chamberlains Rede einaeräumt hätten, imd wäre etwas Außerordentliches, selbst wenn von der Tarifreform nur Retorsionszölle verwirklicht würden. Vie Marokkokrage. Da» Nachspiel. Die „Agence HavaS" bat ein Dementi versandt, das kein Dementi ist; eS erklärt, die Zirkulardrprscke sei nicht an die Mächte, sondern an die französischen Botschafter gegangen, bestätigt also die Wiener Meldung. Unser Wiener Vertreter telegraphiert uns heute: * Wien, 14. April. Die Meldung der „Agence HavaS" bestätigt, daß Informationen an die Botschafter Frankreichs im Auslande gelangten, eben die vielbe sprochene Zirkulardepesche, von der ich ihnen die erste Nachricht gab. Von einer Note an die Mächte war nie die Rede. Die Meldung der „Agence HavaS" wird in hiesigen diplomatischen Kreisen als wei terer Rückzug Delcasse« beurteilt. Auch die „Neue Freie Presse" meldet, daß der franrösisihe Botschafter am Wiener Hofe, Marquis de Reverses»r vor einigen Tagen beim Auswärtigen Amt die Mit teilung vom Abschluß des UebereinkommenS zwischen Frank- reich und England betreffs Marokko gemacht hat. Ferner depeschiert der offiziös bediente Berliner Korrespondent des „»Standard": Es bestätigt sich, daß die französische Regierung dritten Mäckten eine Mitteilung über die schwebenden Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland betreffs der marolkanischen Frage hat zukommen lassen. Die französischen Botschafter in den betreffenden Haupt städten haben eine mündliche Mitteilung gemacht, daß die französische Regierung den Inhalt de« englisch-französischen Abkommen« betreff« Marokko vor dessen Abschluß der deutschen Regierung dekanntgab. Unter den Mächten, welche diese französische Mitteilung erhalten haben, befinden sich Oesterreich-Ungarn, Italien, Spanien und die Vereinigten Staaten von Amerika. Der Marokko - Handel ist dadurch in eine neue Phase eingetreten. Es ist klar, daß die sranzö- fische Regierung durch obige Behauptung der deutschen Regierung de» Vorwurf macht, in bezug aus Marokko ein unfeines Spiel getrieben zu haben. Durch ihre normalen diplomatischen Beziehungen zu den betreffenden Ländern wird die deutsche Regierung baldigst amtliche Cennlnis des Schrittes, welchen Frankreich unternommen hat, erhalten. Danach wird die deutsche Regierung ren betreffenden Mächten den deutschen Standpunkt auseinaudersetzen. Es wird betont, daß alle Versuche der französischen Regierung, daS Borgeben der deutschen Regie rung in dieser Angelegenheit als unfein oder illoyal hinzu stellen, nicht die geringste Aussicht auf Erfolg haben. Der Beweis ist leicht zu liefern, daß die deutsche Regierung keine amtliche Mitteilung von Frankreich über den Inhalt des marokkanischen Abkommens erhielt, und daß infolgedessen die deutsche Regierung keine amtliche Kenntnis des Abkommens hat. Von der halbamtlichen deutschen Presse hat, nach dem „Lokalanzeiger", der first cluss ist, auch die „Köln. Zeitung" da« Wort ergriffen. Zuerst vermutete sie einen „schwer er klärlichen Irrtum", dann schrieb sie: Die Wiener Meldung über ein Rundschreiben Delcassvö hat noch keine amtliche Bestätigung er fahren, und aus den ersten Blick möchte man sie kaum für zutreffend halten, da sie gegen alles verstößt, was bisher von deutscher Seite erklärt worden ist und, wie wir be tonen, nach wie vor ni i t d e m g r ö ß t e n N a ch d r u ck aufrechterhalten wird. Wir haben schon die Gründe dargelegt, die eS unmögli ch machen, die von den fran zösischen Diplomaten abgegebenen beiläufigen Erklärungen als eine amtliche Mitteilung des Vertrages aufzufasien und brauchen aus diese Seite der Sache nicht mehr »urückzukommen. Wenn man annimmt — nnd trotz aller Bedenken sprechen gewisse Gründe dafür — daß der Inhalt der Delcassüschen Note in seinen wesentlichen Punkten richtig wiedergegeben ist, kann man nicht sagen, daß sie die Beilegung