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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.05.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000526026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900052602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900052602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-05
- Tag1900-05-26
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«i zweimal^« tSglicher Zustellung in« hau- ^l KLO. Durch dte Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsrndung in- Au-land: monatlich 7.KV. lVez«g-.Pre» > d«r Hauptexpedtttou ob« de» im Sind»» neitrk «d dm Vororten errichteten Lot- »»«stelle» abgeholt: vierteljährlich ^kl-chO, Die Morgeu-AuSgab« erscheint um */,7 Uhr, di« Abend-AuSgabe Wochentag- um ü Uhr. Lrdactiou »nd ErpeLMo«: JahanuiSgafie 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen »eöffuet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. v. Klemm'- Lorti«. UniversitätSstraße 3 (Paulinum* «out» Lösche, Enthnotnenstr. parr. und K-uig-plvh 7» Abend-Ausgabe. MpIM IliMalt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes un- Molizei-Ämtes -er Lta-L Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6gespaltme Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redaction-strich (-ge spalten) KOxj, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« vcrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderuvg 60.—, mit Postbesürderung 70.—. Armahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags - Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedttia» zu richten. Druck und Verlag vou E. Polz dr Leipzi» 2«5. Sonnabend den 26. Mai 1900. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Mai. Wenn e- dem Reichstag gelingt, heute die dritte Lesung der Unfallversicherungsgesetze zu erledigen und da durch den Beginn der Pfingstpause zu ermöglichen, so werden nicht nur die arbeitsamen Mitglieder des Hauses, die ihren feriensüchtigen Collegen noch nicht gefolgt sind, sondern auch sehr viel« Zeitungsleser erleichtert aufathmen. Aber diese arbeit samen Reichsboten dürfen sich nicht darüber täuschen, daß sie für die „beschleunigte Erledigung" der Unfallversicherungs gesetze in weiten industriellen Kreisen keinen Dank ernten werden. Die „Deutsche Volksw. Eorr.", in deren Spalten die Ansichten und Wünsche dieser Kreise zum Ausdruck kom men, äußert sich schon jetzt sebr unwirsch über die parla mentarische Hetzarbeit der letzten Tage: „Der Reichstag arbeitet mit „Volldampf", gerade, als ob Gesetze m achen und Journalnummern durch Bureaudiätare „erledigen" lassen, äquivalente Thätigkeiten wären. Vorgestern noch waren „alle Mann" in unserem Parlamente einig, daß von den schwebenden Dingen eigentlich noch nichts reif sei. Allerdings waren die Urtheils- momente, nach denen die Reife gewürdigt wurde, verschieden. Tie Einen meinten, nichts darin ginge weit genug, während die Anderen der gegentheiligen Meinung waren, Alles gehe viel zu weit, lieber Nacht ist indessen anscheinend Alles plötzlich „reif" geworden, denn die Gesetzgebungsmühle klappert, daß es eine Lust ist, wenigstens für die Herren Saaldiener, welche alle Aussicht haben, recht bald die von Len Herren Abgeordneten hinterlassene Drucksachenmaculatur als übliches Saisontrinkgeld überwiesen zu erhalten." Speciell über die Unfallversicherungsgesetze und die Ge werbeordnungsnovelle und ihre Behandlung heißt eS dann weiter: „Der ernsthafte politische Beobachter kann nur mit Besorgniß einer solchen Gesetzgebungshatz znschauen, die um so auffälliger ist, als sechs Monate Arbeitszeit an die langathmigste Schwatzerei über die