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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.12.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19051208019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905120801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905120801
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1905
- Monat1905-12
- Tag1905-12-08
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Li« Expedttto, ist Wochentag« ununterbrochen geüsfuet von früh 8 bis «deuds 7 Uhr. FÜtat-Expebtttou: lverll». Lützowstr. 10. , « Dresden, Marienstr.34. Druck und Verlag »o» E. Pol» tu Leipzig (guh. 0u. «, «. ch «ltukhardy. Heransgeberr vr. Viktor Kltnkhardt. Nr. 62L Freitaa Dezember 1905. 99. Jahrgang. Var WHtigrlr vom rage. * Im Reichstag wurde gestern die Fortsetzung der allgemeinen Debatte durch den Staatssekretär des MarineamteS Tirpitz eingeleitet. (S.Parlamentsbericht). * Gouverneur Lind equi st meldet, daß der Kapitän der Hoachanafser Hottentotten, Man ässe, nebst 23 Anhängern nn Gesicht bei GubuomS gefallen ist und daß Kapitän Michael von Omaruru und sein Bruder Hugo sich mit acht Begleitern der Behörde der Walsilchbar gestellt hat. * Berlin hat nach der Volkszählung am 1. Dezember 2 033 900 Einwohner. * Aus dem näheren Text der Botschaft de- Präsi denten Roosevelt geht hervor, daß die Einwanderung über die nördlichen Häfen eingeschränkt, über Eanada und Mexiko aber ganz verboten werden soll. (S. Ausl.) * DaS österreichische Abgeordnetenhaus berät über die Dringlichkeilsantrage betreffend die Einmischung des österreichischen Ministerpräsidenten in die Angelegenheit Ungarns. * Es wird gemeldet, daß die Ausnahmegesetze gegen die Juden in Rußland in Kürze aufgehoben werden sollen. (S. Ausl.) flotten-vemsnrltttion. „Wie eine Artischocke verspeisen" wollte Crispi einst Abessinien: Blatt für Blatt. Leider saß lni zweiten Blatte ein giftiger Wurm, der den behaglichen Schlemmer in die Zunge stach, daß er sterben mußte. Rach türkischer Art bekommt das Gericht besser, seitdem sich die Angrifsskraft des alten Soldaten-Volkes an den Wällen Wiens gebrochen hat. Ein paarmal hat man sich allerdings auch in Moskau und Wien den Magen recht böse verdorben: Kaiser Josef II. und Zar Niko laus I. haben daran sterben müssen. Blatt für Blatt: ungefähr alle 20 bis 25 Jahre setzen Europas Staatsmänner das schwerverdauliche Gericht auf die Speisekarte: 1697 — 1718 — 1739 — 1774 — 1792 — 1812 — 1829 — 1856 — 1878 sind die Jahres zahlen der Friedensschlüsse. ES ist ungefähr wieder die Zeit. Dieses Mal sind die Rollen ein wenig anders ver teilt als letzthin: Oesterreich hat wieder die Führung, wie Wohl nicht feit Prinz Eugens Zeiten. Wenigstens glaubt es so: aber auch Napoleon 111. wußte nicht so recht, ob er eigentlich der Führer von Sebastopol ge wesen sei. „Im Namen des Christentums, der Humanität, der Ordnung." Nun ja: der Moslem weicht zurück. Ob das nun so ganz eigentlich Christentum ist, was da rund um das Aegeische Meer herum alle Berghöhen des alten pelasgischen Zeus jetzt auf den heiligen Elias umgetauft hat, darüber sind die Ansichten wohl nicht so ganz übereinstimmend: Harnack nennt es überfirnißteS Heidentum. Ob der Heiland selber die a. los cka ke Philipps II. dem duldsamen Regiment der Kalifen von Cordova vorgezogen hat, darüber haben wir so unsere eigenen Gedanken. Bon der Humanität wollen wir lieber gar nicht reden: im Munde Alexanders II. klang dieses