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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030526026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903052602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903052602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-26
- Monat1903-05
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(Srira-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Anzeiger. Amtsblatt des Aömgkichen Land- und des Aönigkichen Amtsgerichtes Leipzig, des Mates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Annahmeschluß für Anzeigen: Abead-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr- Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sir. 264. Dienötag den 26. Mai 1903. 97. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Mai. Die Jesuitensrage und die Borgänge in Frankreich. Der größte Teil der nationalliberalen Presse, besonders der süddeutschen, hat es sich mit Rücksicht darauf, daß die Zeit der Wahlbewegung nicht dazu geeignet ist, Differenzen zwischen Parteimitgliedern zum Austrage zu bringen, versagt, gegen die bekannten Auslassungen des Abg. Bass ermann über den 8 2 des Jesuitengesetzes und seine Angriffe auf die Verteidiger dieses Paragraphen Stellung zu nehmen. Daraus darf man jodvch nicht schließen, daß es Herrn Bassermann gelungen sei, diese Verteidiger zu bekehren. Sie ignorieren seine Kund gebung vorläufig, fahren aber fort, vor der Aufhebung des Paragraphen zu warnen. Besonders wirksam tut dies ein namhafter nationalliberaler Reichötagsabgeord- neter aus Württemberg, der im „Schwab. Merk." unter der vorstehenden Ueberschrist einen Artikel veröffentlicht, der zunächst dem Reichskanzler und dem Zentrum die Schuld an dem Hineintragen der Jesuitensrage in die Wahlbewegung zuschiebt und dann fortfährt: „Immer wird (in klerikalen Kreisen) von nencm ausgcführt, daß es sich nur um die Aufhebung eines längst bedeutungslos gewordenen Paragraphen handle, während die Aus schließung des Jesuitenordens vom Deutschen Reiche ja un angetastet bestehen bleibe. Angenommen, es hätte mit der Bedeutungslosigkeit, rein sachlich betrachtet, seine Richtig keit, so entbindet das den Politiker doch nicht von der Ver pflichtung, genau zu erwägen, welche Wirkung unter den gegebenen Umständen die Aufhebung des 8 2 auf die allgemeine Lage ausüben würde. Und da steht zweierlei außer allem Zweifel: Die M a ch t st e l l u n g des U l t r a m v n t a n i s m u s im Reiche würde durch einen solchen Erfolg eine neue und ganz bcdeukende Stär kung erfahren: außerdem aber würde sich das Zentrum aufs höchste ermuntert fühlen, um nur um so nachdrück licher die Aufhebung des ganzen Jesuttengeseyes zu fordern. Man sagt, die aus Anlaß der Bülowschen Er klärung von antiultramontancr Seite ins Werk gesetzte Bewegung gefährde den konfessionellen Frieden. Würde dieser Frieden aber nach Aufhebung des 8 2 in m i n d c - rem Grade gefährdet sein? Die Befürworter der Auf hebung kommen »m die Tatsache nicht herum, daß fortan der Kamps um den Torso des Jesuitengesetzes von der politischen Tagesordnung nicht mehr verschwinden würde. Und bei unbefangener Ueberlcgung werden sie sich nicht verhehlen können, daß das Zentrum in der Lage sein wird, dieselben Gründe der „Gerechtigkeit", die jetzt gegen den 8 2 ins Feld geführt werden, mit verstärktem Gewicht und erhöhter "Aussicht auf Erfolg gegen das ganze „Aus nahmegesetz" geltend zu machen. Es ist kein Zweifel: Die Aufhebung des 8 2 würde als u n a u f h a l t s a m e Kon- s e q u e n z die 'Aufhebung des ganzen Gesetzes nach sich ziehen. Wollen wir das? Soll der Jesuitenorden un gehindert in deutschen Landen wieder zugelassen werden? Darauf in der Tat kommt es an, und alles Gerede von der Bedeutungslosigkeit des 8 2 kann daran nichts ändern. Ist