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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.01.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030121018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903012101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903012101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-21
- Monat1903-01
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Seitdem ist sie in den Hintergrund getreten; es wird deshalb nützlich sein, die Geschichte derselben für weniger Informierte zn rekapitulieren. Der alte Jnquisitionsprozeß mit seinem schriftlichen Verfahren, aber mit allen auch im Civilverfahren vorge sehenen Rechtsmitteln ausgestattet, hatte gegen die Mitte des IS. Jahrhunderts so vollständig abgehaust, daß kein Kundiger daran zweifelte, er müsse so bald wie möglich durch ein besseres Verfahren ersetzt werden. Als Borbild eines solchen sah man aber das französische Verfahren an, das auch in den deutschen LanbeSteilen links des Rheins eingeführt war, sich dort bewährt hatte und wie die gesamte französische Gesetzgebung mit höchstem Eifer fest gehalten wurde. Die damalige Schwerfälligkeit -er Ge setzgebung bedurfte jedoch des gewaltigen Anstoßes des JahreS 1848, um in -en Fluß zu kommen. Allmählich er- hielten fast alle deutschen Staaten neue Prozeßgefetze, die sämtlich die Berufung als das ordentliche Rechtsmittel gegen einzelrichterliche und Strafkammer-Urteile nach französischem Muster anfnahmen, ebenso aber auch die Nichtappellabilität der Schwurgerichtsurteile als etwas Selbstverständliches. Man schob meistens den Grund dieser Ausnahmeerscheinung darauf, daß die Wahrsprüche der Geschworenen nicht motiviert seien, also auch nicht in einer höheren Instanz bekämpft werden könnten. Man fand aber doch bald, daß die Schwierigkeit an einem anderen Punkte liegt. Dies wurde noch unterstützt durch einen Umstand. Der schwächste Teil des französischen Prozesses leg in dem Bcrufungsvcrfahrcn. Auch dort wollte man nicht daran, in der zweiten Instanz das ge samte Verfahren zu reproduzieren, und ersetzte es durch einen Vortrag aus den Akten mit sehr spärlich zuge- mefsenen neuen Erhebungen; obgleich der schriftliche Jn- guisitionsprozeß der Erkenntnis gewichen war, daß daS Beweisergebnis sich nicht schriftlich fixieren lasse, daß der Richter, um klar zn sehen, die Zeugen selbst sehen und hören müsse (Unmittelbarkeit des Verfahrens). Man ließ also die Berufung zu als ein Rechtsmittel von dem besser unterrichteten Gerichte zu dem schlechter unterrichteten. Dies hatte zur Folge, daß die deutschen Gesetzgebungen sich in den wunderbarsten Versuchen abquälten, die Mängel der Berufungsinstanz zu verbessern. Eine der merk- würdigsten Erscheinungen dieser Art war die der alten Kriminal-Ordnung für die preußischen Staaten aufgepfropfte Verordnung vom 3. Januar 1849, welche die freie richterliche Ueberzeugung des Berufungsrichterü be schränkte, ihm aber gestattete, mit einer nnbedeutenden formellen Erhebung die Ueberzeugung des Erstrichters über den Haufen zn werfen und dnrch eine andere Fest stellung zu ersetzen, ohne ein Beweismittel anders als durch ein Referat kennen gelernt zu haben — eigentlich eine Umkehr znm schriftlichen Verfahren. Wesentlich besser war die preußische Strafprozeß-Ordnung vom 25. Juni 1867 für die 1860 erworbenen neuen Provinzen; cln sehr tüchtiges Werk, das aber die unlösbare Aufgabe ctneS vollkommen entsprechenden BerufungsprozcsseS auch nicht lösen konnte. Der beste Versuch war der des bayerischen Gesetzes vom 10. November 1848, welches zwar auch, um Zeit zu gewinnen, durch eine Novelle zum alten Gesetzbuche von 1813 das mündliche und unmittel bare Verfahren einführtc, aber im Bcrufnugsprozessc der Reproduktion deS Beweiöverfahrens ein hohes Maß von Freiheit gab. Freilich hatte man längst erkannt, daß eine wiederholte Beweiserhebung eine durch den Mangel der Unbefangenheit und Ursprünglichkeit gegenüber der der ersten Instanz wesentlich verschlechtert sei. Man