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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920721024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892072102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892072102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-21
- Monat1892-07
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Auf der Katholikenversammlung in Neisse, über die gestern kurz berichtet worden ist, baben, wie aus den aus führlichen Berichten hcrvorgcht, die Hauptredner der ReicbS- regicrung in aller Form angekündigt, das; das Centrum sich keinen Aligenblick bedenken werde, in die Opposition zu trete», wenn die preußische Regierung sich eiiifallen lassen sollte, in der Sch ul frage den „Liberalen und Freimaurern" Con- cessionen zu machen und wohl gar auf die Goßlerschc Schulvorlage, die ja bekanntlich auch die Zustimmung der konservativen fand, zurückzugreisen. Dieser Drohung gegenüber ist cs mit Freude zu begrüßen, daß nach zuverlässigen Informationen der „Nat.-Lib. Corr." die preußische Regierung nicht daran denkt, in der bevorstehenden Schlußtagung des Landtags ein neues VolkSschnlgcsetz vor- znlegen. Auch ein TvtationSgcsctz wird vorläufig nicht vorgelcgt werden. Das Letztere mag man bedauern. Dagegen kann eö nur unsere Zustimmung finden, daß man in der gegenwärtigen Zeit nicht noch einmal in Preußen den Versuch macht, die großen Principicn- fragen auf dem Gebiet der Schule zu lösen. Ter Versuch wäre bei der gegenwärtigen Stimmung und politischen Sachlage aussichtslos und würde nur wieder die heftigsten Kämpfe im ganzen Reiche Wachrusen. Noch zittert ja die Erregung über die Ereignisse dieses Frühjahrs mächtig in der ganzen Ration nach. Bei de» schroffen Gegensätze», wie sie jetzt herrsche», ist auf diesem Gebiet an eine Gesetz gebung, die einigermaßen Bcrukigung schafft und Dauer ver spricht, nicht zu denken. WaS die eine Partei als Erfüllung ihrer Wünsche anschcn würde, darin würden andere eine schwere und unerträgliche Vergewaltigung erblicke». Darum ist eö besser, man erneuert jetzt wenigstens den Versuch nicht. In einem Jahr stehen die Neuwahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus bevor; sic werten ohnebin reichlich genug von der kirchcn- politischen Bewegung beherrscht werden. Diese Frage noch mehr und fast ausschließlich in den Mittclpuuct der Wahl- bewegmig zu schieben, kann kaum irgend eine Partei und am wenigsten die preußische Negierung wünschen. Ergeben die neuen Wahlen, wie wir hoffen, eine wesentlich andere Zusammensetzung des preußischen Abgeordnetenhauses, so mag man auch wieder in Erwägung ziehen, ob mit besserer Aus sicht auf Erfolg an die Schulgcsetzzebung Hand angelegt werden kann. ES bat anssallen muffen, daß der „Reichs-Anzeiger" bisher nur den Rücktritt deö preußischen Gesandten bei der Curie, v. Schlözer, gemeldet hat, und nicht zugleich, wie dies üblich ist, die Ernennung seines Nach solgers. TaL hätte in diesem Fall um so leichter geschehen könne», als alle hierdurch bedingten Verschiebungen bereits geordnet sind. Es ist bestimmt, daß an Sckilözer's Stelle der deutsche Gesandte in Bern, v. Bülow, »ach Rom, an dessen Stelle der deutsche Gesandte in Stockholm, Hr. Busch, nach Bern und für diesen General v. Wedelt nach Stockholm chcn wird. Alle riese Personal-Veränderungen hätten also mit eichligkcit