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Sächsische Volkszeitung : 18.06.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-190306186
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19030618
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19030618
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungSächsische Volkszeitung
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-18
- Monat1903-06
- Jahr1903
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 18.06.1903
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Wsche Dolkszeitung Erscheint täglich nachm, mit Ausnahme der Sonn- u. Festtage. Bezugspreis r Vierteljahr!. 1 Mk. SV Pf. (ohne Bestellgeld). Post-Bestellnulmner 8888. Sei autzerdeutschen Postanstalten laut Zeitungs-Preisliste. Einzelnummer 10 Pfennige. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit, üucdaruckuel. keilalttloii ui»a «rrcdSNrrteNer ' Dresden, Pillnitzer Straße 43. Inserate werden die 6gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit IS Pf. berechnet, bei Wiederholung bedeutender Rabatt. RedaltionS-Sprechstunde: 11—1 Uhr. Fernsprecher: Amt I. Nr. 1S6K. Ak. 13^.6 Katholiken: Marcell. Donnerstag, den 18. Juni 1903. Protestanten: Gervasius. 2. Jzrhrszmlft. Reichstagswahl-Ergebttisse. Das überaus traurige Resultat der Neichstagswahleu ist ein ernstes Mahnwort an die sogeuaunten Ordmmgs- Parteien, unizukehren auf der falschen Bahn, auf der sic bisher gewandelt sind. Mau hat sich um das Volk nicht gekümmert, die Wählerschaft hat sich einfach dafür revanchiert; man hat alles getan, um das Empfinden des Volkes zu verleben, selbst dessen Rechte nicht geschont, der 16. Juni ergab den Beweis von der Feinfühligkeit jener Stände, die man nicht berücksichtigen zu brauchen glaubte. Das Mene Tekel steht mit flammender Schrift an der Wand geschrieben. Ob man es beherzigen wird? Mit Beelzebub wollte mail den Teufel anstreiben. Ten Kulturkampf zog man an den Haaren herbei, um ihn gegen den roten Teufel ansznspielen. Man warf seit Menaten die konfessionelle Brandfackel unter das Volk und glaubte, damit einen Erfolg zu erzielen. Aber trotz alles Posaunens vom protestantischen Empfinden des Volkes zeigte sich dafür dieses dickhäutig und unzugänglich. Es ist bereits zu aufgeklärt, um auf diesen Leim anfznsitzen. Der (Evangelische Bund mag damit noch Glück haben bei den besitzenden Klassen, die sich den Luxus einer Jesuitenhatz erlauben können, aber das Volk hat andere Schmerzen. eS will keine Steine statt Brot. Das haben die Kartell parteien nicht begriffeil, sie haben die Volksstimmung nicht erfahr. Wenn der engherzigste konfessionelle Standpunkt in den Pordergrnnd gestellt wird, nur die Spitze gegen die Konfession anderer Staatsbürger, mögen das nun Katho liken oder Inden sein, hervorkehren zu können, so ist das ein vollkommen kurzsichtiges Unternehmen. Wäre es der positiv christliche Standpunkt gewesen, in Ver bindung mit den großen sozialen Ideen, dann hätte man wohl ein Verständnis hierfür gesunden, wie das Volk auch in vorwiegend protestantischen Wahlkreisen diesem Zentrnmsprogrnmm überall Entgegenkommen beweist. Aber die Günstlinge des Evangelischen Bundes vermögen ihren engen Gesichtskreis zu einer volkstümlichen Politik nicht zu erweitern. Von Christentum war keine Rede; Pastoren hatten nur ein Verständnis für das Protestieren im Sinne des