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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.11.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001110025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900111002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900111002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-11
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Das englische Telegraphenbureau verbreitete bekanntlich aus Tientsin die Meldung, daß das dort gegenüber der britischen und der deutschen Niederlassung auf der anderen Seite des Peiho liegende Gebiet von Rußland annectirt sei, und zwar „KraftdesRechtes der Eroberung". In Berlin ist von einem derartigen Vorgehen Rußlands nichts bekannt, und man hält es für unglaubwürdig, daß Rußland diesen Schritt unternommen habe, nachdem es soeben erst den Grundsätzen des deutsch-englischen Vertrages beigetreten ist, durch welchen Gebiets abtretungen in China ausgeschloffen werden. In Wiener diplomatischen Kreisen wird die ganze Meldung für eine M y sti- f i c a t i o n angesehen, inWashington wird ihr der „Mgdb. Ztg. zufolge direkt widersprochen. Vielleicht handelt es sich um den Erwerb eines Landstreifens, für eine Niederlassung, wie sie Deutschland, England und Frankreich bereits in Tientsin besitzen. Aber auch hierüber steht nichts Sicheres fest. — Auch von der Beschimpfung der britischen Flagge durch Russen, die vom „Standard" aus Shanghai gemeldet wird, ist in Berlin nichts bekannt geworden. Keiue Aenderung der nordamerikanischcn tzhina-Politik. Aus London wird uns gemeldet: Von einer Seite, welch: in enger Fühlung mit der hiesigen nordamerikanischen Botschaft steht, wird versichert, daß auch nach der Beendigung der Präsi dentschaftswahlen eine Aenderung der von Mac Kinley bisher beobachteten Chinapolitik keineswegs eintreten würde. Mac Kinley sei nach wie vor davon überzeugt, daß auf dem bisherigen Wege eine Lösung der chinesischen Streitfragen nicht zu erreichen sei. Es stehe unumstößlich fest, daß die chinesische Regierung, trotz aller Ver sicherungen ihrer Nachgiebigkeit, sich einem ihr unbequemen Machtspruche der Mächte nicht beugen werde, und daß die Letzteren angesichts der zwischen Rußland und Japan beistehen den Ei f e r s u ch t, gar nicht im Stande seien, den Widerstand des chinesischen Hofes zu brechen. Deshalb werde sich Nord amerika nicht dazu hergeben, eine unmögliche Politik zu unter stützen, zumal dieselbe den wahren Interessen der Union zu- wrderlaufe. * Berlin, 9. November. Graf Walder fee meldet: Die Eisenbahn von Schanhaikioan nach Tanshakun ist im Betrieb. Die Wiederherstellung der weiteren Strecke ist bis Mitte December zu erwarten. Tie Colonne Normann ist am 6. November zuruckgekehrt. Die Eolonnc Garioni ent waffnete und zerstreute bei Kuanhsien vier reguläre Batail lone. Wdrhlt.) Ter Gouverneur von Schantung und die Teutscheu. Aus Tschifu, 30. September, wird der „Welt-Corr." ge schrieben: Der Gouverneur von Schantung, Zuanschikai, hat bisher das Bestreben an den Tag gelegt, es in der jetzigen Krisis mit den Deutschen nicht zu verderben. Das geht auch aus einem Briefe seines Freundes, des Generalleutnants und früheren Directors der Militärschule in Tientsin, Jintschang, hervor, den dieser — ein aufgeklärter und ausge sprochen deutschfreundlicher Mann — vor einigen Tagen aus Tsinanfu, der Hauptstadt von Schantung, an den hiesigen