kam denn auch bald darauf, daß in einem, ans freie Beweis würdigung ausgebauten Prozeß eine Berufung über haupt nicht am Platze sei, und gerade in Bayern kam diese Ueberzeugung am stärksten zum Durchbruch, wie die Ver handlungen des sechsten, in München abgehaltenen Ju ristentages (1867) bewiesen. Man kann die in erster In stanz gewonnene feste richterliche Ueberzeugung nicht in zweiter Instanz steigern, man kann kein Gericht bilden, dessen Ueberzeugung von der Schuld oder Nichtschulb deS Angeklagten eine bessere, vor Irrtum geschütztere wäre, als die der ersten Instanz. Dies ist denn auch mehr, als die mangelnden Entscheidungsgründe, die Ursache, wes halb man bei schwurgerichtlichen Urteilen an Berufung nicht denkt, während man sich darüber hinwegtänfcht bei Strafkammcrurtetlen, indem man fünf statt drei oder sieben Richter statt fünf beruft und die stärkereZahl darüber ent scheiden lassen will, ob die geringere Anzahl besser in formierter Richter eine Ueberzeugung haben dürfe oder nicht. Durch eine zehnjährige längere Ucbung wurde natürlich die Ansicht, daß eine freie richterliche Beweis würdigung keine Berufung zulasse, keine andere. Als dann Leonbard mit seinen Entwürfen hervortrat, welche die Berufung abschafften und nur eine Nach prüfung der Rechtsfragen zuließen, fand er keine sehr heftige Opposition. Nur der Nimbus der Geschworenen war noch nicht verblaßt, und diese wurden von den früheren Idealen gerettet, als sie durch größere Schöffen gerichte ersetzt werden sollten; durch eine Reihe von Kompromissen kam man endlich dazu, Einzclrichter mit Schöffen und Berufung, nur von Nechtsgelehrten besetzte Strafkammern ohne Berufung und Schwurgerichte ohne Berufung zu schaffen — die wunderlichste Musterkarte, die gedacht werden kann. Kaum aber trat sie ins Leben, so regten einige Urteile der Strafkammern die öffentliche Meinung ans, und das: „Steiniget sie", folgte dein „Hosianna" auf dem Fnße. Der Mangel der Berufung mußte es verschuldet haben; als mären die Berufungs richter nicht ebenso fehlsamc Menschen, wie die der ersten Instanz, und ebenso gebildete Juristen. Daß Laieu- Richter besser seien, als rechtsgclehrte, konnte man nicht behaupten; denn man war auch mit den Geschworenen nicht so ganz zufrieden. Die Reichsregicrung gab dem lauteren Rufe nach nnd legte einen Gesetzentwurf vor, der zwar die Berufung wieder einsührcu, aber die Zahl der Richter verminderu, das Recht, Entlaslungsbeweis zu führe», schmälern und auch sonst noch Vereinfachungen im Verfahren hcrbciführcn sollte. Die ReichStagskonunissivn nahm zwar die Berufung an, wollte aber von den Ver kürzungen der ersten Instanz nichts wissen, sondern diese womöglich noch verbessern und der zweiten Instanz die volle Beweisführung znführcn. Tas Resultat war mangelnde Einigung, sowohl über den ersten Entwurf, wie über die vom Abg. v. Rintele n stets wieder einge brachten Entwürfe, bis heute. Die Reichsregicrung war offenbar nur mit halbem Herzen bei der Sache, und man kann ihren Standpunkt begreifen. Als mit der Gesetzgebung von 1879 die Be rufung wegficl, führte man die Oberlandesgerichte als zweite Instanzen in den wichtigeren Civilsachen und als Beschwerdegericht in Strafsachen ein, gab ihnen aber einen großen Bezirk, ganze Provinzen mit einer halben Million oder mehr Einwohnern. Tie Parteien hatten ja weder in Eivil-, noch in Strafsachen beim Lbcrlandes- gcrichtc zu tun. Diese eben erst durchgeführte Organi sation hätte mit großen Kosten und starker Richter vermehrung wieder geändert, oder es hätten mangelhafte Notbehelfe, wie Slppcllkammern bei den Landgerichten, cingeführt werden müssen; denn man mußte die Möglich keit schaffen, daß in Strafsachen Parteien und Zeugen ohne allzu große Kosten und Zeitverluste zu den Be rufungsgerichten kommen konnten. Jetzt wird nun die Kommission befragt, was geschehen solle. Diese trifft aber auf dieselben Schwierigkeiten, wie die bisherigen Kommissionen, und cs wird ihr nicht gelingen, eine Berufung zu konstruieren, die beiden Teilen annehmbar erscheint. Möge sie sich deshalb für Ablehnung der Berufung entscheiden. Niemand will zur alten Beweistheorie zurückkehren. Will man eS aber bei der freien Beweiswürdigung des Gerichtes belassen, so führt die Logik zu folgendem Resul tate: Es würde eine Verschlechterung des Verfahrens sein, wollte man der ersten Instanz weniger Mittel bieten, die Wahrheit zu erkennen, als bisher, nur des halb, weil eine zweite Instanz besteht, die jener Mittel in noch höherem Grade entbehrt. Tas Richtige ist allein, eine Instanz schaffen, welcher alle Beweismittel vorge führt werden, die Licht in der Sache geben können. Ist dies die erste Instanz, so ist es Widersinn, eine schlechter informierte zweite schaffen zn wollen. Wollte man aber die zweite Instanz mit jener Befähigung anöstattcn, wahr zu spreche«, wozu die erste? Diese könnte daun nur als eilt Versuch gelten, mit geringeren Mitteln das Richtige zu treffen. Aber ist denn das Rechtsmittel der richtige Prüfstein, ob die Wahrheit sestgcstellt ist? Man kann keine allzu lange Frist für Anmeldung des Rechts mittels setzen. Ist diese versäumt, so ist cs ein Unrecht, den Versuch, das Wahre zu treffen, trotz des Wider spruchs für geglückt zu erklären. Dieser Widerspruch ist aber ohne Bedeutung; die Erfahrung lehrt vielmehr, daß gerade die Schuldigsten auch die Hartnäckigsten im Ableugncn sind, und das Anmeldcn der Berufung in der bloßen Tatfrage tdas Rechtsmittel bezüglich der Rechts frage ist ja gar nicht im Streit) ist nichts weiter, als ein fortgesetztes Leugnen. Die Erfahrung lehrt aber, daß ein wiederholt vorgeführter Beweis an Garantie der Wahr heit verliert. Tic Zeugen find vorbereitet, sic haben er kannt, woraus es ankommt, und sind wenig geneigt, von ihrer ersten Aussage abzugehen. Die Hoffnung ans neuen Beweis ist aber gering, der Angeklagte wird schon, wenn ihm dazu die Möglichkeit geboten ist, in erster Instanz vorführeu, was ihm zu Gebote sicht. Die Anklage soll cS tun, wenn der Prozeß sorgsam instruiert ist. Stehen aber prozessuale Hindernisse im Wege, so beseitige man diese! Dazu kommt, daß gerade die Schuldigsten und Ge fährlichsten gelernt haben, wo Gefahr für sie droht, und dies beuüuen, um Scheinbeweise beizubringen. Es könnte eine Provinz des Deutschen Reiches genannt werden, in welcher es Gewohnheit war, den erdrückendsten Beweisen gegenüber in erster Instanz zu leugnen , in zweiter falsche Zeugen bcizubringen und sich über einen Mißerfolg mit dem cynischen Ausdruck: „Ich habe verspielt" wegzn- seycn. Tic beliebte Phrase: „Zwei sehen mehr, als einer", ist nur richtig, wenn es zwei sind, die mindestens gleich gut sehen. Das ist es aber gerade, was man im Strafver fahren nicht herbeiführen kann, daß beide Instanzen gleich gut sehen. Die Torge muß nur sein, eine Instanz zn schaffen, die so gut sieht, wie es in menschlichen Dingen überhaupt möglich ist. Dann genügt aber diese eine. Er hebt dafür die Kommission ihre Stimme, verlangt sic, daß für die Anklage wie für die Verteidigung gleich freie Bahn gelassen werde, frei von kleinlichen Ersparungsrückstchten, frei davon, daß die Richter glauben, schon im voraus das Richtige zu wissen, so hat die Kommission ein gutes Werk getan. Es wird dann auch das Vertrauen zu unserer Strafjustiz zurückkehren, das sie verdient und das nur durch viele unberufene Kritiker gelitten hat. Deutsches Reich. (7. 8. Berlin, 20. Januar. (Internationales statistisches Institut.) Das im Jahre 1853 ge gründete, im Jahre 1885 neu organisierte internationale statistische Institut — eine Vereinigung von Gelehrten und praktischen Statistikern — hält bekanntlich alle 2 Jahre eine Tagung ab. In diesem Jahre werden die Mitglieder der Vereinigung in Berlin zusammenkommen, um für die statistischen Ermittelungen in den verschiedenen Staaten gemeinsame Ziele und Methoden aufzustellen und zugleich wichrigc statistische Aufnahmen in den verschiedenen Län dern anziiregeu. Ta außer den hervorragendsten Gelehr ten der Nationalökonomie und der Statistik auch die Leiter aller größeren statistischen Aemter sich an den Verhand lungen beteiligen, so werden diese ein wissenschaftliches Er eignis hohen Ranges werden. Die Reichsregierung beab sichtigt denn auch, die der Allgemeinheit dienenden Be strebungen des Instituts nach jeder Richtung hin zu för dern und gleich -en anderen Regierungen, in deren Län dern die Bereinigung in früheren Jahren getagt hat, die Veranstaltung durch einen Zuschuß zu unterstützen; die hierfür in Aussicht gestellte Summe von 10 000 dürste aber doch wohl etwas zu knapp bemessen sein. Berlin, 20. Januar. (Byzantinismus und Wclfentum.) Das welfische Zentralorgau wendet sich in einigen Leitartikeln wider den Byzantinismus. Dagegen wäre au sich nichts einzuwenden. Aber das hannoversche Welfenblatt verfährt ans diesem Anlasse so einseitig, daß ein Wort der Richtigstellung am Platze ist. Einseitig ist es, den Glauben hervorzurufcn, als ob Byzantinismus nur gegenüber den Hohenzollcrn vorkäme. Wer die welfische Bewegung verfolgt, weiß ganz genau, daß gerade das Wclfentum einen byzan tinischen Kultus mit dem Wclfcnhause treibt. Charak teristisch für die Art, wie dieser Kultus beschaffen ist, darf man eine Anslasiurrg nennen, die zu Anfang des Jahres auf einer hannoverschen Welfenversammlung ge fallen ist. Auf jener Versammlung äußerte nämlich laut der „Deutschen Volksztg." der Redakteur Meyer wört lich: „Uns leuchtet besonders ein Name voran, der Name des edelsten und hochherzigsten Monarchen, der je einen Thron geziert..., Feuilleton. Eine Partie Domino. Novelette von I. F. De Witt. Nach dem Holländischen von K. Nobvlsky. vtachdrucl vervoUn. In -em elegant eingerichteten Studierzimmer eines der vornehmsten Häuser der Stadt saß ein einsamer Mann. Es war ein trüber, nebliger Tag und die Dunkelheit draußen hatte auch das Zimmer in Dämmerung gehüllt. Da wurde die Tür geöffnet und es war, als ob sich auf einen Augenblick alles im Zimmer erhellte bei dem Erscheinen der schönen, lichten Gestalt, die auf der Schwelle stand. „Ich wollte dir nur sagen, daß ich in die Versammlung gehe." . Die Tür wurde wieder geschlossen und daS Zimmer erschien wie vorher, grau und kalt. Der junge Mann saß nachdenklich da. Kein Kuß, kein Händedruck war gewechselt worden; seine junge Gattin war nur gekommen, um ihm zu sagen, daß^ie auSgtng ... Da» war alle-, waS von -erZärllichkeit -eö EhelebcnS Übriggeblieben war. Der junge Mann lächelte schmerzlich und schüttelte den Kopf: Viel war e» nicht. Au wem lag die Schuld? Gerard van Woerden stammte aus armer Familie; sein Emporsteigen verdankte er seinen großen Geistesgaben und seinem Fleiße. In der ersten Zett hatte er sür seinen Unterhalt hart arbeiten müssen, so war er immer sür sich allein geblieben, da e» ihm sür Vergnügungen und Zer streuungen an Zett und Gel- gefehlt hatte. Er lebte fast nur mit seinen Büchern. Erst als er zu den höchsten Stel len berufen und ein Günstling der Regierung geworden, hatte er (ich, halb gezwungen, dem Leben mehr zngcwandt. Ein großes Glück erblühte ihm, als er die Liebe nnd die Han- einer der reichsten Erbinnen der Hauptstadt gewann. Agathe selbst, wie hoch sie auch stand, fühlte sich ge schmeichelt, daß sie die Verehrung eines Mannes genoß, den jeder mit Auszeichnung behandelte. Und als sie von ihm vernahm, wie einsam er in seiner Jugend gestanden, und wie er um der Arbeit willen selbst die Freundschaft seiner Zeitgenossen hatte entbehren müssen, hatte sie ihm erst aus Hochachtung vor so viel Selbstverleugnung und Beharrlichkeit ihre Achtung geschenkt und dann war in ihrem Herzen die schöne Blume der echt frauenhaften Liebe erblüht und sie hatte beschlossen, mit Liebe zn vergüten, was er an Freundschaft hatte entbehren müssen. So traten die beiden jungen Menschenkinder in daS eheliche Leben nnd das Los schien über Gerard van Wocr- den seine schönsten Gaben ansznstrcuen. Das Vermögen seiner Gattin machte ihn unabhängig, und wenn er jemals zu beneiden gewesen, so war eS jetzt, da er die schönste Frau des Lande» sein