Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920714027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892071402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892071402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-14
- Monat1892-07
- Jahr1892
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
AbormemerrtSpreiS tu d«r hauvtexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aul» oadestellen abqeholl. vierteyadrlich.^4./iO, vei zweimaliger täglicher Zusiellung in« Hau« >l ö.üO. Durch die Posl bezogen siir Denffchland und Oesterreich: viertel,äbrlich S.—. Direct» tägliche ikr«uzband>e»dung tu- Ausland: monatlich ^ S.—. Die Morgen-AiiSgab» erscheint täglich'/,7 Uhr, di» Abeud-Ausgab« Wochentag« b Uhr. Ne-artion und Lrvrditiou: Johannes,«sie 8. Abcnd.Ausgabe. J«s^rtionSpreiS' Die 6 gespaltene Petitzeile 20 Reklamen unter demRedactioa-strich («ge« spalten) bv^, vor den Familtrnnachrlchte» (Ogeioaiirn) 40 GrStzere Schriften laut unserem Piekt- verzeichnib- Tabellarischer und Ztffrrusatz oach höherem Tarif. Extra-vellagen (gefalzt), uur mit da Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderua, 60.—, m»t Postbesürderung 70.-v An»ahmeschl«ß für Inserate: Die lkrpedltton ist Wochentag» «nunterbroche» geöffnet von früh 8 bt« Abend» 7 Uhr. Filiale«: Vit« Kl«mm s Sorttm. (Alfred Hatz»), Anzeiger. Abend-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. . Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. » Sonn- und Festtag» früh V,9 Uhr. Vei den Filialen und Annahmfftellea je et»» halbe Stunde früher. . Inserate sind stet-^an die Gxdevitla» U>iivtrsltät«slrah« 1. Laut» Lösch«. Katharinenstr. 14, pari, und KS»tg«platz ?. LMN für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Druck und Verlag von E. Pol« in Lelpiig. ^- 357. Donnerstag den 14. Zuli 1892. 86. Jahrgang politische Tagesschau. " Vritisia. 1«. Juli. In dem Kampsspiele Bismarck-Caprivi ist beute eine Pause cingetreten; die „Hamb. Nachr." bringe» lediglich eine Miltheilung über da« Woblbcfintcn des AllreichstaiizlcrS, der sich seine Laune und seine Cur durch keinerlei Angriffe und Verdächtigungen stören lasse; Gras Caprivi, der ansauglich mit der Veröffentlichung von amtlichen Aktenstücken so rasch bei der Hand war, schweigt, obwohl einige recht wichtige Fragen an ihn gestellt sind. Augenscheinlich bat er ein- gesehen, daß er, wenn er nochmals zur Veröffentlichung von Erlassen u. dergl. schreiten will, etwa- vorsichtiger in der Auswahl sei» »ins;. Diese Pause gestaltet, wieder einmal einen Blick ans die Bestrebungen jenes Tbeiles der Coi, servativcn zu Wersen, der oft genug mit dem Fürsten Bismarck in offener oder geheimer Fehde lag, aber während seiner Amtssübrung koch niemals mit so großen Hoffnungen und mit so ungestümem KampseSciser erfüllt war. wie seit dem Amtsantritt kcS eentrnmosrcnnv- lichen Grasen Caprivi. Unter diesem Stern ist ja so Manches erblüht, waS früher zum Vortbcil des Ganzen ein recht bescheidenes und knoSpenhafteS Dasein fristete. Wie sich der KreuzzeitungSflügel der Eonservativcn die Bliilbe und dir Frucht des unter die Zucht der Herren v. Hammcrstein und Stöcker gebeugten und von oben begünstigten Con servatiSmuS denkt, crgiebt sich ans einer Abhandlung der „Kreuzzeitung" über