gleichzeitig veröffentlicht werten lönne». Sicherlich ist dies nicht ohne bestimmte Absicht unterlasse» worden. ES lassen sich nur zwei Gründe dafür aussindcn. Entweder sind die erwähnten Persoiialbestimmungen noch nicht so cnd- giltig getroffen worden, wie man bisher ziemlich allgemein angenommen batte. In diesem Falle hätte aber auch mit der amtlichen Bekanntgabe der Entlassung Cchlözer's noch kurze Zeit, bis zur Rückkehr des Kaisers, gewartet werden können. Wir sind daher geneigt, den anderen möglichen Grund für den zutreffenden zu halten. Indem man von der Gepflogenheit abwich und dem zurücktrctcndcn Gesandten Preußens bei der Eurie nicht sofort einen Nachfolger gab, wollte man wabrschcinlich von Berlin aus der berechtigten Mißstim mung über die neuerliche dreibundscindliche und sranzosenfreund- lichc Politik des Vaticans einen deutlichen Ausdruck geben. In ström, wo man feine Ohren hat, wird man dies sicher schon verstanden haben. Ob man sich bessern wird, ist nach Lage der Tinge zu bezweifeln. Augenscheinlich ist man im Valican entschlossen, den betretenen Weg weiter zu verfolgen. Daraus deutet die bevorstehende Abberufung des päpstlichen Nuntius in Wien, Msgr. Galimberti. der, ein enger Freund Schlözcr's, stets für daS Zusammengehen der Curie mit den drei verbündeten Fricdensmächlen gewirkt hat. Galimberti ist bekanntlich wiederholt in besonderen Aufträgen des Papstes in Berlin gewesen und hat durch seine erfolg reiche vermittelnde Tbätigkcit nickt wenig zur Beilegung des damaligen kirchenpolitischcn Streites in Preußen bcigetragen. Es ist ein bcmcrkenswerthes Zeichen der Zeit, wenn dieser päpstliche Diplomat nunmehr kaltgestcllt wird. Wenn dies auch in der Form der Erncnnimg zum Cardinal geschickt, so wird dock die große politische Tragweite dieses Vorganges nicht zu verkenne» sein. In der Fahrt der deutschen Krcnzer-Corvelte „Arkona" »in Süd-Amerika herum zum Kreuzergeschwadcr nach Ost asien ist eine Aendcrung gegen die ursprünglichen Bcstim- »innzen cingetrelen. Als das Schiff am 4. Mai Wilhelms haven verlassen hatte, wurde in dem amtliche» Verzeichuiß der Schisfe-bcwegungcn angekündigt, es würde über die Cap Verdi'schen Insel», Rio de Janeiro, Bucnos-Ayrcs und Punta ArenaS (Magellanslraße) »ach Valparaiso gehen, wo es am 3. Juni cintrcffcn sollte. Nunmehr aber ist die Corvette seit dem 0. Juni in La Guyara, der Hafenstadt von Caracas (Hauptstadt von Venezuela), und die Zeit der Abfahrt von dort ist noch nicht bestimmt; La Gnayra bleibt Poststation für daS Sek iss, welches somit gleichsam vorläufig an der Nordküslc Südamerikas stalionirt ist. Eine Erklärung für diese »euere Anordnung läßt sich unschwer finden. In Venezuela herrschten in letzter Zeit tiefgehende Unruhen mit inneren Kämpfen; deutsche Inter esse» sind aber i» jenem Lande stark vertreten; von den etwa 30 000 Europäern, welche in dem Lande leben, bilden die Deutschen binter den Spanier» die zwcil- größte Zahl. An dem Wcrlke der Ausfuhr von LandeS- protuctcn in Höhe von sünsundscchzig Millionen nimmt Deutschland mit etwa zwcinndzwaiizig Millionen Mark ikcil und steht dabei an erster Stelle; an der Einfuhr im Wende von 00 Millionen bctheiligt sich daö deutsche Reich mit 10 Millionen und stekt unter den betreffende» Staaten a» dritter Stelle. La Gnayra wird von zwei Hamburger Dampserlinien der Hamburg Amerikanischen Packclfabrt Ge