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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.05.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070524018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907052401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907052401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-05
- Tag1907-05-24
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1 Morgen-Ausgabe 8 BeHnnS-PreiS Anzeigen-VreiS MGWr.TllgMM Handelszeitung Ämtsvtatt des Rates and des Rolizeiamles der Ltadt Leipzig Nr. l!2 Freitag 24. Mai 1W7. * Ein Bruder des Schahs bereitet einen Aufstand vor. (S. Ausl.) * Im finnischen Landtage wurde eiu Jsugfiune zum Borsltzeuden gewählt. (S. ÄuSl.) * Die Braunschweiger Regentenwahl ist vom 27. Mai aus de« 28. Mai verschoben worden. * In Berlin wurde die 41. Delegiertenversammlung deS Vaterländischen Frauenoereins in Gegenwart der Kaiserin abgehalten. (S. DlschS. R.) 1VI. Jahrgang. Hauvt-Filtale Berit«: TarlDu n cker.HerzglBayr.Hofbllchhandlg« Lützowltraße 10 (Tel. Vl, 4603. Me L«tv»ta und Bororte durch aaiere Träger und Gvedlieur« «r )ou» irbracdt: Äus- gab» L nur morgen») aierteliadrlich 1 M., monatlich >. R. ioSaabe j morgen» und abends) oierteliäbrlich 4 SO Lt.. monatlich 1 ÜO M. Lurch die Poft orzogen (I mal täglich) inuerdalb Leui'chlandS und der deutschen Kolonien vleiteljät'rtick 3 M., monatlich > M. ousichl. Pottbesiellgeld, für Öeilerreich-Ungarn vietteljüdrllch b L 4ö k. Abonnement-Annahme: AugustuSvlay 8. bei unseren Trägern. Filialen. Spedilenren und Aanahmesiellea. sowie Postämtern »ud Briefträgern. Li« einzelne Nummer tostet 10 Psg. Aevattton und Srvedttiou: Iodannisgaiie >1. Televh. Nr. ,4692. Nr. 14693 Nr. 14694. Berliner Revatttons-Burran: Berlin dIV. 7. Prinz Louis Ferdinand- Etraße 1. Telrpbon l. Nr. 927'-. bar schön taten, wird dem Großtürken besonders zu denken gegeben haben. „Das Fiasto, das die deutsche Politik in ihrem überseeischen Ehrgeiz 'emacht hat. sowohl in Ostasien als am goldenen Horn, in Marokko wie in Südamerika." Es wäre Unaufrichtigkeit gegen uns selbst, wollten wir es leugnen, daß unsere Politik in manchen überseeischen Fragen der letzten Zeit nicht den Erfolg gehabt hat, den wir ihr wünschten. Die übereilte Preisgabe zuerst Marokkos, dann des Türken in der Akaba-Angelegenheit, das än^liche Schielen nach dem Stirnrunzeln Nordamerikas in südamerikanischen Dingen — das alles sind gewiß keine Großtaten unserer Politik gewesen. Aber ebensowenig sind es Gründe für eine Kriegspolitir gegen England, und es heißt, die Dinge aus den Kopf stellen, wenn der „Observer" diese Thesen zu Grundlagen seiner Folgerungen macht. Weil wir endlich in kühler Ruhe nicht so wollen, wie der westliche Konzern es geträumt hatte, heißc das gleich eine Kriegs politik gegen England treiben? Wenn das Winkslblätter, die am ihr Pennft-Publikum angewiesen sind, aus Reklame- bedürfniS predigen, so lächelt man darüber. Der „Observer" ist aber leider ein Blatt, dessen Meinung keine verschwin dende Schaumblase auf dem Meere der öffentlichen Meinung ist, sondern Tausende von ernsthaft denkenden Engländern sind geneigt, sich seine Trugschlüsse und bewußten Nnau'- richtigkeiten zu eigen zu machen. Die Freude über unsere vereinzelte Stellung gönnen wir ihm, aber wenn er predigt, „das alte Deutschland ist tot. eine neue Generation ist heran gewachsen mit Phantastischem, weltpolitischem Ehrgeiz und dem nötigen Verständnis