denn aber der Paragraph wirklich so wertlos? Ein Blick auf Frankreich mag darüber Aufschluß geben. Dort ist den Mitgliedern der aufgelösten Kongregationen das Predigen in den Kirchen verboten. Trotzdem pre digen sie, und so find Hie Gotteshäuser zum Schauplatz von Balgereien geworden. Um dieser Schmach ein Ziel zu setzen, verlangt die Regierung von den Bischöfen und den Pfarrern unter Androhung der Temporaliensperre, daß sie den Kongregationisten ihre Kanzeln versagen. Das Verlangen wird einfach ignoriert. Run steht 'die Regie rung vor der Frage, ob sie immer schärfere Maßregeln von unabsehbarer Tragweite ergreifen soll, und inzwischen wird die empörende Entweihung der heiligen Stätten ihren Fortgang nehmen. Besäße die französische Regie rung eine dem 8 2 unseres Jesuitengesetzes entsprechende Befugnis, so würde sie den unbotmäßigen Kongregatio nisten ihren Aufenthalt an unverfänglichen Orten an weisen, und jenen wüsten Scenen märe gründlich vor gebeugt. Daß sie bei uns in Deutschland verhütet worden sind, ist in der Tat dem 8 2 zu verdanken. Auf Grund desselben sind noch vor zwei Jahren in Lü dinghausen einige Jesuitenpatres, die dort unter Uebertretung des 8 1 des Jesuitengesetzes Missionspredig- ten halten wollten, zum Abreisen veranlaßt worden. Steht der Polizei eine derartige Befugnis nicht mehr zu, so haben auch wir, wenn mir uns die Mißachtung eines Reichs gesetzes nicht ruhig gefallen lassen wollen, die widerwärtig sten Skandalscenen zu befürchten. Lassen wir es also lieber beim Alten!" Zentrum, Welfcntnm und preußische Regierung. Die klerikal-bündlerische Kandidatur im Wahlkreise Hildesheim gegenüber dem Welfen v. Hoden berg hat bekanntlich eine große Ver stimmung zwischen Zentrum und Welfentum zur Folge gehabt. Die eigenartigste Form dieser Verstimmung dürfte in der „öffentlichen Anfrage" bestehen, welche die welfische „Deutsche Volksztg." an den Hildes heimer Zentrnmsführer Justizrat Förster richtet, in dem sie wörtlich schreibt: „Wagen Sic cs, abzulcugnen, unter Abgabe Ihres Ehren wortes, daß im vorigen Sommer verschiedene Unterhand« lungen Ihrerseits mit dem Regierungspräsi denten Herrn von Philipsborn stattfanden, welche die Beseitigung des wclfischen Reichsiagsabgeordneten bezweck ten? Hat die Regierung in der Person des Regierungs präsidenten von Philipsborn nicht ihre Unterstützung zu gesagt, wenn ein katholischer ReictMaqskindidat an Stelle eines wclfischen Abgeordneten aufgestellt würde?" Aus der Antwort des also öffentlich Befragten wird man entnehmen, ob dem Vorstoße des welfischen Organs etwas mehr zu Grunde liegt, als daL Bestreben, die klerikale Kandidatur in Hildesheim als eine Regierungs kandidatur hinzustellen. Undenkbar ist es jedenfalls nicht, daß Herr v. Philipsborn in höherem Auftrage den Versuch mache, den Welfenkandidaten durch einen Zentrumsmann zu verdrängen. Aehnliches hat auch Fürst Bismarck versucht, der sich bekanntlich lange Jahre hindurch den Kopf darüber zerbrach, ob Windt- horst mehr Welfe oder mehr Ultramvntaner sei, und der eine seiner bedeutendsten innerpolitischen Aufgaben darin fand, die beiden Naturen, die in der „Perle von Meppen" sich vereinigten, von einander zu scheide«. Sein wiederholtes Paktieren mit dem Zentrum war zum Teil auf das Streben zurückzuführcn, in Windthorst und seinen klerikalen Freundtzn die Welfennaturcn zu er sticken. Der Erfolg dieses Strebens war aber gleich Null. Das Zentrum blieb welfisch trotz aller Kon zessionen, und es wird welfisch bleiben, so lange ihm die Unterstützung der welfischen Forderungen dazu dient, immer neue Konzessionen herauszudrttcken. Aber es ist ja nun einmal in Berlin, obwohl Graf Bülow sich der Lehrerschaft Bismarcks rühmt, Gewohnheit, die Er fahrungen des großen Kanzlers zu ignorieren und immer wieder zu versuchen, was