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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.07.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-07-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920725029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892072502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892072502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-07
- Tag1892-07-25
- Monat1892-07
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Zlg." ersehe», giebl man sich im Lager der alten Bismarckscinte der Hoffnung hin, daß der Kaiser persönlich in diesen Streit eingreisen werde, und zwar nicht zu Gunsten des „Altreichskanzlers". Daü süddeutsche Demokratenblatl läßt sich nämlich auü Berlin telegrapbiren: „Der Kaiser wird voraussichtlich am 28. d. wieder in Potsdam «intresfen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Passivität, mit der in den letzten Woche» die Negierung alle Angriffe Bis marcks unbeantwortet gelassen hat, dann in irgend einer Form, wenn auch nicht in Zeitungsartikeln, unterbrochen wird." WaS da« heiße» soll, ergiebl sich ans den Versuche» der Berliner Demokralenblätter, die Absicht des Fürsten BiSmarck, auf seiner Rückreise von Kissiiigcn eine» Tag i» Berlin zu bleiben, als eine directe Auflehnung gegen den Kaiser erscheinen zu lassen uud die Lenker des neuen EurscS zu einem Einschreiten gegen den „allen Agitator auf Reisen" anzustacheln. Wir wollen die Folgen, die ei» solches Ein schreiten unausbleiblich nach sich ziehen müßte, nicht auSmalcn, denn wir sind überzeugt, daß selbst Gras Eaprivi trotz der Veröffentlichung seiner VerfehmungS-Erlasse cS als einen der schwersten politischen Fehler ansehen würde, wenn er auch im Jnlande den Reisen seines Vorgängers Steine in den Weg legen und einen „Gefangenen in FrictrickSruh" schaffen wollte. Trotzdem wird eine überraschende Wendung in dem entbrannten Kampfe schwerlich ausbleiben. Wir glaube» aber, wie wir schon gestern andeutelen, nicht, daß gerade die Demokratie und ihre Freunde Anlaß haben werden, über diese Wendung zu frohlocken. Die nervöse Unruhe, die fast aller Parteien bei unserer gespannten und »nllaren inneren Lage sich bemächtigt hat, tritt am meisten bei dem Cent rum zu Tage, das in der Abhaltung von Versammlungen eine überaus große Rührigkeit entfaltet und dessen Redner sich dabei zu den ungeheuerlichsten Aussprüchen »ersteigen. Aus der vor Wochen in BreSlau abgehaltenen Versammlung durfte der jetzl schweigsam ge wordene Graf Ballestrem den verstorbenen Windthorst, ohne Widerspruch zu finden, den Generalstabschef unseres Herrgotts nennen. Zu einer Blasphemie ähnlicher Art hat sich auch der Abgeordnete vr. Lieber in seiner am vorletzten Sonntag in Neiße gehaltenen Rede verstiegen, deren Wortlaut jetzt in der „Germania" vorliegt. Rach diesem Stenogramm äußerte sich Herr Ilr. Lieber u. Ä. folgendermaßen: „Tie Aufgabe Windtdorsl's bestand darin, dem herrschgewaltigc» Manne (BiSmarck) gegenüber die gcsammtc Kraft katholischen WollenS und Könnens in einem Einzige» zu verkörpern, und nachdem der einzige (?) Widersacher gegangen worden war, da wurde der Einzige unter uns von uns entrückt. Nunmehr ist die Ausgabe, welche ans seiner Schulter allein tastete, aus viele Schultern verlheilt, und das Bewußtsein, Milträger an dieser Aufgabe zu sein, welche nicht die Ausgabe Windthorst's, sondern Gottes ist, dieses Bewußtsein hat uns einiger gemacht, als