Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021025022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902102502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902102502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-25
- Monat1902-10
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis f» der tzauptexpedition oder de« im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» ^l 5.50. Durch di, Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlichS, für die übrigen Länder laut Zritungspreisliste. ——— Nedaklion un- Lrpedition: JohanniSgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Filialerprditione«: Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversitätSstr.3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. -—»»»— Haupt-Filiale Vres-eu: Strehlener Straße S. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Berlin: Königgrätzer Straße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 33S3. Abend-Ausgabe. MMer TaMalt Anzeiger. Ämtsblatt -es königlichen Land- un- -es königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Aales nn- -es Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. An zeigen-Preis die sigespaitene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend hoher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung X 70.—» Annahmeschluß sür Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 biS abends 7 Uhr. Druck und Berlag von L. Pol» in Leipzig. Nr 545. Sonnabend den 25. Oktober 1902. 9K. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Oktober. Mit knapper Not ist der Reichstag gestern, am achten Tage der Zolldebatten, dem beschämenden Schicksal ent gangen, seine eigne Beschlußunfäbigkeit feststellen zu müssen. Obstruktion wurde noch nicht getrieben; hätte aber die Linke gestern damit begonnen,so wär es ibr rin leichte» gewesen, bei der namentlichen Abstimmung so viel Mann ins Foyer tu schicken, wie nötig war, um die Sitzung ausfliegen zu lasten. Am DienStag hatten 345 Abgeordnete abgestimmt, am Donners tag waren eS noch 32 l gewesen, gestern war die Zadl der anwesenden Volksvertreter auf 239 gesunken, obwohl man alle erreichbaren herangebolt hatte. Bevor das gelang, war das Hauö tatsächlich beschlußunfähig; eine Zählung der Hüte in den Garderoben um 3'/z Ubr ergab, daß nur 150 Abgeordnete im Hause waren. Die Mebrbeit machte sich schon darauf gefaßt, die Aussetzung der Abstim mung anregen zu müssen, als eS schließlich doch gelang, die erforderlichen Reserven beranzuziehen. Trotzdem war das „Hobe HauS" in guter Stimmung; als der Abg. Singer dem Landwirtschaftsminister v. PodbielSki, der auf seine frübere Tätigkeit als Berichterstatter der Budgeikommission über den Militäretat binwieS, zurief: „Ja, das waren schöne Zeiten!", da entfesselte er einen Sturm von Heiterkeit, der Zeugnis sür die harmlose und anspruchslose Gemütsverfassung der Versammelten ablegte. Daß aber der geeignete Moment der von den Regierungen erhofften Umkehr für die Mehrheit noch nicht gekommen war, bewies die Abstimmung. Es handelte sich um die von der Kommission in den § 1 des TarisgesetzeS eingefügten Mindestzölle für Pferde, die der gewiß nicht antiagrarische Herr v. PodbielSki ent schieden bekämpfte und die trotzdem mit 132 gegen 106 Stimmen angenommen wurden. Ob heute das HauS be- schlußsäbig sein wird, ist sehr fraglich, obgleich die Beratung der Schlachtvieh- und Fleischzölle beginnen