gleichgiltigsten und vielfach abstrusesten Dinge vergeudet worden sind. Mau verweise nicht etwa darauf, Laß, während das Plenum sich mit so langwierigen Redeübungen befaßte, die ihm meistens die Herren Socialdeuiokroteu aufnvthigten, die Commissionen treu gearbeitet und den eigent lichen Arbeitsstosf so reif gemacht hätten, daß man ihn jetzt herunterhaspeln könne, so wie es geschieht und weiter geschehen soll. Die Commissionen haben nichts reif gemacht, im Gegentheil durch ihre Beschlüsse nur höhere Unreife erzielt. Man sehe sich nur einmal die Gewerbeordnungs- und die Unfallversicherungs novellen an. Beide stoßen bei allen sachverständigen Elementen des Erwerbslebens auf schärfsten Widerspruch. Der Verband der deutschen Berufsgenossenschasten hat soeben erst, nachdem man ihn, den besten Sachkenner, gor nicht einmal gehört hatte, schärfsten Protest gegen die wichtigsten Punkte der Unfallversicherungs novelle erhoben! Macht gar nichts, sagt der Reichstag, die Sache wird noch vor Pfingsten fertig gemacht. Beinahe sieht cs so aus, als eile man plötzlich deshalb so sehr, weil man sich sagt, je schneller wir «in Ende machen, desto eher hört die Verlegenheit aus, daß uns die Leute, welche von der Sache etwas verstehen, sagen, das, waS wir doch nun einmal machen wollen, weil die Fractions-„Sach- verständigen" sich darauf „geeinigt" haben, sei falsch und für das praktische Leben nicht durchzuführen." Am Schlüsse des Artikels schiebt die „D. V. C." einen Theil der Schuld au dem beklagten Uebelstande dem „ver antwortlichen Träger der Regierungsgewalt" zu, der cS nicht fertig bringe, „wenigstens niedrere der vielen gewohnhcitS- rechtlich bei uns vorhandenen Parteien fest an seinen Wagen zu schirren". Das ist allerdings ein beklagenSwerther Mangel, besten Beseitigung auch einen anderen Gang ter parlamen tarischen Behandlung wichtiger, tief in unser Erwerbsleben eingreifender Gesetzesvorlagen zur Folge haben würbe. Aber bei der Zusammensetzung des jetzigen Reichstags würde wohl auch ein anderer „verantwortlicher Träger der RegierungS- gewalt" kaum im Stande sein, mehrere Parteien fest an seinen Wagen zu spannen. Und wer trägt die Schuld an dieser Zusammensetzung? Doch nnr die Wähler. Daß das Centrum die Lösung der Flottenfrage verschleppen, au der lex Heinze so aufregende und zeitraubende Experimente machen und dadurch die parlamentarische Nothlage herbei führen konnte, unter der jetzt besonders die Unfallversicherungs gesetze zu leiden habe», wer anders verschuldet das, als die Wählerschaft und insbesondere jener Theil, der die Befähigung eines Candidaten an seinem Glaubensbekenntnisse mißt? An diese Wähler in erster Linie mag daher dir „D. B. E." ihre Klagen und Borwürfe richten. Tie antiultrauiontanc» Strömungen in der katholischen Kirche, welche dahin zielen, diese von den politischen Be strebungen deS UltramontaniSmuS zu ihrer eigentlichen reli giösen Aufgabe zurückzuführen, mögen noch so oft von der herrschenden Richtung im heutigen KatholiciSmus unterdrückt werden, sie kommen immer wieder in Bewegung. Eine bemerkenS- werthe Kundgebung in dieser Richtung liegt augenblicklich wieder in einem Schreiben vor, das der als einer der Hauptführer deö sogenannten Amerikanismus bekannte Erzbischof von St. Paul, Msgr. Ire land, an den Führer der englischen Katho liken, den Herzog von Norfolk gerichtet hat. Diese Kund gebung verdient um so mehr Beachtung, als sie sich im Wesent lichen gegen den politischen Katholicismns richtet, der unter dem Namen des Ultramontanisnius die Religion und die Politik zugleich schädigt. Msgr. Jreland befürwortet in seinem Schreiben an den englischen Herzog ein Bünduiß