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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.09.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000924013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900092401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900092401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-09
- Tag1900-09-24
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Eine lebendige Schilderung des Vormarsches der deutschen Expedition und des siegreichen Kampfes, die erste Schilderung, die von dieser deut schen Wafsenthat nach Europa gelangt, hat er dem genannten Blatte in folgendem Kabel-Telegramm aus Pettng, 12. Sep tember, übermittelt: Am 10. September Mittags marschirten wir aus Peking ab. Bei stärkstem Regenimetter ging es auf grundlosen Wegen vor wärts. Die erste Nacht verbrachten wir in Dung - tschi - tscheng. Am 11. Morgens sehen wir unseren Marsch bei herrlichstem Sonnenschein fort. Das Bataillon Madai bildete d'ie Avantgarde, der sich auch die 40 ben galischen Lanzenreiter angeschlossen hatten. Um halb neun Uhr Vormittags stieß die Spitze inmitten hoher Maisfelder auf die Boxer. Der Feind feuerte, verschwand aber sodann in der Richtung auf eine auf einem Hügel gelegene Pagode zu. Gegen diesen, die befestigte Stadt dominirenden Punct richtete sich nun der Hauptangriff. Gleichzeitig stieß das zweite Bataillon gegen die Nordseite der Stadtmauer vor und traf auf starke Boxer haufen, die bis zum Kampfe mit blanker Waffe Stand hielten. Wir erhielten hier Feuer aus weittragenden Gewehren von der Pagode und der Stadtmauer aus. Die vorgezogene Batterie und Schützenlinie nahmen btide unter Feuer. Nachkurzer Zeit mußte der Feind den Pagodenhügel räumen, auf dem nun unsere Batterie auffuhr. Der Feind feuerte näm lich auch aus einigen veralteten chinesischen Ge schützen von der Stadtmauer her. Die Batterie brachte aber letztere durch einige brillante Schüsse bald zum Schweigen. Gegen 11 Uhr war di« Vertheidigung nur noch schwach. Die Pioniere sprengten das Hauptthor mit Dynamit, an den anderen Thoren erkletterten dieSeesoldaten di« Mauer. Im Innern der Stadt leisteten die Boxer noch in einzelnen Gehöften und in den Maisgärten zähen Wider stand, bis sie niedergemacht wurden. Von regulärem chine sischen Militär sollen 100 Mann dabei gewesen sein, sie sind aber bei guter Zeit auf Schleichwegen südwärts ausgerissen. Das war die erste Feuert auf« der beiden See bataillone im fernen China! Seesoldat Gabel von der 4. Compagnie des 1. Bataillons ist gefallen. Leutnant v. Kleist ist leicht verwundet durch einen Schuß in die Seite, desgleichen Untcrofficier o. Zitzewitz durch einen Lanzenstich in die Backe, nachdem ihm das Pferd unterm Leibe erschossen worden war. Fünfhundert bewaffnete Boxer wurden erschossen. Eine chinesische Truppenfahne, eine Masse Boxerfahnen, Lanzen und Säbel wurden erbeutet. Ein interessanter Fund wurde ferner in der Pagode gemacht. Ein Officier fand dort einen Reisekoffer, der der Frau des österreichischen Geschäftsträgers gehörte. ' Er war leicht kenntlich an dem Schilde, auf dem deutlich der Name Paula von Rosthorn «ingravirt war. Die Boxer hatten ihn bei der Plünderung der -Gesandtschaft geraubt. Am Nachmittage wurde die Stadt niedergebrannt. Dann ging's zurück bis Dung- tschi-tscheng, und