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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.03.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980328013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898032801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898032801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- S. 2361 fehlt
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-28
- Monat1898-03
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Tabellarischer und Ztffrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen » Au-gabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Runahmeschluß fLe Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. 158. Montag dm 28. März 1898. 92. Jahrgang. Erinnerungen von Mar Ring. Nachdruck verboten. Der Schriftsteller Max Ring hat vor Kurzem seinen achtzigsten Geburtstag feiern können; seine Jugend fällt noch in die vormärzliche Zeit, auS welcher Aufzeichnungen zu machen nur wenigen auS der an sich schon geringen Zabl der Ueberlebendeo vergönnt ist, da sie sich meistens fern von dem Schauplatze der Ereignisse aufhielteu. Nur der noch immer rüstige Carl Biedermann, der mit dem Dichter Wilhelm Jordan zu den Veteranen des Frankfurter Parlament« gehört, kann auS eigener Lebenserfahrung über Ereignisse berichten, an denen er mitwirkenb selbst betheiligt war. Max Ring hat nie eine politische Rolle gespielt, doch er hat manches, waS für jene Epoche charak teristisch ist, mit angesehen und mit erlebt und er war ein scharfer Beobachter, kritisch und vorurtdeilSfrei bei allen Sympathien für die freiheitliche Bewegung, die damals zu revolutionären Zuckungen führte. Sowohl über jene Epoche wie über die folgenden Jahrzehnte bis 1870 hat er Auf zeichnungen gemacht, die jetzt in den zwei Bänden seiner „Er innerungen" (Berlin 1898, Concordia, Deutsche VcrlagS- anstalt) gesammelt vorliegeu und sowohl als Beiträge zur Culturgeschichte dieser Zeit von Interesse sind, als sie auch einen reichen Schatz von literarischen und künstlerischen PortraitS und Anekdoten jeder Art enthalten. Max Ring ist wie Gustav Freytag in Oberschlesien ge boren, in dem Städtchen Zeuditz deS Kreises Ratibor, am 4. August 1817. Sein Vater hatte die Brannlweinpacht auf den oberschlesischen Gütern des Ministers von Haugwitz übernommen. Ein Charakterbild dieses Ministers, welches Max Ring nach den Mittheilungen seines Vaters entworfen hat, eröffnet die Reihe der PortraitS, welche diese Er innerungen enthalten. Daneben finden sich allerlei Genrebilder auS den dortigen, meist jüdischen Volkskreisen. Nach einigem Privatunterricht zu Hause und in Ratibor besuchteMaxRmg von 1828—1836 das städtische Gymnasium in Gleiwitz. Bei einem Ausflug nach Troppau kam der junge Gymnasiast auch in das nahegelegene Grätz, damals die Residenz des Fürsten Felix Lichnowski, dessen Großvater der Freund und Beschützer Beelhoven'S war, der zu verschiedenen Zeiten auf dem Schlosse lebte. Der alte Castellan erzählte von dem berühmten Com- ponisten mehrere charakteristische Züge. Nach seiner festen Ueberzeugung war der Herr van Beethoven nicht recht bei Sinnen, da er oft Stunden lang in dem großen Schloßpark mit bloßem Haupt herumrannte, mochte es blitzen, donnern und stürmen. Dann saß er wieder ganze Tage in seinem Zimmer eingeschlossen, ohne mit einem Menschen zu verkehren oder ein Wort zu sprechen. Am tollsten trieb er eS, als die Fran zosen nach der Schlacht bei Austerlitz Grätz besetzten. Der Fürst hatte dem französischen General, einem großen Musikliebhaber, die Hoffnung