zwischen den englischen und den amerikanischen Katholiken und spricht sich für eine Union der katholischen Angclsachen auf dein Boden des Amerikanismus aus. Tie Veranlassung zu dieser Anregung hat offenbar der politische Zwiespalt gegeben, in den die englischen Katholiken jüngst mit der Eurie in Rom wegen deren Haltung im Boerenkriege gerathen sind. Ueber die boerenfreundliche Haltung der Eurie ist eS bekanntlich zu ernsten Verhandlungen zwischen dem EardinalstaatSsekretär Rampolla und den Führern deS englischen KathvliciSmuS gekommen, in deren Verlauf der Herzog von Norfolk im Namen seiner katholischen Landsleute erklärt hat, daß sie die Einmischung der Curie in politische Fragen nicht billigen könnten und sich jedenfalls von Rom in politischen Dingen keine Vor schriften machen ließen. Diesen Verhältnissen scheint der Gedanke Msgr. Ireland'S entsprungen zu sein, daß das Papstthum seines italienischen Charakters entkleidet und daß dem nichtitalienischen Elemente in der Leitung der katholischen Kirche «in viel größerer Einfluß ein geräumt werden müsse. Dieser Gedanke ist nicht neu, aber er hat vielleicht gerade in dem gegenwärtigen Moment ein besonderes Interesse, wo die lateinischen Völker imNiedergange begriffen sind und neben Deutschland den beidcnVölkcrn der angel sächsischen Rasse die Zukunft zu gehören scheint. Noch kühner ist eine andere Idee Msg. JrelandS; der amerikanische Kirchenfürst verlangt, daß der päpstliche Stuhl alle Ansprüche auf die Wiedererlangung der weltlichen Macht aufgebe. Auch dieser Gedanke wird uuter den Katholiken Englands manchen Sympathien begegnen, denn für die Schäden des Kirchenstaates bat man in England immer offene Augen gehabt. Eine katholische angelsächsische Union auf dem Boden des Jreland'schen Programms würde einen Keil in die Phalanx LeS modernen UltramontaniSmuS hinein treiben', dein auf die Dauer auch die deutschen Katholiken nicht widerstehen könnten. Schon jetzt werden, wie die „Post" betont, unsere deutschen Ultramon tanen nicht mehr an die Spitze ihrer Resolutionen auf den jährlichen Katholikentagen die Forderung aus Wiederherstellung des Kirchenstaates stellen können mit der Motivirung, daß darin alle Katholiken des Erdkreises einig seien. Diese Einigkeit besteht nicht mehr, seit ein amerikanischer Bischof in, Namen der Mehrheit des Episkopats der Vereinigten Staaten in einem Schreiben an die Katholiken Englands jene Forderung verworfen hat. Daß den Arbeitswilligen ein Rechtsanspruch auf staatlichen Schutz gegen socialdemokratische Terrorisirung zusteht, hat soeben das Brüsseler Appellationsgericht anerkannt, indem es, unter Cassirung eines freisprechenden Erkenntnisses des Ant werpener Gerichts erster Instanz, das jedenfalls unter dem Drucke der dortigen proletarisch beeinflußten öffentlichen Meinung stand, den Generalsekretär der Antwerpener socialdemo- tratischen Hafenarbeitergewerkschaft Pierre Fabri wegen Ver gewaltigung der Arbeitsfreihcit zu einem Jahr und acht Tagen Gefängniß verurtheilte, auch dessen sofortige Inhaftnahme ver fügte. Man wird sich erinnern, daß während des letzten Aus standes der Antwerpener Dockarbeiter durch die streikwüthigen Genosten an von auswärts zugezogenen Arbeitswilligen die empörendsten Gewaltthätigkeiten verübt wurden und überhaupt die Antwerpener „Genoffen" sich geberdeten, als wären sie und ihre specifischeu Interessen allein in der Welt maßgebend. Der Spruch des Brüsseler Gerichtshofes hat auf die Socialdemokratie wie ein Donnerschlag gewirkt; sie wüthet, aber sie wagt doch nicht, den Bogen ihrer revolutionären Propaganda zu Überspannen, sondern tritt, wie immer, wo sie einen festen, energischen