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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020418027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902041802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902041802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-04
- Tag1902-04-18
- Monat1902-04
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Abend-Ausgabe Nr. 1S5. Freitag den 18. April 1902. Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 33VS. Redaktion und Expedition: JohanntSgaffe 8. Fernsprecher 153 und SSL. Fittalrrpeditiorrrrr r Alfred Hahn, Buchhandlg., UuiverMr-str.S, 8. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. Haupt-Filiale vrrsdeu: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1718, riWM.TWMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ruthes und Volizei-Amtes der Ltudt Leipzig. Bezug-, Prei- X l» der -auptexpedttio» oder den im GtadM bezirk und den Vororten errichteten Aus- gabestellen abgeholt: vierteljährlich ^l 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung in- Hau- 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich 6, für die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Anzeigen »Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach» richten (6 gespalten) 50 H. 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Die Boeren beruhigten sich hierbei «nd die Berathung begann. Es scheint jetzt, datz es sich hierbei niemals um die Besprechung von Be dingungen der Boeren als Grundlage der Verhandlungen handelte; thatsLchlich unterbreiteten die Boereu keine sormelleu Vorschläge irgend welcherArt. Das englische Cabinet ist von dem Gesichts punkte ansgegangen, datz weder ein Vertrag, «och ei« Ab kommen, noch auch eine Regelung in Betracht kommen, sondern datz es sich nnr nm Bedingungen handeln könne, diedcrSiegerdemgefchlagenenFeinde stellt, derfichnnterwirst. Die Boeren bestanden lebhaft auf Amnestie, Zurückziehung -er Berbannungs- proclamation, die baldige Herstellung einer verantwort lichen Regierung «nd einen Antheil der Boeren an dem ansführenden Rathe, der auf die Militärverwaltung folgen soll. Die englischeRegierunglehnteam Mitt woch ab.ihre Bedingungen in irgend wel cher Weise abzuändern ; diese Antwort wnrde de« Boeren am Donnerstag notisicirt, doch versprach ihnen Milner, -aß sie einen oder zwei Sitze in dem ansführenden Rathe haben sollen. — Das Blatt glaubt zu wißen, daß die Boeren dem Wesen nach die eng lischen Bedingungen annehme«. Es sind nur noch einige Einzelheiten ohne Bedeutung z« regeln, bisher haben die Vertreter der Boereu vollkommen unabhängig von den Ab gesandte« -er Boeren in Holland gehandelt. „Daily Telegraph" kommt auf die A m n e st t e f r a g e zurück und zieht eine scharfe Scheidelinie zwischen den Eolonisten, die bei Ausbruch des Krieges gleich zu den Boeren übergegangcn sind, und den etwa 15 MO später» Aufständischen, die erst zum Kriege gehetzt, dann den Boeren stillen Vorschub geleistet und später, als sic sicher zu sein glaubten, sich dem Feinde angeschlosscn und die Bahn linien in den Colonien verwüstet hätten. Letztere dürften unter keinen Umständen Amnestie erhalten, wäh rend die erster» ohne Schwierigkeit begnadigt werden könnten. Im Weitern bemerkt der „Telegraph", wenn eng