gemacht, den bewährten Componisten auf dem Clavier zu hören. Dieser aber weigerte sich, seine Compo- sitionen in einer geladenen Abendgesellschaft vorzutragen, und als der Fürst auch den französischen General und andere vor nehme Gäste zu der Soirse eingeladen, war Beethoven ver schwunden, hatte daS Schloß heimlich verlassen und dem Fürsten in einem Briefe, den man in seinem Zimmer auf gefunden, erklärt, daß er vor dem Feinde seine« Vaterlandes nicht spielen kann. Der LebenSabriß deS Fürsten Felix LichnowSki, seine Kämpfe unter den Fahnen deS Prätendenten Don Carlo«, sein Aufenthalt am portugiesischen Hofe, daS Duell wegen seiner „Erinnerungen", in dem er schwer verwundet wurde, seine spätere parlamentarische Thätigkeit in der Berliner Hrrrenkurie und in dem Frankfurter Par lament und sein Martertod bei Frankfurt sind bekannte Thatsachen aus seinem abenteuerlichen Leben. Ring be richtet auS persönlicher Anschauung, da der Fürst bisweilen seinen Vater besuchte, er glaube kaum, daß er einen schöneren Mann, eine elegantere Gestalt und ein inter essantere« Gesicht gesehen habe; besonders übten seine großen feurigen schwarzen Augen einen dämonischen Zauber auS; doch habe er sich drapirt, wie ein geschickter Schauspieler, der auf den Effect spielte. Seine politische Thätigkeit hielt ihn nicht ab, seinen früheren noblen Passionen zu folgen. Halb Rous, halb Staatsmann glänzte er ebenso sehr durch seine Beredtsamkeit in der Herrenkurir, wie in dem Boudoir Am tausend Mark, von M. von 8 o " ck (Berlin). Nachdruck vertaten. „Werth 1000 Mark" schrieb Heinz Tarifen mit deutlicher Schrift aus daS kleine viereckige, sorgfältig gesiegelte Packet, da« die Adresse der „Jury de« Leonhard-Müller-PreiseS" trug. Sinnend wog er daS flach« Kistchen in der Hand. Bisher war noch keine seiner Arbeiten 1000 Mark werth gewesen, aber orr Prei« war nun doch einmal so hoch festgesetzt worden, und immerhin lag die Möglichkeit vor, daß er, Heinz Carlsen, diesen Preis erhalten könnte. CS war nicht wahrscheinlich, aber doch möglich. Wenn nun daS Bild verloren ging, so erhielt er den Preis bestimmt nicht, also verlor er 1000 Mark, also — folgerte er — war das Bild ihm tausend Mark Werth. Er stülpte seinen Manilahut auf den Kopf und vervoll ständigte seine etwa» nachlässige Toilette, nahm da« Kistchen unter den Arm und trat die Wanderung nach der etwa dreiviertek Stunden entfernten ländlichen Poststation an. Tausend Mark! Wer die hätte! Herr Leonhard Müller hatte sie, mehr als hundertfach sogar. DaS famose Haarwasser hatte sie ihm gebracht. Er war ein armer Frisrurgehilfe gewesen, bi» er da» „Mähnenelixir" er funden, da» ihn zum steinreichen Mann gemacht. Sein eigene» lang auf die Schultern niederfallende» Haupthaar, da» er einst al» lebende Reklame de» Elixier getragen, war da» einzige, wa» er noch von damals übrig behalten hatte. Im Uebrigrn widmet« er sich ganz seiner Leidenschaft, den der geistvollen Herzogin von Sagan, mit der er ein zärtliches Liebesverbältniß unterhielt. Von der Natur verschwenderisch begabt, schön, geistreich und liebenswürdig feierte LichnowSki Vie größten Triumpfe, von einem Siege zum andern, von einer Sckäferstunde zu der nächsten fliegend, von den Frauen angebetet, von den Männern beneidet, ein Held im Kampfe, ein interessanter Schriftsteller, rin glänzender Redner, dem die Worte süß und schmeichelnd von den be zaubernden Lippen flössen. Eine gütige Fee schien ihn mit allen Vorzügen, allen Reizen in seiner Wiege beschenkt zu haben, nur Eins war ihm versagt — ein männlicher Charakter. Der geniale