Wider stand spürt, den Rückzug an. Die Führer rathen öffentlich von einer Wiederholung des Streikes, auch von Straßenmcuten, ab, es jedem einzelnen Genosten anheimstellend, die Faust in der Tasche zu ballen, so oft und nachdrucksvoll, wie er will. Selten hat ein französisches Ministerin« nach dem Siege und trotz des Sieges eine so schlechte Presse gehabt, wie Heuer das Cabinet Waldeck-Rousseau. Conservative und Ge mäßigte, Radicale und Socialisten, Dreyfusfreunde undDreyfus- gegner, alle flicken ihm am Zeuge. Das sonst so altjüngferlich spröde „Journal des DSbats" fließt förmlich über von Gift und Galle und nennt den Ministerpräsidenten in einem Äthern „ver änderlich, wetterwendisch, widerspruchsvoll, geschmeidig und flüchtig". Selbst der „Tcmps", der ihm bisher getreulich die Stange hielt, wendet sich in schroffer Weise von Waldeck- Rousseau ab, weil er am Dienstag durch die Verkündung eines „radikalen und jakobinischen Regierungsprogramms" die fort schrittlichen Republikaner — so nennen sich bekanntlich seit einiger Zeit die ehemaligen Opportunisten — von sich gestoßen habe. Das ist indessen eitel Spiegelfechterei, denn die Radicalisirung des Cabinets datirt nicht vom letzten Dienstag, sondern war durch den Eintritt Millerand's von vornherein bedingt, und cs 91. Jahrgang. ist lediglich der Jnstinct der Selbsterhaltung, der die Fort schrittler treibt, dem Ministerium Waldeck-Rousseau, wie die Ratten dem sinkenden Schiff, den Rücken zu kehren. Sieht man sich das „jakobinische Programm", das der Ministerpräsident ver kündet hat, näher an, so findet man, wie der „Köln. Ztg." aus Paris geschrieben wird, daß es nur Dinge enthält, denen ein Republikaner von echtem Schrot und Korn eigentlich aus vollem Herzen zustimmen sollte. Er fordert, daß das Staatsoberhaupt vor den unfläthigen öffentlichen Beschimpfungen, denen es bisher ausgesetzt ist, dadurch besser geschützt werde, daß derartige öffent liche Vergehen in Zukunft von Berufsrichtern, statt von Ge schworenen, beurtheilt werden — ein Vorschlag, der seit Jahr und Tag von den Gemäßigten befürwortet worden ist. Weiter verlangt Waldeck-Rousseau, daß die Kammer an die Berathung des ihr vorliegenden Vereinsgesetzes herantritt und dem Staate bessere Mittel zur Ueberwachung des Unterrichts giebt — beides Dinge, die durchaus im Geiste Ferry's gehalten und angesichts des Anwachsens der todten Hand und des klerikalen Einflusses auf die Schule nachgerade zu einer republikanischen Nothwendig- keit geworden sind. Wenn ferner der Ministerpräsident bittet, die Reformen der Erbschaftssteuer und der Einkommensteuer in Angriff zu nehmen, so handelt es sich auch dabei um längst be kannte Vorschläge, die weder „jacobinisch", noch neu sind, und der Amnestie-Antrag der Regierung, den der Justizminifier vor dem Senatsausschuß dahin ausdehnen wird, daß durch ihn alle mit dem Dreyfushandel verknüpften Processe niedergeschlagen werden, entspricht genau dem, was die Kammer in der DienstagS- sitzung in einer fast einmüthig genehmigten Tagesordnung si chren Willen verkündete. Nicht in diesem Programm also liegt das Verbrechen des Cabinets Waldeck-Rousseau begründet, sonq dein vielmehr darin, daß es die unter den obwaltenden Ver hältnissen einzig gangbare Mittelstraße einschlug; es hat damit den Einen zuviel und den Anderen nicht genug gethan und am Ende Niemand befriedigt. Dazu kommt das Capitalverbrechen, daß dieses Ministerium nun schon fast ein Jahr lang die Zügel hält und noch keine Anstalten macht, den MSline und Ribot, Barthou und Mesureur und wie die vom Machthunger geplagten Parteihäupter alle heißen mögen, den Platz zu räumen. Und