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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030520028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903052002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903052002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-20
- Monat1903-05
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Tabellarischer und Zissernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofserteuannahme 25 L, (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—» ^unahmeschluß für Anzeigen: Ab «ad-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeige« sind stet» an die Expedition zu richten. Die Spedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. Nr. 254. Mittwoch den 20. Mai 1903. 87. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Mai. «ein Pessimismus! Die sozialdemokratische Parteileitung Ber lins hat am vorigen Sonntag ein kleines ArmeeLvrps mobil gemacht, um 900 000 Flugblätter in Berlin und seinen Bororten zu verteilen. Das ist eine achtungswerte Leistung. Der ,,Vorwärts" nimmt sie zum Ausgangs punkte eines voll Hohn getränkten Artikels gegen die bürgerlichen Parteien, die nicht über einen Bruchteil der Opfevwilligkeit verfügten, die es den Genossen" ermögliche, an einem einzigen Tage zur Zeit der Wahlbowegung in einer einzigen Stadt 10 000 Mann auf die Beine zu bringen, um 'diese Stadt und ihre Vororte mit Flug schriften zu „belegen". Unbedingt gestehen wir der So zialdemokratie ihre fest gefügte, militärisch stramme Orga nisation zu, die es ihr möglich macht, aus einen Wink der Parteileitung an einem einzigen Orte und Tage 10 000 Mann zur Wahlagitation ausschwärmen zu lassen. Indes wird man sich nicht verhehlen, daß diese Maßregel doch eigentlich mehr ein Wahl-Paradekunststück ist, um die Reihen der Wahltruppen schon jetzt sehen zu lassen. Die bürgerlichen Parteien können auf derartige Paraden ruhig verzichten, wenn sie nur in aller Stille und ohne Ge pränge die nötige Klein arbeit in intensivster Weise be treiben. Der von einigen Seiten beklagte Mangel einer von der Regierung auszugebenden Wahlparole darf weder einen Grund zur Lässigkeit bilden, noch den Pessimismus in der Weise aufkommen lassen, daß man sich sagt, wie es leider in einigen Wahlkreisen geschieht: „Lassen wir die Dinge jetzt laufen, wie sie mögen; erst wenn im zukünftigen Reichstage die Extremen: die Sozialdemokraten, das Zentrum und die Bündler, die Herrschaft in der Hand haben erst dann werden der Liberalismus und der gemäßigte Konservatismus aus ihrer Wahl müdigkeit aufgerüttelt werden." — Solcher Pessimismus ist die jämmerlichste aller Wahlparolen, noch weit schlimmer als das Fehlen einer Regierungsparoitz; mit solcher Re signation gewinnt man keine neuen Anhänger oder ver mag auch nur die alten bei der Fahne zu halten. Man führt auf solche Weise nur herbei, was man fürchtet. Vor allem gilt es daher, namentlich da, wo Wahlkompromissc geschlossen sind und innerhalb derjenigen Parteien, die auf einen Kandidaten der eigenen Richtung verzichten sollen, deshalb pessimistische Anwandlungen und Lauheit einzu reißen drohen, diesen Pessimismus energisch abzuschütteln. Die Sozialdemokratie lacht über solche Anwandlungen; es fällt ihr nicht ein, ihre Kandidaten auf Herz und Nieren nach ihrer Stellung zu jedem einzelnen Programmpunkte zu prüfen. Jeder ist ihr recht, der die Macht der Partei