für eine mit Volldampf voraus eilende Flottenpolitik: die deutschen Frauen sind ebensolche Marineenthusiasten wie die Männer, alle aber sind tief da von durchdrungen, daß England planmäßig auf die Vernich tung deS Deutschen Reiches ausgeht," — so ist Wahrheit und Dichtung hier in trautem Verein. Das alte Deutschland ist nicht tot, aber die heutige Jeneration hat über die engen Zäune des Partikularismus und der Fraktionen hinweg zu schauen gelernt nach Zielen, die zu erreichen für ein Volk von 60 Millionen Köpfen keine Vermessenheit ist. Es ist auch zuzugeben, daß durch planmäßige Agitation, die nicht einmal immer weitsichtig war, seit den Tagen des Buren krieges di« Meinung im deutschen Volke gemacht worden ist, daß man in England überall den Erzfeind zu erblicken habe, und die nicht gerade klug verhüllte Feindschaft, welche ein sonst um di« Pflege des Patriotismus verdienter deutscher Verein aus seinen großen Tagungen predig:, iss ein Bestand teil der öffentliche« Meinung, der nicht nur unserer Re gierung, sondern auch allen kühl und nüchtern Denkenden schon Unbehaglichkeiten bereitet hat. Es war vorauszusehen, daß auch gerade in dieser Psingstzeit das englische Echo den lauten Reden gegen Albions böse Absichten antworten würde. Und es ist schade, daß gerade jetzt, wo man den englischen Journalisten einen besonders herzlichen Empfang zu bereiten gedenkt, und man sich in Deutschland gebärdet, als sei von diesem Besuche eine besonders friedliche Aera der englisch deutschen Preßpolitik zu erhoffen, die Spalte Deutschland in englischen Organen ein Interesse findet, aus das die ehrlichen Freunde guter Beziehungen zwischen Berlin und London am wenigsten rechneten. Der „Observer" macht zwar noch lange nicht Krieg und Frieden, ebensowenig wie bei uns irgend «in Verein, und habe er tausend Gruppen. Aber die Aus legungen des englischen Blattes sind ein neues Zeichen dafür, daß man jenseits des Kanals trotz aller guten Ver- sicherungen der Regierung planmäßig das Volk an den Gedanken gewöhnt, daß eine blutige Abrechnung mit dem verhaßten deutschen Konkurrenten zu den Notwen, digkeiten englischer Politik gehöre. Tas ist das Bedauerliche an der ganzen Sache. Einem von uns wird das besonders schmerzlich jein: Herrn von Tschirschky, der in den ersten Apriltagen so hoffnungsfreudig von den guten Beziehungen zwischen England und Deutschland drahtete. Der „Observer"- Artikel ist eine hübsche Illustration dazu. Wenn wir von den Auslassungen des englischen Blattes an dieser Stelle überhaupt Notiz nahmen, so geschah es nur, um keinen Zweifel darüber zu lassen, wie wir solche Gefühls- ergüsse registrieren. Das einzige, was man solchen versteck ten oder offenen Hetzereien in heutigen Zeiten entgegenstellcn kann und muß, ist eine kühle ruhige Haltung, welche beweist, daß wir uns durch nichts zu Illusionen guter oder schlim mer Art hinreißen lassen. Es ist heute keine Zeit für Opti mismus oder Pessimismus, ebensowenig für Begeisterungen, die laut nach irgend einer explosiven Betätigung verlangen: „Begeisterung ist keine Heringsware, die man einpökelt aus einige Jahre". Was einst durch Agitation und Reden zu Hellen Flammen geschürt werden mußte, ist heute bereits selbstver- stündliche Arbeit geworden, und das Klügste, was unsere Staatsmänner tun können, ist das, sich weder durch wohl gemeintes Antreiben bei uns noch durch Aufreizung von draußen in der Politik beirren zu lassen, die endlich das an zunehmen scheint, was