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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970705027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897070502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897070502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-05
- Monat1897-07
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Größere Schriften laut unserem Preis- perzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Ertra-Veilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Autgabe, ohne Postbesörderunz >b SO.—, mit Postbesördrruag 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Ksiorge n-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. ^- 337. Politische Tagesschau. * Leipzig, k. Juli. Nachdem der Kaiser nunmehr, wie man annehmen muß, die Nordlandsfahrt angetreten hat und weitere, die Zusammensetzung der Regierung betreffende Ent schließungen in den nächsten vier Wochen nicht zu er warten sind, könnte eS eigentlich von der Krisis still werden. ES wird aber nicht still. Wenn wir vorgestern sagten, eS sei Alles beim Alten geblieben, so waren damit die Regierungsverbältnisse in Preußen und im Reiche gemeint. Dagegen ist die Stimmung im Lande nicht dieselbe geblieben. Sie hat sich vielmehr in Folge der Umbildung«-Action, die deutlich zeigte, daß es in Preußen und im Reiche nicht nur so weiter gehen wird, sondern auch gehen soll, noch ganz erheblich verschlechtert. Nachdem nicht nur die Demokraten, sondern auch Officiöse die Blicke wieder aus die Angelegenheit der Militairstrafproceßordnung gelenkt haben, fließt auch diese Quelle des Aergernisses wieder in der früheren Stärke, und wohin man sieht oder hört, überall zeigt sich die Mißstimmung über die Berliner Politik in einer Stärke, wie sie selbst in den letzten sieben Jahren noch nicht erlebt worden ist. Eine Ausnahme machen nur die Extremconservativen und der zielbewußte Theil der Ul tramon tauen, der in der Verwirrung seinen Weizen blühen sieht. Das klerikal-gesinnte Bürgerthum hingegen, das noch andere Dinge als römische Machtzwecke im Auge hat, ist von derselben Erbitterung ergriffen, wie — es mag uns Recht sein oder nicht, es ist — unsere Parteigenossen im Westen und Süden. Daß die Unzufriedenbeit der National liberalen, die übrigens in Preußen so groß ist wie in Süd deutschland, nicht auf partikularistischer Grundlage entstanden sein kann, wird wohl Jedermann zugeben. Aber selbst ein bayerisches klerikales Blatt, die „Augsburger Postzeitung", sagt, daß das Ansehen des Fürsten B ismarck im Süden in den letzten sieben Jahren stets gewachsen sei. Des Fürsten Bis marck! Partikularisten und Prenßenfresser werden sich an diesem Manne nicht cmporranken wollen. Es ist eben nicht Feind schaft gegen das Reich, sondern ihr Gegentheil, was über die abwirtbschaftende Wirtbsckaft in Berlin den Groll erzeugt bat. Die erwähnte klerikale bayerische Zeitung äußerl auch, eine Regierung, die auf die Unterstützung des Fürsten Bismarck rechnen könne, würde einen außerordentlichen Zuwachs an Kraft und BolkSthümlichkcit gewinnen. Diese Ansicht ist un widerleglich, aber das zielbewusste ultramontane Blatt bätte sie gewiß nicht ausgesprochen, wenn es nicht der festen Zuversicht Ware, daß eine solche Negierung nicht entstehen werde. Warum für einige nicht demokratische Blätter die Fabel von „einem gründlichen Wandel unserer gesammten Politik" und „der Sicherung des RatheS des Altreichs kanzlers" ersonnen worden ist und warum diese