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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.03.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-03-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070312024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907031202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907031202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-03
- Tag1907-03-12
- Monat1907-03
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Slnzetaen-PreiS di» Sgefpalteue Petit zelle für VeschtftS- Inserate au» Leipzig uud Umgebung L5 Pf, Familien-, Wohnung»- u. Etellrn-Anzeigrn, sowie An- »nd Verkäufe SO Ps., finanzielle Anzeigen SO Ps, für Iulerate von auSivärt» SO Ps. Reklamen 7d Pf, auSwürt» l Mark. Beilage- gebühr 4 Mark p. Tausend exkl. Postgebühr. Brschäftsauzrlgrn an bevorzugter Stelle iw Preise erhöht. Rabatt nach Tarii. Für Inserate vomAu»Iand« bei anderer Tarif. Lnreigeu-Annahme: AnAnstuSplaU 8, bei sämtlichen Filialen ». allen Anuoncen- LrvrdUioaen de» In- und Auslände». Aür da» Erscheinen au bestimmten Tagen u Plätzen wird keine Garantie übernommen Festerteitte Aufträge können nicht zurück gezogen werdeu. Vaupt-Ftltale Berit»: LarlDuucker,Herzgl.BayrHofbuch händig. Lützowstraße 10 (Tel. VI, 4603). Stltal-vrpedttto«:Tres0en.Marienstr.3l. 101. Jahrgang. Vas Neueste vom Lage. (Die nach Schluß der Redaktion eingegangeneu Depeschen flehen auf der 3. Sette de» HauptblattrS.) Ter Kaiser tu L-ntzonI * Die Londoner „Finanzchronik" bringt die Meldung, daß die Korporation der City in einer vertraulichen Sitzung für die Eventualität deS Besuche» de» Deutschen Kaiser» in London, dem man im Herbst, wahrscheinlich sm Oktober, entgegensetze, die für ein Festmahl in der Guildhall übliche Summe bereits zurückgestellt habe. Der Antrag sei mit allen Stimmen gegen zwei genehmigt worden. — Die Verant wortung für die Richtigkeit der Meldung muß dem Londoner Blatte überlassen bleiben. König Friedrich August tu Portugal. Bor seiner Abreise nach Ciutra besuchte der König von Sachsen die Sehenswürdigkeiten Lissabon» in Begleitung der Königin. Der Monarch frühstückte in dem Schlöffe Pena in Cinira, machte dann einen Spaziergang im Park und lehrte hierauf in das Schloß in Cintra zurück, wo er von der Königin-Mutter und dem Herzog von Oporto er wartet wurde. Hier' wurde der Tee eingenommen. Zum Diner in der deutschen Gesandtschaft waren eingeladen die Minister und die Hoswürdeuträger. Da» Diner zählte 30 Kuverts. Der osfizielle Besuch de» König» von Sachsen ist damit beendet. Der König hat dem alten Intendanten de» Schlöffe» von Cintra, von dem seine Mutter oft gesprochen hatte, eine Auszeichnung verliehen. Posadowsky und die Prtvatbeaarten. Der Staatssekretär des ReichSamtS de» Innern Graf Posadowsly antwortete auf ein BegrüßuugStelegramm der Stuttgarter Delegierten der Freien Vereinigung für die Herbeiführung einer staatlichen PensionSver- tlcherung der Privatangestellteu telegraphisch, die Angelegenheit werde von ihm weiter verfolgt werden und hoffentlich eine fachgemäße Lösung finden. RegterungSral von Botz -p. Der frühere Alterspräsident de» preußischen Landtages Geh. Regierungsrat v. Voß ist, wie unS ein Privattelegramm aus Halle meldet, heute nacht gestorben. Boß war früher 24 Jahre lang Oberbürgermeister der Stadt Halle. Ter Arbeilskampf im Hamburger Hafen. Die Gesamtzahl der zum Ersatz der Hamburger Schauer leute eingelroffeneu auswärtigen