man ihr so lange Jahre gewünscht hat: die Stetigkeit. vir aeuircbe ftriegrpanik. „Wenn man mit dem dümmsten Engländer über Politik spricht, so wird er doch immer etwas Vernünftiges zu sagen wissen." Dieses Urteil des seligen Heinrich Heine ist im allgemeinen auch heute noch richtig, und ohne Zweifel ist der Durchschnitts:ngländer über die Ziele der seinem Vaterlande nützlichsten Politik weit aufgeklärter als jeder Bürger des europäischen Kontinents, den Deutschen nicht ausgenommen. Aber ein großes Fragezeichen muß man hinter den Heinrichen Satz malen, sobald man mit dem echten Engländer über Deutschland redet. Ta trabt er heute noch in dem alten Kreis, der ihm fett des seligen Palmerstones Zeiten vorge- zeichnet ist, und cr kann es noch immer nicht begreifen, daß im Herzen Europas aus dem bunt zusammengeflickten Deutschland von ehemals ein Gebilde geworden ist, das tat sächlich in der Welt mitreden will. Und da dieses Deutsche Reich von heute in den letzten Jahrzehnten mit sanftem Ge brauch der Ellbogen sich seinen Platz auch da gesichert hat, wo der Englishman seine nationale Domäne sah, so hat es in den Augen John Bulls ein Unrecht begangen, für das es früher oder später büßen muß. Tas ist das A und O der englischen Weisheit von heute — nichts Ueberra chendes, nichts Neues. Aber es ist auffällig, daß diese Ueberzeugunq, die bisher nur im privaten Gärtlein des einzelnen mehr oder minder üppig wucherte, neuerdings in den Spalten der einflußreichen Presse immer häufiger abgehandelt wird, daß leitende englische Blätter die kriegerisch« Ausein andersetzung mit Deutschland als ein Faktum hinstellen, das zwar nicht gerade erfreulich, aber unabwend bar ist. Dem englischen Publikum wird häufiger als je zum Break- fast die kriegerische Absicyt Deutschlands ser- viert, der man nach dem alten Spruche mit dem Hieb als der besten Abwehr englischerleits zuvorkommen müsse. Bis her war „Daily Mail" der Choraget, der diesen Kriegsgesang anstimmte. Da aber dessen Hetzereien zu klobig waren, mußte trotz Herrn Clemenceau der englische Unterstaatssekretär Winston Churchill sehr deutlich im Parlament abwinken. Heute ist es der „Observer", der in seinen Leitartikeln die angebliche Tatsache seststellt, daß in Deutschland eine wahre Kriegspanik herrsche, daß bei uns „die amtlichen und militärischen Kreise von der Unvermeid lichkeit einer nahe bevorstehenden kriegerischen Abrechnung mit England überzeugt seien". Und um diesen Satz zu be weisen, stellt der ..Observer" seine Tbesen auf, die uns nichts Neues sagen, sondern zum Teil recht altbacken sind. „Die v«rm«intliche Feindseligkeit der politischen Tätigkeit König Eduards gegen Kaiser Wilhelm" wird als erstes Argument hingestellt. Darüber noch ein Wor* zu verlieren hieße Sand in die Wüste karren. „Die Abrüstungspolitik des liberalen englischen Kabinetts" ist uns nach den bündigen Erklärungen rmserer Regierung völlig Hekuba. „Die Wahrnehmung, daß der Dreibund kür alle politischen Zwecke, d. h. Angriffs- und Verteidigungskrieg, wertlos geworden ist." Wir haben uns nie auf Bundesgenossen verlassen, sie auch nie nach englischem Muster in Kriege hineingehetzt. Im übrigen wissen wir genau, was wir selbst wert sind, und werden trotz Eduard, Äemenceau s tutti gunnti das Gruseln auch heute nicht lernen. «Die Zusammenziehung der britischen Heimatsflotte in der Nordsee." Das ist kein Kriegs grund, und wir können England ebensowenig hindern, seine Schisse zusiimmenzuziehen, als