wir je zuvor gewesen sind." Wir möchten das Gezeter der klerikalen Presse hören, wenn in ähnlich frivoler Weise, wie cs hier geschieht, eine andere Partei, es brauchte nicht einmal die des Herrn Bebel zu sein, ihre Aufgabe als die Aufgabe Gottes bezeichnen wollte. Herr Iw. Lieber hat dann »och für jeden Sonntag mindestens eine gewaltige katholische Kundgebung in Aussicht gestellt. Er selbst habe für jede» Sonntag bis zum Wieder beginn der parlamentarischen Verhandlungen eine Rede zuge- sagt. Herr Or. Lieber ist sonst ein abgesagter Feind der SoniilagS- reisen,aberdie Besuche ullramonianerHetzversammlungcn scheint er für ein besonders verdienstliches Werk zu Hallen. Vielleicht ist aber auch noch ein anderer Grund für den Eifer vorhanden, den die nltramontanc Partei jetzt in der Abhaltung von Versammlungen enlwickelt. Die so cialdcmvkra tische Partei schickt sich an, in den ullramontanen Bezirken jetzl die Saat zu schneiden, die aus ullra»ioiita»er Hand aus- geslrent worden. Ob ihr das gelingen wird, muß sich bald zeigen; jedenfalls spricht die nervöse Unrnke, die sich in Eeiitrninskleisen bemerkbar macht, nicht dafür, daß man sich der Wählerschaft überall unbedingt sicher fühlt. Auch die Ankündigung des neuen und crnslerc» Eullnikanipfes um die Schule kann ja nur den Zweck haben, die Ausmerlsainkeit der nllramontaiien Wählerinaffen von den Lockungen der socia- listischen Agitatoren abzulenken. Der „glückliche" Sieger in dem englischen Wahlfeld- zugc, Mr. Gladstone, hat zwar während dieses Feld zuges einen sellencn Beweis von geistiger und körperlicher Widerstandsfähigkeit gegeben; trotzdem dürften die Strapaze» der Midlvlbian-Tour nicht spurlos an dem Achtziger vvrüber- gegangcn sei», so daß man cs begreift, wenn über seine An gegriffenheit berichtet wird und seine Freunde, deren politisches Glück aus de» großen Namen des Führers gestellt ist, ikm möglichste Schonung anempschlen. Unter diesen Umständen gewinnt die Meldung, Mr. Gladstone werde auf dringen den Rath seiner politischen Freunde sich die bekanntlich bis jetzl von ibm nieulalS angcslrebtc Pairswürde verleihen lassen, um als erster Schatzamts-Lord Führer des Ober hauses zu werden, an Wahrscheiiilictsteit. Die Leitung des Unterhauses fällt dann wahrscheinlich Sir William Harcourl zu. Nachträglich wird »un »och eine GelegcnheilSredc bekannt, womit Gladstone ans einem Ansfluge von dem Hoch länder Eurorte Bracmar aus auf die Ueberrcichung einer Adresse geantwortet hat. Dieselbe enthält folgenden Passus, welcher die veränderte Haltung Gladslone'L in der Arbeiter frage aufs Neue beweist: „Sic haben mit Recht hervvrgebobcn, daß cS niiser Bemühen sein sollte, zu versuchen, das Elend dieser Welt etwas zu vermindern, die Lage unserer Mit bürger zu heben, ihnen ein freudciircichcreS und glücklicheres Loos auf ihrer Pilgerfahrt zu verschaffen und sie dadurch in Stand zu setzen, wenn sie danach geartet sind, sich besser für ein anderes und dauernderes Dasein vorznbcreiten." Die Worte klingen wie ein Schwanengcsang. Noch vor einem Jahre hätte Gladstone diesem socialen Optimismus Wohl kaum in solchen Worten Ausdruck geliehen. Die marokkanische Frage schreitet in deutlichen Zügen vorwärts, und zwar so, daß von einer Niederlage der Engländer, über welche die Fraiizosen bereits trinniphirtcn, nicht wohl die Rede sein kann. Der englische Gesandte Sir Evan Smith ist mit seiner Gesandtschaft am 22. Juli wohl behalten i» Tanger