heute sind wir wieder hier in Peking eingerückt. Seit unserer Abreise aus Port Said erhielten wir heute die erste Post aus der H-eimath. Der Vicrwachtmeister der Artillerie Fröhlich ist am 10. September am Typhus gestorben. Ueber den er st en Angriff der Chinesen auf eine deutsche Patrouille, der die Entsendung der Expedition herbeiführte, sandte Hauptmann Dannhauer aus Peking, 10. September, folgendes, erst am 21. in Taku weiterbefördertes Telegramm: Der Artillerie-Oberleutnant Rembe wurde gestern früh mit 30 berittenen Artilleristen südwestlich zum Recognosciren vorgeschickt, von wo chinesische Truppen gemeldet waren. Die Officierpatrouille ritt am Bahndamm entlang nach der 25 Kilo meter entfernten befestigten Stadt Liang-Hsiang. Halbwegs traf sie in einem kleinen Ort eine Besatzung von 120 Eng ländern. Diese waren bereits bis 5 Kilometer an Liang herangewesenund umgekehrt, da sie Feuer bekamen. Der eng lische Officier gab Rembe drei Kavalleristen mit, um ihn zu einer dicht bei Liang hochgelegenen Pagode zu führen, von wo die Stadt einzusehen war. Der Untcrofficier v. Zitze Witz langte als Spitze zuerst bei der Pagode an und erhielt von den nahen Wällen sofort starkes Jnfanteriefeuer. Gleichzeitig ver ließen eine Compagnie Infanterie, 50 Reiter und zwei Ge schütze die Stadt, um unsere Leute abzufangen. Zwischen Chi nesen und den Unsrigen entspann sich ein heftiges Feuergefecht, in dem mehrere Chinesen fielen. Als aber die chinesischen Ge schütze eingriffen und ihre Lanzenreiter versuchten, die Deut schen zu umgehen, traten diese feuernd einen langsamen Rückzug an; nun bekamen sie in mehreren Dörfern Feuer, langten aber ohne Verlust 7 Uhr Abends in Peking an. Darauf hin wurde die Expedition unter Generalmajor von Hoepfner nach Liang-Hsiana unternommen. Graf Soden über die Belagerung in Peking. Ter Cbef des deutschen Kreuzergeschwaders meldet nachstehenden Auszug aus dem Kriegstagebuch: des Oberleutnants Grasten Soden' aus Taku, den 17. September: „Am 3. Juni sind wir mit dem letzten Zuge in Peking angekommen. Die Unruhen sind im Wachsen be griffen. Am 13. Juni: Brand sämmtlicher Klöster und Kirche» in der Stadt. Das GesandschaftSviertel wird ab geschlossen und zur Vertheidigung vorbereitet. Am 17. Juni erhalten die Gesandten die Ausforderung» binnen 2t Stunden Peking zu verlassen. Am 20. Juni: Ermordung deS Ge sandten Freiherrn v. Ketteler. Eine Hilfeleistung durch das Detachement war nicht möglich, da aus sämmtlichen Häusern der Straße, die von chinesischen Truppen besetzt war, heftiges Feuer abgegeben wurde. Die englische Gesandschast wird als Reduit bestimmt, Frauen und Kinder werden dorthin gebracht. Daselbst wird auch das Lazareth eingerichtet. Am Nachmittag Begin» des Feuers chiuesischer Soldaten gegen die öster reichische und englische Gesandtschaft. Am 2l. Juni Feuer gegen die italienische Gesandtschaft. Am 22. Juni Beginn des Geschützfeuers auf die deutsche Gesandtschaft von der Stadtmauer in westlicher Richtung. Die Ameri kaner, stark bedrängt, wollen die Gesandtschaft verlassen. Die Italiener, Franzosen und Oesterreicher ziehen sich, um nicht abgeschnitten zu werden, ebenfalls nach der eng lischen Gesandtschaft zurück. Nach einer halben Stunde wird die Gesandtschaft wieder besetzt. Wir werfen den Feind, der auf der Mauer