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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.12.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-12-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981222011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898122201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898122201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-12
- Tag1898-12-22
- Monat1898-12
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Sie sind auf den Grundton der Pietät gestimmt, die Fürst Bismarck alle zeit seinem „alten Herrn" entgegengebracht hat und die er auch dem Sohne niemals versagte, seitdem dieser, nach Beilegung deS Verfafsungsstreites, seinen Frieden mit dem treuen Berather de» DatrrS abgeschloffen und seine selbstlose Hingabe an die Interessen des HohenzollernhauseS achten gelernt hatte. Der erste Abschnitt des 32. CapitelS handelt von Wilhelm's I. letzten Zeiten. Um die Mitte der siebziger Jahre machten sich bei Wilhelm I. die Zeichen deS Alters bemerkbar, die Auffassung fremder Vorträge, die Entwickelung eigener Gedanken wurde ihm schwerer, zuweilen verlor er den Faden im Zuhören und Sprechen. Das Nobiling'sche Attentat brachte darin eine Besserung, so daß der alte Herr selbst zu scherzen Pflegte, Nobiling habe besser als die Aerzte gewußt, was ihm fehle: ein tüchtiger Aderlaß. Die letzte Krankheit war von kurzer Dauer, sie begann am 4. März 1888; am 8. Mittags hatte Bismarck die letzte Unterredung mit dem Kaiser. Er verlangte von ihm die Ermächtigung zur Veröffentlichung der Ordre vom 17. November 1887, durch welche Prinz Wilhelm in Abwesenheit seines schwerkranken Vaters mit der Stellvertretung deS Monarchen beauftragt wurde in den Fällen, wo Se. Majestät einer solchen zu bedürfen glaubte, und versprach dem Kaiser auf seine Bitte, daß er seinen Nach folgern, Sohn und Enkel, mit seinem Rathe treu zur Seite stehen wolle. Ein fühlbarer Druck der Hand dankte ihm. In den folgenden Fieberphantasien beschäftigte den Kaiser daS Ver- hältniß zu Rußland, und indem er seinen Enkel anzurcden glaubte, sagte er plötzlich zu BiSmarck: „Mit dem russischen Kaiser mußt Du immer Fühlung behalten, da ist kein Streit nothwendig." Nachdem die Sinnestäuschung vorüber war, nahm er mit den Worten: „Ich sehe Sie noch" Abschied von BiSmarck. Dieser war zwar noch am Nachmittag und in der Nacht zum 9. März am Sterbebette seines Herrn, glaubt aber nicht, daß dieser ihn unter den Umstehenden erkannt habe. Die letzte Wiederkehr des Bewußtseins war am Abend des 8. März erfolgt; da hatte der Kaiser noch klar und zusammenhängend mit den sein Bett Umstehenden sprechen können: „es war das letzte Auf leuchten dieses starken und tapferen Geistes. Um 8 Uhr 30 Minuten that er den letzten Athemzug." In meisterhafter Weise läßt Bismarck darauf von diesem edlen Fürsten ein Bild vor uns erstehen, in dem Pietät und Liebe in Verbindung mit dem Sinne für geschichtliche Wahrhaftigkeit den Stift geführt haben. Ich vermag hier nur die Conturen zu geben und verweise meine Leser auf das Buch selbst, wo sie das fein durchgearbeitete Gemälde bewundern können. Von den Söhnen Friedrich Wilhelm's III. war nur der älteste für die Staatsgeschäfte vorgebildet, der zweite wurde dem militairischen Berufe überwiesen. Die Kinderlosigkeit Friedrich Wilhelm's IV. ließ den Prinzen Wilhelm in den Rang des Thronfolgers einrücken, aber auch jetzt noch blieben ihm die staatlichen Einrichtungen, soweit sie außerhalb deS Kreises seines militairischen Berufes standen, so gut wie unbekannt. Diese Unkrnntnitz empfand er erst als Lücke seiner Vorbildung, als er die Last der Regentschaft für den erkrankten Bruder über nehmen mußte. Alsbald war er bemüht, sie auszufüllen in treuer Arbeit Tag und Nacht. Mit vollem Ernste und voller Gewissen