Fürst besaß alle Tugenden und auch alle Schwächen einer reizenden Frau, eine berückende An- muth und Grazie in der äußeren Erscheinung und im Be nehmen, eine bewunderungswürdige Feinheit und Gewandt beit der Form» eine große Gutmüthigkeit und persön liche Liebenswürdigkeit, aber auch eine jedes Maß über- schreitence Eitelkeit, eine große Unzuverlässigkeit, Frivolität und Gesinnungslosigkeit sowie ein Kokelliren mit allen Parteien und Strömungen. Die Einrichtung des Schlosses in Grätz verrieth die persönlichen Neigungen und Gewohnbeiten des Fürsten. Man konnte sich in der Thal nicl'lS Geschmack volleres, aber auch nichts Koketteres vorstellen, als die von ihm bewohnten Räume, besonders seinen LieblingSausenthalt, einen mit wahrhaft künstlerischem Geschmack und weiblichem Raffinement ausgestattelen Gartenpavillon, der mit seinen weißen Marmorstatueo, hohen grünen Blattpflanzen, Palmen und Lorbeerbäumen, mit seinen sybaritischen Draperien und schwellenden, weichen Causeuseu eher an daS verschwiegene Boudoir einer Pompadour oder Dubarry als an die Wohnung eines ritterlichen Helden oder Staatsmanns erinnerte. Die Aufzeichnungen auS der Studentenzeit bringen einige PortraitS damaliger Breslauer Originale, von denen das jenige des BaronS von Saerst wohl das interessanteste ist, neben dem von Ferdinand Lassalle, von dem ich in meinen demnächst erscheinenden Erinnerungen „Aus meiner Jugend" wohl ein günstigeres Bild entworfen. Bon den Professoren der Breslauer mcdicinischen Facultät sowie später von den jenigen der Berliner giebt er uns charakteristische Silbouetten. In Berlin war er von Moriz Carriöre an Bettina empfohlen und beschreibt seinen Besuch bei ihr. Auf dem Divan kauerte in halb sitzender, bald liegender Stellung eine kleine Frau von ungefähr fünfzig Jahren, in einem bequemen, alten Morgen rock, um den Kopf ein schwarzes Spitzentuch geschlungen, unter dem die dunkeln, mit einzelnen grauen Haaren vermischten Locken wirr hervorquollen und die feurigen, fast stechenden Augen mir entgegenblitzten. Nachdem ich schüchtern und unbeholfen mich meines Auftrags entledigt hatte, richtete sich Bettina aus ihrer liegenden Stellung auf und sah micb scharf, fast unwillig über die ihr lästige Störung an. „Schreiben Sie", sagte sie darauf in dem ihr eigenen Frankfurter Dialect zu mir, „schreiben Sie dem Carrivre, daß er mir nicht mebr so viele Studenten auf den HalS schicken soll, ich hab' jetzt gerade genug von der Sorte." Und als Ring sich verletzt zum Abschied erbob, mit Worten der Entschuldigung: „Ich wollte Sie nur einmal in meinem Leben sehen und bin voll kommen befriedigt", da rief sie ibn noch von der Tbür zurück. „Btriben Sie nur ruhig bei mir, Sie scheinen mir ein ganz vernünftiger Mensch zu sein." Und darauf blieb er zwei Stunden lang bei der außerordentlichen Frau. „Alles was Bettina mit mir sprach, klang mir damals wie eine höhere Offenbarung und sie selbst erschien mir in diesem Augenblick wie eine gottbegnadete Pythia. Ein Gedanke jagte bei ihr den anderen; die wunderbarsten Ideen über Leben, Wissen und Kunst flössen wie ein mächtiger Strom von ihren feinen Lippen. Es lag etwas Dämonisches, Prophetisches in ibrem ganzen Wesen und sie erinnerte mich bald an die geheimnißvollen Sibyllen des AltertbumS, bald an eine von feurigem Most trunkene Bacchantin". Nachdem Ning sein medicinische« Doktorexamen gemacht, ließ er sich in Gleiwitz als praktischer Arzt nieder. Die folgenden Abschnitte über die Zustände in Oberscklesien sind von großem kulturgeschichtlichen Interesse. Abgeseden von dem