soll. Am Montag dürfte die Präsenz der Abgeordneten wieder erheblich höher sein, aber nach Erledigung der Minimalzölle wird eS mit der Beschlußfähigkeit des HauseS wieder schlecht bestellt sein. Beginnen dann auch wieder die Obstruktionsversuche der Linken, so ist das Ende der zweiten Lesung nicht abzusehen. Die offiziösen „Bert. Pol. Nachr." raten daher den Mehr- heitSfraktionen eindringlich an, durch eine Aenderung der Geschäftsordnung weiteren Obstruktionen vorzubeugen. Sie schreiben heute: „Längst schon ist von sozialdemokratischer Seite die Absicht aus posaunt worden, unter Ausnutzung der sür diesen Zweck so günstigen Bestimmungen der Geschäftsordnung die namentliche Abstimmung zum Hemmschuh für die Verhandlungen über die Zolltarifvorlage zu machen, nnd in dem jüngsten Zweikampf Richter-Singer spielte die Absicht, die Verabschiedung der Vorlage durch eine Massenhäusung von namentlichen Abstimmungen zu verhindern, gleichfalls die Hauptrolle. Jetzt ist von den Sozialdemokraten bei der Verhandlung über den Gersten- und Haferzoll der praktische Versuch mit dieser sozialdemokratischen Taktik gemacht worden, indem über einen Schlußantrog, der nach anderthalbtägiger Debatte und nachdem alle Gruppen der Linken zum Wort gekommen waren, eingebracht wurde, auf Antrag von Singer namentlich abgestimmt werden mußte. Da dies den ersten Schritt auf der Bahn nach dem Ziele bedeutet, die Mehrheit an der Durchführung ihres Willens zu hindern und sie zu gunsten der von der Sozialdemokratie geführten Minderheit zu depoffrdieren, so wirst sich von selbst die Frage auf, ob die Mehr heit sich das gefallen lassen oder ob sie nicht vielmehr ihre Rechte energisch wahren will. Daß der allein zum Ziele führende Weg eine Aenderung der Geschäftsordnung ist, welche jedem Mißbrauche der namentlichen Abstimmung zur Obstruktion einen wirk,amen Riegel vorschiebt, unterliegt ebensowenig einem Zweifel, wie, daß die Abänderung der Geschäftsordnung durchführbar ist, wenn hinter ihr dieselbe rücksichtslose Energie steht, mit der man im britischen Unterhause der irischen Obstruktion Herr gr- worden ist. Wie dort, wird man sich hier stark machen müssen, in einer einzigen Sitzung nötigen falls unter Zuhilfenahme der Nacht die von den Sozialdemokraten geführte Opposition niederzukämpfen und die geplante Aenderung der Ge schäftsordnung zum Beschlüsse zu erheben. ZurJnscenierung und siegreichen Durchführung gehören natürlich Entschlossenheit und Zähigkeit, Geschlossenheit und Disziplin bei den Mehrheitsparteien. Aber der Kampspreis ist deS Schweißes der Edlen auch wert. Es handelt sich doch nicht bloß darum, die Verabschiedung der Zoll- tarisvorlage zu sichern, sondern vor allem auch darum, die Ehre und Würde des Reichstages selbst zu wahren und ihn zur Wahrnehmung der wichtigen Funktionen fähig zu er- halten, welche ihm die Verfassung des Reiches zuweist. Wird der Reichstag dadurch, daß die Minderheit ihm ihren Willen auszwingt, von innen heraus lahmgelegt, so fehlt es an der unerläßlichen Voraus setzung sür die Ausfüllung der dem Reichstage in unserem nationalen Gemeinwesen im Interesse der Gesamtheit zugewicsencn Stellung Diese Voraussetzung im Interesse des Reiches ausrecht zu erhalten, ist patriotische Pflicht für jeden, wer immer deutsch-nationales Be wußtsein sich zum Leitstern dienen läßt; sic beseitigen wollen kann nur eine Partei, welche, wie die Sozialdemokratie, nicht