haftigkeit widmete er sich den Staatsgeschäften, las alle Ein gänge, gleichgiltig, ob sie ihn anzogen oder nicht, und studirte selbst die Verträge und Gesetze, um sich ein selbstständiges Urtheil zu bilden. Er las weder Romane noch rauchte er; die einzige Er holung, die er sich gönnte, war der Besuch deS Theaters, aber selbst dort nahm er in dem kleinen, vor der Log« gelegenen Zimmer Vorträge entgegen, ohne jemals über Störung zu klagen. DeS Staates erster Diener, war er auch in der Nacht jederzeit auf dem Posten, wenn schwierige Verhältnisse schneller Entschließung bedurften. In seinen Entscheidungen unterstützte ihn „ein un gewöhnliches Maß von klarem, durch Erlerntes weder unter stütztem noch beeinträchtigtem gesunden Menschenverstände"; er schwert wurde die Verhandlung mit ihm durch „fürstliche, mili- tairische und locale Traditionen", an denen er mit Zähigkeit hing. Aber diese Zähigkeit entsprang nicht dem Eigensinn, sondern der höchsten seiner fürstlichen Tugenden, der Treue, mit der er an alten Gewohnheiten, Menschen seiner Umgebung, wie Dingen des Gebrauches und Erinnerungen der Jugend festhielt. ES kostete ihn darum jedeSmal einen schweren Kampf, ehe er sich entscholß, neue Bahnen zu gehen. Hatte er sich von der Noth- wendigkeit überzeugt, in neue Gleise einzulenken, weil Pflicht und Ehre eS ihm geboten, so kamen etwaige Gefahren, die auf dem neuen Wege liegen konnten, für ihn nicht in Betracht: die Furcht losigkeit des preußischen OsficierS, der mit einem „zu Befehl" in den Tod geht, war dem Könige eigen, sobald er im Kampfe stand. Aber er scheute die „Manoeuvrekritik", die seine Gemahlin an seinen Entschließungen übte, und ihr Einfluß erwies sich in manchen Fällen stärker als die Argumentation deS Kanzlers und der Minister. Der Kaiser litt oft „unter dem Kampfe zwischen seinem Verstände und seinem königlichen Pflichtgefühl einerseits und dem Bedürfniß nach häuslichem Frieden und weiblicher Zu stimmung zur Politik andererseits", aber sein ritterliches Gefühl der Gemahlin, seine mystischen Empfindungen der Königin gegenüber gestatteten ihm nicht, ihr jede Be einflussung seiner Entschließungen in Sachen der Staatsinteressen zu untersagen. Da Kaiserin Augusta jederzeit zu den Gegnern Bismarck's gehörte, wie sie denn bei ihren katholisirenden Neigungen nahe Beziehungen zum Centrum unterhielt, so wird man es verstehen, wenn Fürst Bismarck den Kampf hinter den Coulissen jederzeit als den aufreibendsten Theil seiner amtlichen Thätigkeit bezeichnete. , Wilhelm I. war eine „königlich vornehme" Erscheinung, frei von allerEitelkeit, die Monarchen leicht verleitet, nach kriegerischem Ruhm oder volksbcglückender Thätigkeit zu streben. „Niemand hätte gewagt, ihm eine platte Schmeichelei zu sagen; in dem Ge fühle königlicher Würde würde er gedacht haben: wenn Einer das Recht hätte, mich ins Gesicht zu loben, so hätte er auch das Recht, mich ins Gesicht zu tadeln. Beides gab er nicht zu." Ein „geutlemnn ins Königliche übersetzt", hielt er auf Treue und Ehre nicht nur Fürsten, sondern auch seinen Dienern gegenüber" bis herab zum Kammerdiener. Auch wenn er heftig wurde, was in der Disussion leicht geschah, wenn die sachlichen Argumente der Minister durch die unsachlichen Einwirkungen der Gemahlin paralysirt wurden, blieb er der König durch die vornehme Art, wie er wieder gut zu machen pflegte, waS «r im Uebereifer etwa gefehlt hatte. Auch Bismarck hat solche Ausbrüche königlichen Zorne» erlebt: in NikolSburg, in Versailles, in der Zeit des Culturkampfe» und auch später noch, aber sie wirkten auf ihn „nicht contagiös, sondern abkühlend". Seine persönliche Liebe zu Kaiser Wilhelm I. ließ niemals Groll in ihm aufkommen, auch wenn er sich ungerecht behandelt fühlte: „ein Herrscher", sagt er, „der mir in dem Maße Vertrauen und Wohlwollen schenkte, wie