die „Anforderungen an das Programm der deutschen C vnscrva tiven ". In recht wesentlichen Punkten läßt das Blatt allerdings eine für die dunklen Bestrebungen seiner Clique sehr wobttbätige, für ehrliche Parteipolitiker aber unleidliche Vieldeutigkeit walten. Vieldeutigkeit jedoch nur für Solche, welche die letzten Ziele der Radikal-Reaktionären nicht durchschauen. Wer zu näherem Zusehen befähigt ist, findet in der Programm-Slizzr der „Kreuzzeitung" das Ideal dieser Richtung vorgezeichne», nämlich nicht etwa nur ein konservativ-klerikales Eartcl, son dern die Fusion des UltramontanismuS mit dem so genannten Conservatismu« der „Kreuzzeitung". Durch politische «ätze läßt sich Solches heutzutage noch nicht andcuten, wes halb dir „Krelizzeitung" mit mehr religiösen Phrasen dient. Man könnte Faust's Wort „das klingt sehr psäsfisch" an- weNtcn und geht vielleicht nicht fehl, wenn man niit seine» Gesellen Erwiderung „Pfaffen warcn'S auch" die Autorschaft deS Zeitungsartikels andeutet. Wenigstens siebt er ander weitigen Stöcker'schen Auslassungen zum Verwechseln ähnlich. In seinem Hauptpunkte läßt sich der Proarammcntwurf als eine Absage an den nationale» Gedanken bezeichnen — selbstverständlich eine Nothwcndigkcit für Jedermann, der sich mit dem Centrum innigst zu verbinden wünscht. Im Widerspruch mit diesem Wunsche steht allerdings die Betonung der monarchischen Gesinnung, die — in den jetzigen Zeitläuften gar nickt ungeschickt — in der Form bervortritt, daß man dem Liberalismus, lies National- liberaliSmuS, nachsagt, er habe sick „ein scheinbar royalistischeS Mäntelchen" nmgehängt. Dieser Vorwurf, durch die so oft als Frondeure erkannten Extremen er hoben, wiegt nickt schwer, fordert aber doch die Erinnerung heraus, daß nichts in diesem Jahrhundert so sehr zur Festi gung deS monarchischen Gefühls beigetragen hat, wie die, unter den Parteien vor Allem den Nationalliberalcn zu dankende Verbindung der Kaiserwürdc mit der Person W>l- helm's l. Die nationalen Gesichtspunkte, findet also die „Kreuzzeitung", seien zu sehr in den Vordergrund getreten und ebenso die wirtbschafilichen. Diese letztere Anschauung bat daS Blatt aber nicht gehindert, den Handelsverträgen in demagogischer Weise zu opponiren, und hindert es auch nicht, in dem Programmentwurf auf unbestimmte und darum ebenfalls demagogische Weise den Schutz deS „Bauern und überhaupt deS LandmannS" — vom Großgrundbesitzer ist merkwürdiger Weise nicht die Rede — in Bezug auf seine Erzeugnisse zu fordern. Diesen Schutz haben wir; warum sagt die „Kreuzzeitung" nickt ziffer-mäßig, wie sic ihn haben will? Daß übrigens die „sittlichen Rücksichten" unter der Betonung der nationalen und wirtlffchastlicken nickt all- zuscbr gelitten haben, konnte die „Krenzzcitung" an dem von ihr so schmerzlich beklagten AnSbrnck hclllodcrnder sittlicher Entrüstung leben, welche die Einbringung eines für die Interessen deS MerikaliöinuS zurcckt gemachten preußischen Schulgesetzes bervorgeruscn bat. Selbstverständlich ist dieses Schulgesetz als Eonscgncnz der gleichfalls geforderten kirch lichen Unabhängigkeit zur Ausnahme in daS Programm empfohlen. Der Punkt, um de» sich bei einer cvcnlucUcn Programmändcruiig Alles drehen würde, ist bekanntlich der Antisemitismus. Ganz wie Herr