cingctroffe», nachdem er Fez, den Sitz des Sultans, am 12. d. M. verlasse» balle. Zugleich wird aus Tanger berichtet, daß einige Minister des Sultans bereits dahin auf dem Wege wären, um die so jäh abge brochenen Handelsvertrags-Verhandlungen wieder aufzunehnien. Daran- ist ersichtlich, daß die teilenden Per sonen in Fez wobl erkannt haben, in der bisher beliebten Form gehe cs nicht weiter; man beginnt in echt orien talisch-afrika»ischcr Weise mit den Unterhandlungen von Neuem, da die afrikanische Art des Verkehrs in Fez zu einer bedenkliche» Spannung geführt hat. So weit reicht den» auch in Marokko die Einsicht, daß man mit europäischen Großmächten nickt ohne Weiteres sein Spiel treiben darf. Das Eiiitreffe» marokkanischer Bevollmächtigter in Tanger muß als der Anfang einer neuen Periode Marokkos angesehen werden; denn unzweifelhaft wird England das Zugeständniß einiger seiner Forderungen erlange» Ist erst die Bah» er öffnet, so werden sich weitere Zugeständnisse bald anschließen und trotz aller Winkelzüge der Marokkaner sich verwirklichen. Deutschland ist es bekanntlich allein im Jahre I8'.it> gelungen, einen Handelsvertrag mit Marokko abznschlicße»; er be dingte die Erlaubniß der Getreideausfuhr aus dem Lande. War an sich dieses Zugeständniß von Bedeutung, so fehlten in ihm doch alle jene Bedingungen politischen Inhalts, wie sic der eng lische Gesandte stellte, in denen die Grundlage zu einer wirt lichen Ocssnuiig des Landes für Europäer liegt. Englands erste Forderung bei einem Vertrage mit Marokko war näm lich die Einsetzung englischer Eonsnln im Innern, vor Allem in Fez selbst. Bisher rcsidircn alle Vertreter europäischer Mächte an der Küste, selbst die Gesandte» mußlen in Tanger ihren Sitz nehmen und betiirflen einer besonderen Ermächli- giing »nd des Schutzes dcsSnllans, wenn sic ausnahmsweise die Hauptstadt und den Cenlralsitz der Regierung aussiicheu wollten. Hai England einmal das Reckt auf Errichtung von Eonsularäintcrn im Innern erhallen, so kann dasselbe ander» Mächten nicht vorcnlliallcn werten. Ferner verlangt Groß britannien die Einsetzung gemischter Gerichtshöfe wie in den orientalische» Staaten und schließlich geht es in Be rüg ans Zollfragcn viel Weiler als Deutschland. Die AnS- fubrzölle auf Waarcn zwischen den einzelnen marokkanischen Landschaften sollen aufgehoben, der Selaveilbandcl unterdrückt, die Erwerbung von Grundbesitz durch Europäer gestattet werden. Die übrigen Betilignngcn wegen Hänscrbante», wegen Errich tung einer Polizei, eines Küstenlelcgraphen n. s. w. könne» bier zunächst übergangen werten. Wird anch nur ein Thcil jener Forderungen zligeskande», so ist damit viel erreicht, cS ist Bresche gelegt in die bisher scheinbar undurchdringliche Blauer und die weitere Oessnung ist nur eine Frage der Zeit. Schon sind zwei neue Gesandtschaften nach Fez in Aussicht gestellt, »ämlick eine deutsche und eine sranrö- sische; es ist nnzwcifelbaft, daß diese ähnliche Anträge stellen und in jedem Falle die de» Engländern etwa gemachlcn Zu geständnisse für sich verlangen werden. Schon dieses gleich zeitige Vergeben verschiedener Mächte, darunter anch des als ganz uninleressirt erkannten Deutschlands, wird seinen Ein druck auf die dortigen Machthaber nicht verfehlen und de» Boden für Weiteres vorbcreiten. Im Sudan droben neue Unruhen. Die vom Kbalise» Abdullah nach dem Weißen Nil in die Gegend des Tjebcl- Ragaf verbannten Aufwiegler waren auf dem Wege »ach ihrem