Zeitungen hartnäckig an ihr festhalten, wissen wir nicht. Die Ver breiter dieser Täuschung mögen Betrogene sein, ihr Urheber verfolgt aber jedenfalls keine lauteren Zwecke. Es besteht nicht die Absicht, einen gründlichen Wandel herbeizuführen, denn ein solcher bätte persönliche Unter ordnung unter politischen Nothwendigkeiten zur Voraus setzung. Und wenn, was gleichfalls ausgeschlossen ist, die Absicht, den Rath des Fürsten Bismarck zu hören, bestände, so würde ihre Verwirklichung an der Einsicht und Gewissen haftigkeit des Altreichskanzlers scheitern. Nur wer das ganze politische Getriebe übersieht, vermag wohlthätigen Einfluß auf seinen Gang zu nehmen. Ein Mann, der auf gelegentliche Informationen angewiesen ist und weiß, Msntag den 5. Juli 1897. 91. Jahrgang.» daß eine Sachlage in dem Augenblick, in dem sie ihm ge schildert wird, sich ändern kann, der Wird sich hüten, die Rathschläge zu geben, von denen er überdies nicht weiß, ob sie mit Geschick und Thatkraft befolgt werden können. Was nützt es, wenn einem Kutscher, der nicht fahren kann oder nicht fahren darf, wie er sollte, die Richtung auch von dem Wegekundigsten angegeben wird? Fürst Bismarck, der die strengsten Ansichten über die Verantwortlichkeit eines BeratherS der Krone hat, wird sich über Politik nicht con- sultiren lassen wollen wie ein renommirter Justizrath über eine heikle Rechtsfrage, in der der ständige Anwalt ter interessirten Parteien sich nickt selbst zurecht findet. Daß es der „umgebildeten" Regierung in Preußen und im Reiche an einem programmatischen „Curse" fehlt, kann selbst dem Herrn Prof. Delbrück nicht entgehen, und da er sich zutraut, das Fehlende schaffen zu können, so macht er in den „Preuß. Jahrbüchern" den cnrSlosen Männern des neuesten Curses den Vorschlag, sich die Direktive vom Centrum ertheilen zu lassen. Er meint, der „Zickzackcurs", unter dem wir jetzt litten, sei nicht der Ausfluß bloßer Launen, sondern das Ergebniß der schwankenden Majoritäten im Reichstage. Eine feste Majorität aber ließe sich im Nu schaffen, nämlich mit Hilfe de» Centrums: „Ich sehe nur drei Möglichkeiten, wie die Regierung in Deutsch land in der vor uns liegenden Zeit zu führen ist: erstens, so „fortwursteln" wie bisher. Das ist nicht ganz so schlimm wie es scheint: trotz manchem Aergerlichen, was geschieht, muß eine unbefangene Betrachtung sich doch eingestehen, datz das Böseste mehr in Worten und Absichten, als m Thatsachen besteht und daß trotz Allem »ine Periode, die das Bürgerliche Gesetzbuch zu Stande ge- bracht hat, nicht so schlechthin als unfruchtbar und verfehlt angesehen werden darf. Selbst dieser letzte Reichstag hat im Handelsgesetz- buch und im Auswanderungsgrsetz höchst respectable Leistungen aufzuweisrn. Der Hauptfehler ist, daß man auf diesen! Wege nicht schnell genug zu dem unentbehrlichen Ausbau unserer Flotte ge langt. Daher die vielfach herbeigewünschte zweite Methode der größeren Energie. Diese stößt auf das Hinderniß der Reichs» tagsmajorität und da für jede besonnene Ueberlegung die Möglichkeit einer Aenderung dieser Majorität durch Neuwahlen ausge schlossen ist, so bedeutet die größere Energie da» Hinarbeiten auf einen Conflict, auf Gewalt, auf einen Staatsstreich. Ich halte eS für ausgeschlossen, daß Herr von Miquel der Ver treter einer derartigen selbstmörderischen Politik sein könpte. Es bleibt der dritte Weg: eine Regierung mit dem Eentrum. Nicht in dem parlamentarischen Sinne selbstverständlich, daß die Centrumsführer