vorgedrnngen war, nach beiden Seiten zurück. Die besetzte Mauer wurde zur Vertheidigung eingerichtet. Die italienische Gesandtschaft geht in Flammen ans. Am 24. Juni heftiges Gewehr- und Ge schützfeuer von allen Seiten. Es wird eine Unterstützung zu den Engländern und Russen gesandt, die darum baten. Am 24. Juni werden die Amerikaner hart bedrängt. Chinesische Truppen, 300 bis 400 Mann, gehen auf der Stadtmauer von Westen her vor und werden mit 18 Mann von unS an gegriffen. Anfangs leisteten sie zähen Widerstand, wurden jedoch zuletzt mit Hurrah zurückgeworsen. Der Feind hat viel Verluste, greift aber trotzdem von Osten her auf der Stadtmauer wieder an, wird aber ebenfalls zurück geschlagen. Der Verlust deS FeindeS: 40 (?) Todte, darunter 30 bei der Erstürmung eines Hauses. Am 25. Juni Fort setzung deS Feuers. Ein Streifzug wird nach benachbarten Häusern gemacht, mehrere Chinesen werden erschossen. Weiterer Ausbau der Vertheidigungseinrichtungen. Die Chinesen dringen immer näher nach der Gesandtschaft von östlich von ihr gelegenen Häusern vor. Die Barrikade aus der Stadtmauer wird immer exponirter. Am 30. Juni Sturm der Chinesen auf diese Barrikade. Diesseits 3 todt, 5 schwer verwundet. Der Angriff wird abgeschlagen. Am 1. Juli: Verlassen der Barrikade auf der Stadt mauer. Die Vertheidigung wird auf die Gesandtschaft be schränkt. Die Chinesen rücken bis auf 50 Meter an unsere Stellung heran. Ununterbrochenes Geschütz- und Gewehr feuer. Geschütze der neuesten Art. Am 12. Juli: 400 bis 500 Mann greifen auf zwei Seiten an und dringen bis zur Gesandtschaftsmauer vor. Die Besatzung der Gesandtschaft ist nur noch 30 Mann stark. Ich entschloß mich, trotz zwölffacher Uebermacht, zum Ausfall und Sturme. Der Gegner, von zwei Seiten gefaßt, wird mit aufgepflanztem Seitengewehr und „Hurrah" zurückgeworsen, eine Fahne, viele Gewehre und Munition erobert. Der Gegner, hinter einer Mauer, 50 m von der Gesandtschaft, verschanzt, hat uns trotz seiner Stärke nicht wieder aus seiner Stellung an gegriffen. Ein Angriff auf diese Stellung, die von Hunderten von Chinesen besetzt war, mit meinen 25 Mann hätte zur Katastrophe führen müssen. Ich beschränkte mich deshalb auf eine active Vertheidigung und heftige Fortsetzung des Feuers. Am 17. Äuli: Waffenstillstand. Tie Stellung blieb besetzt und wurde mehr verstärkt. Am 8. August: Wiederbeginn der Feindseligkeiten. Das Tsung li Damen verbandelt durch Boten. Trotzdem ver stärktes Feuer der chinesischen Truppen. Geschütze neuer Art werden nicht aufzefahren, dagegen vier Wallbüchsen. Unauf hörliches Feuer von der Stadtmauer und den anstoßenden Häusern. Am 12. August: Fortwährendes Schnellfeuer der Chinesen aus allen Gewehren und Wallbüchsen. Das Detachement ist in der Erwartung eines Sturmes fortwährend in Bereitschaft. Am 13. August: Fort setzung des Feuers. Am 14. August, 2 Ubr Morgens ferner Kanonendonner, bald darauf heftiges Gewchrfeuer. All mähliches Einstellen des chinesischen Feuers. 2 Uhr Nach mittags erschienen Shiks in der Stadt. Der Gegner verläßt seine Stellung. Das deutsche Detachement beim (?) Ein rücken der Verbündeten hatte Domen (dieses Wort ist zweifel haft) bereits im Besitz, das nachher an die Japaner ab getreten wurde. (Der Wortlaut deS Telegramms ist nicht ganz sicher, da mehrere Worte verstümmelt angekommen sind.) * Berlin, 22. September. („W. T.