Wilhelm I., hatte in seinen Unregelmäßigkeiten für mich die Natur einer vis nurjor, gegen die zu reagiren mir nicht gegeben sei, etwa wie daS Wetter oder die See, wie ein Natur- ereigniß, auf das ich mich einrichten müsse." Mit der Pietät eines SohnesgedenktBiSmarck mit Reu« und Mißbilligung des passiven Widerstandes, zu dem er sich gelegentlich „in der Stimmung einer durch fortgesetzten Kampf erzeugten Nervosität" durch sachliche, politische Interessen verleiten ließ, für die er bei dem alten Herrn entweder kein Verständniß oder eine vorgefaßte Meinung vor fand. Die Wärme seine» edlen Herzen», die sich auch in seinen Ansprachen, Proklamationen, Briefen nicht verleugnete, die Treue, die er Jedem gewährte, der zu ihm in nähere Beziehungen trat, erzeugten bei seinen Dienern bis zu den Ministern hinauf eine Hingabe auf Leben und Tod, wie sie die Gefolgschaften ger manischer Fürsten des Alterthums zum Staunen der Römer be währten. Und nicht ohne Grund nennt sich Fürst BiSmarck in seiner Grabschrift einen treuen Diener Wilhelm's I. Er fühlte sich alsDiener dieses Herrn, der freudig anerkannte, wie vieles er seinem bewährten Rathgeber verdankte, und frei von aller Eifersucht auf seine großen Erfolge der Erste war, ihm bei der Feier des 70. Geburtstages Ehren zu erweisen, wie sie noch niemals ein gekröntes Haupt einem Minister freiwillig entgegen getragen hat. „Treue um Treue" — das ist di« Devise dieses in der Geschichte einzig dastehenden Verhältnisses zwischen König und Minister; sie darf auch als Motto über dem Brief wechsel stehen, der den „Gedanken und Erinnerungen" als ein Zeugniß von unantastbarer Beweiskraft einverleibt ist. Den Schluß de» CapitelS bildet ein Brief der Kaiserin Augusta vom Enoe des Jahres 1888: er zeigt, daß der alternden Kaiserin doch auch ein dankbares Empfinden nicht fremd war für die Selbst losigkeit, mit der Bismarck ihrem Gatten, ihrem Sohne und nun schon dem Enkel diente. „Sie haben mir in bitteren Stunden Theilnahme bewiesen, deshalb fühle ich mich berufen. Ihnen, bevor ich dieses Jahr beschließe, nochmals zu danken und dabei auf die FortdauerJhrer Hilfe zu rechnen, mitten unter den Wider wärtigkeiten einer vielbewegtcn Zeit." So klingt in milden und versönlichen Tönen die an Kämpfen und Stürmen, aber auch an herrlichen Erfolgen reiche Zeit Wilhelm's I. aus. Die Meinung, daß der Regierungsantritt Friedrich's III. mit einem Ministerwechsel verbunden sein müsse, dem auch Bismarck zum Opfer fallen werde, war weit verbreitet und doch war sie irrig. Die frühere, aus liberalisirenden und englischen Einflüssen her vorgegangene Antipathie des Kronprinzen war längst einem un bedingten Vertrauen gewichen, das auch allen Versuchen gegen über, es zu erschüttern, Stand hielt. Schon seit 1885 wußte Bismarck, daß er im Falle eines Thronwechsels Kanzler bleiben würde; und als der Tod Wilhelm's I. den dem Tode geweihten Erben der Kaiserkrone aus dem milden Süden nach dem rauhen Norden rief, da konnte der Gedanke, Bismarck zu entlassen und damit dem Reichsschiff den kundigen Piloten zu nehmen, weder in dem Herzen Friedrich'» III. noch in dem seiner Gemahlin Platz greifen. Denn so schroff der Gegensatz auch war zwischen den Anschauungen der Kaiserin, die immer mit Zähigkeit die In stitutionen ihres Vaterlandes für die allein mögliche Form des modermn Staatslebens gehalten hat, und denen des Kanzlers, dem die preußische Krone immer der „tragende Mittelpfeiler des Staatsgebäudes" war, so war sie doch überzeugt, daß Bismarck's Beibehaltung im Interesse der Dynastie lag. Die Nachfolge Friedrich's III. entsprach, trotz seiner unheil baren Krankheit, der preußischen Verfassung, die keinerlei Bestim mung enthält, die einen schwerkranken Kronprinzen von dec Thronfolge ausschließt. Da die Reichsverfassung nur die Bestim mung enthält, daß