romauartigeu Capitel, welches den Muttermörder, den Fürsten SulkowSti, behandelt, welchen Max Ring auch als Hauptperson in einen seiner Romane verwebt hat, er- Mäcen zu spielen. Bei feiner recht lückenhaften Bildung lief natürlich manch« groteske Laune mit unter. So dieses Preis ausschreiben! Carlsen lachte in sich hinein; der Friseur kam doch immer wieder durch! Ein Wafchtischstillleben in jeder beliebigen Dimen sion! Hatte man je Derartige» gehört! Menschliche Staffage streng verboten! Wenn Heinz sich dennoch an die Arbeit gemacht, so war daS weniger aus Uebermuth als au» Roth geschehen. Er konnte doch nicht ewig beim Onkel Pastor auf dem Lande hocken, und das Schulstipendium war in den Lehrjahren draufgegangen. Das Herz des Malers zog sich zusammen. Seine Rivalen in der Stadt chatten elegante Marmortische mit blitzenden Flacon», in deren tausend Facetten sich da» elek trische Licht buntfarbig brach, silberne, schön geformte Becken und feinhenklige Amphoren zu Modellen gehabt. Auf großen Flächen konnten sie ihre technischen Mätzchen auSkramen, während es bei ihm nur noch zu einem tleinm Ding gereicht hatte, dessen Rahmen er sich überdies selbst aus einem neupolirten, aber schon ein bischen wurmstichigen Polisanderdrett geschreinert hatte. Er ging in Gedanken jede Einzelheit des Bilde» durch: da» Stillleben de» Waschtisches, den der alte Michel zu seiner sonntäglichen Reinigung zu benutzen pflegte. Ein wackliger drei beiniger Schemel mit braunem Steingutnapf; daneben der Pferdetränkeimer mit seinem benagten Holzrand bis oben mit frischem Wasser zum „Nachgießen" gefüllt, auf dessen Oberfläche au» alter Gewohnheit ein paar Häckselstreusel schwammen. Von der neumodischen Toilrtteseife hielt Michel nicht viel; ein Strob bund und ein Stück HauSmacherleinen zum Nachreiben genügten ihm. Eine Bürste ohne Handgriff und ein Taschenkamm hingen an einem rothea Bändchen neben dem grünlichen Spiegel balten wir interessante Photographien von den oberschlesischen Kohlenkönigen und Millionairen. Unter diesen nahm ver Zink- und Kohlenkönig Govulla den ersten Platz ein. „Dieser oberschlesiiche Krösus, der Sohn eines armen Bauern, war in seiner Jugend zuerst Diener und später Oekonomiebeamter des Grafen Ballestrem. Ein glücklicher Zufall ließ ihn in einer bereits aufgegebenen Grube ein reiches Erzlager ent decken, dessen Ausbeutung ihm der ahnungslose Besitzer gegen eine geringe Entschädigung überließ. Mit dem Gewinn dieses ersten Unternehmen« kaufte Godulla die benachbarten Felder für einen unbedeutenden Preis, indem er mit Recht dort neue, noch größere Schätze vermutbete. Seine Voraus setzungen bestätigten sich im vollsten Maße und das launische Glück überschüttete ihn förmlich mit seinen reichsten Gaben. Was er unternahm, gelang ihm; wo er in die Erde stach, sprangen ihm die besten Erze, Galmei und Kohlen entgegen. Ein eigener Zauber schien ihn zu umgeben, man behauptete, daß er im Besitz einer Wünschelruthe sei. Auch sonst schrieb ihm die abergläubige Menge übernatürliche Kräfte zu. Man wollte wissen, daß seine Wohnung ringS von Wolfsgruben und Fuchseisen umgeben sei. Allerdings war ver Millionair von einem großen Mißtrauen erfüllt und von feinen zahlreichen Spionen wurde er so gut bedient» daß er sich nur schwer täuschen ließ. Seine Untergebenen zitterten vor ihm und hielten ihn für allwissend, da ibn seine Aufpasser, besonders ein alter treuer Schäfer, heimlich über alle Bor fälle auf seinen Gütern unterrichteten." Er selbst war nicht ohne Aberglauben und Vorurtheile. Obwohl er die schönsten Schlösser