sellschaft berührt, nämlich der Linie Hamburg, St. Thomas Savanilla »Columbia) und Hamburg-Cartagena (Columbia) mit einer Fahrt von 30—32 Tagen. La Gnayra ist 10 km von der Hauptstadt Caracas entfernt, aber mit dieser nicht einmal durch eine Eisenbahn verbunden; der Schutz der Deutschen durch ein Kricgssckiisf ist jedoch ein ausreichender, da die meisten Deutschen in den Häfen wohnen und Fort ihre Besitztümer haben. Daß die Einberufung der böhmischen Abgrenzungs- Commission für die BczirkSgericktssprengel un Lager der Czechen große Aufregung verursacht hat, haben wir bereits vorgestern gemeldet. Aus de» beute vorliegenden Nachrichten gebt hervor, daß die czcchischcn Organe den äußerste» Wider stand antunkigen, falls man es wagen sollte, das Werk der „LandeSzerrcißnng" fortzusetzcn. Eö ist daber voranszuselien, daß die Hcrbsttagmig des Prager Landtages stürmisch werden wird, da dieser die Beschlüsse der Abarciizungscommission zur Begutachtung unterbreitet werden müssen. Wäre den czcchischcn Blättern zu glauben, so wäre schon jetzt entschieden, daß die Land tagsmehrheit daS Zustandekommen eines Gutachtens überhaupt verhindern werde; es ist aber eher anzuncbmcn, daß so viel Lärm geschlagen wird, weil man besorgt, die feudalen Groß grundbesitzer tönntcn der Regierung zu Liebe ikrc Haltung wieder Ltwas ändern, in dieser Frage aus Seiten der Deutschen treten und dadurch der Ausglcichspartei im Landtage die Mehrbcit verschaffen. Möglicher Weise gelingt auch diesmal die Einschückttcrung der Feudalpartei und in diesem Falle wäre cS Sacke der Regierung, im eigenen Wirkungskreise vorzngcken. In deutscl'böhinischcn Kreisen ist man ohne dies bescheiden; man hofft in diesem Jahre nur auf die Er richtung zweier neuer Bezirksgerichte, vorausgesetzt, daß der Justizmiuistcr Gras Schimborn von seinen früheren Bedenken, in eigener Competenz zu handeln, abgekommen ist. Vielleicht veranstalten die Jungczcchcn eine neue „Ministcranklage" gegen den Grafe» Schimborn, der sich dann nicht mehr, wie im Falle von Weckclsdors, aus ein vor Jahren ergangenes Gutachten des Prager Landtages zu berufen in der La,ze sein wird. Vielleicht wird Gras Schönbvrn, von dessen Rücktritt in der letzten Zeit viel gefabelt wurde, dieser „Gefahr" die Stirne bictcr. müssen, vorausgesetzt, daß cs richtig ist, daß in den letzten Besprechungen der Führer der deutschen Linken mit dem Grasen Taasfe eine Verständigung nickt blos mit dcui Ministerpräsidenten, sondern mit dem Gesammtministcrium erzielt wurde. Tic jüngste» Erklärungen des Abg. Ilr. v. Plcner im Abgcordnctcnbansc, in denen er die Geneigtheit der Ver einigten Linken erklärte, bis auf weiteres dein Cabinet Taasfe die parlamentarische Unterstützung zu gewäbren, würden auf eine solche Verständigung schließen lassen, doch wäre cS nolb- wendig, daß endlich de» Wäblcrn klarer Wein eingesck'änkt würde. In der Valntafragc wurde Gras Taasfe durch die Deutschen gerettet. Vielleicht opfert er seinen Juslizminister, wenn dieser einmal nicht z» Gunsten der Deulschböhmen einschwcnken will. Es ist anzuiicbmen, daß die Herbst- lagnng des böbniischcn Landtages ein Fortschrcitc» der Ab grenzung oder eine Krisis im Justizministerium im Gefolge haben wird. Bei nnsern Nachbarn jenseits der Bogesen hat die mehrfach erwähnte AnslafsungdeSKammerpräfideittenF log net über die von der Geschichte vorbereitete „Revanche" das sommerliche Rcvanchesicbcr wieder zum Ausbruch gebracht. So schreibt Herr Goblet in der „Pelite Republ.": Es sei vorbei mit der Politik der Enthaltung. „Unsere Wehrkraft ist größer als jemals unter einer früheren Regierung. Zu welchem Zweck? Ein neuer Angriff ist nicht zu fürchten; Niemand denkt daran, uns anzngrcisen, oder hat eine Ursache dazu. Haben wir andere Absichten? Wer kann es sagen? Wir warten auf die unausbleibliche Gerechtigkeit der Ereignisse; aber diese Ge rechtigkeit waltet gewöhnlich nicht von selbst." Sehr richtig; wir werten auch nie vergessen, daß cs Leute gicbt, die der „Gerechtigkeit" nachhclfen möchten. Jndeß wäre Herrn Goblet und Genossen anzurathe», ihr Augenmerk auf andere Dinge in ihrer Hauptstadt zu richten, die sich auch nicht von selbst machen und doch der thätigen Fürsorge sehr bedürftig sind. Nach den auS Paris vorliegenden Berichten macht sich dort zunächst infolge der ungcwöbnlichcn Hitze die Wasser srage empfindlicher als jemals fühlbar. Wie man weiß, haben sich beständig vier Stadtbezirke, von Monat zu Monat mit vier anderen abwechselnd, mit dem ungenieß baren Scinewasser zu begnügen. Es ist ein Wunder, daß in Paris der Gebrauch dieser namenlosen Flüssig keit keine schlimmeren Wirkungen herbeigefülirt hat. Nach dem Zeugnis; aller Aerztc ist ihm die cholerasörmigc Epidemie der Vororte, die sämmtlich dem Bereich der Seinekrüm- niung von Asisiörcs bis Argenteuil angcbörcn, unbedingt zu- zuschrciben. Aber auf die Wasscrnoth, der erst binnen zwei Jahren durch die Zuführung neuer Quellen gesteuert werden kann, hat sich eine andere Schwierigkeit gepfropft, die in nicht geringerem Grade die öffentliche Gesundheitspflege anaeht. Die ^Ltadt Paris ist mit der Gefahr bedroht, sich ihrer häus lichen Abfälle nicht entledigen zu können. Uebcr deren Ab fuhr hatte man fick, bisher nicht zu beschweren. Tie großen Wagen der Abfuhr-Unternehmer führen vor 10 Uhr Morgens den Unrath der häuslichen Müllkisten aus den meisten Straßen hinweg. Aber »un weigern sich die Vororte, den Inhalt dieser Wagen anszunchme», ja, viele von ihnen wollen, aus ein ge setzliches Recht gestützt, den Wagen nicht einmal mehr die Durchfahrt durch ihr Gebiet gestalten. Die Unternehmer tönncn also ihre Waare nickt mehr absctzen, und wenn das »och eine Weile so fvrtgcht, müssen sie contractbrüchig werden. Wohin mit den Abfällen? Man hat daran gedacht, sic zu Wasser, auf der Seine und den Canälen, in die entferntere ^Provinz zu schicke»; aber die häufige Unterbrechung der Schifffahrt, im Winter namentlich, macht dies Verfahren unräthlich. Somit bleibt nur die Benutzung der Eisenbahnen übrig. Tic Eisrnbahiigesellschaften haben sich nach langer Weigerung aus dringende» Zureden der Regierung bereit gesunden, die Beförderung der Abfälle zu einem sehr ermäßigten Tarife zu besorgen; aber da dieser Transport, bei dem sic nichts gewinnen, die Schaffung besonderer Bahnhoss-Abiheilungc» und Einladcstellcn erheischt, so verlangen sie, daß die Stadt die Kosten dieser Einrichtung trage. Wohl oder übel wird der Gemcindcralh sich in diese Forderung fügen müssen, wenn er nicht die Pariser verpesten lassen will. So sicht cs in Paris aus. Paris ist noch immer die alte Schmutzstadt. Daö hindert aber die Franzosen nicht, nach einer „Revanche" zu schreien, die ihnen vielleicht — die Cholera gewährt. In England will man sich nicht davon abbringen lassen, daß hinter dem herausfordernden und übermüthigen Auf treten des Emirs von Asgbanstan dem Vicctönig von Indien gegenüber nichts Anderes zu suchen sei, als eine Jnlrigue der russische» Pioniere in Mittelasien. In dieser Feuilleton. Der Letzte seines Stammes. 