der bestehenden Schwierigkeiten fördert. In den politischen Angelegenheiten geht es nicht ander« zu wie im Privatleben; Reibungen zwischen sozial gleichstehenden Leuten werden dadurch nicht aus der Welt geschafft, daß man die Bedeutung ihres Ursprunges bespricht, sondern sie haben ihre Bedeutung als solche; wenn der eine die Rechte de« andern mißachtet oder übersieht, kann und wird dieser sich das nicht bieten lassen, nicht nur wegen der materiellen Schädigung, sondern auch, weil er sonst Gefahr läuft, bei künftigen Gelegenheiten mit der Wiederholung desselben Spieles rechnen zu niüssen. Wir brauchen kaum zu sagen, daß eine solche Lage nicht verbessert werden würde, wenn der Teil, der die Beschwerden hervorgerufen hat, kurzweg erklären würde, daß er alle diejenigen Handlungen vorgenommen habe, durch deren Unterlastung sich der andere Teil verletzt und geschädigt fühlt. Im übrigen wird man die Ver öffentlichung der Note abwarten niüssen und ihr mit um so größerer Spannung entgegenseben, als der bisher gegebene Auszug mit dem wirklichen Hergang in schroffem Widerspruch steht. Die Mission Lattenbach. DerBerlinerVcrtreter des „Standard" meldet, die deutsche Mission nach Fez könne erst Anfang Mai von Tanger abgehen, da die Vorbereilungen nicht früher beendet sein würden. Die Ankunft in Fez werde Mitte Mai erfolgen. — Aue Paris wird dem „L.-A." depeschiert: Mit der bevorstehenden Reise des Grafen Tattenbach nach Fez findet man sich in französischen RegiernngSkreisen mit folgendem Räson nemeni ab: Die für Frankreich augenblicklich wich tigste Maßnabme, nämlich die beabsichtigte Verstärkung der französischen Militärmission und Errichtung marokkanischer Must-'rkompagnieil mit Hülfe al gerischer Unteroffiziere und Soldaten, wird Deutschland kaum zu verzögern willens sein, weil nach dieser Richtung schon bestimmte Zusage» de« Sultans vorliegen. Es bleibt also die wirtschaftliche Frage. Sollte Tattenbach« Auftrag lediglich" darauf abzielen, Deutschland gewisse öffentliche Arbeiten zu sichern in Gegenden, wo deutsche Unternehmer seit Jahren festen Fuß gefaßt Feuilleton. Möblierte Jimmer. Roman von Rudolf Hirschberg.Jura. NaibdruU v«rS»l«n. Fast ausnahmslos saßen da immer ein Männlein und ein Fräulein beieinander, die einen in eifriger Unteri-altung begriffen, die anderen von beklommenem Schweigen befangen. Hier und da faßten sich auch zwei bei den Fingerspitzen und blickten sich lächelnd an, und die selige Verlegenheit dieser meist erst angehenden Liebespaare war von der gewohnheitsmäßigen Routine erfahrener und erprobter Liebeskenner genau fo weit entfernt, wie das tastende und zaghafte Vergnügen eines Tanzstundenballes von dem zügellosen Taumel eines öffentlichen Maskenballes. Hinter den Parkettlogen saßen einige Reihen von Damen, die dem Alter der ersten Liebe bereits ent- nachsrn waren. Sie ließen ihre Augen wohlgefällig, auch wohl einnial mit strenger Kritik über das Zwitschern und Flattern in den kleinen Liebesnestern schweifen, ähn- sich den Müttern und Lauten bei einem Lämmerhüpfen. Von jenen Damen in übereleganten Toiletten und mit farbenprächtigen Gesichtern, die sich in manchen öffent lichen Lokalen bemerkbar machen, schien hier nicht eine zu finden zu sein Auch unter den Pärck»en selbst war nirgends da« Mißverhältnis eines bescheidenen jungen Mädchens und eines alten, vornehmen Herrn zu sehen. Tie Mädchen mochten wohl alle Verkäuferinnen, Modistinnen, einige vielleicht auch Haustöchter nicht allzu strenger Eltern sein. Sie waren hübsch an- gezogen, einige sogar sehr geschmackvoll, und keine auf- füllig, und nur von ihren, meist recht jugendlichen, Ver- ehrern trug hier und da einer eine etwas ungeschickte Sonntagseleganz zur Schau. Vor den Sitzen jeder Loge war an der vorderen hölzernen Scheidewand ein schmales Brett für Er frischungen