besaß, bewohnte er bis zu seinem Tode daS alte BauernbauS, in dem er sein Vermögen erworben, weil er durch Aufgabe seiner Wohnung sein an sie geknüpftes Glück zu verlieren fürchtete. Ebenso wenig konnte er sich ent schließen, auf der Eisenbahn zu reisen. Auch nach dem ent fernten Breslau fuhr er stets nur in dem eigenen Wagen mit vorgelegtem Relais. Ungeachtet seiner ungeheuren Ein künfte lebte er nicht viel besser als ein wohlhabender Bauer, von dem er sich nur durch seine städtische Kleidung unter schied. Da Godulla unverheirathet war und keine Kinder besaß, so glaubte man allgemein, daß er außer seinen von ihm nicht sehr geliebten Geschwistern die Geistlichkeit oder die Familie ve« Grafen Ballestrrm, dem er sein Vermögen zum großen Tbeil verdankte, als Erben einsetzrn würde. Statt dessen adoptirte der Sonderling die kleine Tochter einer armen Köhlerfrau und ließ daS Kind höchst sorgfältig erziehen. Das Mävcven wurde seine Universalerbin uud heirathete nach seinem Tode den Grafen Schaffgotsch, der durch sie einer der größten und reichsten Grundbesitzer wurde. Ebenso vom Glück begünstigt war der in den Adelstand erhobene Herr von Winkler auf Miechowitz, ursprünglich ein unter geordneter Hüttrnbeamter, der die Wittwe eines wohl habenden Grubenbesitzers geheiratbet hatte. Durch Fleiß und Intelligenz gelang es ihm, daS Vermögen seiner Frau so zu vermehren, daß er bald zu den reichsten Gutsherren gehörte. Als er die große Herrschaft Mislowitz von einem polnischen Grafen für eine bedeutende JabreSrente erwarb, starb der frühere Besitzer schon nach einigen Jahren, so daß er die an sehnlichen Güter halb geschenkt bekam. M^ Zeit er reichte sein Einkommen die Revenuen eines kleinen souveränen Fürsten. Winkler war ein geborener Gentleman von aristokratischer Erscheinung und guten Formen; er gab mit vollen Händen; er sorgte für seine Arbeiter, unterstützte verdienstliche Gelebrte und Künstler. Seine Tochter heirathete den Herrn von Thiele, der später den Namen von Tiehle-Winkler annahm und daS herrliche Palais in Berlin erbaute. Bei seiner Berheiratbung war er noch ein in be scheidenen Verhältnissen lebender Lieutenant in mecklenbur gischen Diensten. Als er um den ConsenS einkam und der Oberst ihn auf die Vorschrift aufmerksam machte, daß ein Officier mindestens ein jährliches Einkommen von 1200 Thlrn. aufweisen müsse, um heirathen zu können, soll er erwidert haben, die habe ich täglich zu verzehren. Von dem Hungertyphus in Oberschlrsten 1847 und 1848 und von den erschütternden Vorgängen und Zuständen während der Epidemie entwirft Max Ring ein ergreifende« Bilds durchaus kein Phantasiegemälde, sondern aus tdatsächlicher Wahrheit beruhend; war er doch selbst als praktischer Arzt bei der Bekämpfung der Seuche mitthätig scherben an der Stallwand, die Michel'» Toilettenzimmer ab grenzte. Dicht daneben auf einem Strohbund hockte da» schwarze „Minchen", die feine Nase in die Blechdose vergraben, die des Knechts Haartalg barg. Denn Haartalg gehört zu jeder Bauern toilette in ausgiebiger Menge. Und drüber, durch die Stallluke fallend, der warme Sonnenschein, in dem die Stäubchen golden tanzten. Heinz Carlsen seufzte. Man konnte daS Bild im besten Falle „originell" nennen. Man hatte itzzr ja auch immer „ori ginell" genannt, wenn die Armuth ihn zwang, Wein und Bier zu meiden, Wnter und Sommer die gleichen Kleider zu tragen und auf dir leichtgeknüpften LiebeSbande seiner Collegen zu ver zichten. Damals sagte man ihm sogar „Principien" nach! Ach du lieber Gott! Er betrat da» PostgebSude und reichte sein Packet dem Beamten durch daS Schalterfenster. Dann setzte er sich auf da» Brett des geöffneten Fensters, bis der brave Alte den Schein herausgekramt, was immer länger« Zeit zu dauern pflegte. Es kam ja so selten vor, daß etwas „Eingeschriebenes" abgeliefert wurde! Auch ging e» nie ohne einige allgemein belehrende Sätzchen ab, daß das Wetter so erntefreundllch gewesen sei und der Cantor drei Heuschmtte auf seiner Wirse gemacht Hobe und der gleichen mehr. Heinz kannte da» Alle« schon auswendig. Dann aber kam etwas Neue», etwas, da» sich wie mit glühender Schrift in sein Hirn eingrub: im Postgebäude zu Haseln, dem KreiS- städtchen, sei eine Sendung Spitzen und Band verbrannt, und der schlaue Halunke, der Schöneberger, habe den vollen ver- sichkrten Betrag dafür erhalten, obwohl da» Zeug kaum die Hälfte werth gewesen sei. Nachdenklich stopft« der Maler seinen Schein in di« Tasche und kroch in allen Hütten und Höhlen deS Elends herum. Doch man lohnte es ihm schlecht — eine tumultuarische Volks bewegung in Gleiwitz richtete sich gegen seine Glaubensgenossen und gegen ibn selbst, welcher dieselben in einem Flugblatte in Schutz genommen hatte: er gerieth in Lebensgefahr und mutzke mit den Seinen die Flucht ergreifen. Auch kehrte er nicht wieder nach Gleiwitz zurück. DaS Jahr 1848 brachte er meistens in Breslau zu; hier knüpfte er freundschaftliche Beziehungen zu Berthold Auerbach an. Den Breslauer Auf stand im Jahre 1849 schildert er auS eigener Anschauung mit lebbaften Farben; er war jedenfalls bedeutender, als in der Regel angenommen wird, obschon nicht entfernt von der Bedeutung deS Dresdener MaiausstandeS. Von Breslau siedelte Max Ring nach Berlin über und der ganze zweite Band berichtet über seine dortigen Erlebnisse von 1850—1870. Die Politik tritt ganz in den Hinter grund, waS war auch in der Reaktionszeit von 1850—58 zu berichten? Später vermochte der Autor nur die Stimmungen der Hauptstadt bei den großen Ereignissen von 1866 und 1870 wiederzugeben. Nur sein freundschaftliches Verhältniß zu Schulze-Delitzsch, dem von Lassalle bekämpften Manne der Consumvereine, von dem er ein mit Liebe aus- geführte- Bild entwirft, bietet einige Berührungspunkte mit den damaligen Tagesereignissen. Auch von hervorragenden Fachgenvssen, von tüchtigen Medicinern berichtet Ring; Traube gehörte zu seinen Sckulgenossen; mit begeisterter An erkennung hebt er daS Genie des leider zu früb verstorbenen Augenarztes von Graefe hervor. Doch hauptsächlich be schäftigt sich der Selbstbiograph mit den Berühmtheiten des TbeaterS und der Literatur. Der Unterzeichnete, der sie fast alle persönlich kannte und sich auch längere Zeit in den von Ring geschilderten Kreisen bewegte, muß ihm das Zeugniß ausstellen, daß seine PortraitS mit Bezug auf Feinheit der Auffassung und Farbengebung und Wahrhaftigkeit der Charakteristik nichts zu wünschen übrig lassen. Schon im ersten Bande hatte er die PortraitS von Carl Grunert und Theodor Doering gezeichnet, ebenso dasjenige der schönen Edwina Viereck, welcher er bei Besprechung deS großen Breslauer Theaterscandals, wo sie während ibreS Gastspiel« al« Liebling der höcksten Berliner Kreise verhöhnt und mit Aepfeln und faulen Eiern beworfen wurde, einige schmeichelhafte Zeilen widmet. „Sie besaß eine Wahr bast bezaubernde Schönbeit, eine hohe majestätische Gestalt mit dem schönsten Ebenmaß der Glieder, ein ent zückendes Gesicht voll weiblicher Anmutb und Lieblichkeit, ver führerische Augen, wie zum Kuß geschaffene Lippen, schalk hafte Grübchen in den blühenden Wangen. Damit verband sie