die Minister stellen, sondern in dem Sinne, wie in den siebziger Jahren die Nationalliberalrn die führende Partei bildeten. Schon früher, namentlich in unserem Machest, haben wir daraus hingewiesen, daß die Meeresströmung, die Schiffsiührer mögen noch so sehr widerstreben, das deutsche Staatsjchiff unwiderstehlich in dieser Richtung svrtführt. Herr v. Miquel dürfte brr Mann sein, der, was er zu müssen ein gesehen, auch zu thun fähig ist. Es ist eine bittere Speise, die wir da vorsrtzen, aber es spricht Manches dafür, daß sie gegessen werden muß." Daß Herr Prof. Delbrück mit einem Negimente nach dem Herzen des CentrumS ganz zufrieden sein, mit den nltra- montanen auch die welsischcn und die polnischen Bäume gern in den Himmel wachsen sehen möchte, glauben wir ihm. Aber das übrige protestantische Preußen und Deutschland, soweit eS nickt welfisch ist oderauSGeschäftsinteressen dem Ultramontanis- mus Handlangerdienste leistet, wird sich von dem Herausgeber der „Preußisch. Jahrbücher" sicherlich nicht dazu verleiten fassen, in das preußische Abgeordnetenhaus und den Reichstag feste ultra montane Mehrheiten zu entsenden.Und wie groß auch bie Hoffnung sein mag, die er aus die Fähigkeit und den guten Willen des Herrn vr. v. Miquel zur Führung eines klerikalen Regimentes setzt, jedenfalls würde gerade das Bekenntniß dieses Mannes zu einem von Herrn vr. Lieber dictirten Programme den Ausfall der Reichstags- und preußischen Landtagswahlen jo beeinflussen, daß Has Programm undurchführbar würde. Aber das ist noch nicht dasWichtigste.HerrHr.v.Miqueliltmitseine»!Ver langen nach einem festen ministeriellen Programm gescheitert, nicht wegen deö Inhaltes dieses Programms, sonder» weil es eben ein Progra m m war, das den jeweiligen Ent schließungen des Monarchen Vorgriff. Glaubt Herr Prof. Delbrück, die Abneigung Kaiser Wilhelm's II. gegen ein ministerielles Programm überhaupt würde schwinden, wenn ihm ein solches von der herrschsüchtigsten aller Parteien, nach deren Ansichten alle weltlichen Herrscher nur Lehen-träger der Kirche sind, präsentjrl würde? Fast scheint es so. Nun, daun mag der Herr Professor sein fälschlich an Herrn Or. v. Miquel gerichtetes offenes Schreiben direkt an den König von P reußen richten und ihm den Rath unterbreiten, nicht nur selbst in Preußen seine Herrschaft mit einem römischen Delegaten zu theileu oder förmlich an ihn abzutreten, sondern auch seine fürstlichen Bundesgenossen dafür zu gewinnen, daß im Reiche die Inspiratoren des CentrumS ebenso regieren, wie in Preußen. Wir bezweifeln nicht, daß Herr Pros. Delbrück auf eine solche Immediateingabe die rechte Antwort er halte» würde. In deu Rictzerlaude» beschäftigt sich jetzt Jedermann mit der Zusammensetzung des neuen Cabinets. Alle möglichen Namen schwirren durch die Lust, aber mit Bestimmtheit ist noch kein Canbidat in den Vordergrund getreten. Hier und da läßt wohl die eine oder andere mitregierenwollende Partei einen Aspiranten in den Spalten ihrer Organe schattenhaft verführen; dieses Schauspiel erinnert aber lebhaft an die Vorstellungen, die Papa den Kindern mit der Zauberlaterne giebt. Man hört AH'S und OH'S, Bemerkungen wie: „daS andere Bild war schöner", „dies gefällt mir ganz gut" u. s. w., aber ein entscheidendes Urtheil vernimmt man nicht. Die lst, bemerkt die „Deutsche Wochenzeitung in den N.", bei der bestehenden politischen Unklarheit aber auch erst dann möglich, wenn sich die liberalen Fraktionen bezüglich eine» gemeinsamen Handelns