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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 04.04.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-04-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19050404011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905040401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905040401
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1905
- Monat1905-04
- Tag1905-04-04
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Bezugs-Preis i» der Hauptexpeditton oder deren Ausgabe stellen abgrholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» .ai 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut ZeitunqSpreisliste. Diese Nummer tostet 4/^ ML auf allru BahnhSseu und III I bei den ZeitungS-Berkäufern Aedatttou und Erpedttioa. 153 Fernsprecher 222 Johannisgasse 8. Haupt-Filiale Dresden: Marienstratzr 84 (Fernsprecher Amt I Nr. 1718). Haupt-Ftltalr Vertin: LarlDon ck er, Herzgl.Bayr.Hofbuchbaudlg, Lützowslraße 10 - (Fernsprecher «lmt VI Nr. 4303). Morgen - Ausgabe. Mp)igcrTagMM Handelszeitung. Amtsblatt des KSnigl. Land- und -es Königs. Amtsgerichtes Leipzig, des Nates «nd -es Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzcile 25 Familien- und Stellen-Anzeigen 20 Finanzielle Anzeigen, tüesct afteanzeigen unter Text oder an besonderer «teile nach Tarif. Die 4gespaltene Netlame^eile 75^. Annahmeschlust für Anzeige»; Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Tie Spedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. R. L W. Klinkhardt). Herausgeber: vr. Victor Klinkhardt. Nr. 171. Dienstag den 4. April 1905. 89. Jahrgang. Wir errichteten MWrM - RllliWtrr Brücke im Ligarrongeschäft des Herrn Aarl Müller eine Annoncen- und Abonnementsannahme- Filiale des Leipziger Lageblatte». Daselbst werden Annoncen und Abonnements bestellungen zu Originalpreisen angenommen. Die Annoncen- und Abonnementsannahme- stelle für das leipziger Tageblatt des Herrn Kaufmanns Otto Engelmann — Ranstädter Lteinweg besteht nicht mehr. Verlag und Expedition des Leipziger Tageblattes. Var wichtigste vom Lage. * Der bayrische Kriegsminister v. Asch, der den viel be sprochenen Konflikt mit dem Zentrum hatte, ist zurückgetreten. (S. Dtsch. Reich.) * Der dänische Reichstag ist gestern geschlossen worden. * Der Prozeß gegen Maxim Gorki ist auf den t6. Mai verschoben worden. stussstche vureaulrrstie. Von Professor M. v. Reusner."j In der Reqel gehen die russischen Bureaukraten höbe- ren Ranges unmittelbar aus den Reihen der „höheren Gesellschaft hervor, oder sie sind die Nachkommenschaft verschiedener Würdenträger, von den Ministern bis auf die Gouverneure. Die Kinder solcher Persönlichkeiten werden für den späteren kommandierenden Beruf speziell dressiert. Sie genießen ihre Erziehung in besonderen geschlossenen, bevorzugten Instituten, wo sie mit den Wissenschaften nicht geradezu belästigt werden, dafür aber angenehme Manieren, fremde Sprachen und die Kunst, zu gefallen und gefällig zu sein, studieren. Da sie ihre Zeit nicht sowohl der Schule, als vielmehr den Kneipen und Kokotten widmen, holen sie sich auch hier ihre administrativen Fähigkeiten. Nach der Absolvie rung Les Instituts glänzen diese jungen Leute mit ihrem Leichtsinn und ihrer Unwissenheit sowohl, als auch mit der Kunst, das Monocle zu tragen und der Obrigkeit zu