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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920711023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892071102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892071102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-11
- Monat1892-07
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Zuerst wendet sich das Hamburger Blatt gegen den Erlaß vom 23. Mai 1830, der den Zweck verfolgte, die fremden Regierungen vor dem Fürsten Bismarck zu warnen und ibn anrüchig erscheinen zu lassen, und bemerkt zu diesem Actenstücke: „Da die deutschen Diplomaten im Auslande schwerlich einer Belehrung darüber bedurft haben werde», wie sie in ihrem amtlichen Verkehr den Fürsten Bismarck zu behandeln Halle», kann der Zweck des Circulars nur der gewesen sein, den der jetzigen Regierung mißliebigen früheren Reichskanzler auch in dem Aus lande creditlos zu machen, und der Ton des Erlasses würde wahrscheinlich noch viel schärfer ausgefallen sein, wenn fein Urheber das volle Einversländniß Seiner Majestät da für erlangt hätte, was uns, »ach einer Wendung zu schließen, „indcß" nicht der Fall gewesen zu sein scheint. Wir können uns mit dem Gedanken, daß dergleichen Proceduren zu den Aus- gaben der deutschen Regierung gehöre», nicht vertraut machen. Wir finden eS ungewöhnlich, daß man wegen innerer Meinungsverschiedenheiten mit dem früheren Kanzler und wegen Preßäußerunge» desselben sich an das Ausland gewendet hat. um dort Propaganda gegen den Fürsten zu mache». Während sonst die Ansicht dahin geht, daß Botschafter und Gesandt- schaften u. A. dazu da sind, die Interessen und die Rechte der einzelnen Staatsbürger zu beschütze» und zu fördern, so erscheinen diese Vertretungen hier im Lichte einer Art von „heimlichen Gerichten", von Vchmen, welche dazu da sind, um gegen die Mitbürger, mit denen man unzufrieden ist, an das Ausland zu appellire», indem sie beauftragt werden, sich erforderlichen Fall« über den Fürsten Bismarck und seine Thäligkeit mißbilligend zu äußern. Man hat im Mai I8S0 von der Existenz eines solchen Circulars gesprochen, ohne daß die Sache Glauben gesunden hätte; jetzt liegt die amtliche Bestätigung vor." Dann macht das Blatt über das anfängliche Verhalten deS Fürsten Bismarck nach seiner Entlassung zu seinem Nach folger die folgenden, nach unseren Informationen vollständig correcten Mittheilungen: „Fürst Bismarck hatte von Anfang an beabsichtigt, mit seinem Nachfolger in Frieden zu leben, und hat seiner Zeit den „Hamburger Nachrichten", die dem neuen Curse nickst trauten, mehrfach den Wunsch ausgesprochen, Herrn v. Caprivi nicht anzugreisen. Aber die friedlichen Absichten des Fürsten fanden kein Entgegenkommen; es trat eine Art Boycot tiruna von Friedrichsruh ein, es erfolgten Winke und Einwirkungen; Leute, die bis dahin init dem Fürsten in Verkehr gestanden hatten, wurden davon abgebracht. SondirungZ nach dem Grunde hiervon ergaben, daß die Betreffenden schließlich da- Auswärtige Amt und den Reichskanzler als diejenige» Stellen bezeichneten, die sie am meisten zu fürchten hätten, wenn sie den Fürsten besuchen wollten. Die persönliche Verstimmung ist also nicht vom Fürsten Bismarck hervorgerufcn worden, sondern wurzelte in dem absolut unbegründeten Mißtrauen, daß der Fürst die Stellung deS Herr» von Caprivi erstrebte." Der Artikel geht sodann auf die Depesche des Grafen Eaprivi an den Prinzen Reuß ein, wiederholt die Ansicht, daß diese Depesche nicht