zu stärken verspricht, und jeden ihrer Gegner verachtet sie, der sich aus kläglichem Pessimismus zu ihrem Helfershelfer macht. Darum möge das Beispiel, das im Westen und im Süden die liberalen Elemente, besonders die National liberalen, durch ihre unermüdliche Tätigkeit geben, vor bildlich auch für Ost-, Nord- und Mitteldeutschland werden. Man suche jetzt nicht mehr nach den inneren Gründen der Wahl- und Partcimüdigkeit, sondern raffe sich zur ent schlossenen Tat, zur Teilnahme am politischen Leben und an der Wahlbewegung zur Kräftigung des nationalen Ge dankens und zur Erhaltung unserer nationalen Errungen schaften aus der Lauheit und aus pessimistischen Betrach tungen auf. Nur durch hingebcnde Tätigkeit läßt sich der politische Pessimismus, eiue der schlimmsten Begleit erscheinungen der jetzigen Wahlbewegung, überwinden! Deutschland und Kanada. In einer Erörterung über den Zollkrieg zwischen Deutschland und Kanada erklärt das „Berliner Tageblatt" es für das zweckmäßigste, eine „abwartende Haltung, mit einer gelinden Anziehung der Kampfzollschraube, je nach der Vergröberung der kanadischen ZvUfeindseligkeiten", einzunehmen, dagegen von einer vollen Ausnutzung der in 8 6 des Zolltarif gesetzes gebotenen Befugnisse abzusehcn. Von der Em pfehlung eines blindwütigen Zollkrieges weit entfernt, möchten wir in Bezug aus diesen Ratschlag doch betonen, daß es unseres Erachtens notwendig ist, einerseits die Dauer des Zuwartens nicht übermäßig auszudehnen, anderseits solche Gegenmatzregcln zu ergreifen, die den kanadischen Kampfzölleu im ganzen entsprechen. Nach dem bisherigen Verhalten Kanadas erscheint cs sehr zweifelhaft, ob eine gelinde Anziehung der deutschen Kampfzollschraube die Kanadier dem Zvllfrieden eher ge neigt machen würde, als eine solche Gegenwehr, die dem Angriffe angcpaßt ist. Manchen wird der Ratschlag einer gelinden Gegenwehr an die Methode erinnern, dem Hunde den Schwanz stückweise abzuschuciden, ein Ver fahren, das jedenfalls nicht notwendig mit friedfertigen Gesinnungen erfüllen muß. Dazu kommt, daß eine dem kanadischen Angriffe nicht völlig entsprechende Abwehr im Auslände leicht als ein Symptom der Schwäche aus gelegt werden könnte und infolgedessen dahin zu führen vermöchte, daß das Beispiel Kanadas leichtherzig auch von andern britischen Kolonien Nachahmung fände. Ge- rade um dieser grundsätzlichen Bedeutung willen ist der Zollstreit zwischen Deutschland und Kanada von der größten Wichtigkeit. Eine wirtschaftliche Macht wie Deutschland, die selbst mit Rußland einen erfolgreichen Zollkrieg in Kürze durchgefochtcn hat, darf sich Kanada gegenüber angesichts der bestehenden Handelsverhältnissc gerade von einem energisch geführten Zollkriege Erfolg versprechen. , Der Kampf um die Schule in Böhmen. Der Nationalitätenkampf zwischen Deutschen und Tschechen findet seinen reinsten Ausdruck iu dem Kampfe um die Schule. Dieser verdient daher unsere ganz be sondere Aufmerksamkeit. Wenn man seine Schwankungen während des letzten Jahres betrachtet, so stellt sich leider heraus, daß dieTschcchcn Dank ihrem fanatischcnDeutschen- haß den Kampf mit größerer Hingabe und somit besserem Erfolge geführt haben als die Deutschen. So wurden die deutschen Gemcindeschulen in den tschechischen Städte» Schtittcnhofen und Prschibram leider um eine Klasse ver mindert, während der Besuch der deutschen Schule in Schwadowitz auf 9 Schüler