England uns, ein paar Arme«, korps in Lothringen auszmtellen. „Die englische Entente mit Frankreich, Svanien und die Wahrscheinlichkeit einer solchen mit Rußland." Clemenceau kennen wir genau Alfonso auf dem Pulverfaß läßt uns ruhig schlafen, und welche Tonart in Petersburg im Ernstfall genommen werden würde, weiß heute weder König Eduard, noch Herr Clemenceau, noch der Zar. Der Zar kann jedenfalls augenblicklich keinen Krieg brauchen, am wenigsten mit uns. „Das Schwinden de» deutschen An sehen» in Konstantinopel." Wir haben in der Akabaafsäre allerdings nicht klug gehandelt, aber es ist kein gar so un- mögliches Ding, die mohammedanische Welt in englischen Besitzungen von Kairo bi» Singapore aufzurühren. Die längsten Unruhen in Indien sind gewiß selbst für die Herren vom „Observer" ein unangenehme» Menetekel gewesen, und — England darf sich beruhigen — im Orient wird dauernd keine europäische Macht die Politik beeinflussen können. Gerade die Hobe Pforte nutzt jede Konjunktur aus, und Abdul Hamid würde morgen wieder mit uns durch dick and dünn gehen, wenn es ihm nützlich schiene. Und da« die Griechen mit König Eduard and de« italienischen Nach- Var lvicdtigzie vsm rage. * Im Sitzungssaale des Reichstags wurde gestern die 11. General versa mm lung des Deutschen Zen tra l- komiteeS zur Bekämpfung rer Tuberkulose mit einer Reve deS Grafen PosadowSky eröffnet. (S. DlschS. R.) für Inserat« au» Lrivzia a. Umgebung di« 6gespalten« Petitzeil« 2Ü Ps„ finanziell« An zeige« 30 Pf„ Reklamen 7üPs.; von auswärts 30 Pf., Reklamen 1 von» Ausland 50 PI, finan». Anzeigen 78 Pt, Reklamen IHO M. Inserate ».Behörden im amtlichen Teil 40Pf. Beilaqrgebübr 5 M. p. Tausend exkl. Post- aebüvr. weschSstSanzeigeo an bevorzugter Stelle im Preife erhöht. Rabatt nach Tarif. Feuerteilte Aufträge können nicht »urück- grzogeu werden. Für da» Ericheinra an deiiimmtrn Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen - Annahme: Auguftusplatz 8, bei sämtlichen Filialen «. alle» Annonce»- Expeditionen des In- und Auslandes. stullur «na Äirttcdrlk. Auif dem 18. Evangelisch-sozialen Kongreß, der in diestn Tagen in Straßburg abgehalten wird, wurde von Prof. Dr. v. Schulze-Gävernitz aus Freiburg das erste Referat erstattet. Er behandelte das Thema „Kultur und Wirt- schäft", dem der Referent den Untertitel „Tie neudeu-tsch« Wirtschaftspolitik im Dienste der neudeutschen Kultur" ge geben halte. Aus dem weltweiten Zusammenhängen zwischen Kultur umd Wirtschaft führte der Vortragende sein Thema sofort auf den festeren und betretbareren Boden txr Be ziehungen zwischen unserer Kultur und unserer Wirtschaft in der deutschen Gegenwart. Wir sprechen von einer „neuen deutschen Kultur" und stellen ihr damit stillschweigend die „alte deutsche Kultur" gegenüber. Ter Hero« der alten deutschen Kultur war Kant. Kant» Bedeutung besteht darin, daß er di« großen und bis dahin getrennten Hauptsträng« der europäischen Kulturentwickelwng mit starker Hand zur Einheit zusammenzwang: den naturwissenschaft lichen Empirismus der englisch-französischen Aufklärung die überempirischen Werte des PuritanertumS. den schönen Schein der Ronaissance. In den preußischen Reformen sing unser« klassisch« Philosophie ein enge» Bündnis mit oem * In der Hauptversammlung der Deutschen KolonialgeselliLast wurden die Vorschläge aus Aenve» rung der Satzungen einer Kommission überwiesen, die in der am 5. Dezember in Frankfurt a. M. staust denden außerordentlichen