lische Boerenfreunde glaubten, die Boerenfllhrer würden aus der Amnestirung zahlreicher Mitkämpfer der letzter« Art eine unumstößliche Bedingung für ihre Uebergabe machen, seien sie in schwerem Jrrthum befangen. Der „Exchange Telegraph Company" zufolge ist Befehl ertheilt worden, die Telegraphenverbindung zwischen London und Pretoria offen zu halten, so daß Telegramme von Kitchener ohne die geringste Ver zögerung eintreffen können. Delarey. Es ist bekannt, in welch rttterlichcrWcise DelareyMethucn gegenüber handelte. Jetzt wird -er Wortlaut des Tele gramms bekannt, welches Delarey an Lady Methuen und Kitchener seinerzeit sandte. Es lautet nach einer -er „Tgl. Rdsch.,, -»gehenden Mittheilung ipie folgt: „Ihr Gemahl ist augenblicklich außer Gefahr. Er empfängt alle Pflege, die wir ihm angedeihen lassen können. Wir Boeren sind der Kriegsgebräuche nicht unkundig und wir wissen, wie ein tapferer Feind zu behandeln i st." — Ob die Engländer den Hieb ver standen haben? politische Tagesschau. * Leipzig, 18. April. In der Berathung der Seemannsordnung hat gestern der Reichstag einen erheblichen Schritt vorwärts gethan; er erledigte die Bestimmungen über das CoalitionSrecht der Seeleute, ferner die gejammten DiSciplinarvorschriften und alsdann noch einen erheblichen Theil der Strafvorschriften, so daß die Berathung bis zum ß 99 einschließlich vorrückte. Eine längere und ebenso lebhafte wie allgemein interessirende Debatte entspann sich allein über die ersterwähnten, daS CoalitionSrecht betreffenden Vorschriften der 88 78a und 78d. Die ursprüngliche Vorlage batte über diese Materie überhaupt nichts enthalten. Erst die Commission hatte, wenn auch nichts weniger als einstimmig, so doch mit großer Majorität, dem Coalitionsbedürfniß der Seeleute da hin entgegenkommen zu sollen geglaubt, daß sie ihnen für die Zeit ihres Aufenthalts „an Land", jedoch „innerhalb des Reichsgebiets", genau dieselben Rechte einräumte, wie sie den gewerblichen Arbeitern durch 8 152 der Reichs-Gewerbe- Ordnung zusteben. Danach sollten also die Schiffsleute, sofern das Schiff in einem deutschen—Hasen liegt, sich „an Land" für LohnverbefserungS-Zwecke u. dergl. ver sammeln, vereinigen, organisiren dürfen. Andererseits sollte auch ihnen gegenüber derselbe Schutz gegen „Mißbrauch" des Coalitionsrechts Platz greifen, wie er in 8 153 der Reichs-Gewerbeordnung hinsichtlich der gewerblichen Arbeiter festgelegt ist. Die Commission batte dann noch der Eigenart des seemännischen Berufs in der Weise Rechnung getragen, daß sie in dem § 78b sestsetzte, es dürfe den Seeleuten nickt etwa ein Urlaub, an Land zu gehen, lediglich wegen ihrer seits beabsichtigter Theilnabme an Lohn-Versammlungen oder -Verabredungen oder -Vereinigungen versagt werden. Der äußersten Linken waren diese Commissionsbeschlüsse gestern noch nicht genügend. Von socialcemokratischer Seile wurde namentlich die Unterstellung der Seeleute unter den 8 153 bemängelt und deshalb eine das Versammlungs- und Vereinigungsrecht der Schifföleute an Land schärfer zum Ausdruck bringende Fassung des tz 78a beantragt. Auch die Freisinnigen sprachen hierzu ihre grundsätzliche Zustimmung auS, beschränkten sich aber in einem Eventual antrage darauf, einfach in dem 8 78a der Commissions fassung die Streichung der Bezugnahme