Arbeiter betragt etwa 1340. Der Verein Hamburger Reeder und der HafenhetriebSverein dielten gestern eine Versammlung ab und erneuerten in dieser den Beschluß, keine Schauerleute zur Arbeit einzustelleo, die nicht die gewünschte Unterschrift geleistet haben. Der gestrige erste Tag der Aussperrung ist ohne Zwischenfall verlausen. In dem Altonaer Hafen wird weiter gearbeitet; ein Teil der in dem Hamburger Hafen liegenden Dampfer soll sich daher zum Löschen und Laden dorthin begeben. Helgoland zur deutschen Seefeste bestimmt. Die Tage de» »Seebades* Helgoland dürften gezählt sein. Wie uns nunmehr amtlicherseits bestätigt wird, beabsichtigt unsere Mariaeverwaltuug daS ganze Oberland von Helgo land anzukausen. Einige Ankäufe sind bereits perfekt ge worden. Die Besatzung der Insel wird schon gegenwärtig um 420 Manu verstärkt. Als Torpedohasen der deutschen Kriegsflotte ist der Nordhafen der Insel in Aussicht genom men und zw lr in großem Maßstabe. Ehemaliger Präsident der französische« Republik Casimir Perier gestorben. Jean Paul Pierre Casimir Perier, der Präsident der französischen Republik vom 27. Juni 1894 bis 15. Januar 1895, ist heute gestorben. — Perier, der Enkel des be rühmten Staatsmannes, welcher unter König Louis Philipp Ministerpräsident war und im Jahre 1832 an der Cholera starb, war am 8. Nov. 1847 in Paris geboren. Er war seit 1876 Abgeordneter und in den Jahren 1393 und 1894 Kammer präsident gewesen. Nach seinem freiwilligen Rücktritt von der höchsten Würde lebte er fern von aller politischen Tätigkeit. König Victors Athenfahrt. Die Reise deS König» Victor nach Griechenland wird endgiltig aus den 7. April festgesetzt. Die königliche Jacht wird von einer größeren Anzahl Schissen begleitet sein. Der König reift in Begleitung des Ministers des Aeußern Tittoni und des Marineministers Mirabelli. Eine Rede Bothas. Bei einem Festmahl, das von der Bürgerschaft zu Ehren des neuen TranSvaaler Ministerium» veranstaltet wurde, hielt der Premierminister Loui» Botha eine Rede, in der er sagte, die britischen Interessen seien in den Händen des Ministeriums vollkommen sicher. Die Wett werde sehen, daß die Regierung von Transvaal so besorgt um die Ehre der englischen Flagge sein werde, kl ein Ministerium nur sein könne. Dis Ehre und die Inter essen de» alten Volkes würden damit auch gewahrt. Ueber- dies seien die TranSvaaler von tiefer Dankbarkeit erfüllt, weil König Eduard, die britische Regierung und das britische Volk ihnen iu einer in der Geschichte einzig da stehende» Weise vertranten, indem sie dem Volke von Transvaal eine freie Verfassung gewährt hätten. Die Buren würden diese Großherzigkeit niemals vergessen, und 2a» Ministerium würde sein Bestes tun, um eine große geeinigte Nation zu schaffen, deren einer Teil auf den andern nicht mit Mißachtung oder Mißtrauen blicke. Wenn dann auch in der Oranje-Kolonie eine direkt verairtwortliche Regierung errichtet fei, werde das Ministerium bestrebt sein, auf ein geeinigtes Südafrika hiozuardeiten. Die Regierung werde alles «un, um die Tätigkeit der Bergwerke zu fördern, sie werde aber jedem Versuche mächtiger Korporationen, Teile des Landes in ihrem Interesse zu sperren, entgegentret n. Bezüglich des Unterrichts sagte Botha, bi» zu einer gewissen Stufe, die die Kinder in der Erlernung der englischen und der holländischen Sprache erreichen müßten, sollten sie in der Muttersprache erzogen werdeu. Botha teilte ferner mit, daß er der Kolonialkonferenz