-B.") Nach einer ameri kanischen, auch in deutsche Blätter übergegangenen Zeitungs nachricht soll der kaiserliche Geschäftsträger in Washington bei der Uebermittclung des Auftrags, in dem als Vorbedingung weiterer Verhandlungen mit China die Bestrafung der notori- Feirslletsn. Das Geheimniß Les Sarges. Ein Eisenbahnabenteuer aus dem wilden Westen. Bon Emil Verdau. Nachdruck «erketm. „Was?" rief ich verwundert aus. „Erst 25 Jahre alt und schon völlig ergraut?" „Ja, ja, mein Lieber!" erwiderte der junge Greis, der Agent der gar nicht weit von den Abhängen der Sierra gelegenen Station Reno an der Central Pacific-Eisenbahn im westlichen Nevada, und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Wie kam das? Das müßt Ihr mir erzählen!" drängte ich neugierig. Nach einigen stummen Zügen aus der Cigarre lehnte er sich im Stuhl zurück, kippte ihn ein wenig nach hinten über, streckte nach Amerikanerart die Füße aus die Tischkante und begann: „Es sind fast vier Jahre her, da hatte ich eine Stelle auf der kleinen Station Granger von der Union Pacific-Bahn im Südwesten des Staates Wyoming. Von dieser Station laufen nach Westen zwei Strecken aus; die eine, die eigentliche Haupt strecke der Bahn, geht nordwestlich nach Boise City im Staate Idaho und weiter, während die andere, eine Theilstrecke, nach Ogden im Staate Utah und dort im Anschluß an die Central Pacific weiter nach Salt Lake City und südlich führt. Von diesen beiden Strecken war die südwestliche nach Ogden schon fertig, während zu meiner Zeit an der nach Boise City laufenden noch eifrig gearbeitet wurde. Die Arbeiten an der selben waren erst bis zum Owyhee River an der Grenze Oregons fortgeschritten, und man war gerade dabei, eine massive Brücke über den sehr harmlos scheinenden, in der Tbat aber, namentlich im Frühjahr, ungemein tückischen und gefährlichen Fluß zu spannen. Diesseits des FlußuferS nun, etwa bei der jetzigen kleinen Station Parma, hatte die Arbeiterschaft sich eine kleine Stadt aus Zelten und Hütten erbaut und kampirte in der Wildniß in großer Anzahl. Alle vierzehn Tage erhielten die Arbeiter und am ersten Montage eines jeden Monats die übrigen Angestellten der Gesell schaft längs der Strecke ihren Lohn oder Gehalt von dem Zahl meister baar ausgezahlt. Zu diesem Zwecke lief am jedesmaligen Zahltage in der Richtung auf Parma zu ein sogenannter LöhnungSzug durch, der nur au» Locomotive, Kohlentender und einem Packwagen bestand, in welchem sich der Geldschrank mit dem in versiegelten Beuteln und Packeten verpackten Geld« für die Arbeiter und Angestellten befand. Dieser Zug stoppte regelmäßig in Granger und lud daS Löh nungsgeld für die Theilstrecke Granaer-Ogden bei mir ab. Ich hatte dem Zahlmeister der Hauptstrecke eine schriftliche Em- pfanaSbescheinigung zu geben und das Geld bis zum Abgänge de» LöhnunaSzuge» von Granger nach Ogden in dem, in meinem Zimmer befindlichen Geldschranke aufzubewahren. Gewöhnlich traf der Löhnungszug kurz vor Mitternacht auf der Station ein und die Abladung und Verstauung de» Gelbe» ging vor sich, ohne daß außer mir Jemand von der Mission de» Zuge» und von der Bereicherung meines Geldschrankes etwas ahnte. Nun war die Nacht vom 30. September auf den 1. October de» Jahres 18** etnc der schauerlichsten, die der damalige