auf den 8 153 der Gewerbeordnung zu verlangen. Von socialdemokra tischer Seite wurde ferner eine Aenderung des 8 ?8d der Commission dahin gefordert, daß den Schiffsleuten auch in außerdeutschen Häfen der Urlaub, an Land zu gehen, nicht verweigert, ihnen also gestattet sein solle, auch im Aus lande sich zu Coalitionszwecken zusammeuzuthun. Hiergegen erhoben begreiflicherweise alle anderen Parteien ohne Aus nahme Widerspruch. Grundsätzlichen Einspruch gegen die Gewährung des Coalitionsrechts an die Schiffsleute erhoben nur die beiden conservativen Parteien. Nach einer sehr aus gedehnten Debatte wurde ein völlig negativer Beschluß gefaßt und die beiden Paragraphen 78 a und 78 b völlig abgelehnt. Erst fielen .die socialdemokratischen Anträge, sodann wurde zwar der freisinnige Antrag zum 8 ?8a — auf Streichung der Bezugnahme auf 8 153 der Gewerbeordnung — ange nommen, schließllich aber der so abgeänderte 8 "8a von einer Mehrheit, zu der auch die Socialdemokraten gehörten, ab gelehnt, weil diesen nun anscheinend an dem Paragraphen nichts mehr gelegen war. Es ist indessen mehr als wahr scheinlich, daß das nicht das letzte Wort der Socialdemokraten in dieser Frage ist. Bei der dritten Lesung werden sie wohl froh sein, wenn sie das CoalitionSrecht für die Schifssleute wenigstens in der Fassung, in der sie es schon gestern nach Annahme des freisinnigen Antrages hätten haben können, er langen. Bei den DiSciplinar- und den Strafvorschriften wurden die in großer Anzahl gestellten socialdemokratischen Anträge sämmtlich abgelehnt. Wie vorauSzusehen war, hat die hochofficiöse Meldung der „Nordd. Allgem. Ztg.", sie sei der von Wiesbaden und Frankfnrt aus verbreiteten Behauptung gegenüber, der Kaiser habe nach Erledigung des Floltengesetzes dem Abg. Or. Lieber ein höheres Reichs am t oder ein Oberpräsidium angeboten, zu der Erklärung ermächtigt, daß „ein derartiges Angebot niemals erfolgt" sei, nickt genügt, die Gerüchte über eine an den verstorbenen Centrumsführer herangetretene „Ver suchung" zum Verstummen ru bringen. Seltsamer Weise finden aber diejenigen klerikalen Blätter, denen daran liegt, Herrn Or. Lieber im Lickte des standhaften Prinzen erscheinen zu lasten, die ossiciöse Kundgebung nicht deshalb lückenhaft, weil sie nichts von einem Ministerposten sagt, sondern deshalb, weil sie nur vom Kaiser spricht und nicht auck von irgend einem Staatsmanne, der als Versucher an Herrn vr. Lieber herangetreten sein könnte. So schreibt die klerikale „Pfälz. Rundschau": „Das Dementi der „Nordd. Allg. Ztg." richtet sich, wie wir be stimmt wissen, nur gegen die Behauptung, daß das bewußte An gebot an Lieber vom Kaiser ausgegangen sei; daß man über haupt mit einem solchen Vorschlag an Lieber heran getreten ist, steht zweifellos fest. Die Sache scheint somit an Miquel event. Tirpitz hängen zu bleiben." Und die „Köln. VolkSztg." sagt: „Bezieht sich diese Erklärung der „Nordd. Allgem. Ztg." nur auf die Nachricht, daß vom Kaiser ein solches Angebot gemacht worden sei, oder soll bestritten werden, daß überhaupt ein An gebot erfolgt sei? Daß vr. Lieber seinen Freunden von einem solchen Angebot Mittheilungen gemacht hat, steht fest. Daß er sich in einem Jrr thum befunden habe, muß als ausge schlossen betrachtet werden. Neulich hat ein Berliner