schließlich, wenn nun einmal den zur Weltschau nach Paris strömenden Dölkerschaaren Frankreich in seiner Eigenart vor geführt werden soll, so gehört dazu eine Ministerkrisis, wie die Butter zum Brode, und falls nicht alle Anzeichen trügen, werden diejenigen, die Glück und für derlei Dinge eine gute Witterung haben, demnächst dieses Schauspiel genießen können. Es hat vor den vielen kostspieligen Veranstaltungen der Ausstellung den Por« zug, daß es unentgeltlich geboten wird. »- Der Krieg in Südafrika. Mit Spannung wartet man auf da- weitere Vor dringen Lord Roberts und namentlich darauf, ob die Boerea ihm deu Uebergang über den Vaalflutz ernstlich streitig machen werden. Englische Kriegsbericht erstatter scheinen dies nicht anzunehmen, wie folgende Nach richt erkennen läßt: * London, 26. Mai. (Tel.) „Daily Telegraph" berichtet auS Vredefort unter dem 24. Mai: Die britischen Vorposten stehen nahe bei Eerstegeluk, 26 Meilen vom Vaal-Flusse ent fernt, den Feldmarschall Robert- zweifellos am Sonnabend oder Sonntag überschreiten wird. F-rtiHrton. 1SI Anter egyptischer Sonne. Roman aus der Gegenwart von Katharina Zitelmann. Nachdruck vrrboten. Kaum war dieses Gespräch beendet, als Mrs. Summers Harald bei Seite nahm. „Denken Sie nur, was mir gestern Abend Paflirt ist!" begann sie. „Ich erzählte Ihnen doch, daß Kuni solche Bosheiten zu Mr. Salinas geklatscht hat. Nun ja! Sie hat richtig Unheil gestiftet. Mein Zimmer lag neben dem von Miß Mary. Als ich gestern von Karnak zurückkam, hörte ich so merkwürdige Geräusche, es klang so ängstlich, wie schreckliches Weinen. Die Wände sind sehr dünn, wissen Sie, und es ist eine Thür zwischen unseren Stuben. Da klopfte ich an und fragte, ob ich nicht hinein dürfte. Sie antwortete gar nicht, und da schloß ich die Thür auf. Ich dachte, die arme Kleine ist wieder ohnmächtig, und ich wollte helfen. Da hat sie mich angesehen, wie ein Geist, und kein Wort gesprochen, und ich wollte sie trösten und sagte, gewiß hätte ihr Vater gescholten, und er zählte ihr von Kuni's bösem Streich. Da wird sie blutroth und fragt: Wissen es denn alle Leute? O, die Schande, die Schande! Und sie hat die Arme in die Luft gestreckt und sich an den Kopf gegriffen, es war ganz fürchterlich. Da hab' ich sie in den Arm genommen und mit ihr geweint und gebeten, sich die Sache doch nicht so zu Herzen zu nehmen. Endlich hat sie sich ein wenig beruhigt. Aber gut könne es nie mehr werden, hat sie geklagt, denn ihr Vater habe geschworen, daß sie niemals den Hauslehrer heirathen dürfe, und daß er sie vermählen würde, wie er eS gut fände. Das sei alles dumme Einbildung mit der Liebe, und er wolle Ihnen als Schwiegersohn, und damit basta. Da hat sie behauptet, Sie wollten sie garnicht, worauf er sie beschuldigt hat. Ihnen einen Korb ertheilt zu haben. Er will mit Ihnen sprechen, hat er gedroht. Das hat sie mir Alles in ihrer Aufregung anvertraut. Ich hab' nun mein Bestes gethan für Sie, Mr. Sperber. Ich hab' ihr vorgestellt, daß es sich gar nicht paßt für sie, einen armen Hauslehrer so zu lieben, und daß sie Sie doch nehmen solle, denn Sie seien ein Gentleman und von guter Familie, und sie solle vernünftig sein. Da ist sic ganz still geworden, und endlich hab' ich gute Nacht gesagt und bin in meine Stube gegangen, um mich schlafen zu legen. Kaum aber bin ich hinaus, da klopft Mr. Salinas draußen und ruft, Mary solle aufmachen. Erst verstand ich nicht, was sie sprachen, aber dann erhob der gräuliche Mann seine Stimme und ich merkte, daß es sich um einen Brief handelte, den er an Sie ge schrieben. Da hat sie gesagt: Das ist eine Schmach für mich, Vater, und dann kam ein Wuthschrei von ihm, und ich