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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.11.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971126027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897112602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897112602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-26
- Monat1897-11
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Die Morgkn-Avskiabt erscheint um '/,? Uhr. di» Adend-Slusgabe Wochentag« um 5 Uhr. Nedaclion und Lrvedittou: IobanneSgasie 8. Di»Expedition ist Wochentag« uaunterbroch« gebfivet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: k!tt« Klemm'« Cortim. (Alfred Hah«), Universität-strahe 3 lPaulinum), L-ui« Lösche. Katharinenstr. 14. pari, und könlg-plah 7. VezugS-PreiS M h« Hauptexpeditioa oder dm 1» Gtobt- beatrk und dm Vororten «richteten Lob» aavestellen ob geholt: vietteljihrlich^l4.5O, bei znximaliger täglicher Zustellung tn« ^an« 5.50. Durch di» Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierte<iädrlich ^l S—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in« Aubland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. ÜMM TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Volizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. 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Durch die Pers,de Unterstellung, der Zwischenfall an der ostasiatischen Küste sei von deuticher Seite in der Absicht provocirt oder doch wenigstens aufgebauscht worden, nm Stimmung für eine Verstärkung der Flotte zu machen, haben die „Times" wenigstens so viel erreicht, daß die social demokratische Presse in Deutschland diese Unterstellung sich aneignet, um damit Stimmung gegen die in Aussicht stehende Marinevorlage zu machen. Der „Borwärls" gebt sogar noch weiter als das Cityblatt, indem er auch den Zwischenfall in Haiti heranzieht und die Be hauptung ausstellt, beide Zwischenfälle seien von deutscher Seite zu dem genannten Zwecke „an den Haaren herbei gezogen". DaS socialdemokratische Hauptorgan geht sogar so weit, den freniden Mächten ein Einschreiten gegen Deutsch land wegen der Besetzung von Kiao-Tschan nahezulegen, indem es davon spricht, daß das deutsche Vorgehen ernsthafte Con- slicte Hervorrufen müsse, und zwar nicht nur mit China, sondern auch mit anderen Mächten, z. B. mit Japan. Das Verhalten des „Vorwärts" deckt sich zwar nicht ganz mit dem Wortlaute deS 8 87 des Strafgesetzbuches, der die Strafe des Lan besser rathes jedem Deutschen androbt, der „sich mit einer ausländischen Regierung einläßt, um dieselbe zu einem Kriege gegen Deutschland zu veranlassen", denn der „Vorwärts" läßt sich ja durch seinen Artikel nicht direct mit einer fremden Regierung ein. Aber jedenfalls bemüht sich das edle Blatt, fremde Regierungen dazu auszu hetzen, dem Vorgehen Deutschlands mit Gewalt entgegen- zulrelen. Kann es also wegen seines Artikels auck nicht wegen LanbeSverratheS gefaßt werden, so ist sein Verhalten doch vom moralischen Standpunkte als landes- verrätberisch zu betrachten. Wir glauben auch kaum, daß ein französisches oder englisches Blatt cs wagen dürste, eine auswärtige Action seiner Regierung in dieser Weise beim AuSlande zu denunciren. Die „deutschen" Socialbemokraten aber finden voraussichtlich das Vorgehen ihres leitenden Blattes sehr rühmlich, und es würde uns wundern, wenn der „Vorwärts" nicht im Lager des Herrn Eugen Richter und in einem Tbeile