Blatt behauptet, von dem Fürsten Hohenlohe sei das Angebot nicht gemacht worden. Nach der „Nordd. Allg. Ztg." soll es auch der Kaiser nicht gemacht haben. Die Sache bedarf also einst weilen weiterer Aufklärung." Beide Blätter stimmen also in der Behauptung, daß Herr vr. Lieber trotz der hochofficiösen Versicherung versucht worden sei, und in dem Trachten überein, einen hohen Staatsmann als Versucher erscheinen zu lassen. Dazu gehört allerdings ein seltenes Maß von Urtheilslosigkeit. Den deutschen oder preußischen Staatsmann möchten wir kennen lernen, der sich unterfinge, ohne ganz direkten Auftrag Kaiser Wilbelm'S II. hohe Reichs- und Staatsämter auSzubieten! Einen solchen Staatsmann wird es nicht geben und hat es nie gegeben. Hat es doch seiner Zeit Fürst Bismarck büßen müssen, daß er ohne besondere Ermächtigung mit dem Vorgänger des Herrn vr. Lieber, eine einfache politische Unterredung hatte. Und da sollte Vr.v. Miquel oder Herr v. Tirpitz sich unterfangen haben, Herrn vr. Lieber hohe Reichs- und Staatsämter zur gefälligen Auswahl auf dem Präscntirbrette darzubieten? Der Gedanke ist so grotesk, daß man kaum begreift, wie er überhaupt ausgesprochen werden konnte. Was besonders Herrn vr. v. Miquel betrifft, so erinnern sich jedenfalls die „Pfälz. Rundsch." und die „Köln. VolkSztg." noch genau, daß ihn vr. Lieber mit grimmigem Hasse verfolgte und am 24. September 1899 in Mainz keinen Anderen als den damaligen preußischen Finanzminister meinte, als er sagte: „Ich kann nicht Alles sagen, was ich weiß, ich kann aber wohl sagen, daß es einen einflußreichen Herrn im preußischen Staalsministerium giebt, der nichts sehnlicher wünscht, als das Centrum aus seiner einflußreichen Stellung zu verdrängen." Und derselbe Miquel sollte jemals einen Versuch gemacht haben, dem Führer dieses CentrumS und somit dem Centrum selbst noch größeren Ein fluß zu sichern? Wenn Miquel jemals mit der Suppe des Herrn vr. Lieber etwas zu schaffen gehabt hat, so hat er diese jedenfalls versalzen. Die Hintermänner der „Nordd. Allg. Ztg." werden daher gut daran thun, daS geradezu alberne Gerede von Staatsmännern, die Herrn vr. Lieber in Ver suchung geführt, mit schweigender Mißachtung zu strafen und sich mit einer Ergänzung ihrer früheren Kundgebung dahin zu begnügen, daß der Kaiser Herrn vr. Lieber auch keinen Ministerposten angetragen habe. Die Proclamation der belgische« Arbeiterpartei lautet: „Man massacrirt in Brüssel! Man massacrirt in der Provinz! Die Negierung ist ohnmächtig, die Bewegung für das allgemeine Wahlrecht aufzuhalten. Sie versucht, sie durch Schrecken zu unterdrücken; sie im Blute zu er sticken. Kameraden! Arbeiter! Fallt nicht in die Falle, die die Reaction Euch gestellt. Gebt unseren Feinden nicht den Anlaß, den sie suchen, zu einer blutigen Unter drückung. Wir verlangen dringend, mehr denn jemals, kaltblütig und ruhig zu bleiben. Wir appelltren an Eure Energie und Opferfrcudigkeit. Die Woche der Revision ist eröffnet. Möge sich Brüssel erheben! Die ganze Pro vinz wird sich erheben, auf die blutigen und nichtswürdigen Brutalitäten der Gendarmen und Polizisten wird die Arbeiterclasse antworten, indem sic mit Ruhe und Stärke ihre einzige loyale Waffe hand habt, den Generalstreik. Mitbürger der Bourgeoisie! Wir verlangen nur Eins: die Beseitigung der Wahlrechts- Privilegien, die permanent die Arbeiterclasse degradiren. Wir haben geschworen, die politische Gleichheit zu er ringen. Vereinigen Sie sich mit dem Proletariat zur Ver- thcidigung dieser gerechten Sache! Die Stunde ist ge kommen, den Schwur von St. Gilles zu verwirklichen. Erhebt Euch Alle für das allgemeine Wahlrecht!" Die letzten Meldungen über die revolutionären Un ruhen besagen: * Brüssel, 17. April. (Repräsentantenkamme r.X Nach stürmischer Debatte giebt Desmet daS Verlangen auf, datz die Kammer heute die Debatte über die Revisionsvorlage schließe. Unter Zustimmung der Socialistcn und der Regierung wird einstimmig beschlossen, heute Nachmittag 5Z4 Uhr die Berathung abzubrechen. Morgen Nachmittag 6 Uhr Feuilleton. Eva oder Anneliese? 16j Roman von Ernst Georgy. t Nachdruck verboten. Bernd brannte darnach, etwas von Eva zu vernehmen. Er überflog die ausführlichen Ncubcrt'scheu Berichte und die wenigen Seiten aus Linden-Aue. Stephan wollte ihm wohl die schwere Entsagung erleichtern. Er schrieb ihm, daß Löwen-Polling seinen Urlaub verlängert habe und den ganzen Tag mit Eva umhcrstreife, rudere, jage oder reite. Das Pärchen sei sehr vergnügt mit einander, und vielleicht knüpfe sich da noch ein Hcrzensband, das man bisher nicht erwartet; treumcincnd verschwieg Warell, datz Eva in Wahrheit in fürchterlichster Laune verstimmt und schweigsam herumgchc. Wohlweislich erwähnte er ein paar Mal seinen Vetter Viktor. Bernd knirschte vor Wuth mit den Zähnen. Der Fremde genoß ihre Gegenwart, nach der er sich so maßlos sehnte. Er durfte sie sehen, sprechen! Er würde sie wo möglich — „Was hörst Du von Eva Warell?" fragte Anneliese plötzlich aus ihrem Winkel. „Sie amüsirt sich glänzend mit einem Vetter, der auf dem Gute zu Besuch ist!" entgegnete der junge Mann bitter. „So wird sie ihn vielleicht heirathen?" fragte Anneliese, und ihre Stimme zitterte hoffnungsvoll. „Das kann schon sein!" „Bernd?" „Ja, Kleine!" „Bitte, komm einmal her zu mir!" — Zögernd folgte er ihrer Bitte. — „Gicb mir Deine Hand, so Bernd —." Die Engländerin erhob sich. „Ich will auf mein Zimmer, entschuldigt mich einen Airgenblick!" sagte sie und verschwand. „Bernd, sage mir die Wahrheit!" bat die Blinde. — „Wenn Du in der letzten Zeit so unglücklich warst, seitdem ich blind bin, meine ich, warst Du da um meinetwillen so unglücklich, oder oder weil sie und jener Vetter " „Um Deinetwillen, Anneliese, denn Dein Unglück wird mir ja mein ganzes Leben verbittern. ES wird mich ewig a» meine Schuld mahnen!" „Du bist aber nicht schuldig!" „Nein; aber ich bin doch die Ursache " „Nein!" rief sie heftig. „Wozu wieder das Gerede? Was wirst Du machen, wenn Eva einen Anderen heirathet? Er bäumte sich gegen diesen Gedanken auf; aber da schimmerte die Binde. Sie zwang ihn zur Ruhe. „Dann" — seine Stimme klang stahlhart — „muß ich eben Anne liese heirathen, die ich ins Unglück stürzte!" Das Mädchen sprang auf, stand eine Secunde still und eilte dann in das Zimmer hinein. Er ballte die Fäuste vor innerer Qual. Da stieß Anneliese gegen einen Stuhl, taumelte und fiel zu Boden. Erschreckt und zugleich er regt schrie sic auf. Der Graf war mit einem Sprunge neben ihr nnd hob sie empor. „Laß mich, ich bin arm und bin blind! Mit mir treibt man keine solche