in London bei wohnen werde. Tie spanischen Wahle«. Das Endresultat der Wahlen vom Sonntag ergibt ein bedeutende Mehrheil für die Konservativen. — Das war selbstverständlich, da eine konservative Regierung im Amte war. In Spanien werden bekanntlich die Stimmzettel vor der Wahlstundc in die Urne hineingelegt von der jeweils herrschenden Partei. Nach dem bis jetzt vorliegenden Wahl- ergebniS sind gewählt 302 Konservative, 131 Liberale, 89 Republikaner, 13 Karlistcu, 18 Demokraten, 8 Negionalisicn, 9 Unabhängig- und 7 keiner Partei Angehörige. Tie Ermordung Petkows. lieber die Vorgänge bei der Ermordung werden folgende Einzelheiten mitgeteilt: Gestern gegen 6 Uhr drängte sich der Mörder bei der Adlerbrücke zwilchen den Minister und den ihn begleitenden Gendarmen und gab zuerst auf Pelkow 2 oder 3 Schüsse und sodann auf Genadiew einen Schuß ab. Petkow stürzte sofort zusammen. Der Mörder flüchtete unter weiterem Schießen in der Richtung der Stadt. In einem Bierhaus wurde er von Gendarmen und Soldaten, die ihm nachsetzten, abgefaßt. Er erNärte, er habe sich seit 20 Tagen mit dem Gedanken getragen, den Ministerpräsidenten zu er schießen. Er sei zwar weder Sozialist noch Terrorist, aber trotzdem kein gewöhnlicher Verbrecher, er habe den Minister präsidenten vielmehr im Namen des Volkes erschossen. Trotz der offiziellen Meldung, daß es sich um die Tat eines entlassenen Beamten handele, scheint es den Eingeweihten fast zweifellos, daß hier die Politik eine Rolle spielt; daß viel leicht dieser Mörder gedungen ist. Man war in unter richteten Kreisen schon lange darauf gefaßt, daß der Unmut gegen die Regierung irgendwie zum Ausbruche gelange. Fürst Ferdinand, der auf der Reise von Paris nach der Riviera begriffen war, zeigte feine sofortige Rückkehr nach Sofia an. — Ministerpräsident Petkow hatte nach der Sobranje - Sitzung mit den Ministern Pahakow und Genadiew einen Spaziergang im Borispark unter nommen. Als sie in die Stadt zurückkehren wollten, wurden sie von zwei Individuen angesallen. Der eine von diesen schoß zuerst auf Genadiew, der an der rechten Hand verwundet wurde und sich auf den Angreifer warf. Inzwischen gab ein zweites Individuum auf Petkow zwei Schüsse ab, von denen einer unter der rechten Schuller ein drang und links an der Brust herauskam. Petkow brach sofort zusammen. Er wurde in eioeu Wagen gehoben und verschied bald, nachdem er nach Hause gebracht war. — Der Täler gab bei d.'M polizeilichen Verhör an, er habe keine Mitschuldigen und habe das Attentat verübt, um das bulgarische Volk zu befreien. Demgegenüber bestätigt sich die Lesart, raß der Mörder in Gesellschaft vou drei anderen Personen gesehen worven ist. Sofort nach dem Attentat trat der Ministerrat zuiammen und beschloß, für Sofia und die Provinz militärische Maßnahmen zu treffen. — Weiter heißt es: Genadiew hat starke Kontusionen erlitten, da der Mörder aus nächster Nähe gefeuert hat. In dem Augenblick, als das Attentat verübt wurde, ging zufällig der Kavallerie offizier Constautinow vorüber, der den Säbel zog und den Mörder auf den Arm schlug, so daß er den Revolver fallen ließ, keu er am Morgen gekauft Halle. Nach dem Attentat sammelte sich eine große Menschenmenge vor der Wohnung PelkowS an und verharrt; rn ehrfurchtsvollem Schweigen. Bei Genadiew wurden bis zu später Stunde Besuche zum Zeichen der Sympathie gemacht. — Die Stadl ist voll kommen ruhig, doch stehen dem Polizeipräf-kten Truppen zur Verfügung. Die