deutschen Consul gerichtet hat. Aintschang erklärt darin, er sei vor Zorn außer sich, wenn er an die Ermordung des deutschen Gesandten in Peking denke, und halte die strengste Be strafung der Schuldigen für nöthig. Die Boxerbewegung ver- urtheilt er auf das Entschiedenste und bemerkt, Zuanschikai und er selbst dächten gar nicht daran, Deutschland gegenüber feind selig aufzutreten; der Gouverneur setze vielmehr Alles daran, um zu zeigen, daß er wirklich Frieden wünsche und ein aufrichtiger Freund der Deutschen sei. Demgeckäß werbe in Schantung aucy gegen die Boxer scharf vorgegangen; es seien allein in dieser Provinz bereits über 3000 unschädlich gemacht woroen. — Ferner hat Uuanschikai selbst am 9. d. M. an die deutschen Be hörden ein Telegramm gerichtet, in welchem er sich außerordent lich erfreut und sich über oie Absicht der deutschen Regierung aus spricht, freundliche Beziehungen zu ihm aufrecht zu erhalten. Er betrachte es als seine Pflicht, mit allen Kräften die Ordnung im Lande wieder herzustellen, und sei auf das Eifrigste bemüht ge wesen, für einen wirksamen Schutz der Mission in Po-li-chang zu sorgen. Zwei Mal seien dort Nebellcnschaaren mit Waffen gewalt zurückgeworfen, und seitdem habe an jenem Orte Ruhe geherrscht; neuerdings habe er abermalige Truppenoerstärkungen dorthin entsandt, so daß gegen einen etwaigen neuen Aufstand sofort mit größter Energie vorgegangen werden könne. Er werbe stets Alles thun, was in seinen Kräften stehe, um dem Wunsche der deutschen Regierung, zu ihm in guten Beziehungen zu bleiben, zu entsprechen. — Auch gegenüber dem General gouverneur Chang-chi-tung hat Uuanschikai erklärt, er strebe da hin, den Deutschen in Schantung den ihnen vertragsmäßig zu stehenden Schutz ihres Lebens und Eigenthums, sowie Die Sicherstellung der Deutschland zugestandenen Vorihcile zu garantircn. Vor Krieg in Südafrika. Eine der interessantesten Nachrichten, welche heute vom Kriegsschauplätze vorlicgen, ist jedenfalls die officielle Meldung, daß bis auf fernere Notiz „alle Privattclcgramme nach dem Oranjefrcistaat und dem Transvaal von der Beförde rung auszuschließen sind", so daß also der telegraphische Ver kehr mit den genannten Ländern einzig und allein in den Händen der Regierung ruht. Ob hierin bereits eine der neuen Maß regeln des kommenden Dictators in Südasrita, Lord Kitchener, zu erkennen ist, wird nicht gesagt, da es überhaupt nicht für nöthig befunden wurde, diese sonderbare Anordnung auch nur mit einem Worte zu begründen. Die nächste Folge wird wahr scheinlich sein, daß Privattclcgramme von den beiden südafrikani schen Republiken entweder einer noch viel schärferen Ccnsur und Beschränkung unterworfen werden, oder daß Kitchener in seiner bereits bekannten Manier spcciell mit den Preßleutcn wieder kurzen Proceß macht und überhaupt keine Berichterstattung über die militärischen und politischen Vorgänge den von ihm mit eiserner Faust beherrschten Ländern gestattet. Man genirt sich eben jetzt in England schon überhaupt nicht mehr und nimmt sich nicht einmal mehr die Mühe, die Wahl der gegen die Boeren an gewandten Vergewaltigungs-Maßregeln zu beschönigen oder zu begründen. Man glaubt, die Länder bereits fest in der Hand zu haben, und nunmehr in echt englischer Rücksichtslosigkeit drauf los wirthschaften zu können, so wie man dies in anderen „er oberten Colonien" der schwarzen oder braunen Bevölkerung gegen über immer gethan hat. Der richtige Jingo wird niemals von der Idee abgehen, daß der Boer im Verhältniß zum Englishman nicht bester ist und keine menschenwürdigere Behandlung verdient, als ein Zulukoffer oder dergleichen. Diese Auffassung liegt denn auch mehr oder weniger dem ganzen „Verfahren" gegen die „annectirten und jetzt noch zu pacificirenden" Republiken zu Grunde. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. November. Die in unserer heutigen Morgenausgabe mitgetheilte Er klärung der „Nordd. Allgem. Ztg.", die darauf dinausläuft, der Reichskanzler lehne es zwar ab, auf jede beliebige Anzapfung in der Presse wegen angeblich beabsichtigter Ver ankerung afrikanischer Schutzgebiete im „NeicbSanzeiger" zu antworten, werde es aber im Reichstage an einer deut lichen Erwiderung auf eine etwa an ihn gerichtete Anfrage nicht fehlen lassen, wird hoffentlich die Colonialfreunde im Reichstage nicht davon abbalten, eine solche deutliche Auf klärung zu fordern. Denn ganz deutlich ist die Auslassung der „Nordd. Allgem. Ztg." nickt. Sie behaupte, keine der in Betracht kommenden „Stellen" habe eine Aeußeruug gethan, auö der ans die Ansicht geschloffen werden könnte, eines oder das andere unserer afrikanischen Schutzgebiete ganz oder theilweise zu veräußern; in der „Rhein.-Weslf. Ztg." aber, die behauptet batte, ein Beamter deS Auswärtigen Amtes habe kürzlich geäußert, Deutsch-Südwestafrika sei nur noch Tausch object, war nicht von einer „Stelle", sondern von einer Person die Rede, und daß zwischen Stellen und Personen unterschieden werden muß, hat erst kürzlich der Fall Bueck-v. Wvcdlke bewiesen. Ferner hat die „Rbein.- Westf. Ztg." darauf hingewiesen, daß Cecil Rhodes erklärt hat, er werde TrekS der Boeren nach Deutsch-Damaraland nicht dulden, und daß der Cap minister Gordon Sprigg im Capparlament geäußert hat, die Walfischbay dürfe nicht aufgegeben werden, da die Zeit nunmehr nahe sei, wo das Hinterland, also Dculsch-Südweslafrika, wieder englisch werde. Wie Cecil Rkodes zu seinem Nichtduldenwollen und wie Gordon Sprigg zu seiner Aeußerung gekommen, darüber sagt die „Nordd. Allgem. Ztg." nichts. Man wird also den Reichs kanzler darüber befragen müssen, und zwar um so dringlicher, je leerer die Phrasen waren, mit denen dieser Tage eine osficiöse Feder die Hinweise auf Cecil NbodeS und Gordon Sprigg ablhun zu können glaubte. Beide, so hieß es, seien nicht ernsthaft zu nehmende Persönlichkeiten und aus dem Hinweise des rhein.-wesif. Blattes spreche nur Furcht samkeit und kindische Vorstellungen von der Macht Rbodes". Und doch ist Gordon Sprigg als ein sehr vorsichtiger Mann bekannt und von Cecil Rbodes weiß jedes Kind, daß dieser Mann sich thatsäcklich snrcklbar gemacht, in Südafrika volitisch AlleS erreicht bat, was er sich bisher vorgesetzt. Transvaal und der Oranjefreistaat sind britisch nnd sind es geworden trotz der im Jahre 1896 in London abgegebenen deutschen Erklärung, daß eine wesentliche Aenderung des Status <;uo in den beiden Freistaaten die deutschen Interessen empfind lich verletzen würde. Mau braucht eS daher nickt, wie die erwähnte osficiöse Feder cs gethan, Glauben an „Schauer geschichten" zu nennen, wenn ein Deutscher von Rbodes und seiner Negierung weitere Benachtheiligungen seines Vater landes befürchtet und fick dabei an den Zanzibar-Vertrag erinnert, von dem wahrscheinlich noch kurz vor seinem Ab schlüsse die amtlichen „Stellen" mit gutem Gewissen ver sichern konnten, sie wüßten nichts von ihm. Wie gesagt, die Auslassung der „Nordd. Allg. Ztg." genügt nickt, um die nickt etwa auf eine bloße Gesvensterseberei der „Rhein.