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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.05.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-05-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920511022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892051102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892051102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-05
- Tag1892-05-11
- Monat1892-05
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Außerdem findet man eS befremdlich, daß der „Reichsanzeizcr" nicht- von der Einleitung eines BcrsabrenS gegen den l)r. Förster erwähnt, der in öffentlicher Volksversammlung erklärt hat, er ziehe die gegebene Zusage zum Weiterdienen über vie gesetzliche Zeit zurück, da er es nicht verantworten könne, Soldaten mir solchen Gewehren ins Feuer zu führen. Man meint, in der Verzögerung und der Unzulänglichkeit der amtlichen Erklärung einen Beweis dafür zu erblicken, daß die straffe preußische Energie „schlaffe. Auch in der Münchener „Allgem Ztg." wird dieser Ansicht Ausdruck gegeben und gleichzeitig der tiefere Grund berührt, warum neuerdings nicht Alle« mehr so klappt, wie in früherer Zeit. Der Artikel de- Münchener Blatte« schließt nämlich: „Allerdingt wird dazu (zu einem energischen Einschreiten) erforder lich sein, daß eine Stelle in der obersten Staatsleitung vorhanden und im Stand« ist, die Zügel d«S gelammten StaatSweieas mit fester Hand zujammenzusasien und für eine einheitliche Gejammt- Politik, für ein einheitliches und planmäßiges Zu- sammenwirken aller Ressort« zu sorgen. Diese eine Stelle kann nur und muß der Ministerpräsident sein. Eni Staat wie Preußen mit der ohnehin bedenklichen Neigung seiner großen und mächtigen M>aisteru>lressort«: lediglich iür sich selbst und ihre Ressort- Zwecke und -Aufsagungen zu sorgen, bedarf dringend einer fest und bestimmt, »in« eiaheiltich gestalteten Äejammtpolitik. Tie Leitung und Ueberwachuna derselben ist Aufgabe de« Mmstervräsidenicn, und wenn Gros Loprioi in seiner bekannten ReichSiagSrede sagte, da« Wesentliche an der Stellung de« Ministerpräsidenten se,, daß er an der Querseile, statt an der Längsseite des Lonserenz- tische- sitze, im klebrigen Hab« er keine Bedeutung, so Hot er damit für die Stellung und die Ausgaben eine« preußischen Minister präsidenten doch nur geringe« Berständniß bekundet Ganz abge sehen vom Grafen Eulenburg, dem damit eine sonderbar« Emiührung zu Theil ward, dürfte ek heute keinen preußischen Minister gebe», der nicht von der Rothwendigkeit einer einheitlichen Leitung der Gesnmmtpolltik durchdrungen wäre. Je gräßer der Staat, je ichwie- rig« und umfangreicher seine Ausgaben und Pflichten geworden, um so noch wendiger ist inmitten der sich ost widerstreitenden Ressort- tnteressen der seit» Punct der gemeinsamen Leitung, an welchem diesen Ressortinteressen gegenüber da« Staatsinteresse sein» Geltung und Vertretung findet und an welchem die erster»» zu einem ein heitlichen politischen Gedanken zujammengefaßt werden." Kaum hat übrigens der „Reicks-Anzeiger" eine „Klar stellung" gebracht, so tritt schon die Forderung nach einer neuen an ihn heran, und zwar die Forderung nach einer authentischen Darstellung der Vorgänge bei der vorgestrigen Besichtigung de« 3. Garde-Regi ment«. ES liegen nämlich über diese Vorgänge verschiedene Berichte vor. Die „Berliner Zeitung" schreibt: „Der Befreite Lück von der 8. Lompagnie de« 3. Garde. Regiment« zu Fuß, welcher vor Kurzem den Arbeiter Brandt in der Wrangelstrahe erschoß und gleichzeitig den Arbeiter Treber verwundete, hat für sein instruction-mäßige» «er- halten auf Posten manch«!« Anerkennung eingeheimst. Nachdem er von seinem Hauptmaun, Major und Obersten durch Be lobigungen und Geldgeschenke ausgezeichnet worden war, ist ihm die döchste Ehre, welche einem Soldaten widerfahren kann, durch Len Kaiser jelbst zu Theil geworden. Wir «fahren darüb« da» Nach stehende: Am SonnabendAbend traf plötzlich be> dem genanntenTruppcn- theile «ne Depesche Le« Inhalt« ein, dag sich der Gefreit« Lück sosort nach der Lajerne de« Kaiser Franz Garde-Grenadier-Reglment- zu begeben habe, um sich dort bei dem obersten Kriegsherrn per« iönlich zu melden. Der Kais« empfing den So,baten im Officier- Easino, erkannte an, daß Lück nur im Sinne der maßgebenden Be lebt» gehandelt Hab«, und überreichte ihm schließlich selbst fei» Btldniß, welch«« die eigenhändig» Unterschrift de« Kaiser« trug. Die kaiserliche Huld sollte damit ab« noch nicht erschöpft sein. Al« am Montag Morgen um 8 Uhr die drei Bataillone de« dritten Garde-ReglinentS dem Kaiser aus dem Tempel- dos« Felde oorgeiührt wurden, ließ der Monarch »ach beendigtem Exerctren die drei Bataillone ein offenes Corrü bilde», ritt in die Mitte desselben und ries mit lauter Stimme: „Gefreiter Lück!" Al ber Gerufene vorgetrete» war, reichte der oberste Kriegsherr Luck die Hand und sagte: „Ich gebe Ihnen vor dem ganzen Reginiente für Ihre treue Pflichterfüllung hiermit die Hand, cS ist eine Ehre für da» Regiment, wenn so brave Soldaten ihm angedören!" Der Lais« ermahnte dann noch die Truppen, bei ernsten Vorfällen sich stets ihr« Pflicht bewußt zu bleiben." Da« „Berl. Tageblatt" berichtet: „Bei der lgestrigc» BataillonSbesichtlguna de« dritten Garde- Regiment« ließ Se. Majestät der Kali« RegimentScolonnen sor- miren, ries alsdann den Grenadier Lück, der vor Kurzem aus Posten den Schuß abgegeben hatte, durch den zwei Männer schwer getroffen wurden, vor die Front und «nannte ihn mit den Worten zum Gefreiten: „Gefreiter Lückl In Anerkennung Deines correclei, BenedmenS aus Posten ernenne ich Dich zuin Gefreite» Ich hoffe, daß Du auch fernerhin Dich durch Mutt, und Eniichloiienheil aus- zcichnen wirst und daß Du stets dem Regiment Ehre machen wirst. Taraus reiche ich Dir die Hand!" Nach einem kräftigen Händedruck ließ der Kaiser Lück wegtrelen. Die Nachricht, daß der,elbe schon am Tage nach lenem Vorfall vom RegimentS-Commandeur zum Gefreiten ernannt worden sei, ist salich. Lück war auch gestern zum Dienst ohne Knöpfe am Krngen, da- Abzeichen de« Gefreiten, erschienen." Schon die Verschiedenheit dieser Berichte läßt erkennen, daß weitere AufNärung erforderlich ist. Es ist schon nicht wahrscheinlich, daß der Kaiser einen Soldaten mit „Tu" angeredet habe. Aber auch die Angaben über die Auszeich nung Lück« sind so auffallend, daß man authentische Mit- tbeilungen adwarten muß. Lück hatte nach der bestehenden Instruction gebandelt, e« traf ibn daher kein Vorwurf; un erfindlich aber wäre, welche« besondere Verdienst darin be standen hätte, hinter einen, fliehenden Epcckcnten der zu schießen. Vorgänge wie dieser sind vom gesammlen Reichstag odne Unterschied der Parteien als eine Bedrohung der Sicher heit der Staat«bürger bezeichnet, e« ist die Rothwendigkeit der Abänderung der Instruction bebufS künftiger Vermeibting von Ereignissen wie da« in der Wrangelstraße im Reichstag allgemein anerkannt worden. Auszeichnungen, wie sie dem Lück sollen zu Theil geworden sein, könnten leicht die Wir kung haben, daß Mannschaften, denen e« an dem «rsorderlicken Uarerscheidungsvermöaen fehlt, di« Sicherheit in den Straßen der Städte auf das Bedenklichste gefährdeten. Eben deshalb kann man die obigen Berichte nicht für zuverlässig halten. Ganz Ungarn steht unter dem Eindruck des Todes dcS HandelsininisterS von Barvß, der überraschend schnell au« seiner erfolgreichen Laufbahn abberusen worden ist. Die Tbeilnahme ist ungewöhnlich groß und da« Bcgräb- niß, da« aus LandeSkostcn stattfindet, wird sich zu einer groß artige» Ebrcnkundgebung gestalten. Ter Verstorbene, der nur ein Alter von 43 Jahren erreicht hat, stieg in rascher Reihenfolge vom Akvocaten und Abgeordneten znm Minister aus. Ein Mann von ungewöhnlicher Begabung, scharfem Blick für die wirthschastlichen Bedürfnisse seine« Lande« und eiserner, oft bis zur Gewaltlhätigkeil sich stei gernder Thalkrast, bat Gabriel Barvß de BcluS die Zeit seines achtjährigen Wirken« als BerkehrS- uud HandelSmir.ister dazu angcwenvet, da« gcsammte Verkehr«» und Wirtschaftsleben Ungarn« unizugestalten und in neue Bahnen zu lenken. Von seinen Schöpfungen seien hier die Umbildung de« ungarische» Post- und Telc- graphenwesen«, die Einrichtung der Postsparcassen, die Er mäßigung der Gütertarife, die Einführung de« Zonentarifs und die Donau-Regelung am Eisernen Tborc genannt. Ein bedeutende« organisatorffche« Talent, ein willenSsiarker Mensch, ein aufrichtiger Patriot wird mit Gabriel von Baroß zu Grabe getragen, und Ungarn bat alle Ursache seine» Heiin- gang zu beklagen. Der Minister starb im Zenith seiner Er folge und seine« Ruhme«. Der verstorbene Minister wurde von einer ihm nahestehenden Persönlichkeit am treffendsten mit den Worten charactcrisirt: „Wenn Herr v. Barvß so viel WeiSbcil besessen Kälte als Willenskraft, so wäre er in der That einer der größlcn Männer Ungarns geworden." Wäkrend die Polizeiorgane in Brüssel und Lüttich sich in Bezug aus die Ermittelung der Urkcber der Dynamit- attcntaie in Belgien außerordentlich findig und geschickt gezeigt habe», bekundet tic^ Pariser Polizei nach dieser Richtung eine sebr große Samnseligkeit und llnzesäncklichkett. Dieselbe ist bis jetzt mit ikren Uiiierstichungc» »i Betreff der Dynamilverbrechcn ohne Erfolg geblieben und, um ibre eigene Unfähigkeit zu verdecken, sucht sie durch alle möglichen Er findungen taS Publicum zu lauschen, indem sie den Reportern der Zeitungen millbcilt, wahrscheinlich sei es Very, welcher das Altciilat veranlaßt habe. Very hätte nämlich vom Minister Loubel 10 »00 Fr. Entschädigung verlangt, ohne indeß mit dem Gesuch Erfolg zu habe». Durch ein Allemal habe Bert) den Präsidenten Loubel zu zwingen gesucht. Man ist in ganz Paris sich darüber klar, daß die ganze Erzählung von dem Attentate Very eine Erfindung ist. Raä> andere» Gerüchten ist eS nicht Very, sondern der Schriftsetzer Hamond gewesen, welcher aus den Minister eine Pression ausznübcn versuchte. Tie „gemäßigteren" Anarchisten haben übrigens in einer Versammlung erwogen, ob die Opfer der Ailemale, insbesondere der verstorbene Hamond, nicht dadurch gewisser- massen versöbnt werden könnten, daß aus dem Grabe Ha- mond'S ein Kreuz mit der Inschrist: „Unser tiefstes Mtt- gefübl" gelegt würde. Die Melnuiig-verschicrenbeite» waren jedoch so groß, daß man z» eiueiu Rc)ultat nicht kam. Ein sebr häßliches Nachspiel batte der Tod de« unglücklichen Hamond. Tie Doctoren wurden nämlich öffentlich angcschulbigt, die Opfer des Boulevard Mageitta schlecht oder wenigstens nicht vorsichtig genug behandelt zu haben. Die gesanintte Presse von Paris hat sich der beleidigte» Aerzte angenommen unv constatirt, Laß die Anschuldigungen von einem Arzte her- rührlen, der eS ungern gesehen habe, daß seine Eolleaen durch Vie Behandlung der Dynainttirlcn ei» große« Rc- nomuiöe bekamen. Ta« Ableben Very'« wurde bereit« gemeldet. Wir wir schon im Mo»Hcnblatt melden konnten, hat gestern der König von xt t a l i e n dem Abgeordneten Giolitti den Auftrag ertbeilt, da« neue Eabinet zu bilden unv cS wurde auch schon eine Minislerliste hinzu- gcfügt. Mit der Richtigkeit Vieser List« scheint c« uidefieii noch zu hapern, Venn beule wird au« Rom lclegraphirt, die „Tribuna" stelle in Abrede, daß Blanc, der bisherige italienische Botschafter in Konstantinopel, zum Minister des Auswärtigen ernannt werte» würde, und »ach der „Agenzia Stefan!" müßten bis jetzt die verschiedenen ZciluiigSinclkungen über die Besetzung der Ministcrposten als versrültt gellen. Wie die Dinge liegen, dürsle da« Eabinet Giolitti nur als ein UebergangSministerium zu betrachten sein. Die ganze Situation scheint aus Erispi hmzuwcisen, dessen Ent schiedenheit ihm zwar viele politische Feindschaften zugczogen hat, jedoch am besten die Festigkeit verbürgen wurde, die gerade unter Len obwaltenden schwierigen Berdältnissen noth- lhut. In Frankreich würde die Berufung EriSpi's natürlich großen Unwillen Hervorrufen. Der „Rappel" geräth bereits bei dem bloßen Gedanken in hochgradige Aufregung. WaS Giolitti anlangt, so äußerte Rudini über ihn, er sei im ganzen Parlament als der wärmste Anhänger de« Dreibundes be kannt sund außerdem hat er in seiner Rede am 5. Mai mit vollster Bestimmtheit erklärt, daß der HeercShauSbalt nicht verkürzt, daß die Militaircredite, taS Ansehen der italienischen Armee, die Stellung Italien« im europäischen Slaaten- concert nickt den Leidensckasten der Parteien zu einer natürlich ebenso maßlosen als gefährlichen Erörterung preiSgegeden werden dürfen. Die Vorbereitungen der Parteien in England zum nächsten Wahlfeldzug spitzen sich immer offener auf eine einzige Frage zu: das irische Homerule. Gladstoue und seine Leute, deren Anssicklcn ttn Lause der letzten Tage durch Ungeschicklichkeiten, welche sic begingen, gelitten haben. Und entschlossen, um jeden Preis die legislatorische LoSlösung Irland« au« dem staalSrechtlichc» Verbände mit Groß britannien durchzubringen: daß biermit ein für da« endgiltiac Schicksal de« britischen ReichSverbandeS vielleicht vrrhängniß- vollcS Präjudiz geschaffen werten muß, kommt für die doctnnäre Demagogie wenig oder gar nickt in Betracht. Die Massen, welche aus Gladstoue schwöre», sind fest überzeugt, daß da« irische AdliängigkeilSverhällniß von England die Quelle alle« Uebels ist und daß. wenn nur erst einmal Irland auf eigene Füße gestellt sein wird, auch ihre eigene Besrciungsstunde sehr bald schlagen müsse. Die englische» Eonscrvativcn thun, was in ihren Krästc» steht, etwaige» Unbesonnenheiten der Wähler vorzubeugeii, natürlich sind ihre Mittel und Wege zur Ausklarung rer öffeittlicken Meinung viel beschränkter, als die Mittel der Gegner zur Hinlanhalluiig eines solchen KlärungS- proecsse«. ÄnS einer Aeußerung Lord SaliSbury'S beim letzten Primrosebanketam vorige» Freitag scheint hervorzugeben, daßdir conseroative Partei fest cnlscklcssc» ist, wenn die Liveralen im »äckstenWablkampfc siegen sollten, den Kamps gegen Homerule in da« Oberbaus zu verlegen und von dieser starken Position aus die Berechtigung der Gegner, da« irische Homerule als Wunsch der Mehrheit de« englischen Volke« auSzugeben, an- zusechten. Deutsches Reich. L Berlin, lO. Mai. Dem Abaeordnetenhause- liegt bekanntlich ein deutschfreisiiiniger Antrag vor, welcher die Regierung um Auskunft ersucht, ob sie in der nächsten Session Gesetzentwürfe über Abänderungen de« Laod- tagSwahlrecktS au« Anlaß der neuen Steucrgesetze und über eine den seit ld>»0 veränderten BcvölkcrungSvcrhältnissen entsprechende Neucintheilung der Wahlkreise vorzu legen beabsichtigt. Man wird sonach demnächst eine Ver handlung hierüber im Abgeordnetcnhause und wohl auch einige nähere Mitlbeilungen der Regierung erwarten dürfen. Bezüglich der durch die Etcuerverschicbungen nothwendig ge wordenen anderweitige» Abstufungen der Wahlberechtigung haben wir früher bereit« mitgetbcilt, daß die Regierung mit den Vorarbeiten zu einem solchen Gesetzentwurf im Zu sammenhang mit der Fortführung der Steuerreform beschäf tigt ist unv daß man mit Sicherheit weitere gesetzgeberische Vorschläge diese« Inhalt» in der nächsten Session erwarten darf. Die« wird jetzt au« anscheinend ofsiciöser Quelle be stätigt. dagegen wird die Absicht einer Aenderung der Wahl- kreiseiittbeiliing bei dieser Gelegenheit zurückgcwiescn. Die Wahlbezirke sür da« Abgeordnetenhaus sind durch da- Gesetz vom 27. Juni l8«i» sestgestcllt, wozu später noch einige Ab änderungen und die Regelung sür die neuen LandeStheilc hinzukamen. Die WablkrciSeintheilung hängt allerdings mit der Aenderung der Besteuerung nicht zusammen, und man kann sich damit einverstanden erkläre», die neue Regelung dieser Frage einem späteren Zeilpunct vorzubehalten. Aus die Dauer aber wird sic sich auch nicht vermeiden kaffen, so wenig wie im Reick-tag. E« haben sich im Laufe der langen Jahre durch die Verschiebung der BevölkerungSverhältmssc gar zu große Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten herauS- gebildct. Wir greisen nur einige Zahlen berauS. Die Stadt Berlin mit l>/, Millionen Einwohnern wählt 9 Abgeordnete, ebenso viel oder mehr wählen Regierungsbezirke mit wenig über oder gar unter einer halbe» Million, wie Danzig, Köslin, Bromberg, Münster, Minden, Eoblenz, Aachen. Regierungs bezirke mtt weit unter einer Million Einwohnern oder wenig darüber, wie Königsberg, Guinbinnen, Maricnwcrder, Pots dam, Franksurl a,O , tLtclti», Pose», Magdeburg, Merse burg, Arnsberg, Cassel. Wiesbaden, Köln, Trier wählen >2 bis 20 Abgeordnelc. Der Regierungsbezirk Breslau, der un» gesäbr ebenso viel Einwohner zäblt wie Berlin, wählt 25, vieProvinzHannovcr mit 2,1 Mill.Einwohnern 36 Abgeordnete. Feuillrtsn. Gerettet. ?1 Novelle von Llrraader Römer. n»-dr»« «ertitni. (Fortsetzung.) „Nun, Linden, wie steht'«? Hast Du Dein schöne« Gretchen erobert? Ick wette, er steckt schon bi« über die Ohren in der Arbeit und will un- nur nicht« vrrrathen." So neckten und forschten die Kameraden de« jungen Maler«. Sie wußten, daß er sich seit Langem mit Plänen für sein Bild .Gretchen « erste Begegnung mit Faust" trug, e« sollte ein Pendant zu seinem „Gretchen in der Kirche" werden, da» sehr günstig beurtheilt und gleich ver kauft worden. Nun hatte der Käufer auch diese« Pveitr Bild bestellt, ihm aber fehlte immer noch da- richtige Modell und die richtige Inspiration. Alle waren, seit sie Lisa gesehen, einstimmig, daß fie da« verkörperte Ideal eine« Gretchen « sei. Wa« zögerte «r denn noch? Er war ja mit dem Mädchen gereist, ,r kannte sie also, und sie, die Schwester der Angela war zu haben. Aber Arthur von Linden war zugeknöpft in Bezug auf den Gegenstand. Er war überhaupt sehr still und nachdenk lich geworden io der letzten Zeit. <Sir hatten ihn Alle im Verdacht, daß er bereit« heimlich mit dem schönen Mädchen anaebandelt, und bade au« Furcht vor Eoucurrenz und Neben buhlerschaft die Sache so geheim gehalten. Mao sah ihn selten, er arbeitete natürlich. Linden aber lächelte nur — schwrrmüthig nannten e« die Anderen — und schüttelte den Kopf. Nein, die Kame raden waren da gewaltig auf Holzwegen, versichert» er, er arbeite — ja — habe eigentlich seit einiger Zeit un verantwortlich gebummelt — aber r« wurde nicht« daraus — gar nicht«. Und die schöne Peter«? „Bitte, redet nicht von dem Mädchen", bat er mit einem gewissen bestimmten Ton, „sie ist nicht wie die Schwester, an anderem Ort er- zoae» «nd völlig anderen Kaliber«. Die sitzt mir nicht, ich würde r« ihr auch »i« anzntrage» wagen. „Hui!" Einer au« der lustigen Zunft pfiff einen lang- aedehttten Ton. „So weht der Wind — na. Linden, ich hoffe, Wie werden sich da nickt ernstlich sesthaken." Artbur errötbete leicht und suchte auf ein andere« Thema abzulrnken. Forschende, verschmitzte, auch besorgte Blicke flogen zu ihm bin. „Die Sache ist nicht ganz richtig", hieß eS unter den Kameraden. Arthur aber hatte Lisa nicht wieder gesehen. Es war eine Veränderung mit ihm vorgeaangen seit jenem Morgen, al» er sie geleitet und im dunklen Hau»flur, trotz seiner Uten, frommen Vorsätze, im Taumel eines plötzlichen iebeSrauscheS sie geküßt. Sein Blut batte sich allmälig abgekühlt, al« er nach Hause ging und er darüber zu lächeln versucht, wie keck er vorgeganqen. Er batte schon manchem Mädchen einmal rasck einen Kuß geraubt. Aber — da blieb etwa« in seiner Seele und in seinem Ge wissen. wa« ibn gar nicht zur Ruhe kommen ließ. Immer staue ihr Bild vor seinem Geiste, da« Bild der rührenden, schutzlosen Unschuld. E« war, wie di« Kameraden richtig vermutbeten, zum großen Tbeil künstlerischer.Enthusiasmus Wie hätte da« Auge riue« Maler«, noch dazu eine« Maler«, der nach einem Gretchen suchte, ohne in Aufregung zu aeratben, vorübergeben können an einer solchen seltenen Er scheinung. Da» sagte er sich immer — aber, da« war e« dock nicht allein. Wie rin Stachel lag e« in seiner Seele, daß er sie gekränkt, ibre bedenkliche, schutzlose Lage mißbraucht. Dieser Doctor Wel-ler wollte sie doch retten» er harte Opfer dafür gebracht, sie al« Kind au« ihrer schlimmen Um gebung entfernt, damit sie ehrbar und rein bleiben solle. Verfolgte der Mann weitere Absichten mit seiner guten Tdat? Arthur « Gedanken schweiften hin und her, und sein Hirn und seine Phantasie e.biyten sich immer mehr. Diese« süße, jung« Geschöpf, der Doctor zählte doch wobl zwanzig Jahre mehr al« sie — sie mußte natürlich froh sein, versorgt zu werden, wurde auch sicherlich von den Ihren an den Meistbietenden verkauft. Seine Zähne knirschten, seine Hände ballten sich. Und wer wußte noch gar. ob der Doctor sie heiratbr» wollte — vielleicht batte früher dir Angela ibn umstrickt — jetzt warb er ja eigentlich offenkundig um seine Schwester — dieser Duckmäuser mit dem Lugeadmantrl. Nein, er mußte Lisa Wiedersehen, sie um Verzeihung bitten, ibr Mutb einreden, ihr rathen, sie retten, schützen. Wohl flüsterte eine ganz leise Stimme in ihm, ob er sich auch ganz sicher in seiner Sckützerrolle fühle, aber er hörte sie nicht Er wanderte unermüdlich in die Sckikßgasse und ihre Um gebung. Er mußte ihr doch einmal begegnen. Wich sie ihm au«? Kerkerte man sie ein? Er wollte so ungern sich an Angela wenden. So ging er in Unruhe und Zwiespalt umher und seine Arbeit ward in der Tbal nickt gefördert. Der Onkel sab öfter forschend und mißtrauisch zu ihm hin. Das Modell, welches er z» seinem vorigen Bilde gehabt, saß ibm wieder — er batte gemeint, au« dem Gedäcktniß, so wie sie unablässig vor seiner Seele stand, Lisa « Züge und Wesen auf die Lein wand zaubern zu können — aber e« ging nickt. Diese alberne Person da, die ihm nur zu den Eontouren sitzen sollte, störte ibn — wie hätte er nach ihr ein Gretchen malen können? Er war unwirsch und tadelte und modelte fortwährend, schob mit dem Pinsel an ihrem Haar berum und erklärte doch, sie hingen wie Strähnen. Früher hatte er lustig genug mit dem Mädchen geschäkert. „Hui!" dachte der alte volgersrn. „Wa« hat der Junge nur? Dem ist etwa« über die Leber gefahren, und wa« er da kleckst, da« wird nicht«." Ja, er sah e« selber, e« wurde nicht«, und ganz ver zweifelt warf er oft Pinsel und Palette fort und stürmte hinan«. „Der Junge bat'« Fieber. Ob e« ein LiebeSfieber ist?" dachte der Onkel, „mußte ja auch einmal kommen." Er hielt e« nicht länger au«, er schrieb jetzt an Lisa. Da« Pille« clour sollte sehr rubig und ehrbar abgesaßt werden, aber — seine Finger waren heiß, sein Blut und sein Kopf, die Glutb übertrug sich auf da« kalte Papier. ÜS kam keine Antwort. Hatte man den Brief auf» gefangen? Dir Ibren waren doch wohl nicht so strenge, aber der Doctor vielleicht, der Errbrru«. Er schrieb noch ein Mal ... Er flehte jetzt um ein Stelldichein. „Ich muß Sie sprechen — ich vergeh« sonst in Qual. Aber auch jetzt kein 8eben«zeichrn. Wa« beginnen? Viel leicht war sie fort — sie war ja wie vom Erdboden ver schwunden. Da« ging so nicht länger, Gewißheit mußt« er haben — da blieb dock nicht« übrig, als sich an die Aiigrla zu wenden. Die Schwester lief ihm überall in den Wurf. Er überwand sich eine» Tage« und redete sie an. Er fragte nack Lisa — ibm blieb da« Wort beinabe in der Kehle stecken. Cie lackte, daß ibr breiter Mund die falschen Zähne darin deutlich zeigte. Der Ausdruck ihre« Gesichte« war ihm furchtbar saial. Ha, ba, ba! Lisa! Ja, sie wisse e« lange, wie viel Müde er sich gebe, sic zu fassen. Die Briefe, ja, sie habe sie alle erhallen, wenn sie sie auch noch so heimlich versteckt — aber sie komme nicht, nein, so bald noch nicht. Sie sei eine Prinzessin und wisse etwa« au« sich zu machen. Die — die verstände den Kram. Und wa« er denn auch eigentlich von ibr wolle. Er biß sich auf die Lippen, er hätte da« Mädchen zu Boten schlagen mögen, so war ibm zu Muthe. Lisa « Name von ibren Lippen, e« dünkte ibm Besudelung, Entweibung — und dennoch — wa» sollte er machen Er zwang sich zur Ruhe. „Ick möchte sie nur gern« sprechen, ich habe ihr etwa« zu lagen, eine Ausklarung, eine Berichtigung. Ich will sie sicher nickt beleidigen, nicht verletzen durch meine Bitte, wollen Sie ibr da« sagen — ihr die Versicherung meiner böchsten Ebrerbielungen — wollen Sie, bitte, da« wieder holen — Ehrerbietung übermitteln." Er sagte da« hastig, inständig, in unterdrückter Leidenschaftlichkeit. Angela lächle laut. „Ja, Sie sind richtig angeschoffen", sagte sie, „da« merkt man. Ra, ich will sehen, WaS sich thun lägt klebrigen«, baß die Lisa kerunterkommt und Ihnen rin Stelldichein giebt, da« glaube ich nicht. Die haben sie gut eingepaukt, da« ist wohl so eine Art Kloster gewesen, wo der Doctor sic hingescbickt. Soll ich Ihnen mal etwa« verrathen? Ich glaube, der Doctor will sie für sich selber — aber sie ist anch gegen den jetzt spröde, srüher flog sie ihm noch an den Hal-" Arthur'« Blut kockte. Daß man nicht an sie brran- kcmiiitn konnte, daß sie ihm so unerreichbar warl „Helfen Sie mir nur, daß ich sie spreche» kann", sagte er mit er stickter Stimme. „Ich will Ihnen einen Vorschlag machen", rntaranete Angela nach einigem Nachdenken. „Sie wissen, in der naopssrn Woche ist da« große Künstlersest im Gewerdehaus». Ei»
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