zurückging, so daß sie wahr scheinlich eingehen wird. Dagegen wurde eine tschechische Schule in dem deutschen Iulienhain gegründet, ebenso eine tschechische Expositur in Umdorf bei Ossegg. Auch grün deten die Tschechen mit mehr als 40 Zöglingen eine Waisen kolonie in Trebnitz, nm die dortige neue tschechische Bürgerschule zu füllen, für die es sonst an Schülern fehlen würde Die Deutschen suchten dem durch Gründung einer Wirtschaftsschule zu begegnen. In ganz Böhmen wuchs die Zahl der deutschen Volksschüler gegen das Vor jahr von 405 712 auf 408 493, die Zahl der tschechischen Volksschüler jedoch von 666638 auf 674 317. Im Bezirke Brür sank die deutsche Schülerzahl von 11640 auf 11161, die Zahl der tschechischen Kinder stieg von 2182 auf 2384, die des Teplitzer Schulbezirks von 1340 auf 1440, die des Saazer Bezirks von 565 auf 784. Dagegen sank die Zahl der tschechischen Schüler im Bezirke Reichenberg von 488 auf 473, im Bezirke Trauten von 218 auf 216, im Bezirke Aussig von 171 auf 107. Von 110 Schulbezirken haben nur noch 21 keine tschechische Schule, im Vorjahre waren es noch 22 rein deutsche Schulbezirke. Chamberlains Pläne. Man wird sich in Deutschland hüten müssen, der letzten Rede des Kolonialministers Chamberlain eine allzu große politische Bedeutung beizumesscn, obwohl sie die Teüdcnz: England und seine Kolonien zu einem einheitlichen großen Wirtschaftsgebiete zu gestalten, deutlich ausspricht. Vorläufig redete Chamberlain in Birmingham nicht als Minister, sondern als Abgeordneter vor seinen Wählern, uüd seine Darlegungen waren zunächst für diese, dann aber, und vielleicht hauptsächlich, aus ihre Wirkung in Deutschland berechnet. In England selbst finldet sich für die Chamberlainschen schutzzöllnerischen Ideen noch kein weiter fruchtbarer Boden. Dieser würde aber ohne Zweifel gut vorbereitet werden, wenn die deutsche Presse auf den Birminghamschen Köder seiner gereizten und herausfordernden Sprache anbisse uüd in gleichem Tone antwortete. Sofort würde sich wahrscheinlich die gesamte englische Presse auf Seiten Chamberlains stellen und in dessen protektionistisches Fahrwasser einlenken — und das ist die Absicht des englischen Kolouialministers, welche er auf dem Umwege von unbegründeten Angriffen gegen Deutschland zu verwirklichen gedenkt. Hinsichtlich Deutsch lands Stellung zu Kanada ist zu bemerken, daß die Ab- wehrmaßregcln zur kanadischen Tarifnovelle im Bundes rat zur Beratung standen vor der Birminghamschen Rede Chamberlains. Eine Beschlußfassung ist unseres Wissens noch nicht erfolgt. — Die unionistische Presse Englands stimmt Chamberlain natürlich kritiklos zu, während die liberalen Blätter von „tollgewordenem Im perialismus" sprechen. Reserviert hält sich "R o s e » bery, welcher immer noch als geistiger Führer der Libe ralen gelten kann. Hierüber wird uns gemeldet: * London, 20. Mai. (Telegramm.) Lord Rosebery hielt gestern bei der Eröffnung der Handelskammer in Burnley eine Rede, in der er mit bezug aus die Freihandelsfrage auSfübrte: Als alter und überzeugter Imperialist würde er keinen Plan, der auf die Einheit des Reiches abziele, verurteilen, ohne ihn geprüft zu haben. Er hoffe, daß die Handelskammer die Vorteile und Nachteile eines solchen Planes kaltblü'iq abwägen werde, ehe sie nach irgend einer Rich- tung hin einen Weg einichlage. Der Fehler Englands in der auSwär« tigen Politik sei die Uniähigkeit, die