Spöttereien!" stieß sie heftig hervor. Er hielt sie an beiden Armen mit festem Griff. „Glaubst Du, daß ich spotte oder scherze ?" sagte er grimmig. „Nciu, das kann ich nur im verzweifeltsten Ernst verlangen, ver stehe das, Anneliese! Ich habe Dir das Augenlicht ge nommen, dafür biete ich Dir mein Leben dar. Auch Mutter kennt und billigt meine Absicht. Du sollst mein Weib werden!" Seine Werbung klang wie eine Verurtheilung. Sein sonst so biegsam weiches Organ klang hart. Unbewußt schüttelte er sie. Sein Grimm und seine Qual waren zu mächtig. Ein langes Schweigen entstand. „Sprichst Du wahr?" „Glaubst Du, ich lüge in dieser Minute?!" „Bernd, wenn sieh' — Du, jene Eva hat Dich sie liebt einen Anderen! Darum denkst Du an mich. Hättest " „Forsche und grüble nicht, Annelissc! Ich bin ein Mann und weitz, was ich thue. Wenn ich Dich jetzt frage: Willst Du mein Weib werden, so habe ich Alles wohl er wogen! Du kennst mich und weißt, welches Loos Dir an meiner Seite blüht. Ueberlege cS Dir also!" Er ließ sie los und blickte sie schwer athmend an. Sein ganzes Innenleben drängte sich in dem Wunsche zu sammen, daß sie ihn abweisen möge. Sein halbes Leben hätte er für ein Nein aus ihrem Munde hingcgcben. — T-a fiel sie, wie vom Schlage gerührt, neben ihm zu Boden. Ihre tastenden Hände ergriffen seine herab hängende Linke, und ihr Mund preßte sich zu heißem Kusse darauf. „Ich liebe Dich ja so über alle Matzen! Ist cs denn möglich, daß D» mich dummes, blindes Mädchen wirklich willst? Ach, Bernd, ich bin ja so glücklich; nun will ich auch wieder leben, nun beklage ich meine Blindheit nicht! Ich segne sie tausendfach, denn ihr danke ich mein Glück!" Vernichtet starrte er auf die Knieende. Der Würfel war gefallen. Leb' wohl, süße Eva! — Er zog Anneliese in die Höhe und küßte sic auf die Stirn. Seine Lippen marcn trocken. Sie schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte sich trunken vor Glück an ihn. Bernd rührte sich nicht. Da plötzlich stand die nächtliche Ballscene vor seinem Geiste. Er hörte in der Ferne die berückende Tanzmusik, er hielt die schöne Geliebte, kochend vor Leidenschaft, im Arme und überfluthcte sic mit Küssen. Eva, Eva? Sic, die ihn liebte, die nur kindisch mit ihm geschmollt und kokettirt, ihn iu einer Secunde verletzt und in der nächsten mit einem licbcglühcnden Blicke beglückt hatte sie gab er hin! Und was tauschte er ein? Sanft, aber bestimmt machte er sich los und führte das aufgeregte und stammelnde Mädchen zu ihrem Sessel. Dann zog er einen Stuhl heran und setzte sich zu ihr. Ruhig gab er Antwort auf ihre Fragen; bitter lächelnd lauschte er; wenn sie von ihrem Glück sprach und ihn mit zärtlichen Worten überschüttete. Dabei sah er wie ge bannt auf ihre Binde, hinter der die furchtbaren blinden Augen verborgen waren. Sein Schicksal waren diese rothen Lider, die rothc, kaum vernarbte Wunde! Er ahnte sie fortwährend, und das Granen in ihm wuchs. Der Abscheu des Gesunden vor dem Kranken, dem Anormalen! So waren sic denn verlobt. Im Schlosse erfuhren cs Alle. Man schüttelte den Kopf über das ungleiche Paar, man schalt und ärgerte sich. Dennoch bewunderte man den jungen Grafen, ja, man betete ihn fast an für das Opfer, welches cr sich auferlegte. Sie sahen es ja Alle, daß er sic nicht liebte, obwohl