Generalversammlung Bericht er- stalteu soll. (S. DlschS. R.) preußischen Staate ein, das erst in Hegel seinem Höheounkt erreichte. Aber neben ihr stand als Vertreter des westlichen reicheren, künstlerisch interessierten Deutschlands eine zweite geist ge Großmacht. Nur einer trat Kant völlig gleich berechtigt zur Seite: Goethe, der Niesenbruder Kants. Goethe verschmolz auf der Höhe seiner Vollendung den wissenschaft lichen, den handelnden und den künstlerischen Menschen zur Harmonie eines allgemeinen Menschantums und lebte jenes Gesamtbcwußtsein der höchsten Werte, das Kant nur lehren durste. In Goethe bildete sich jenes Ziel vor, das, wie er 1323 ausspinch, das deutsche Volk in etwa einem Jahrhundert erreichen sollte — das Ziel, nicht nur Gelehrte fwir können him'zusetzen: nicht nur Beamte, Soldaten, Geschäftsleute usw.j. sondern Menschen zu sein. Genährt an solchen Quellen stürmte der deutsche Genius hinaus in die politische und wirtschaftliche Arena. Aber leider: der menschliche Geist ist nur eine beschränkte Größe, und während unser Reichtum überschwänglich zunahm, verfiel der Acker unseres Stamm gutes der Brache. An die Stelle der alten deutschen Kultur trat die neudeutsche Unkultur. Am lautesten gebärdet sich der Naturalismus, d. h. d:e zur Weltanschauung gesteigerte Naturwissenschaft. Für ü'e praktischem Lebenszwecke ist der Naturalismus unbrauchbar. Er gibt uns keine Antwort aus die brennendste aller Fragen: „Was wir zu tun hoben." Sämtliche Einwände gegen den Naturalismus gelten auch gegen diejenigen seiner Spiel arten, welche sich Marxismus nennt. Bekanntlich vollzieht sich gegenwärtig im deutschen Sozialismus eine Loslösung von der Hegel-Marxischen Grundlage. Diese Wandlung dürfte auf die Dauer von nicht geringerer Bedeutung sich er weisen, als das Vordringen des gewerkschaftlichen Elementes in der Partei. Es ist augenscheinlich, daß man in der Rich tung auf Kant dahintreibt. Ter Mensch ist nun einmal ein handelndes Wesen, und unsere Sozialdemokraten bedürfen als Politiker eines ethischen Hintergrundes. Sie borgen diese Ethik nicht anders als der Durchschnittsliberalismus von der westeuropäischen Aufklärung. Von der Tatsache des individuellen Glückseligkeitsbetricbcs, deS Lust- und Gewinn strebens als einer weitverbreiteten vsychologischen Tatsache, zu einer ethischen und politischen Norm bedurfte es eines kühnen Sprunges. Man mußte den Einzelnen, der das höchste persönliche Glück als einziges Ziel verfolgt, davon zu überreden suchen, daß er sein Ziel am besten erreichen werde, wenn er seine Mitmenschen beglücke. Diese Behauptung schwebt auf naturalistischem Boden in der Luft. Ter moderne Subjektivismus hat das Bündnis zwischen l naturalistischer Weltanschauung und humanitärer Ethik end- I gültig gespannt: Nietzsche. Nm so schmerzlicher empfindet ein entwurzeltes Geschlecht heute das Heimweh nach dcm Mutterboden des Idealismus. Da^ deutsche Volk ist heute jugendlicher als die Kulturnationen Westpreußens. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als die Leitgedanken an seine klassische Vorzeit anzuknüpfen. Ihr entstammen nicht unsere Methoden, wohl aber unsere Ideale., Nnter diesen Idealen steht das soziale Ideal voran. Dasselbe wurzelt im Mittelpunkt der Kantischen Philosophie: „Alle Dinge haben Preis, der Mensch allein hat Würde." In der ganzen Schöpfung kann alles, was man will und worüber man etwas vermag, als Mittel gebraucht werden, nur der Mensch ist Zweck an sich selbst." Niemand scll zum bloßen Mittel irgendwelcher, selbst der besten Zwecke außer ihm, berabgedrückt werden. In dreierlei Richtung haben wir dem sozialen Ideal zu dienen. Voran steht die Verbesserung der materiellen Lebenshaltung der arbeitenden Klassen. Tie meisten neueren Sozialpolitiker halten zwischen staatlicher Regulierung und freier Konkurrenz die Mitte und gelangen zu einer Art „Soziolkapitalismus", welcher den Kapitalismus zwar fordert, aber seinen Eigentums begriff sozial erweicht und seine Auswüchse staatlich be- schneidet. In letzter Linie bandelt es sich darum, die Schätze der deutschen Bildung den Arbeitern zugänalich zu machen. Früher oder später werden die Arbeiter die Mitherrschaft im Deutschen Reiche erzwingen. Um so ernster stehen vor uns Deutschen von heute folgende Fragen: Werden im Jahre 2000 die breiten, gewerkschaftlich organisierten Oberschichten der deutschen Arbeitcrwclt wirtschaftlich gesichert und an- ständig behaust, werden sie körperlich und geistig entwickelt, werben sie von deutschen Kulturgedanken durchtränkt sein? Zur Kultivierung unserer Arbeiter verlangen wir innerhast» der Grenzen deS wirtschaftlich Möglichen eine allmähliche aber allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit. Diese aber ist nutzlos, wenn die Arbeiter nicht durch Erziebuna in den Stand oesetzt werden, ihre Muße richtig zu benützen und innerhalb der verkürzten Arbeitszeit verbesserte und ver mehrte Arbeit zu leisten. Wecken wir den Geist Pestalozzis aus dem Grabe. Neben dem sozialen Ideal steht daS nationale Ideal. Der geschichtliche Menschheitszusammenhang setzt Gemeinschaften voraus, welche die Einzelmcnschen in ihrem räumlichen Nebeneinander wie in ihrem zeitlichen Nach- einander verbinden. Unter diesen Zusammenhängen steht voran die Nation iss dem Sinne, wie unsere Klassiker sie nicht zeitlich aeschaut. wohl aber aedacht und erstrebt haben. Nur allmähl'ch verband sich die Nation mit dem geschichtlich gewordenen Staate. Traut dieses Bündnis rin inniges ic«, muß der Staat der Nation zweierlei gewährleisten: Stärke nach außen, Freiheit noch innen. Lebensbedinaungen der deutschen Nation sind heute ein Landheer allerersten Rannes und eine Flotte, welche dem britischen Vetter Nnariss»- oedanken verleidet. Sozialpolitische wie natwnaltwlitische Ziele verlangen eine bewußte Ford:rung der kapitalistischen Grundlagen der neudeutschen Volkswirtschaft — unter Be schneidung der Auswüchse und Schäden des Kapitalismus durch staatliche Hand und gesellschaftliche Gegenwirkung. In letzter Linie ermöglicht der Kapitalismus uns. an eine weitere Knlturaufaabe bcranzutreten. Ueberall seit Ausgang des Mittelalters war der städtisch-gewerbliche Auf schwung die Grundlage der bildenden Kunst. Noch ein paar Jahrhunderte, meinte Goethe, könnten darüber bingchen, ehe man sagen könne, es sei lange h-r. daß die Deutschen schön- heitsserne Barbaren gewesen. Aber doch glaubte er do» Kommen diese» Tages der Vollendung, da „das Weltall al» an sein Ziel gelangt ausjanchzt". An der Diskussion beteiligten sich namhafte deutsche Ge- lehrte. wie die Professoren B a u m g a r t e n - Kiel, Tröltzsch - Heidelberg, Gregory . Leipzig, Adolf Wagner- Berlin. Während Baumgarten bestritt, daß die Bestrebungen nach einer ästhetischen Kultur wenig mit der wirtschaftlichen Besserung der Arbeiter zu tun hätten, wie» Liz. Tr. Fuchs-Berlin darauf hin, ohne eine neue Aestbetik seien wir nicht in der Lage, da? lammende