selbst dem Gewaltigen nicht gelang und nicht gelingen konnte. So wäre es, wie gesagt, durchaus nicht undenkbar, daß der Hildesheimer Zentrumsführer Verhandlungen mit dem Regierungs präsidenten v. Philipsborn einräumen müßte. Wenn man freilich bedenkt, daß der Hildesheimer Zentrums kandidat zugleich Kandidat des Bundes der Landwirte ist, so muß man zu dem Schluffe kommen, daß die Begünstigung dieses Kandidaten durch die preu ßische Regierung ein doppelter Schwabenstreich wäre. Ein bündlerischer Zentrumsmann, der bei passender Ge legenheit auch noch den Welfen herauskehren würde und müßte, wenn er es nicht mit der Zentrumsleitung ver derben wollte, wäre jedenfalls im Reichstage für den Reichskanzler eine noch unbequemere Person, als ein einfacher Welfe. Der Antwort -es Hildesheimer Zentrumsführers darf man daher mit Spannung ent gegensehen. Eine tschechisch-polnische Demonstration in Berlin. In Berlin soll zu Pfingsten ein großestschechisch- polnischesTurnfest abgehalten werden, zu welchem der in der deutschen Reichshauptstadt bestehende tschechische Sokol- oder Turnverein dringliche Einladungen an alle tschechischen Sokolvereine in Böhmen, Mähren und Schlesien und ebenso an die polnischen Sokolvereine in Oesterreich und im Deutschen Reiche hat ergehen lassen. In dieser Einladung wird nun unter anderem erklärt, dieses Fest solle sich zu einer Protestkundgebung gegen die „Vergewaltigung derpolnischen Brüder in Deutschland" gestalten, und ferner heißt es: „Aus den bescheidenen Festen, wie sie bereits in Dresden veranstaltet wurden, und wie ein solches zu Pfingsten in Berlin stattfinden wird, werden sich mit der Zeit panslavistische Manifestationen entwickeln, zu denen Zehntausende von uns eilen werden, um auch im Deutschen Reiche die Achtung vor der rot-tveiß-blauen Trikolore zu fordern und aus be geisterter Versammlung unsere „Slava-Rufe" nach Frankreich und nach Rußland erschallen zu lassen!" Damit kennzeichnet sich die Tendenz dieses „Turnerfestes" als politische Demonstration und freche Herausforderung der deutschen Neichshanptstadt, deren Gastfreundschaft diese Herrschaften in unverschämter Weise mißbrauchen. Wir sind sehr gespannt darauf, wie sich die Berliner Polizei zu der Sache verhalten wird) wird sie — was das Richtige wäre — die unerwünschten Gäste einfach ausweisen oder — lernt vielleicht bereits ein Pvlizerkommissar tschechisch, da mit er den Verhandlungen der panslawistischen Brüder auch sorgfältig folgen kann. Nene englische Einwände gegen die Bagdadbahn. Auf die Bagdadbahn sind die Engländer nicht gut zu sprechen, indessen nicht für alle Zeit, sondern nur vor läufig, bis sie günstigere Bedingungen für ihre Be teiligung an dem Unternehmen herausgeschlagcn haben werden. Manche Politiker sind allerdings ernste und ge schworene Gegner der Vagdadbahn, so u. a. das öfter ge nannte Unterhausmitglied T. Gibson Bowles. In der Mittelasiatischen Gesellschaft führte er unlängst aus, daß England keinen Grund Hütte, gegen die Bagdadbahn zu protestieren, wenn diese Bahn nichts weiter bedeuten würde, als eine Verbesserung der bestehenden Verkehrs wege. Gibson Bowles hat sich aber die Bagdadbahn so gründlich als nur immer möglich angesehen und ist zu der Uebcrzeugung gekommen, daß die Bahn einerseits ein finanzieller Schachzug gegen die Türkei und ander seits ein politisches Komplott geg«n Eng land werden würde. Ein Beutezug sei sie zu Gunsten der Kinanzgesellfchaften, die die Schuldverschreibungen ausgeben, und von politischem Gewinn vor allem für Deutschland. Dann erwähnte Gibson Bowles die englische Smyrna-Eisenbahn, diese einzige englische Bahn auf türkischem Gebiete mit Kilometer garantie. Gegenwärtig sei diese Bahn in gedeihlicher Entwickelung begriffen, würde aber durch das Bagdad- bahnprvjekt empfindlich benachteiligt werden. Tas ist eine Behauptung, die sich nicht beweisen läßt. Die Er schließung Mesopotamiens kann nach der Versicherung Gibson Bowles nur durch eine rationelle Bewässerung erfolgen, nicht aber durch eine Eisenbahn. Von dem Bagdadbahnprojett will Herr Gibson Bowles aber vor allem deshalb nichts wissen, weil es, wie er meint, was indessen unrichtig ist, einen ausschließlich deutschen Charakter trägt. Deutschland wolle allein bauen, allein kontrollieren und allein die Gewinne einheimscn. Geschädigt würde dadurch die türkische Be völkerung, der britische Handel und die britische Schiff fahrt. Schließlich sei die Unsicherheit in Vorderasien der maßen groß, daß zur Uebcrwachung der Linie ein ganzes Armeekorps erforderlich sei! Gibson Bowles findet es für durchaus selbstverständlich, daß nur ein deutsches Armeekorps für diesen Zweck in Aus sicht genommen werden könne! Im allgemeinen erklärt Gibson Bowles die Bagdadbahn als einen Ausfluß des germanischen Traumes, Kleinasien mit deutschen Kolonisten zu besiedeln. Anscheinend sei es dem deutschen Kaiser gelungen, die britische Regierung für das Bahn projekt zu gewinnen. Aufgabe der Presse müsse es daher fein, mit aller Entschiedenheit die öffentliche Meinung in England zu unterstützen und die anfangs wohlwollende Haltung der Regierung gegenüber der Bagdadbahn dauernd umzustimmen. Kanadische Fragen. Der vor kurzem in London eingetroffcne kanadische Minister des Innern, Mr. Clifsord Sifton, hat sich nicht nur über das handelspolitische Programm Chamberlains, und zwar in einem keineswegs rückhaltlos zustimmenden Sinne geäußert,' er hat auch einem Vertreter der Lon doner Presse gegenüber die Lage und Aussichten der Alaska-Grenzfrage erörtert, deren be schleunigte Lösung zu betreiben der Zweck seines Aufent haltes in der Reichshauptstadt ist. Der mit der Prüfung der strittigen Punkte beauftragten gemischten Kommission gehören an Lord Silverstone und zwei kanadische Richter sür Kanada,' die gleiche Zahl von Mitgliedern vertritt auf der anderen Seite die Interessen der Vereinigten Staaten. Es ist wahrscheinlich, daß die Beratungen, deren Beginn im September dieses Jahres zu erwarten steht, in Eng land stattfinden werden. Was das voraussichtliche Er gebnis der Verhandlungen betrifft, so gab der Vertreter der kanadischen Regierung zwar der Hoffnung Ausdruck, Feuilleton. 2ij Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck verboten. Remmingen ging also hinunter ins Cafs. Das wogende Leben und Treiben, das unablässige Kommen und Gehen, dazwischen das Klappern und Klirren der Geschirre tat ihm förmlich wohl. Er konnte heute nicht allein sein. Er ließ sich ein Glas Madeira geben und setzte sich still in eine Ecke. Dort begann er zu träumen. Wie zwecklos kam er sich vor unter all den Menschen, die ihn umwogten! — Wie bitter erschien es ihm jetzt, wo er ehrlich Einkehr hielt in sich selbst, sich bekennen zu müssen, daß es zu spät war, seine Hand nach dem Glück auszustreckcn, das heute neckend noch einmal vor ihm aufgetancht war. Wozu war denn das eigentlich nötig gewesen. Er hatte doch nun so schön alles in sich nieder gerungen und sein Empfindungsleben in den Schlaf ge lullt mit jahrelanger Philosophie, mit all feinem Skepti zismus. Was hatte denn die weise Vorsehung für einen Zweck gehabt, alles in ihm wieder aufzurütteln — jetzt, wo es doch zu spät war! — Denn das war es — unwider ruflich! Er nahm sich vor, ja, er gab sich sein Wort darauf, sich zusammcnzunehmen mit aller Kraft, nicht wieder so lächerlich sentimental zu erscheinen wie heute, wo der Zauber des Wiedersehens ihn wider Willen mit fortgerissen. Diese Frau sollte nichts in ihm sehen, als den korrekten Kavalier, den ergebenen Freund, der aus respektvollster Entfernung wunschlos verehrte. Gemein sam mit ihr wollte er das