der CentrumSpresse wenigstens verschämte Zustimmung fände. Jedenfalls stimmen die socialdemokratischen, die ultramontanen und die von Herrn Richter dirigirlen Blätter darin überein, daß ein „Marine- septennat" nur deshalb gefordert werde, um dem Reichs- oberhaupte freie Hand zu einer „überseeischen Machtpolitik" zu geben. Es zeigt sich hier, wie berechtigt unsere Mahnung war, das Wort „Marineseptennat" nicht in die öffentliche Discussion hineinzuwerfen. Man hat dadurch lediglich der Opposition genützt und ihren Zusammenschluß erleichtert, lind baS hätte um so leichter vermieden werden können, je weniger eS sich allem Anscheine nach um ein eigentliches Marineseptennat handelt. Heule erklärt nämlich die „Nat.- Lid. Corr.": „Das Gerede über das sogenannte „Marineseptennat" und die angebliche Beschränkung des Budgetrechts, womit der Abg. Richter durch die ibm gedankenlos nachbetende kleine Oentrumsvresse und deren Nährväter die Stellung des lientrums zu den Marineforderungen festzulegen bemüht ist, wird von untorisirter Seite al- Dunst nachgewiesen. Di» budgetäre Regelung ist, wie wir bestätigen können, in folgender Weise formulirt: Zunächst wird in einem Gesetz der Reichs tag über Len Flottenbestand zu entscheiden haben, dessen das Reich nach der auf gewissenhafter Prüfung gegründeten lieber- zeugung der zuständigen Stellen, der Marinevrrwaltung und des Auswärtigen Amtes, bedarf. Ein Gesetz soll darum auch darüber bestimmen, damit die Beunruhigung über „uferlose Flottenpläne", absolutistische Bestrebungen und dergleichen ein für alle Mal ein Ende hat. lieber die Art der Durchführung des Planes, die einzelnen Raten, wird der Reichstag jahraus, jahrein, genau wie bisher, in völliger Freiheit entscheiden. Genau wie bisher wird er abwagen, ob der jeweilige Finanzstand so und so viele Millionen Mark mehr oder weniger für den Flottenbau auszuwenden gestattet. Da überdies erneut Beunruhigung über die finanzielle Seite erregt wird, so bemerken wir nochmals, daß in sorgsamer Prüfung die Reichsfinanzverwaltung die Finanzkrast des Reiches abgewogen hat und die Ergänzungsbauten ohne jede neue Steuerbelastung durckiührbar sind." WaS giebt aber die scrupellose Opposition auf solche Versicherungen? Entweder hätte man die Vorlage nebst ihrer Begründung schon vor Wochen veröffentlichen, oder aber bis zu ihrer Einbringung im Reichstage völliges Schweigen beobachten sollen. Das Ergebniß der Reichstagswahl in Lldenburg-Ploeu stellt sich noch günstiger dar, als es nach den ersten Nach richten schien. ES findet keine Stichwahl statt, der nationale Candidat v. Tungeln ist mit 8176 Stimmen im ersten Wahlgang gewählt worden. Damit hat der Wahl kreis seine alte, nur ein einziges Mal durchbrochene gute Ueberlieferung gewahrt. Es ist keineswegs ei» rein conser- vativer Sieg zu verzeichnen, wie die Partcibezeichnung für den Gewählten glauben machen könnte und wie eS das Organ deS Bundes der Landwirthe unredlicher Weise ge flissentlich darstellt, indem es schreibt, der verhältniß- mäßig geringe Stimmenverlust gegen 1893 — er be trägt 1105 Stimmen — habe nicht viel zu sagen, da die „Hetzarbeit aller Parteien" gegen die Conservativen und den Bund der Landwirthe gerichtet gewesen sei. Die Wahrheit ist, daß die Nationalliberalen von An beginn für den Conservativen eingetreten sind. Sie sind im Wahlkreise, übrigens auch im Bunde der Landwirthe, stark vertreten, eine Thatsache, die bei NeichstagSwahlen früher