der Titel eines deutschen Kaisers erblich dem jeweiligen Träger der preußischen Krone zukommt, so war der rite König von Preußen auch rits deutscher Kaiser. Bismarck hat e» nöthig gefunden, dies in den „Gedanken und Erinnerungen" zu constatiren, sowie der in einem englischen Werke über Kaiser Wilhelm II. aufgestellten Behauptung zu widersprechen, daß Friedrich III. schon 1887 urkundlich zu Gunsten seines Sohnes auf die Nachfolge Verzicht geleistet habe. In die ärztliche Be handlung des Dulders hat Bismarck nur einmal Einspruch er hoben, als die Aerzte Ende Mai 1887 eine Exstirpation des Kehlkopfes vornehmen wollten, ohne ihn befragt zu haben; er verlangte, daß außer dem Patienten auch der Kaiser als Familienhaupt gehört werde, worauf die Operation unterblieb. Don den Erörterungen staatsrechtlicher Natur, die Fürst Bis marck mit Kaiser Friedrich III. während seiner kurzen Re- gi«rungszeit gehabt hat, erwähnt er einer, um einige Betrachtun gen über die Reichsverfassung daran zu knüpfen. Es handelte sich um den Beschluß des preußischen Landtages wie des Reichs tags, die Legislaturperiode in Preußen und im Reiche von drei auf fünf Jahre zu verlängern. Der Kaiser war geneigt, den Be schlüssen seine Zustimmung zu versagen; er gab bezüglich des Reichstagsbeschlusses seinen Widerstand auf, als er sah, daß die Reichsverfassung ihm ein veto übereinstimmenden Beschlüssen deS Bundesraths und des Reichstags gegenüber nicht einräume, al» König von Preußen hielt er seine Unterschrift zurück, um sie erst einige Wochen später zu geben. Die Vollmacht, die der König von Preußen hat, als sebstständiger und gleichberechtigter Factor der Gesetz gebung Beschlüssen des Herren- und des Abgeordnetenhauses sein« Zustimmung zu versagen, fehlt ihm als deunchem Kaiser. Fürst Bismarck gesteht, daß er dem verbissenen Parteitreiben der achtziger Jahre gegenüber, das eine aus den verschiedenartigsten, unter sich feindlichen Elementen zusammen gesetzte Coalition von Gegnern der Regierung zu einer ü Wut pi-ix oppositionellen Reichtagsmehrheit hcrvorbrachte, den Gedanken einer Verfassungsänderung erwogen babe, die zu einer Steigerung der kaiserlichen Autorität führen sollte durch stärkere Anlehnung an die Unterlagen, welche die preußische Krone und Verfassung dem Träger der Kaiserkrone gewährt. Die Hoffnung, daß die eigentliche Stütze des Reiches der Reichs tag sein werde, hat sich nicht erfüllt, die Herrschsucht der Partei führer war alle Zeit größer als ihr Patriotismus, und mit einem kräftigen )ou bows, zcm trazments, weist Bis marck diese engherzigen Parteityrannen in ihr Nichts zurück. Nur bei der Centrumspartei findet Bismarck eine fähige Führung, aber leider nicht das Interesse und die Freude am Reiche, sondern nur das Bestreben, das unbequeme Gebilde eines deutschen Reiches mit evangelischem Kaiserthum zu zerstören. Gleichwohl lebt er Feuilleton. Im „Lazarett)". Postalische» von Fritz E—t. Mancher Leser wird, nach der Ueberschrift urtheilend, ver- muthen, etwas recht Trauriges lesen zu müssen, die Andeutung indeß, daß die ReichSpost im Spiele ist, wird ihm schon sagen, daß nicht ein Lazarrth im gewöhnlichen Sinne de» Wortes ge meint ist. , Lazareth ist der FachauSdruck, wenn ich so sagen darf, für die bei größeren Postämtern und auf den Bahnhöfen bestehenden Sammelstellen für beschädigte und unanbringliche Packete. Die Beschäftigung in solcher Arbeitestelle bietet zwar für die Beamten manche» Interessante, aber auch viel Arbeit. Besonder» während der Weihnachtszeit, wo der Päckereiverkehr einen derartigen Um fang annimmt, daß er selbst mit Aufbietung aller Arbeite- träfte nicht immer glatt abgewickelt werden kann, fällt auch für die Beamten de» Lazareth» ein gute» Stück Arbeit ab. Diese dem Leser vor Augen zu führen, soll der Zweck folgender Zeilen sein. Die Sammelstellen