Kammer ist zu einer außerordentlichen Sitzung auf heute einberufen woroeo. politisches. * TaS Befinden des Reichskanzler». Aus einer Korre spondenz für ZmtrumSblätter, die immer noch, im Gegensätze zur klerikalen „Augsburger Postzeitung" und zur „Kölnischen Volkszeitung", für Herrn Erzberger sich ins Zeug legt, ist eine eigenartige Meldung über das Befinden de» Reichs- lauzers in die klerikale Presse gelaugt. Jene Korrespondenz nämlich will von guten Freunden des Fürsten Bülow gehört haben, daß der Reichskanzler den EtatSdebalten deshalb nickt mehr beigewohnt habe, weil „ein neuer Schlaganfall zu be fürchten fei, wenn er zu lauge uud zu ost in der dumpfen Lust des Reichstage- sich aufhalten müsse*. — Wenn mit den Namen der „guten^reunde"d;SReichSkanzlerS, die derartiges erzählten, herausgerückt werden müßte, würde daS klerikale Korre spondenzorgan in eine recht peinliche Lag- kommen. Denn die ganze Darstellung entsprich', wie uns «r,> bestunterrichtrler Stelle aus daS Bestimmtest- versichert wird und wie im übrigen der Augenschein beweist, in keiner Weise den Tat sachen. Wo die „guten Freunde* des Fürsten Bülow, die solche Geschichten verbreiten, zu suchen sind, verrät jene Z-ntrumskorrespondenz dadurch, daß sie ihrerseits bemerkt: „Wenn der leitende Staatsmann nicht mehr aushält, dann muß er eben um seine Entlassung einkommcn, um seine Nerven zu stählen * Angesichls dieses plumpen Vorstoßes drängt sich di- Vermutung aus, daß in gewissen Z-nirumS- kreisen dem Reichskanzler im Stillen ein „neuer Schlaganfall* gewünscht wird. Vielleicht versucht man e» einmal kam t, den Fürsten Bülow krank zu beten. * Jur Seim-Hetze. Klerikale Blätter verbreiten mit Ver gnügen die Meldung der „Rhein. Wests. Zta.", nach welcher General Keim vom Flottenverein einen Erholungsurlaub nach Italien angetretcn habe, und knüpfen daran die Be merkung: „Die Reise des Herrn Keim ist zum mindesten sehr ausfällig, gerade jetzt, wo die Hauptversammlung deS Flotten- Vereins vor der Tür steht. Daraus gehl unzweideutig her vor, daß sich Herr Keim bereits als „abgesäzl" fühlt und er sich also um die Versammlung drücken will." — Wir g'anben, Herrn General Keim dürfte jetzt, nach dreimoual- licher angestrengter Tätigkeit, gewiß der Urlaub zu gönnen sein. Aber di- Freude, sich um die Hauptversammlung zu brücken, werden die Zentrumsmänner nicht erleben. General Keim wird schon am 9. April nack Berlin zurückkehren und am lO. Mai auf der diesjährigen Haupiversammlung deS Flottcn- vereinS sein übliches Reseral über den Stand der Agitation halten. Die Herren vom Zentrum werben demnach den „verhaßten General" in wenigen Wochen vou Angesickk leben, denn diese Versammlung findet dieses Jahr in der Metrovole des schwarzen Lagers, in Kö n, statt. Was aber das „Ab sägen* anbelangt, so können wir schon jetzt mitte len, daß ihnen das Präsidium den Gefallen nicht erweisen wirb, auch im Vertin besitzt der General nach w e vor die Majorität. Feuilleton. blicht gierig, stolr, gevsltssm sei auf Lrcken, Rus Ltuud bist cku, ciurfst nicht ru keuer rvercken. 8. 6. perlllMea <1. Laäl. 8etzt ctem stolren Alaune Lleichgültigkeit ent gegen, unck ihr nehmt seiner kAncht ciea 8tscheII ?riese. Maximilian von «Unger. 