Wort besonders schlecht; und gerade in den letzten Tagen fragte ein National-Türke in einer Berliner Zeitung an, ob denn nicht ein Rest von Schamgefühl die Mörder von Kischenew und so weiter von der Flotten demonstration zurückhalte. Und die Ordnung? Wer lacht da jetzt nicht? Die Gracchen jammern über Auf ruhr und auf die Aechtungstafeln Sullas schelten feine drei Schüler. In Moscovitien, Magyarien, Katalonien geht es ja so ordentlich zu. Aber Rußland hat immer noch ein großes Heer und die Türkei ein kleines. Rußland hat seine Schuldzinsen bezahlt bis zum Dezember 1905, und wir schreiben noch nicht 1906; während die Türkei bereits 1876 eine recht unangenehme Reduktion auf 1 Prozent eingeführt hat. Vielleicht hätten es 1877 schon wieder mehr werden können: aber damals mußte ja gerade Krieg geführt werden, weil 20 Jahre um waren, der Friede schon seit 1856 gedauert hatte. Und dann hätte die Tinte des Reichstädter Vertrages eintrocknen können. — Auch hat das russische Land wenig Anziehendes für Eroberer: es ist so unbequem groß, so unwirtlich rauh. Dagegen das rechte Mittelstück des uralten, vom Euphrat zum Po reichenden Kulturgebietes: das schmeckt! Blatt für Blatt! Schritt für Schritt ist der Moslem zurückgedrängt. vom Don zur Donau, von der Donau zum Balkan, dann zum Hebrus; auf der anderen Seite von der Raab zur Save, von der Save zum Amselfeld. Makedonien ist jetzt an der Reihe. Merkwürdig, daß „die geknechteten Völker" sich immer in den Grenz ländern gegen „das Türkenjoch" auflehnen! Rechne man die Griechen ab, die übrigens auch noch teilnahms los die Herrschaft der kühl - geschäftsmäßigen venetia- nischen Kaufmanns-Republik 1697 zu Carlowic kommen und 1718 zu Posharevac gehen sahen und erst warm wurden zu der Zeit, als Byron den Childe Harold und unter Hölderlin den Hyperion schrieb. Aber als die Russen um Oczakon und die Türkenburgen in den Donau-Fürstentümern rangen, was hörte man da von den Bulgaren? Und als die Bulgaren 1876 losbrachen und das Befrerungskomitee in Bukarest saß, da ver nahm man nichts von Klagen der Makedonier. Auch die Armenier sollen 1877 noch sehr zufrieden gewesen sein; sie hatten auch allen Grund; denn wenn damals eine konfessionell-nationale Statistik der türkischen. Beamten aufgemacht wäre, dann hätte eine« etwaige mohammedanische Zentrumspartei in dem bis I jetzt einzigen osmanischen Parlament von 1877 groß«! Berechtigung gehabt, sich über mangelnde „Parität" zu beschweren. Jnterventionsrechtl Daß, wer ein ethisches Recht sicher Art behauptet, gerade in unseren Lagen besser m ein anderes Reich als an die Türkei denken sollte, haben wir schon angedeutet. Emen hlstorischen Rechts anspruch haben sich ja die Mächte durch die Refocm- lausel des Berliner Vertrages gesichert, auf deren Urheber der nicht lange zu raten braucht, der die Tat sachen zusamnrenhält, daß eine armenische Freiheits- wwegung erst nach dem Berliner Kongreß ihren aller ersten Anfang genommen hat, und daß das armenische Komitee seinen Sitz in London hält, daß ferner Dow ning Street eben seit jenem Zeltmoment mit der Disraelyschen Lürkenfreundschaft gebrochen hat. Ja reilich: wenn eine solche Klausel bei jeder Operation wie ein Krebsknoten in das noch gute Fleisch hmem- okuliert wird, dann soll „der kranke Mann" wohl gesund werden! In den Friedensschlüssen von Bukarest und Adrianopel war es das russische Ehristenprotektorat ge- wesen, welches den Samen zum Krimkriege ausge- treut hat. Sie wollen eben die Türkei nicht gesunden lassen. 1878 las man die zum Lachen reizende heuchlerische Phrase: sie werde gekräftigt werden durch die Konzen tration und Verdichtung ihrer Macht. Wenn ein Voll nach jedem unglücklichen Kriege Provinzen verliert, nach dem siegreichsten aber nicht eine gewinnt, wenn üer Türke 1856 die eroberte Kleine Walachei, 1897 das glänzend zurückerkämpfte Thessalien wieder räumen mußte: dann soll er wohl Selbstgefühl, Lebenskraft bewahren! 1877 galt es, das glänzende Talent des Reformers Midhat zu stützen, der als Pascha von Rustschuk Donau-Bul garien organisatorisch und kulturell so gefördert hatte, daß die eindringenden Russen das vielgeschmähte „Türkenjoch" gern in ihre Heimat mitgenommen haben würden, daß das Fürstentum Ferdinands jene Blütezeit noch nicht wieder erreicht haben soll. Aber für eine Entwickelung der Türkei auS sich selbst heraus muß man Geduld haben, und Geduld ist eben eine den modernen Politikern unbekannte Lugend. So muß man wenigstens guten Willen haben. Man will aber Intervention, man will Kontrolle; und was man noch weiter will, das sagt man natürlich nicht. So folgt denn der internationalen Gendarmerie des Programms von Mürzzuschlag jetzt die Finanz- kontrolle, und wird dann später die autonome Provinz mit einem christlichen Generalgouverneur nachkommen, dann etwa die Personal-Union mit Bulgarien und so weiter: Schema Ost-Rumelien. Vielleicht kommt eS auch ein klein wenig anders; die makedonische Frage ist recht verwickelt, weil auch noch Griechen, Juden, Walachen im Lande leben; und dann sind noch Oester reich und Rußland da. Also mal eine Teilung. Dem Türken wird es schließlich ziemlich gleich sein, wer der Erbe oder die Erben sind; Makedonien wird ihm ver loren gehen, wie Serbien, Bulgarien- Ost-Rumelien verloren gegangen sind und zuletzt Kreta. Und Deutschland? Natürlich können wir nicht allein die Tugendhaften bleiben; den zur Teilung der Welt zu spät kommenden Poeten Haven wir früher lange genug trassiert Aber Makedonien — was sind eigent lich seine Grenzen?: Für die amtliche Geographie ist der Name seit den Tagen Alexanders deS Großen und des Perseus so allmählich verklungen — Makedonien hat nun wirklich mit Deutschland nirgendswo einen Be- rührungspunkt! Deutschlands südöstliche Politik darf heute nur nach einer ganz bestimmten Richtlinie orientiert werden: die Fühlung mit Oesterreich nicht zu verlieren. Für uns sind am orientalischen Wunderbaume noch lange keine Früchte reif! Aber sie können einmal in Klein-Asien heran reifen. Einst weilen ist für uns aber auch die Freundschaft mit der Türkei wertvoll. Wie wertvoll, daS kann sich bei inter nationalen Verwickelungen leicht zeigen. llur pre«r;rnr ttiibrler Leit. Der Leipziger Historiker Erich Brandenburg ver öffentlicht und erläutert im Dezsmiberheft der „Deutschen Rundschau" König Friedrich Wilhelms IV. Briefwechsel mit Ludolf Camphausen. Ein Mchnitt davon sei unseren kleri kalen und radikalen Schirmherren des Polentums nachdrück lichst zur Beachtung empiohlen, well er auf Grund unanfecht barer Tatsachen ms Gedächtnis zurückruft, wie die preußischen Polen das Eingehen Friedrich Wilhelms IV. aus ihre nationalpolitischep Wünjche gelohnt haben. Bekanntlich sollten die Provinzen Preußen und Pwen, die beim Aus bruch der deutschen Bewegung des Jahres 1848 außerhalb des Deutschen Bundes standen, vollständig in den neu zu begründenden deutschen Nationalstaat ausgenommen