charakteristischen Bestrebungen anderer Nationen nachsichtig zu beurteile». Es wäre notwendig, unbeeinflußt von der Parteileideiischast und von persönlichen Vor- urteilen, zu erwägen, ob irgend ein praktischer Plan sür die Gegen« seitigkeitstarise mit den Kolonien möglich sei, der die erwartete Wirkung, das Reich zu festigen, habe. Weiter müsse erwogen werden, ob eS möglich sei, das englische Volk zu bewegen, einem System zuzustimmen, das die Kolonien befriedigen würde. Wenn man die Sache vom imperialistischen Standpunkte auS betrachte, io dürfe nicht vergessen werden, daß, wenn schon England bei dem gegenwärtigen Steuersystem nicht imstande sei, seinen Kolonien Tarifvortelle zu gewähren, England tatsächlich die ganze Last der Kosten der Reichsverteidigong trage, wofür dieses Jahr ungefähr 70 Millionen Pfund Sterling ausgewendet worden seien. Wenn eine Bilanz gezogen werde, so dürfe man diesen Faktor nicht übersehen, und mau solle nicht sagen, daß England seine Pflicht den Kolonien gegenüber nicht tue. Ehe die Tarife geändert würden, müsse man die Form einer direkten Vertretung der Kolonien iu der Reichsregierung haben, die in dieser Frage als Führer diene. Er halte dies nicht sür so undurchführbar, als man aonehme. Nicht alle Gewerbe seien unter dem Frrihaudel gediehen. Durch Len Freihandel seien große Landstriche der Bebauung entzogen und die eigen« NahruugSmittellieferuug des Landes verringert worden. Die früher iu den ländlichen Bezirken erwachsene Bevölkerung wachs« dort nicht mehr auf. Er sei keiner von denen, die denken, daß der Freihandel eine Art Bergpredigt sei und als Bestimmung der göttlichen Vorsehung ausgeuommeo werden müsse; andererseits aber sei eine lange, eingehende Erwägung nötig, eh« man da» Steuersystem ändere, unter dem der ungeheuere Handel England» ausgerichtet worden sei, oder ehe England Streit mit seinen Kundeu ansange, die ihm zwei Drittel, möglicherweise drei Viertel seine» Handel» schufen, um sich den Kunden zu verpflichten, der ihm das dritte Drittel oder da» letzte Viertel liefere. Auf den von ihm besprochenen Vorschlag müsse die auswärtige Politik einen wesentlichen Einfluß üben. Er sei keiner von denen, die e» für nötig halte», daß häusliche Abmachungen zwischen den Kolonien und England der Meinung irgend einer außenstehenden Autorität zu unterbreiten seien, doch möchte er auf der anderen Seite nicht verhindern, daß sie den Gegenstand der Meinung einer außen« stehenden Autorität bilden. England werde im AuSlande nicht geliebt; das sei nicht» neue». ES habe stet» Eisersucht und Feindschast gegen England au» dem einen oder anderen Grund« bestanden, es hatte aber stets einen großen Schutz iu der Freiheit seiner Märk'e und müsse daher sorgfältig eine Veränderung er wäge», die in seinen auswärtigen Beziehungen durch irgend eine» gußeiserne» Tarifzaun um da« Reich h«r»»t gxschasse» werden soll, den einige De»ker vorschlüge». In Kanada haben CbamberlamS Aeußerungeu große Aufregung erzeugt. Da» „Reutersche Bureau" übermittelt allerdings bloß zustimmende Kundgebungen, — aber selbst der oppositionelle Führer Borden soll gesagt haben: „Es ist schwierig, die Strömungen der englischen öffentlichen Meinung aus dieser Entfernung zu beurteilen, aber eS scheint unS, als ob die Stunde gekommen ser und mrt ihr der Mann." — Die meisten australischen Zeitungen sprechen sich gegen die Auslassungen Chamberlains aus, während Vie Premierminister und sonstigen Staatsmänner Australien» unter gewisser Zurückhaltung dieselben im allgemeinen billigen. Ter Premierminister von Südaustralien bemerkt, man müsse sorg» fällig erwägen, ob Australien, wenn eS dem Beispiele Kanada folge, nicht mehr verliere, als es gewinne. Der stellvertretende Premierminister von Queensland ist der Ansicht, daß der Verlust an StaatSeinkün,ten, welcher aus dem Bevorzugungs tarif erwächst, ein Hindernis der soforlrgeu Annahme der neuen Politik bilden dürfte. Feurllrtsn. i?j Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck Verbvren. Reinhardt hätte kein Maler und kein Mann sein müssen, wenn ihm dieses Entgegenflammen einer sv um huldigten Frauenseele ganz kalt gelassen hätte. Welcher Künstler auf der Wett ist ohne jede persönliche Eitelleit, besonders wenn er so jung ist, wie Berning, und wenn es ein Weib wie Fürstin Nogin ist, die ihn vor aller Wett in so auffallender Weise auszeichnet? Der getreue Remmingen empfand bei der Sache sehr geteilte Gefühle und lebte in einem ganz ungewohnten Widerstreit, während er die Entwicklung dieser An gelegenheit aufmerksam beobachtete. Einerseits wäre es ihm tatsächlich für Reinhardt als ein großes Glück er schienen, wenn aus diesem zarten Minnespiel eines Tages Ernst geworden wäre. Eine große Leidenschaft, eine mächtig hochlodernde Liebe statt der sentimentalen Grillen fängerei wäre für -en Künstler in Reinhardt gerade das gewesen, was er brauchte, um den letzten Schritt zur Voll endung zu tun, um endlich einmal gründlich mit der Ver gangenheit fertig zu werden. Denn so konnte es doch schließlich nicht weiter gehen. Remmingen hatte sich ja in den letzten Jahren oft genug Mühe gegeben, Reinhardts Augen, die beständig auf einen Punkt in der Vergangen- heit zurückzubltcken schienen, auf die lachende Gegenwart zu lenken, hatte mehrfach versucht, in seinem Herzen ein Feuer zu entzünden, das endlich das Bild ver Erinnerung zu Asche brennen konnte, das doch nur lähmend auf ihp wirken konnte. Aber es war ihm nicht geglückt. Und jetzt schien es ja alles ohne sein Zutun nach seinen Wünschen zu gehen. Weshalb also konnte er ein Gefühl des Un behagens nicht los werden? Nur weil er anderseits seit der Lektüre des verhängnisvollen Romans eine Spur der Verlorenen gefunden zu haben glaubte, und weil er, ehr lich, wie er war, für sein Leben gern dem Freunde das verlorene Glück wiedergeaeben hätte. Er befand sich also, so zu sagen, -wischen zwei Feuern und fühlte sich im aller höchsten Grade unbehaglich in dieser Situation. Eines Abends saßen sie beide zusammen in Reinhardts behaglichem Atelier. Die Sonne stand noch in voller Pracht am Himmel, gleißte und funkelte auf den Dächern der ewigen Stadt und flutete in breitem, rotgolüenem Strahle m den weiten Raum, über die angefaugenen Bilder, Waffen und Stoffe, die in buntem Durcheinander dem Atetier etwas Trauliches und Wohnliches gaben. Reinhardt hatte sich lang aus der Ottomane ausgestreckt, die Füße gegen den Kopf des großen Königstigers gestemmt, der den Boden bedeckte, und blies den Rauch seiner Ciga rette vor sich bin. Remmingen saß ihm zur Seite an dem kleinen maurischen Tischchen, auf dem die Cigarren lagen, und ließ seine Blicke durch das weit geöffnete Fenster hinter den goldumränderten Wölkchen herziehen, die langsam am Himmel dahinsegelten. Er hatte sich vor genommen, heute einmal dem schweigsamen Freunde ganz energisch auf den Zahn zu fühlen; er mußte wissen, woran er eigentlich mit ihm war. Kür das, was er jetzt zu tun vorhatte, brauchte er vor allen Dingen absolute Klarheit, einen durch gar nichts getrübten Blick in das Seelenleben des Mannes, für den er handeln, an dessen Glück er ar beiten wollte! Wie zufällig streifte sein Blick das Bild der Fürstin, das, halb angefangcn, auf der Staffelei stand. „Es ist doch eigentlich ein ganz wundervoll schöner Kopf, diese Vollblut-Römerin mit den metallisch-schim- mernden Augen!" begann er. „Ich habe selten im Leben etwas ähnlich Schönes gesehen. Das muß dich doch ganz über alle Maßen anregen, gerade sie zu maien. Nicht?!" „O gewiß!" antwortete Reinhardt, ohne seine Stellung zu verändern. „Alles Schöne regt mich gleich mächtig an, denn Schönheit ist ja die Lebcnsatmosphäre für alles, was Kunst heißt. Und diese Frau ist wirklich schön!" „Sag' mal — aber du darfst mir, als deinem einzigen Freunde, die indiskrete Frage nicht übel nehmen —, bist du eigentlich nicht doch ein bischen in dieses bezaubernde Geschöpf verliebt?" „Noch nicht", erwiderte Reinhardt, und sah lächelnd den Freund an. „Wirklich noch nicht! Leider!" „Leider?!" „Ja! Denn ehrlichen gestanden, ich gäbe was darmn, wenn ich mich mal so recht grenzenlos, so jugendlich un sinnig verlieben könnte. Und dazu wäre dieser Inbegriff aller Reize doch wie geschaffen. Ich fühle, ich brauche so etwas, wie eine große, bedenkenlose Leidenschaft, die nach nichts auf Erden fragt, die den ganzen inneren Menschen mit fortreißt, gleichviel wohin. Um all das Große zu schaffen und zu geben, was ich möchte, muß ich auch Großes empfinden. Verzeih' den trivialen Vergleich; aber so eine Künstlerseele ist nun mal wie ein Schwamm, der aussaugen muß, damit er gehörig hergeben kann. Aber ich glaube, damit ists mit mir vorbei. Ich komme mir manchmal vor, wie ein Automat, und wundere mich oft über mich selbst, wo ich die Begeisterung für meine Arbeiten überhaupt noch heruehme!" „Dies Bekenntnis überrascht mich eigentlich ein wenig, Reinhardt; denn ich hatte tatsächlich geglaubt, daß die Leute recht haben, wenn sie behaupten, der „deutsche Mater" habe bei der Fürstin Rogni alle ihre feurigen Landsleute aus dem Felde geschlagen." „So? Behaupten das die Leute? Merkwürdig, daß andere doch immer so viel mehr wissen, als wir selber! Ich kann dir nur wiederholen, ich wollte, es wäre so; aber leider bin ich noch weit, unendlich weit davon entfernt. Und soll ich dies ganz offen und ehrlich gestehen — ich ärgere mich darüber, daß es nicht so ist!" Er sprang dabei auf, warf den Rest seiner Cigarette in die kleine Bronzeschale, die auf dem Tische stand und ging mit großen Schritten im Atelier auf und nieder. „Es tut mir gut, wenn ich mich mal mit jemandem auS- sprechen kann, Franz, und allein wollte ich von der Ge schichte nicht anfangen. Aber es ist ganz ersprießlich, wenn man mal zu Zweien vernünftig darüber redet. Lange genug trag' ichs ja mit mir herum. Zehn Jahre meines Lebens gäbe ich darum, wenn mal so eine große, ver zehrende Künstlerlcidenschaft mich packen wollte, die all die weinerliche Sentimentalität in mir gründlich zu Asche brennen wollte. Jahrelang laufe ich herum, wie Hans der Träumer, gehe mit offenen Augen, wie ein Nachtwandler, an allem vorüber, was mich erheben und begeistern könnte, und hänge ewig Dingen nach, die nun mal unabänderlich