Geschlecht zu Lebensfreude zu erziehen. Tröltzsch sah die neue Kultur in einer Verbindung westeuropäischer und deutscher Kultur, und forderte, daß der Sozialismus auf geistigem und ethischem Gebiet Platz greifen müsse. Gregory wies auf di« Wichtig, stit des Vorbildes hin, das die oberen Stände als Vertreter einer höheren Kultur geben müßten leider hätten sie diese oft nicht, Adolf Wagner forderte, die Privatkapitalisten müßten sich als Funktionäre des Staates fühlen und sich eine Regulierung ihres Einkommens im Verhältnis zu dem Lohne der Arbeiter gefallen lassen. Friedrich Naumann iührte aus: Gegenüber dem absprechenden Urteil des Refe renten über Häckel und Marx möchte er hervorheben, daß Häckel voll idealen Strebens den Gedanken an den Zu- ammenhaug und die Einheit der Natur wieder aufleoen reh, und daß Marx durch den echt deutschen Idealismus Fichtes, der ihm innewohnte, die Begeisterung unter den Arbeitern erweckte. Der Referent beantworte die Frage, wie die, die nicht im Besitz einer festen Weltanschauung sind, eine neue dogmatische Weltanschauung gewinnen könnten, rahin, daß wir sie in den Ideen der Zeit vor Kant und Goethe längst hatten. Aber die Ideen dieser Männer seien ein steiles Gebirge, zu dessen Besteigung eiserne Kraft und iahr- zehntelange Vorbereitungsarbeit gehört. Möge diese Sprache >er größten Denker erst ins Volkstümliche übersetzt werden, dann werden wir recht bald de» Dolmetscher für die deutschen Ideale finden. Deutsches Keich. Leipzig, 24 Mai. * Die Bekämpfung der Tuberkulose. In der Rede, mit der Graf Posaoowsiy die elfte Generawersammlung des deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose eröffnete, wies cr zunächst auf die bisherige Tätlgkeit d«S Vereins hin, der damit begonnen habe, Heilstätten für er wachsene Luberkellranke zu begründen, dann seine Fürsorge auch den Kindern zuwandle, die sich in Gefahr befinden, der Tuberkulose zu verfallen, und nun bemüht sei, auch solchen Kranken Unterkunft und Fürsorge zu gewähren, die nicht mehr als heilbar oder besserungsfähig zu erachten sind. Ferner unlerstützte der Verein auch die Auskunfts- und Fürsorge flellen, die namentlich die Pflege solcher Kranken fördern sollen, die im Haushalt und in den Familien verblieben. Nachdem Graf Posaüowsky darauf hingewiesen hatte, daß die Ursachen der Tuberkulose jo mannigfache seien, und daß sie in ihrer ganzen Front bekämpfen soviel bedeute, als den Kampf gegen das menschliche Elend überhaupt aufuehmeu, betonte er, daß der Verein mit Rücksicht auf seine Mitt«! fein Bestreben nur dahin richten könn«, die unmittelbare» Ursachen der Tuberkulose zu bekämpfen. Bezüglich der An fechtungen. die den Bestrebungen des Vereins von wissen schaftlicher und praktischer Seite widerfuhren, und in denen behauptet wurde, daß die Heilanstalten den erwarteten Er folg nicht hätten, stellte Graf Posadowsky fest, daß di« Statistik einen Erfolg der Heilanstalten nachweise. Es sei ganz unzweifelhaft, daß in einem großen Prozentsatz der Fälle die in den Heilanstalten ausgenommenen Kranken wesentlich acbessert wurden. Wenn in anderen Staaten nicht in dem Umfange Heilanstalten errichtet seien, wie in Deutschland, so liege der Grund auf finanziellem Gebiete, indem anderen Staaten nickt die reichen Mittel der sozialpolitischen Ver sicherungsanstalten zur Verfügung ständen, wie sie in Deutschland zur Verfügung stehen. Auch der dem Verein gemachte Vorwurf, die Kranken würden in den Heilanstalten verwöhnt und verzärtelt für das zukünftige Arbeitsleben, sei ungerecht. Ter Verein strebe dabin, das deutsche Volk möglichst geiund und arbeitsfähig und damit arbeitslustig und lebensfroh zu erhalten. Generationen würden nötig sein, das Ziel zu erreichen. Aber wenn man auch nur schrittweise fick dem Ideal näbere. könne man ver- tranensvoll und selbstbewußt der Zukunft des deutschen Volkes entgegensetzen. * Ter vozjayrtge Weltpostkongreh, dessen Beschlüsse die Zustimmung ces Reickstags gesunken Hatzen, sieht verschobene Portoermänigungen vor, die vom 1. Oktober ab in Kraft treten. So ist auf Antrag Deutschlands die für uniern innein Verkehr bestehende Gcwicb'Slluse von 20 g für ge» tcklosscne Briefe auch aus den WeltposivereinSverkehr aus gedehnt worden; ferner erhöbt sich für Deutschland die inter nationale Biicslaxe tür schwerere Briese nur um je 10 wird afto um die Hälfte billiger »IS bisher. Auch für Post- anweiiungen und Gclebriefe sind Ermäßigungen der Gebübr«« beschlossen worden, nachdem die Land- und Seelransilgebührcn eine weitere Herabsetzung ersabren babcn. * Engltschcr Besuch in Deutschland. Das englische Komitee zum Studium der stävtftchcn Errichtungen halte beim Be treten des deutschen Bodens an den Käfter eia Telegramm gerichtet. Gellern erbielk der Präsident deS Komitees folgenreS Aniworttelegramm: „Auf allerhöchsten Befehl danke ich dem Komitee für das aus Goch geiandte Telegramm. Seine Majestät der Kaiser lassen dem Stubienkomitee eine« besrredigenken Verlauf seiner Fahrt wünschen and hoffen, daß rie Mitglieder angenehme und nutzbringende Eindrücke in ihre Heimat zurücknehmen werden. Reichskanzler Fürst Bülow." 8. u. H. Deutsche Kolouialgesellkchast. Die gestrig« Hauptvevhandlung wurde vom Präsidenten des Deutschen Flottenvereins Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg er öffnet. Die Zahl der Teilnehmer ist auf über 400 gestiegen. U. a. sind anwesend Guverneur a. D. Leutwein, Gouverneur a. D. von Bennigsen, Prinz Heinrich XXIII., Admiral v. Holleben, Graf Dürckheim vom Deutschen Flottenverei«. Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg begrüßte die Ver sammlung. ES wird dann der Geschäftsbericht vorgelegt, all dem sich ergibt, daß die Deutsche Kolonialgesellschaft weitere Fortschritte gemacht hat. Die Zahl der Mitglieder ist erheb lich gestiegen und ebenso sind die Einnahmen gewachsen. Für die Kolonialjchule in WitzeirA-usen ist ein Betrag von 5000 stl verausgabt, ein gleicher Bctrc^ für die Expedition des Herzogs Adolf Friedrich von Mecklenburg. Zum Ge schäftsbericht meldete sich niemand zum Wort. Es werden dann zunächst geschäftliche Angelegenheiten erledigt, woraus in die Beratung der zahlreichen Anträge eingetreten wird. Ein nicderrbeinisch-westfälischer Antrag will, daß alle d'« zahlreichen Anträge auf Aenderung der Satzungen nicht von der Hauptversammlung erledigt, säubern an eine Kommission verwiesen werden. Es liegen noch genügend andere Anträge vor, die wichtiger seien und besprochen werden müssen. Täe Hauplversammluna habe andere Aufgaben. Kommerzienrat Dr. v. Rupp»München: Die Flut der Anträge zeigt, daß etwas ungesund ist in unserer Ver'assung, deshalb müssen sie besprochen werden. Eine Reibe weiterer Redner tritt für den rheinisch-westfälischen Antrag e'.n. Die Satzun«« müßten vielleicht geändert werden: da» sei richtig, es gab« aber Wichtigere» zu tun und die groß« BersaLmlouq st
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