6rope Menschen sinck stolr, kleine eitel. Lpron. Oer höchste 8tola uock cier höchste Kleinmut ist ciie höchste llnkenntnis seiner selbst. Spinors. Der 8tc>Ir frühstückt mit ckem lleberfiup, speist ru Mittag mit cier klrmut unck ipt ru Tlbeoci mit cier 8chaucke. ssranbiin. Paul Gerhardt. (Zur 300. Wiederkehr seines Geburtstages am 12. März 1907.) Bon Hans Benz mann (Berlin). Die Zeit des Dreißigjährigen Krieges wird im allge- meinen für eine literarisch unfruchtbare, ja tote gehalten. Ich bin der Meinung, daß die Poesie dieser Zeil, die unge heure Motive darbot, noch nickt oder nur zum Teil bisher richtig gewertet wurde. Die Zeit, in der ein Angelus Silesius, einer der tiefsinnigsten Dichter und zugleich genialsten Künstler (des präzisen bedeutungsvollen Aus- drucks), die Deutschland jemals gesehen hat, wirkte, ist keine rote und unfruchtbare. Stände Angelus Silesius allein in seiner überragenden zeitlosen Größe, in seinem faustischen Uinversalismus und Uebermenschentum da — er prägte in der Tat bereits die Formen für den Gottmcnschen in den einzigartigen Epigrammen seines „Cherubinischen Wanders mannes" — wir müßten uns in Bescheidenheit dieser merk würdigen Zeit beugen — erst das Ende des 17. Jahrhun derts sah in Goethe eine ähnliche Dichtcrnatur!*) Aocr in der Zeit des Angelus Silesius wirkte noch eine ganze An zahl anderer origineller Poeten. Ich erinnere nur an *1 Ich kann cs mir hierbei nickt versagen, aus die neue wundervoll ausgestattetc Ausgabe des „Cherubinischen Wandersmannes" hinzuweifen, die, von Wilhelm Bölsche herauSgegeben, neuerdings im Verlage von Eugen Dicderichs erschienen ist; ebenso bat Erich Hartleben, der ein Jein- ichmecker war, eine köstlich« Auswahl au» den Sprüchen des Angelus Silesius herausgegeben. Paul Fleming, Simon Dach, Andreas! Gryphius und Christoph von Grimmels hausen, dessen Roman „SimvliciuS Simplicissimus" , ohne den Dreißigjährigen Krieg nicht denkbar ist. Auch die so berüchtigten Dichter der 2. schlesischen Dichterschulc, die Lohe »stein, Hofmannswaldau u. a. sehen viel leicht noch ihrer Auferstehung entgegen, zu,« wenigsten einer gerechteren Würdigung. Sie waren die rechsten Barockpoeten. Ihre Dramen, Gedichte und Romane sind als Kultur erscheinungen ungemein interessant. Dieser Zeit verdanken wir aber auch noch eine Neu blüte des evangelischen Kirchenliedes. Möge es uns immer und aller Zukunft bewußt bleiben, was wir an diesem evangelischen Kirchenlied haben! Meines Erachtens kommt in ihm nicht nur das religiöse Fühlen einer neuen Menschheit zum Ausdruck, sondern wuch das reinste Gefühlsleben des deutschen Volkes überhaupt. Tas Kirchen lied wurzelt im Volkslied, es ist ein besonderer Zweig der Volksdichtung; Kraft, Einfachheit und Treffsicherheit des Ausdrucks nimmt es aus der Volksdichtung her, aus dieser Sprache des Herzens, und cs wird selbst wieder Volksdich tung, Volkslied. Es braust dahin in dem gewaltigen Fugeu strom alter Melodien. Es greift in das Herz des alten Menschen, wie es einst das Herz des Kindes überwältigte, weil cs alle hohen, inbrünstigen Gefühle birgst. Diese alten Lieder sind mit der Seele gedichtet. Sic pcacken den Gott- entfreuideten ebenso wie den Gottseligen, weil sie über Dogma und auch über alle Vernunft hinaus unmittelbarster Ausdruck des tief fühlenden und tiefergriffeiien Menschen- Herzens sind. In ihnen klingen die alten Rhythmen des Volksliedes wieder aus, uud ihre Rhythmenk^aft ist einzig und vorbildlich für alle Zukunft. Gerade diese Zeit des Dreißigjährigen Krieges, diese Zeit der schweren Not, hat eine Blüte des evangelischen — und auch des katholischen (Friedrich von Speef —- frommen Ge sanges entstehen lassen. In ihr lebten und saugen Johann Heermann, ein Schüler Opitz' („O Gott, du frommer Gott", „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen"), Mar tin R i n ck a r t s„Nnn danket alle Gott" 1644s, Georg Neumark l„Wer nur den lieben Gott läßt walten"), Joachim Neandcr s.,Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren"). In ihr wirkte vor alle», Paul Ger- Hardt, der innigste und zugleich inbrünstigste, melodischste und poetischste aller Kirchenliederdichter. Er war in der Tat ein gottbegnadeter Dichter! Neben Luther ist Paul Gerhardt, dessen 300. Geburtstag in diese Tage fällt, der Klassiker des evangelischen Kirchen liedes. Eugen Wolff sagt von ihm in fernem Buch „Das deutsche Kirchenlied des 16. und 17. Jahrhumderts" (Deutsche Nationalliteratur, Bd. 31): „Es ist, als ob der Geist des Pro testantismus sich in ihm zum zweiten Maile personifizierte; nicht mehr der streitende, sondern der siegreiche prote- stantische Geist, das allein schon sichert ihm volle Oriqina- lität neben Luther . . . Von eigenen inne-ren oder äußeren Erlebnissen oft ausgehend, findet Gerhardt immer allge- meine und ewige Empfindungen für jeden Ein-elsall; noch bewundernswerter wird diese Kunst, w», eine von außen kommend« Gelegenheit, Kirchenfeste, Hochzeiten, Todesfälle in seinem Bekanntenkreise ihm dichterischen Antrieb boten. Selbst wo er von biblischen Vorbildern ausgeht, bricht sein eigener Geist durch den Wortlaut des Originals hindurch." Aehnlich schreibt Karl Gocdeke in seiner Gerhardt-Ausgabe („Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts"; Brockhaus, Leipzig). In dem Tiefmenschlichcn und, man kann es mit demselben Nachdruck sagen, in dem Tiefpoctischen beruht der unver gängliche Wert der Lieder Paul Gerhardts. Er ist Gelcgen- heitsdichtcr; aber weil er ein echter Dichter war, klidgt alles Gelegentliche und alles Persönliche, von dem er immer aus geht, in den vollen Akkorden des Allgemein-Menschlichen aus. Wir fühlen nicht nur den frommen evangelischen Christen ans seinen Gesängen heraus, sondern auch den tief blickenden, von keiner Zeit, im letzten Grunde von keinem Dogma abhängigen Kenner, ich möchte sagen, Freund der menschlichen Seele. Es ist etwas Ewig-Lebendiges in seinen Liedern, eine Weisheit, die, weil sic dem Gefühle einer lauteren, gütigen und wahrhaftigen Natur entsprungen ist, so überlegen-milde und trostreich zu jedem — er mag Christ sein oder nicht mehr Christ — spricht. Und diese Weisheit kündet sich in einer Lieblichkeit und einfachen Schönheit des Wortes odcr^ in einer wuchtigen Rhythmen- und Bilder sprache, die Ohr und Herz umklingt oder umbraust, daß sich die Seele ihr ganz hingibt, wie ein Kind dem Liede der Mutter oder einer mächtigen Freude, einem wundervollen Zauber der Natur. Tas ist das Wunderbare an diesen Ge sängen — nicht allein die Erinnerungen an die Kindheit spielen da mit —, daß sie die reinsten Gefühle in uns er regen, daß sie von befreiender Wirkung sind. Man denke nur an das herrliche „Befiehl du d e i n c W c g e" oder an das einzige Advcntslied: Wie soll ich dich empfangen? Und wie begegn' ich dir? O aller Welt Verlangen, O meiner Seelen Zier .... Gerade dieses Lied in seiner überströmenden Sehnsucht, die fast mädchenhaft zart beginnt, zurückhaltend, hangend und bangend und dann immer mächtiger cinsetzt und endlich mit allen Registern kraftvoll und siegcsgewiß dahinbraust, ist meisterhaft aufgebaut, als Ganzes und in jeder Zeile. ES ist ein auf und nieder flutender Rhythmus von herzbe- zwingender Gewalt: Ich lag in schweren Banden, Du kömmst und machst mich los, Ich stand in Spott und Schanden, Du kömmst und machst mich groß, Und hebst mich hoch zu Ekren, Und schenkst mir großes Gut, Das sich nicht läßt verzehren, Wie irdisch Reichtum tut. Und nun die in den innigsten und treffendsten Ausdrücken auiquellendc Dankbarkeit für alle übermenschliche Liebe: Nicht», nicht- hat dich getrieben Zu mir vom Himmelszelt, Al-'da» geliebte Lieben .... Solch eine einfache, reife, süße Fülle des Ausdrucks findet nur ein Dichter! Mag man hingreifen, wohin man will: überall Klang, Innigkeit, Lieblichkeit oder Kraft, Inbrunst, -tiefste Er griffenheit. Hier die großen Passionsgesänge („O Haupt voll Blut und Wunden" mit den herrlichen Akkorden: „Wenn ich einmat soll scheiden"), Fugen von einer Tragik und Größe der Empfindung, voll schluchzendem Weh und alles Weh übertönendem Trost, Trauergesänge, einzig in ihrer Art, von kaum einem anderen Dichter so grotz und feierlich wieder gesungen — Beethovens Trauermarsch fällt mir allein ein! Dann wieder stille, deutsche Morgen- und Abendgesänge („Nun ruhen alle Wälder", „Wach auf, mein Herz, und singe"), Neujahrs- und Weibnachtslieder, wie sie nur von Deutschen empfunden und gedichtet werden können. Die ganze deutsche Landschaft zaubern sic vor uns hin, oder die wundervolle Poesie des deutschen Weihnachtsfestes. Aus dem Abcndliede rufe ich die eine Strophe in Erinnerung: „Breit aus die Flügel beide, O Jesu, meine Freude, Und nimm dein Küchlein ein. Will Satan mich verschlingen. So laß die Englein singen: Dies Kind soll unvcrletzct sein." Das ist eine dichterische Synthese von feinster Poesie. Plastik und Unmittcibarkcit. Das ist der Typus des deut schen Abcndliedes, das mit dem Abend draußen beginnt und kein Wesentliches der Natur und in Haus und Hof vergißt, und endlich rein in der eigenen Seele und im tictsten Frieden mit dem Ewigen ausklingt. Matthias Claudius sang später noch solche Lieder. Man möchte nicht ausbörcn und aus alle diese Schön heiten Hinweisen; aber bei Paul Gerhardt gibt es deren zu viele. Ein deutscher Künstler hat jüngst diese überwältigenden Schönheiten, auch das geheimste und tiefste Seelenleben dieses großen Poeten recht empfunden und in seinen groß zügigen, tiesgedachten Phantasien und lieblichen Idyllen ab wechselnd die ganze Fülle der Persönlichkeit Gerhardts zum Ausdruck gebracht, so daß wir uns noch mehr bewußt werden, welch ein Ewigkeitsgehalt — im besten und universalsten Sinne — in diesen Liedern sich offenbart, und daß al- tiefe, geheime Untertöne i» den Kirchengcsang dieses Pro testanten die Harmonien des Universums hineinklingcn. Dieser Künstler ist Rudolf Schäfer. Mit einem ge läuterten Kunstgeschmack hat er zu Gerhardts Liedern eine Reihe von Bildern gezeichnet, die, immer selbständig im Motiv, geschmackvoll in der Auffassung, ungemein plastisch und lebendig in der Darstellung, das künstlerisch am schwersten zu Treffende, nämlich die menschliche Empfin dung und Ergriffenheit, das Seelische, echt und suggestiv wiedergcbcn. Die Gefahr, in Pathos und Uebersckwang, in Allegorik und Phrase auszuarten, wie andererseits in epi gonale Süßigkeit, lag nahe. Mit seinem starken Talent und mit sicherer Selbstmtik hat Schäfer alle diese Gefahren glücklich vermiede». Ich batte da» Buch „Lieder Paul Gerhardt», mit Bildern von Rudolf Schä-
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