Glück der beiden andern be gründen — und dann mit Anstand wieder verschwinden, wie er gekommen war. So blieb ihr eine ungetrübte Erinnerung an einen alten, ehrlichen Freund, und ihm die beruhigende Gewißheit, daß er sich bis zum letzten Moment benommen hatte, wie es ihm nach seinen Jahren zukam. Ella hatte recht gehabt: Man soll nicht über mich lächeln! So saß er stundenlang, bis er anfing müde zu werden, und mit sich selbst vollkommen im klaren, zog er sich auf sein Zimmer zurück. Auch im Kaiserhotel saßen die beiden Frauen bis spät in die Nacht hinein beisammen. Sie hatten sich ja so viel zu sagen. Schlafen konnten sic nicht, alles, was so scheinbar abgeschlossen hinter ihnen gelegen hatte, war mächtig aufgewacht und verlangte jetzt sein verjährtes Recht. „Wie kam es denn aber?" fuhr Ella in dem Gespräche fort, „daß Sie nie wieder von ihm hörten?" „Liebes Kind, das kam alles sehr einfach und logisch, genau so, wie es bei Ihnen und Herrn Berning auch beinahe gekommen wäre. Ich war ein armes Mädchen, erzogen in den Traditionen meiner Familie, ohne einen anderen Willen, als den der Meinigen. Konvenienzehen waren in unserem Hause genau so erblich, wie der Name und das Wappen. Auf meinem ersten Balle hatte ich den Leutnant von Remmingen kennen gelernt, der genau ebensowenig begütert war, wie ich selbst. Wir liebten uns, wie zwei junge Menschen sich lieben, die beide zum ersten Male empfinden. Ein volles Jahr dauerte das heimliche Glück, und wir täuschten uns wie ein Paar Kinder über alle Gefahren, die unserer Liebe drohten, hinweg. Da wünschten seine Verwandten, Eltern hatte er nicht mehr, eine reiche Heirat. Man hatte für ihn die paffende Partie bereits sehr stilvoll arrangiert — aber er weigerte sich mit einer Entschiedenheit, die niemand begreifen wollte; denn die Dame war jung, sehr hübsch und sehr reich. Aber er blieb fest. Da siel er bei den Seinigen in Ungnade, die Familie zahlte des Herrn Leutnants Schulden nicht mehr, und er war gezwungen, seinen Abschied zu nehmen!" „Armer Mensch", sagte Ella trübe, „und was taten Sie?" „Ich? Du lieber Gott, ich war ein blutjunges, un erfahrenes Ding von kaum siebzehn Jahren, dem man von allen Seiten die häßlichsten Dinge sagte über den Mann, der nun einmal nicht daran denken konnte, sich einen eigenen Herd zu gründen, der auch den Dienst hatte quittieren müssen. Weshalb er cs getan, sagte man mir nicht, und er selbst war zu stolz, sich zu verteidigen. Daß er nur seine Liebe hätte zu verleugnen, seine Ueber- zeugung zu verkaufen brauchen, nm weiter der flotte, ehrenhafte Offizier zu bleiben, daß er zu ehrlich war, seine Hand ohne sein Herz zu verschenken, das erfuhr ich erst nach Jahren — als es zu spät war." „Und Sie sahen ihn niemals wieder?" „Nie. Er war zu stolz gewesen, sich vor mir zn rechtfertigen, und im Trotz ging er davon. Nur einen letzten Brief schrieb er mir, aus dem noch einmal die ganze Zärtlichkeit zu mir emporflammte. Es war sein Lebewohl auf immer! Dann, blieb er verschollen — ich erfuhr nur, daß er nach Afrika gegangen sei. Ein Jahr später, als keine Zeile, keine Kunde mehr von ihm ge kommen war — brach das Unglück über unsere Familie herein, eine Katastrophe, die nur ich abzuwenden ver mochte. Mein Bruder hatte Spielschulden von immenser Höhe gemacht, die mein Vater unmöglich mit all seinem Hab und Gut decken konnte, und da in diesem kritischen Augenblick General v. Winterberg, ein tadelloser Ehren mann und vollendeter Kavalier, um meine Hand warb, so brachte ich meiner Familie das Opfer — und unser Name war vor unauslöschlicher Schande gerettet!" „Arme, arme Marianne! Was müssen Sie gelitten haben?" „Das will ich nicht einmal sagen", erwiderte die andere ruhig, „ich iat es sogar ohne Kampf, ohne innere Gewissensbisse und Unruhe!" „Aber Sie liebten doch einen anderen?" „Ja, ich liebte ihn — wie man einen Verstorbenen liebt —, aber ich glaubte nicht mehr an ihn, der mich so leicht hatte aufgeben können. Und so vertraute ich ruhigen Herzens dem alternden Gemahl ein Leben an, das für mich absolut keinen Zweck mehr hatte, das ab geschlossen war, bevor es eigentlich noch begonnen hatte. Aber ich ging nicht mit einer Lüge in die Ehe, das wäre meinem Naturell zuwider gewesen. Als der General um mich warb, sagte ich ihm alles — ehrlich und offen!" „Und — er?" „Er war der edelste Mensch, den ich finden konnte, liebste Ella, ein Mann, dessen Andenken ich noch im Grabe segne. Er hat mich mit zartester Aufmerksamkeit um hegt, hat mich mit einer Liebe geliebt, die etwas Ueber» irdisches hatte. Er war mein Freund, zu dem ich auf schaute mit innigster Verehrung und mit kindlicher Dankbarkeit. Er war ein kranker Mann, schon als er um mich warb, und für die ideale Freundschaft, die er mir bot, konnte ich nichts geben, als die treue Anhänglichkeit einer Schwester, und ihm sein durch Leiden und körper liche Schmerzen verbittertes Dasein so hell und sonnig machen, als ich nur konnte. In dieser Pflicht, Ella, habe ich eine hohe, eine erhebende innere Befriedigung und Zweck meines ganzen Daseins gefunden; jedesJahr seines Lebens habe ich durch meine Pflege dem Schicksal ab- gerungen, und als er dennoch von mir ging und mir dankbar die Hände küßte, in denen die seinigen lagen, da wußte ich, daß ich Recht getan hatte!" „Und nun, Marianne — nun tritt jener Erste wieder vor Sie hin! Jetzt können Sie glücklich werden, wie Sie es verdienen!" „Meinen Sie? — So gewiß ist das wohl noch nicht! Aber ansehen will ich ihn mir einmal, den stolzen Herrn der Schöpfung, der so geduldig fünfzehn Jahre lang auf das Glück gewartet hat. Von Stein bin ich ja nicht — wirklich nicht —, aber auch nicht von Wachs, und seine Sache ist es wohl jetzt, das Vergangene gltt zu machen!" „Er hat sich wohl sehr verändert?" fragte Ella mit leisem Lächeln. „O ja! — Aber das ist ein Glück, beste Ella. Was sollte eine Frau von 32 Jahren mit einem so jungen Dragonerlcutnant anfangen? Wie er jetzt ist — so ge füllt er mir gerade, wenigstens äußerlich. Seinen inneren Menschen werde ich erst einmal einer genauen Prüfung unterziehen, und dabei müssen Sie mir helfen. Es ist ja Ihr Beruf, Menschen zu studieren!" Ella lächelte. „Nun, bei dem guten Baron Rem mingen dürste es wohl nicht allzuschwer sein, sein Innerstes zu ergründen! Er hat offene, gute Augen, Marianne, und daraus blickt auch ein ehrliches Herz. Aber seien Sie überzeugt, ich werde mich schnell an diese Aufgabe machen!" „Und nun lassen Sie uns noch einmal von Ihnen reden, Ella!" sagte die Baronin, indem sio herzlich ihre Hand ergriff. „Was Sie Remmingen beim Abschied sagten, das war doch nicht Ihr Ernst, diese kühlen Worte kamen doch nicht aus Ihrem Herzen?" „Doch!" entgegnete Ella sehr ernst. „Vor seinem Bilde ist mir so Vieles klar geworden. Zwischen uns liegen Jahre, in denen wir uns beide geändert von Grund aus Er ist ein fertiger Künstler geworben, und das kleine Mädchen aus der engen Kleinstadt ein reifes, selbständiges Weib. Glauben Sie, daß wir uns heute noch verstehen würden, wie ehedem?" „Wenn Ihr Euch noch liebt — gewiß!" „Ja, da eben licgt's! Mer sagt mir, daß er mich noch immer liebt? Wenn er cS täte, so hätte seine Zuneigung in der langen Zeit der Trennung, die er, nicht ich, zwischen uns legte, sicherlich den Weg gettinden. Daß er eS nicht tat, ist mir ein Beweis, daß es Wahnsinn wäre, auf eine Wiedervereinigung zu hoffen. Und sollte ich, die Be leidigte, die Aiifgcgebcnc, wohl meiner weiblichen Würde so viel vergeben, ihm einen Schritt entgegen zu tun? Nein?" Es klang hart und bitter, dieses „Nein", und nur zu
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