VcrbaniiungSorte vom Secretair des falsche» Propheten begleitet. In Faschodah angelaiigt, wurden sie von dem Emir dieser Provinz, der sich ihrer Wohlthalen, als sie sich noch in der Gunst des falschen Propheten befanden, dankbar erinnerte, srciintlich ausgenommen. Nachdem sich nun die Verbannten mjt diesem Emir ins Einvernehmen gesetzt, ver faßte» sie eine» Erlaß »nd sandten ihn an den Gonverncur von Faschodah. Letzterer wurde in dieser Verfügung ersucht, den Verbannten de» Oberbefehl über die Truppen zu über gebe», Waffen zu liefern »nd sich mit ihnen gemeinsam nach Enterman zu begeben. Dieser Bescbl war mit cinci» gefälschte» Siegel des Khalisen versehen. Der Betrug gelang und der getäuschte Gouverneur, der im Sinne Abdnllah'S zu Handel» glaubte, enlsprach dem an ib» gerichtete» Ersuchen, indem er in Gemeinschaft mit den Verbannte», die er sür Bevoll mächtigte des Mahdi hielt, nach Enkerman ansbrach. Er warte ein Opfer seiner Leichtgläubigkeit. Unterwegs er mordeten ib» die Verbannten, kehrten »ach Faschodah zurück, riefe» die Häupter der Stämme zusammen und erzählten ihnen alle möglichen Vergehen und Verbrechen, deren sich ter salschc Prophet schuldig gemacht babe» soll. Dann stachelten sic die Ansübrer aus, sich nach Endcrnia» zu begebe» unk den Khalisen zu töttcn. Tie Häuptlinge schwuren den Verbannlen Treue und erklärte» dem Kbalise» de» Krieg. Tiefer rüstet sich, um die Aufwiegler zu vernichte»; und so glaubt man, daß nach Lage der Dinge ein Kampf nahe bevorstehe. Deutsches Neich. «8. Berlin, 24. Juli. Herr Dr. Lieber bat sich in Neiße wieder einmal Mühe gegeben, die Vereinbarleit der Agitation sür Wiederherstellung des Kirchenstaates mit dcr Anerkennung der Dreibundspolitik zu behaupten. Der EenIrumSredner hat dafür keine andere Unterlage, als die Versicherung, daß es nicht der Papst persönlich sei, der die Dreibunds- und deutschfeindlichen Artikel im „Osscrvatorc Romano" und im „Moniteur de Rome" schreibt Das hat Niemand bebauptet, aber die officielle Politik des VaticanS deckt fick vollständig mit der Haltung der genannten Vlälter. Das Büntniß mit der geradezu religionSfeindlichcn französischen Republik wird im Widerspruch mit der französischen Geistlichkeit und ans .Kosten kirchlicher Interessen vom Papst mit nervöser Hast betrieben »nd gleicherweise wird das schismatischc Ruß land mit curialistischen Liebe-Werbungen umgarnt. Andrer seits ist die beschlossene Entfernung des um die Herstellung des kirchlichen Friedens in Preußen verdiente» und drcibund- freundlichen Nunlius Galimberti ans Wien das gerade Gegcnlheilt von geistlicher Objektivität Deutschland gegen über. Tic Worte des „Osscrvatorc Romano" wiegen sehr leicht gegen die Tbaten des VaticanS, und da diese direct gegen den Dreibund gerichtet sind, so wiegen die schöne» Rete» des Herrn Ilr. Lieber noch leichter. 6. II. Berlin, 2l. Juli. Der Eongreß der social- demvkralische» Handlungsgehilfen soll bekanntlich in Berlin n» Herbst stallsinden; als Eröffnungstag des CongresscS ist nunmehr der l l. September bestimmt. Die Tagesordnung lautet: „Siluationsbericht. Welche Organisation ist sür uns die beste? Regelung der Agitation. Stellungnahme zu unserer Presse." Was den ersten Punet betrifft, so werden die Referenten, wenn sie der Wahrheit die Ehre gebe» wollen, nur conslatiren können, daß die socialdcmvkra- lischc Bewegung unler den Handlungsgehilfen vollständig nnbedculend geblieben ist. Der Berliner