hörte einen Schlag — und da öffnete ich die Thür und rief: Schämen Sie sich, Mr. Salinas! Da hat er mich angestarrt und ist fort gestürzt. An der Erde aber lag der Brief, den hatte Miß Mary zerrissen. Dafür hat er sie geschlagen und ich habe sie errettet." Harald schüttelte Frau Daisy herzlich die Hand. Ihm war, als müsse er ihr danken für ihre Dazwischenkunft. In tiefem Mitgefühl mit dem armen bedrängten Mädchen überlegte er, ob es nicht seine Pflicht sei, mit Herrn Salinas offen zu reden. Eben erschien keuchend der Bote, der den Weg nach und von Luxor jagend zurückgelegt hatte, mit dem vergessenen Fernglas. Ein reichliches Trinkgeld belohnte ihn, und da Wildau auch dem Capitän und Dragoman gegenüber nicht sparte, ward die ver säumte Zeit fast wieder eingeholt. Abends legte die „Elephan- tine" für die Nacht in Kene an, wo die „Edfu" einige Schritte entfernt schon vor Anker lag. Gleich nach ihrer Ankunft begaben sich der Professor und Harald auf das Nachbarschiff hinüber. Trieb cs sie doch Beide, sich nach Mary umzusehen. Schon an der Landungsbrücke hörten sie von dem Wache haltenden Matrosen, daß Mr. Salinas mit den ältesten Söhnen und dem Hauslehrer in Begleitung des Dragomans in die Stadt gegangen, Miß Mary aber an Bord sei. Sie saß, den Rücken ihnen zuwendend, auf der gegen das Geländer des offenen Mittelraumes lehnenden Bank zwischen ihren Brüdern, um die sie ihre Arme geschlungen hatte. James hockte vor ihr auf einem Feldstuhl, die Hände auf der Schwester Schoost legend. Es war dunkel auf dem Verdeck, dessen Dach der beinahe volle Mond hell beglänzte; nur aus dem Speisesaal fiel ein schwacher Lampenschein auf die Geschwister, die so vertieft in ihre Unterhaltung waren, daß sie die Schritte der Nahenden überhörten. In der lautlosen Stille aber klang die leise Stimme des jungen Mädchens deutlich an das Ohr der späten Besucher. „Wollt Ihr mir versprechen, daß, was ich immer thun möge, Ihr glauben wollt, daß ich es aus Liebe that?" „Gewiß, Mary!" antworteten die Knaben, und Georg fügte hinzu: „Wie sonderbar Du sprichst! Du bist doch bei uns und hast uns selbst gesagt, daß Du nicht daran denkst, Dich zu ver- hciratben!" „Und wenn ich nicht mehr bei Euch bin, wollt Ihr mich lieb behalten?" fuhr sie fort, ohne auf seinen Einwand zu ent gegnen. „Wollt Ihr immer daran denken, daß Ihr gut und brav und tüchtig werden wollt, wie Herr Braun es ist, und daß ich nicht Ruhe fände, wenn Ihr etwas Böses thätet?" „Miß Mary, machen Sie Ihr Testament?" fiel der Pro fessor, jetzt herantretend, mit dem Versuch, zu scherzen, ein, der indeß mißlang, denn seine Stimme klang bewegt und ängstlich. Das junge Mädchen wandte den Kopf, ohne ein Zeichen der Bestürzung zu geben, daß ihre Worte belauscht seien. Sie er klärte die Abwesenheit des übrigen Theils der Familie und schloß: „Unter so vielen Geschwistern sind selten einige allein mit ein ander. Wir vier benutzten die Gelegenheit, ein Plauderstünd chen obzuhalten. Doch jetzt ist es spät und wir wollen schlafen gehen." 4 „Das heißt, Sie wollen uns los sein", erwiderte Braun. „Uebermorgen um diese Zeit sind wir bereits in Kairo, Alle aus einander gerissen. Sie sollten uns heute noch Ihre liebens würdige Gesellschaft gönnen!" „Ich kann nicht, — ich bin müde", erwiderte sie mit gepreßter Stimme, ihm die Hand reichend. „Haben Sie Dank für alle Liebe und Güte, Herr Professor! — Und Sie, Herr von Sperber! Wer weiß, ob ich morgen noch Gelegenheit finde, Ihnen zu sagen, wie sehr ich Ihnen verpflichtet bin. Sie waren sehr gut zu mir. Haben Sie Dank!" Ihre Rechte legte sich mit langem, festem Druck in die Harald's. , z „Gute Nacht!" Warum lief ihm ein