gefallen. Ihre Lebensaufgabe ist — Reichtum und Karriere. Und dieses Ziel heiligt alle Mittel. Für sie gibt es keine Sachkenntnisse. Sie sinL immer für alles zu haben und gehen mit beneidenswerter Leichtigkeit von einem Beruf zum andern über. Wenn der Vorgesetzte befiehlt, wird der Geburtshelfer Astronom und der Geologe — Nationalökonom. Es ist selbstverständlich, daß diese bewunderungswürdige Biegsamkeit nur noch bei einer äußerst vereinfachten Auffassung der Verwal tungsausgaben möglich ist. Diese bestehen auch in mehr oder weniger stilgerechtem und geschicktem Abfassen von Kanzleischriften. Tas Löben, das außerhalb der Kanzlei, der Salons und Kneipen fließt, bietet für sie kein Interesse. Dort fristet sein Dasein „unser gutes Volk" oder anders — eine Arbeiterhcrde, die dazu da ist, um geschoren zu werden. Bei dieser Einfachheit der professio nellen Vorbildung und der administrativen An schauungen machen die bevorzugten Säuglinge sehr leicht Karriere: sic bekleiden bald ehrenvolle Posten, ohne von Arbeit belästigt zu werden: aus ihren Kanzleien machen sie Klubs für Klatsch und Verleumdung: die Obrigkeit behandelt sie sehr nachsichtig und überschüttet sie mit Auszeichnungen: inzwischen sind die Großmütter chen und Tantchen gar sehr beschäftigt: bittend und flehend oder, wo es geht, drohend suchen sie ihre Zög linge nach oben zu fördern, ohne jedoch dabei das Flach zu berücksichtigen: von Stufe zu Stufe, von einem Departement ins andere hüpfend, gelangt also der junge Mann an einen neuen, einflußreichen Vormund und wird selbst eine wichtige Persönlichkeit: *) Wir entnehmen diese Auszüge, mit Erlaubnis des Ver lages, dem heute erscheinenden Werke des früheren russischen Universitätsprofessors, der als liberalistischer Theoretiker hervorgetreten ist. Die ost sehr subjektiven, doch die Pamphlete der Ganz und Genossen an Wissen überbieten den Aussätze haben den Titel „Tic russischen Kämpfe uni Recht und Freiheit". (Halle a. S., Gebauer und Schwetjchke, 2 -X.) die weniger Begabten sind mitunter gezwungen, in die Provinz zu gehen, um dort die großen Administratoren zu spielen: die Geschickteren und Biegsameren verstehen ihre Geschäfte vorzüglich in Petersburg zu besorgen: in gewissem Alter wird ein bevorzugter Tschin Würden träger und beginnt die Geschicke des russischen Reiches zu leiten: das ist der übliche Weg zum Staatsmann in Rußland. Es ist nur hinzuzufügen, daß für den Minister- posten der Einfluß des Hofes und 'die Unterstützung seitens der Großfürsten in Betracht kommen: es versteht sich von selbst, daß nur Leute „aus unserer Gesellschaft" als würdig erscheinen, eu ebc-k Rußlands zu komman dieren. Unter den gegenwärtigen Ministern haben jedoch nicht alle in üblicher Weise ihren Weg gemacht. Lambsdorf, Frederiks, Bulygin und Kokowzew bilden die Regel. — Jermolow und Chilkow sind hingegen im Besitze einer speziellen Vor bildung. Einen zweiten Typus des russischen Bureaukraten, der vorzugsweise niederere Aemter bekleidet, bietet die Nachkommenschaft einer ganzen Beamtengene- vation. Diese Sorte von Menschen machen auf andere Weise Karriere. Sie liebedienern und schreiben und schreiben ohne Ende: sie schreiben, wie und was man will: für eine Maßregel und mit 'demselben Erfolge gegen diese Maßregel. Tas sind im wahren Sinne des Wortes Tintenseelen, für die das ganze Land in Gestalt von