socialdemokratische Handlungsgchilfen-Verein vegetirt nur, obgleich die Herren Rosenlbal, Hinze, Auerbach rc. sich schon seit einer lange» Reihe von Jahren unendliche Mühe gegeben haben, die Handlungsgehilfe» zu überzeuge», daß ihnen das Heil einzig und allein von der Socialdemokratic kommen könne. Aber die UcbcrrcdttiigSkünste waren vergebens; in Hamburg, Leipzig, Frankfurt a. M., Magdeburg, Danzig, Königsberg, Hannover, Berlin u. s. w. sind die bier und dort von dcrSocialtemokraIie unternomi»enenVersuche,dieHand- lungsgebilscn zu sich herüherzuziehen, ganz kläglich gescheitert; schwache 'Ansätze vv» Vereine» verschwanden bald wieder; und die Beschickung des Berliner Eongrcsses wird deshalb aus den großen Handelsstädten eine ganz unbedeutende sein. Es ist ei» hocherfreulichcö Zeichen, daß die socialdemokratischen Irrlehren auf so schlechte» Bode» bei den Handlungsgehilfen gefallen sind, und daran wird sich auch nichts ändern, wenn aus dem Berliner Eongreß beschlossen werden sollte, kauf männische 'Agitatoren i» die großen Handelsstädte in den Provinzen im Reiche zu entsenden, und wenn ferner eine socialtemokraiische Zeitung für HandlungSgehilsen entstehen sollte. Ein solches Blatt yal schon bestanden, ist aber untcr- gegangc». Dem projcctirten Unternehmen dürfte dasselbe Schicksal beschicken sein. — Dem „Bcrl. Tagcbl" wird heute auS Zanzibar gemeldet: „Baumeister Jirko ist i» Dar-eS-Salaam am pcriciöse» Fieber gestorben. Tic Verwundung dcS Grafen Schweinitz, Führers der früher Bvrcherl'schen Expedition, im Kampfe gegen die vom Häuptling Sikki befehligte be festigte Statt Quikoro, besteht in einem Schuß durch den Hals. — Ein wundersames Programm für die Bildung einer neuen „Partei der redlichen Arbeit" wird in Königsberg seil einigen Tagen verbreitet. ES lautet nach der „K. H. Z.": I) EinfUhruiig einer einzigen progressiv steigende» Einkommcnstcuer. 2) Die Ansammlung großer Eapitalien in einer Hand wirrt verderbenbringend für die Gesellschaft und ist zu verbieten. 3) DaS jährliche Maximal- reincinkomnie» einer deut'chen geschaflStreibende» oder Privat- sauiilic rcsp. Privatperson soll von dev Volksvertretung jedes Jahr durchGcsetz festgesetzt werde». Darüber hinaus darfNiemaiid FeuiUetsn. Der Letzte seines Stammes. 21s Licht- und Schattenbilder von Wolde mar Urban. Nachdruck verbot«!. (Fortsetzung.) Aber Mimie konnte ibre Tbränen nicht zurück- baltcn. Nicht dem Grafen weinte sie dieselben nach. Sie wollte von einem Manne nichts wisse», der in feiger Lcbenslässigkcit versucht hatte, sich unter ihrem Ver mögen zu bergen und sie nun im Elend schamlos verließ; nur das war ihr schmerzlich zu erfahren, daß an ihrer eigenen Person so gar nichts lag, daß die ganzen heuchlerischen Betbcuernngen, die sie hatte anhören müsse», nicht ihr gegolten hatten, daß an ihrer eigenen Person nicht einmal die Achtung vor dem Unglück hängen geblieben war. Verächtlich bei Seite geworfen, im innersten, heiligsten Gefühl verletzt und beleidigt fühlte sie sich. Die Absage des Grafen Coda fiel mit ihrer ganzen dcmüthigeiidcii, beschämenden Schwere in ihr junges Gemütb— aber heilsam! Zum ersten Male in ihrem Leben batte sic das Gefühl, daß sie nickt auf richtig gegen sich gewesen sei! „Sie sagten, es wäre die Liebe" und sie hatte cs geglaubt, sie batte Ja gesagt, wo sie es doch hätte besser wissen müssen, wo ihre beiligsten Inter essen eine selbstständige Prüfung und aufrichtige Strenge verlangt batten. Zum ersten Male fühlte sie sich — „straf bar unschuldig!" Am nächsten Tag ging cS im Comptoir der MariuS'schcn Bank sehr aufgeregt der. Mit der eigenthümlichen, hastigen Betriebsamkeit, welche die Menschen entwickeln, wenn cS (ich um ihren persönliche» Bortbeil bandelt, kam schon in frühen Morgenstunden eine Menge Leute, die Alle scbr eilig waren, kleine und große Gutbaba« emzucassiren Jeder wollte noch vor dem effektive» und ossiciellen Krach sein Heu womöglich inS Trockene bringen. Ter Cassirer, der für den besonderen Fall keine Anordnungen vom Gebeimratb erhalten batte, suchte-dem Ansturm so gut zu begegnen, wie es ihm möglich war. Mehrere Stunden hindurch wurde bezahlt. Gegen Mittag wurde aber die Situation immer bedenklicher. Blau fragte telegraphisch bei dem Gebeimrath um spccielle OrdreS an. Die Antwort ließ auch nickt auf sich warten; sie war lakonisch, aber deutlich und lanlete: „Zahlungen cinstellcn. ConenrS anmeltcn. MarinS." Die Abcndzcitniigen brachten schon ausführlichere Berichte über den Sturz der Marius'schen Bank. XIl. Mit dem Eintritt der rauheren Witterung traf auch Herr Gcrnot wieder in Berlin ein. Er war kaum ein Jahr sort- gewcsen, und doch hatte sich in dieser Zeit so unendlich Vieles verändert. Auch er war ein anderer Man» geworden; iibcr den tändelnden träumerischen Künstler von ehedem Wär ter Ernst des LebenS gclommen; er sing an, die festen Formen, in die uns das Leben nun einmal bannt, zu er fassen und zu verstehen. Sein Bild war fertig und intcr dem Titel: „Der Tod der Virginia" in einer Privat- AnösteUnng unter den Linden inzwischen niiteraebcacht worden, wo es sich große» Interesses und große» Zwanss seitens des knnstsiiinigcn Publikums erfreute. Es warcr be reits große Summen dafür geboten worden, aber der Kanst- bändler, den Herr Gernot mil der Verwcribung des BlvcS betraut hatte, wollte einen Verkauf neck nicht abscklvße». Mehr aber als dem Erfolg seines Werkes, der ikn mil Elolz und Zuversicht erfüllte, wandte sich sein Interesse de» Ver hältnissen zu, in denen sich Gras Eoda und Fräulein Mmic befanden. Zwei Briefe von ihm halte sie nickl bcanttwrlet oder vielmehr dadurch beantwortet, daß sie sich mit eiiem Andern verlobt batte. Nun war freilich die Verlonmg wieder znriickgcgangcn, war aber die ikm gewordene Antrort deshalb weniger deutlich? Seufzend und schwcrmüthig sing Herr Gernot in seinem allen kleine» Atelier aus »nd ab Tie Krancker, die ihn nach Deutschland begleitet bitte, um ebensalls Käufer sür ihre „Osiermcsse in St. Pclcr zu suchen, rauschte herein Hatte sich diese Dame schon uiter der höchst gemischten römischen Gesellschaft sonderbar »iS genommen, so erschien sic in dem nivellirten Berliner Pibli- cum geradezu als — nnmöglich. Die „kranke Signora" auS Rom erschien hier noch viel kränker. Mit der ihr eigentÜim- lichcn kräftigen Beweglichkeit ließ sie sich ohne alle Umstände in einen Sessel falle» und zog ihre Pfeife ans der Tasche. Lustig Gernot, lustig! Der Teufel soll noch „fünf Sotdi" Wein trinken! Jetzt trinken wir (.»Kolli romnui! Was gicbt's, Kranchcr? Geld gicbt's, mein Junge. Fünsnndzwanzigtanscnd Mark sind für die Virginia geboten. Gott sei Dank, dock »och ein Platz aiif der Welt, wo die Kunst gewürdigt wird. Allen Rcspcct, Hut ab vor der deutschen RcichShaiipIstadt, wen» sic auch sonst Nickis taugt. Woher ist das Gebet? Von ciiicm — Amerikaner! Tann isl^ cS Nichts. 