in den Hauptfragen des liberalen Programms geeinigt haben, denn keine dieser Fraktionen ist stark genug, um ohne Uebereinstimmung mit der andern zu handeln ; überdies muß mit der radikalen und der socialdemokratischen Gruppe gerechnet werden. Marschiren alle diese antiklerikalen Elemente unter einer Fabne, kann können sie gegen die klerikale Reaktion 55—56 Stimmen, gegen Getreidezölle 57—58, gegen Schutzzölle, in welcher Form auch, 52—53 Manu in'» Feld bringen. Damit wäre ja schon etwas erreicht. Aber nun kommt der wunde Punkt: die Reformpvlitik des neuen Cabinet». Namentlich in den socialen Fragen werden die Geister des liberalen linken und rechten Flügels heftig auf einander Platzen und unter diesen Verhältnissen wird sich dann gar mancher Ministeraspirant überlegen, ob er al» Puffer dienen soll. Als solcher müßte er eine ganz besondere Widerstands fähigkeit entwickeln, denn die katholischen Organe schreiben ihrer Partei eine vbstructionistische Politik vor; sie rufen: „Obstructionismus sei unser Wahlspruch", eine Politik, die darauf hinzielt, stets und überall, wo ein Geschäfts-Ministe rium etwas Anderes thun will, als Geschäfte verwalten, hindernd zu wirken; zu verhindern, daß eine gelegentliche Majorität thörichte Schritte mache oder neue Steuern ein führe, für welche kein Grund vorhanden ist. Obstructionismus im Interesse des Landes, und dafür haben wir uns die Kraft und Macht erhalten. Die Antirevolutionairen haben fick in ähnlicher Weise noch nicht geäußert und werden Wohl auch nicht in dasselbe Horn blasen, da diese Bedingung nicht in dem vor den Wahlen abgeschlossenen politischen Geschäfts kontrakt ausgenommen war. Ueberhaupt lassen sich die Antirevolutiouaire von ihren Führern keine Route vorschreiben, auf der sie gezwungen sind, mit den Katholiken Schulter an Schulter zu marschiren; das haben sie ja zu Genüge bei den Stichwahlen bewiesen, wo sie, entgegen dem strikten Befehl vr. Abraham Kuipers', entweder den liberalen Candivaten stützten, oder sich überhaupt der Wahl enthielten. Gelingt es nun den Liberalen, in den socialen Hauptfragen, welche das kommende Ministerium ^u lösen hat, wenigstens die Zu stimmung ter avaucirten Elemeute unter den Antirevolu tionairen zu erhalten, so brauchte nicht das gejammte gegen wärtige Ministerium zurückzutreten, sondern müßten nur der Minister des Innern van Houten, der Justiz- und der Kriegsminister ihre Sitze räumen. Die Feier des Jubiläums der Königin von England bat in manchen Kreisen eine Verstimmung zurückgelassen, die an unk für sich zwar ohuepolitischeFolgen, aber immerhin symptomatisch ist, weil eS sich dabei um gewisse englische Rücksichtslosigkeiten gegen die Pflichten internationaler Höflichkeit handelt. So Hal fick beispielsweise der d eu tsch e Botschafter Graf Hatzseldt an den Festlichkeiten der Jubiläumswoche nicht betheilizt. Erst wollte man dies mit Gesundheitsrücksichten in Ver bindung bringen, jetzt sickert aber durch, daß er sowohl als das gesammte diplomatische Corps sich verletzt fühle, unk daS giebt man jetzt als Grund für seine Nichtbetheiligung an. So hat man bei der Flottenrevue das Schiff mit den Bot schaftern und Gesandten dem Schiffe, das die Colonialgäste an Bord hatte, nachiolgen lassen. Die Mitglieder des diplomatischen Corps erhielten, gleichzeitig mit der Einladung zur Rerue, die Verständigung, daß sie 20 Schillinge für die Person für die Beförderung durch die Eisenbahn zu zahlen hätten. Daß der päpstliche Abgesandte beim Festzuge