werden. Als infolgedessen — ungeachtet einer ganzen Reihe von Freundlichkeiten, die Friedrich Wilhelm IV. feit seinem Re gierungsantritt dem Pplentum erwiesen halt« — in Posen Unruhen ausbrachen und ein« Polcndeputation in Berlin vor dem König erschien, erteilte Friedrich Wilhelm IV. di« Zusage, daß eine „nationale Reorganisation des Groß- herzogtumS Posen" in die Wege geleitet werden solle. Die Antwort auf dieses ungeheuer große Entgegenkommen des Königs war die Entfesselung d«S Bürgerkrieges durch die Polen: sie traten zu bewaffneten Scharen zusammen, wollten gewaltsam in Stadt und Land der Leitung sich bemächtigen, mißachteten die Anordnungen der Behörden und entfernten teilweise den preußischen Adler von den öffentlichen Ge- bäuden. Dessenungeachtet glaubte di« preußisch« Staats- reqierung, auf der Bahn der Versöhnungspolitik einen weiteren Schritt tun zu dürfen. Sie entsandt« den Genera! v. Willisen, der in Posen wegen seiner polenfreund lichen Gesinnung die nationalpolnischen Sympathien sich «r. worben hatte, al- Kommissar nach Posen. Herr v. Willisen war von dem Wahn erfüllt, friedlich di« zum Kamps a<» rüsteten beiden Nationalitäten vrrsöhnen zu können. Natür lich mißlang dieser Versuch; die Polen machten nur Schein konzessionen und nötigten den General v. Tolomb zur zwang-weisen Entwaffnung der polnischen Hänfen, wobei eS am 19. und 22- April bei Gostyn, Kozmin und Adelnau z» leinen Gefechten kam. , Jetzt betrachtete sich Friedrich Wilhelm seines Ver- prechens in Bezug auf die nationale Reorganisation als entbunden, da er unter dem 26. März ausdrücklich erklärt »tte, daß eine gedeihliche Arbeit der Reorganisattons- ommission nur möglich sei, wenn die Ruhe gewahrt würde. Anknüpfend an den allmählich fühlbaren Umschwung der wlensreundlichen Stimmung in Südwestdeutschland und m Preußen schrieb Friedrich Wilhelm am 24. April 1848 an Camphausen u. a.: „Dazu kommen die Schändlichkeilen ohne Gleichen der Polen, die Colomb zum Einschreiten gezwungen . . . . haben. Ich hoffe, daß meine Ueberzeuguna von der Unmöglichkeit, solche Menschen als Truppe zu bewaffnen und zu besolden, nunmehr in jedem Mitglied« der Ministern leben dig geworden ist Auch ist das gegebene Wort und die Con- venzion und meine dreimal feyerlich gemachte Bedingung zur nazumalen Organisazion vor Aller Welt Angesicht zu ecla- tant gebrochen, um in diesem Augenblick mit derselben vor- schreitcn zu können, ohne uns vor Europa zu entehren. Ist alles beruhigt . dann kann man allenfalls sehen ob? und was? zu tun ist. Bey der uniäugbaren Bedrohung Deutsch lands von Frankreich her, ist es aber geradezu unverantwort lich gegen das gemeinsame schon so todtkranke Vaterland, ihm im Rücken eine so inS Auge springende Gefahr zu organi sieren. Bewegen Sie die« alles in Ihrem Herzen, lieber Comphausen und stoßen Sie dem Conseil Muth und Energie ein." Ein zweites Schreib« des König- vom 2b. April diente ebenfalls dem Zwecke, die „nationale Reorgauisation" hinaus- zuschieben. Aus diesem Schreiben aeht hervor, welchen Ein- druck ein offener Brief deS „ZentralbürgerausschuffeS für den Netzedistrikt zur Wahrung preußischer Interessen im Groß herzogtum Posen" an General von Willisen fdatiert aus Brom berg vom 18 Aprils auf Friedrich Wilhelm gemacht hatte. Der offene Brief gibt bekannt, daß jener Ausschuß gegen den General wegen Neberscbreitung seiner Vollmachten und Be günstigung der Polen Anklage beim Staatsministerium er hoben habe, und überweist schließlich den General von Willisen als Verräter des deutschen Volkes der Verurteilung durch die Geschichte. , * Neber Herrn von Willisen hat inzwischen die Geschichte ihr 'lrteil gesprnchen. Trotzdem fand sich in der Person d«S Herrn von Caprivi abermals ein preußischer General, der aleickffollS dem Phantom, daS Polentum aus dem Weg« der Vcrlöhn.rngSpolitik" zu gewinnen, nochjagte. Auch die Epi sode Caprivt gehört fetzt der Geschichte an, nachdem sie immer hin saft ein halbes Jahrzehnt aedauert hatte. Hoffentlich ver stärkt die vorstehende geschichtliche Erinnerung daS Bewußt- sein, daß die Episode Caprivi di« letzte ihrer Art bleiben muß! Deutsches Keich. Letpzt», 8. Dezember. "Bülows Reichstagsrede und daS Ausland. Wie das Ausland in diesen Tagen die große Rede des Reichskanz lers über Deutschlands Stellung zu den anderen Mäch ten aufnimmt, darüber wird es bald nicht an Nachrichten fehlen. Zunächst äußert sich die Wiener „Neue Freie Presse" in einer höchst sympathischen und verständnis vollen Weise. Sie schrerbt: Die Rede des Fürsten Bülow im Deutschen Reichstag über die auswärtige Lage war ernst und bedeutsam, von einer geradezu erstaunlichen Unumwundenheit und Aufrichtigkeit. Sie verhehlt und verschweigt nichts. Sie spricht im Grund nur aus, was ernsthafte Beobachter sich schon seit geraumer Zeit gesagt und gedacht haben. Diese herbe Offenheit entspricht voll kommen den gegebenen Umständen. Indem Fürst Bülow ohne Beschönigung und ohne diplomatische Verhüllung auf die tiefgehende Abneigung Englands gegen Deutsch land hinwies, zog er auch Frankreich in den Kreis seiner Erörterung, um abermals das von den Feinden Deutsch lands immer wieder kolportierte Märchen zu erschlagen, daß die deutsche Politik darauf sehe, über Frankreich her zufallen. Auch an dem Dreibund wird ferner von den Feinden Deutschlands in unausgesetzter Arbeit gerüttelt. Wenn nun gleichwohl Fürst Bülow nachdrücklichst sagt, Deutschland müsse im schlimmsten Falle allein stark genug sein, um seine Stellung zu verteidigen, so ist damit keinesfalls nach irgend welcher Seite hin eine Drohung oder Herausforderung zum Ausdruck gebracht. Jede Großmacht muß von solchem Selbstbewußtsein erfüllt sein. Das Nachdrücklichste und Eindringlichste, was Fürst Bülow gesprochen, ist nach England hinüber g e - sprochen. Dort soll die Rede die meiste Wirkung tun. Nach dieser Rede braucht, trotz ihres entschlossenen Tones, die Welt an den schlimmsten Fall, der nicht ein getreten ist, und hoffentlich nicht eintreten wird, noch nicht zu denken. Man wird überall verstehen, daß hier in der rückhaltlosen Aufrichtigkeit unverbrüchliche Fried fertigkeit sich birgt. — Die französischen Blätter geben Fürst Bülows Rede weit ausführlicher wieder als eS hier Brauch ist. Einiae sogar in wörtlicher Uebersetzung, Be- trachtungen knüpft aber gestern schon „Figaro" daran. Das Blatt.findet einen ^Widerspruch darin, daß der Reichskanzler zuerst die internationale Lage für unbe friedigend erklärt und dann eine nahe Besserung der Be ziehungen zwischen Deutschland und England ankündigt. „Figaro" fährt fort: „Dor einigen Monaten sagte man unS, Deutschland habe einen Angriff Englands und Frankreichs zu befürchten, seitdem hat Frankreich alles getan, was eS tun mußte, und sogar noch etwas mehr, um diesen Irrtum zu zerstreuen. Andererseits glaubt Bülow hoffen zu dürfen, daß Englands Schroffheit sich mildern wird. Und diese Lage findet er nicht befriedigend? WaS will er eigentlich? um welchen Preis wird er befriedigt sein? Oh! Die Deutschen sind nicht leicht zu bedienende Herrschaften! beklagenswert derjenige, der unter ihre Abhängigkeit fällt!" Der Artikel schließt: „An unS ist eS, dem Reichskanzler zu sagen: Sie sind mit dem Stück un zufrieden, ehe der Vorhang aufgegangen ist. Sie be- klagen sich über un> und doch sind Sie eS, der unS nach AlgcricaS geschleppt hat Sie haben die Konferenz ge wollt, Sie naben sie, lasten Sie ihr daS Wort." — In der liberalen Presse Londons findet sich bis jetzt keinerlei Kommentar über Bülows Rede. Die konser vative Presse, selbst de? gemäßigte „Telegrap h", fin det sich verletzt durch den direkten Hinweis Bülows auf England als den Ruhestörer in einem Augenblick, wo hier Bestrebungen stattfinden, eine freundschaftliche Annähe rung zwischen beiden Ländern herbeizuführen. Die übrige konservative Presse trägt dem „Säbelrasseln Bülows", wie sie seine Rede nennt, zum Zweck der Geneh migung der neuen Steuern durch den Reichstag gediih- rende Rechnung, liest aber in seine Rede ruhelosen Ehr geiz und Bestrebungen hinein, die dazu bestimmt seien, das Gleichgewicht Europas zu stören, auf dem die Politik Englands seit Jahren beruhe * Die Ursachen des Aufstandes in Südwest-Afrika werden in scharfer Weise dargelegt durch einen Bericht, den der Distriktschef von Gobabis über eine Reise nach dem Gebiet am Nyamisee machte. Er traf dort die Häup ter der Herero an, mit denen er sich über verschiedene Dinge unterhielt. Da findet sich folgende Bemerkung: „Bei der Beurteilung der Stärke der Deutschen vor dem Kriege war bei den Herero die Ansicht maßgebend, daß wir Deutsche zu schwach seien". Diese Ansicht war eine Folge der englischen Einflüsterungen. Ganz systematisch hatten die Briten den Eingeborenen diese Ueberzeuguna beigebracht, sie wurde immer und von vielen Seiten wiederholt. Schon im Jahre 1899, als die Wühlereien des englischen Abenteurers Robert LouiS den alten Kamaherero zu einem feindlichen Vorgehen veranlaßten, durch das der Reichskommissar Dr. Goering zur Flucht nach der Küste getrieben wurde, spielte der Satz die Hauptrolle, daß die Deutschen schwach seien. Dieser Glaube wurde dadurch bestärkt, daß die Deutschen dort niemals mit entsprechender Macht auftraten. So war das zu einer unerschütterlichen Ueberzeugung geworden, die britische Stimmen stets unterstützten und nährten. Daher konnten die Herero leicht zu einen allgemeinen Aufstande gebracht werden. Sie waren eben der Ansicht, daß sie mit einem Male die Deutschen überwältigen könn ten und dann nichts mehr zu fürchten hätten, da man die ganze deutsche Macht vernichtet hätte. Alle anderen Ur sachen des Kampfes, namentlich die Anklagen gegen die Händler waren dabei nur nebensächlicher Art. Diese Fest stellung durch die Häuptlinge ist von Bedeutung. * Ans tzen Fraktionen tze» Reichst«»». Die Reich-Partei hat im Reichstage folgende ÄnitiativaatrLge eiugebracht: 1) v. Tiedemann: Den Reichskanzler zu ersuche», an gesichts der bei de» letzten preußisch« Landtagswahle» vor gekommenen Ausschreitungen auf eine Erweiterung und Ver schärfung des im § 107 de- Strafgesetzbuche- zum Schutze der Wahlfreiheit getroffene» Bestimmung« im Wege der Gesetzgebung binzuwirk«, Maßnahme» zu treff«, um die Wählerlisten gegen fahrlässige Auslassungen und mißbräuchliche Eintragungen zu sichern und betrügerische Ausübungen deS Wahlrecht- unmöglich zu mache». 2) Dr. Arndt: Die verbündeten Regierung« zu ersuch«, die zum Militärdienst nicht Herauge,ogeoen Wehrpflichtig« für die Zeitdauer, wahrend welcher sie ihrer Dienstpflicht im stehen den Heere und in der Reserve hält« genügen müff«, zu ein« nach ihrem Einkommen abgestufteu Wehrsteuer Herau fziehen mit der Maßgabe, daß die Erträge dieser Steuer ausschließlich für die Versorgung der Jnvallden und Veteranen be,w. für der« Hinterbliebenen und zur Ver stärkung des ReichS-Jnvalideufond- zu verwead« find. * Die elsaß-lothringische BerfassungSfrage ist trotz der optimistischen Ankündigung de- Herrn Abgeordneten Wetterle ihrer Lösung noch keinen wesentlichen Schritt näher gerückt. Wie unS auS Straßburg geschrieben wird, dürfte bei den Verbündeten Regierungen weder für eine Personal-Union zwischen Elsah-Lothringen und Preußen noch für die Uebertragung der landesherrlichen Gewalt an eine besondere Dynastie Stimmung vorhanden sein, während die Zulassung der republikanischen Staatsform vollständig ausgeschlossen ist. Auch über eine Vertretung der Reichslande im Bundesrat steht eine Verständigung noch in weiter Ferne, da gegen jede Machtverschiebung innerhalb des Bundesrats ernste Bedenken gehegt werden und Preußen schon mit Rücksicht auf gewisse Empfindlich keiten in dieser Frage nur mit größter Behutsamkeit und Delikatesse vorgehen kann. * Tie Etsendahnkonferenz in Berlin. Eine General konferenz der deutschen Eisenbabnverwaltungen findet, wie armrlvet, am 15. Dezember in Berlin statt. Aus der großen Tagesordnung sind, wie die „T. R." mitteilt, eine Reihe von Anträgen von allgemeinem Interesse: Zum Personen- und Gepäcklartf ist beantragt, daß die Fahrpreis ermäßigungen sür mittellose Kranke nsw künftig auch auf dir Mit glieder der LandeSvelsickeruug-anstaHen und eingeschriebenen HilfS- kassen auSdedehnt werden, soweit die Mitglieder der Sasse der- sichrrungSpflichtig sind. Im Frachtverkedr fall mau künstig auf Antrag im Frachtbrief gegen rin« Gebühr von 10 von der Empfangsstation unmittelbare Nachricht erdalten, wenn eine etwaige Nachnahme von dem Empfänger bezahlt worden ist. Die frachtfreie Beförderung von Wärme- und Kälteschutz. Mitteln soll einer Reihe landwirtschaftlicher Lrzruguisse zu gestanden werd«. Die Frachtfreiheit soll aber auf 5 v. H. de- wirklichen Gewicht- der Sendungen beschränkt bleiben. Für eine Reibe von Warrn wird die Beförderung in gedeckten Wagen vorgeichlageu, In der Sla'sifikalion der Güter sind ver schiedene Aenderuageu beantragt. Für TiertranSport soll Tränk wasser gegen eia« Gebühr von 1 .Sl drreitgehalten, und die» gegen L5 im voraus bestellt werden können. * Zu den Dresdner Straßendemonstrationea. Gestern hatten in Dresden der Oberbürgermeister Beutler und der Bürgermeister Leupold eine Unterredung mit den zu Stadtverordneten gewählten Arbeiterführern, Redakteur Fleihner und Kassenbeamter Krüger. Der Oberbürger meister nahm Gelegenheit, die beiden Herren darauf hin zuweisen, daß. wenn dre Straßendemonstrationen sich an den nächsten Sonntagen wiederholen sollten, daS Ge- fchäftsleben in Dresden an den so wichtigen Sonn tagen vor Weihnachten schwer geschädigt tverden würde. An einem ungestörten Geschäftsgang an diesen Sonntagen seien aber gerade zahlreiche kleine Ge lschaftsleute mit ihren Angestellten in allen Teilen I der Stadt interessiert. Er stelle daher den Herren, die I nunmehr al» gewählt» Stadtverordnete da» Dahl de»
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