cr sie gütig behandelte! — Es mar gut, daß Anneliese die Veränderung nicht sehen konnte, die mit ihm vorgegangcn war. Sein edles, jugendliches Gesicht hatte etwas Gestrecktes bekommen. Eine tiefe Schwermut!), eine unbefriedigte Bitterkeit lag darauf. Um den weichen Mund hatten sich Falten ein gegraben. Die 'cuchtenden Angen blickten starr und ver schleiert. So wie Graf Bernd sah kein Bräutigam aus, sondern eher ein kranker, unschuldig Derurtheiltcr. Eine innere Stimme hieß die Gräfin, von einer Ver öffentlichung der Verlobung noch abzustchcn. Bernd sollte erst sein Jahr abdicnen. Das junge Paar war damit ein verstanden. Bernd in dem Gefühl, daß dieser Aufschub eine Gnadenfrist sei. Anneliese aber lebte in einem solchen Wonnetaumel, daß ihr Alles recht war. — Auf Wunsch des Hausarztes beschloß Marie, den Winter mit der Blinden an der Riviera zu verleben, da die erschütterte Gesundheit Anneliesens sich kräftigen sollte. — So wurde von Neuem gepackt. Bernd sollte die Seinen nach Nizza begleiten und alsdann in die Armee eintrcten, nachdem cr den Berliner Haushalt aufgelöst hatte. Die Möbel wur den wieder nach Großbrandau übcrgcführt. Die nächste Zeit brachte so viel Arbeit und Nachdenken, -atz die Familie erst zur Besinnung kam, als sie im Zuge saß und sich von der Hcimath entfernte. Bernd hatte noch mit keiner Silbe seine Verlobung nach Berlin berichtet. Er sparte sich diese unselige Neuigkeit bis zur mündlichen Aussprache auf. Er wußte genau, welchen Kämpfen cr noch ausgesetzt mar, wenn seine Verwandten nnd Freunde davon Kenntniß erhielten. Kahle war vorauSgcrcist und hatte für seine Herrschaft in einem entzückenden Theilc Nizzas eine kleine Villa ge- miethct. Dort ließ Graf Brandau seine Damen mit Kahle und Karl zurück, als cr die Reise nach Deutschland wieder antrat. Seine Mutter hatte mit zwei aus ihrer Jugend stammenden Bekanntschaften ein Wiedersehen gefeiert und dadurch angenehmen Anschluß gesunden. Anneliese war mit ihrer Lehrerin sehr zufrieden und studirtc mit der Engländerin nm die Wette die Lese- und Schreibart der Blinden. Sie mar von ihrem Glück völlig ansgefullt und freute sich bereits auf die Briefe des Ge liebten. — Manchmal fühlte sic, daß er von einem Kummer gedrückt wurde, daß cr sich ihr fcrnhiclt und Zwang aus erlegte- Aber sie dachte nicht mehr darüber nach. Sobald cr mit der Hand über ihr Haar strich oder freundlich zu ihr sprach, mar alles vergessen, und sie fühlte sich glücklich. Trotzdem sic gar nicht klug mar, fühlte Anneliese heraus, daß die Erinnerung an ihre Blindheit auf ihn eine zauber hafte W-irknng auSübtc. Er wurde bei der Erwähnung ibrcs Unglücks sanfter, zärtlicher. Nach echter Mädchcnart machte sie von dieser Erfahrung hänfig Gebrauch. Tie spielte ihm gegenüber die ganz Hilflose und Leidende, weil sie seine Fürsorge so grenzenlos glücklich machte. Gräfin Brandan brachte den Sohn zur Station und trug ihm Grüße und Besorgungen für die Hcimatb aus. „Versprich mir, daß Du Eva's Nähe nickst unnütz aussnche» wirst, Bernd! — Jedes Wülsten im Schmerz ist verwerflich und ebenso jedes Spielen mit dem Feuer!" sagte sic bittcnd. „Sei unbesorgt, Mutti, ich werde mich nicht unnütz in Ge fahr begeben, denn sei versichert, ich käme rettungslos
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