in einem Wagen mit dem außerordentlichen chinesischen Bot schafter fuhr, war Wohl auch keine sehr glückliche Eiutheilung. Dem Abgesandten des König- von Rumänien, General Pencovici, wurde zugemuthet, beim Festzuge zwischen den Vertretern von Hawaii und Korea zu reiten. Der General erklärte jedoch, daß es ihm genüge, mit den Botschaftern unk Gesandten der europäischen Staaten einen Sitz vor der St. Paul s-Kathedrale zu erhalten, und daß er aus das Mit reiten im Festzuge verzichte. Dem Abgesandten des Sultans, Munir Pascha, wurde Major Surtiß zugetheilt, welcher Ossicier im vorigen Jahre die Mission zur Vertheilung der englicheu Unterstützungen an die armenischen Flüchtlinge in Bulgarien übernommen hatte. Den größten tuux pss bat aber der Lord-Mayor von London gemacht, und dieser Zwischenfall ist denn auch i» den höchsten englischen Kreisen srkr übel vermerkt worden. Der Lord-Mayor hat die Ein ladung an den deutschen Botschafter zu seinem Festessen sebr spät ergeben lassen. Es wird zwar behauptet, daß es sich dabei ebenfalls nur um die Vergeßlichkeit eines Beamten handle, und das ist auch wohl möglich. Von einer absichtlichen Kränkung mag nicht die Rebe sein. Aber die Sache wird verwickelter durch die Festrede de- Lord-Mayors selbst, worin ein Hinweis auf die fremden Länder nur von der Freundschaft Italien- und Frankreichs sprach und Deutsch land ganz übersehen wurde. Dies hat sogar den Prinzen von Wales sehr verstimmt und ist von ihm so übel vermerkt worden, daß er das Banket sofort verließ. Nicht nur in Frrerlleton Nanny Trauner. 11) Roman von C. Schroeder. NaLtruck kerdktkn. „Die arme alte Jungfrau", dachte ich, als ich an der ankern Seite des Sees wieder in den Baumschalten trat, „beute hat sich Alles gegen sie verschworen!" Da raschelte es im Gebüsch, und vor mir stand er, blond und blauäugig — der Doclor nämlich. „Fräulein Nannette!" rief er (diesen schrecklichen Namen will er mir aufvrängen) und kehrte wieder um, mich nach Hause zu begleiten. Ich hätte ihm die Mühe gern erspart, aber er bestand darauf. Daß schönes Erntewetter sei, meinte er. Dann, als wir ein paar Minuten geschwiegen, wollte er hastig wissen, wie ich die Life gefunden und Schulmeisters Kleine. Ich antwortete ganz gewissenhaft, bis ich merkte, daß er gar nicht zuhörte. Als ich schwieg, blieb er plötzlich stehen und — oh! es mar entsetzlich! Erst wollte ich nicht daran glauben. Der arme Mann hat den Verstand verloren, sagte ich mir, doch daS war Unsinn. Aufgeregt genug sah er auS, aber nickt wild, und was er hervorstammelte, war kein ver worrenes Zeug, sondern ein ganz klarer, vernünftiger HeiratbSantrag! Ich wünschte mich in die Erde, ich sehnte wenigsten- den Onkel herbei oder sonst einen beliebigen Dritten — es half Alles nichts. Ich mußte antworten — er sah mich so flehend an — und ich antwortete schließlich auch. WaS? Ich weiß eS selber nickt mehr genau, aber er begriff wohl, wo es hinaus sollte, denn er ward sehr blaß und senkte den Kopf. „Ich hätte mir'S denken sollen, Fräulein Nannette", nickte er mit einem traurigen Lächeln, „ich war ein Narr." Damit zog er den Hut und ging. Den 8. August. Heute sah er noch ganz blaß au», und al- er auf der Straße an Onkelchen und mir vorüber mußte, hob er die Augen gar nicht vom Boden. Der arme Doktor! Er thut mir so leid, aber — warum muß er eS sich auch so sürchterlich zu Herzen nehmen? Wie Fritz Trauner sollte er es machen! Der batte schon nach vierzehn Tagen Eine ge funden, die ihn lieber