bestehen bei großen Postämtern au» zwei Abtheilungen: dem „Lazareth" und der „Todten- kammer"; bei kleineren Verhältnissen sind die Stellen ver einigt. Mit Leichtigkeit läßt sich schon errathen, welchen Zwecken die so bezeichneten Arbeitsstellen dienen. Da» Lazareth ist eine Sammelstelle für diejenigen Packete, welch« sich in so „herunter gekommenem" Zustande befinden, daß sie unmöglich zur Weiter beförderung sich eignen, sondern zuvor einer Ausbesserung an ihrer Umhüllung bedürfen. Die Todtenkammer ist der Sammel» platz für „Packetleichrn", d. h. solche, di« ihre Adressen verloren haben. Blicken wir zunächst in da» Lazarrth. DaS hierzu be nutzte Zimmer macht, wa» seine Ausstattung anbetrifft, einen einfachen Eindruck. Der Ofen, ein Schreibpult für di« Beamten, ein langer Tisch, der „Secirtisch" genannt, eine Waschtoilette und einige Schränke bilden daS Meublement. Ein „Stück" Spiegel findet sich im günstigsten Falle auch noch vor, denn was nicht unbedingt erforderlich ist, das wird im „Reiche Podbielski'S" nicht geliefert. Beim Eintritt in da» Zimmer ist es aber auch nicht dies, wa» Einem zuerst in die Augen fallt, sondern Weik bunter macht sich der Haufen Packete, welcher auf dem langen Secirtisch« und, in Ermangelung an Platz, auf dem Fußboden liegt. Wie viel Weihnachtswünsche mögen alle diese Packete noch in Erfüllung bringen sollen! Aber eine keine Ruhepause müssen sich alle hier gönnen; mancher Ungeduldige hat noch eine unruhige, erwartungsvolle Nacht durchzumachen, weil sein Packet vom lieben Onkel oder von der lieben Tante sich in da» Lazareth begeben mußte. Wie ein Blick un» lehrt, haben alle die hier lagernden Packete während der Beförderung mehr oder weniger Schaden gelitten. Au» der Holzkiste, welche dort in der Nähe de» Ofen» steht, sickert fortwährend eine rothe Flüssigkeit, wie Blut steht sie au», un heimlich anzuschauen. Die Kiste wird soeben von dem Arzt und seinem Lazarethgrhilfen, so könnte man die beiden Beamten ganz treffend benennen, in Bezug auf ihren Gchwiichezustand untersucht. Einen Blick auf die Aufschriften der Kiste werfend, sagt der eine Beamte: „Da» ist ja wieder eine der bekanntlich so mangelhaft verpackten Weinsendungen der Firma L. tn L." Die nähere Untersuchung zeigt, daß die Kiste äußerlich un beschädigt ist, wa» von den Beamten in einer für jeden Fall herzu richtenden Verhandlungtschrist vermerkt wird. E» folgt die Gewichtsfeststellung der Sendung und, da ander» dem „Leck" nicht beizukommen ist, die Eröffnung. Diese Arbeit wird vor sichtig und schrittweise, d. h. unter fortwährendem Nieder schreiben der Vorgefundenen Gegenstände, vorgenommen. Der Inhalt bestätigt die Dermuthung de» Beamten, Wein, sogar «ine feine Nummer ist e», welcher dort auf dem Fußboden sich ver breitet hat. Mehreren Flaschen ist, da die leichte, fast gänzlich unterbliebene Verpackung den erhöhten Anforderungen de» Weih- nachtiverkehr» nicht Stand hielt, der Hal» gebrochen. Nachdem die zerbrochenen Flaschen in gesicherter Weise wieder untergebracht sind, erfolgt di« Wiederverschließung der Kiste. Dir Beamten legen einen Bindfaden um die Sendung, versiegeln die Enden desselben und nehmen jetzt wieder eine Gewichtsermittelung vor. Bevor jedoch die Kiste ihre Reise fortsetzen darf, wird ihr noch ein großer Zettel, welcher in Schwarzdruck den Vermerk „Be anstandet" trägt, aufgeklebt. Dieser Zettel deutet jedem Beamten an, daß die Sendung einer Neuverpackung unterzogen worden ist. Am Bestimmungsorte aber ist e» wichtig, daß der Zettel nicht übersehen wird, denn da» Packet darf dem Empfänger nicht ohne Weiteres auSgehändigt werden. Dort ist gleichzeitig die Ver handlungsschrift auS dem betreffenden Lazareth eingelaufen. Der Empfänger wird unter Vorzeigung der Packetadresse von dem Geschehenen benachrichtigt und ersucht, zwecks