Stöcker will die „Krcnztg." keine gesetzgeberischen Maßnahmen gegen die Juden, sondern nnr die Indenbetzc als solche im Pro gramm. Nur thatsächliche Ausschließung der Inten von de» Aenitern wird verlangt. Wir bezweifeln, daß mit dicscr nnaufrichligcn Halbheit de» Antisemiten die Wähler weg- ackapert und damit der wichtigste Zweck des RevisionS- RuuiinelS erreicht werden wird; denn es gicbt koch noch Kanfleutc und Gcwerbtrcibenkc genug, die gar nicht davon erbaut lein werten, daß eine gewisse Eligue alle Aemtcr für sich reservircn und die Eonkurren; rer Jaden lediglich dem Handel und dem Gewerbe anfbürdcn will. Das Hanptereigniß in der letzten Sitzung des öster reichischen Abgeordnetenhauses war unbestritten Plcncr'S Rede, insbesondere deren politischer Tbeil, in dem er die Angriffe wegen der jüngsten politische» Haltung der Linken zurückwieS. Gegenüber dem Polcnführcr JaworSki sprach Plener seine Verwundtrung darüber ans, daß gerade der Pvlenclub der deutsche» Linken moralpolitischc Lehren ertheilen wolle, während doch die Polen anerkanntermaßen die größte Meisterschaft in der AuSnüyung politischer Lagen besitzen. Die Linke sei berechtigt, in bestimmten politischen Lagen auch bei sachlichen Vorlagen politische Fragen anszu- roUcn. Angesichts des von der Regierung beliebten Systems der Zusallsmehrheitcn hätte die teutschliberale Partei den Schutz der Interessen des deutschen Volkes auch bei der Berathung der Währungsvorlagen nicht außer Acht lassen können. Da» Ergebniß der Auseinandersetzungen mit der Regierung war ein solches, daß gegenwärtig ein politischcr Brnch mit der Rechnung für die Lmkc nicht empseblcnSwerth erschien. Damit sei die WäbrungSfrage wieder aus den von der Partei selbst gewünschten sachliche» Standpunkt gebracht. Gegenüber den versuchten Belehrungen dcö Iungczechcn Kramary Uber daS folgerichtige Verhalten einer großen Partei wieö Plener aus die reine» Partcirücksichtcn entspringende Gegnerschaft der Iunczechcn im Hause und auf deren regie rungsfreundliches Auftreten im Ausschüsse bin. Den von dem Slowenen Schukelje sHohenwartclub) an die Lintc gerichteten Absagebrief wies Plener mit der vornehm-ironischen Be merkung zurück, daß von der Linkcn noch nie rin politisches Zusammenwirken mit dem Hobenwartclnb angcslrebt Worten sci^ und daß Schukeljc'S Erklärung deshalb gegenstandslos wäre. Plener bedauerte schließlich die ungeklärte Lage der Dinge in Oesterreich. Die Liiike werde, da sic nicht die Macht habe, diese Lage zu ändern, für die Vorlage stimmen. Graf Taaffc wird sich dafür Wohl nicht einmal bedanken. Der Vicepräsident der französischen Deputirtenkammer Burdeau, welcher als der Nachfolger Eavaignac'S zum Marineminister berufen wurde, ist erst kürzlich in dem Processe, den er gegen den Antisemiten Drumont geführt bat, vielfach genannt worden. Burdean, welcher de» ersten Wahl bezirk von Lyon in der Kammer vertritt, ist am 10. September 18!