mochte al» Eousinr Nanny. ES giebt ja so viele Mädchen auf der Welt und ganz gewiß auch eines darunter, dem der gute Mann gefällt. Mir ist eigentlich nichts an ihm reckt. Den Bart, den er wie mit einem Gummiband unter daS Kinn gebunden trägt, müßte er sich abrasiren, seine Haare, seine Augen müßte er dunkler färben, den Klang seiner Stimme total verändern und dann — würde ich koch noch tausendmal lieber eine alte Jungfer, als seine Frau! Pfui! wie sich das liest! Bart, Haare, Augen, Stimme — lauter Aeußcrlichkeiten und Nebendinge. Und die Person, die so Gewicht darauf legt? Keine gefeierte Salonschönheit, bitte zu bemerken, kein Fräulein Anna von Hellbronn, dem man es allenfalls noch verzeihen würde, sondern — sondern — wollen das unbedeutende Geschöpf lieber gar nicht näher beschreiben, eS schämt sich so schon genug! Den 9. August. Heute ist mir so trübselig zu Muthe, wie lange nicht. ES scheint auch, daß man es mir ansiebt. Bei Tische wollte Susanne mir ein GlaS Wein ausdräugen, und der Onkel sprach vom Doktor. Ich lachte Beide auS, aber etwas halb herzig, ganz beruhigt sind sie noch nicht. Wüßten sie freilich den Grund meines Kummers, sie wären vollständig beruhigt und lachten mich aus — so herzlich, wie nur möglich. Dies ist nämlich der Grund: Am Ufer keS schönsten See- von der Welt steht ein kleines Märckenschloß — die unwissenden Leute nennen eS «ine Villa. ES hat Thürme, Zinnen und Erker, kurz Alles, dessen ein Märchenschloß bedarf, und als ich selbst noch Märchen las, da kam eS nicht selten vor, daß Blaubart'« Schwägerin Anna vom allerhöchsten Thurm in Tovesangst ihr Tüchlein schwenkte, die Brüder anzuspornen, die endlich — endlich kamen. Auch geschah eS wohl, daß Schneewittchen am Erkerfenster stand und, ahnungsvolle Angst im Herzen, von der Straße her die Staubwolke näher wirbeln sah, die ihr den Vater heimbrachte und die schöne, böse Stiefmutter. Später dann, al» eS Susanne und Onkelchen endlich gelungen war, meine armen Märchen in einen Winkel zu spotten, „um gürtete" in eben jenem Erkerfenster „der greise Krieger" seinen Sohn „mit dem Heldenschwert". „Kehr« nimmer, oder kehr' al- Sieger, Set de- Ruhme- Deiner Väter werth", sagte er ihm. Und — ack Du lieber Gott! — wa» bat sich in den epheuüberrankten Mauern nicht noch sonst Alle- zu getragen! Lauter au-erlesene Phantasiewesen sind dort rin und aus gegangen — weil die Furcht vor -em Rheumatismus, der drinnen spuken sollte, die gewöhnlichen Sterblichen fern- bielt — kein gemeiner Fuß ist meines Wissen- über die Schwelle gekommen in langen, langen Jahren und nun — Ganz ahnungslos bog ich um die Waldecke heute Morgen, kalb in Gedanken hob ick die Augen und bekam einen Stich in das Herz. Alle Fenster meines Schlößchens weit aufgerissrn, Frauen drinnen, die mit Besen hantierten, mit Wasser plätscherten und sckwatzten und lärmten! Schlimmer noch, unter des greisen Krieger« Erker, von dem der Epbeu in langen Fetzen herabhing, eine klaffende Wunde in der Mauer und ruchlose Hände beschäftigt, sie noch zu erweitern! Ich mag wohl ebenso bestürzt ausgesrhen haben, wie ich war, denn der Maurer, den ich anrief, blickte mich ganz erstaunt an. „Was das hier werden soll, wollen Sie wissen, Fräulein?" fragte er, „nun, ein Atelier." „Ein Atelier?! — Für wen?" „Für den, der das Hau» gekauft bat." Verkauft — mein Schlößchen! Ich konnte mich nicht rasch genug umwenden, die Thränen waren mir schon in den Augen. „Und wer — wer ist der Mann?" stammelte ich im Gehen noch