Oeffnung de» PacketeS und Feststellung de» Inhalte» im Postamte zu erscheinen. Erhebt der Empfänger bei der Eröffnung keine Ersatzansprüche, so ist mit der Abnahme der Sendung die Sache erledigt. Aber eine kleine Geldbuße ist in den meisten Fällen noch zu zahlen, nämlich: 25 Pfennig oder auch mehr für die Neuverpackung, denn die Post läßt sich da» dazu verbrauchte Material bezahlen. Kehren wir jetzt, nachdem an dem einen Beispiä die Be handlung der al» gesund entlassenen Packete gezeigt worden ist, in da» Lazareth zurück. Hier wird soeben ein anveres verletztes Stück tn Angriff genommen. E» ist, allem Anscheine nach, eine Hutschachtel gewesen, ja gewesen, denn jetzt gleicht sie eher einer geschlossenen Harmonikabcilge. Der Landidat de» Eye» stände», welcher di« darin enthaltene Angströhre venutzen und um „sie" anhalten wollte, wird womöglich daran verhindert und sein LebenSglück vernichtet, wenn er nicht rechtzeitig für Ersatz sorgt. „Aber warum packt man auch eine leichte Papierhülle um die Schachtel und sendet sie nicht lieber unverhüllt ab", seufzt der eine Beamte beim Erblicken dieses schwierigen Falles. Aller dings muß man sagen, daß keine Verpackung manchmal besser ist, ak» eine ungenügende, welche nur, anstatt zu schützen, die „Schwächen" verdeckt. Der Annahmebeamte am Aufgabeorte dieses Packete» hat jedenfalls auf Grund seiner Erfahrungen schon da» Unglück vorau-gesehen, welche» über die Sendung hereinbrechen würde, und den Aufgeber über der Aufschrift den Vermerk machen lassen: „Auf Gefahr de» Absender»." Die Untersuchung ist bald beendigt, e» war »eine Rettung mehr möglich. Vielleicht weiß ein Specialarzt, der Hutmacher, noch Hilfe.... Schon winkt ein anderer Verwundeter mit seinem ver stümmelten Bein, — glücklicher Weise ist es kein lebendes Wesen, sondern ein hölzerner, für einen kleinen Staatsbürger bestimmter Kinderstuhl. Das sehr zarte Möbel hat ein Bein gebrochen, doch zum Glück noch nicht verloren. Die barmherzigen Lazareth- brüder fügen daS abgebrochene Ende der Sendung bei und mir etwas Geschick kann der Empfänger es selbst wieder befestigen, wobei es allerdings ohne einige liebevolle Worte für die „rauhen Postschweden" nicht abgehen wird. Das folgende Stück ist ein unscheinbares EtwaL; der eine Beamte dreht unwillkürlich die Gasflamme höher, um es er kennen zu können. Bei näherem Hinsehen bemerkt man an einer Papptafel — einen Hasenkopf, der durch eine große Schußwunde am Halse beim Transport abgetrennt worden ist. Wo mag die Hauptsache, der Rumpf, geblieben sein? Jedenfalls befindet er sich schon in einem anderen Lazareth und kommt doch noch recht zeitig an seinen Mann. Denn auch für solche Ereignisse sind Vorkehrungen getroffen, die meisten» unfehlbar einzelne, den Packeten entfallene Gegenstände den Empfängern, wenn auch mir etwas Verspätung, in die Hände führen, wie wir nachher sehen werden. Immer mehr Verwundete werden dem Lazareth zugeführt und die Beamten dürfen nicht müde werden, denn Zu- und Abgang müssen gleichen Schritt halten, schon de» beschränkten Raumes halber. Dort kommt soeben ein Packet in Behandlung, welches erst den kleinen Weg vom Postamt« am Orte bis zum Bahnhöfe gemacht hat und schon seinen Inhalt, der sich nach Aussehen und Geruch als Honig kundgiebt, von sich läßt. Gleichzeitig hat die Sendung noch verderbenbringend für sechs andere Stücke gewirkt. Die Untersuchung dieser Falles entlockt selbst den alle möglichen und unmöglichen Verpackungsarten gewöhnten Be amten daS größte Erstaunen. Nach Entfernung der Papp- Umhüllung steht ein mit Pergamentpapier verschlossener — irdener Topf, bezw. dessen Reste, vor ihnen, und Honig, nichts al» Honig fließt heraus. Welche» naive Menschenkind mag den Topf abgesandt haben? Die Beförderung zur Poft muß schon
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