sind, und mich ganz zwecklos entnerven und verweichlichen. Und warum das alles? Kannst du mir sagen, was das im Grunde für einen Zweck hat?" Dabei war er dicht vor Remmingen stehen geblieben und sah ihn, die Hände in den Hosentaschen, mit einem so trotzigen und gereizten Ge- sicht an, daß Franz unwillkürlich lächeln mußte. „Ja. liebster Mensch, das ist doch nicht meine Schuld! Ich habe dir ja oft genug das Evangelium MerkuttoS ge predigt: Ein Feuer brennt das andre nieder! — Aber was half's? diente sia kare! — Da hab tch's eben auf« gegeben!" „Und ich geb's auch bald aus!" rief Reinhardt, „und mich selbst mit all' meiner künstlerischen Begeisterung werde ich auch anfgebcn müssen, wcnn's noch lange so fort geht! Ich habe mir ja alles tausendmal selber gesagt in langen Monologen, die ich hier oben einsam gehalten habe. Einem Phantom habe ich die schönsten Jahre meiner Jugend, meiner künstlerischen Entwickelung geopfert und bin unablässig unter düsteren Cypressen spazieren ge gangen, statt mich unter Roseubüscheu begeistern zu lassen. Entschuldige, aber ich ha-be dich, meinen besten Freund, mir als warnendes Beispiel in einem fort vor Augen gehalten. Dein ganzes langes Leben bist du deinem Jugendidealr treu geblieben! Und was hast du denn nun eigentlich davon gehabt? — Welchen großen Sieg hast du denn für dich selbst aus diesem Kampfe mit deinem Herzen davon getragen? — Denn jedes Ding muß doch seinen mora lischen oder praktischen Zweck haben! — Du fängst langsam an, ein älterer Herr zu werden, hast weder Weib noch Kind und treibst dich als Garton mit einem heimatlosen Malerjüngling in der Welt umher!" „Sei nicht ungerecht gegen dich, Reinhardt, deine jugendliche Freundschaft gibt mir mehr, als du selber glaubst." „Ach, betrüg' dich doch nicht selbst! Ein dürftiges Surro- gat bieret sie dir für herrlichere, wertvollere Dtnge, um die du dich selber gebracht hast, als es noch Zeit war, mit alten Sachen fertig zu werden. Was wärest du für ein famoser Ehemann, für ein nachahmungswürdiger Vater geworden? Und sie, um die du dir dein eignes Leben verödet hast, ist sich des RiesenopferS, das du ihrem Namen gebracht haft, vielleicht gar nicht mal bewußt, entsinnt sich vielleicht gar nicht mehr des ManneS, dem ihre flüchtige Jugendschwärmerei gegolten! —" „Aber, liebster Reinhardt, besinne dich mal recht, waS du mir sagtest, als ich dir in München bas Bild des Mäd chens zeigte, die ich geliebt. Damals fandest du es be greiflich, daß man nie wieder liebt, wenn man dieser Einen Lebewohl sagen mußte!" „Begreiflich finde ich's ja noch heute! Aber widersinnig finde ich's, und selbstmörderisch im allerhöchsten Grade! Geht mir's denn besser? Ist all das denn nicht auch mein Los, das ich klar vor Augen sehe, ich mag mich dagegen sträuben, wie ich will? — Alles, was ich dir da zusammen, predige, ist ja doch nur Theorie — bis zur Praxis bringe ich'- eben nicht — so wenig, wie du!" „Und doch mußt du dich allmählich durchringen, denn du bist jung, und meine Pflicht als ehrlicher Freund ist eS, dich emporzurütteln. dich vor meinem Schicksal zu be- wahren, denn recht hast du, ein bißchen öde ist es ja um mich herum. Vor dir liegt noch das ganze Leben, dein frischer, innerer Mensch ist noch großer, glühender Gr- regungen fähig, und diese eben brauchst du, wie die Luft, in der du atmest, um das M
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