eigen nannte. Kaum von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, die ihm wie ein Traum von Glück erschienen war, wurde ihm eine Stelle im diplomatischen Korps angeboten. Er war bald ein Mann von Ruf in einer Weltstadt und daS junge Paar wurde in allen Kreisen, auch am Hofe, gesehen. In der ersten Zeit waren Gerard und Agathe stets zusammen, aber es schien Herrn van Woerden immer etwas Beson deres, Eigentümliches anzuhaften. Tr selbst hatte gemerkt, wie schwer es ihm ost wurde, den leichten Konversations ton in den Gesellschaften zu treffen. DaS Leben hatte ihn zu ernst gemacht. Selbst im häuslichen Kreise vermochte er nicht scherzend Kleinigkeiten zu berühren. Er sah selbst ein, daß es nicht möglich war, in Gesellschaften lange über ernste Dinge zu sprechen, dazu waren die Personen zu ver schieden an Glauben, Denkart, Nationalität nsw. Rei bungen wären nicht ausgeblichen. So begnügte er sich bald, Zuhörer zu sein, aber auch das sagte ihm nicht zn. Am liebsten saß er still und sah zu, wie einnehmend und liebenswürdig sich die Frau bewegte, die er lieb hatte. Er wußte, daß auch ihr Geist Gefallen an ernsten Ge sprächen fand, und beneidete sie wegen der Gabe, sich dem gesellschaftlichen Tone anzupassen. Mit der Zett fing er an, wenn seine Gegenwart nicht durchaus notwendig war, sich von den Gesellschaften fern zn halten und — man vermißte ihn nicht. Sv liefen die Wege des Ehepaares langsam auseinander. Er wollte sich nicht merken lassen, wie einsam er sich ost fühlte, nnd Agathe wartete auf eine Bitte als einen Beweis, daß ihr Zuhansebleibeu ihm angenehm sei. Als die Bitte nicht ausgesprochen wurde, begann sic zu glauben, daß sie ihrem Gatten nicht so unentbehrlich sei, wie sic in der ersten Zeit ihrer Ehe und vor der Geburt ihres einzigen Kindes ge dacht hatte. Während van Woerden nachdenklich vor sich hinsah, wurde die Tür seines Zimmers leise geöffnet, und sein kleines, fünfjähriges Söhnchen stand auf der Schwelle, die Hände auf dem Rücke« und die großen, blauen Airgcn lachend auf ihn gerichtet. „WaS tust du da allein?" fragte van Woerden. „Ich wollte zu Papa", lautete die Antwort, und der Kleine klammerte sich an den Vater an. „Wo ist Fräulein ?" Keine Antwort. „Bist du fortgelausen?" Keine Antwort, aber ein liebkosendes Streicheln mit den kleinen Händchen. van Woerden klingelte. Der Diener kam. „Weshalb laust der juuge Herr allein im Hause her um ?" Bald erschien die Bonne. „Oh, gnädiger Herr, ver zeihen Sic. Ich mußte für die gnädige Frau etwas be sorgen, und unterdessen ist der Junker fortgelaufen." „Ich wollte zu Papa", wiederholte der kleine Mann und streichelte van Wverdens Wange. Da verbreitete sich mehr Wärme und Farbe in dem großen, ernsten Zimmer. „Es ist gut", sagte van Woerden, „der junge Herr kann hier bleiben." van Woerden sah sein Kind an. WaS sollte er mit ihm beginnen? Sie waren keine täglichen Kameraden. Auch das Kind hatte unter der langsamen Erkältung zwischen den Eltern gelitten. Von Kinderspielen verstand van Woerden nichts. Er nahm den Knaben auf den Arm und zeigte ihm einige Gegenstände im Zimmer. „Oh", rief der Kleine aus, „was ftür ein schöner, grobct Ball." „Das ist die Erbe, auf der wir leben. Weißt du das nicht?" Das Kind schwieg. „Weißt du nicht, daß wir auf der Erde leben und daß sie rund ist?" Das Kind besah den Globus und sagte dann lachend: „Da ist ein brauner Fleck." van Woerden wiederholte ernst: „Aber das ist ja Europa, der Weltteil, wo wir wohnen. Und das ist Afrika, und das Asien — er drehte den Globus — und daß Amerika." „Oh", lachte das Kind, „drehen kann er sich? Kann er auch fliegen?" van Woerden sah bestürzt aus. Die weit zurück mußte der Geist seines Kindes sein. Sollte der Knabe wirklich noch keinen Begriff von der Erde haben? Er wollte unter suchen, wie wett sich der Verstand des Kleinen entwickelt hatte. Und noch mit der Hand aus dem Globus, kragte er: „Weißt du, wo wir wohnen?" Die Antwort kam schnell: „Zu Haus«."
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