18s Licht- und Schattenbilder von Wolde mar Urban. Nacht,UN verboten. (Fortsetzung.) Wenn Fräulein Mimie Herrn Gcrnot so gesehen hätte, inmitten fremder Menschen, die wohl helfen wollten, aber nickt konnten, weil sic selbst Nichts hatten, bleich und ohn mächtig ans dürftigem Lager in beschmutzten und zerrissenen Kleidern, das Gesicht zerichunden, die Augen — die inter essanten Augen geschlossen, der Bart in Unordnung — sic hätte gewiß mit Herzeleid nnd Tbränen solch' traurige Reflexe ihrer Verlobung beklagt. Indessen war es bell geworden, die Sonne sandte ihre ersten erwärmenden und belebenden Strablcn über die Cam pagna und schien auch die Lebensgeister des Herr» Gcrnoi wieder wachznrusen. Er schlug die Angen verwundert ans und verlangte zn trinken. Vorsichtig flößte man ihm etwas Wein ein und reichte ibm auch ein wenig Brod. Er erholte sich erstaunlich rasch. Die Umstehenden, abergläubisch und furchtsam wie sie waren, glaubten schon, es ginge nickt mit rechten Dingen z», aber Herr Gernot war nach Verlauf kurzer Zeit im Stande, sich von seinem Vager zu erbeben und seine Kleider mit Hilfe der Anderen wieder in Ordnung zu bringen. Er erkundigte sick, wo er war. Wie weit ist's bis Mentana? fragte er dann. Wenn Ihr Euch kräftig fühlt, zu Pferde zu steigen, so könnt ihr noch dort frühstücken. Wollt Jhr'S wagen? Herr Gcrnot nickte müde und traurig und stieg dann zu Pferd. ES war ibm Alles gleickgiltig, er süblte sich so grenzenlos elend und unglücklich, daß er nicht im Geringsten begriff, was er überhaupt noch auf der Welt sollte. Man ritt fort von den Mollctte. In Begleitung des WirlhcS und eines Arbeiters hoffte Herr Gcrnot nach Mentana zu gelangen. Tie srisckc Morgenlust that dem jungen elastischen Körper dcS Herrn Gernot sichtlich wobl und so kam eS, daß auch sein Geist wieder rege wurde und sich fein Interesse seinen beiden Begleitern zuwandte, die hinter ihm hergiiijzen und sich unterhielten. DaS wäre ja Alles gut, sagte der Arbeiter, ick habe jetzt einen guten Verdienst, der weiiigslen« noch zwei Monate anhält. WaS bekommt Ihr jetzt? fragte der Wirth. Ich bekomme jetzt 22 Sold» pro Tag. Lch denke 24? Ja, wer da» Handwerkszeug mitbringt, bekommt 21 Solbi. Ich habe aber kcinS und nehme es vom Unternehmer, der mir deshalb zwei Soldi vom Tagelobn abzieht. Aber ich lange auS. Man Hilst mir schon durch. Man weiß, daß ich nicht viel bade und es geht. 'Aber denkt Euch, meine fünf Kinder! Ja, wen» meine Frau, meine gute FranecSca »och lebte — ich könnte glücklich sein! Herr Gcrnot wurde aufmerksam und ließ sein Pferd ab sichtlich langsam geben, um Nichts von der Unterhaltung zu verlieren. Ein Mann mit 22 Soldi pro Tag und glücklich? Das schien ibm rälbselbast und interessant zugleich. Das ist »n» einmal geschehen und nicht mcbr zu ändern, tröstete der Wirth wieder, Ihr müßt Euch darüber tinwcg- sctzcn. Es ist ja koch bald zwei Jabre her, daß Franceöra starb. 'Nehmt Euch dock, eine andere. Ihr habt gut reden! Ihr habt ja FranecSca kennen ge lernt. Für mich gicbt's nach ihr keine Fran mckr. Versteht Ihr das? Meine besten Jahre im Leben erinnern mich an sie und ick stand bei ihr in ikrcr letzten Stunde, habe den Blick gesehen, mit dem sic von mir Abschied »ahm — und von den Kindern. Die Stimme des Arbeiters zitterte hier ein wenig, er niacktc eine kleine Pause und schluchzte leise. Ja, damals dachte ich auch, daß cs nickt weiter ginge, daß cs nicht weiter gehen könne! Der Mensch ist eben manchmal so, wenn ihn das Schicksal packt. Aber cs ging dock weiter. Nun sckt Jbr, Gaetano, es ging doch weiter. Man muß sich über AllcS im Leben trösten. Was blieb mir denn anders übrig? Ich mußte mich trösten, ich mochte wollen oder nicht. Niemand bat mich ge fragt, ob ich wollte oder konnte, ich mußte. Fünf Kinder wollen essen, Cobbo, und cS waren ihre Kinder, meine Kinder. Seht, so half mir die Noth selbst über mein U» glück weg. Herr Gernot war immer nachdenklicher und ernster ge worden. Er kam sich im Vergleich mit diesem einfache» Arbeiter wie ein rechter Feigling vor, wie ein Frevler, der mit einem edlen Gut. mit dem edelsten, WaS der Mensch bat, gespielt batte, wie ein Uclermütbiger, ein Trunkener, der das Leben wcgwars, weil er es nickt verstand, nickt zn schätzen wußte, nicht wußte, was cs war! Nickt«, Nichts in der Welt kan» uns lehren, daS Leben zu mißachten, sagte sich Herr Gernot, Nichts als die eigene Beschränktheit. Er schämte fick seiner tollen Raserei und wandte sich ans seinem Pferde langsam um, um de» Mann ;» sehen, dem die Rolb über da« Leben hinwcggcbolsen batte, der mit zwciunkzwanzig Soldi pro Tag und mit fünf Kindern Jabr anS Jabr ei» die Rätbsel des Lebens bester gelöst balle, als er selbst mit all seinen Begabungen und Talenten. Als er de-" Mann aufmerksamer ins Gesicht sah, hielt er plötzlich sein Pferd an und winkle ihm. Erstaunt und überrascht betrachtete er ihn, wandte seinen Kopf nach recktS und links, sah ihm mit wahrem Enthusiasmus in die Angen — daS war der Kopf, den er wochenlang in Nom vergeblich gesucht batte, das war der alte energische und edel durckglühle Römer kopf, der Kopf eines ManncS, der sein Kind tödtcte, um ihm ein Leben der Schande zu ersparen! Ganz genau so batte er ihn geträumt. Er war entzückt und glaubte plötzlich wieder an ein gütiges Schicksal, daS trotz alledem und alledem über ihm waltete. Immer von Neuem wandte er den Kopf deö Arbeiters nackt allen Seite», so daß der Man» schon glaubte, sein Patient sei ver rückt geworden. Wollt Ihr mit mir nach Nom kommen? fragte ihn Herr Gernot. OK nein, Herr, das kann ich nicht. Ich muß zur Arbeit. Ich gebe Euch daS Doppelte von dem, waö ihr dort ver dient und bczakle außerdem Euren ganzen Unterhalt. Ich brauche Euch für etwa zwei Woche», dann könnt Ihr wieder an Eure 'Arbeit gehen. Herr Gernot batte ans einmal eine förmliche Wuth ans die Arbeit und hätte den Arbeiter mit Gewalt aus fei» Atelier geschleppt, wenn sich dieser nickt freiwillig ent schlossen Kälte, dem glänzenden Ancrbiclcn von 41 Soldi pro Tag Folge zu leisten. Man wurde rasch handelseinig, da dem Manne prüde Bedenken nickt einsielcn, wie Herrn Gernot früher bei den „Gebildeten" passirt war, und sckion am Abend desselben Tages traf der Maler mit seiner Beule wieder in Rom ein. Tie Krancbcr schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, als sic nach vielen Fragen erfuhr, WaS Alles passirt sei und rief ei» Mal über da» andere auS: Hat der Kerl ein Glück, hat