>l in dieser Stadt geboren worden. Als der Krieg vom Iabrc 1870 auSbrack, war Burdeau Schüler deS Lvcve Louis lc Grand. Er unterbrach seine Studien, um als Frei williger zu den Fabnen zu eilen, wurde am 19. Januar 1871 schwer verwundet und gerieth in deutsche Gefangen schaft. Später wurde Burdeau zum Professor der Philo sophie am LncSe LoniS le Grand ernannt, in welcher Eigen schaft er sich auch durch literarische Arbeiten einen Namen machte. Als Paul Bert im Jahre 1881 daS Unterrichts ministerium übernahm, berief er Burdeau als Eabinetü- Ehcf an seine Seite. In den Iabrcn 1880 unk 1887 war Burdeau auch Berichterstatter für das UntcrrichtSbndgct und in dieser Session Berichterstatter für den Gesetzentwurf, be treffend die Erneuerung des Privilegiums der Bank von Frankreich. In einer großen Rede, die Burdeau nach seiner Wahl in Lyon hielt, sprach er sich für die Nothwcndigkeit der Kräftigung der RegicrungSgcwalt ans, woraus sich cr- aiebt, daß der neue Minister durchaus nicht z» der radikalen Partei gehört. Burdeau würde sich übrigens viel mcbr sür die Verwaltung dcS UnIerrichtSwcscnS als für das Porte feuille der Marine eignen. Die letzten Ergebnisse der englischen Parlaments- Wahlen haben den Eonservativcn die Aussicht ^benommen, auS dem Wahlkampfe als Sieger hervorziigeben. Schon beute verfügt Lord Salisbury nickt niebr Über eine Regierungsfähige Mehrheit, und wenn seine Niederlage auch keine schwere sein wird, so ist nach allen bisherigen Erfahrungen die Möglich keit ausgeschlossen, daß es ihm »och gelinge» könnlc, die erlittenen Verluste wieder cinzubringen. Die konservativen Blatter gestehen auch nnnmwunten ein, daß die Gegner die Mehrheit haben werden, halten diese aber für so schwach, daß entweder Gladstone von vornherein darauf verzichten müsse, die Negierung zu bilden, oder aber gezwungen sei, Homerule fallen zu l a sscn, um wirtbschaftlicke Reformen in den Vorder grund zu stellen, die ihm die Unterstützung der liberalen Unioniste» cinbringen würden, die eben wegen Homerule seine Fahne verlasse» haben. In der Thal scheint ebenso wenig Aussicht vorhanden, daß die Liberalen eine ncnucnSwcrtbe Mehrheit zusammenbringcn werden. Allem Anscheine nach werden beide Parteien sick hilfS- und machtlos in fast gleicher Stärke gegenüberstehcu. Unter diesen Umständen ist cS noch zweifelhaft, ob Lord Salisbury sich entschließt, sofort von der Regierung znrückzutrelcn. Wahrscheinlich wird er vorder Glacstone zur Vorlegung eines vollständigen Pro- grammcS zwingen, um seine Entschließungen darnach fassen zu können. Entschieden scheint nur die Homerulcsrage. DaS Vaud ist offenbar dieser gegenüber entweder gleichgiltig oder feindlich gesinnt. Nirgends herrscht dafür der geringste En thusiasmus. und wenn morgen Gladstone sterben sollte, so würde diele vorher so wichtige Frage fast ohne Weiteres aus dem Vordergrund der englischen Politik verschwinden. Die wenigen Wahlsiege der Arbeiterpartei haben den Liberalen viel Sorge bereitet, und Gladstone selbst soll überaus gereizt gegen die Socialdcmokratcn sein, zumal er ihnen nachweislich den Verlust von wenigstens 0 bis t> Parlamentssitzen zu verdanken bat. Zur Erklärung deS ganzen Wahlverlaufs darf nicht über sehen werden, daß mehr denn je locale Gründe ausschlaggebend bei denselben gewesen sind. Bn gar vielen Fällen habe» die Gewählten ihre Sitze geradezu erkauft, allerdings nickt durch direkte Bestechung bei den Wahlen selbst, sondern dadurch, daß sie jahrelang in Voraussicht de« kommenden Kampfes mit offener Hand in ihren Wahlkreisen daS Geld ausgestreut haben. Da, wo die Candidaten reiche Leute waren n»d daS Geld nickt gescheut hatten, sind nirgends ihre Sitze in Gefahr gewesen, ja, nur überaus selten haben ihre Mehr heiten gelitten. So erzielte ein steinreicher Möbelfabrikant eine nach Tansciide» zählende Mehrheit, obwohl sein Sitz politisch für außerordentlich gefährdet galt. Gladstonc'S Ein fluß ist offenbar nickt nur in England, sondern auch in Schottland und Wales stark im Schwinden begriffen, und einen sicheren Beweis hiervon giebt der Umstand, daß Glad- stonc in seinem eigenen Wahlkreis diese- Mal nur mit der geringen Majorität von 073 Stimmen gewählt worden ist, während bei der letzten Wabl im Iabre 1885» seine Mehrheit 1031 Stimmen betrug. Nur durch den Zuzug der irischen Anti- parncllitcn wird seine Partei stark genug sein, die Eonser- vativen in die Minderheit zu bringen, und so läßt cS sich denn überhaupt noch nicht abschen, WaS werden soll. DaS Ergebniß des jetzigen Wahlkampfes wird Gladstone jedenfalls nickt gestatten, an die Lösung von Homerule schon im jetzigen Parlament heranzutretcn. Die Unionisten werden immerhin stark genug sein, ui» ihn zu einer Auslösung deS neuen Par laments zu zwingen. Homerule dürfte daher noch lange auf sich warten lassen und vielleicht niemals so, wie die Frage diesmal gestellt worden ist, gelöst werden. Nach dem neuesten Telegramme sind bis jetzt gewählt: 228 Conser- valivc, 10 Unionisten, 2l4 GlaLstvncaner, 7 Parnelliten und 12 Antiparnelliten. DaS M assen ausgebot der Pinkerton scheu Geheim polizisten und ihre Heimscndung mit blutigen Köpfen seitens der Arbeiter in Homestcad bei PiltSburg in Pcnnsyl- vanicn sind ein deutlicher Beweis von Zuständen, wie sie sich in dieser Art vielleicht nur im Bereich des StcrnenbannerS sindcn und einem an die geordneten Zustände seines Vater landes gewöhnte» Deutschen fast unglaublich erscheinen. Zur Erklärung der gedachten Vorkommnisse möge Folgendes diene»: Vor 15 Jahren gab cS in Pennsylvanien einen der größten Anssläude, welche» die Vereinigten Staaten je erlebt haben: den Ansstand der Eisenbahnangestellten der Pennsyl vania-Eisenbahngescllschaft. In wenigen Tagen war der Betrieb der Riesenbahn völlig lahmgelegt. AlS Vcrbandlnngen nichts nützten, gebrauchten die Ausständigen die Brandfackel, und Eigenthum im Wertbc von 20 000 000 -ckk ing in Flammen auf. Die Miliz zeigte sich im erbärmlichsten ickste. Erst als Bundc-militair anfgeboten wurde, hörte die Anarchie auf. Als der AnSstand nun zu Ende war, beschlossen die Geldmagnatcn, die Wiederholung solcher Vorgänge zu verhüten. Sie hatten eiiigeschcn, daß aus Polizei und Miliz kein Verlaß war. Das Ergebniß der Beratbungen war, daß die „Pinkertou Leute" ins Leben gerufen wurden. Allen Pinkcrton war damals der Leiter der größten Detectiv- Ageniur in den Vereinigten Staaten Er batte ein kleine» Heer von sogenannten Geheimpolizisten gesammelt — den Abschaum der Erde, meistens entlassene Sträflinge. Dieses Heer wurde dann ans die doppelte Zahl gebracht und sorgsam im Wassenbrauch geübt. Der Sold ist hoch, er beträgt 5 Dollar« den Tag und NcbenauSgabcn. Dafür muß aber der Pinkcrton'sche Landsknecht auf Befehl Jeden tödten, wenn es seine Vorgesetzten befehlen. Wenn nun rin großer AnSstand anSbricht, so lelegraphiren die Fabrikanten einfach an Herrn Pinkcrton. und dieser schickt 100 bis 1000 seiner Mannen. Der Sheriff beeidigt schließlich die Pinker^ tvn'schc» Herren, wodurch sie Beamte werden. Jahre lang haben die PinkertonS wie die Pest gebanst, friedliche Bürger niedei geschossen und alleni Recht und Gesetz Hohn gesprochen. Die Sache wurde schließlich so stark, daß in mehreren Staaten Gesetze erlassen wurden, wonach Jeder, der Pinkcrton'schc DetectiveS importirt, sich strafbar macht. In Pennsylvanien cxistirt jedoch ein solches Gesetz noch nicht. Wen» man die Berichte über die Vorfälle in Homestead vor- urtbeilSloS liest, so tbut man gut, sich die Frage vorzulege», wo Leben und Eigenthum besser geschützt ist, in der großen freien Republik, oder in den »ivnarchischen Staaten Europa». — Nach Homestead sind inzwischen weitere Truppen unter wegs Bis Dienstag sollten 0000 Mann in der Umgegend der Stadt versammelt sein. Die Arbeiter haben beschloffcn, die Miliz mit Musik zu bewillkommnen. Es wird jetzt kaum mehr zu blutigen Auftritten kommen. Deutsches Reich. 88 Berlin, 13 Juli. Der Reichskanzler Graf v. Capriv i beabsichtigt vor der Rückkehr de» Kaiser», welche nach den neuesten Dispositionen erst Anfang August ersolgen dürfte, Berlin nicht zu verlassen. AlSkann will er auch keinen weiteren Urlaub mcbr nebmc», da er nach der Karlsbader Cur sich reckt gekrästigt fühlt. Alle Morgen besucht er, theil» zu Fuß, theils zu Pferde, den Thiergarten, und auch am Feuilleton. Der Letzte seines Stammes. iss Licht- und Schattenbilder von Woldemar Urban. Nachtru» vkrbotn». (Fortsetzung.) Vl. Der Winter war vergangen. Graf Coda hatte viel Gelegenheit gehabt und genommen, mit der Familie MariuS zu verkehren und man war allseitig gewöhnt, ihn bei Eon- certen, Bällen, in den Theatern und Gesellschaften mit der gcbeimräthlichen Familie zu sehen. Iustizrath Markwaldt erzählte Jedem, der dafür Interesse zeigte — und wer hätte sür solche offene Heimlichkeiten kein Interesse —, daß die Ver lobung nur noch eine Frage der Zeit wäre, die Sache sei in Lrdnung, wenngleich ein ofsicielleS Eingeständniß noch nicht erfolgt wäre Kein Mensch batte Grund, anzunebmen. daß sich vir Sache ander» verhielte, denn von keiner Seite er folgte eine Verneinung, und da die Menschen nun einmal geneigt sink, für ihre Mitmenschen mit ktug zu sein, so fand man, daß die Beiten vorziiglich zu einander paßten und Alle» in schönster Ordnung sei. Tauchten trotzdem einmal Bedenken gegen die Meinung de» Iustizratbs Markwaldt aus, mit der Hinweisung darauf, daß sich Fräulein Marin« dock im Ganzen streng und außergewöhnlich unzugänglich zeigte, so pflegte er i» sagen: Mein Gott, e« bat immer Leute gegeben und wird immer solche geben, die da» Gra» wachsen bvrrn. Ich bin tagtäg lich im Verkehr mit den Herrschaften und muß darum wissen. UebrigenS spricht schon der bloße Tbatbestand für mich. Wenn meinc Meinung falsch wäre, wenn da» Vcr- bäliniß nickt so beschaffen wäre, wie ich sage und wir alle Welt sagt, so würde doch gewiß von irgend einer Seite «in Dementi erfolgen. In diesem Fall« ist e» eben richtig, daß man eine Bejahung annimmt» wo rinr Verneinung nicht "folgt. Somit batte der Iustizrath vollständig Recht. Eine Ber- ncinuug war nicht erfolgt, weder von Seite» des Grase» Eoda. noch von irgend einer Seite der Marius scheu Familie. Die Sache war also in Ordnung. Hätte Fräulein Mimik indessen gewußt, in welcher Weise Herr Iustizrath Markwaldt ihren Umgang mit Graf Eoda beflissen war darzustellcn, so wäre vielleicht anzunebmen ge wesen, daß sie vermittelst einer beroischen Auflassung ibre leider Gottes anrrzogcne Unselbstständigkeit abgeschütlelt und dagegen protcstirt batte. Aber so wußte sie davon Nichts; gegen waS hätte sie denn protestiren sollen? Herr Gras Adelmar war ein liebenswürdiger, unterrichteter Gesellschafter, ein feiner Eavalier und vollendeter Edelmann, verdintlick^ »eit, »»»erhaltend — sollte sie ihm da» Alle» verbieten ? Sie hätte sich ja lächerlich gemacht. Ihre Eltern hatten weder den Willen, sie über die Eonsequrnzen ibreS Verkehrs mit Graf Adctmar anfzuklären, noch saben sie die Nolbwendigkeit ein. So blieb also Fräulein Mimik mit ihrem LebenSglück, mit ihrem natürlichen Anspruch an das Leben, mit dem Eomsort ibreS Herzens in den Grenzen der Eonvenienz hängen, die andere Leute beflissen waren, ihr zu wahren Fesseln zu machen. Von Herrn Gernot batte sie merkwürdiger Weise nichts wieder gehört. Nur einmal hatte sie Hoffnung gefaßt und geglaubt, er bade ein Lebenszeichen von sich gegeben. Ter alte KrauSnitz batte erzählt, daß am Weihnachisbeiligenabcnd im Comptoir ihre» ValcrS eine Kiste aus Rom angekommcn sei. AlS man sie aufgemacht hätte, habe man prachtvolle sriscke Rosen und zwei große grüne Zweige mit gelben Orangen darin gesunken. Auch ein Brief sollte dabei ge wesen fein. Eie batte daraufhin ihren Papa darnach gefragt, weil sie unwillkürlich angenommen batte, da« sei ein Lebens zeichen von Herrn Gernot, aber Papa batte gesagt, eS sei nur ein Irribum ber Post, die Kiste sei für den Marin» in der Wilbelmstraße bestimmt gewesen. Sie batte anfangs unter dieser betrübenden Schweigsamkeit entsetzlich gelitten; aber da« Leben einer Millionairin in Berlin giebt traurigen ReminiScenzen wenig Raum. AUmälig war da» Bild de» Herrn Gernot in ibr blaß und blässer geworden und nur in ganz stillen Stunden tauchte e» brrauf, dann aber zu einer binreißrndrn Kraft unk rührenden Gewalt. Es war also Frühjahr geworden. Hell und blinkend lugte die Sonne in die Straße» von Berlin hinein, als ob sie die Leute hätte verlocke» wollen, dock endlich einmal wieder Rübe zu batten und sich des Lebens zu freuen. Aber daS Getöse ging weiter, die Sonne batte keinen Erfolg Graf Adelmar saß in seinem Zimmer und starrte nach denklich vor sich bin. Er war allein. Vor ilim lag ein Stoß Briefe, die alle an ibn adresfirt waren, aber er batte noch keinen geöffnet. Er war augenblicklich in tiefsinnige Be trachtungen versunken über den Wechsel ber Zeiten Nock vor IadreSsrist hatte er sich immer nur mit Grauen und Widerstreben an die Erledigung seiner Eorresponkcnz ge macht. Mit Kummer und Zerknirschung batte er damals escben, wie der Verlust von Vermöge» und Stellung den Krliist der Freunde und der Freundschaft, ja der Achtung feiner Person im Gefolge batte. Damals waren Rechnungen und grobe Mabnbriefe, Abweisungen aller Art gekommen. Niemand hatte etwa» von ihm wissen wollen und am Meisten batten ibn noch die getränkt, die überhaupt nicht kamen. DaS Xntcrlasscn all' der kleinen angenehmen Gewohnheiten, da« Ausbleiben der Geburtstags- und NenjahrSgratulationen, der Einladungen, da» war'«, was ibn, damals fürchterlich zu Herzen gegangen war, waS ihm wie die Vorboten des Endes, der Nacht, des Todes erschienen war Der Iustizralb batte daS einmal treffend in das Wort: Die Ratten verlassen da» Schiff — zusammcngcfaßt. Und nun? Nun stand er wieder in dem rosigen Schein, in dem glübend strahlenden Morgenrotb der Millionen, die sür ihn nn Ausgehen begriffen waren. Und er batte sie noch nicht einmal; wie mußte erst ibr Besitz erwärmen und er leuchten, i» welchen» Glanz mußte er erstrahlen, wenn er erst diesen Zauberslab de« EatanS schwang? Nachlässig ließ Gras Adelmar die Briefe durch die feinen Finger gleiten. Gratulationen. Verbindlichkeiten, liebens würdige Plaudereien » s. w. bewiesen ihm, daß sein alte» Prestige wieder zurückerobcrt war; er war nicht mehr „ver kracht", seine Freunde Wicken ibm nickt mehr au«; er batte Alle« wirdergrwonnen, wa« er an Achtung der Welt und Freundschaft feiner Mitmenschen ringebüßt batte — und doch war er unverändert! Er war der Alte geblieben, mit allen Vorzügen und Feblern derselbe wie früher. Woran lag e» also, daß er bald mißachtet, bald hock geachtet war? Tie Welt ist toll! seufzte er endlich auf und machte sich über die Erledigung seiner Eorrespvnden; brr. Langsam nahm er einen Brief nach dem andern, besah die Aufschrift, manchmal auch die Rückseite, roch manchmal daran — er war schon wieder soweit »u satt, daß er seine Eorrespondentkn a», Parfüm erkannte — aber er legte alle wieder unerösinet bei Seite. Endlich nabm er aufmerksamer, fast bastig, ein kleines, aber dicke« Couvert auö dem Stoß heraus, öffnete es rasch und la» es. Das Bittet lautete: „Lieber FreundI WaS habe ick Ihnen gegenüber verbrochen» daß Sie Ibre Anfrage vom 1b. d. M. mit einem steifen und fast un freundlichen „Hochzuverehrenten Herr RegierungSratb" Uber- schrciben? Seit wann bin ich nickt mehr brr „Liebe Georges" oder der „alte Kannitz", der ick früher für Sie war? Ich gebe meine Ansprüche auf Ihre Freundschaft nicht so rasch ans und reclamire hiermit mein wohlgcmeffenes Theil, WaS mir zukommt." Dock »un zur Sache! Sie hätte» sich in, Aufträge — man darf jetzt Wohl sagen — Ihres künftigen Schwiegervater«, deS Geheimrath» Mari»«, behufs Erkundigungen Uber die diesigen, auSgedrhnten Kohlenwerke an keine bessere Ouelle wenden können, da ich sowohl amtlich als auch privatim eine Menge Unterlagen über diese Vcrbältnisse zur Verfügung habe und vor allen Dingen Angaben machen kann, die ber thalsächlichen Situation entsprechen und dir zollen Erfindungen, die an der Börse Uber allerdings bestellende Zerwürfnisse verbreitet sind und den Sturz der Aktien veranlaßt haben, in ihre richtig» Würdigung zurückweisen. Tie Bergwerke baden immer, wie auch aus den Dividenden der srüberei, Jahre ersichtlich ist, einen beträchtlichen Nutzen gebracht, und würden da« auch jetzt noch »hun. wenn di« Actionairr einig wären und sich nicht schon seit fast zwei Iabre» in zwei Lagern gegenüber ständen. Di« eine Partei, bauptsäcklich die Direktoren, Verwaltung»- und sonstigen Beamten der Bergwerke, speculir« auf Baisse, um den „och im Publicum siebenden AciienfondS billig an sich bringen zu
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite