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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.09.1890
- Erscheinungsdatum
- 1890-09-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189009144
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18900914
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18900914
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1890
- Monat1890-09
- Tag1890-09-14
- Monat1890-09
- Jahr1890
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.09.1890
- Autor
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Erscheint täglich früh 6V, Uhr. Nr-arlisn und ErprdUion JohannrSgasse 8. LPrrchliundrn drr tirdatticm: vormittags 10—12 Uhr. Nachmittag- b—6 Uhr. UI» X» NKiy»t« v!»»»^rt»r» »MX ßH »X m»«ct>»n »»X »«»«»luh. »«««r«e »er für Ute nächstfolgende N-uomer bestimmten Inserate an 8»cheuta,n, bt» 3 Uhr Nachmittag«, an Sann- und Festtagen früh di» ' ,v Uhr. 3n -rn Filialrn für Ins.-^nnahmr. Otta Klrmi»'s Sorttm. (Alfred Hahn), Universitätsskraße 1, Lauts Lösch«, Aathariaenstr. 14 Part, und Lönigsplotz 7, nur bi« '/,3 Uhr. vierteljährlich 4>/, Mk. tucl. Bringerlohn 5 Mk, durch dle Post bezogen 6 Mk. Jede »Inzelue Nummer 80 Pf Belegexemplar 10 Pf. Gebühren für Extrabeilage, (in Tageblatt-Format gefalzt) ahne Pvstbesörderung 60 Mk. Mit Poflbesörderuug 70 Mk. Insrrale 6 gespaltene Petitzeile SO Pf. Grober« Schriften laut uns. Prei-derzetchvig. Tabellarischer n. Ziffernsatz nach HS Herrn Tarif. Kkllamrn unter dem Redaction-strich dt« «gespalt. geil« SO M, vor denFamiliennachrichtra dir Kgespalten« geile 40 Pf. Inserat« sind stets an di« tSepchitton zu sendeu. — Rabatt wird nicht gegeben.. Zahlung prneoumernnüo oder durch Post nachnahme. 257. Sonntag den 14. September 1890. 84. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. Litte für die Aebtrschmemmten im Elbthale. Wie hinlänglich bekannt, sind die Bewohner deSTlb- thaleS in Sachsen durch verheerende Ucbcrsiuthungen schwer hcinigesuckt worden. Die Größe deS Unglücks ist derart, daß die ausgedehnten, von diesen, Unglück betroffenen Gegenden in der Hauptsache auf öffentliche Unterstützungen angewiesen sind, wenn sie der drohendsten Nolh nur einiger maßen entrissen Werder sollen. Wir bitten datier hiermit um milde Beitrage für diese Nothleidenden, geben uns der festen Hoffnung bin, daß auch hier, wie in früheren Fällen, der immer hilfsbereite Sinn unserer Bürgerschaft sich freudig betbätigen wird und be merken, daß unsere Ltistunqsbuchhaltcrei, RathhauS, I. Geschoß, zur Annahme von Beiträgen angewiesen ist. Leipzig, am 13. September 1890. Der Rath der Stadt Leivzig. I)r. Georgi. Kretschmer, Aff. Oeffentliche Sitzung der Stadtverordneten Mittwoch, den 17. September 18kltt, RbcndS U' i Uhr, tm Saale der vormaligen Handelsbörse am Naschmarkte. Tagesordnung: I. Bericht deS Bau- und SchulausschuffeS über: Ein richtung drr Turnhalle der am Täubchcnwege neu zu erbauenden BezirkSschnle zu Classcnzimmern. jll Bericht deS Bau-, Oekonvmie- und Finanzausschusses über: Ankauf deS Grundstücks Nr. 62 an der Wurzcner Straße zu Leipzig-Sellerhausen. III. Bericht des BauauSschuffes über: » Erneuerung deS Schieferdaches an dem Gemeindehause zu Leipzig- Sellerhausen; d. Erhöhung der im diesjährigen HauS- baltplane für Leipzig-Ncuschönefeld, Gemcindecafse A Pos. 1s für Bau- und Neparaturkostcn angesetzten 200 ^ auf 500 c. Vergrößerung der HauSmanns- wohnung in der alten Schule zu Leipzig VclkmarSdorf; ck. Abrechnung über Einführung eines 150 mm weiten RohrstrangcS vom Wiiidmüblenwcgc in den Neuen IohanniSfriedbof; e. Einführung der Wasserleitung in die den AndreaSkirchplatz umgebenden, östlich der Süd straße liegenden Straßen: t. die Rechnung über Spccial- budget Conto 36 „Wasserleitung" auf das BctriebS- iahr 1888. IV. Bericht deS SchulausschuffeS über: u. die Rechnung der Nicolaischule auf 1888; b. die Rechnung der Real schule auf 1888; c. die Rechnung der höheren Schule für Mädchen auf 1888. V. Bericht des Finanzausschusses über: u. Herstellung neuer Telephon-Verbindungen für daö neue Polizeigcbäudc; b. Bewilligung eines BercchnungSgeldeS wegen der Kosten deS SedanfcslcS und llebcrnabmc eines sich etwa ergebenden DesicitS auf die Stadtcaffe; e. Gewährung einer Beihilfe zum PfarrhauSbau in Stötteritz ; 6. Ge währung eines Beitrages zum Baue einer Kirche in Leipzig-BolkmarSdorf. Bekanntmachung, die Verlegung des PolizeiamtcS in daS neue Pollzeigebnude betreffend. Nachdem das nene Polizeigcbnude, Wäckter- siratze Nr. 3, soweit scrtiggcstcllt ist, um in Betrieb ge nommen werden zu können, soll von nächstem Montag, dem 15. dS. MtS. an, mit der Verlegung der Expedi tionen des PolizeiamtcS auS den alten Gebäuden am Nasch markt und in der RcichSstraße nach dem neuen Gebäude be gonnen werden, und zwar sollen zunächst die Expeditionen des Meldeamtes, dann die übrigen Polizciexpedi- tionen dahin verlegt werden. Während dcü Umzugs, welcher voraussichtlich eine Woche in Anspruch nehmen wird, können nur die dringlichen Sachen expedirt werden. DaS Publicum wird deshalb im eignen Interesse ersucht, Anträge auf Aus fertigung von Zeugnissen und Legitimationöpapicren, wie Pässen, Paß- und Jagdkarten rc., nicht erst zu dem Zeitpunkt, zu dem solche gebraucht werden, sondern womöglich einige Tage zuvor zu stellen. In dem alten Polizeigebäude am Naschmarkt wird für den I. Polizeibezirk (innere Stadt) eine Polizei- bezirkswache errichtet. Es befindet sich dieselbe im Par terre deS Gebäudes Naschmarkt Nr. 2, die mit derselben ver bundene BczirkSmcldestclle im Parterre des anstoßenden Gebäudes Naschmarkt Nr. I. Bei letztgedachter Bezirksmeldestelle sind die poli zeilichen An- und Abmeldungen, welche sich auf die Be wohnerschaft deS I. Polizeibezirks (innere Stadt) beziehen, zu bewirken. Die An- und Abmeldungen der Metz fremden hat jedoch wie bisher ausschließlich beim Haupt meldeamte, also nunmehr im neuen Polizeigcbäude (2. Etage) zu geschehen. Die bisherige Polizeiwache deS V. PolizeibezirkS (Härtelstratzc Nr. 4) wird bereits am nächsten Sonnabend, den 15. dS. MtS., in das »cne Polizei- gebäude verlegt. Die mit dieser Polizeiwache verbundene Bezirksmeldestelle bleibt auch ferner bestehen und erhält ihr Expeditionslocal im Parterre des neuen PolizcigebäudcS Fechter Flügel). Dir polizeilichen An- und Abmeldungen, welche den V. Polizeibezirk betreffen, sind nach wie vor bei dieser Bezirksmeldestelle und nicht beim Hauptmeldeamt zu bewirken. Leipzig, am 9. September 1890. DaS Polizeiamt der Stadt Leipzig. v. L. 4187. Bretschneider. Bermiethung. In dem der Stadlgemeinde gehörigen Hausgrundstück ThomaSgäßchen Nr. 2 ist eine Äellerabthetlung vom I. Oktober dS. IS. ab gegen einmonatliche Kün digung anderweit zu vermicthen. Mictbgesuche werden auf dem Ratbbause, 1. Etage, Zimmer Nr. 8, entgegengenommcn, auch können ebendaselbst die VermiethungSbedingunge» eingesehcn werden. Leipzig, den 13. September 1890. Der Rath der Stadt Leipzig. Iu 648 l. I)r. Georgi. Wagner. Gtwölbe-ttermiettMg. DaS Gewölbe Nr. 4. rechts neben dem HauS- einaange, mit den darüber befindlichen beiden Vutresol- abtoeilungen Nr. 4 und 5 in Ser Gcorgenhalle i Brüklseite) ist vom I. Oktober d. I. an gegen einkalbjäkrliche Kündigung anderweit zu veruiicthen Miethgcsucbe werden auf dem Ralhbause 1. Etage, Zimmer Nr. 8, entgcgcngeilvmmcii, auch sind daselbst die VermiethungSbedingungen zu erfahren. Leipzig, am 13. September 1890. Der Rath der Stadt Leipzig. In. 6479. vr. Georgi. Wagner. Gemölke-Dermiethnng. DaS in dem der Stadtgcmeinde Leipzig gehörigen HauS- grundstücke Ncichöstrasre Nr. 7 rechts neben dem HaiiSeinqangc gelegene Verkanfögewölbe soll vom I. Oktober d. Is. an gegen einhalt-jährliche Kün digung DienStaa, den Itt. September d. I., Vormittags II Uhr, auf dem Rathhause, l. Etage, Zimmer Nr. 8, an den Meistbietende» anderweit vermiethct werden. Ebendaselbst auf dem großen Saale liegen die Vcr- mietbungS- und VersteigeningSbedingunaen, sowie das In- ventarium deS zu verinietbcnden Gewölbes schon vor dem Termine zur Einsichtnahme auS. Leipzig, den 11. September 1890. Der Rath der Stadt Leipzig. Ia. 6416. Heßler. Wagner. Anclions-Stkanntmachnng. Mittwoch, den 17. VS. MtS., BormittagS von /«IU Ukr an sollen in der Zweiggeschaftöslclle deS VollsircckungS-Amtcs in Lcipzig-Nensehünefeld, Clarastr. 1t», pt. (vormals Gemeinde-Amt) verschiedene WirthschastSgegenständ«, Kleidungsstücke, Wand- und Taschenuhren, 3 Malerleitern und ver schiedene andere Gegenstände an den Meistbietenden gegen sosortige baare Be zahlung öffentlich versteigert werden. Leipzig, am 12. September 1890. Der Rath der Stadt Leipzig. Ick. 10499. vr. Georgi. Hübjchmann. Gesucht wird der am 11. Juni 1851 in MahliS bei HubertuSburg geborene Dachdecker Karl Franz Tbiele, wclcker zur Fürsorge für seine Familie anzuhalten ist. Wir bitten den p. Thiele im Bctretungösallc zwangsweise anhcrzuweisen. Leipzig, am 4. September 1890. Der Rath der Stadt Leipzig. Armen-'Amt. k. V. 1386d. Ludwig-Wolf. Feiler. Steuer-Zuschlag zur Deckung des Aufwandes der Handelskammer. Die HandclSkainmcr bat beschlossen, zur Deckung ihres Ver- waltungs-Auswandcs, einschließlich des Auswandeü der Börse, von dcnjciiige» Kaufleulcn und Fabrikanten in Leipzig und im Bezirke der Amlshauptmannschasl Leipzig, welche in Spalte ck des Ein» kommenstcuer-Katasters (Einkommen aus Handel, Gewerbe rc.) mit mindestens 1!XX> .sl eingejchätzt sind, für das lausende Jahr einen Steuer-Zuschlag von vier Pfennig aus jede Mark desjenigen Steuersatzes, welcher nach der in §- 12 des Einkommensteuer- Gesetzes entballenen Scala auf das in Svalie ä des Einkommen steuer-Katasters eingestellte Einkommen jedes Beitragspflichtigen entfallen würde, mit dem auf den 3V. September S. I. an stehenden Hebetcrmin erheben zu lassen, und cS wird dieser Zuschlag hiermit ausgeschrieben. Leipzig, den 29. August 1890. Ter Borsilzende der Handelskammer. In Stellv.: Goetz. F. Puder, II. Sccr. Städtische Gewerbeschule zu Leipzig. Die Studien des Winterhalbjahres beginnen Mittwoch, den 1. October a. der TageScursus früh 8 Ilhr, die Abendcurie um 6 beziehentlich 7 Uhr. Aufnahmen in die Gewerbeschule nach Maßgabe von 8 4 der Schulordnung können wegen Mangels an Platz nur ausnahmsweise noch stattfindcn. Zur mündlichen AuskunftSertheilung ist der Unterzeichnete Sonn tag, den 28. September, Vormittags von 11—12 Uhr, im Schul gebäude bereit. Leipzig, den 11. September 1890. Ter Ttrcctor: vr. Ludw. Nieper. Bekanntmachung. Die letzte diesjährige Ausgabe von Karten zur Haupt- und Filialsynagoge findet Sonntag, 14. September, vormittags 10—12 Uhr. in der Gcmcindekanzlei (im Synagogengebaude 1 Treppe) statt. Ebendaselbst ist das vom Rabbiner vr. Goldschmidt herauS- gegebene Gebetbuch zu haben. Wir bitten, bei Empfangnahme der Karten die bisherigen Karlen und die Gemcindesteuecquittimgen mitzubringen. Leipzig, 12. September 1890. Ter Vorstand der Israelitischen Rrligionögemcindc zu Leipzig Die Enthüllungen über Boulanger. Eine sehr bemerkenswerthe Thatsache ist, daß die An hänger Boulanger'S zu ihm hielten, obwohl sie wußten, daß ihr Oberhaupt doppelte- Spiel treibe, daß er sich den An- chein gab, als ov er der Sache der Republik diene und dennoch mit dem Prinzen Ierome Napoleon und mit dem Grasen von Paris unterhandelte, um die Monarchie zum Siege über die Republik zu führen, und daß er daS Geld für seine Wühlereien von der Herzogin von Uzüö, einer Verwandten der Orleans und erklärten Vertreterin des monarchischen StaatSgedankenS, empfing. Die Boulangistcn sind über die Veröffentlichungen Mermccx' besonders deshalb so empört, weil er die Geheimnisse des Boulangisinus verratben, also nicht nur Boulanger, sondern auch dessen Anhänger in der öffentlichen Meinung herabgesetzt hat. Man erkennt daraus, daß die Anhänger Boulanger S nicht das StaatSwohl, sondern nur ibre eigenen Interessen im Auge hatten, als sie mit Boulanger gemeinsame Sache machten. Zur Zeit der Dahl des Präsidenten der Republik wäre Boulanger damit zufrieden gewesen, wenn man ihm daS Portefeuille deS Krieges zurückgestellt batte, er würde dann schon von dieser Basis auS Mittel und Wege gefunden baben, seine persönliche» Zwecke zu fördern. Später, als er cinsah, daß er diesen einflußreichen Posten nicht erlangen werde, er fand er daS Mittel der Wabl in einer großen Anzahl De partements, um auf diese Weise ein Ptcbiscit zu erzielen. Die Millionen der Herzogin von UzäS waren für ihn eine sehr willkommene Unterstützung, um an die Spitze der Staats verwaltung zu kommen, als er aber seinen Frieden mit der Republik machte, war er charakterlos genug, seine Wokl- tbätcrin zu vernachlässigen. Man wäre in diesem Falle fast versucht, den Gei; deS Grafen von Paris zu preisen, der eö ibm unmöglich machte, der Sache Boulanger'S mit Baarmilleln beizusprinaen, weil die ganze Unternehmung in der Tbat nicht einen Centime Werth war. Die Herzogin von Uzös hat ihr Vertrauen an einen Unwürdigen ver schwendet, der frech genug war, ihre 'Millionen anzunchmen, aber niemals die Absicht hatte, sie im Sinne der Spenderin zu verwenden. AuS den Enthüllungen Mermeix' erfahren wir auch, daß Boulanger schon vor dem 2. April 1889 einmal sein Heil in der Flucbk gesucht hatte und nur durch Le HeriffS zur Rück kehr genöthigt worden war. Die Herzogin sab schon damals ein, daß sie ihre Millionen nutzlos vergeudet babc, aber sie war zu vornehm, darüber Klage zu sichren. Wie unendlich viel höher siebt diese Frau über der ganzen Sippschaft, welcher sic sich alS Werkzeug zur Erreichung eines großen Zwecke- bedienen wollte! Boulanger änderte seinen Plan, wenn er überhaupt einen solchen hatte, mit jedem Umschläge der poli tischen Luftströmung. Bald war er Rotzalist, bald Imperialist, dann wieder Republikaner »nd Socialist, das Aushängeschild, unter welchen, er zur Macht gelangte, war ibm gleich, wenn er nur die Macht selbst als Beute davontrug. Und seine Anhänger waren nicht besser alö er selbst, sie machten alle seine Schwenkungen geborsam mit, um nach Er reichung deS Ziele« die nächsten zu sein, ans welche der neue Machthaber daS Füllhorn seiner Gnade leerte. Es gehörte nach dem Eingeständniß, daß Mermeix die Ge heimnisse der Boulangistcn verratben, also die Wahrheit ge sagt habe, ein hoher Grad von Dreistigkeit dazu, ein Protokoll zu veröffentlichen, inhaltS dessen die boulangistische Partei stets in Uebcrcinstiminuiig niit ihrem Führer eine nationale Versöhnung und die Revision der Verfassung nach der liberalen und demokratischen Richtung anacstrcbt habe. DaS ist eine Lüge, die als solche überall erkannt werden muß, und deshalb ist cS auch ein lccreü Schauspiel, wenn die übrigen bonlangistischen Abgeordneten Mermeix zur Niedcrlcgung seines Mautatö nöthigen wollen, wei'. sie dazu gar keine moralische Berechtigung baben, denn Mermeix ist nicht schlechter und nicht besser als seine College« in der Kammer. DaS allein Richtige unter den durch die Ent hüllungen Mermeix' geschaffenen Verhältnissen wäre, daß die sämmtlichcn ans den Namen Boulanger'S gewählten Abgeord neten auf ihre Mandate Verzicht leisteten, dieser Äckritt wäre nur die Sühne für den Verrath, welchen sie mit Aou- langer an der Republik begangen haben. Die Angelegenheit kann übrigens für die Anhänger Bou- langer'S noch verhängnißvolle Folgen haben, denn schon ver lautet, daß sich der Ministerrath mit der Frage beschäftige, ob nicht der Senat als StaatSgerichtSbos zusammentrelen müsse, um daS royalistisch-toulaiigistische Complot zu prüfen. Es fragt sich nur, ob nicht die Zahl Derer, gegen welche daS Verfahren zu eröffnen wäre, zu groß ist, als daß die Durch führung desselben Erfolg verspräche. Wen» die bonlangistischen Abgeordneten, welche den Mund gegen Mermeix so voll ge nommen haben, für ihr charakterloses Verhalten exemvlarisch bestraft würden, so könnte daS gar nichts schaden, aber an gesichts eines StrasproceffcS wurden wahrscheinlich manche Stimmen laut werden, welche eS heute noch gerathen finden, zu schweigen. Die boulangistische Bewegung hat in ihrem ganzen Ver laufe etwas ungemein Beschämendes für die Franzosen, und Regierung und Volksvertretung handelten nur im Interesse des Landes, wenn sie über die Enthüllungen zur Tages ordnung übergingen. Daß die Sache sich so verhält, wie Mermeix im „Figaro" mitgethcilt hat, war ohnehin be kannt, wenn auch nicht actcnmäßig festgcstelll, und die boulangistische» Abgeordneten haben jetzt allen Grund, in der Kammer nicht hcrvorzutretcn. Die Rolle der Herren Laur, Lagnerre und Genossen ist jetzt auSgespielt, sie werden eS nicht mehr wagen» in der Kammer das große Wort zu führen. Aber eS ist noch ein anderer Factor vorhanden, welcher in Rechnung gezogen werden muß, und das ist der Parteieiscr der Opportunisten und Radikalen. Die Gelegen heit, Floquct und Freycinet anzuzreifcn, ist für die Feinde Beider zu verlockend, als daß sie auf dieses Vergnügen Ber icht leisten sollten, da ja ohnehin der Plan zum Sturze der eiden Männer schon seit längerer Zeit besteht. Die Be mühungen Carnot'S unv der Regierung, eine Versöhnung der Parteien zu erreichen, sind solchen Ereignissen gegenüber ver gebliche, der Neid gegen die Träger der Gewalt ist zu groß, als daß nicht Dieienigen, welche ihre Nachfolger werden möchten, Alles in Bewegung setzen sollten, um ihrem Wunsche Erfüllung zu bringen. Boulanger hat bisber als Bindemittel für die republi kanischen Parteien gedient, sein tiefer Fall scheint aber auch den schwer gewonnenen Zusammenhang unter den streiten den Parteien auflöscn zu wolle». Tic Anbänger der Monarchie hatten sich in der Person des ÄuSerwählten lir Förderung ihrer Zwecke zu schwer vergriffen, als daß die Nackenschläge hatten auSbleiben können, die ganze Gesellschaft der Bonlangisten steht moralisch zu tief, alS daß sich nicht daraus der Skandal »n schlimmster Form entwickeln sollte. Die Saat, welche die Monarchisten durch ihren Verkehr mit Boulanger auSgestreut haben» gebt jetzt aus, und die mübsam gewonnene Ruhe in den erbitterten Partcikämpfcn steht auf dem Puncte, ver loren zu geben, wenn e« nicht der Regierung gelingt, durch glückliche Gedanken und energisches Handeln den drohenden Skandal im Keime zu ersticken. ConstanS har den Kamps gegen Boulanger mit wirksamen Mitteln geführt, hoffentlich gelingt eS ihm, auch den Sturm zu b<ffö>wortli, der jetzt durch Mermeix angcfacht worden ist. « Die Sonnidemokratie nach dem 1. Ortober. * Ein sehr bcherzigenSwcrthcS Wort gelegentlich der bevor- lebendcn Aufhebung deS SocialiftengesetzeS finden wir in der „Deutschen Arbeiter-Zeitung". ES heißt dort: -- Ueber die Frage, wie die Soclaldcmokratie ihre Agitation nach dem I.October einrichten will, wird Folgender bekannt. Zunächst ist. wie schon öfters hervorgehoben, eine große Vermehrung der ocialdemokratische» Presse geplant, cs werden nach dem 1. October über )O0 socialdeinokratische Blätter erscheinen; die Zahl der Blätter, die vor dein Socialislengesctz erschiene», war bei Weitem nicht so groß. Um die „Genossen" fortwährend zu beschäftigen, soll die Agi tation für die Wahlen der Einzellandtage, wwcit Erfolge hier überhaupt zu erwarten sind, und ferner für die Stadtverordneten, collegien init dem größten Eifer in die Hand genommen werden. In den Vertretungen einer größeren Anzahl Städte, namentlich im Königreich Sachsen und den thüringischen Staate», sitzen bereits seit einer Reihe von Jahren Soeialdemokralen, in Magdeburg ist kürzlich der erste Socialdemokrat für daS Collegium gewählt, in einer An zahl Städte, so in Leipzig, sind bereits die Vorbereitungen für diese Wahlen stark gefördert. Was die Wablen für die Einzellandtage anbetrifft, so liegen die Verhältnisse für die Socialdemokratcn nur m Preußen ungünstig; Königreich Sachsen bat unter 80 Abgeordneten bereits 8 Social- demokratcn, im Großherzoglhum Hessen haben die Socialdemokratcn vor wenigen Wochen zu ihren beiden alten Sitzen in Mainz »och einen neuen dritten, in Lffenbach-Land, errungen; im Königreich Bayern waren die Socialdemokraten auch schon nahe daran, in die Zweite Kammer cinzuzicheii. In den thüringischen Staaten sitzen in de» Einzcliaiidlagen ebenfalls schon eine Anzahl Socialdeuiokrate», überraschend leicht ifl ibne» im Fürstenlhum Schwarzbiirg-Rudvlstadt am l. September rin Erfolg geworden. Im 10. Wahlkreise daselbst ist „Genosse" Apel mit 4l2 Stimmen gewählt worden, während auf die beiden Gegenkandidaten nur 159 bezw. 10!) Stimmen sielen. Auf gewerkschaftlichem Gebiete soll vor allen Dingen der Ausbau der Ecntral-Ausstandseommissioiien gefördert werden; sodann ist eine Art Verbindung dieser Commissionen geplant, eine große Arbcitervereinigung soll somit geschaffen werden. Die inte» nationale» Beziehungen sollen starker gepflegt, eventuell neu cin- gcbahnt werden, speciell »ach England, Dänemark, Belgien, Holland hin. Auf dem nächsten internalionalen Eongreß in Brüssel, auf dem sicherlich die Frage der Achtstundenbewegung eine hervorragende Rolle spielen wird, werden die deutschen Eoeialdemokraten zweifel los in großer Stärke an treten. Wie gesagt, die Socialdemokratie entfaltet eine ungemeine Rührigkeit; dringend iiothwendig ist es deshalb, daß die bürgerlichen Parteien die Hände nicht in den Schoos) legen. Geradezu ewallige Anstrengungen macht die Umsturzpartei auf dem Ge- tete deS Preßweiens. 100 socialdeinokratische Zeitungen, welche nach dem 1. October erscheinen werden, sollen die Arbeiterbevolkerung unaus gesetzt bearbeiten und ihnen die socialdemvkralischen Lehren und Grundsätze eiinmpfen. De» gewaltige» Werth, welche die Presse als Agitationsinillel hat, wissen die socialdemokratischen Agitatoren voll zu schätzen. In Berlin werden Sammelstcllen für gelesene soeialdeinolratische Zeitungen errichtet, majjenhast sollen dieselben namentlich auf die Dörfer geworfen werden, die Landbevölke rung soll für die socialdeinokratische» Lehre» gewonnen werden. Wir gehören nicht zu den Heulmeiern, wir erwarten!dcn social- demvkratijchen Ansturm mit großer Ruhe, aber freilich daS Bürgerthum muß sich mehr und mehr, als es bisher geschehen, aufrassen, agitiren; die Zeit des AbwartcnS ist vorbei. Heute heißt es „Alle Mann auf Deck!" Die Socialdemokratie scheut keine Mühe und Kosten, auch vom Feinde soll inan lernen, an Opierwilligkcit und Lpsernnttk leisten die Socialdemokratcn wahrlich Großes, namentlich ist ihnen keine Ausgabe zu groß, wen» eS gilt, ihrer Presse dle weiteste Ver- breilung zu schaffen, sic bis m die entlegenste Hütte zu tragen. Was die Socinldcmokratie hier vollbringt, sollte für die bürgerlichen Parteien ein Ansporn sein, darum rufen wir ihnen nochmals zu: „Alle Mann auf Deck!" * Die socialdemokratische Agitation hat sich jetzt wieder ein neues oder doch seit längerer Zeit zurückgetrctenes Ziel vorge- sctzt, nämlich die Betreibung des Massenaustritts auS der Landeskirche. Als in den siebziger Jahren Fanatiker, wie der Abg. Most, die Socialdemokratie zur vollständigen Lossagung von der Kirche zu bewegen suchten, erzielten sie damit nur geringe Er- folge und es erhob sich bald eine kräftige Opposition, infolge deren iange Jahre die Agitation sich von dieser Frage fcrnhielt. Jetzt aber scheint man die Zeit für einen neuen Borftoß in dieser Richtung günstig zu finden. Nächster Tage soll eine große öffentliche Vso l ks vcr- lammlung in Berlin über den Gegenstand verhandeln, und schon vorher ist in verschiedenen Versammlungen das Thema berührt worden. Der „Genosse" Wildberger, einer der iliadicalen, forderte vor einigen Tagen in einer Versammlung, daß der Satz „Religion ist Privatsache'^ auS dem Proipraiiun gestrichen und jedem Parteigenossen der Austritt aus der Landeskirche zur Pflicht gemacht werden müsse Ein anderer Redner meinte, der Gottctglaub« werde bei überzeugten Socialdemokratcn von selbst fallen, aber man dürfe durch derarlige Forderungen den Agitatoren die Arbeit nicht gar zu sehr erschweren. Im Ziel der Verkündigung des vollkommenen Atheismus sind sie einig, aber über die taktische ^Zweckmäßigkeit herrschen »och MeinungSvkrscthcdcnheiten. Tie klügeren nnü gemäßigteren Führer wissen recht wohl, daß es auch unter ihren Anhängern sehr viele giebt, die man nicht durch Enthüllung der letzten Ziele vor den Kopf stoßen darf. Es könnten doch viele scheu werden, wenn man sie geradezu ans die GotteSlengnung verpflichtete. Ter äußerst« und »nverhülllcstc Radikalismus ifl Las sicherste Mittel, in allen besseren Elementen bas Nachdenken und die Wiederkehr der Be sonnenheit zu befördern. Von diesem Gesichtspuncte aus kann cs »ns nur recht sein, wenn die Socialdemokratie über ihr Verhältnis, zu jeder Religion offen Farbe bekennt. Es dürste von Interesse sein, sich bei dieser Gelegenheit die socialdcmokratischen Reichs tagsabgeordneten auf ihr religiöses Bekennlniß hin anzusrhen. In dem amtlichen Reichstaaskondbuch haben von den 35 Abgeord neten dieser Partei sich 5 als religionslos, konfessionslos oder atheistisch bezeichnet (darunter Bebel), 7 als Dissidenten. 4 als freireligiös, 7 als evangelisch oder lulberisch, 1 als katbolisch, l als allkotbolisch, 3 als mosaisch; 7 haben in dieser Beziehung überhaupt keine Angabe gemacht. - /
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