der Gernct ein Glück! Nun aber keißt'S arbeiten und nicht mcbr an die Berliner Wink bentelcic» denken. Verstanden? DaS Bild muß fertig sein, ehe der Herbst kommt. X Dock, mein lieber George-, Pech! WaS ich angrcife ist Pech! Ick, begreife Dick nicht, Coda! DaS Pech, der einzige Schwiegersohn eines Millionairs zu sein, kann doch so groß und so drückend nicht sein! Ack, laß mick, doch in Rübe! Ein Millionair gilt der großen Menge, die es nickt ist. immer sür einen kleinen liebe» Gott oder dock für eine» Mann, der nur zu pfeifen braucht, damit sein Wille geschieht. Ich versichere Dich, die Sache ist ander«! Mit alter Drolligkeit und Eigentbümlickikeit drückte Gras Oftda seine veckösen Ge'ühle durch dir bekannte historische Coda-Visage a»S, während sei» alter Freund ihn vergeblich über daö unerschöpslichc Unglück zu trösten suchte, ein Millionair in «iw zu sein. Nein, Georges, die Situation ist anders, als Du Dir denkst und als ich sic mir gedacht hatte, und da D» mein alter Freund bist, so will ich Dir sagen, wie die Geschichte zusammcnhängt. Dn wunderst Dich, daß unsere Hochzeit noch immer nicht 'taltgefunden kat, und Tu hast Recht; alle Welt wundert sich darüber, ich mich auch. Ich habe »sich im Mai verlobt und jetzt baden wir August — Nu», eö läßt sich wohl denken, daß vor einer solchen Hoch zeit außergewöhnliche Veräiidernngeu nölhig sind und in Folge dessen ei» aiißcrgcwöbnlichcr Aufschub gerechtfertigt erscheinen tan». Die Schwierigkeit, eine passende Wohnung zu finden, ist eine große, auch die Ausstattung sowohl der Braut, wie des ganzen Hausstandes verlangt »eben Len Geldmitteln auch Zeit, das ist ja auch bei der Jugend der Braut — Sei doch so gut, lieber Georges, und stelle mir nickt die Couliffen vor, die der Juslizralh schon der ganzen Stadt vorgestellt hat. Kannst Dn Dir denken, daß cm Schau spieler, der die Conlissc von hinten sieht, über den Felsen wegftolpcrt, der darauf gemalt ist? Cö ist undenkbar, darum sei still, Georges. »nt unterhalte mich nicht von Sachen, die ich besser weiß als T». Wie ich mich ver lobt batte, war cs natürlich mein eifrigstes Bestreben, wenigstens die drückendsten Verbindlichkeiten zu lösen, und ick, ließ in Folge dessen beim Gcheimrath durch Mark- waldt Vorstellungen machen. Es waren darunter welche, die meist mit acht und neun Prcccnt belastet waren, cS war also auch für meinen künftige» Schwiegervater vortheil- hast, diese Schulte» zu tilgen. Der Gcheimrath war auch aufangs gar nicht abgeneigt, die Regelungen vcrznnehinen, aber — und da liegt »n» mein perfönlichcs Pech — wie der Gehcimralb bezahlen wollte, da kam wie ecn Schlag an» heiterem Himmel die Banlkrisis in Rew-4)ork. Einige jämmer liche Pleite» waren das Resultat und die sür »sich zusammen» gezogene» Mittel wandcrlcn als Wcchseldeckungcn nach New- Ljvrk. Die Sache war nicht schlimm. Obwohl die Marius sche Bank mit einigen Hunderttausend Mark bclbeiligt war, verlor der Gcbeimralh seinen Gleichmut!,, seinen küble», berechnenden Verstand nicht einen 'Augenblick, aber von einer Regelung meiner Angelegenheiten war seitdem keine Rede mehr. Die Leute lanscu »ns nicht fort, halte der Gcheimrath aus neuer liche Ansragcn Markwalkt'S gesagt, und verdienen an ihm — also an mir — so viel, daß sic auch noch ein wenig warte« können. (Fortsetzung folgt.)
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