eine natürliche Heiterkeit, angeborene Grazie und reich lichen Mutterwitz. Sie glich einer modernen Helena, einer berückenden Circe und mit Recht konnte sie wie Turanbor von sich sagen: „Sieh hin und bleibe Deiner Sinne Meister!" " Im zweiten Bande schließen sich diesen Tbeaterportraits die jenigen der beiden Regisseure des HoftbeaterS, Weiß und StawinSky, der Auguste Crelinger, Clara Hopps, Schröder^ Devrient, Beckmann'S, Rotl'S rc. an. Noch reichhaltiger ist die Galerie literarischer PortraitS. Da finden sich Gutzkow, Mundi, Laube, Kalisch, Brachvogel, der Dichter deS „Narciß", dessen Lebenslauf, Denk- und Dichtweise eingehend geschildert wird; auch von Alexander Humboldt erhalten wir eine getreue photographische Aufnahme sowie einen Bericht über die Eigenthümlichkeiten seines Privatlebens. Alle diese Abschnitte enthalten viel Treffendes, auch pikant Anekdotisches, doch wir wollen hier nur etwas näher auf dasjenige eingehen, was Ring von Varnhagen und seinem Kreise erzählt, bei dem er selbst auch länger verweilt, als bei allen andern Schilderungen de« gesellschaftlichen Lebens in Berlin. Em CabinetSstück der Portraitmalerei ist das Bild von Varnhagen selbst, feinsinnig erfaßt und durchaus richtig gegenüber so mancher verzerrten Darstellung de« dem Anschein nach kühlen Diplomaten. „Ein rüstiger Sechziger, eine imposante Erscheinung, kräftig und stattlich, hochschultrig, mit noch dichtem, wenn auch grauem Haar, breiter, freier Stirn, seiner, fast spitzer Nase, etwas eingefallenem, gekniffenem Mund, mit klaren graublauen Augen hinter einer goldgefaßten Brille." „Er besaß eine große HerzenSgüte und weit mehr Gemüih, al« ibm selbst seine Bekannten zutrauten. An jedem Weihnachtsabend ging er, sobald eS dunkelte, in Begleitung seiner Nichte und der und schlenderte nach dem Bahnhof, um den nächsten Zug abzu warten, die einzige Zerstreuung, die man in dem öden Nest.- finden konnte. Wie jeder echte Künstler liebte er seiner Hände Werk zgrtlich. aber trotzdem keimte in ihm der Wunsch auf, daß daS Preis stillleben verloren gehen möchte. Verbrennen, zerreißen, ge stöhlen werden, jede Todesart war ihm recht, wenn er nur seine 1000 Mart bekam. Mit der unpersönlichen Person der „Post" hatte er kein Mitleid, für sie war die Summe «ine Kleinigkeit. Der Herbstabend war schnell hereingebrachen und dichter Nebel senkte sich nieder; die spärlichen Laternen de» kleinen Bahn Hofs durchdrangen ihn kaum noch. Der Perron war ganz leer. Seit man ein Billet für 10 Pfg. lösen mußte, kamen die Ein wohner nicht mehr zu ihrem Vergnügen her, und da eS «in Montag war, reiste auch Niemand. Der Zug hatte starke Verspätung, endlich tauchten die rothen Lichter der Lokomotive auf, aber nur langsam kam diese näher. Der Briefträger ließ Werthpacket und Ledersack einen Augenblick neben Heinz liegen, um sich nach dem Grund der sonderbaren Verspätung zu erkundigen. Es zuckte dem jungen Menschen durch alle Finger, dem Kasten einen leisen Stoß zu geben, so ^>aß er auf die Schienen zwischen die Räder fiel. Aber da» hätte den armen Briefträger um Lohn und Brod gebracht! Heinz verpaßte den günstigen Augenblick und im nächsten kam der Alte aufgeregt angetradt. Der Zug war im Nebel über irgend ein Hinderniß himveggefahren und war, wenn aizch nicht entgleist, doch etwa» zu Schaden gekommen, nun sei Alles wieder in Ordnung. Er lieferte Briefsack und Packet ordnungsgemäß ab und der Zug setzte sich langsam wieder in Bewegung. Da, plötzlich rin Gegrnstgnal au» dem Postwagen, dir schrille
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