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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021203029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902120302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902120302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-03
- Monat1902-12
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Kardorsf eingebiachten Antrag auf Schluß der bereits sünf Tage ge führten GrichäjlSortnui'gSdebatte über die Frage der Zu- läisigkeil des bekannten Antrags desselben Abgeordneten zum tz 1 des ZolltansaeseyS. Da die GeschästSvibnung des Hauses keinen Schluß für GesckästsordnungSdebatten voisiebt, so ichleß die Soziatvemokraiie samt ihren Anhängieln mit bekannter Logik, daß ein tolcher Schluß übeiHaupt nicht siansinden dürfe und die Mehrheit sich Vie Fortführung der Gochas Sordnungs- debatte bis Weihnachten oder bis zum Ende der Legislatur periode gefallen lassen müsse. Dieselbe Minderheit, die ihre Interpretation der GeschäktSorbnung der Mehrheit anf.winzen will, donnerte über „Vergewaltigung", weil die Mehr beit sich nickt einreden lassen mag, die Väter der GesckäslSordnung hätten hellerlicklen, den ganzen Parla mentarismus lahmlegcnven Unsinn in ihr Werk hinein bringen wollen. Die Mehrheit ließ sich aber druck dieses Donnern nicht davon abbalten, den Sckluß der GesckäjrsorbnungSbcbatte zu beschließen, nachdem sie einen Antrag Singer aus Uebergang zur Tagesordnung ab- gelebnt hatte. Nun war die Babn frei zur Avuiminung über die Zulässigkeit des Antrags Karvoiff zum Zolltarif gesetze. Das Ergebnis war überrajchend gü stig, denn die Zutäisigkcit winde mit >98 gegen nur 45 Stimmen bei 11 Snmmentbaliungen ausgesprochen, wobei allerdings zu bemerken ist, daß die Sozialdemokraten den Saal verlassen harten. Bis dahin war alles noch leidlich gegangen; nun aber verwirrte sich die Tukujsion immer nnhr. Die ObstrukiionSparteien ließen cs zur materiellen Debatte über den Haup'antrag Kardvisf noch immer nickt kommen, son dern eröffneten dre soeben geschlossene Gesckäsi»oibnungs- deba'te aufs neue. Leider wurde ihnen dies druck das Vor gehen der Mehrheit, das nicht von gesch ckicr Hand geleitet zu werden schien, erleichtert. Denn indem ter Vize präsident Gras Stolberg fest'tellie, daß die ZuläffiI.nt d-S MeoiheitcaiilrageS beschlossen sei, mußte er hinzufügen, daß die allerdings nicht ganz einwanvsfieie ursprüngliche Fassung deS Antrages inrwnchen durch eine neue ersitzt sei. Ueber- dieS wollte daS Unglück, daß der neue Antrag v. Kardorsf, durch cen dies geschah, nickt eine einzige Uuterichrfft trug, und daß schließlich die Annahme eines Bersehenö der Diuckerer über bieien Mangel binweahelfen mußte. Gerade in der augenblicklichen, auf soimale Schärfen gestellten Lage sollte mit der allergrößten Vorsicht und Ko,r>kldelt n> formalen Dingen verfahren weiden Tie Obstiullion hatte durch jene Verstöße zum mindesten Vorwände ei ballen, die ganze Debatte der letzten Tage von vorn anzusangen. Ein un- rrfreulichei Vorgang war es serner, baß bei einer nament lichen Abstimmung der Präsident Graf B a l l e st r e m die Veitünbigung des Ergebnisses mit Unter brechung der Sitzung aussetzle, bis die Abstimmung sckiifilich fixiert