Evangelischen Bundes, für das Anfgreifen der Differenzen zwischen den christlichen Konfessionen, lim den Religions krieg in die Massen zu tragen. Die Lrdnnngsparteien verdanken großenteils nur dem Umstande, daß sie der Wahlparole des Evangelischen Bundes Folge leisteten, die schmähliche Nieder! ige, weil sie dieselbe damit heranfbe- schmorcn haben. Das Volk will soziale Männer, keine Knltnrpanker. Das Wahlergebnis in Sachsen hat im ersteil Wahl gang den Sieg von 18 sozialdemokratischen Kandidateil gebracht. In fünf Wahlkreisen kommt es zur Stichwahl. Im letzten Reichstag waren vertreten: 12 Sozialdemokraten, 5 Konservative, 3 Reformer, 3 Nationalliberale. Mithin gewinnen die Sozialdemokraten in der Hanptwahl (> Sitze. Jil die Stichwahl kommen mit den sozialdemokratischen Gegnern 3 Konservative, l Nationalliberaler, 1 Reformer. 1. Wahlresnltate in Lachsen. (Die mit * verseheilen Kandidaten haben den betreffenden Wahlkreis zuletzt im Reichstag vertreten. Die Namen der Ge wählten sind halbfett gedruckt. 1. Wahlkreis: Zittau-Ostran: Landrichter Dr. Heinze- Dresden (Kartell, nat.-lib.) <1080, l>r. i»v<I. Hollstein-Gvrlitz (frcis.) 5034, Redakteur Fischcr*-DreSden (Soz.) lioio. 2. Wahlkreis: Löbau-EberS bach: Fabrikbesitzer Förster*- Spremberg (Kartell, kons.) 6877, Fabrikant O. Günther-Plane» (freis.) 2648, Justizrat De. Porsch-Breslau (Zentrum) 417, Buch halter Sindermlmn-Dresden (Soz.) >1261. 3. Wahlkreis: Bautzen-Kamenz: Privatus Gräfe*-Bischofs- wcrda (Kartell, Ref.) 10270, Gnauck (frcis. Volksp.) >057, Porsch (Zentr.) 1732, Lagerhalter Höppner-Dresden (Soz.) 0114. Stich wahl zwischen Gräfe und Höppncr. 4. Wahlkreis: Stadt Dresden rechts der Elbe und Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt: Amtsrichter De. Wagncr- Radeberg (Kartell, kons.) 17010, De. Porsch (Zentrum) 200, Zigarren fabrikant Kadcn*-Gohlis (Soz.) 23463. 5. Wahlkreis: Stadt Dresden links der Elbe: Pastor Reichel-Dresden (Kartell, Res.) 15160, Buchdrnckercibcsitzcr Erdin. Schmidt (freis. Volksp.) 507, Pfarrer a. T. Naumann-Berlin (nat.- soz.) 1303, Jnstjzrat De. Porsch-Breslau (Zentrums 662, Schrift steller »r. Grad»aucr*-Berliu (Soz.) 21588. 6. Wahlkreis: Dresden-Land (AmiShanptmannschaft Tres- de»-Altstadt-Dippoldiswalde) De. Porsch (Zentrum- 177. Privatus Horn*-Liudeiiau (Soz.) gewählt. 7. Wahlkreis: Meigen-Großenhain: Gutsbesitzer Gäbcl*- Klessig (Kartell, Res.) 8740, De. Porsch (Zentrum) 380, Gastwirt Nietzschke-Großenhain (Soz.) 12 67X. 8. Wahlkreis: Pirna-Sc bnitz: Fabrikant Lotze*-Dresden «Kartell, Res.) 8590, Lehrer Beck-Dresden (frcis. Volksp.) 1250, De. Porsch (Zentrum) 100, Töpfer F-räs-dorf-Dresden (Soz.) >5050. 0. Wahlkreis: Freiberg-Oederan: Chefredakteur De.OerteD- Steglitz-Berlin (Kartell, kons.) 6843. Generalsekretär De. Kunze- Dresden (nat.-lib.) 4414, Tischlermeister Schulze-Eossebande (Soz.) 10833. Stichwahl zwischen Ocrtel und Schlitze. 10. Wahlkreis:Dvbeln-Noßwein: ChefredakteurO. Zimmer mann-Dresden (Ref.) 5560, Stadtrat Luckweil-Waldheim (nat.-lib.) 5413, Fabrikant Grimberg* Hartha (Soz.) 13161. 11. Wahlkreis: Oschatz-Grimma: Gutsbesitzer Hausfe*- Dahlen (Kartell, kons.) 6011, Fabritbesitzer Stadtrat Brmk-Oschatz (liberal) 187.3, Buchhändler Lipinski-Leßzig (So.;.) 6156. Stichwahl zwischen Hausse und Lipinski. >2. Wahlkreis: Leipzig-Stadt: Professor Dr. Hasse*-Lcipzig (Kartell, nat.