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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.12.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-12-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19051216020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905121602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905121602
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1905
- Monat1905-12
- Tag1905-12-16
- Monat1905-12
- Jahr1905
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Plätzen wird leine Garantie übernommen. Anzetgeu-Aouahmv LugustnSpla- 8, Eck» JohauniSgasse. Die Expedition ist wochenta-S auunter.-roche > geSffue» von irüh 8 bi» abends 7 Uhr. Filial-Expedttton: Berlin. Lützowstr. 10 . » DreSde»»,Marienstr.34. Druck »ud Verlag vou E. Polz in Letpzio (Inh. Dr. R. L «. «lt» »Hordt). Herausgeber: vr. Viktor «ltukbardr. Nr. V^O. 88. Jahrgang. Sonnabend 16. Dezember 1905. Roman verdankt, und das Abschiedsgeicheilk irgend eines wohlhabenden Künstlers an sein Modell war. Es ist eine eigene, abgeschlossene Welt, Monlvarnasse. Ihre Jmernationalität macht sie zu dem. was sie ist, und doch ist das Ganze wieder so ganz pariserisch, so von allen Lite» der Welt eben nur an diesem einen Orte möglich. * Ich sage mir hundertmal, es sei erfreulicher, im Boi- und in den Champs Elysöes zu spazieren, als in den Gassen uni die Hallen, und doch — wenn ich ausgehe, zieht es mich wieder und wieder in die Viertel der Armen. Und ich gehe Stunden und Stunden durch die übelöustcikden Straßen, über denen die Luft schwer und beklemmend liegt, und blicke durch die engen Haustüren in die gähnende Finsternis langer, schmaler Korridore, in deren Hintergrund man mo derige Treppen ahnt. Ich 'ehe ne schmutzigen Männer vor den Anrichttischen der provisorischen Garküchen flehe«, die sich flugs da austun, wo ein Haus niedcrgerisscn worden, und sehe^die erschöpften, mattblickcnden Frauen sich zum nächsten Sguare schleppen, nach der Place des Gosaes oder dem Cauare du Temple, oder nach den Anlagen um Goujons wunderschöne Fontaine des Jnnocenls. Da sitzen sie. wie ein Holm aus die blühende Pracht der wohlgepslegten Ra- batten, zu Hunderten und buten ihre elenden Kinder, wie sie vor zwanzig Jahren, als sie selbst Kinder waren, vielleicht an dieser oder einer ähnlichen glätte gespielt haben und nach wieder zwanzig Jahren dort ihre Enkel hüten werden. Die großen Boulevards mit ihren Wagen, Omnibussen, Gäulen, ihren blinkenden Läden und geputzten Menschen kennen sie wohl. Aber nie vielleicht sahen sie den Land mann mit ststem Schritt hinter seinem Pfluge gehen, m« atmeten sie den kräftigen Geruch der frisch geworfenen Scholle, sahen nie den yimmelweiten Horizont fruchtbarer Aecker und die grünen Wogenrücken rauschender Wälder. Ihr Leben ist umgrenzt von den grauen Mauern der nächsten Gassen. Und ich grübele, was für ein sinnlos grausames Unding die Weltstadt ist, die abertausend Menschen um klammert, festhält und sie um die natürlichsten Freuden be tragt, ohne daß weder der große Organismus, noch da kleine Einzelwesen einen Nutzen davon hat. Gewiß ist es Mitleid, was mich m diese Viertel zieht. Aber es ist auch noch etwas anderes, etwas wie ein künst lerisches Genießen der starken Wirkungen, der erschütternden Eindrücke des Elendes, die