die einzige sei, die nach Wien ge sendet worden, und fährt dann fort: „Die Art, wie die Ausdehnung des Boycotts gegen den Fürsten Bismarck aus Wien mit Erfolg erstrebt worden ist, steht durch ganz unansechtbare, klassische Zeu gnisse fest. Dieser Eingriff in die persönliche und gesellschaftliche Stellung eines in Wien und in der Wiener Gesellschaft accreditirten Staats mannes wie Fürst Bismarck mußte für diesen ebenso verletzend sein, wie jede Art von Ausschließung aus gesellschaftlichen Kreisen, zu denen der Betroffene naturgemäß gehört. Es ist auch mindestens ungewöhnlich, daß einem Botschafter verboten wurde. Ei» ladungen zu einem Familienfeste im Hause seines früheren Vorgesetzte» anzunehmen, zu deren Annahme er sich vor diesem Verbot bereit erklärt hatte. Durch die Depesche vom 9. Juni wird die Behauptung widerlegt, daß in Wien keine osficiellen Schritte gegen den Fürste» Bismarck erfolgt seien, namcnt- lieh durch den Auftrag, die Depesche sofort zur Kenntniß des Grasen Kalnoky zu bringe»; den» es hätte nicht den gewollten Zweck gehabt, blos den deutschen Botschafter zu insiruiren." Endlich berührt der Artikel die Hindeulungen der Depesche an :dcn Prinzen Reuß auf die „AnnäkerungSgcrüchte" und findet es auffällig, daß der Verfasser der Depesche behauptet, Fürst Bismarck werde nie wieder auf die Geschäfte „irgend welchen Einfluß" erlangen. Daß der Fürst „irgendwelchen" Einfluß aus die Geschäfte bereits wieder gewonnen habe, geh st! klar und deutlich aus der Depesche hervor, die doch jeden falls gar nickst erlassen worden wäre, wenn man dem Fürsten feinen Einfluß beimäße. Der Schluß lautet dann: „Es entspricht unserer Ansicht nach den Reichs- interesse» nicht, wenn Derjenige, der über 20 Jahre lang daS deutsche Ansehen im AuSIande in sich vcr- körpert hatte, auf diese Weise im Auslande in seinem Ruse geschädigt wird; denn die vorhandenen Ein richtungen des Reiches und auch die Politik, die jetzt angeblich „weitergeführt" wird, rühre» von ihm her." DaS ist die bitterste Pille, die der Verfasser des Artikels dem Grafen Caprivi reicht; denn in der That muß das Ausland, dem vom ersten Tage an, an dem der jetzige Reichskanzler sein Amt antrat, wieder und wieder versichert worden ist, der alte Curs werde weiter geführt werden, an der Aufrichtigkeit dieser Versicherung vollständig irre werden, wenn der Steuermann dieses CurseS, weil er denselben vcr- theidigt, als gefährlicher Raisonneur und Ränke schmied denuncirt wird. Daran hat Graf Caprivi bei feinen Veröffentlichungen augenscheinlich nicht gedacht. Auch in der „Westd. Allgem. Ztg." liegt wieder ein Artikel vor, der von einigen Blättern als eigenste Arbeit des Fürsten Bismarck angesehen wird. Er gehl aus die Vor gesckichte der Entlassung deS Fürsten naher ein, behauptet abermals, dieser habe ein eigentliches Entlassungs- gesuch nicht ein gereicht, und fordert die Veröffentlichung jener Eingabe des Fürsten, auf welche die Entlassung erfolgte. Nachdem indcß Fürst BiSmarck erst kürzlich die Verantwortung für die Auslassungen der „Westd. Allgem. Ztg." in aller Form abgelcbnt bat, halten wir cs für ein Unrecht, ihm die neueste Auslassung dieses Blattes in die Schube zu schieben. Jedenfalls aber liefert die Tbatsache, daß dies auch von solchen Blättern geschieht, die dem Fürsten Bismarck nicht feindlich sind, den Beweis, daß er seine Sache am besten führen würde, wenn er seinem Gegner, der mit amtlichen Actenstückcn offen herauSgelreten ist, auch seinerseits mit offenem Visir gegenüber träte und davon ablicße, zu seiner Verthcidigung sich fremder Federn zu bedienen. Nach wiederholten halben und eben deswegen fruchtlosen Versuchen gehl endlich die dcutschliberale Partei in Oesterreich mit Ernst daran, sich eine feste Parteiorga nisation zu geben. In kiesen Tagen bat in Hietzing bei Wien in Anwesenheit der Führer der vereinigten deutschen Linken eine große Parteiversammlunz stattgcfunden, welche ein- mütbig die Grundzügc einer dcutschliberalen Organisation zunächst für Wien und Nicderöstcrrcich beschloß, die sich im Wesentlichen nach demVorbilde der inTentschböhmcn bestehenden richten soll. Das Muster ist gut; denn dieTenlschen Böbmeus ver danken cs nicht zum Wenigsten ihrem über alle deutschen Bezirke des Landes verbreiteten VertrauenSmänner-Collegium und dessen bei aller Nachgiebigkeit in sccundairen Fragen stets strammen und zielbewußten Executiv-Comitö, wenn sie in den schwersten Zeiten den Beweis unerschütterlicher Widerstands fähigkeit zu erbringen vermochten und wenn weder die bekannten Experimente mit der gonvernementalcn „Wirth- schaftSpartci" noch das zeitweilige Auftauchcn der „schärferen Tonart" ihrer Einigkeit wirklich schädlich wurden. Tie Frcvelthaten der Anarchisten in Frankreich haben am heutigen Tage eine thcilwcise Sühne erfahren: der Telegraph meldet, daß heute früh 1 Uhr auf dem Ge- ängnißplatze zu Montbrison die Hinrichtung Ravachol'S vollzogen worden ist. Die französische Regierung scheint nicht ohne Besorgnisse wegen etwaiger Versuche der Anarchisten, die Hinrichtung zu stören, gewesen zu sein, denn eS waren von St. Etienne Truppen nach Montbrison abgerückt und dieselbe» hatten heute bei der Exccution die an daö Gcsängniß angrenzenden Straßen abgesperrt, lieber die einzelnen Vorgänge bei dem HinrichtnngSact wird noch gemeldet: AIS die Gefängnißbeamtcn früh 3 Ubr «0 Minuten Ravachol weckten, bekundete derselbe großen Cvnismus und wies jeden Beistand deS Geistlichen zurück. Bei der Fahrt rückwärts sitzend, stieß Ravachol wiederholt Verwünschungen auS. Auf dem Richtplatze bat der Ver brecher sprechen zu dürfen, und im letzten Augenblicke bemerkte er, er habe noch etwas zu sagen. Ter Henker vollzog die Handlung unter dem AuSruse: „Es lebe die Republik!" In den Nebenstraßen drängte sich eine aufgeregte Menschenmenge. Ein Zwischenfall ereignete sich nicht. Dem Project eines socialdemokratischen Städte- bundcS in Frankreich, zu dessen Verwirklichung der seiner überwiegenden Mehrheit nach socialislische Gcmeinterath von St. O.ncn bei Paris die Initiative ergriffen batte, ist die französische Regierung sofort entgegen getreten. Etwa zwanzig städtische Vertretungen Frankreichs baben seit den letzten Ge- meinderathSwahlen eine socialistische Mehrheit. Tiefen ist vom Stadtrath in St. Ouen die Einladung zugegangen, einer Zu sammenkunft bcizuwobncn, die im September stattsindcn sollte. Die Absicht war. einen Bund der socialistischen Städte, eine Art socialistischer Hansa zu bilden und gleichmäßig mit der Verwirklichung der Arbeiterfordernngen vorzugehcn. Die Rechte der Gemeinde sind in Frankreich bekanntlich nicht sehr bedeutend, und der Präsect kann immer eingreifen, wenn ihm ein Beschluß der Vertretung nicht gefällt. Jmniertüu bat der Gcmeinterath den Bürgermeister, die städtischen Beamten und Diener zu wählen, die OrtSpolizei ist ihm unterstellt, er kann mit gewissen Beschränkungen Steuern ausschreibe», er verfügt über bas Gemeindcvermöge». kurz, eS ist ihm trotzderSpärlichkeitseinergesetzlicheuBcfugnifsedieMöglich- keitgegeben.dieBesitzcnden inweitgehendcuiMaize mit Quälereien heimzusuchcn und die „Genossen" auf ihre Kosten zu be günstigen. Wenn zwanzig Städte, unter denen solche von der Bedeutung Marseilles sind, eine gemeinsame Sccialpolitik verabreden und sich einer gemeinsamen Leitung unterstellen, so kann das den nicht zu unterschätzenden ersten Schritt zur Herstellung eines Staates im Staate bilden. Die Regierung hat sich denn auch nicht lange besonnen und die Abbaltung des StädtetageS verboten. Allerdings ist damit nicht aus geschlossen, daß die Socialisten nunmehr auf anderem Wege versuchen werden, zum Ziele zu gelangen. Zu den südamerikanischen Staaten, welche wegen innerer Unruhen zu keiner gedeihlichen Entwickelung gelangen können, gehört auch die Republik Venezuela, lieber die seit mehreren Monaten dort herrschenden rcvolu- tionairen Bewegungen sind nun freilich in schwindelhaften amerikanischen Zeitungen, sowie auch in deutschen Blättern so nnwabre und vom Partcigeist gcsärbtc Berichte in die Oesfentlichkeit gelangt, daß es zweckmäßig erscheint, den wahren Sachverhalt sestzustellen. In Wirklichkeit sind bisher weder blutige, »och überhaupt „Schlachten" geschlagen worden, sondern der ganze „Krieg" bat sich vielmehr in der üblichen Form von GucrrillaS abgespielt. Banden von fünfzig, sechSzig, höchstens einmal von ein paar hundert Mann tauchten hier und da im Lande aus und beunruhigten mehr die friedliche Bevölkerung als den Feind. Die Truppen des sich noch immer fest behauptenden Präsidenten Andneza Palacio habe» bisher überall den GucrrillaS gegenüber die Oberband behalten, und vom Blutvergießen ist wenig genug die Rede gewesen. General Crespo selbst, auf dessen Namen die Erhebung geht, ist einmal that- säck'lich bei Valencia geschlagen, wo er sich mit einigen hundert chlccht bewaffneten Truppen denjenigen Palacio'S gegcnüber- stcllte. Ein Gerücht sagt, daß er bei dieser Gelegenheit ver wundet worden sei und daß aus diesem Grunde die Opera tionen stockten. In Wirklichkeit ist die ganze Bevölkerung viel zu apathisch, als daß sie sich zur heldenmüthigen Bcr- tbcitigung ihrer verletzten Verfassung entschließen könnte. Wollte man überhaupt Opfer bringen — an Geld zuerst, um Waffen zu kaufen —, so wäre Palacio rasch weggesegt, während er unbehelligt in Caracas spazieren fährt und Ausflüge in die Umgegend macht. In der letzten Zeit sind wieder bei dem Lustort Antimano, eine Meile von Caracas, kleine Banden aufgetaucht, so daß schleunigst 120 Mann von Caracas abgeschickt wurden, um sie zu zerstreuen. Solcher Art sind die ganzen Kämpfe, und was darüber hinaus berichtet wird, ist Erfindung. Unter den Anhängern der Revolution fehlt eS nicht an täglichen Berichten über siegreiche Schlachten, die jedoch völlig auS der Luft gegriffen sind. Bisher hat die Revolution nur eins bewiesen: daß ihr die nötbigen Mittel und der ent schlossene Ernst eines wirklich nationalen Unternehmens fehlen. Bitterer Ernst ist aber eincS: die täglich steigende Noth- lage des Landes. Nicht nur die ganze Umgegend von Caracas ist in diesem Jahre fast völlig unangebaut geblieben, sondern das Gleiche gilt von dem größten Tkcil deS Landes, mit alleiniger Ausnahme vielleicht deS Staates Bermudez, welcher sich, unbekümmert um die Politik, nach Möglich keit wirthschafilichcr Arbeit widmet. Ueberall auf dem Lande seblt eS an Arbeitern zum Landbau. denn die jungen Leute, soweit sie nicht bei den Recrutirunzen der Regierung auf- gczrisse» sind, ballen sich versteckt, um nicht Soldaten werden zu müssen. Meilenweit sicht man verwilderte Brachfelder, wo sonst Mais, Zuckerrohr, Bohnen, Kartoffeln und der gleichen stauten. Tic Folge davon ist, daß schon seit Wochen die Preise der Lebensmittel um mehr als das Doppelte ge stiegen sind, was sich besonders bei den beiden Haupt- nabrungSmitteln, Fleisch und schwarzen Bohnen, drückend fühlbar macht. Der Notbstand ist für die Armen schon jetzt eine öffentlich bekannte Tbatsache und wird unabwendbar zur HungcrSnoth ausarten, wenn im Oktober die Feld- srüchtc auöbleiben. Bis Mitte Juli wäre die letzte Frist zur Bestellung der Acckcr. Daß aber bis dabin die politische Lage wesentlich verändert sein sollte, blcibto^pSgcschlossen. Vielmehr legt sich der ganze Bürgerkrieg zu einem Jahre dauernden und damit den Untergang des Volkswohlstandes herbciführendcn nationalen Unglück an. Der obiective Beur- theiler mag sich vielleicht auf den Standpunct stellen, daß daS verfassungsmäßige Recht auf Seiten der Creöpisten ist; daS aber ist nicht zu bestreiten, daß diese, wenn sie über keine genüqciiden Mittel verfügten, um den Verfassungsbruch mit den Waffen zu bindern, auch kein moralisches Recht hatten, durch Guernllaö das Land zu vernichten. Deutsches Reich. Ol Berlin, 10. Juli, lieber den Ton, den die Führer der Socialdemokratie gegen einander anschlagen, und über die HaudlungSwcffe, die sie einander Zutrauen, gicbt ein „Socialdemokratische Schurkereien" uber- schriebcner Artikel des „Socialist" interessanten Aufschluß. Es heißt in ihm: „Es ist noch nicht lange her, daß Herr Liebknecht di« bürgerliche Presse mit Lobeserhebungen überschüttete, weil sic ihn, den srüheren politischen Flüchtling, als Mitarbeiter geduldet und ihn dadurch vor Hunger und Elend geschützt habe. Tie bürger liche Presse kümmerte sich also nicht um die politische Gesinnung des Herrn Liebknecht, sic gab ihm Beschäftigung, sie war tolerant. Derselbe Herr Liebknecht befindet sich jetzt ,n einer gut dotirten Stellung: er betreibt die „Errettung des Proletariat- aus den Banden des Capital»" sür ein kleines Ministergehalt und versteht eS vortrefflich, »och so nebenbei ein famoses Geschäft zu machen. Noth und Feuilleton. Der Letzte seines Stammes. Sf 1»."» Licht« und Schattenbilder von Waldemar Urban. SlachdruN vcrbottti. (Fortsetzung.) IV. Herr Justizrath Markwaltt batte eine gute und auch ein trägliche Praxis, gleichwohl war die professionelle Gerechtig keit, die er nun schon seit mebr als dreißig Jahren auSübtc, nicht sein Ideal — im Gegcntheil, er fühlte sie wie ein Joch auf sich liegen und oft gedachte er seufzend an den hübschen Park von Mariendorf, das er in seiner Eigenschaft als juristi scher Vertreter deS Herrn von Coda öfter Gelegenheit ge nommen hatte, eingehend zu besichtigen. Tie schattigen Buchen alleen von Maricndorf, der zierliche See im Park, auf dem im Sommer wcißglänzende Schwäne stolz daberzogen, die hohen, vornehmen, bellen Räume des HerrenbauseS unk über haupt die feudale Ruhe und behäbige Sicherheit der Marien dorfer Besitzung schimmerten ihm durch die trübsten, grauesten Wintertagc von Berlin, durch die langweiligsten Actenstücke hindurch. Seine Tage in Rübe und Frieden, fern von der oben, trockenen Hasterci der Reichsbauptstadt zu beschließe., seiner Familie ein hübsches Besiythum und eine sichere Respectabilität zu hinterlasscn — das war sein Ideal — sein Ziel. Nun gab eS zwei Wege, dieses Ziel zu erreichen! Ent weder er mußte den Grasen Coda — wie man im Jargon seiner professionellen Gerechtigkeit sagte — auSs-blachien, d. h. mit dem Schein deS Rechts sich deS letzten BesitzthumS de- Grasen Coda bemächtigen, was ihm, obgleich er die Hypothek aus Mariendorf in diesem Sinne übernommen hatte, doch etwas rüde erschien: er wollte nur im Noth- jall von diesem äußersten Mittel Gebrauch machen. Oder er mußte den Grafen Coda durch eine reiche »Heirath wieder in den Sattel beben, a»S dem er herab gefallen war, in welchem Falle er Martendorf von dem dank baren Coda Wohl zu erhalte» hoffte. Ein dabingckender Ver trag, der natürlich noch vor der Verbindung mit Fräulein Mimie abgeschlossen werden mußte, lag schon fix und fertigt im Conccpt in seinem Pulte. Daß natürlich ein solches, jetzt noch halb verstecktes Ziel auch versteckter Wege bedurfte, lag auf der Hank, aber Herr Justizrath Markwaldt, der sozusagen in den Gcsctzespara- graphen groß geworden war, fublte sich sicher, auch wen» er einmal Schleichwege gehen mußte. Tie Falle» auf diesen Wegen waren ihm alle bekannt, und er war sicher, sie rcr- meiken zu können. Gleich am Morgen nach dem Marius'schcn Familienabcnd ging er die Kochstraßc hinunter, dicht in einen Pelz einzebüllt, so daß nur selten auS demselben mehr kcrauSgnckte als die Nake. Er sah Niemanden an und wollte augenscheinlich auch von Niemand erkannt sein; er ging sozusagen anonym. Endlich trat er in eins der Häuser ei», au dessen Tbür ein Schild besagte, daß hier Herr Reebt-anwalt Alois Rocker sein Bureau hatte. Wenige Minuten später stand er mit diesem in dessen Privatcomptoir. Es war derselbe Herr, der am Abend vorder im MariuS'scken Hause dem Justizrath die Bereitwilligkeit zugesichert hatte, „mit zu schieben". Mit demselben süßlichen Lächeln wie am Abend vorder versicherte Herr Rocdcr, daß eS ihm außerordentlich an genehm sei, dc» Herrn Justizrath zu sehe» und daß er bcffe, er befinde sich sehr wohl und könne ihm in irgend einer Hin sicht dienen. Jawobl, antwortete Herr Justizrath Markwaldt, er könne ibm allerdings in einer ganz bestimmten Hinsicht dienlich sein, wenn auch vorläufig noch nicht in jener, die Herr Roeder vielleicht voraussehe. Herr Roeder versickerte darauf, daß er glücklich sei, dem Herrn Justizrath überhaupt dienen zu köuncn. Er möge nur befehlen, womit. Sie baben die Sache Krampfmeyer contra Gernot in Händen, Herr Reeder? Krampsmeyer? Krampfmeyer? Kann mich nickt besinnen. Herr Jnstizratb. Muß eine Bagatell-Sache sein. Will gleich meine» Bureauvo,steber fragen. Herr Schnüffler, rief er laut und streng' in daS Bureau hinaus. Ter Gerufene trat sofort militairisch an. Er war ein auSgedicnter Unterofficicr, hatte eine hübsche Handschrift und eine rothe Nase. wir die Sache Krampfmeyer contra Gernot in Kleine Sache. Haben Händen? Zu Befebl, Herr Rechtsanwalt. Acten holen. Herr Schnüffler verschwand und brachte nach einer kleinen Weile ein sauberes graues Actcnfascikel zurück, das der Justiz- ratb sofort in Empfang nahm unk genau durcksab. Wir brauchen Sie nicht mehr, mein verehrter Herr Schnüffler, sagte er dabei nachlässig, als er sah. daß der Mann an der Thüre stehen geblieben war. Herr Schnüffler ging stolz ab. Hieraus läßt sich ersehen, sagte Herr Justizrath Markwaldt nach einer ziemlichen Pause, daß Herr Gernot sich in gewissen Verlegenheiten befindet. Herr Roeder lächelte beifällig. Ha, ha, Herr Justizrath, auS solchen FaScikeln läßt sich gewöhnlich ersehen, daß Einer der beiten Genannten sich in gewissen Verlegenheiten befindet. In diesem Falle scheint eS allerdings Herr Gernot zu sein. Geldverlegenheiten, Herr Roeder? Ha, ha. natürlich. Solche sind eS gewöhnlich. Herr Krampfmeyer wird die Sache verlieren. Mein Client? fragte Herr Roeder erstaunt, unmöglich! Fall liegt klar wie die Sonne. Ich sagte, Herr Ärampsmcver wird die Sacke verlieren, Herr Rocdcr, in der Voraussetzung, daß Sie, wie Sie mir versprochen haben, mit schieben Helsen wollen. Ab so! Hm, natürlich. Werde meinen neuen RecktS- praktikanten zu dem anberaumten Termin sende». Ter Kerl verliert, wie eS scheint, grundsätzlich alle Termine; ist ein geborenes Heupferd. Seien Sie sicher, Herr Justizrath, Herr Krampfmeyer wird die Sache verlieren. So meine ich'S nicht, Herr Roeder, sondern ick meine so, daß Sie Herrn Gernot noch heute veranlassen sollen, von Berlin obzureisen und nicht wiedcrzukrmmc» — bis Herr Krampfmeyer wobl die Lust zum Klagen verloren haben wird. DaS süßlicke Läcktln deS Herrn Roeder verschwand sür einen Augenblick und machte einen» unzeheuchcltem Er staunen Platz Ich soll meinen Gegner veranlaßen, Herr Justizrath — Seien Sie still und machen Sic zunächst die Thure dort »t zu. Ich will jetzt zu Ihnen sprechen und nicht zu Ihrem "urcaupersonal. — Während diese Herren der Gerechtigkeit in dieser Weise ihrem aufreibenden Berus nachgingen, saß Herr Gernot in seinem sogenannten Atelier vor einer wackeligen Staffelei, batte Pinsel unk Palette in den Händen, malte aber Nicht«. In starrem Mißmutk lag sei» Blick auf dem abscheulichen eintönigen Grau des Himmels, das sich wie ein Nebel auch um sein Gcmütb, um feine Seele zog — Herr Gernot war wie noch nie in Verzweiflung! Er haderte mit dem Schicksal, daö ibn in seiner Wuth nach Berlin geworfen batte, ihn, dem Formen und Farben so notbwcndig waren wie die Lust, der für sein großes Bild die Farben des Südens und die Formen des elastischen Allerthums brauchte! Wo sollten diese in Berlin Herkommen? Er kam sich vor wie eine Pflanze, die in dumpfer Kellerluft bleich dabinsiccht und sich sehnte — so sehr sehnte — wer weiß nach was! Herr Gernot hatte eS aufgegeben, in Berlin die Formen zu finden, die er brauchte; er war eS müde, sich immer und immer wieder Mißdeutungen, Mißtrauen und Verletzungen auSzusetzcn, er fühlte sich schließlich doch zu stolz, als Ziel scheibe faker Hohlköpfc zu dienen oder seine Künstler-Ideale mit den Grundsätzen der höheren Töchterschule in Ucbcrein- stimmung zu bringen. Wenn er aber kann bedachte, Wa den,, nun eigentlich werden sollte, so seufzte Herr Gernot tief auf — er wußte eS nicht! Er war so tieftraurig, so ver zweifelt, wie er eS nock nie gewesen war; nie batte er den un glücklichen Contrast zwischen einer reinen Künstlernatur und einer deutschen Großstadt so hart, mit so vernichtendem Pessimismus enipfunken. Und mit dem künstlerischen Kummer waren die Leide« deS Malers noch nicht einmal erschöpft, sondern eS kam noch etwas Anderes binzu. Er wollte eS sich selbst nicht gestehen, und vielleicht wurmte und wühlte eS deshalb um so mehr in ihm; was sollten ibm, dem armen Künstler ohne Namen, der deSbalb dock nicht weniger Künstler war, solche hoffnungslose Träumereien? Aber eS mochte mit Fräulein Mimie nun sein, wie es wollte, so bätte sie doch nicht mit ihm sein sollen! Er warf Pinsel und Palette auf den Tisch und ließ sich müde und traurig in einen Stuhl fallen. (Fortsetzung folgt.)
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