'Aber meine gute Kranchcr, lassen wir daö. Sic hatten mir versprochen, in Rixdorj nach- znforschcn nach Sic wissen doch. Tie Kranchcr brannte mit Behagen ihre Pfeife an. Weiß schon, Gernot, weiß schon. Nu», habe» Sic Nichts erfahre», Nichts entdeckt? Gemeines Volk! äußerte die Kranchcr verächtlich. Was meinen Sie, meine beste Kranchcr? Mein Gott, so reden Sie dock! Sckäbig. Erst liegen sie >vor ibm ans dem Bauche, und iiii», wo cS keinen „Millionen MarinS" »icbr gicbi, nennen sie ib» den — RFdorfer Gebeimralh. Ich sage Ihne», der MarinS ist ei» ganzer Mann. Tausende bättcn in seiner Lage vielleicht nach dem Revolver gegriffen »nd so mit einem Truck den Kamps beendet, den er jetzt als ein scckzig- jähriger Wcißkopf von Neuem mit der Welt aufiiimmt, mit einem Drucke dem Sarkasmus, in dem man bier groß ist, ein Ende gemacht. Was muß sich MarinS von der Welt denken! Ich weiß jetzt, daß sie gemein ist, ater er weiß eS wahrscheinlich noch besser. Aber, meine beste Kranchcr^ erlassen Sic mir doch diese persönlichen Reflexionen, sehen Sie denn nickt, daß ich zittere vor Ungeduld, um zu erfahren, wie cS der Familie gehl, wie sie lebt, was sie «nackt. Ha! Ha! Nur Eins nach dem Ander» Alles WaS recht ist, da- Mädchen ist eine noble Figur. Aber — ba ha — es war zum Lachen, Gernot. rein zum Schießen. Ich gebe also in das ConfeclionSgeschäst in der Wilbelmstraße, wo sie ist, »nd min, schon die Idee, daß ich in ein EonfectionS- gcschäft trete, ist ja ein toller Wahnsinn. WaS wollte ich tciii« dort? Solch' ein Berliner EonfeclionSgeschäst ist für mich ein NarrenhauS, und mich, wahcbaslig, Gernot, wie ich Ihnen sage, mich sahen sie als die Verrückte an! Ach Gott, wie erklärlich mir das ist! Aber nur weiter. Sie sahen sic, sprachen mit ihr Ja dock, Himmel, Sie werden mir doch keinen Herzschlag kriegen! Warten Sic doch Alles ruhig ab Man nennt sie — „die Gräfin". Nun — mag sein, wie's will, sic trägl'S anständig, böckst anständig, respektabel! Daö Gckickcr, als ich mit ihr sprach, — dort liegt der Trödel von Hut, den ich de« ihr gekauft habe — Gott im Himmel, ich glaube, man sperrte mich aus der Stelle ein, wen» ich ibn aufsctzie. Ich erkaiinlc sie natürlich sofort, nach der Virginia — nein, Gernot, Sie können cS nicht leugnen, Sie haben stark nach ibr gearbeitet. Sie sind ja wie zwei Eier, die Virginia und die Mimie! ^ Aber liebste Kranchcr, daS weiß ich ja Alles besser als Sie, weshalb solle«» Sie mich denn mit solchen Ab schweifungen ! Daß das Donnerwetter Ihre Ungeduld holte! Kann man denn kein vernünftiges Wort mehr reden? Gut, so will ick Ihnen die nackten Tbatsackcn erzähle», wie ick sie erfahren babe auf meinen Wanderungen. Sie verdient also siebzehn Groschen pro Tag, an Tagen, wo das Geschäft geschlossen ist, bekommt sic Nicht«! Na, fallen Sie deshalb nur nicht in Ohnmacht, daS gebt Mancher so! Ihr Vater ist Buchbalter i» einer Brauercr und verdient pro Monat biindertundfünfzig Mark. Davon leben sie. Sic wobnen in Rixdorf in einem Hinterhause vier Treppen bock Die Gebcimräthin ist etwa- leidend i» letzter Zen, und Vater und Tocktcr können Sie jeden Morgen um acht Uhr von Rixdors nach der Stadt bereingehcn sehen. So, da haben Sie Ihre Thalsachen! WaS giebt'S da zu flenne»? Sie werden doch begreifen, daß daS nun einmal so ist. Wie soll'S denn weiter sein? So — so bat er gar nichts retten können? Nichts von seinem großen Einfluß, Nichts von seinen Reichthümern? (Fortsetzung folgt.)
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