nur kein Herz für unser Vaterland und seine Institutionen hat, sondern unserem nationalen Gemeinwesen, dem Reich, direkt feind lich gesinnt ist. Es handelt sich also um die Verteidigung der Fundamente der staatlichen Ordnung, welche die gesamte deutsche Nation zusammenfaßt, gegen Untergrabung durch eine Partei, welche die internationale Revolution auf ihre Fahne geschrieben hat. Deshalb hat die Mehrheit nicht nur das Recht, sondern geradezu die nationale Ehrenpflicht, mit vor keinem Hindernis zurückschreckender, unbeugsamer Energie die Geschäftsordnung so zu ändern, daß ihr weiterer Mißbrauch zu Obstruktionszwecken ausgeschlossen ist. Vielleicht genügt eS auch schon, wenn die Sozialdemokratie die Ueberzeugung gewinnt, daß die Mehrheit fest entschlossen ist, um jeden Preis die Obstruktion niederzukämpfen; aber auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird dir Mehrheit, wenn sie den festen Willen hat, die von den Sozialdemokraten geführte Minderheit durch entsprechende Aenderung der Geschäftsordnung in ihre Schranken weisen können." Bekanntlich ist diese Anregung nicht neu. Wahrscheinlich aber wird sie ebensowenig Erfolg haben, wie früher. Be sonders daS Zentrum dürfte wenig Neigung verspüren, die Hand zur Einführung von „Maulkorbbestimmungen" zu bieten. Es könnten dock einmal Zeilen kommen, in denen die klerikalen Herren froh wären, auch ihrerseits Obstruktion treiben zu können, und das Zentrum ist nicht die Partei, die sich auS Rücksicht auf die Allgemeinheit einen Riegel vor schiebt. Auch die gehorsam in den Spuren der Führer deö Bundes der Landwirte wandelnden Konservativen werden nickt gewillt sein, dem Rate zu solgen. Und da dieser selbst verständlich bei den Sozialdemokraten und den F>eisinnigen beider Schattierungen auf schärfsten Widerstand stößt, wo soll sich da eine Mehrheit für seine Ausführung finden? Die von dem Bunde -er Landwirte geforderten Zollsätze im Zusammenhänge mit der Wiederherstellung des Kirchen staates nennen zu hören — daS mackt zunächst einen eigen tümlichen Eindruck. In welchem Grade aber daS Recht hierfür vorhanden ist, lehrt auf daS wirksamste das führende rheinische Zentrumsorgan. Letzteres begleitet in seiner Nummer 945 vom 23. d. M. den Zollsatz des Bundes der Landwirte mit einem Kommentar, indem eS sagt: „Ter Bund siebt seinen Ehrgeiz darin, kräftiger als olle anderen aus Len Tisch zu fcklagen; ob er etwas erreicht, ist ihm Nebensache, weil er nicht gegründet ist, um positive Politik, sondern um Agitation zu treiben. Das Publikum, welches er zu gewinnen sucht, ist nicht -äs Parterre der besonnenen Leute, sondern die tumultuierendeGalerie. Das Zentrum hat den Wunsch, seine Ziele in der Gesetzsamm lung niedergelegt zu sehen« Dem Bunde der Landwirte kommt es mehr auf Mitgliederbeiträge an, und darum muß er in seinem Laden Artikel auShängen, die am meisten ziehen." Das ist ebenso richtig gedacht, wie hübsch gesagt. Aber — „es sind nickt alle frei, die ihrer Ketten spotten!" Wir denken dabei weniger an die vom Zentrum trotz der Re gierungserklärungen immer noch vertretenen Agrarzölle, ob gleich auch in bezug auf sie dem Zentrum der gleiche Vor wurf gemacht werden kann, den die „Köln. Volksztg." dem Bunde der Landwirte wegen seines 7,50-Mark-Zolles mackte. Vor allem jedoch verdient die klerikale Progaganda sür die Wiederherstellung des Kirchenstaates die Kennzeichnung, die daS rbciniscke Zentrumsorgan dem Bunde der Landwirte wegen seines Zollsatzes zu teil werden läßt. Hierauf lenkt die „Köln. Volksztg." in ihrer Nummer 946 vom 24. Oktober selbst die Aufmerksamkeit. DaS rheinische ZcntrnmSblatt polemisiert dort mit großer Schärfe gegen die Auffassung, daß der Papst, trotz der kn chenfeindlrchen Politik Frankreichs, gegen die Republik deswegen nicht mobil mache, weil er noch immer von Frankreich die Wiederherstellung des Kirchen staates erhoffe. „Könnte Frankreich denn das? Würden die übrigen Großmächte Gewehr bei Fuß zuschauen? Und weiß außerdem nickt jedermann, daß Frankreich ganz andere Ziele im eigenen Interesse im Auge hat, wenn es wieder einmal zu den Waffen griffe?" — So fragt die „Köln. Volksztg." und fährt fort: „Nein, so unerfahren ist man im Vatikan wii klick nicht, daß man an solche Phantaste reien glaubte." — Ist es etwa eine geringere Phantasterei, die Wiederherstellung des Kirchenstaates von dem guten Willen Italiens ober von dem Eingreifen einer andern Macht m erwarten? Trotzdem erleben wir eS Jahr sür Jahr, daß die Generalversammlung der Katholiken Deutschlands sich in langer Resolution sür die Wieder herstellung des Kirchenstaates ausspricht. Auch dieser Be schluß kann nickt für das „Parterre der besonnenen Leute", er muß vielmehr für die „tumultuierende Galerie" bestimmt sein. Denn nack der obigen Auslassung der „Köln. Volksztg." zu schließen, düiftcn sich die leitenden klerikalen Kreise über den phaniasliichen Charakter der Resolution zu gunsten der Wiederherstellung deS Kirchenstaates nicht im Unklaren befinden. In Paris finden gegenwärtig zwischen dem fran zösischen Kriegsminister und einer von der Kammer ein gesetzten Kommission Beratungen statt, welche die Aufgabe einiger innerhalb der Weichbildgrenze gelegenen Festungswerke und die Fortführung, bezw. Vervoll tommnung der Befestigung von Paris betreffen. Gemäß einem von der Regierung der Kammer vorgelegten Gesetz entwurf sollen die Befestigungen, Kasernen, Fortifi- kationsgebüude u. s. w. in der Nähe des Bois de Voulogne abgebrochen und das frei werdende Gelände veräußert werden. Ein beträchtlicher Teil der aus diesen Ver käufen sich ergebenbenMltlel wird, wenn die im Entwurf ent haltenen Bestimmungen Annahme mrd Anwendung finden, für die Errichtung einer neuen äußeren Ver- schanzungslinie verwendet werden, die sich im Norden und Nordosten der Stadt von der Seine zwischen den Forts St. Denis nnd Aubervilliers biuziehcn und bei Pantin an die dort bereits vorhandenen Anlagen sich anschließeii wird. Ein weiterer Betrag von 6 Millionen Francs ist für den Bau von Kasernements u. s. w. als Ersatz der zum Abbruch gelangenden militärischen Gebäude in Aussicht genommen. Wie berichtet wird, haben die bisherigen Verhandlungen zu einer endgültigen Beschlußfassung über die in der Regierungsvorlage enthaltenen Bestimmungen noch nicht geführt, vielmehr ist von der Kommission die Teilnahme des KinanzministerS an den weiteren Be ratungen als erwünscht bezeichnet worden, nm über die finanzielle Seite des Projektes nach allen Seiten Klarheit schaffen zu können. Demgemäß werden die Beratungen der nächsten Woche in Gegenwart der Minister des Krieges und der Finanzen geführt werden, so daß eine Entschei düng der in militärischer wie wirtschaftlicher Beziehung wichtigen Angelegenheit demnächst zu erwarten sein dürste. Neber eine Verschärfung der Lage in Transvaal wird der „Intern. Korr." aus Brüssel, 23. Oktober, geschrieben: In Boerenkrcisen wird versichert, daß in den letzten Wochen ivieder stärkere Abteilungen be waffneter Bveren in den westlichen Teilen von Transvaal aufgetreten sind. Bei der allgemeinen Unterwerfung der Boeren sind etwa 200 bis 300 Mann, größtenteils Kap- Holländer, unter Waffen geblieben, die sich, in kleine Trupps zerteilt, nach Betschuana-Land zurückgezogen hatten. Das Kommando Van Zuls hat, wie kürzlich ge meldet, ausdrücklich eine Unterwerfung abgelehnt. Viele, Boeren und besonders jüngere und solche Ausländer, denen der Aufenthalt in Südafrika erschwert werden soll, haben wieder zu den Waffen gegriffen und die Frei korps im Westen verstärkt. Offenbar sind noch an vielen Stellen vergrabene Waffen und Munitions lager vorhanden, mit denen sich die Unzufriedenen leicht ausrüsten können, soviel aber ist sicher, daß sehr viele Boeren über das Verhalten Milners im höchsten Maße erbittert sind und offen erklären, daß s ie sich d » r cb den Friedensvertrag nicht mehr ge hn n d e n f it h l e n , da die Engländer den Vertrag eben falls gebrochen hätten. Tatsache ist, daß Milner die Boeren in jeder Weise zu reizen und zurückzusctzen sucht, weil er dadurch die „loyale" Minen-Beoölkerung in Johannesburg und dem Randgebiete, welche über die in Aussicht stehende Besteuerung der Minen aufgebracht ist, entschädigen will. Man sagt, Milner habe der Regierung einfach erklärt, jedes Zugeständnis an die Boeren treibe die loyale Bevölkerung in die Opposition, und eine Heran ziehung der Minen zu den Kriegskosten sei ganz unmög lich, wenn man gleichzeitig -ie Boeren aus Staatsmitteln Feuilleton. Compania Carndor. 22s Noman von Waldemar Urban. v«rtolei>. Fräulein Ewald saß so ruhig wie ein Bild und atmete kaum. Sie staunte wie vor einem Wunder. Es war auch eins, was sie vor sich sah. Dieses zurückkehrende Bewußt sein bei einem schon Anfgegebencn, dieses allmähliche Ge sunden vor« Leib und Seele, diese Wiedergeburt war sür sie ein Vorgang höchster Spannung. Nach einer Weile öffneten sich seine Augen wieder und diesmal fiel sein Blick direkt auf sie. „Elise!" murmelte er leise und erstaunt, wie für sich selbst. „Wünschen Sie etwas, Herr Habicht? Wollen Sie etwas zu sich nehmen?" Sie trat rasch herzu und brachte ein Glas mit Cham pagner und Eidotter an seine Lippen. Er trank von diesem stärkenden und lebenweckenden Getränk mit einem tiefen Behagen. Dann strich er leise, wie zweifelnd über ihre Hand. Fräulein Ewald wurde über und über rot und trat rasch zurück. Er schien das aber gar nicht zu bemerken lind fuhr in seiner nachdenklichen noch unsicheren Art fort: „Sie sind es wirklich, Elise. Ich fühle es. Das ist Fleisch. So träumt man nicht." „Warum soll ich es denn nicht sein?" entgegnete sie lächelnd. „Ich dachte, es wäre wieder ein Traum, wie in der Nacht." „In der Nacht war ich ja gar nicht da. Das war Ihre Frau Mutter, die Sic in der Nacht gesehen haben." „Meine Mutter ? Warum nicht gar. Nein, nein. Ich habe Sie gesehen. Ich werde Sie doch von meiner Mutter unterscheiden können." „Ich war ja aber doch in der Nacht nicht da." „Dann war eS eben am Tage oder ich habe es ge ¬ träumt. Ist das möglich? Wie kann man solches Zeug träumen?" „Beunruhigen Sie sich darüber nicht." „Nein, nein! Ich muß Ihnen daS erzählen. ES war zu komisch. Denken Ti« sich,Elise, ich träumte, ich hätte krumme Beine, und wenn ich in der Sonne stand, machten meine Beine einen Schatten wie eine Skull." „Ach das will ich ja gar nicht wissen", protestierte sie mit einem schlecht unterdrückten Lachen. „Doch, doch", entgegnete er hartnäckig und mit auffallen dem Ernst, „das sollen Sie missen, Elise, das müssen Sie wissen? Hören Sie nur zu. Ich war natürlich furch bar ärgerlich über meine krummen Beine. Alle Leute halten gerade Beine und auch ich hatte bisher immer solche gehabt und nun waren sie auf einmal krumm und alle Welt lachte mich aus. Ein solcher äußerlicher Defekt ist viel unange nehmer als ein innerlicher und die Leute sagen mit Recht: Schlecht ist besser als bucklig. Ich hätte schlecht, geizig, schmutzig, hinterlistig, egoistisch, herzlos sein können, das wäre alles nicht so schlimm gewesen, als meine krummen Beine!" „Oh, wie können Sie so etwas sagen!" „Im Traum, Elise. Im Traum gehen die Dinge eben nicht sehr vernünftig zu. Ich lief also fort und wollte keinen Menschen mehr sehen, weil sie mich alle auSlachten. Uno immer und ewig grübelte ich und fragte mich: Wie wirst du deine krummen Beine los. Plötzlich itand ich in einer wüsten trostlosen Gegend am Meer, einem öde«:, fruchtlosen Felsgcstade und fror entsetzlich." „Tas Meer ist wahrscheinlich die Badewanne dort, in die Sie der Doktor warf, wenn das Fieber gar zu hoch stieg." „Das mag sein. Hören «ie nur weiter, Elise. Es war gräßlich am Meer. Wenn ich dem Wasser zu nahe kam, drohten die Wellen, mich zu verschlingen und am Lande hörte ich von weitem die wilden Tiere brüllen, die mich fressen wollten mit samt meinen krummen Beinen. End lich ging die Sonne auf und da kamen Sie, Elise, mit einem Plätteisen in der Hand." „Mit einem Plattesten?" fragte sie erstaunt. „Ja. Ach", sagten Sie, „das ist weiter nichts. Das wollen wir schon wieder gerade plätten" und wirklich plätteten Sie meine Beine wieder gerade, als ob cs ein Paar Hosen gewesen mären." „Ach, das ist ja alles Unsinn!" lachte sie leise. „Ich erzählte Ihnen genau, wie eS war, im Traum natürlich. Was kann ich dafür, wenn cs nicht vernünftiger zuging? Aber, Elise, ich meine, eS wäre vernünftig genug und man könnte es sogar für recht bedeutsam halten, wenn man wollte." Sie wurde wieder rot biS hinter die Ohren. „Sie dürfen sich nicht so aufregen, Herr Habicht", sagte sie eifrig und geschäftig, „ich will Ihnen lieber etwas vor lesen, wenn Sie wünschen. Das wird Sie beruhigen." „Ja, ja, «beruhigen", murmelte er vor sich hin und sic las ihm den sogenannten Leitartikel der.... schen Zeitung vor, wobei er dann auch prompt cinschlief. Als in den Abendstunden Fran Gertrud zurückkchrte, um ihrerseits die Wache bei dem Kranken zu übernehmen, erzählte ihr Fräulein Elise freudestrahlend alles, was vor gefallen. „Er hat mich erkannt. Frau Habicht", wiederholte sie mehrere Male, so genau wie ich Sie erkenne und er hat mir seinen Traum erzählt." Frau Gertrud küßte sie gerührt auf die Stirn. „Ich werde Ihnen nie vergessen, Fräulein Elise", sagte sie in eigentümlicher Weise bewegt, „was Sie in schwerer Zeit an uns getan haben." „O, das versteht sich doch ganz von selbst. Was ich getan und tun konnte, hätte jedermann an meiner Stelle getan." „Wer weiß. Aber auch gesetzt den Fall, daß jedermann das getan hätte, so haben Sie dabei doch einen Erfolg ge habt, -en schon nicht jedermann, sondern nur Sie haben konnten." Fräulein Ewald wollte etwas erwidern, wurde aber dann plötzlich so verlegen, daß sie bestürzt schwieg und sich geschäftig abwandte, um ihr Erröten zu verbergen. „Indessen habe ich auch eine gute Neuigkeit für meinen Sohn, von der ich glaube, daß sie ihm sehr wohl »un wird", fuhr Fran Ckrtrud leise fort. „Darf man davon wissen, gnädige Kran?" fragte Elise. „Nun, eigentlich noch nicht. Es soll eine Weihnachts überraschung werden, aber Sie gehören ja doch so gut wie zur Familie und Ihnen darf ich cs wohl nicht ver schweigen." Gespannt und fast ängstlich sah Elise sie an. „Eine Weihnachtsttberraschnng? Also eine Verlobung?" „Wie Sie das so rasch herauSgefunden haben", rief Frau Gertnrd erstaunt lächelnd, „aber es handelt sich nm meine Tochter Luise. Sie ist heute nachmittag von Straß burg zurückgekvmmcn." „Fräulein Luise wird sich verloben", heuchelte Fräulein Ewald erstaunt — sie wußte natürlich schon längst von dieser Angelegenheit. — „Und mit wem?" „Nun, natürlich mit Hauptmann von Wehlen. Es ist schon alles in Ordnung. Herr von Wehlen kommt währen der WeihnachtSfeiertage hierher. Ach Gott, wenn nur der Himmel wollte, daß Lorenz bis dahin wenigstens soweit gesund wäre, daß er zu uns übersiedeln könnte." „In Ihr Haus? Am Marienplay, gnädige Frau?" fragte Fräulein Ewald etwas verlegen. „Ich. ich hoffe, daß er es tun wird. Glauben Sie nicht?" „Ich weiß es nicht, gnädige Frau." „Aber er kann doch unmöglich in seinem Zustand nach der schrecklichen Junggesellenbude, wo er bisher war, zu- rückkehren?" „Er kann ja hier bleiben." „Nein, nein. Fräulein Elise. Wir haben Ihnen schon so viel Mühe und Ungclegenheiten gemacht —" „O, sprechen wir nicht davon, gnädige Fran. Sie wissen nicht wie freudig und gern ich diese und noch viele größere Mühen auf mich nehmen würde, wenn ich damit auch nnr ein wenig Erleichterung und Besserung für den Kraulen schaffen kann. Lassen wir das also ruhig, bis die Zeil kommt, wo Herr Habicht selbst darüber entscheiden kann." Frau Gertrud sah sich rasch nach dem Kranken um, nn: sich zu überzeugen, daß er noch schlief, dann nahm sie Fräulein Ewald bei der Hand und führte sie in die ent fernteste Ecke des Zimmers. „Sie müssen ihm zurcdcn, zu uns zu kommen, Fräulein Elise", flüsterte sic ihr leise zu. „Ich, gnädige Frau?" „Ja, natürlich, Sic und niemand sonst kann das. Sie wissen ja alles, wie es bei uns steht, nnd können deshalb auch zur rechten Zeit das rechte Wort finden. Im ersten Angen blick wäre mein Mann am liebsten selbst hierher gekommen, um Lorenz beizustehen. Nun ist aber wieder säst eine Woche darüber vergangen und er hat angefangcn, über die Sache nachzndenken. Sie wissen ja, Elise, was bei den Männern unter solchen Umständen dabei hcrauSkvmmt. Es wird immer eine Dummheit. Nun glaubt er wieder, daß mein Sohn den ersten Schritt tun müsse, wenn nicht aller Respekt und alle Ehrerbietung in -er Familie zu gründe gehen soll. Es ist natürlich nur eine Formsache. Niemand wird glück licher und zufriedener sein als mein Mann, wenn Lorenz erst mal wieder zn Hause ist. Er hat ja vielleicht auch rech!, aber was nützt uns das alles, wenn auch mein Sohn auf seinem sogenannten Recht besteht? Sv wird das Recht unser Unglück. DaS müssen Sie verhüten, Fräulein Elise." „Und Sie meinen, -aß ich dabei etwas ausrichten kann, gnädige Frau?" „Sonst würde ich Sie nicht darum bitten. Ich bitte Sie aber Inständigst darum, weil ich weiß, baß Tie von Loren-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite