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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.02.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-02-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920210028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892021002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892021002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-02
- Tag1892-02-10
- Monat1892-02
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Größere Schritten laut unjerem PreiS- verzeichnlb Tabellarischer und Zisserusotz nach höherem Tarif. Srtra-Beilagen (gesaizii, nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderung v» 60—, mit Poslbesörderung 70.—. Ännatsmelchlub für Inserate: Abend-Ausgabe: Vormittag« lO Uhr. Plorge n-Au-gab«: Nachmittag» 4 Uhr. Sonn- und Festtag» früh 8 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Inserate sind slel» an di« Exprvitt«»» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu Letpjig Mittwoch den 10. Februar 1892. 8V. Jahrgang Die Aonntagsruhe im Handel. In den Kreisen de« Handel« geben jetzt in ganz Deutschland die Wogen dock, bandelt es fick doch um eine in gewissen Gegenden nicht unbedeutende Einschränkung de« Handelsverkehr« an Sonntagen und liegt e» dock im Interesse der Handeltreibenden selbst, ihre Stimme bei der bevor stehenden gesetzlichen Regelung hören zu lassen. Wir in Leipzig haben verhältnißmäßig nur wenig von dieser Auf regung gespürt, denn iin Großen und Ganzen erfreuen wir »„» schon seit langen Jahren einer Sonntagsruhe, die, wenn auch nicht absolut, so doch gegenüberanderenStädleneine erfreu liche Erscheinung bildet. Gearbeitet wird Sonntag» zum geringen Theile de» Vormittags nur in EngroSgeschäften, den ganzen Sonntag Uber in derMchrzabl derEolonialwaarengeschäste und den Cigarrenhandlungen. Da eS sich der Begründung und der Entstehung der neuen Gewerbegrsetznovelle nach um Arbeiterschntz handelt, so liegt auf der Hand, daß auch im HandelSgcwerbr besonder» die Rücksicht auf die Gehilfen maßgebend gewesen ist und daß der Geist de» ganzen Ge setze» davon auSgcht, daß den Gehilfen eine wirksame Sonntagsruhe zu Tbeil werde. Um diese zu erzielen, ist in dessen auch auf die Eoncurrenz Bedacht genommen worden und e» ist, um nicht durch eine Beschäftigung von Fainilien- angehörigen die Erledigung der Geschäfte in Läden möglich zu machen und damit den Eoncurrentrn ei» Schnippchen zu '»lagen, >» tz. 4lu bestimmt worden, daß soweit Ge hilfen rc. im HandelSgewerbc an Sonntagen nicht beschäftigt werden dürfen, in offenen Verkaufsstellen ein Gewerbebetrieb an tiefen Tagen nicht staltffndcn darf. Mil anderen Worten, die Principale dürfen ebenfalls nicht länger al» 5 Siunden im offenen Geschäft arbeiten, die Geschäfte dürfen also nur ü Stunden geöffnet sein. Der Begriff HandelSgewerbc im Sinne der Vorschriften de« Gesetzes umfaßt nicht nur den Groß- und Kleinhandel, einschließlich de« HausirhandelS, sondern unter Anderem auch den Geld- und Eredithandel, die Leihanstalten, den Zeitungs oerlag, die sogenannten HilsSgewcrbe deS Handels, Spedition, Eommission und die Handelslager. Auch die Thätigkeft des in den Comptoiren der Fabriken, Werkstätten rc. be schäftigten Personals fällt darunter. Nach tz. 105b Absatz 2 deS Gesetze« dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter im HandelSgewerbe am ersten Weih nacht»-, Oster- und Pfingsttaae überhaupt nicht, im Urbrigen an Sonn- und Festtagen nicht länger als fünf Stunden be schäftigt werden. Die Festsetzung dieser Stunden ist unter Berücksichtigung der für den öffentlichen Gottesdienst br- iiimmlen Zeit durch die Polizeibehörde zu treffen und kann für verschiedene Zweige de» HandelsgewerbeS verschieden erfolgen Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eine« weiteren CommunalverbandeS kann diese Beschäftigung für alle oder einzelne Zweige des HandelsgewerbeS ganz unter sagt oder aus kürzere Zeit eingeschränkt werden. Im letzteren Falle ist auch die Beschäftigung-Zeit durch statutarische Be stimmung festzustellen. Für dir letzten vier Wochen vor Weihnachten, sowie für einzelne Sonn- und Festtage, an welchen örtliche Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen, kann — und zwar auch bei statutarischer Regelung der Arbeits stunden — die Polizeibehörde eine Vermehrung der Stunden, während welcher die Beschäftigung statlsiiidcn darf, bis auf zehn Stunden zulassen. Für HandelSgewerbe, deren vollständige oder lbeilweise Ausübung an Sonn- und Festtagen zur Befriedigung läg sicher oder an kiesen Tagen besonder« hervortrelendcr Bc- dürsnisse der Bevölkerung erforderlich ist, können nach 8 >>>5o a. a. L. durch Verfügung der höheren VerwallungSdebvrde unter Berücksichtigung der Bestimmungen des 8 IO.'»e Abs.3 Ausnahmen von den Vorschriften über tic Sonntagsruhe zu gelassen werben. Die in solchen Gewerben beschäftigten Per tonen sind dann entweder an jedem dritten Sonntage volle 36 Stunden oder an jedem zweiten Sonntage nlindesienS in der Zeit von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends von der Arbeit frei zu lasten. Weitergebcnden landcSgesetzlichen Beschrän kungen deS Gewerbebetrieb« und der Arbeit an Sonn- und Festtagen stehen alle diese Be stimmungen nicht entgegen «tz. ila Abs. 2 und 8 105b Abs. l). ES bleiben daher »n Königreich Sachten die ein schlagenden Vorschriften des Gesetzes über die Sonn, Fest- nnd BußtagSfeier und der zugehörigen Ausführungsverordnung vom 10. September 1870, soweit sie weilciaelientc Beschrän kungen des HandelsgewerbeS enthalten, in Kraft. Endlich ist an Sonn- und Festlagen der Gewerbebetrieb im Uinherzieben, soweit er linier 8 5L Abs. l Ziffer 1 bi» 3 der Gewerbeordnung fällt, sowie der Gewerbebetrieb der in tz. 42b bezeichnet«! Personen mit der Maßgabe verboten, daß Ausnahmen von der unteren Verwaltungsbehörde ;u- gelassrn werden können, lieber die Voraussetzungen und Be dingungen, unter denen Ausnahmen zngtlasicn werden dürft», ist ker BundcSralb ermächtigt, Bestimmungen zu erlassen (8- 5,5» der Gcwcrbcordiiungi. Der Zeitpunkt, mit welchem die in 88 4l n, .'».7a, loöa slg. getroffenen Bestimmungen ganz oder tkeilweise in Kraft treten, wird nach Artikel !l Abs. I des RcichSgesetzes durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des BundeSratbS be stimmt. ES ist nicht unwahrscheinlich, daß dieser Zeilpunct für das HandelSgewerbe ei» früherer sein wirb, als für die bei de» 88- l05,n flg betheiligten sonstigen Gewerbe. Mit dem Zeitptmcte deS'Inkrafttreten- iniiss«, aber bereits die jenigen Vorbereitungen getroffen sein, deren eö zur AnS- sührunz jener Vorschriften bedarf. Diese Vorbereitungen sind daher, soweit es nicht schon geschehe», alsbald in Angriff zu nehmen, wobei Folgendes zu beachten ist: l) Bei Festsetzung der Stunden für die nach 8- 1">'»l> Abs. 2 dtr Gewerbeordnung zulässige Beschäftigung, soweit letztere nach den Vorschriften der LandeSgeftygebiing (Gesetz, AuSsührungSverordnung rc.) überhaupt statthaft ist, bat a. die für den öffentlichen Gottesdienst bestimmte Zeit jedenfalls insoweit Berücksichtigung zu finden, daß die Arbeits stunden nicht in diejenige GoltcSdicnstzeit falle», während deren nach der LandeSgcftygebung (Gesetz, Ausführungs verordnung rc.) der Handel nicht gestaltet ist. b. die Arbeits stunden sind möglichst einheitlich f'estznseycn, insbesondere mnerhalb der einzelnen Zweige deS HandelsgewerbeS. e. Be ginn »nb Ente der zulässigen Beschäftigung»;«! ist derart fcstzufttzc», daß die übrig bleibende Zeit eine wirksame Sonntagsruhe gewährt 2 Da die Polizeibehörden die zulässige BeschäftigungSzeit — mit AuSiiahmc der im 3. Satze von Abs. 2 de« 8- l"3l> der Gewerbeordnung erwähnten Fälle — nur insoweit ftstznsetz«, Kaden, als nicht Gemeinde» oder weitere Eomiuunalvcrhäiide durch statutarische Bestimmung tic Beschäftigung aus kürzere Zeit «»schränke» oder ganz untersag«,, so ist bereit» jetzt zu erörtern, inwieweit statutarische Regelung beabsichtigt ist unb zutrcsftnreu Fall« Vertilgung zu treffen, baß die slatntanschc» Bestimmungen alSbalt soweit vorbereitet werte», baß sic »„mittelbar nach Inkraftsetzung der «„- schlagenden GcsctzeSvorschriftcn beschlossen und ohne Verzug genehmigt werde» können. Bei der Beralbung de» Gesetzes i,n Reichstage herrschte allgemeine Ucbereiustimmung darüber, daß in de» »leisten größeren Städten eine über die gesetzliche Regelung hinausgebende SoniiiagSrube ohne Bceinlrächltgung der HandelSgewerbe »nd ohne Schaben für da» Publicum ge währt werden könne, und eine dahingehende Regelung nicht nur in den Kreis«, der HandsiiiigSgchilft». sonder» auch von vielen selbstständige» Gewerbireibendc» gewünscht werde. Die statutarische Regelung der Sonntagsruhe im HantelS- gewerbe wird deshalb de» größeren Gemeinten, insbesondere den großen Stätte», dringlichst anzuempschle» sei». 3) Bei der Zulassung von Ausnahme» von den in 8- lOöli Abs 2 der Gewerbeordnung getroffenen Bestimmung«, zu Gunsten solcher HandelSgewerbe, deren vollständige oder lbeilweise Ausübung an Sonn- und Festtagen zu Besnediguiig täglicher ober an diese,. Tagen besonders bervortreleuder Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, soll möglichst auf die Lanttsgescygcbuiig Rücksicht genommen werten. Im vorstehenden Gcdankcngang bewegen sich die Fragen, welche das Ministerium durch die KreiShauptmannschaflen zur Kennlniß und Aenßerung der Betheiligten bringt. Es ist daraus klar ersichtlich, baß da« Minist« in», nach dem Geiste deS Gesetzgeber» zu hanteln beabsichtigt und baß eS sich daher durch Beschlüsse, wir sie beispielsweise in einer bcnach- barten kleinen Stadt gefaßt worden sind, nicht beeinflussen lassen wird. Die Herren, welche in Grimma für ein Ofscn- halten der Geschäfte bis 5 Uhr Abends plaidircn, werten mit ihren Wünschen nicht weit kommen, denn eS würde voll ständig unmöglich sein, nach 5 Uhr Abends noch eine wirk- same Sonntagsruhe herbcizusührcii. Ja eö siegt ohne Zweifel die Absicht vor, die Sonntagsruhe »och mehr auözurehnc», und eS ist nun Sache der Betheiligten, sich bei Zeilen zu rübren. Unsere ganze sächsische Gesetzgebung, besonders das Gesetz vom tu. September ld7v, brängl auch unwill kürlich daraus bin. Es ist in die Hände rer Kreisbaupt- maiinschafteu und der Stadträlhe der rxemten Städte gegeben die 5- Stunden auf weniger zu bringe» und beispiels weise nur ei» Lssciibalten von 3 Stunden Sonntags zu gestatte»; auch kann die Zeit der SoiintagSarbcit für die in Eontoren beschäftigten Gehilfen kürzer »vrmirt werden als die in offenen Geschäfte», WaS die Sonnlage anhclangt, für welche inSgesammt eine längere Arbeitszeit, von zehn Stunden, ausnahmsweise festgesetzt wird, so liegt eS auf der Hand, daß hier in Leipzig an dem Hergebrachten nicht gerüttelt wird, daß also während der Meßft'iinlage und der zwei Sonnlage vor Weihnächte» eine gesetzmäßige Arbeit gestattet werte Dagegen müssen wir Front mache», wen» sic» i» de» kleinere,i Städten der Wunsch regt, die Schützenftstson»- tage als solche Ansiiabmesonntagc gelle» zu lassen. In Bezug auf Ausnahmen sind übrigens die Wünsche im Deutschen Reiche so groß, daß eigentlich nur sehr wenige Sonntage von der „Ausnahme" versa,out blieben, wen» man Rücksicht aus die viermöchentsich«! LölmungSsoiinIage, Meßsoniitage, Iahr- marklst'onntage, Schützen-, Turner, Feuerwehr- rc. Festsonn- tage. ProeessionS- und kirchliche Localsestsviintage :c. re. nehme» wollte U»S in Sachse» intcrcssirt freilich dies weniger j wer sich ein Bild über die Zerfahrenheit der Meinungen in dieser Sache machen will, den verweise» wir auf die hier er scheinende „Kaufiiiännischc Reform", welche über die Sonn tagsfrage im Handel orientirciid wirkt. Eine wichtige Frage ist die, welche Geschäfte als solche zur Befriedigung täglicher Bedürfnisse angcsckc» werden löniicii. Darüber, baß Eolonialivaarcngcschäste im Sinne deS Gesetzes solche nicht sind, ist man im Deutschen Reiche so ziemlich einig; cs hantelt sich hauptsächlich nur um Geschäfte, die Backwaarc», Eonditvreiwaare», auch Fleischwaaren unb Eigarren verlausen. Da» Be dürfnis; kann nur für die Geschäfte anerkannt werden, die zur Befriedigung charakteristisch sonntäglicher Bedürfnisse diene», nnd hier dürsten allerdings die Back- und Eontilor« tvaaren i» erster Linie sieben. Auch Milch, soweit sie tic Er näkrnng der Kinder betrifft, ist meistens frei gelassen. Da gegen hat man fast überall Fleischwaaren (Dclieatcsscu) und voe Allem Eigarren nickt für auönahmcfäbiz erklärt, nnd wir stehen nicht a», uns dieser Meinung ouznschsieße». Eine sünsstündige Osscitballung dieser Geschäfte dürste für die Be frictigung der sonntäglichen Bedürfnisse genügend sei». Be dingung hierbei ist, Laß auch Gastwirt he weder Fleisch waaren über die Straße, noch Eigarren im Hause verkaufen und daß die Automaten ibr Tbäligkeit an Sonntagen ent stellen Für die Ossenhaltung der Blumengeschäfte de» ganzen Soniilag über bal sich Nicmaiid erwärmen könne». I» Be rücksichtigung muß bei diesen Ausnahmen stet» tic oben mil- getbftltc vierzcl'ntägige c.12 Stunde») bcz. dreiwöchige (36 Stunden) Sonntagsruhe der Angestellten gezogen werde». So einfach die Regelung der SoniilagSrube also aus tri« ersten Blick auSsiebt, so schwierig macht sich dieselbe burct, die vielen in das Gesetz hineingesitniiuggellkit AuSiiatnne bestiiniiinngen, »nd eS wird in der ersten Zeit nicht an Bcr stößen gegen die Ordnung fehlen. Allein einmal muß die Sonntagsruhe in Kraft trete» und die Gewöhnung daran, wen» man erst ihren Segen erkannt bat, wird nicht lange währe» I»> klebrigen können wir uns nur de» früher gefaßten Beschlüssen der Handelskammer anschließen, daß erst dann tic SonnlagSruhc für tic Angestellten wirksam ist, wenn sie jedenfalls um 2 Uhr Nachmittags beginnt, ei» Zcil- puncl, reu ohne Zweifel da« Ministerium sesthalicn wirb. Fenillstsn. Hoher Lesuch. Humoreske von E. Hofmaan. Stachtruä »erb,!,». -Frau!" „So heiße ich nicht!" „Anna, wahrscheinlich kommt heute Mittag Frau Direktor, Dir eine Gegenvisite zu machen! Ich bitte Dich, mache keine Dummheiten, halte die Kinder fern, räume dir gute Stube auf, setze rin Gläschen Tokayer vor; heize lieber ein Bischen, sie könnte sich erkälten ...." „Soll ich vielleicht eine Wärmflasche bereit halten?" Da schwieg er, diese Wendung kannte re, eS war da gegen de- Winde«, wenn ein Gewitter im Anzug ist. Er schwpflk in den Wintermantel, trank seinen Morgenkaffee schnell hinter und nahm da- Packet Hefte unter den Arm. Er waren deutsche Aufsätze, verfaßt von höheren Töchtern, von den Schülerinnen der 5d. Die Eine hatte da- Haar der Gndrun folgendermaßen geschildert: „Ihr blondes Gelock hüpfte wie ein Bach ihren Rucken hinab ... ." „Unsinn!" hatte er an den Rand geschrieben. — Die ganze Sache siel ihm eben ein, als er da- blonde Köpfchen inner Jüngsten streichelte. „Fritz, es ist Zeit, Du kommst zu spät!" mahnte seine Gattin. Sir und da- älteste Töchterlein Ida kamen mit einem großen Korb voll getrockneter Wäsche an, die gelegt werden tollte. „Wo ist denn HanS?" „Noch im Bett, hatte ja gestern Kneipe, da muß er doch beule auSschlafen!" Han« war der Sohn einer verstorbenen Schwester von Fritz, Waise, und unglücklicher Weise Besitzer «neS ansehn lichen Vermögen«. So konnte er einen flotten Studrntrn spielen und befand sich eben in den soliden Anfängen cine« „craffen Fuchse«". Ter Lehrer Fritz Waldmeister selbst besaß zwei Knaben, welche Zierden der Tesla und Öninta waren, und zwei Töchter. Er war fort, der Vater, Frau Waldmeister atbmrte auf, l^ottlob. nun konnte die Arbeit loSgehrn. Idchen räumte da« Kaffeegeschirr hinaus, da« kleine Lieschen bekam rin Bilder buch in die Hand. Die beiden legten Wäsche. El war elf Uhr, die Besuchsstunde rückte näher. Frau Waldmeister polirtr ein Weinglas und sagte zu Iva. daß dir augebrochrue Flasche Tokayer in der Tveisrkammer stände. Sie solle, wenn di« Frau Direktor da sei, da« Gla» dann gefüllt Herrin bringen. Es klingelte. Frau Waldmeister zuckte ordentlich nervös insamincn. Nein, eS war der Sextaner. „Mutter, unser srhrer hat Fieber, fein, was?" Er warf die Bücher auf den Kiichrntisch, so daß eine» der dort liegenden Eier auf den Fußboden fiel. Damit Niemand sich zu bemühen brauchte, holte er selbst einen Lappen herbei, wurde aber von seiner Mutter schleunigst au- der Küche gejagt. „Daß der schon so bald zu Hause ist, ist schrecklich, gerade heute!" jammerte sie. Waldmeisters Aufwartemädchen batte für beute abgesagt, da- fehlte auch noch. Die „gute" Stube ward inspirier, Idchen mußte auf höheren Befehl Feuer machen. Da aber in dein Winter noch nicht geheizt war, glaubte der Ofen, gehörig rußen zu muffen. Bald herrschte zur diabolischen Frenke der beiden Jüngsten ein dicker Rauch. Max und Lieschen spielten „Haschens", r.t'sen ein paar Stühle um und wurden daraufhin etwa- unzart in« Wohnzimmer befördert. Die Fenster flogen auf, der Rauch entschwand allmälig und eine hübsche Winterkälte kam herein. Frau Waldmeister zog schnell ein besseres Kleid an, sah nach den Erbsen und befahl Ida, Obacht auf die Erbsen zu geben Dann instruirtr sie Max, daß er etwas aufpassen folle, damit er die Frau Direktor kommen sähe. „Uno Ihr laßt Euch nicht blicken, wenn sie da ist, hört Ihr!" wurde den Beiden drohenden Tones «ngeschärst. „Aber wir dürfen doch Seifenblasen machen?" fragte Max. Er wußte, baß ihm die Mutter jetzt nichts abschlüge, denn sie wollte ja, daß sie artig im Wohnzimmer blieben. „Ja, meinetwegen!" Schleunigst wurden die nöthigcn Utensilien gebracht, und mit Feuereifer gingen die beiden Jüngsten a»S Werk. Mit einem Mal sab Max die Frau Director über die Straße kommen, Waldmeisters wohnten im ersten Stock. „Mutter, sie kommt!" verkündete er, in die Küche brüllend, kehrte dann zurück, öffnete da« Fenster und ließ eine große Seifenblase Hinausflicgen. Er guckte ihr nach, richtig, sic traf ihr Ziel: die Frau Director trug sie aus ihrem Hut die Treppe heraus. Sofort verkündigte Max seiner Mutter diese Helbenthat, erntete aber da« Bitterste, wa« er dafür ernten konnte, eine Ohrfeige nebst kurzgesaßtem Rüffel. „Eine dümmere Bisitenzcit gicbt'S nicht, als Mittag um l2 Uhr", sagte die aufgeregte Frau Waldmeister, „dafür sollten sie doch einmal in den Zeitungen schreiben, anstatt de« vielen Unsinn-, der dort gedruckt wird!" ES klingelte, die Hausfrau öffnete, zunächst prallte der Quintaner an sie an mit dem Ruf: „Mutter, Bärenhunger!" Er wurde beiseite geschoben nnd dafür die Frau Director mit der schwebenden Seifenblase hereinbccomplimentirt ffrau Waldmeister konnte nicht ander-, sic suchte zuerst unwillkürlich ihre- Sohne« Geschoß auf dem Haupt ihre- Gaste», richtig, einen Augenblick noch schillerte eS in allen Farben, dann rin leise« Platzen, und die Seifenblase zerstieb. Die beiden Frauen saßen glücklich, Frau Waldmeister hatte mit Schrecken bemerkt, daß die Fran Director in der Eile den Hut verkehrt aufgesetzt hatte. Am Hinterkops kräu selten sich die moosgrünen Federn, senkte sich der Reihcrstutz, und über der Stirn gähnte eine kleine, schwarze Höhle. „Eigentlich sollte ich'S ihr sagen", überlegte die Frau Waldmeister, „aber nein, 'S ist vielleicht Mode so, will- lieber bleibe» lassen." Man sprach vom Wetter, von den Dienstboten, von der Theueruna im Lande. Frau Walkmeister horchte; brockte denn Ida de» Wein immer noch »ick«. Da ging e« draußen kling kling, das Wein glas war entzwei. Die ungeschickte Ida! Frau Waldmeister ignorirlc aber in kalter Vornehmheit dieses kling-kling; jetzt erschien auch Idchen unb brachte rothcn Kopses taS GlaS Wein. Cie wagte die Mutter gar nickt anznsehen, knixte schüchtern, präsenlirte den Wein und verschwand. Im Zimmer nebenan, eS war unglücklicherweise die Wohnstube, wurde eS lebendig. Rufe, die an Indianergeschrci erinnerlc», wurden laut, so daß die beiden Damen stets zu- saniinensuhren. Diese Kinder, diese entsetzliche Bande! dachte die Mutter derselben resvcctwidrig. „Aber bitte, trinken Sie dock, Frau Director!" empsabl Frau Waldmeister. Diese that einen Schluck, setzte aber, da« Gesicht bittersüß verzogen, das GlaS schnell wieder bin mit der heuchlerischen Bemerkung: „Ick danke sehr, mein Arzt bat mir streng untersagt, vor Tisch Wein zu trinken!" Zu WaS ein Arzt nickt Alles herhalten muß! Frau Waldmeister sah den entsetzten Blick nicht, den ihr Gast auf das Weinglas warf. In dem Augenblick sang eine elwaS rauhe Bierstimme: „Und wieder sprach ker Rothenstcin:Pelzkappenschwercnoth!" Frau Waldmeister wußte jetzt, daß auch HanS wieder zu sich gekommen war. Er sang weiter: „Gftbt'S nirgends mehr nen Tropfen Wein deS Nacht- um halber Zwölfe?" „Gewiß Ihr Herr Neffe?" fragte Frau Direclor. Frau Waldmeister nickte, bat dann einen Augenblick um Entschuldigung, ein penetranter Brandgeruch, sehr a» ange brannte Erbsen erinnernd, kam nämlich bis inS gute Zimmer. Frau Director benutzte das Alleinsein, sich ben^ Kindern deS Hauses in liebenswürdiger Weise zu nähern. Sie öffnete die Thür, a»S welcher das Indianergeschrci ertönte und nickte ein „Guten Tag, Ihr Kinder!" hinein. Lieschen, als die harmloseste, ging hin und machte ihr Knixchen, Max aber batte den verkehrten Hut entdeckt, machte die- seinem Bruder mittelst deS Zeigefinger- klar und kicherle dann in sich hinein. Der Quintaner fragte, ob er ihr ein Paar Seifenblasen vormachen sollte. Als sie bejahte, stieg er ans den Tisch und gab sich seiner Kunst hin. Dieser An- blick reizte Max, im Nu stand er auch oben. Klein Lic-chen — ein schlechtes Beispiel verdirbt bekanntlich gute Sitten — riß sict, von der Hand der Frau Director lvö und kletterte' von Max freudig hcraiifgezvgen, ebenfalls hinaus. I» dem Augenblick trat Frau Waldmeister ein und siel vor Schreck bald um, al« sic ihre drei Sprößlinge aus dem Tische versammelt fand und den Gast daneben. „Herunter!" befahl sic, Lieschen aus den Arm nehmend. Ein Zctcracschrci war die Folge. Da trat, das bunte Band über der Brust, die Mütze aus dem Hinterkops, den Schläger kühn schwingend, HanS ein nnd ries, den Gast nicht be merkend: „WaS ist denn da« für ei» Gefiept hier?" Die Spitze seine« Schlägers richtete er direct aus Maxens Herz, so daß dieser laut schrie. Frau Waldmeister stellte ihren (.'.essen vor, der sofort die Klinge senkte und eine etwas linkische Berbeugung machte, dann aber schleunigst sich rückwärts concentrirtc, es fehlte ja zur Vollendung seiner Toilette der Rock. Frau Director verabschiedete sich von den Kinder», mit Tonncrgcpolter hüpften die Junge» herunter, daß die Fenster scheiben zitterten. Frau Waldmeister athmctc auf. Gottlob, die Kinder benahmen sich noch so leidlich artig, Ouinta und Sexta kicherten allerdings wieder über den Hut. Die Frau Director rauschte zur Saalkhür hinaus, gerade in die Arme Waldmeister'« hinein. Einige gegenseitige Höf lichc Redensarten, dann wippte die Rciherscder treppab. Ter Herr de« Hauses trat in die „gute" Stube, wo die Seinen versammelt waren. Frau Waldmeister berichtete von der Seifenblase, dem Oseiirauch, zerbrochenem Glas, de» vci brannten Erbsen und erboste sich zwischenhinein über die duininc Besuchszeit. Hans warf sich auf das Sopha, da entdeckte er da- Glas voller Wein, rief: „das kommt mir gerade reckt!" »nd tbai einen kräftigen Schluck. Die Folgen davon waren furchtbar, er hüpfte, als habe er den Vcitölanz, sich krümmend, bald hoch, bald tief herum, verzog das Gefickt in die schrecklichsten Grünmasse» und schrie abwechselnd die Voeale: „An! Ob!" Waldmeister kostete vorsichtig und schrie: „Anna, Frau, wa» habt Ihr gemacht? taS ist ja — oh — entsetzlich, Essig!" Ja. eS stand fest, Idchen, in ihrer Verwirrung, balle eine falsche Flasche erwischt und daS GlaS mit reinem, unverdünntem Weinessig gefüllt. „Nie wieder einen Besuch in'S HanS!" ries der »»glückliche Waldmeister, im Zimmer aus- und abstürmcnt Seme Fran stürmte mit: „Entsetzlich, was muß die Frau denken! Aber wir dürfen uns nichlS merken lassen, wir müssen tbun, als wühlen wir « gar nicht!" HanS stürzte, ganz gegen seine Gewohnheit, ein GlaS Wastcr nach dem andere» hinunter. Dann aß ma» zerknirscht daS Erbsengericht. Und bcr Herr Lehrer Waldmeister vermied in den nächsten acht Tage» >ede Begegnung mit seinem Director, sab er dessen Gattin, so bog er beflügelten Schritte- um die nächst« Straßenecke.
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