tiefer zehen als die glatte Schön heit des Luxus. Armut erzählt mehr, sie erzählt sicherlich eindringlicher als der Reichtum von dem furchtbar groß artigen Ungeheuer Leben. Ihre Bilder haben schärfere Linien, größere Umrisse, sie wühlen sich tiefer ein in die Phantasie und wirken da weiter . . . wie die stummen Ge- slchter, die ich in der Morgue sah. Seltsam geheimnisvolle Gesichter sind das. Gesichter mit der Unbeweglichkeit, aber ohne die muhe des Todes: Ge sichter, die inmitten eines Gedankens erstarrt scheinen, in einer fliegung vou Spott, oder Verwunderung, oder^Aerger, oder mit einem Schmollen, daß dies das Ende ist. Cie sind nicht so schrecklich, solange sic man leibhaftig, hinter der großen Glasscheibe vor sich bat. Aber sie verfolgen einen, sind wieder da, wenn man nachts im Sckllne alttwacht oder einsam bei der Lampe sitzt. Und wieder ist Paris so: Auf dem linken Seine-User, nicht weit vom Mont- parnane, steht eine Gruppe aller G-bäudc, die Gobelin- Manufaktur. Dort wird feit einem Vierteljahrtausend, vom Pater auf den Solm sich vererbend, die Kunst der Bild wirkerei geübt. Dahinter aber liegt eine der Mulden, deren die hügelige Stadt mehrere ausweist, und wird von einem Nebenflüßchen der Seine, der Bievr«, m zwei Armen durch flossen. Von der Avenue des Gobelins bin ich eine Treppe kinab- gestieaen, über ein hölzernes Wehr und gehe nun in einem Gäßchen, zwischen dessen Pflastersteinen Gras wächst. Mir zur «seite, in einem steinaesaßten Bett, fließt der Bach, ein schmutzigbrauncs, fchwerfueßendes Wasser. Daneben aber, fast aus der Flut, steigen Holzbauten auf, rotbraune und rotgelbe, mit Vorhallen, die auf plumpen Holzstempeln ruben mit Galerien und vorspringendem Obergeschoß. Hohe Holzbauten mit Lattenwänden, die der Lust Durchzug ge- statten, und niedrige Holzbauten mit breiten Scheuncntoren und großen Dachluken. In Straßburg, an der Jll, sah ich ähnliche Prospekte, ähnlich altertümlich und maleritch. Und wo nur ein« «Panne Raum bleibt zwischen dem Flüßchen und Var Mcdiiarie vom Lage. * Der Kaiser ist um 9 Uhr morgen- nach Braunschweig abgereist. Die Kaiserin gedenkt sich mittag nach Plön zu begeben. * General von Trotha ist heute früh gegen 1 Uhr in Berlin angekommen. * Die Expedition des Majors Johannes ist in Ssougea eingetroffen. (D. Deutsches Reich.) * Die für morgen io Leipzig geplanten sozialdemo- kratischeo Versammlungen sind polizeilich ver boten wordeo. (S. Deutsches Reich.) * Der Vorsitzende der Anwaltskammer Geh. Justizrat Dr. Franz Patzki in Leipzig ist gestern abend gestorben. (G. Leipz. Angel.) * Rouvier wird in der heutigen Sitzung der französi schen Kammer eine bedeutsame Rede Über die aus wärtige Politik halten. (S. Letzte Dep.) * Zar Nikolaus hat beim Empfange mehrerer Depu tationen erklärt, das Manifest vom 30. Oltober^ sei ein Akt, der keiner Abänderung mehr unterliege. (S. AuSl.) * Witte erklärte dem Bureau des Semstwo-KongresseS, Wünsche, die über die Grenzen de« Manifestes hinausgingrn, nicht erfüllen zu können. (S. letzte Depeschen.) * Die revolutionären und radikalen Parteien in Rußland fordern zur Steuerverweigerung aus. politische cagerrchau. Leipzig, 10. Dezember. Ein Interview mit General von Trotha. Bald nachdem Generalleutnant von Trotha im ..Hamburger Hof" eingetroffen war, hat er einen Re dakteur deS „Hamb. Korresp." empfangen, der über die Unterredung mit dern General Folgendes bericht« t: Der General trug auf der kleidsamen grau und roten Generalsuniform der südwestafrikanischen Schutztruppe als einzige Auszeichnung den ihm heute überreichten Orden pour It- ui^rite. Nach der Ansicht des Herrn v. Trotha ist die Gesamtlage in Südwestasrika ini allge meinen durchaus günstig. Im Hererolande herrscht Friede, da8 Bethanierland der Witboi ist in der Haupt sache pazifiziert. Die noch vorkommenden Raubzüge kleinerer Banden werden freilich »och einige Zeit an dauern, aber der Krieg als solcher ist dort beendet. An ders steht es im Süden in der Warmbader Gegend. Dort ist noch viel Arbeit zu leisten und, um den dort noch un serer Truppen harrenden Aufgaben gerecht zu werden, hält General v. Trotha infolge der starken Abgänge an Mannschaften eine Ergänzung des Truppenmaterials für unumgänglich notwendig. . Was die bekannten Führer des Ausstandes angeht, so ist Herr v. Trotha der Ansicht, daß der Tod Hendrik Wit- bois nicht in dem Maße von Einfluß ruf deu Zusammen bruch des Widerstandes der Witboi geivesen ist, wie man in der Heimat vielfach annahm. Hendrik Witboi hat vielmehr wiederholt an General v. Trotha Briefe ge- richtet, in denen er erklärte, daß er die Aussichtslosigkeit des Aufstandes einsehe-, aber das Bewußtsein, sein Leben dnrch seine Treulosigkeit verwirkt zu haben, verhinderte ihn an der Unterwerfung. Aehnlich steht eS mit dem setzt noch im Felde befindlichen Cornelius, den die Furcht vor der Verantwortung für die in seiner Gegenwart er folgte Ermordung des Neffen des Generals v. Trotha (nicht des Sohnes, wie kürzlich versehentlich gesagt wurde) bisher von der Unterwerfung zurückgehaltcn hat. obwohl ihm General v. Trotha das Leben habe zusichern lassen. Den kürzlich erfolgten Tod Manasscs bezeichnet der bisherige deutsche Oberbefehlshaber als belanglos für die Gesamtlaae. Die jüngst aufgetretene alarmierende Meldung über ein erneutes Auftreten der Rinderpest will General v. Trotha nicht hoch eingeschätzt wissen, da tatsächlich ein Erlöschen der Rinderpest nie ganz eingetreten war. Für die Verpflegungssrage entstehen dadurch keine Schwie rigkeiten, nur die Geldfrage spielt hier herein. Die von Gouverneur von Lindequist gemeldeten Schwierigkeiten des Einkraalens der Pferde auf dem Marsche sind Herrn v. Trotha in vollem Umfange bekannt: die in der letzten Zeit gemeldeten Abtreibungen von Pferden und Vieh stellen aber nichts Neues oder Besonderes dar, sondern sind den ganzen Feldzug über vorgekommen, werden sich auch nicht ganz verhindern lassen. Im Reichstage über seine südwestafrikanischen Er fahrungen zu sprechen, hat General v. Trotha wenig Neigung. Vom Arbeiter zum Minister. Unter den Männern, die Campbell Bannerinan zu seinen Mitarbeitern an der Regierung des britischen Volkes gewählt hat, befindet sich auch wie gemeldet John Burns, der aus der englischen Arbeiter bewegung bekannte Mechaniker und Abgeordnete zum Unterhaus, dem das Amt als „President of the Local Government Board" übertragen worden ist. Tas Ressort umfaßt eine Art von Arbeiterschutz. John Burns — ein Mann von 47 Jahren — ist, dem Anscheine nach, der Mann dazu, den ihm anvertrauten Posten mit Verständnis auszufüllen. Er hat von der Pieke auf gedient und nicht in leitender Stellung. Mit seinem Bruder bewohnt er ein bescheidenes Logis in der Millbank-Street, und mit seiner Garderobe ist es so be stellt, daß ihn die Hosschranzen zu dem Empfang beim K önig mit den andern neuen Ministern nicht zulassen wollten. Es bedurfte des Eingreifens des Premier Bannei inan, uin den so bürgerlich in ein graues Jackett und einen weichen Schlapphut gekleideten Mann dnrchzusetzen; der Empfang beim König war nm so herzlicher. Bei einem arideren Monarchen ist, nebenbei bemerkt, ei» andrer Enczlisffmcin namens Cecil Rohdes auch einmal in einem blauen Cheviotkittel erschienen und mit der Hof-Equipage heim gefahren worden! 'Seine Bedenken hat es natürlich, wenn ein Arbeiter gleich zum Minister avanciert: Burns hat vielfach öffentlich erklärt niemand dürfe eigentlich mehr als 500 Pfund — immerhin 10 000 Mark — verdienen, und er hat jetzt einen Posten angenommen, der 40 000 Mark ab wirft. Die Briten sind nun allerdings nicht so einfältig in Geldsachen, daß ihm etwa einer daraus einen Wort bruch oder gar eine Gesinnungslosigkeit konstruieren würde. Burns hat also jetzt ein Einkommen, das es ihm ermöglicht, ein glänzendes Leben zu führen. Die Ge fahr, daß er unter solchen Umständen seine Ansichten wie jener sozialdemokratische Arbeiter ändern könnte, der, als er einen großen Gewinn in der Lotterie gemacht, kaltblütig erklärte, er sei soeben swckkonservativ gewor den, ist bei ihm durchaus von der Hand zu weisen. Denn wenn man von Aeußerlichkeiten ans den Charakter eines Menschen einen Schluß ziehen darf, so muß es einen günstigen Eindruck machen, daß Burns auch in seiner neuen Stellung als Minister unerschütterlich an seiner gewohnten Gewandung sesthält. Wie uns aus London heute geschrieben wird, geht Burns in sein Amt, zum nicht geringen Entsetzen der im Home-Departement tätigen höchst korrekten Beamten in demselben alten grauen Lodenanzug und dem von Wind und Wetter mitgenom menen Schlapphut, wie er beides beim Empfang durch den König trug. Der Umstand, daß John Burns nie- nials einen Winterrock zu tragen pflegt, sondern stets ganz blank, die Hände in den Jackettaschen haltend, seine Wege macht, hatte ein ziemlich zahlreiches Publikum von Toilettefeinschmeckern in die Straßen gelockt, die der neue Minister in diesem Kostüm auf seinem ersten Amts wege zu passieren hatte. Der schlichte Mann, der den Ruhm für sich in Anspruch nehmen kann, der erste eng lische Minister im Kalabreser zu sein, wurde von der Menge mit Hochrufen begrüßt, als er, in seinem grauen Saccoanzug und weichem Filzhut, ein Aktenbündel unter dem Arm seinem Bureau zuschritt, während seine Ministerkollcgen in dein vorgeschriebenen eleganten Schlutzrocke, den nicht minder vorgeschriebenen Zylinder auf dem Kopfe, die Verwaltung des Landes über nahmen. Burns ist so weit in den Vordergrund gekommen, weil er sich energisch der Beschwerden des armen Volkes annahm. Seit dem Jahre 1889 hat er in Battersea in Versammlungen für die Arbeiter seine beredte Stimme erhoben und wurde dadurch zum Wortführer des großen Dockarbeiterstreiks, dem er ja persönlich fern stand. Er ging so offen zu Werke, das man ihn einige Wochen „am Reden hinderte", d. h. ihn cinsporrte, aber diese Gc- fongenenhast machte ihn nur bekannter, und die, die aus ihm anfangs so was wie einen Shakespeareschen Jack Cadc, den Aufrührer, machen wollten, mußten sehen, wie ihn die Bewohner von Battersea zum Unterhause entsandten. Dort bewies er sich als einen tüchtigen Auto didakten in volkswirtschaftlichen Dingen, der übrigens den Arbeitern z. B. in Punkto „Trinken", die volle Wahrheit nicht vorenthielt. Im Jahre 1892 kam er auch in das Londoner Stadtparlament, das County Council, wo er im Sinne der Arbeiterschaft mit Erfolg wirkt. Er ist, um das ausdrücklich festzustellen, nicht Sozial demokrat, sondern ein Mitglied der sehr gemäßigt auf tretenden Labour-Parteil (Arbeiter-Partei.) Er selbst hat, nachdem er in etwas bessre Verhältnisse gelangt war, erklärt, der „strnggle", d. h. das Ringen und Kämpfen sei in jeder Lebenslage gleich nötig. Ties zu bewahr heiten. hat er in seinem neuen Amte hinreichende Ge legenheit. Die Liberalen müssen auf die Arbeiter große Rücksichten nehmen, und so ist die Aussicht nicht un günstig, daß die Regiei»ung endlich auch einmal etwas für sie tut. Bisher bestand die Tätigkeit der großbritan nischen Kabinette eigentlich mehr darin, daß sie die all mächtig angeschwollenen Arbeiter-Truste zugunsten der City-Geldsäcke zu knechten suchten I Jetzt hat John Burns das Heft in der Hand, freilich vielleicht nur wenige Monate, wenn das Kabinett nicht besteht. Deutscher Deich. Leipzig, 16. Dezember. * Ein neuer Weg zur sächsischen Wahlrechtsreform. Die Frage der Wahlrechtsreform ist gestern in ein neues Stadium getreten Um dem Vorwurf zu begegnen, daß der Landtag alle Initiative von der Regierung verlange, selbst dagegen nickt iinstanbe sei, mit positiven Vorschlägen bervor- zuirelen, will man jetzt eine freie Kommilsion bilden, bieder Regierung Vorschläge unterbreiten soll. Der von dem kon- fervaiiven Abgeordneten Behrends ausgehende, durch ein Runvickreiben des Präsidenten Dr. Mebnert am Freitag allen Mitaliedern der Zweiten Kammer mitgeteilte Gedanke ist sicherlich gut gemeint, dürfte sich aber gleichwohl als in der Praxis unwirlsam erweisen. Die Frage der Wahlrechts reform ist so schwierig und so verwickelt, daß ein erfolgreiches Arbeiten an ibr nur solchen Mitgliedern des Landtags möglich ist, die da« umfangreiche Material gründlich beberrichen, insbesondere auch die Regieruiigö- denlschrift vom 31. Dezember 1903 eingehend studiert haben und aus den darin niedergelegten statistischen Angaben die richtigen Schlüsse zu ziehen wissen. Das in aber für alle diejenigen Mitglieder der Zweiten Kammer von vornherein erschwert, die bei den letzien Wahlen neu in den Landtag eingezogen sind, also speziell von der Denkschrift 1903 leme Kenntnis haben. Auch von den übrigen Mitgliedern wird nur ein Teil in der Lage gewesen fei«, sich den Stcsi völlig zu eigen zu machen und die Statistik mit der nötigen Gründ lichkeit durchzuarbeiten. Wenn jetzt aber allgemein an all- Mitglieder des Landtags die Aufforderung ergebt, sich einer freien Kommission anzuschließen und in dieser Vorschläge zu macken, so wird die Folge eine solche Ueberprodullion an verjchiedenartigen Vorschlägen sein, daß dabei der Vorwurf unausbleiblich »st: Die Leute wissen selbst nicht, was sie wollen. Soll eine freie Kommission überhaupt einen Zweck haben, jo muß sie lediglich aus der kleinen Zabl der Abgeordneten zusammengesetzt sein, die sich mit der Wahlrechtsreform ganz speziell beschäftigt haben, eine allgemeine Kommission werde nur den ungewollten Zweck haben, di« Sache aufs tote Gleis zu bringen. Zudem muß, wie neulich der Abgeordnete BehrenvS ganz richtig auSsübrte, die Initiative deswegen bei der Regierung liegen, weil diese allein über das vollständige Material verfügt, das überdies noch Minister v. Metzich selbst neulick im Landtage als zum Teil vertraulich bezeichnet har. Es ist deshalb nur zu hoffen und zu wünschen, daß die Re gierung noch im Lause der Session den gangbaren Weg findet, den sie nach ihrer eigenen Erllärung in der Frage der Wahl rechtsreform wandeln will. * Reform der sächsische« Erste« Kammer. Die Orts gruppe Plauen des Verbandes sächsischer Industrieller hielt gestern abend eine stark besuchte Hauptversammlung ab, in der der Syndikus des Verbandes, Herr Dr. Stresemann- Dresden, einen sehr interessanten Vortrag über das Tbema „Industrielle Zeitfragen" hielt. In der darauf folgenden Aussprache wurde insbesondere auch der Gesetzentwurf über die Vertretung der Industrie iu der Ersten Ständekammer behandelt. Die Versammlung schloß sich einstimmig der Re solution des Verbandes sächsttcher Industrieller an, di« die Regierungsvorlage als durchaus ungenügend ansicht und von der Zweiten die Ablehnung der Vorlage erwartet. * Major Johannes tn Ssongea! Die Station Ssougea in Deuljch-Ostafrika, die nach den letzten Nachrichten des Gouverneurs neuerdings in «ne ernste Lage geraten war, dürfte erfreulicherweise jetzt wieder außer Gefahr sein. Ein Privat-Kabeltel«gramm reS „L.-A." meldet auS Dar-rs- Salaam vom IL. Dezember: „Major Johannes ist mit der 8. und 13. Kompagnie am 29. November tn Ssongea eingetroffen. Oberleutnant Klinghardt hat mit seinem Detachement den Rückmarsch nach Bismarcksburg angetreten. — Im Hinterland von Lindi haben Kämpf» statt gefunden." Die Expedition des Majors Johannes wurde am 16. Oktober von Dar-eS-Salaam auf zwei Kreuzern nach Kilwa übergeführt, von wo sie in drei Kolonnen den Vor marsch über Liwale nach Ssongea anirat. Dem Major unterstanden die Kompagnien v. d. Marwitz und v. Kleist, ferner das Detachement Marineinfanterie v. Schlichting und die Etappentruppen unter Oberleutnant Frank, zusammen etwa 500 Gewehre, 3 Maschinengewehre, 50 Hülfskrieger und 600 Träger. Der Zug scheint im wesentlichen unbehelligt geblieben zu sein. In Dar-cs-Salaam erwartete man die Ankunft des Majors Johannes in Sjongea gegen Ende der ersten Dezembcrwoche und war bereits in lebhafter Sorge um die Station, da über Kap stadt die Meldung eintraf, daß die dortige Besatzung unter Lebensmittelmangel leide und deshalb die Situa tion sich bedenklich gestaltet habe. Am 22. November batte die Expedition den Fluß Mwagarandu erreicht, wo eine Etappenslation errichtet wurve. Daß Oberleutnant Kling hardt, der vom Nyassa her dem Major Johannes entgegen gezogen war, sich wieder nach seiner Station zurückbegeben hat, ist ein Beweis dafür, daß für Ssongea nunmehr nickts mehr zu befürchten ist. Feuilleton. 1 Wir sehn mit ihm aus nicht erstiegnen blühen kuf «liefen LrckendaU al5 einen Punkt herab; Lin Schlag mit seinem Zauberstab Keipt Welten um uns her bei Tausencken entstehen; Sluck'8 gleich nur Welten au8 Icieen, So baut man sie so herrlich, ala man will; Unck steh» einmal ck»8 Kack cler Lustern Sinne still, Wer sagt u«3, ckap wir nicht im Traume wirklich sehen, Lin Traum, cker un8 rum Last cker Lütter macht. wtrlovcl. Pariser Tagebuchblttter. Von Delta Ztlcken sParis). lMontparnasse — In den Straßen der Armen. — Die Straßen der Färber und Gerber. — Die verlassene Villa. — Der Markt der Lumpensammler und Bettler.) Im Westen von Paris herrscht der Luxus; im Osten die Arbeit: im Norden wieder die Arbeit und neben ihr die Kunst; im Süden bat die Wissenschaft ihren Sitz, aber daran stößt abermals ein Reick der Künstler: Montparnasse. Wie werde ich daran zurückdenken, wenn ich einmal fern von Paris sein werde. An dieses Gemisck von Ungebunden beit und internationalem Aesthetentum, von Sorgen und Unbekümmertheit, Ringen und Genießen, von Jugend und dekadenter Müdigkeit. Ich werde an vie kleinen Cremerien denken, wo man an Sommertagen vor der Türe sitzt, an schmalen Tischen, bei einem bescheidenen Imbiß. Aber zedes Gesicht, das man da sieht, hat einen Inhalt, jeder Mensch hier ist ein Einziger, sein Leden anaesüllt mit keinen Stim mung«, köstlich« Eindrück« und Träum« von Schönheit. Und die innere Unabhängigkeit gibt diesen Menschen den Mut, auch im Aeußeren sich unabhängig zu zeigen von Kon vention und Mode. Alle Sprachen hört man da. Englisch am meisten. Man findet hier jenen Typus des Engländers, der einen daran erinnert, daß diese Nation einen Burne-Jones und einen Watts hcrvorgebrackt hat, 'inen Ruskin und Oskar Wilde. Deutsche sieht man fast mehr als Franzosen. Gesichter, die ich aus dem Cafv Stephanie in München kannte, sand ich wieder, und Leute, die in Berlin die Verehrung für Manet lernten, schöpfen nun an der Quelle. Rußland, Skandi navien, Spanien, Amerika haben Vertreter, männliche und weibliche. Aber horcht man auf, so hört man m dem Ge misch fremder Zungen vertraute Worte, Namen wie Whist ler, Manet, Rodin. Maeterlinck, Wilde. Es sind die Heiligen, deren Kultus alle gemeinsam dienen. Man lebt in Gruppen. Wie in einem kleinen Badeort die Menschen sich befreunden, um so zwangloser, se mehr sie wissen, daß sie bald wieder versprengt werden, so schließt man sich an, und es ist ein freies, kameradschaftliches Zu sammensein, eine schöne Hilfsbereitschaft des einen Ge- schlechtS für das andere. Man trifft sich alle Tage in den drei, vier kleinen Lokalen und denkt kaum daran, daß dicht daneben die Weltstadt mit ihrem verwirrenden Getriebe alles einzelne verschlingt und zu einer breiten Masse der- reibt. Hier »st das Tun eincS jeden oOen und klar, auch für die andern. Sucht jemand um Mittag seinen Bekann ten, und er findet ihn nicht in der ersten Cremerie, so schlendert er zur nächsten nno trifft ihn gewiß in der über nächsten. Hin und wieder bringt wohl einmal ein Maler sein Modell mit dahin. Dann sitzen bic kleinen Mädchen, künst» ierbast nach dem Geschmack ihres Freundes herausgeputzk, sittsam unter den Töchtern aus guter Familie, essen stolz und glücklich ihren süßen Reis und trinken ihren verdünnten Rotwein. Kleine Romane sieht »an fick entspinnen, Ver bindungen. die aus Monate geschloffen werden und mit Trä nen und Trennung enden. Ja, und dringt man tiefer «in in die Geschichte von Montparnaffe, so erfährt man wohl, daß so «ine kleine Cremeri» ihren Ursprung so einem kleinen
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