Herbst un» ' bescheerte. Vom rabenschwarzen Himmel goß es in Strömen, während ein orkanartiger Nordwester über die Prairie daherkaustt und den Regen prasselnd gegen di« Fenster meine» Zimmers schleuderte. Wäre ich nicht an Einsamkeit nachgerade t gewöhnt gewesen, es hätte mich in dem weit draußen an der z Strecke gelegenen Stationshäuschen gruseln müssen. Ich em pfand auch öfters so etwas, wie ein Grauen, doch überwand ich das Gefühl dadurch, daß ich eine Schaufel frischer Kohlen auf die verglimmende Gluth meines eisernen Oefchens warf und dann mit meinem Kollegen in Green River, einer Station weiter östlich an der Hauptstrecke, per Telegraph mich unterhielt. Plötzlich hörte die Unterhaltung zwischen uns auf. Ich stutzte. Dann fing mein Apparat wieder zu arbeiten an. Ich erhielt aus Green River folgende Nachricht: „Green River! — Löhnungszug abgefahren! — Sarg an Bord! — Verdächtig! — Aufgepaßt!" Sarg an Bord? wiederholte ich kopfschüttelnd, und ein kalter Schauer rieselte mir den Rücken hinab. Was hatte es denn für verdächtige Bewandtniß mit diesem Sarge? Ich hatte nicht lange Zeit zu überlegen. Ein gellender Pfiff! Das mußte der Löhnungszug sein! Ich warf den Gummirock über und eilte mit der Laterne auf die vom Regen gepeitschte Plattform an der Strecke hinaus. Ein greller Feuerschein, ein Zischen und Fauchen, zum Himmel geschleuderte brennende Kohlenstücke, ein immer stärker werdendes Rasseln der Schienen! Wirklich! Es war der Löhnungszug. Donnernd raste er am Stationsgebäude vorbei und hielt mit dem Packwagen gerade vor der Doppelthür des Gepäck raumes. „Halloh, Bob!" Ich erkannte die Stimme des Zahlmeisters. „Halloh!" rief ich zur Antwort und leuchtete dem Aus steigenden, welchem ein Fremder folgte, der einen breitrandigen Schlapphut trug und den Kragen seines Uebcrziehers bis an die Ohren hinaufgeschlagen hatte. Die Physiognomie des An kömmlings gefiel mir auf den ersten Blick absolut gar nicht. Doch ließ ich mir nichts merken und erwiderte seinen kühlen Gruß ebenso. „Wir haben einen Sarg im Wagen, mein Junge, und dieser Gentleman da, ein Mr. Scruggs, ist der Sohn der Ver storbenen, die er nach Evanston zum Begräbniß bringen will. Wir müssen Alle zusammen den Sarg in den Gepäckraum schaffen. Wann geht der erste Zug von hier nach Ogden?" „Um 7,20 Morgens!" „Gut! Dann muß der Sarg so lange hier bleiben! An gefaßt, Mr. Scruggs, Bob — und Ihr da auf der Maschine! Halloh!" Der Maschinist und der Heizer sprangen von der Locomotive, und den vereinten Anstrengungen unser Aller gelang eS, die ziemlich schwere Leiche in den Gepäckraum zu schaffen. Mr. Scruggs versprach, am Morgen zur Abfahrt nach Evanston hier zu sein, verabschiedete sich und begab sich in den strömenden Regen hinaus, um in dem primitiven Gasthaus de» kleinen Orts zu übernachten, wie er angab. Wir entließen ihn, Maschinist und Heizer bestiegen wieder die Locomotive und nur der Zahlmeister blieb bei mir. „Ich bringe das Geld, Bob!" flüsterte er mir zu und winkte mir, ihm zum Packwagen zu leuchten. Ich folgte ihm, und zwei Minuten später befanden wir uns im Stationszimmer, wo mir da» Geld versiegelt übergeben wurde und ich dem Zahlmeister die Empfangsbescheinigung ausstellte. Er steckte das Papier zu sich, sagte „Gute Nacht", sprang auf den Packwagen und dampfte nach Parma ab. Ich trat in mein Zimmer zurück, warf den Gummimantel ab und war eben im Begriff, die Laterne zu löschen, al» der Telegraph arbeitete. Ich horchte und vernahm folgend« Worte: „Green Rioer! — Nimm Dich vor <dem Sarg in Acht!" Unwillkürlich schauderte ich zusammen, hielt es aber für ge- rathen, die Thüre meines Zimmers, welche nach dem Gepäck raum führte, weit aufzuthun, und, nachdem «ich den Sarg mit der Laterne ordentlich beleuchtet, aber nichts bittet Verdächtiges daran bemerkt hatte, vor allen Dingen zuerst das Geld — circa 10 000 Dollar — im Geldschrank in Sicherheit zu bringen. Die Laterne ließ ich brennen und stellte sie auf den Sarg, um einerseits den dunklen Gepäckraum zu erhellen, andererseits den Sarg besser im Auge behalten zu können. Ich habe keine Gespensterfurcht, bin auch nicht abergläubisch, die sonderbare Warnung jedoch, «die mir mein College in Green Rider ertheilte, hatte mich so aufgeregt, daß ich mich entschloß, für den Rest der Nacht wach zu bleiben. Ich löschte meine Lampe im Stationszimmer, da kein Zug mehr zu erwarten war, schürte den Ofen und setzte mich so, daß ich 'den Sarg im Hellen Gepäckraum beobachten konnte. Ich hatte kaum eine Viertel stunde gesessen, als der Telegraph schon wieder zu arbeiten anfing: „Green River! — Sarg verdächtig! — Aufpassen!" Aufs Neue blickte ich nach dem Sarg hinüber. Er stand regungslos da. Ich fing an, die wiederholten Warnungen meines Kollegen für einen schlechten Scherz anzusehen. Doch dann fragte ich mich wieder, aus welchem Grunde er denn auch wach bleibe. So ganz scherzhaft konnte die Geschichte mit dem Sarge denn doch nicht sein und ich — zwang mich, wach zu bleiben. — Dennoch schlief ich ein. Der Telegraph weckte mich aber: „Nimm Dich vor 'dem Sarg in Acht! — Green River!" Ich schlug die Augen ans und lugte nach dem Sarge. Ha! Was war -das? Ein klirrendes Geräusch! Die Laterne war vom Sarge herabgefallen und — verlöscht! Ich glaubte ein Geräusch im Innern des Sarges zu ver nehmen. Der Sargdeckel knirschte! Kalter Schweiß perlte mir an den Schläfen. Wie ein Blitz durchfuhr mich der Gedanke: In dem Sarge ist ein Kerl versteckt, und ein zweiter Gedanke folgte dem ersten: Man hat es auf daS Geld abgesehen, wird dich ermorden und den Geldschrank erbrechen. Ich sprang auf, «ilke in den Gepäckraum und setzt« mich mit der ganzen Wucht meines Körpers auf -den Sara, und es war mir, als ob derselbe nachgab und sich wieder schloß. E» mußt« also ein Lebendiger in dem Sarge sein; entweder war di« Todte erwacht oder es war ein Schurke drin, der es auf die Beraubung der Station abgesehen. Mir war da» ganz gleich. Ich batte keine Waff« und mußte mein Leben retten, und wenn die Auferwachte oder der Kerl im Sarge ersticken sollt«. Ich zittert« und bebt«, aber ich saß fest. ES kratzte und scharrte und stöhnt« im Garge, aber ich biß die Zähn« zusammen und saß fest. Da schien es mir, als huschte draußen ein« dunkle Gestalt am Fenster des Stationszimmers vorbei und gleich darauf glaubte ich an der Thüre kratzen zu hören. „Jimmi«!" raunt« «in« Stimm« durch da» Schlüsselloch. „Bist Du fertig, Jimmi«?" Aha, dachte ich, da» ist der Begleiter d«S Sarg«S im Schlapp hut. Der Kerl hatt« draußen gelauert und wollte zur Theilung des Raubes herein. „Jimmie, mach' auf!" raunte di« Stimme. Dann schien es mir, als setzte