nicht zum Vorschein kam, weil die Partei im Interesse einer positiven Wahl dem mit Recht außerordentlich beliebten und politisch sehr gemäßigten bisherigen langjährigen Abgeordneten Grafen Holstein niemals einen eigene» Candidaten gegenüber stellte. Die Person deS Herrn v. Tungeln bot keinen Anlaß, von dem bisher beobachteten Verhalten abzugeben. Er ist so wenig ein „Junker", als sein Vorgänger im Mandat, ein Umstand, der für den Vergleich dieser Wahl mit den zahlreichen Nachwahlen im Osten der Elbe nicht unwichtig ist. Um klebrigen ist einzuräumen, daß der Rückgang von 1105 Stimmen für den nationalen Candidaten als unerheblich zu betrachten ist. Allgemein wird anerkannt, daß der national sociale Bewerber Damaschke, auf den 2146 Stimmen sich vereinigt haben, von allen bürgerlichen Parteien gezehrt hat, also auch von dem Cartell — wenn der Ausdruck noch erlaubt ist. Dem „Vorwärts" wäre eS sogar nicht unange nehm, wenn man Hrn.Damaschke auch socialdemokratische Stimmen zuschriebe. Er wagt zwar nicht, so gröblich gegen die politische Psychologie zu verstoßen, um direct zu behaupten, der Weg vom Nationai-Socialismus zur Socialdemckratie sei so eben wie der von der Socialdemokratie zu Herrn Naumann. Aber auS seinen Andeutungen gehl hervor, daß es ihm sehr lieb wäre, wenn der nicht unbeträchtliche Verlust der Socialdemokratie in der Höhe von 500 Stimmen zu einem nennenSwerthen Theil auf Rechnung der sehr rührigen national-socialen Agitation gesetzt würde. Den Gefallen, dies anzunehmen, werden dem socialdemokratischen Centralorzan aber nur die — Nationalsocialen erweisen. Aber diese werden, und mit Recht, dagegen protestiren, daß der „Vorwärts" die fingirte Einbuße zu Gunsten des Herrn Damaschke darauf zurückführt, daß „das Stimmen für einen National-Socialen ja bei Weitem nicht mit den Gefahren verbunden war, welche daS Stimmen für einen Socialdemo kraten in sich barg". Man muß anerkennen, daß daS Bekennt- niß zu Naumann heutzutage am allerwenigste» den Reiz der Bequemlichkeit bat. Und „gefährlich" ist eS überhaupt nur, gegen die Socialdemokratie und in gewissen Reichsgebieten — gegen daS Centrum zu stimmen. Nur in diesen beiden Lagern herrscht ein Terrorismus gegen die Masse der Wähler, der die private Existenz berührt. Der „Vorwärts" muß das Wahl- ergebniß in Oldenburg - Plön schon für das nehmen, was es ist: einen Rückgang seiner Partei. Wenn er — aus genauer Kenutniß der Ziffern — ans einem Stimmenverlust von 500 herausrechnct, der Ausfall sei „am günstigsten" für die Social demokratie, da der „Vertreter der junkerlichen Reaction" Einbuße erlitten und „ein Vormarsch der mehr oder weniger freiheitlichen Parteien zu verzeichnen sei", so gab er die Lehre von der einen reaktionären Masse um ein Linsengericht hin, das nachträglich seinem Nährwerthe nach sogar nnr als ein Schaumklcß sich herausstellt. 1893 erhielt die gesammte Gegnerschaft der Natio nalen 7128, diesmal brachten es die vier unterlegene» Parteien auf zusammen 7991 Stimmen. Ist der Trost des „Vorwärts" komisch, so muß man Herrn Richter zugestehen, daß er eine ehrliche, gegründete Freude verrätb, nach ter Meinung von Menschenfreunden die einzige reine Freute, nämlich Schaden freude. Die Freisinnige Vereinigung steht in der Reibe der an der Wahl betheiligten Parteien an letzter Stelle. Das hilft über allen Schmerz hinweg, über den Sieg deS „Junkers" und auch darüber, daßdiePartei desHerrnRichter an — vorletzter Stelle steht und die Differenz zwischen beiden nur 272 Stimmen zu Gunsten der Volkspartei beträgt. Zusammen baden die freisinnigen Parteien gegen 1893 einen Rückgang von 825 Stimmen zu verzeichnen. Ohne Antisemiten geht es eben nicht mebr, und man wird es wohl bei der nächsten Hauptwahl erleben, daß im Interesse des Freisinns mit jüdischem Gelte die Ausstellung antisemitischer Candivaturen gefördert wird. Ein solches Verbältniß würde auch der politischen Ehrenhaftigkeit und gewissen Besonderheiten der beide» Parteien entsprechen. In Oesterreich will die Regierungspo l i tik auf dem falschen Gleise, auf welches der polnische Ministerpräsident Badeni sie verfahren hat, durchaus nicht umkehren. An keiner Stelle, auch nicht an der höchsten, mag man zugestehen, daß man einen schweren Fehler beging, als man glaubte, die Deutschen, also den ersten Culturfactor der babsburgiichen Monarchie, als quantits uSgligeabls zu behandeln und sie der Waffen berauben zu könne», okne die sie nicht im Stande sind, sich des slawischen Ansturmes zu erwehren. Graf Badeni geht noch nicht und die Sprachenverordnungen werden nicht fallen gelassen. Statt dessen ist die Re gierungsmehrheit de« Abgeordnetenhauses auf dem Weg brutalster Vergewaltigung bis zum Aeußersten geschritten. Wir berichteten sckon, daß in der gestrigen Parlamentssitzung, ohne daß der Vorsitzende eine Debatte zugelassen hätte, von den Mehrheit-Parteien beschlossen worden ist, die Geschäftsordnung vorläufig zu suSpendiren und die Leitung der Verhandlungen dec autoritativen Gewalt deS Präsidenten zu überanlwonen. Gegen Abgeordnete, welche durch Erregung von Unrube, Tumult rc. den Fortgang der Verhandlungen verhindern, soll Ausschließung von 3—30 Tagen ausgesprochen werden können und die Regierung soll aufgefordert werden, dem Präsidenten Executivorgane zur Verfügung zu stellen. Vollkommen unhörbar verlas der Ab geordnete Graf Falkenhayn diesen seinen Antrag, voll kommen unhörbar wurde er vom Präsidenten zur Abstim mung gebracht. Auf ein gegebenes Zeichen erhob sich die Rechte und dann trat der Vorsitzende mit der Behauptung vor das Haus, der Antrag sei einstimmig angenommen. Tas alko ist die Antwort der Mehrheit auf die Entrüstung, welche sich in allen gebildeten Kreisen, nicht nur Oestrrreich-UngarnS, über den in der Miltwochsitzung von ihr aufgesührteii, jeder Beschreibung spottenden Scanbal kundgiebt! Erst fällt dieselbe, wie eine Herde losgelassener Wölfe über die Minorität her, indem sie dem Rufe des Vorsitzenden nach Anwendung von Brachial gewalt folgt, vergewaltigt sie mit Schlägen, Fußtritten und noch Schlimmeren, dreht dann den Spieß mit dem Vorgeben herum, die Mehrheit müsse sich gegen die An griffe der Minderheit schützen und macht diese durch einen in schreiendstem Widerspruch zu aller Geschäftsordnung zu Stande gekommenen Antrag einfach mundtodt. „Unerhört! Staatsstreich! Revolution im Parlament!" Das waren die Ausrufe, mit welchen die Verkündigung des Abstimmunzs resultateS entgegen genommen wurde. Und in der Thal diese beispiellose Vergewaltigung, welche die Bevölkerung aufs Tiefste erregt und den Staat in seiner verfassungsmäßigen Grund lage erschüttert, siebt einem Staatsstreich, einer Revolution von oben verzweifelt ähnlich, wie eS denn genau den Eindruck macht, als wäre der Scandal vom Mittwoch von der Mehr heit verabredetermaßen provocirt, um dann am Donners tag die Geschäftsordnung suSpendiren zu können. Wir fragen nochmals: Wohin soll das führen? Glaubt Graf Badeni, daß die Deutschen sich besiegt geben werden? DaS wird zweifellos nicht geschehen. Das einzige, WaS die Opposition jetzt thun kann, ist der gemeinsame Austritt aus dem Parlament. Die Clubs sind gestern sofort zur Berathung der Lage zusammengetreten und die deutsche Volkspartei beschloß bereits einstimmig Abstinenz, während die Socialisten beschlossen, im Parlament zu verbleiben uud den äußersten Widerstand fort ¬ zusetzen. Die endgiltige Entscheidung aller Clubs soll heute Vormittag erfolgen und da wird eS sich zeigen, ob die Deutschen diesmal einig sein werden. Wir riethen schon früher dazu, den Kampf aus dem Parlament inS Volk zu tragen und der Regierung die Antwort bei den nächsten Wahlen zu geben. Das dürfte nun geschehen. Aber nachdem die Leidenschaften durch die fast Tag für Tag sich wiederholenden Scene» im Abgeordnetenbause auf- Aeußerste erhitzt worden sind, muß man gewärtig sein, daß es zum Blutvergießen kommt. „Warten Sie nur," rief der Abae ordnete Lecher dem Präsidenten zu, „bis das Volk von Wien aufsteht", und Wolf: „Warten Sie nur, bis die Saat aufgebt, bis die Leute sagen: „„Wenn Regierung und Parlament die Gesetze nicht achten, wozu zum Teufel sollen dann wir dieselben achten?"" Derselbe Abgeordnete war eS, der, wie von verschiedenen Seiten bestätigt wird, die Drohung ausstieb: „Morgen bringen wir Revolver mit!" Bei solcher Stimmung ist das Aergste zu besorgen. Aber, wenn eS geschieht, fällt die Ver antwortung in voller Schwere auf die Regierung deS Grafen Badeni und seine Deutsch-Feindschaft. Nicht mehr auf die Durchsübrung der Sprachenverordnungen kommt es diesem polnische» Grafen an — Hal er doch selbst zugegeben, daß sie verbesserungsfähig seien und auf dem Wege der Der Page. 25) Roman von A. Heyl. Nachdruck verdotrn. Noch einen Dankesblick, dann schloß der Kranke die Augen. Die Arznei begann zu wirken. Die Fieberröthe auf den Wangen wich allmählich einer fahlen Bläffe, der Pulsschlag wurde ruhiger. Der Lehrer flüsterte dem Pagen zu: „Ein Glück für den armen Schelm, daß ich den Doctor begleitete, er hätte sonst schwerlich eine Arznei bekommen. Es traf ein Bote um den anderen ein; der Doctor sollte unverzüglich zu Herrn von Monhardt kommen; er konnte sich nur schwer entschließen, als aber zuletzt Fräulein Hel denberg selbst erschien und in bewegten Worten um seine ärztliche Hilfe bat, da konnte er nicht länger widerstehen." Der Lehrer ging hinaus, nachdem er sich bereit erklärt hatte, auf den ersten Ruf zurllckzukehren, falls sein Beistand ge wünscht würde. Eine Stunde verging in vollkommener Ruhe, es hatte den Anschein, als solle der Kranke ohne Kampf sanft hinllberschlummern. Da ertönte plötzlich aus der Kammerecke, wo das Hündchen sein Nachtlager gefunden hatte, klägliches Winseln. Janos schlug die Augen auf und sah sich erstaunt um. „Beunruhige Dich nicht", bat Emil, „es ist Blanche, die Dich geweckt hat; ich werde sie hinaus bringen." „Und ich werde mitgehen, Emil", sprach Janos, indem er den Versuch machte, sich aufzurichten.„Da» liebe Thier- chen hat Zascha's Stimme vernommen, sie lockt e«, hörst Du nicht? Meine Mutter ist draußen, sie ruft mich, ich muß sott, Emil —" Emil ging auf die Phantasien ein: „Sie wird herauf kommen, Janos, wenn Du hübsch ruhig bleibst." „Die Lhüre ist verschlossen", behauptete er, „öffne und lasse Zascha herein. Hörst Du nicht, sie ruft mich; jetzt klopft sie am Fenster; sie blickt herein, wie freundlich sie lächelt — Emil, sie winkt mir. — Ich komme, Mutter, ich komme." Bei den letzten Worten schnellte der Sterbende krampfhaft in die Höhe, breitete die Arme auS, fiel dann aber kraftlos aufs Lager zurück. „Ich hab Dich lieb, Emil", seufzte Janos noch, dann zuckte er zusammen, ein Röcheln und der arme Ausgestoßene war erlöst. Als der Lehrer auf des Pagen Hilferuf hinzueilte, tonnte er nur noch behilflich sein, den Leichnam auf das Läget zu betten. Siebzehntes Capitel. Doctor Franz verließ das Zimmer, in welchem nach schweren Krampfanfällen Herr von Monhardt, von Mor phium betäubt, auf seinem Schmerzenslager ruhte. Die Gräfin Rivero und Clotilde Heldenberg gaben dem Arzt das Geleite. Im Borzimmer angelangt, sagte der Doctor in seiner barschen Weise zur Gräfin: „Es ist jetzt gar nichts mit ihm anzufangen. Sie machen ihn noch zum Idioten mit Ihrem verteufelten Morphium." „Es war nicht mehr zum Ansehen, bester Doctor", jam merte die Gräfin. „Wir mußten Hilfe schaffen, denn Sie kamen so lange nicht." »Ist diesen Anfällen vielleicht eine heftige Gemüthsbe- wegung vorausgegangen?" fragte Doctor Franz. Melanie sah den Fragenden durchdringend an. Sie hatte beabsichtigt, mit dem verhaßten Menschen eine Art Verhör anzusteuen und er kam ihrem Vorhaben mit seiner Frage entgegen. „Sie können sich wohl denken", erwiderte ne, „daß jener infame Zeitungsartikel, der die Ehre meines Vaters, sowie meine Ehre in empörender Weise angreift, auf PapaS zerrüttetes Nervensystem verderblich wirken mußte. Ueber den Urheber des Artikels waren wir einig, doch über die Mittel zur Abwehr gingen unsere Ansichten auseinander. Mein Mann möchte den Rechtsweg be schreiten, Papa ist mit aller Entschiedenheit dagegen, er scheut jede» Aufsehen und würde es vorziehen, die Angelegen heit mit Geld abzumachen —" Hier zögerte die Sprecherin einen Moment, um den Eindruck ihrer Worte zu beobachten. „Mit viel Geld", fügte sie bei, al« der Zuhörer kalt blieb. „Kann ich mir denken", bemerkte der Doctor verächtlich. „Nicht wahr, da« können Sie sich denken", fuhr Melanie fort. „Der Leidende will jedes Opfer bringen, um sich Ruhe zu schaffen. Wir haben Sie nur deshalb so dringend ge beten, zu uns zu kommen, weil uns Niemand bekannt ist, der von den in Afrika vorgefallenen Geschichten Kenntniß hat, als Sie allein —" „Bitte recht sehr", unterbrach sie der Doctor, „dagegen verwahre ich mich. Tockmann weiß jedenfalls mehr davon; er stand in Diensten Ihres Vaters und war einer seiner ge riebensten Helfershelfer." Als der Name Tockmann's genannt wurde, erbleichte Melanie und ihre Stimme zitterte merklich bei der Antwort: „Tockmann ist seit einem halben Jahre verschollen, Herr Doctor, es ist uns, trotz eifriger Nachforschung, nicht ge lungen, seine Spur aufzufinden." „Dann bin ich so glücklich, Ihnen Näheres mittheilen zu können. Tockmann treibt sich hier in der Gegend herum, wie man mir vor Kurzem erzählte. Vorgestern bin ich ihm selbst im Walde begegnet. Trotz seiner Vermummung er kannte ich den Herrn sofort. Als ich Miene machte, auf ihn zuzugehen, schlug er sich in die Büsche." Melanie rang nach Fassung. „Sic haben sich getäuscht, Herr Doctor; es war nicht Tockmann — er — er kann es nicht gewesen sein." „Warum, Frau Gräfin?" Diese Frage steigerte auffallend die Verwirrung der schönen Dame. „Er — er wäre jedenfalls ins Schloß ge kommen", stotterte sie. „Vielleicht kommt er noch", meinte Doctor Franz. „Nein, nein", wehrte sie ab. „Er kommt nicht, es war nur ein Blendwerk, eine Täuschung. Sie haben ihn nicht ge sehen." Der Doctor zog die Schultern in die Höhe und erwiderte gelassen: «Mir kann eü gleichgiltig sein." „Aber für den schwerkranken Papa und für mich ist es nicht gleichgiltig, wer die gehässigen Artikel schreibt", fuhr Melanit auf. „Das Machwerk strotzt von Unrichtigkeiten, von Verdächtigungen der gemeinsten Art. Das Mädchen, von welchem die Rede ist, war eine leichtfertige, nichtsnutzige Person, sie war dem Zuchthause entsprungen, wie meine Eltern nachträglich erfahren mußten. Nachdem sie das Ge schöpf au» Barmherzigkeit ausgenommen und längere Zeit gefüttert hatten, brannte die Schwindlerin bei Nacht und Nebel durch unter Mitnahme werthvoller Schmucksachen. Auf ihrer Flucht soll sie einem arabischen Scheik in die Hände gefallen sein. Was später aus ihr geworden ist, haben meine Eltern nicht erfahren ..." Der Doctor hatte dieser Vertheidigungsrede mit höhni ¬ scher Miene zugehört, jetzt reckte er seine lange Gestalt empor, stützte die Hand auf die Lehne des Sessels und begann als bald seine Entgegnung in schneidendem Tone: „Sie waren noch ein Kind, Frau Gräfin Rivero, als sich diese verhäng nißvolle Geschichte in Ihrem Elternhause abspielte. Man hat seine guten Gründe gehabt, Ihnen die Wahrheit zu ver l)eimlichen und ein geschicktes Lügengewebe an deren Stelle zu setzen. Von mir sollen Sie nun den richtigen Thatbe- stand erfahren. Grete, das Mädchen, ist nicht dem Zucht hause entsprungen; sie ward fälschlich der Brandstiftung an geklagt, doch sofort in Freiheit gesetzt, als ihre Unschuld an den Tag kam. Von falscher Scham irregeleitet, gab das unglückliche Mädchen den Lockungen eines gewissenlosen Agenten Gehör. Es ist dies derselbe Herr Krackelius, der jetzt stanz nahe am Schloß Rivero ein einträgliches Cigarren geschäft betreibt. Ohne ihre Angehörigen davon zu verstän digen, vertraute die Grete, die Tochter der Kräuterlene von Wiesenbach, ihr Schicksal dem elenden Seelenverkäufer an, der sie dann auch auf dem nächsten Wege nach Afrika an die Adresse des Herrn Monhardt spedirte. Ihr Vater wolmte damals dort und verdiente ungeheure Summen mii Sklavenhandel. Ich, den, wie Sie wissen, ein böses Geschick früh von Haus und Hof und in die weite Welt getrieben, hielt mich an demselben Orte auf; das gastfreie Haus stand auch mir offen, so kam eS, daß ich bei der Ankunft des jungen Mädchens zugegen war. Wie groß war ihre Uebcrraschung, als sie erkannte, der Mann, welcher sie mit heimathlichem Gruße im fremden Welttheile willkommen hieß, war der Ad lershofer Franz. Sie bildet« sich fest ein, unser Herrgott habe mich ihr zu Liebe nach Afrika geführt, damit sie da einen Freund und Beschützer vorfinde. Von diesem Be wußtsein durchdrungen, erstarkte ihr Vertrauen zu dem Walten der Vorsehung und sie fand sich mit ihrem Geschick zurecht. „Allerdings", fuhr der Doctor mit eigenthllm licher Betonung fort, „war ihre Behandlung auch eine sehr gute. Das gehörte zum Geschäft. Grete wurde sorg ¬ fältig behütet, ihre Schönheit wurde gepflegt, man lehrte sie allerhand brodlose Künste, z. B. die Laute spielen, singen und tanzen, ja man ließ ihr sogar Unterricht in der ara bischen Sprache ertheilen. Für daS Alles beanspruchte man sehr wenig. Sie mußte die Gnädige unterhalten, ihr vor lesen, sie auf ihren Ausgängen begleiten. DaS kluge und
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