bervor. „Ja, den Namen habe ich vergessen", lautete der Bescheid, „aber ein Maler soll es fein und ein berühmter." Berühmt oder nicht— diesen Maler hasse ich! Den 10. August. DaS höbe, dichte Strauchwerk, da» die hundertjährige Heck« vorstellte, wenn im Schloß Dornrö-chen schlief, haben sie weit auseinander gerissen, und durch die Oeffnung poltern mit Backsteinen beladene Wagen — e« ist zum Erbarmen! Ich wollte nur, ich brauchte nicht hin, die greuliche Ver wüstung mitanzusehen, aber ich muß, e» zieht mich unwider stehlich. Den ganzen Nachmittag habe ich im Gebüsch verborgen gesessen und jeder Hammerschlag, jede» Klinken der Mauer kelle ist mir auf'- Herz gefallen. Gegen Abend bekam ich meinen Feind auch zu Gesicht, wenigstens glaube ich, daß er e» war. Unter dem Portal, auf der Freitreppe stand er, mir den Rücken kehrend, und er- theilte Befehle in da» Hau» hinein. E» giebt eine gewisse Männerstimme — al» ich sie zuerst hörte, war ich noch ein Kind, seither haben alle meine Märchenprinzen, meine Ritter und Helden sie gehabt —, sie klingt so tief, so voll und, da- hört man, in jedem, auch dem kleinsten Wort, da» sie redet, ist eine ganz ernste Seele ohne Falsch. Wen sie willkommen beißt, dem hüpft das Herz in der Brust, und wem sie Lebewohl sagt, dem sinkt es schwer vor Traurigkeit. Das scheint übertrieben und ist dock so wahr. Vor noch nicht langer Zeit habe ich eS wieder er fahren. Ein Mann, dessen Namen ich nickt einmal kannte, verabschiedete sich von mir mit einem „Glückliche Reise, mein Fräulein!" und ich hätte weinen mögen. Mit einer solchen Stimme wollte sich dieser Maler bei mir einschmeicheln, aber ich litt eS nicht. Die Hände vor die Ohren pressend, sprang ich blitzschnell auf und wollie fort, da — sah ich etwa» Unerwartete». Nicht zwanzig Schritte von mir entfernt, in der duftigsten lichtblauen Abendtoilette, um da« Goldhaar einen weiß n Spitzenschleier geschlungen, stand die herrlichste Frauengestali, die ick kenne. Mit der rechten Hand hielt sie die Schleppe zurückgerafft, so daß zwei zierliche Füßchen in blauem Atlas sichtbar wurden, die auf den Zehenspitzen schwebten, mit der linken hielt sie da- Zweigwerk auSrinandergebozen, so daß sie einen Blick auf da- Schlößchen gewinnen mußte Minutenlang verharrte sie in dieser Stellung, da machte ick eine unvorsichtige Bewegung. Sie schrak zusammen und fuhr herum. Wir sind einander verwandt, ganz nahe verwandt — in dem Blick, mit dem sie mich maß, war wahrlich nichts davon zu lesen. Der nannte mich ein verächtliches Geschöpf, einen Wurm im Staube, bevor er hinter hochmüthig heradsinkenden Lidern verschwand. Langsam, den Kopf in den Nacken ge bogen, wandte Anna von Hellbronn sich ab und schritt heim wärts — wenn man diese wundervolle, diese unnachahmliche Grazie der Bewegung ein Schreiten nennen kann. Ich weiß wohl, ick sollte sie nickt bewundern, schon dem Onkel zu Gefallen nickt, den e» verdrießt und ärgert, aber —- ich kann mir nicht helfen, wenn ick sie dahinwandeln sebe wie vorhin, die Kleiderschleppe in weichen Falten nach sick ziehend, sanft sich in den Hüften wiegend, nirgends am ganzen Körper eine Ecke, eine barte Linie auch nur, so folgen meine Augen ihr hingerissen. Und am Ende ist ja auch Be wunderung nicht Liede. Entzücken un» buntschillernde, weick und geschmeidig gleitende Schlangenleibrr doch auch, obne daß wir daran denken, Schlangen zu lieben. — Ader da- ist ja ein abscheulicher Vergleich!
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