Jemand von außen «inen Bohrer an die Thür. Jetzt war «» die höchst« Zeit. Wollte ich m«in Leben ritten, so durfte ich keinerlei Gewissensskrupel Uber das Schicksal der Person im Sarge mehr hegen. Ich stand zwei Feinden waffen los gegenüber und Nothwehr ließ jedes Mittel recht erscheinen. Im Sarg« war Alles stille geworden, nur schickte sich der Kerl draußen an, «in zweites Loch in die Thür zu bohren. Ich erhob mich leise, tastete nach einem Seile an der Wand des Gepäckraumes umher, fand es an der bewußten Stelle und schnürte es mehrere Male um den bewußten Sarg, wo ich es fest verknotete. Ich athmete auf. Einen Feind war ich los. Jetzt galt es, dem zweiten entgegenzutreten. Ich schnitt mit meinem Feder-- messer ein langes Ende des übrigen Seiles vom Sarge ab, schlich mich ins Stationszimmer zurück und postirte mich laut los der Thür gegenüber, wo ich wartete, bis der Kerl draußen zum dritten Bohrloch ansetzte. Dann schnürte ich das Seil um Len Drücker und band es an einem dicht neben der Thür befind lichen Ring in der Wand fest, so daß der Kerl, wenn er nun die Füllung der Thür eindrückte, durch das Seil wenigstens zeitweise an der Oeffnung der Thür gehindert war. Dann rollte ich mit Aufbietung meiner letzten Kraft den kleinen, aber doch immerhin schweren Geldschrank vor die Thür und wartete. Richtig! Ein Schlag mit dem Griff des Bohrers und ein etwa faustgroßes Loch öffnete sich in der Thllrfllllung, durch die der Kerl die Hand schob, um die Thür von innen zu öffnen Er ging so behutsam zu Werke, daß ich, falls ich wirklich ahnungslos eingeschlafen wäre, gar nicht gemerkt hätte, wie er die Thür mit Hilfe des Schlüssels, den ich absichtlich stecken gelassen, geöffnet hätte. Kaum aber hatte er die Hand durch das Loch geschoben, als ich dieselbe mit beiden Händen ergriff und mit aller Gewalt nach innen zog. „Ooäcknm!" fluchte der Kerl draußen, als er sich überlistet sah, und wollte die Hand mit ganzer Kraft wieder herausziehen. „Verdammter Milchbart! Laß los, oder ich schieße!" schrie er wüthend. -Ich aber hielt fest und duckt- mich hinter den Geldschrank. Piff! Paff! krachten die Revolverschüsse gegen die Thür, daß die Kugeln im Zimmer umhertanzten. Ich aber hielt fest; ich troff von Schweiß, aber ich hielt fest. Wieder fiel ein Schuß. Ein Stöhnen folgt« und die Hand umkrampft« daS Seil am Drücker. Ich aber hielt fest. Ein Poltern gegen die Thür folgte, die Hand erschlaffte und wollte hindurchschlüpfen. Ich aber hielt fest — fest — fest . Ein Grausen überlief mich. Die Hand wurde kalt und kälter und schließlich ganz starr. In höchstem Entsetzen hielt ich sie mit der Linken fest, tastet« mich mit der Rechten an den Apparat und telegraphirte: „Granger an Green River! Zu Hilfe! — Ueberfallen! — Hilfe!" Dann dauerte «» noch «ine halbe Stunde und die Ant wort kam: „Maschine unterweg»! — Aushalten!" — — Noch eine Stunde und ein gellender Pfiff! —' Di« Maschine mit Bewaffneten an Bord hielt am Station»« Hause! Ich war gereitet. Ohnmächtig sank ich zusammen. Ich war ergraut. Der Kerl im Sarge war erstickt und der an der Thür hatte sich erschossen. Die 10 000 Dollar» der Gesellschaft aber waren bewahrt." Hier schloß der Erzähler. Ich schwieg schaudernd und ergriffen. - Sin Händedruck und ich ging von dannen.
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