war. Es geschah dies, weil der Acgeordnele Singer Einspruch gegen das nach bloßer Zenetzahlung vertändele Ergebnis ankündigte, und war nach den bei einigen Abstimmungen vorgekommenen Jrrtümein bezüglich d r genauen Stimmenzahlen vielleicht nicht zu vermeiden; aber der Nutzen des sogenannten Antrags Aickbickler ist bei solcher Praxis illusorisch. Es wurde dann noch einmal über die Zulässigkeit deS „berichtigten Antrags Kardorsf" adgeslimmt und diese ausgesprochen. Ter schlimmste, in seinen Einzelheiten unbeschreibliche Tumult brach aber gegen 8 Uhr aus und dauerte mit Unterbrechungen, die man veischiedenen namentlichen Abitimmungen dankte, biS gegen Mr Ubr, d. b. bis zu dem Augenblicke, da Vie Mehl heil die Hoffnung, daß ihr die Durchsetzung des Antrags Kardorsf roch noch gelingen werde, aufgeben und in die Deiragung bis heute mittag 12 Ubr willigen mußte. Die Skandale wurden dadurch hervorgerufen, daß entgegen dem bisher ge übten Brauche Vizepräsident Büsing bei dem vom Abg. v Tiedemann erhobenen Widerspruche gegen die Zulässigkeit von Anträgen auf Uebergang zur Tagesoiduung bei Anträgen aus Sckluß der Debatte die Entickeivung des Hauies an rufen wollte. Die L nke verhinderte die Weiierberalung so lange, bis Abg. v. Tiedemann seinen Wideripiuch zurückzvg und endlich auf Antrag Spahn die strittige Frage der GeschäslSordnungskommission überwiesen wurde. — Was gestern vorgekommen ist, stellte alleö bisher im Reichstag Dagewesene in den Schatten. Kurz nach 9 Uhr brach dem Grafen Stolberg die Präsidialglocke entzwei. Graf Stolberg entfesselte die schlimmsten Scenen daruich, daß er cknsequent die Meldungen der Linlen zum Worte mit der Er- kläiung: „Wir befinden unS in der Abstimmung" abschnitt, waS regelmäßig die furchtbarsten Lärmscenen cnijeisilte. Tie letzten anveitbalv Stunden wurden ausgesülll durch ein unüder- tcbbareS Tobuwabobu von Anträgen und Abstimmungen. Am Schlüsse der Sitzung ging der allgemeine E »druck dabin, daß es so nickt einen Tag weiter geben dürfe. Was aber getchebcn soll, um AebnlickeS zu verbüken, weiß kein Mensch. Die Vermurung wird noch durch das Gerückt veinrchrt, Graf Ballestrem sei mit dem Z ntrum in Meinungs- verichiedenbeiten geraten, da er dessen Vorgehen nicht billige, und trage sich nut der Absicht, das Präsidium nieder- zu legen. Nach einer andeien Lesart ist der P äsieent in folge der Vorgänge der letzten Tage nur leidend. Jedenfalls wäre eS sehr zu beklagen, wenn seine sist Hand bei ren Weilerberatungeii fehlte, deren Ende nach den gestrigen Vor fällen nicht ab,usehen ist. Zolltarif »>iS Je iu> leuchst»;. Wenn jetzt die Mitteilung druck die Presse geht, daS Zentrum habe sich als Belohnung für seine Hal ung in der Zolls,aze die Aushebung des tz 2 reS JesuuengesetzeS aus bedungen, so irrt man wo>l sch re lick in der Annahme, die llrhebeisckast dieser Nackr ckt sei cort zu tucken, wo man ein Interesse daran hat, neue Sckwiengkeiten für das Zuuande- kominen des Zolltarifs hervorzuiuien. Dieser Zweck könnte, io meint man vielleicht im Lager der Gegner ter Zoll vorlage, erreicht werden, wenn bei den nickt zum Zen rum gehörenden Parteien oder Gruppen der Mehrheit M gtrau>n gegen Vie Absichten genährt wurre, von denen das Zeutium bei leinen, Eintreten für den Zolltarif geleitet wird. Man braucht von iolchem Mißtrauen durchaus nickt frei zu sein und wird doch dir lleberzeugung haben können, das Z ntrum habe ein viel zu großes Jnierefie daran, ren Zolltari, nicht in die Wahlen zu bringen, um nickt alles auizubieien, daß er vorher zur Erledigung komme. Mehr als jede andere Partei würde gerade das Zentium in dem Zuilaneetonunen des Zolllanfs an und für sich einen Preis und eine Belohnung iür leine Bemüoungen zu erblicken vermögen, jo daß cs nickt noch einer Exirabelobnung bedürfte. Die Stellung der Parteien zum F 2 deS Jesullengkittzes ist bekannt. Der aus Aushebung cieses Pa»agrapben gerichtete Antrag ist vom Reichstage wiederholt angenommen wo« den. Es kann fraglich erscheinen, ob eS dem Zentrum besonder- erwünscht wäre, wenn die ver bündeten Regierungen gerade jetzt be'chließen wollten, dem ReichsiagSbeichtusie Folge zu geben. So lange dies nickt der Fall ist, besitzt daS Zentrum in seiner Forderung ein Mittel der Agitation und der Propaganda, das ibm vielleicht noch immer wertvoller erscheint, als manche Konsequenz, die sich ergeben würde, wenn der Bundesrat seine bisherige Stellung zu dem Anträge — namentlich unter den augenblicklich ob waltenden Umständen — ändern ober als eine geänderte gerade jetzt markieren und zum AuSvruck bringen wollte. Ter Ausgang Ser Gemcinderaiswahlcu in München ist für das Zentrum ebenso überraschend wie beschämend. Es batte gehofft, bei den diesmaligen Wahlen einen großen Ersolg zu erzrelen und die Lmle zurückzudrängen, waS einer der Redner der letzten großen Zentrumsversammlung am Tage vor der Wahl in die mit stürmischem Beifall aufgenommene Parole zusamnienfaßte: „Hinaus mit den Sozialdemokraten und Juden aus dem Rat hause." Es wurde übe,Haupt in all diesen Wahlversamm lungen nach demselben Rezepte gearbeitet: Hervorkebrung des Antiiemiusmuö und Klagen über den „Parteirerrorismus der L'bera.en." Daß die bayerische Zentiumsfiaktion für den ost sehr rüden Ton der Veriamnilung die Vcraniwortung zu übernebmen bat, gebt daraus hervor, daß der Chef redakteur deS offiziellen Parteiorgans in den Versammlungen eine große Rolle spielte. Und der Eifolg all' dieser Ver hetzungen? Die Liberalen behaupteten ihre Mandate läiut- tich, während das Zentrum zwei Sitze verlor, die der Sozial" demolratie anheinffielen. Auch vaS SnmmenverbältniS bat sich zu Unguuslen deS Zentrums gewandelt. Ja der letzten Zentiuuisversammlung tonnte noch daraus hingewiesen werde», daß bei een vongeu Gemeinkeratswahlen das Zentrum 6800 Stimmen erhalten hatte, während eö die Liberalen nur auf 6l00 Stimmen gekrackt hallen. Diesmal aber haben eie Liberalen 7650 Stimmen auf sich vereint, wahrend das Zentrum nur 7400 Summen erhielt, so daß die Zentrums mehrheit von 400 Stimmen sich in eine Minderheit von 250 Stimme» verwandelt hat. Der Verdruß der Münchner über die bekannte kunstfeindliche Haltung des Zen rums in der letzten Laiidtagsjession bat sich also dock als stärker erwiesen, als die Hetze, die das Zentrum mit dem Kaiier- lelegramm, der Abschaffung des dayernchen Generalshutes und anderen im Sinne eines öden Partikulariemus aus gebeuteten Dingen Monate hindurch betrieben hat. Wir wollen wünschen und hoffen, daß das bayerische Zentrum bei den näbsijahrigen allgemeinen Neichetagswahlen nickt nur in Münwen, sondern in ganz Bayern eine ähnliche Quittung für seine Hctzläugkelt erhält. „Los vom Kiichcustaate!" In der neuen großen Wiener Tageszeitung „Die Zeit" nimmt ein ungenannter Mitarbeiter, der sich „Ger manuS" nennt, daS Wort zu einer Reibe bedeutungsvoller kirchen- politrickcr Briefe, die sich nach Art der Speklatorbriefe mit löiuiscken Z fftändcn befassen wollen. Jbr Verfasser bezeichnet sich einten end lelvst als „ ka l b o l is chcn Ge istl ich e n ". Der erste Brief tiägl die interessante Ueberichrfft: „LoS vom Kirchenstaat"; u. a. finden sich folgende wertvolle Selbstgeständrnfse: „Der Kirchenstaat ist ein nebelhaftes Schemen auS der Vergangenheit, der aber dock noch einen düsteren Schatten auf die gegen wärtige Entwickelung des kirchlichen Lebens hereinwnfk. Dieser Schatten heißt Politik, und diese fällt so tief ins kirchliche Leben hinein, daß sich der Katholik ost staunend fragen möchte, ob er eigentlich ein Glred einer kirch lichen oder einer politischen Institution ist. Die Zahl der Katholiken, die diesen Schatten verscheuchen möchten, nimmt ebenso zu wie ihre Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen. Einen großen Teil jener Katho liken, die eS vor allem mit ihrer Religion ernst meinen, erfüllt eS mit peinlichem Unbehagen, daß die Be- Ickästlgung mit dem verlorenen Kirchenstaat, diesem rein politischen Gebilde, die Aufmerksamkeit und Tätigkeit der Kurie in einem höheren Mage in Anspruch nimmt, als eS der Lötung der religiösen Ausgaben des neuen Jahr hunderts forderlich ist. Zu diesen gehört die Erhaltung deS Besitzstandes und die Erfüllung der apostolischen Mission der Kirche, die durch Wahrheit und liebevolles Entgegenkommen an sich riehen soll, was noch außer halb derselben steht. In Oesterreich gelingt es zur Zeit der Kirche nicht einmal, ihren Besitzstand zu erhalten; als die Abfallsbewegung einbrack, fand sie geebnete Wege — wer würde sich zu sagen getrauen: ohne Schuld des Klerus?!" Und am Schluffe heißt eS: „Tock da tönt unS ein Kou pos8umus entgegen: Wir können nicht auf unveräußeiliche Rechte des heiligen Stuhles, auf den all ehiwürdigcn Besitz verzichten. Wie, können wir wirklich nickt? Was tat denn Antonelli, der Staatssekretär PiuS' IX., im Jabre 1858? Er bot die ganze Romagna und die Marten Qeilerrcich au, wenn es die Unterdrückung der konstitutionellen Regierung in Sardinien und ganz Italien besorgen wollte! Al>o Was aus politischen Gründen zum Zwecke der Unler- diückuug der bürgerlichen Freiheiten möglich war, ist auS Nacksichlen der Religion nicht möglich! Ist die Verwelt lichung der Kurie wirklich schon so weit vorgeschritten? Leider. Aber auf was wartet man denn? Etwa auf eine freiwillige Zuiückgabe des Kirchenstaates? So naiv ist man in der Kurie nicht. Also auf eine anderweitige Aendcrung der Dinge. Auf welche? Etwa darauf, daß daS Elend in Italien so zunehme, daß schließlich die Brandfackel "er Re volution den verhaßten Quurnal in Schul! und Äickc ver wandle? Wenn der Vatikan biS dabin gefühllos das Eiend J'alienS um sich greifen läß', ohne dem Kranken beizuipringeu, bann wird sicher beim Ausdruck einer Revolution der Vatikan nicht nur zugleich mit dem Quinnal ein Opfer der Zer störung sein, die Flammen werden zuerst aus dem Vatikan emporfchlagen. WaS dann?" Eualand und Italic» im Somaltlande. In Beantwortung einer Interpellation Santinis in der italienischen Deputierten kämm er über die Haltung der italienischen Regierung gegenüber den Ereignissen im englischen Somalilanve sübrte gestern Minister des Aeußeren Prinettl aus, daß Jialicn seit langer Zeit das Protektorat über die Sultanate Mckschurlmi und Obbia ausübe. Die südlicher gelegene Kolonie Bcn-Aris werde von einer iialieniichen Gl-sellickaft verwaltet und daS der Küste dieser Kolonie enlspiechende Hinterland weide als zur italienischen Einflußsphäre gehörig be trachtet, al>o als ein Gebiet, über welches, wenn überhaupt eine Nation, nur die italienische einmal die Souveränität haben könnte. Bisher wehe dort aber nicht Feuilleton. 8, Der Untersuchungsrichter. Roman von Heinrich Kornfeld. Nachdruck verboten. In seiner Erregung chatte sich der Staatsanwalt von seinem Sitz erhoben. Mit den Händen aus dem Rücken schritt er eine Weile schweigend auf und ab. Jetzt blieb er vor seinem Besucher stehen. „Ich werde mit Assessor Wrede sprechen", sagte er. „Er muß Pauls Entschuldigung annehmcn und seine For derung znrückziehen." Herbert Deinhard schüttelte mit dem Kvvf. „Ich glaube nicht, Herr Staatsanwalt", erwiderte er, „daß Sie von Wrede etwas erreichen werden." Und er berichtete kurz von dem Verlauf seines Besuches bei dem Rrgiernngöassessor. „Aber wenn ich ihm vorstellc", meinte Staatsanwalt Selling, „daß sich Hildegard mit Ihrem Bruder mrlobt hat, daß er also nicht nur Ihren Bruder, sondern auch mein armes schuldloses Kind treffen würde." „Ich glaube, Herr Staatsanwalt, das würde die Sache nur noch verschlimmern und den Herausforderer nur noch fester in seinem Entschluß machen, Paul vor seiner Pistole zu sehen. Denn ich habe den Eindruck, daß cs gerade die Tatsache ist, daß Paul so glücklich war, die Neigung Ihrer Tochter zu gewinnen, die Herrn Wrede mit so aus fallender Animosität gegen Paul beseelt." „So?" Der Staatsanwalt blickte betroffen. „Meinen Sie wirklich? Aber das — das wäre ja das ver ¬ riete ja einen Charakter von ganz außergewöhnlicher Ge hässigkeit." Herbert Deinhard zuckte mit den Schultern. „Mit diesem Umstand müssen wir rechnen, Herr Staatsanwalt." „Tas wäre ja ein Grund mehr für unS", rief Staats anwalt Selling in wachsender Besorgnis, „das Duell zu verhindern, denn dann müßte man ja von diesem Menschen das Schlimmste gewärtigen." „Allerdings." „.Hm, dann — wissen Tie waS, ich werde den Kom mandeur Ihres Bruders aufsuchen." „DaS habe ich schon getan, vergebens." »So? —" Der Staatsanwalt sann eine Weile vor sich hin. „Na, dann bleibt eben nichts anderes übrig, so peinlich mir das in diesem Fall auch ist, als in meiner amtlichen Eigenschaft cinzuschreiten und den Zweikampf durch gesetzliche Maßnahmen zu vereiteln." Der Landrichter wiegte nachdenklich sein Haupt. „Daran habe ich auch schon gedacht, Herr Staats anwalt", sagte er mit hoffnungsloser Miene. „Aber auf diesem Wege werden wir unser Ziel nicht erreichen. Wir liefen Gefahr, meinen Bruder in ein falsches Licht zu stellen und