befestigt, und da auf jedem ein schmales, kleines Tischtuch in Form und Art eines Handtuches aufgezweckt war, so machte das einen viel sauberern und einladenderen Eindruck, als er derartigen Vor richtungen sonst eigen zu sein pflegt. Teurere Getränke als Bier und Limonade sah inan nirgends stehen. Ter in der anderen Hälfte von Ewalds und Klaras Loge sitzende junge Kavalier freilich, der seinen sorg fältigen Sclzeitel bis auf die Halswirbel durck)gezogen trug, weltmännisch mit seinem Kneifer spielte und sich auch durch nachlässiges und vernehmliches Duzen seiner niedlickien Freundin das Ansehen eines Lebemannes zu gebcn versuchte, dieser junge Kavalier spottete weidlich über die Limonade seiner Dame und bel)auptete, um diesen Anblick ertragen zu können, müsse er nach jedem Akte einen Cognac trinken. Seine niedliche, limonadetrinkende Begleiterin zeigte jedoch kein Verständnis für diese angeblichen Bedürfnisse seiner Herrennatur und riet ihm, das Geld für dm albernen Cognac lieber zu sparen, um endlich die dreißig Mark bezahlen zu können, die er auf seinen Sommer anzug noch schuldig sei. Auch Klara lehnte Ewalds Anerbieten eines Glases Pilsener ab und erbat sich eine Flasche Selters. „Das Bier macht einen nur immer durstiger nach mehrl" „Das ist ja gerade das Schöne am Bier. Gerade so soll es übrigens auch mit -em Küssen sein." „Das hab' ich auch schon sagen hören. D'rum denke ich, man falls gar nicht anfangen, weil inan sich's zu leicht angewöhnen und dann nicht mehr lassen kann. Gerade wie die Trinker." „Nein, viel schlimmer, wie die Trinker. Denn die Trunksucht ist heilbar Was aber die Lust zum Küssen betrifft, die ist bei mir schon unheilbar und für immer angewöhnt gewesen seit dem Lage, wo Sie mich abends m Herrn Opitz's Zimmer führten und dann mit dem Kartofselkorb aus dem Keller kamen." Sie gebot ihm mit einem ungeduldigen und un- willigen Blick Schweigen. Denn der Vorhang war emporgegangen, und das Spiel hatte begonnen. Die Unterbrechung war auch ihm selbst willkommen. Er fühlte, daß er mit dieser witzelnden Konversation einen falschen Ton angeschlagen hatte. So machte inan etwa einer Kellnerin den Hof. Aber es war nicht die Art, mit diesem einfachen, fröhlichen Naturkind zu plaudern. Er wunderte sich über sein Ungeschick, und von neuem begann so etwas wie ein Schuldbewußtsem in seinem Gewissen aufzutauchen. Klara gab sich den Vorgängen auf der Bühne mit hingebender Aufmerksamkeit gefangen. Auch die Schau spieler waren mit Lust und Liebe bei ihrer Sache, waren gut zusammen eingespielt und hielten ein flottes Tempo. Eivalds teils verwöhnter, teils blasierter Theater geschmack aber wurde durch die alte, abgeschmackte Posse nicht mehr gereizt. Er hotte seine Freude nur an der Beobachtung, welche Wirkung diese nach besten Kräften gebotene Theaterkunst noch aus Klara ausübte, und das Vergnügen, das von Klaras erregtem Antlitz strahlte, beglückte auch ihn. In den Pausen hörte er läckyllnd ihre naiv-ver- ständigen Bemerkungen mit an. und daß er während des Spielens seine Augen nie aus die Bühne, sondern immer nur auf ihr feines, liebreizendes Profil gerichtet hielt, entdeckte sie gar nicht. Während des letzten Aktes konnte er der Versuchung nich^ widerstehen, ihr das Taschentuch aus dem kleinen Täschchen der Jacke zu nehmen und verstohlen an seine Lippen zu drücken. Es duftete nach Flieder. Endlich fiel der Vorhang zum letzten Male. ES schien ihm unmöglich, daß die freudige Erregung, die aus ihren Augen und von ihren Wangen leuchtete, nur auf Rechnung des ärinlick>en Kunstgenusses zu setzen sei. Nein, hier brannte dieselbe Flamme, wie in ihm. „Wollen Sie mir nicht Ihren Arm geben?" sagte er auf der Straße. Schweigend willfahrte sie ihm, und ihm war, als schmiege sie sich ganz schüchtern an ihn an.
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