-lib.) 14 727, Reichsgerichtsrat a. D. Bölhkc-Leipzig (liberaler Verein) 3330, Gastwirt Wichmaun Leipzig (Amis. Liebcr- mannscher Richtung) —, Justizrat Dr. Porsch-Breslau (Zentrum) 250, Kaufmann Mottelcr-Leipzig (Soz.) 16140. Stichwahl zwischen Hasse und Motteler. >3. Wahlkreis: Leipzig-Land: Dr. mo,I. Ferdinand Goctz- Leipzig (Kartell, nat.-lib.), 21455, Kaufmann Kurt Frisische Leipzig (Ref.), 13 000, Fabrikant Fritz Geyer*-Leipzig (Soz.). 43 532. >4. Wahlkreis: Borna-Pegau: Rittergutsbesitzer Platzmaun- Nenkersdorf (Kartell, kons.) 80«>j, Buchdruckercibesitzer Junghauß- Lcipzig (Freis. Vp.) 3467, Redakteur Schopflin-Leipzig (Soz.) >1 326. Stichwahl zwischen Platzmann und Schöpflin. >5. Wahlkreis: Mi'ttweida-Rochlitz-Flöha: Fabrikbesitzer Rüdiger-Mittweida (Kartell, nat.-lib.) 10 200, Pfarrer a. D. Paul Göhrc-Zchlcndorf (Soz.) 10 330. 16. Wahlkreis: Stadl Chemnitz: Fabrikbesitzer Langhanuner- Chemnitz (Kartell, nat.-lib.) 130.50, Professor Kellerbaucr Chemnitz (Freis.) 3723, Porsch (Zentr.) 105, Schriftsteller Schippe!-Berlin (Soz.) 84064. 17. Wahlkreis: Glauchau Meerane: Geheimer Regicrungs- rat Dr. Rumpelt Dresden (Kartell, kons.) 7014, Parteisekretär Auer- Berlin (Soz.) 17 147. 18. Wahlkreis: Zwickau-Werdau: Schuldirektor Becker- Zwickau (Kartell, nat.-lib.) 2180, Justizrat Dr. Porsch-Breslau (Zentrum) 120, Gastwirt Stolle* Gcsau (Soz.) 4006. > 0. Wahlkreis: Stolberg - Schnecberg: Bergarbeiter Hänel- Oclsnig i. E. (Kartell, kons.) 8000, Redakteur Goldsteiu-Zwickau (Soz.) 20 021. 20. Wahlkreis: Marienberg-Zschopau: Geh.Finanzrat a.D. Jcncke-Dresden (Kartell, kons.) 10 602, Schriftsteller Roscnow*-Berlin (Soz.) 15 600, 21. Wahlkreis: Annaberg-Schwarzcnberg: Fabritbesitzer Rehwoldt-Plagwitz (Kartell, nat.-lib.) 0063, Former Greu,-.-Leipzig (Soz.) 13072. 22. Wahlkreis: Auerbach-Kirchberg: Schriftsteller Graf v. Hoensbrocch Charlottenburg (Kartell, lib.) 7562, Zigarrenfabrikant Hof»«»»»*-Chemnitz (Soz.) 17 086. 23. Wahlkreis: Plauen -L elsnitz: Rittergutsbesitzer Zeidlcr*- Cberlosa (Kartell, kons.) 8104. Kaufmann v. Schwarze Plauen (frcis.) 6603, Maschinenbauer Grhrisch Berlin (Soz.) 16 306. Ä. Nichtsächsischc Wahlergebnisse. Bisher sind 286 Wahlrcsultatc bekannt geworden. Hiervon sind 151 entschieden, 135 machen eine Stichwahl notwendig. Gewählt wurde Zentrum in: Meppen: Engelmannn. — Passau: Dr. Pichler. Bgmberg: Dr. Schädler. — Regcnsburg: Freiherr v. Pfeilen. — Aachen: Sitlart. — Düren: Graf Hompesch. — Bonn: Dr. Spahn. — Aachen: Nacken. — Glatz: Hartmann. — Gr. Strelitz: Glowatzki. — Ratibor: Frank. — Neustadl: Strzoda. — Schleid-Mäln: Prinz von Arrnberg. — Münster: v. Hertling. Warburg: Schmidt. — Krefeld: Dr. Bachem. — Bernkastel: Frhr. Wolfs- Metternich. — Lübl. Tost-Gleiwitz: Graf Ballcstrcm. — Kempen: Fritzen. — Landshut: Glätsmann. — Ludwigshausen: Waltendorf. -- Köln-Land: Pingen. — Heiligenstadt: v. Strombcck. — Wasser burg: Bauer. — Llpe: Fusangel. — Tonamvörlh: Weißenhagen. Allenstein: Hirschberg. — Tann Pr. Ritb.: Dasbach. Gewählt wurden die Sozialdemokraten in Berlin 2: Fischer. — Berlin 3: Heine. — Berlin 4: Singer. — Berlin 5: Schmidt: Berlin 0.: Ledebour. — Stettin: Herbert. — Hannover: Meister. — Nieder-Barnim: Stadt- Hagen. — Breslan-W.: Bernstein. — München: v. Vollmar.— Nach geschiedener Ehe. Ein Sittenbild aus dem heutigen Frankreich. Aon Comtesse de Beanrepaire. — Deutsch von Helene Krembs. «:« güittz'«-!»,,; ) «Nachdruck verboten.) Marzel wagte sich nicht umzusehen. nin den Sprecher zu betrachten; ec sprang schnell ans seinen Sitz und zog den Kutschenschlag eiligst zn. Aber seine Stirn war mit Glut überzogen. Das Rollen der Wagen über das Pflaster ist einer llnterhaltnng meistens sehr hinderlich, deshalb wunderte sich auch Regine nicht über die kurzen Antworten, welche Marzel aus ihre sprudelnden Mitteilungen gab. Als sie sich dann aber allein iin gemütlichen Wohnzimmer ihres neuen Heimes befanden, da mußte es ihr ansfallen, daß Bertinet verstört und nachdenklich anssah. „Was beunruhigt Dich?" fragte sie. „Du machst ein sv düsteres Gesicht. Fehlt Dir etwas?" „Mir? Nein, nichts." „Nichts? Warum sehe ich denn die Falte zwischen Teiuen Brauen? Und warum sprichst Du nicht?" „Nun, ich meine, nach den Kämpfen und Aufregungen der letzten Zeit, nach allem, was wir durchgcmacht, täte wohl ein wenig Ruhe not. Mein Glück ist so groß, daß ich es kaum begreife, daß es mich bange macht." „Bange? Geh. ich bin nicht so furchtsam. Die Aus sicht, ein ganzes langes Leben an Deiner Seite hinzu- bringen, kann mir keine Angst einjagcn. Im Gegenteil, mein Herz ist der Freude übervoll. Bin ich nicht Deiner tziebe sicher, des einzigen für mich begehrenswerten Schatzes? Hast Du nicht alles andere verlassen, nm mit mir glücklich zu sein? Bin ich nicht jetzt Dein Weib, Deine Freundin, Tein alles? Die Zukunft wird uns für die Vergangenheit Ersatz bieten." Marzels Stirn umwölkte sich. „Liebe Regina!" antwortete er mit einem Anflug von Müdigkeit und Trauer in der Stimme. „Sprechen wir nicht mehr von der Vergangenheit, sehen wir nur in die Zukunft." „Du hast Recht," erwiderte Regina. „Die Vergangen- heit bedeutet für uns eigentlich nur Aerger und Demütig ungen. Sie erinnert uns an die strenge und boshafte Aolande . . . Die Zukunft hingegen liegt vor uns sonnig und heiter. Wir können uns von nun ab angehören, ohne daß eine eifersüchtige Macht dazwischen tritt." Und schmeichelnd näherte sich Regina dem Gatten. Aber der Name sholandes in dieser Weise ausgesprochen, halte wie eine spitze Schneide Marzels Empfindung getroffen; etwas wie Reuegefühl stieg in ihm auf. Er nahm die beiden Hände der jungen Frau zwischen die seinigen und drückte sic zärtlich; ihr ins Antlitz sehen tonnte er nicht. Dann sagt er: „Liebes Kind! Wir beide haben Holande gegenüber große Schuld. Wir dürfen sie nicht anklagen, sondern wollen sie vergessen . . . wenn es möglich ist! Das ist das einzige, was uns zu tun übrig bleibi." Regina errötete. Aus ihren Allgen schossen Funken, und die Lippen zuckten, aber sie schwieg. „Doch", fuhr Marzel mit veränderter Stimme fort, „wir verplaudern liier die Zeit und die Stunde unserer Abfahrt wird bald schlagen. Willst Du Dich nicht zur Reise umkleiden, indessen ich die letzten Vorbereitungen treffe?" Da stand Regina auf und verließ ohne ein Wort, mit einem rätselhaften Zug im trotzigen Gesicht, das Zimmer. Marzel sah nach der Uhr. Es war erst eben drei ; nur sechs Uhr sollte der Wagen sie abholen; die Koffer waren gepackt und verschnürt; es blieb ihm also noch Muße genug, die Briefschaften und Zeitungen dnrchznsehe», die man am Morgen auf seinen Schreibtisch gelegt. Er ging zu diesem Zwecke in sein Zimmer. Tie Briefe waren nicht wichtig und schnell erledigt. Darauf griff er zu den Tagesblättern. Kaum hatte er jedoch das Hanptblatt seiner heimat lichen Provinz entfaltet, als er einen heiseren Schrei ans- stieß. Unter der Ueberschrift „Eine Schmach" brachte die konservative Zeitung einen ausführlichen Bericht über seine Ehescheidung nnd die stattgehabte bürgerliche Trauung und erging sich des Längeren in Betrachtungen über die religiöse nnd politische Schwankung, welche der Grund nnd Wechsel- seitig auch die Folge dieser schmachvollen nnd bedauerns werten Handlungsweise gewesen. Die Bemerkungen, welche den Artikel schlossen, waren für Marzel bitter, aber zutreffend nnd verdient. Freilich wollte sein Hochmut dies nicht zn- geben. Er redete sich ein, eS sei mir ein gehässiger Angriff seiner früheren Freunde, welche ihm den ttebergang ins andere Lager nicht verzeihen wollten. Aber der Hieb saß trotzdem nnd zwar gut, denn sein erster Gedanke war der Wunsch, sich zn rächen. „Der religiöse Fanatismus macht sie blind." sagte er sich, „aber ich will ihnen ihre Beleidigungen eintränken, sie sollen sehen, wessen ich fähig bin!" Und hastig verbarg er das Zeitnngsblatt in einem Geheimfache seines Tisches, denn Regina durfte diese Zeilen nicht lesen. Tann durchflog er die Blätter seiner bisherigen Gegenpartei, hoffend, wenigstens hier etwas Balsain auf die frische Wunde zn erhalten. Aber er hatte sich getäuscht. Zwar fehlte es nicht an Ueberschwenglichkeit, aber ge rade unter dieser begeisterten Lobrednerei versteckte sich ge heimer Spott. Bei aller Freude über den Umschwung und die Plötzliche Sinnesänderung Bertinets tat es dem Bericht erstatter leid, daß diese Bekehrung weniger der innerlichen Ueverzeugung des Genannten, über welche schon oft ge stritten worden, sondern vielmehr der Einwirkung eines ge wissen „schönen Angenpaarcs" zn verdanken sei nsw. nsw. Klar nnd deutlich schien derjenige, welcher diese Notiz inspiriert hatte, dartnn zn wollen, daß er der Geschichte so recht nicht traue nnd von vornherein Stellung gegen etwaige unliebsame Ueberraschungen nehmen wolle. Marzel hatte verstanden. „Man wird ja sehen," murmelte er und biß die Zähne knirschend aufeinander. Die Zeitung flog in den Papierkorb. Bertiuet war wütend, wütend über sich selbst, daß es ihm nicht gelingen wollte, die innere quälende Stimme zum Schweigen zn bringen, und wütend über die Anderen, welche es sich er laubt hatten, sein Tun nnd Lassen so rücksichtslos zn ver urteilen. Ganz schlecht war er noch nicht, denn selbst jetzt, in dieser aufregenden Stunde, kam ihm ein liebevolles Erinnern an seine Kinder. Der EhescheidnngSprozeß hatte ihm das Recht znerkannt, dieselben dann und wann zn sehen. Bis jetzt hatte er von diesem Zugeständnis keinen Ge brauch gemacht und zwar ans gutem Grunde. Denn wie hätte er seinen schon Heranwachsenden Töchtern gegenüber treten können, was ihnen sagen sollen! Als er sie zum Abschied geküßt, hatte er angegeben, eine lange Reise unternehmen zu wollen. Nach Verlauf von einigen Monaten würde er dann wohl Mittel und Wege finden, sein Verhalten zn erklären; so meinte er damals. Jetzt, da er mm wirklich fortging, tat es ihm leid, die Kinder nicht noch einmal an sein Herz drücken zu können. In Paris blieb ihm wenigstens die Möglichkeit, sie un bemerkt von weitem zu sehen, im Falle einer Krankheit konnte man ihn benachrichtigen. Aber wenn er nun ab reiste . . . (Fortsetzung folgt.)
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