-Wesif. Ztg." sondern auf gewichtige Erklärungen von Gordon Sprigg und Cecil Rhoces zurückzuführenve Besorgniß der Colonialfreunde zu beschwiä'tigen. Der Reichstag wird daher nur seine Pflicht erfüllen, wenn er die in Aussicht gestellte „deutliche Erwiderung" des Reichskanzlers baldigst provocirt. — Nicht von dieser, aber von einer anderen Seite muß Antwort auf eine schwere Anschuldigung erwartet werden, die deutsche Publicisten der Absicht beschuldigt, den deutschostafrikanischen Be sitz dem britischen Heißhunger preiszugeben. Die „Rhein.- Westf. Ztg." schreibt nämlich ferner: „Daß zugleich auch Ostafrika liquidier und dem britischen Heiß- hunger preisgegeben werden soll, daß wenigstens Bestrebungen im Gange sind, Stücke von Ostasrika fortzureiben, ergiebt sich schon daraus, daß die englische Clique am Berliner Hof und ihre Finanzmänner sich mehrere Publicisten gekauft haben, welche nach zwei Richtungen hin ihre verderbliche Thätigkeit entfallen. Einmal wird der Gouverneur Liebelt auf das Entwürdigendste heruntergerissen; Licbert will die Centralbahn, das heißt er will die Behauptung des Hinterland«», und dieses Hinterland von Rhodesia bi» nach Uganda soll ja Deutschland an England preisgeben. Zugleich wird in zahlreichen Artikeln und Broschüren versucht, das Hinterland von Ouafrila als gänzlich werthlos hinzustellen, und Deutschland der Rath ertheilt, sich auf die Küste zu beschränken. Tas heißt mit anderen Worten: Großbritannien geht nunmehr ernstlich an den Durch- bruch zwischen seinem nord- und südafrikanischen Reiche." . Höchst wahrscheinlich ist daS eine grobe Uebertreibung deS als leidenschaftlich bekannten PreßorganS. Aber da mit Zanzibar die Schlüssel zu Deulsch-Ostafrika auSgeliefert sind und von gewisser Seile der Zanzibar-Vertrag noch immer als Meisterstück gepriesen wird, so ist es jedenfalls nickt „kindisch", an die Möglichkeit zu glauben, von derselben Seite werde darauf hingearbeitet, dem Schlüssel das Haus folgen zu lassen. Daß hinter solcher Arbeit englisches Geld stehe, glauben wir zur Ehre der deutschen Publicistik nicht; aber es genügt nicht, daß wir eS nicht glauben. Das „Berliner Tageblatt" hat bekanntlich, nachdem die WiederwahlMacKinley's gesichert erschien, es als eine Lebensfrage für die deutsche Politik erklärt, mit dem Staatsoberhaupte der Vereinigten Staaten correcte und loyale Beziehungen zu Pflegen. Wir haben die in diesem Ausdrucke liegende ungeheuerliche Uebertreibung und zugleich auch Selbst erniedrigung gebührend gekennzeichnet. Darüber geräth nun das „Berl. Tagcbl." völlig außer sich und wirft uns vor, den A>w druck „Lebensfrage" absichtlich mißverstanden zu haben. Der Ausdruck habe selbstverständlich nur besagen sollen, daß für die deutsche Politik die Pflege derartiger Beziehungen eine äußerst wichtige sei, aber nicht etwa, daß Deutschland obne derartige Beziehungen dem Untergange geweiht wäre. Wir be kennen uns schuldig, zwar nicht des ckolus schlechthin, aber doch des dolus evoutualis, d. h., wir haben zwar das „Berl. Tgbl." nicht absichtlich mißverstanden, aber wir hätten uns sagen müssen, daß unsere Auffassung Wohl eine mißverständliche sein könnte. Denn nach Jahre langer Lcctüre dieser Zeitung hätten wir aller dings wissen sollen, daß es dem Blatte schlechthin unmöglich ist, irgend eine Auffassung in schlichtes Deutsch zu kleiden. In schlichtem Deutsch bedeutet allerdings das Wort „Lebensfrage", daß, je nachdem ob die Frage in positivem oder in negativem Sinne sich entscheidet, das Leben erhalten bleibt oder der Untergang eintritt. Wenn man aber im Stile des „Berl. Tageblattes" schreibt, so mag ja „Lebensfrage" und „wichtige Aufgabe" ciu und dasselbe bedeuten. Wir haben also dem Blatte die unver diente Ehre angethan, einmal anzunehmen, daß es dasjenige, was es mit dürren Worten sagt, auch wirklich habe sagen wollen. Wenn das Blatt gegen diese Ehre protestirt, so constatiren wir 2?) Der Lundschuh. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck »erboten. „Veit, Du bist ein braver Junge. Und wenn ich jemals im Leben glücklich werde, so sollst Du nicht vergessen sein. Menr Ritterwort darauf. Nun warf sie Dir den Ring wieder zurück. Nicht?" „Ja, Herr. Er war weich eingewickelt in ein Papier." „Und auf dem Papier stand ein Vers von dem Lied, daß Du auf der Burg Hohnack vor Edelinde gesungen, und das ihr so gut gefallen hatte —" Leise singend fiel Veit mit seiner weichen, melodischen Stimme ein: Laß rauschen, Lieb, laß rauschen. Ich acht nit, wie es geh', Ich hab' einen Buhlen erworben Im Veiel, im grünen Klee „DaS war's", fuhr Veit leiser, wie in der Erinnerung ver sunken, fort. „Das Lied sagt, was in ihrem Auge lebt. Darum gefällt eS ihr so sehr gut. Sie versteht, was eS sagen will, und waS man nicht in Worten ausdrücken kann, waS man nur fühlt, tief innerlich, im Innersten des Herzens." „Sie ist mir treu, und der Junker von Hohnack ist ein ver ruchter Lügner, wenn er es anders behauptet", sprach Dicpold mehr für sich, als für Veit. „Treu wie die Erde, Herr. Oh, ich weiß schon die Menschen zu unterscheiden, wiewohl ich noch jung bin. Ich blicke ihnen nur in» Auge und weiß, woran ich bin. Nur einmal habe ich mich getäuscht, als ich den Junker von Hohnack für einen vor nehmen Mann hielt. Und ich bleibe heute noch dabei, daß der Junker von Hohnack kein falscher Mann ist, aber er hat einen Dämon bei sich, einen Teufel in Menschengestalt, dessen schielen der giftiger Blick und dessen heimtückische Rede auch in seiner Brust wieder den Dämon weckt, der ihn zu Grunde richten wird." Ein kühler Wind erhob sich und fuhr leise pfeifend durch die Wipfel der Bäume, deren Kronen über ihren Häuptern rauschend, wie im Traume flüstern, sich bogen, aneinander anschlugen und zu einander hinneigten. Leichte Wölkchen zogen eilig über den Vollmond dahin und verhüllten ihn halb, so daß die beiden Reiter in einem trügerischen Dämmerlicht dahinritten. Ein Hohlweg nahm sie auf, in dessen tiefem Schatten sich Baum wurzeln und Sträucher, gelber Ginster und Wolfsmilch in dichten Gruppen zu allerhand abenteuerlichen Schatten und Ge stalten zusammcnfanden. Immer unheimlicher wurde die Scenerie, immer räthselhafter, zauberischer und ungewisser die Umgebung. Ein schauerliches, banges Ahnen bemächtigte sich der beiden Reiter, je tiefer sie in die Schlucht einritten. Beide schwiegen betroffen, aber zufällig begegneten sich ihre Gedanken auf demselben Gegenstand: „Wird Junker von Hohnack sich dem heimlichen Gericht stellen?" Plötzlich hielten sie vor einem schwarzen Loch, einer Höhle oder einem Abgrund — es war in dem trügerischen Dämmerlicht nicht zu unterscheiden. Eine riesige Ulme stand oberhalb auf felsigem Grund und beschattete mit ihren Zweigen den Eingang. Hier stiegen Veit und Diepold von Andlau von den Pferden und banden sie an einen Baum. „Komm", sagte dann Diepold leise raunend, „und vergiß nicht, daß Du hier vor den heimlichen Richtern bei Todesstrafe die Wahrheit zu sagen hast, und Alles, was Du siehst und hörst, geheim halten mußt „vor Sand und Wind, vor Weib und Kind"." Fröstelnd folgte Veit stumm seinem Herrn in die Höhle. Tiefe Finsterniß umgab sie alsbald, so daß sie zunächst nicht ein mal sahen, wohin sie traten. „Wer naht", ertönte plötzlich eine tiefe Stimme, die Veit schon einmal gehört, aber jetzt wußte er nicht, wo und von wem. Er sah sich um, aber er bemerkte Niemand, der gesprochen haben könnte. „Diepold von Andlau und Veit Led, der Spielmann", ant wortete Diepold dem unsichtbaren Sprecher. „Wohin?" klang dessen Stimme wieder. Endlich gewöhnte sich Veit's Auge etwas an die Dunkel heit in der Höhle, und er sah vor sich ein Paar ernste und feste Augen, die er auch schon irgendwo gesehen. Dann unterschied er eine hohe, breitschultrige Gestalt, in dunkler, talarartiger Kleidung, die sich nur schwach von dem felsigen und dunkeln Höhlengrund abhob. „Durch Nacht zum Licht, durch Kampf zur Wahrheit", ant wortete Diepold von Andlau wieder mit tiefernster Stimme, worauf die Gestalt wieder sagte: „Folgt mir", und vorausschreitend, tiefer in die Höhle ging. Wer war ihr Führer? fragte sich Veit immer wieder. Endlich fiel es ihm ein. Er besann sich wieder auf den sonderbar ernsten und festen Blick, den er in der Nacht nach seiner Flucht aus Rappoltsweiler, an der Leiche seines Vaters, gesehen hatte. Es war Fra Domenico, der Einsiedler der Giersburg. Wie kam dieser hierher? fragte sich Veit. War er auch Freifchöffe der heiligen Lehme? Der Gang, den sie schweigend entlang schritten, senkte sich etwas abwärts. Manchmal merkte Veit, daß er sich wendete. Er mußte in der Finsterniß Acht geben, seine Begleiter nicht zu verlieren. Er hätte sich, wenn er allein gelassen worden wäre, unfehlbar verirrt und sich vielleicht gar nicht wieder hinaus gefunden. Endlich stand man wieder an einer solchen Wen dung. Es schien, als wenn sich der Gang in mehrere getheilt hätte, aber Veit hatte keine Zeit, sich genauer umzusehen, denn im selben Augenblick schlug Fra Domenico einen dunklen Vor hang zurück, durch den Veit in einen durch Kienfackeln er leuchteten größeren Raum sah. „Tretet ein. Ihr steht vor dem heimlichen Gericht", sagte der Einsiedler, und sie traten ein. Den jungen Spielmann überlief ein Schauer, wie wenn er vor etwas Heiligem, Unnahbarem und Feierlichem gestanden hätte. An einer langen, schwarz verhangenen Tafel saßen eine größere Anzahl Männer, die vollständig schwarz verhüllt waren, so daß man nur ihre Augen aus den schwarzen Kutten heraus funkeln sah. Schon das machte einen strengen, eisigen Eindruck. Veit hatte noch nie in seinem Leben etwas Äehnliches empfunden. Er glaubte auf der Stelle verflucht und verdammt sein zu müssen, wenn er diesen Männern auch nur ein einziges un wahres Wort sagte. Ihrem ruhigen Ernst und ihrem ge messenen Wesen nach zu urtheilen, schienen es alle ältere Männer zu sein, die sich voll bewußt des Ernstes und der Heiligkeit ihres Amtes waren. In ihrer Mitte saß der Freigraf, der Vor sitzende des Gerichts, rechts und links von ihm die Schöffen, die Beisitzer. Vor dem Freigrafen auf dem Tisch lag ein Todtenschädel, rechts davon ein Weidenstrick, die „Wied", wie es im Dolksmunde hieß, links ein Dolch mit blitzender Klinge. Die Richter waren alle bewaffnet. Unter ihrem Talar bauschte das Schwert. Als sich Veit von seinem Staunen einigermaßen erholt hatte und sich in dem Raume umsah, bemerkte er Herrn Ulrich von Rappoltstein, der auf einem Stein saß, aber offenbar auch nur als Zeuge geladen war, denn er war in seiner gewöhnlichen Kleidung. Auch Diepold von Andlau und Veit durften sich, nachdem sie neuerdings nach Namen und Zweck ihres Kommens gefragt worden waren, setzen. Daraufhin nahm die Verhand lung sofort ihren Anfang. Der Freigraf staub von ffeinem Sitz auf und ermahnte alle Anwesenden, daß sie über die Vorgänge, die sich hier abspielten, bei Todesstrafe zu schweigen hätten gegen Sand und Wind, gegen Weib und Kind, Recht und Wahrheit zu thun und zu reden hätten, bei ihrem Heil diesseits und jenseits des Todes. Als dies vorbei war, trat einer der Freischöffen hervor, dec mit kurzen, markigen Worten die Anklage gegen den Junke Neidhart von Hohnack, den er vor Gott des Treubruches, des Mordes und der gewaltsamen Freiheitsberaubung wehrloser Frauen und Kinder beschuldigte und sich erbot, die Wahrheit seiner Anklagen durch seine Zeugen zu erhärten. „Ist die Ladung des beklagten Mannes ordnungsgemäß und sicher erfolgt?" fragte der Freigraf. „Sie ist zu dreien Malen, wie in den heiligen Satzungen vorgeschrieben, ordnungsgemäß und sicher erfolgt", antwortete Fra Domenico, der auch als Freischöffe Platz genommen hatte. „Wer führt hier für den Junker Neidhart von Hohnack das Wort?" fragte der Freigraf wieder. Eine tiefe Stille folgte. Noch zweimal wiederholte der Freigraf seine Frage, aber jedesmal erfolglos. Dann wurden die Zeugen vernommen und einzeln von dem Freischöffen, der die Anklage vertrat, bei vollem Namen, Stand und Wohnort aufgerufen und dem Freigrafen vorgeführt. Zuerst mußte Ulrich von Rappoltstein vortreten. In kurzen und klaren Worten erzählte er auf Befragen des Freigrafen, wie der Junker von Hohnack an ihm zum Verräther und Räuber seiner Burg und seiner Familie geworden sei. Nachdem dies geschehen, zog der Stuhlrichter sein Schwert, und Ulrich von Rappoltstein mußte knieend vor demselben zwei Finger seiner rechten Hand auf die blanke Klinge legen, indem er nach der Anleitung des Freigrafen saqte: „Ich schwöre vor Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich den beklagten Mann, Junker Neidhart von Hohnack mit Namen, der ihm zur Last gelegten Verbrechen schuldig weiß." In gleicher Weise verfuhr man mit Diepold von Andlau und Veit Led, der über seine Begegnung mit dem Junker in der Scherwciler Burgruine und am Niederen Thore vor Rappolts weiler Bericht geben mußte. Eine Vertheidigung fand vor dem Vehmgericht nicht statt, wenn der Beklagte, wie hier, weder selbst, noch irgend Jemand, der an seiner Statt die Vertheidigung hätte führen können, er schienen war. Die Urtheilsfindung geschah so, daß der Freigraf einen Freischöffen, der dem Angeklagten mindestens ebenbürtig sein mußte, aufforderte, seine Meinung über den Fall vorzu tragen. Diese Meinung mußte die Zustimmung der Mehrzahl der Freischöffen haben, worauf sie dann vom Freigrafen zum Urtheil erhoben und verkündet wurde. Nachdem auch in diesem Falle die Berathung der Vehmrichter
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