Schauer über den Rücken? Jedes ihrer Worte schien ihm eine geheimnißvolle, traurige Bedeutung zu haben. Auch dem Professor war nicht geheuer zu Muthe. „Wie seltsam die Mary spricht!" murmelte er vor sich hin. Sie waren Alle, bis auf Harald, zur Ruhe gegangen. Er hatte im Eßzimmer noch spät an seinem Tagebuche geschrieben. Nun löschte er die Lampe und begab sich in seine Cabine. Eine unerträgliche Schwüle empfing ihn in dem engen Raum dessen Fenster jetzt auf der Rückfahrt der Abendsonne ausgesetzt war. Und draußen war es so wundervoll! Er hatte nicht übel Lust die vorletzte Nacht an Bord im Freien zu verbringen. So öffnete er die Thur, um möglichst viel Luft einströmen zu lassen, versah sich mit einer Reisedecke und trat wieder hinaus. Der Vollmond der hoch am Himmel stand, erleuchtete fast taghell die Nacht. Die Berge schimmerten zauberhaft und in den kleinen Rinnsalen und Canalen die dem Lande Wasser zuführten, blitzte es wie von tausend Feuerfunken. Leise plätschernd trieben die Wellen des heiligen Stromes gegen den Bug des Schiffes, und des Mondes Widerschein spiegelte sich in ihnen, daß sie wie flüssige- Silber erglänzten. Harald wollte sich's eben auf der Bank im sogenannten Salon bequem machen, als ihn das Verlangen anwandelte, oben auf dem Dach seine Lagerstadt aufzuschlagen, wo sein Auge frei empor schweifen konnte zu dem sternbesäten Himmelsdom, an dem das leuchtende Nachtgestirn seine stille Bahn zog. Leise, um die Schläfer nicht zu stören, kletterte er hinauf, hüllte sich in seine Decke und legte sich nieder. Aber bald richtete er sich wieder auf, denn an Schlafen war nicht zu denken. Das Herz war ihm unendlich schwer und bedrückt, banger Sorgen voll — und doch hätte er nicht zu sagen gewußt, was er fürchtete. Allerlei melan cholische Verse, traurige Lieder, an die er lange nicht mehr ge dacht, gingen ihm durch den Sinn. »Ist es Frau Luna, die mich sentimental macht?" sprach er laut vor sich hin, und dann recitirte er Goethe's Mondlied: ' „Durch das Labyrinth der Brust Wandelt in der Nacht —" „Ein Labyrinth wahrlich ist man sich selbst", fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. Das Bild seiner Mutter trat ihm vor die Seele; Alles, was er je geliebt hatte, zog an seines Geistes Auge vorüber, die Geliebte erschien ihm, wie sie sich fremd und zürnend von ihm wandte. Und doch wölbte sich der Himmel so ruhevoll über ihm, lag ein unendlicher Frieden aus gegossen über die Welt. Was war es nur, das ihn so sehnsuchts voll, so traurig stimmte? Er sprang auf, entledigte sich der Stiefel, damit sein Schritt nicht die Schlummernden in den Cabinen störe, und begann auf dem flachen Holzboden auf und ab zu wandern. War es Zufall oder höhere Bestimmung, daß sein Auge plötz lich fast unbewußt zum Nachbarschiff hinüber schweifte? Dort sah er — und das Blut erstarrte fast in seinen Adern — eine weiße Gestalt sich weit über das Reling lehnen. Eine Secunde später stand sie mit hoch erhobenen Armen auf dem Geländer und — war in der Tiefe verschwunden. Ein Aufklatschen des Wassers — dann tiefe Stille. Wie eine Vision war Alles vorüber. '' " > Schneller noch, als der kleine Vorgang sich abspielte, jagten sich die Gedanken in Harald's Kopf. Sein erster Impuls trieb ihn, sofort nachzuspringen. Aber sein Verstand zeigte ihm die Unmöglichkeit der Rettung, wenn nicht helfend« Hände sich ihm entgegenstreckten. Weder an dem steilen Ufer, noch am Bug des Dampfers konnte er emporklimmen mit einer Last in den Armen. Hilfe also, Hilfe um jeden Preis. Und schon hallte sein Schrei markerschütternd, alle Schläfer auf den beiden Schiffen
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