würden ihm jedenfalls höchst peinliche Un annehmlichkeiten bereiten. Das Schlimmste aber wäre, daß wir uns im Grunde nutzlos bemühen würden. Das Duell würde zwar ausgeschoben und nicht aufgehoben werden, denn dann würde es für meinen Bruder, um jeder falschen Deutung aus dem Wege zu gehen, erst recht Ehrensache sein, der an ihn ergangenen Forderung zu entsprechen. Man würde einige Zeit warten und leicht Mittel und Wege finden, den Zweikampf auszusechten, ohne uns in Mitwisscnschast zu ziehen." Staatsanwalt Selling nickte langsam und nachdenklich. „Sie haben recht", gab er zu. „Nun, daun gibt es nur noch ein einziges, letztes Mittel." Er setzte sich wieder zu seinem Gast, der erwartungsvoll zu ihm aufschaute. „Ihr Bruder muß den Abschied nehmen. Dann zwingt ihn nichts, sich seinem Herausforderer zu stellen, um so weniger, als er ja selbst, wie Sie sagen, den Eindruck hat, Wrede habe ihn in frivoler Weise provoziert, um einem niedrigen Racheaefühl zu frönen. Wenn Ihr Bruder nicht mehr Offizier ist, kann er, ohne sich zu schädigen, einfach erklären: ich duelliere mich nicht." An dem tiefen Aufatmen des Landrichters war zu er kennen, wie sehr ihn dieser Vorschlag befriedigte. Der düstere, verzweifelte Ausdruck in seinem Gesicht ver schwand. „Ich danke Ihnen von Herzen für dieses Wort", sagte er herzlich, und streckte mit einer impulsiven Bewegung dem ihm Gegenübersitzenden seine Rechte entgegen. „Sie nehmen mir eine schwere Sorge vom Herzen. Auch ich habe dieses AnSknnftsmittcl bereits bei mir erwogen, aber ich wagte nickt, Ihnen den Vorschlag zu machen." „Warum nickt?" „Weil ich befürchtete, wenn mein Bruder nicht mehr Offizier ist, würde er Ihnen —" „Nicht mehr als Schwiegersohn genehm sein?" voll endete der Staatsanwalt, als sich der andere befangen unterbrochen hatte. „Ich habe meine Zustimmung zn der Wahl meiner Tochter gegeben, weil ich mein Kind glück lich sehen will und weil ich nichts gegen Ihren Bruder einzuwenden habe. Sein frisches, warmblütiges, lebens frohes Wesen gefällt mir, und ich habe die Ueberzerrgung, daß er meine Tochter um ihrer selbst willen liebt und be gehrt. Ob er Offizier ist oder einem andern ehrenwerten Berus angchvrt, ist für mich nicht von Bedeutung." „Aber Ihr Fräulein Tochter?" wandte Herbert Dein hard ein. „Hildegard?" Staatsanwalt Selling erhob sich mit plötzlichem Entschluß. „Nun, wir werden gleich sehe», wie sie darüber denkt." Er schritt zur Tür, drückte auf den Knopf der elek trischen Klingel und trug dem eintretcndcn Dienstmädchen auf, seine Frau und seine Tochter herbeizuvusen. Ein paar Minuten später erschienen beide Damen. Hildegard heftete ihren Blick in halb ängstlicher, halb freudiger Spannung auf ihren Vater, während die Frau Staats anwalt den Landrichter begrüßte. Der Staatsanwalt nahm seine Tochter an der Hand und sagte: „Liebes Kind, Herr Landrichter Deinhard hat mir soeben die Bewerbung seines Bruders um deine Hand überbracht. Der Herr Leutnant ist durch eine unauf schiebbare dienstliche Angelegenheit verhindert, selbst zu kommen. Da er dich aber nach dem, was gestern zwischen euch vorgcfallen, nicht ohne Nachricht lassen wollte, sandte er seinen Bruder. Sobald ihm der Dienst erlaubt, wird er natürlich selbst erscheinen." Der Sprechende warf einen Blick nach dem Landrichter hinüber. Dieser nickte. Staatsanwalt Selling wandte sich wieder an seine Tochter. „Also, liebes Kind, was soll ich dem Herrn Landrichter antworten?" Die Gefragte erglühte bis zur Stirn und verbarg ihr Gesicht an der Brust ihres Vaters. „?lch, Papa!" stammelte sie, mit ihrer Seligkeit und ihrer mädchenhaften Scheu ringend. Der Staatsanwalt streichelte liebkosend den Kopf seines Kindes. „Du liebst ihn", sagte er in einem Tone, in dem seine Rührung hörbar zitterte. „Gut! DaS hast du mir schon heute früh erklärt. Darnach wäre also die Antwort klar, die ick dem Bruder des von dir Auserwähltcn zu erteilen hätte, wenn nicht ein unvorhergesehener Umstand ein getreten wäre." Mit einem Ruck löste das junge Mädchen seinen Kopf von der Brust ihres Vaters und blickte fragend und beunruhigt auf. Auch Frau Selling zeigte eine betretene Miene und sah bald auf ihren Gatten, bald auf den Landrichter. „Ja, mein Kind", fuhr Staatsanwalt Selling fort, „gewisse Umstände machen es Herrn Leutnant Deinhard wünschenswert, seinen Abschied cinznrcichen. Ich be merke, daß das unerwartete Ereignis, das ihn zu diesem Einschluß veranlaßt oder veranlassen wird, dem Herrn Leutnant nicht im allergeringsten zum Vorwurf gereichi. Im Gegenteil! Dich aber, ilebesKind, will ich fragen, ob du trotzdem daran festhältsl, Pa»; DeinbardS Frau zu werden ?" Die junge Dame richtete ihr Gesicht in die Höhe und sah ihrem Vater voll in die Augen. „Aber natürlich, Papa", erwiderte sie ohne Zögern, während die Glut auf ihren Wangen noch eine inten sivere Färbung annahm. „Ick liebe doch nickt seilten Nock und seinen Titel, sondern ick liebe ihn, weil — nun, weil er ist, wie er ist. Ick liebe sein Wesen, seine Persönlichkeit, seinen Charakter." Staatsanwalt Selling nickte und küßte sein Kind auf die Stlrn. „Ich habe nichts anderes erwartet", sagte er. Und zn dem Landrichter hinüberblickend, fügte er hinzu: „Sw hören. Teilen Sie es Ihrem Bruder mit und schicken Sie ilm uns recht bald." Und in seinen Blick eine ernste, be sondere, nur dem Landrichter verständliche Bedeutung legend, wiederholte er: „Schicken Sie ibn unS!" Als Herbert Deinhard sich verabschiedet barte, be stürmten Hildegard und Frau Selling den Staatsanwalt mit Fragen. Was denn geschehen sei? Warum Paul Deinhard sich entschließen werde, den Abschied zu nehmen ? „Dienstliche Ursachen sind S", wich der Staatsanwalt ans, „die euch nickt interessieren. Uebrigcns ist cs ja auch noch gar nickt bestimmt. Vielleicht läßt es sich noch vermeiden. Wir werden ja sehen." „Und du kannst es »ns nickt sagen?" fragte die Frau Staatsanwalt, und sah ihren Mann erstaunt und be unruhigt an. Er zwinkerte ihr verstohlen mit den Augen zu. „Wie gesagt, cs sind rein dienstliche Lacken. Ich glaube, ein Konflikt mit seinem Oberst." „So — so!" Frau Selling nahm ihre Tochter an der Hand. „Komm, Kind, das interessiert uns nicht." Hildegard nickte ihrem Vater lächelnd zu, un bekümmert, ahnungslos, zukunftSfroh. Viertes Kapitel. „Nun?" Mit dieser Frage stürzte Paul Deinhard seinem zurückkehrendcn Brrrdcr entgegen. Der Land richter drückte seinem Bruder die Haud.
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