Nummern. Zählen, Buchstaben und Paragraphen er- scheint. Was sich unter diesen Zahlen und Buchstaben birgt, interessiert den Beamten absolut nicht: die Menschen existieren für ibn nicht: ihr Kummer und Leid, ihre Bedürfnisse und Rechte — sind nur .Karten für ein unterhaltendes Spiel. Papiere existieren um der Papiere willen. Und wenn dieses Spiel ein Voll unglück. die Unzufriedenheit der sozialen Klassen und Gruppen oder sogar die hereinbrechende Revolution zur Folge hat — bleibt dennoch der Beamte rubig an seinem Tische sitzen und fährt fort zu schreiben und zu schreiben. Er weiß nur eins: Im papierncn Reiche kann er alles. Was hat das viel zu sagen, wenn im Lande Hungersnöte oder Epidemien ausgebrochen sind? Der Bureaukrat kann befehlen, daß es so was nicht mehr gebe: wenn es notwendig ist, kann er auf dem Papiere seststellen, daß es Hungersnot und Epidemien gar nicht gegeben, gar nicht hat geben können. Was hat es viel zu sagen, daß unleugbare Tatsachen eine Kriegsgefahr oder einen internationalen Konflikt bestätigen? Ter Beamte wird auf dem Papiere feststellen, daß nichts Der artiges war, und niemand wird in der Lage sein, ihm das Gegenteil zu beweisen. In seinem phantastischen, vapiernen Reiche macht der Beamte Geschichte, ruft Er eignisse hervor oder läßt sie verschwinden, schafft nach eigenem Ermessen Leben, verkündet Tod, läßt auf erstehen, stürzt ins Verderben, trennt und bindet zu sammen. korrigiert und formt uin — und das alles je nach dem Befehle des Vorgesetzten. Und so lange die Mauern des Ministeriums noch stehen, so lange die Diener noch Kuverte und Pakete befördern, so lange ! Bittsteller vor der Obrigkeit ersclieinen, so.lange endlich Federn schreiben und Tinte fließt, hat nichts die Macht, den Gang dieser blöden, methodisclxm Maschine zu stören, die mit sinnloser Regelmäßigkeit einen Bogen nach dem anderen fertigt, die für niemand brauchbare Mythen von einem unbekannten Lande, das sich, man weiß nicht warum, das russische Reich nennt, erzählt. In dieser schwülen Welt selbstzufriedener, stumpfsinniger Be schränktheit entstehen sogar eigenartige Talente, deren papierenen Fanatismus und unüberwindliche Lebens- Verachtung nichts übertreffen kann. Lebendigen Leichen gleich bewegen sich und handeln diese Gespenster der Kanzleiroutine und verleihen der ganzen Umgebung das Gepräge des Todes, der Unwissenheit und des Hochmuts. Rußland kennt die Staatsmänner dieses Typus' allzugut. Unzugänglich und aller menschlichen Gefühle bar, gelten sie in den leitenden Kreisen als Stützen des „prinzi piellen" Bureankratismus. Unter den heutigen Staats- männern zählte zu dieser Kategorie zweifellos Bogol- jePow, dieser Kanzleimensch bis auf die Knochen, der es vermocht hatte, mit dem Fanatismus des Beamten noch spezielle Kenntnisse auf dem Gebiete des römischen Rechts zu vereinen. Ueberhaupt muß man sagen, ^>aß die Wissenschaft und Aufklärung, 'die D. Tolstoi als Klassizismus nach Rußland verpflanzte, den sinnlosen und toten Bureau- kratismus ganz besonders gefördert haben. Schon auf der Schulbank fand eine eigenartige Zuchtwahl statt, der Kinder und Jünglinge mit beispielloser Grausamkeit zum Opfer fielen. Die ganze Mittelschule war eine entsetz liche Kanzlei, wo die Kinder die Rolle der Beamten spielten und die Lehrer die verhakte Obrigkeit. Der Studienplan war rein formalistischer Natur und bestand in einem ganzen System von Kanzleibetrug. Die blöden, zusannnenlzangslosen oberflächlichen und rein mecha nischen Lehrmethoden führten bei den strengen Forde rungen. die an den Schüler gestellt wurden, zu einem kolossalen und systematischen Betrügen der Lehrer seitens der Schüler. Alle Lehrgegenstände waren derart in haltslos und dennoch so umfangreich, daß der fleißige, korrekte Schüler mit Idiotismus oder Wahnsinn enden mußte. Auf der anderen Seite war 'das System der Lehrinquisition, der Strafen, der polizeilichen Kontrolle und Zensuren so grausam und konsequent durchgeführt, daß das Kind keine Möglichkeit hatte, sich vor diesem Hammer zu retten, der mit der Wucht einer Elementar- kraft joden lebendigen Gedanken und jedes lsbendige Gefühl zertrümmerte. Tas einzige, was noch retten konnte, war Betrug und Fälschung, die Jahre hindurch geübt wurden. In der Schule wurde alles gefälscht — Antworten, schriftliche Arbeiten und sogar das Examen. Die Lehrer, die ihrer Obrigkeit gegenüber in derselben Lage waren wie die Schüler ihnen gegenüber, schützten nicht nur mit allen Mitteln den Betrug, sondern betrogen auch ihrerseits. In formaler Hinsicht ging alles, wie es sich ziemte, vor sich, die eigentliche Schule aber ver wandelte sich in eine Stätte sittlicher Verkommenheit und tiefgehenden Lasters, so daß nur Ausnahmenaturen sie verlassen konnten, ohne völlig verdorben zu sein. . . . Sipfagin war der Typus eines Würdenträgers und Grandseigneurs, ein Gastfreund und der Intimus der Zarenfamilie. Er hatte keine Ahnung davon, was in seinen: Ministerium vorging. dafür aber besaß er das Talent, die Bittsteller zu empfangen, zu beruhigen und zu trösten. Er hielt es einfach für unanständig, den Zaren und den Hof mit irgendwelchen unangenehmen Nachrichten zu belästigen: darum befahl er ein- für alle mal, daß es niemals Hungersnöte, Volksunglücke und -Aufstände und überhaupt unangenehme Nachrichten aus seinem Ministerium gebe. Mit den Revolutionären machte er ebenfalls kurzen Prozeß. Alle Feinde des Vaterlandes — und als solche galten bei ihm alle, die aus irgend einen: Grunde ihm unangenehm und un bequem waren — ließ er ohne weiteres zu Tausenden auf administrativem Wege verbannen. An Unordnung und druwler Unwissenheit ließ sein Ministerium nichts zu wünschen übrig. Ich glaube, wenn man ihm sein eigenes Todesurteil vorgelegt hätte, würde er es, ohne zu lesen, unterschrieben haben. Ich kann mich an den folgenden merkwürdigen Fall aus seiner Praxis erinnern: In einer kleinrussischen Stadt geriet die Polizei wegen der Brandlvache mit den: Magistrat in Streit. Die Polizei zeigte den Bürgermeister und die Mitglieder des Magistrats wegen Rebellion dem Ministerium an. Sipjagin ersuchte ohne jede Untersuchung den Zaren um Genehmigung, die Rebellen zu verbannen, und erhielt den entsprechenden Erlaß. . . . Zum Glück befand sich unter den „Rebellen" ein Freund von Sipfagin. der ihm Len wahren Sachberhalt auseinairdersetzte. Um den Zaren ein überflüssiges Mal nicht zu belästigen, ver nichtete dann Sipfagin eigenhändig „den allerhöchsten Erlaß". Damit war die Sache zu Ende. Die Rebellen sind unberührt geblieben, während der Zar glaubte, fürchterliche Staatsfeinde bestraft zu haben Dieses Verfahren hinderte jedoch Sipfagin nicht, alle politisch Verdächtigen auf das grausamste zu verfolgen. Von der Höhe des Hofolymps erschienen diese Leutchen als schädliche Parasiten, die man nicht genug quälen kann. . . . Und in der Tat, während der wenigen Jahre von Swjagins Herrschaft wurden rund 30 000 Menschen ohne Gerichtsverhandlung nach Sibirien und in andere entlegene Gegenden verbannt Ein Grandseigneur und Gentlemen dem Zaren gegen über, war er ein leichtsinniger Tyrann für weite Kreise der russischen Gesellschaft und des russischen Volkes. Balmaschews .Hand beendete das Leben dieses Freundes des Zaren und seiner Fannlie Boqoljepow war ein Mensch ganz anderer Art. Er stammte aus der Familie eines kleinen Polizei- beamten. Seme Stellung verdankte er in erster Linie dem Umstande, daß er Lehrer in der Familie des durch lauchtigsten Fürsten Live:: :var. Er heiratete die Tochter des Fürsten, die nicht mehr jung war, und gewann auf diese Weise gute Beziehungen für feinen künftigen Staatsdienst. Als Dozent des römischen Rechts faßte er festen Fuß auf der Universität zu Moskau, wo er dann in rascher Folge Professor, Dekan und Rektor wurde. Als Rektor zeichnete er s:Ä durch seinen Antisemitismus und seinen Haß gegen die Studenten aus. Es war nun natürlich, -aß er Prokurator des'Moskauer Lehrkreises wurde, wo er sich unter dem Einflüsse des Großfürsten Sergius alle Mühe gab. auf der Universität die Lehr- freiheit und die Freiheit der Wissenschaft zu unterdrücken, und alles, tvas der Polizei verdächtig schien, davon zu entfernen. Sein unvergänglicher Ruhm endlich besteht darin, daß er für die Heranblldung einer ganzen Reihe junger Professoren sorgte, die Gelehrsamkeit und Lakaientum in einer Person zu vereinen hatten. Das gelang ihn: bis zu einem gewissen Grade, und er verstand es. durch seine Schüler nicht wenig Korruption in die akademischen Sitten Rußlands zu bringen. Nun sollte dieser Monn für Rußland nicht verloren geben. Auf das Ansuchen des Großfürsten Sergius wurde er M mister. Bogoljepow war ein schwerer, trockener, düsterer Mensch. Ich erinnere mich lebhaft an den Empfang, den er mir gewährte, als ich zürn Professor der Universität Tomsk ernannt wurde. Ich beobachtete mit besonderem Interesse, wie er die zahlreichen Bittsteller behandelte. An den Minister wandten sich meistens gequälte, un glückliche Menschen, die von ihm die Entscheidung ihres Schicksals erhofften. Tas waren Studenten, welche die Polizei aus der Universität entfernt hatte. Las waren Professoren, die von Spionen und Kollegen verleumdet wurden, das waren endlich Eltern von zahlreichen Kindern, die aus verschiedenen Schulen relegiert und bestraft worden waren, für die das Diplom eine Frage über Leben und Tod war. Ich fühlte in jedem Worte, das die Bittenden sprachen, in jedem Ausdruck ihres Ge sichtes und in jedem Blicke ihrer Augen eine Tragödie. Alle diese Menschen waren Opfer der Gesetzlosigkeit und Willkür, und sie alle konnte ein Wort des allmächtigen Ministers retten. Vftt raffiniertem Gleichmut, mit toter Unbeweglichkeit im Gesicht, den schweren, bleiernen Blick auf den Bittenden geheftet, gab der Allmächtige jedem dieselbe Antwort: „Ihr? Sache wird laut Gesetz ent schieden werden." „Laut Gesetz" — so sprach derjenige, der besser als alle anderen wußte, daß es in Rußland kein Gesetz gibt: daß jene kleinen T:ebe und Tyrannen, derentwegen diese bejammernswerte, flehende Menge ihn um Schub bat, keine Gesetze anerkennen wollen. „Laut Gesetz" — und Bogoljepow zeigte bald, daß er sich sehr gut auf spezifisch russische Gesetzlichkeit verstand. Der Schuß von Karpowitsch beendete das Leben dieses sonderbaren Vertreters russischer Gesetzlichkeit. Mit Bogoljepow fiel einer der typischsten Repräsentanten der absoluten Bureaukratie, die das Leben um des Papieres willen verneint und es mittels Erlassen und Maßregeln tötet. Meiner Methode folgend, müßte ich nun den von Sasonow ermordeten Plehwe als den Typus eines Henker-Bureaukraten schildern. Allein, diese Person ver dient ein besonderes Kapitel. Hier möchte ich noch auf eine besondere Abart der russischen Bureaukratie Hin weisen, nämlich auf den Liberalen unter den Beamten, auf den protestierenden Beamten, der in den Ministerien Petersburgs ziemlich häufig vertreten ist. Die Menschen dieser Kategorie führen in der Regel ein doppeltes Dasein. Auf der einen Seite erscheinen sie als aufgeklärte Europäer, als Kulturmenschen, und als solche schimpfen sie über das bureaukratische Regime und schrecken vor den bösesten Enthüllungen nicht zurück. Auf der anderen Seite bezogen dieselben liberalen Herren gleich anderen regelmäßig ihre Gagen und beteiligten sich nicht minder als die anderen an der allgemeinen Pljinderungs- und Erniedrigungsorgie Rußlands. Und hätte man z. B. den liberale:: Bureaukraten nicht als Freund, sondern als Bittender in Anspruch nehmen müssen, so würde er gewiß die ganze Macht der ihm an vertrauten Gewalt und die Größe seiner bureaukratischen Gelüste zeigen. Noch mehr. Diese Herren verstehen es außerordentlich geschickt, jeden zum Schweigen zu bringen, der die Pestilenz der Kanzleien wirklich ent hüllen wollte. Ich erinnere mich, wie leidenschaftlich in den Kreisen der jungen Petersburger Gelehrten die Schrecknisse der Beamtenentlassung laut des berüchtigten dritten Punktes debattiert wurden. Als dann diese Frage der juridischen Gesellschaft in Petersburg vor gelegt wurde, — wie inhaltsleer und träge waren die Reden unserer liberalen Bureaukraten: ihre Position war fest genug, um den dritten Punkt nicht zu fürchten Der llusttanct in Zültwertalrilra. Verlustliste. Ein amtliches Telegramm ans Windhuk meldet: Reiter Wilhelm Dippel, geboren am 4. Juni 1882 zu Hagen, früher Feldartillerie-Regiment Nr. 31, ist am 11. März im Gefecht bei Aub durch einen Streifschuß in den linken Ober schenkel leicht verwundet worden: Reiter Paul Toernbrack, geboren am 2. September 1883 zu Bauhof, früher Fsldartillerie-Rcgiment Nr. 15, ist am 28. März in der Krankenfammelstell« zu Kubub an Typhusgestorben. Vie wisst in stusrlanä. Verhaftung von Anarchisten. Tie Verhaftung von zwölf Anarchisten in Petersburg wird selbst in Kreisen der Revolutionäre mit Befriedigung ausgenommen. Sie wollen Befreiung oder offenen Aufstand der Massen, nicht Terror und gemeinen Meuchelmord. Darum ändert jene Verhaftung kaum etwas an der politischen Be wegung. Von größerer Bedeutung ist die Verhaftung einiger Führer der Intelligenz in Biallstock, einem Zentrum der revolutionären Organisation. Auch aus Wilna werden Verhaftungen gemeldet. Verbot -e» Warenverkäufe. Im ganzen Generalgouvernement ist der Verkauf von Revolvern, Pistolen und Patronen untersagt worden. Die in den Wasfcnläden vorhandenen Waffen sind numeriert und der Verwaltungsbehörde zur Aufbewahrung übergeben worden.
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