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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921119025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892111902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892111902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-19
- Monat1892-11
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WTvvNNkiNkNksPrkts Hi> M Haaptexpedilioa oder deu im Stadt« bezirk und den Vororten errichteten Aus- «umstellen abgeholt: vierteljährlich 1,50, vei zwetmaliger täglicher Zustellung ins Hau» 5,50. Durch die Posl bezogen sur Deutschland und Lesterrrich: vierteljährlich 6.—. Direct» tägliche Kreuzdandjtnduug ius Ausland: monatlich S.— Tie Morgen-Ausgab« erscheint täglich'/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag» 5 Uhr. Nedaction und Expedition: AohaaneSgaste 8. DIe Eipedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Ubr. Filialen: Abend.Ausaabc HMr.TGcbM Ve 6 gespaltene Petitzeile 80 Reclamea unter de«Redacttourstrich (4ge- spalten) 50^, vor deu Famtlienuachrtchte» (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut uujeriw Preis- verjeichmß. Tabellarischer und Zisterafatz nach höherem Tarif. Extra-vetlaz«, (gesalzt), »ne mit dt, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuug 60.—, mit Postbefürdrrung 70.—- Äuuahmeschluß für Zuserate: Abeud-AuSgab«: vormittag» 10 Uhr. Margeu-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Sonn- und Festtag» früh '/,S Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je «in« halbe Stunde früher. Snferat» find stet» an di« «rtzttzittnn zu richten. ktt« Klrm«'» Sortim. lAlfretz Hahn). UniversitätSstraße 1, Louis Lösche, Katharinenstr. 14. part. uod König-Platz 7. Drgan für Politik, Localgeschichte, Kandels- und GeschWvcrkehk. Druck «ud Verlag von E. Poltz ta Leipzkg^ 5S2. Tonuabenö den Ist. November 1892. 86. Jahrgang Zur gefälligen Seachtung. Unsere Erpedition ist morgen Tonntag, den ÄO. November, Vormittags nur bis Vs9 Uhr (Mfuet. LxptziUtluu tl681.eip/ixer ^L»86l>lLltw8. Politische Tagesschau. * Leipzig, IS. November. Der „Reichs-Anzeiger" öffnet beule den Mund, um eine Legende zu zerstören, die ibrer groben Unwahrscheinlich leit halber nur von einem kleinen Theile der Presse über haupt erwäbnt worden ist. Das amtliche Blatt verkündet nämlich: „Durch eine Reihe von Zeitungen ist die Behauptung verbreitet worden, Seine Majestät der Kaiser habe, als Allerhöchstderselbe Seine Zustimmung zu der Militairvorlage gab, dein Reichs- lanzler gegenüber geäußert: „Sehen Sie zu, wie weit Sie damit kommen." Wir sind zu der Erklärung ermächtigt, daß die Seiner Majestät in den Mund gelegte Aeußerung vollständig erfunden ist. Seine Majestät hat weder die erwähnten Worte gebraucht, noch Sich in diesem oder einem ähnlichen Sinne geäußert." Wie gesagt, was hier demenlirt wird, hätte ein Deiuenli gar nicht verdient. So bodenlos leichtfertig ist gewiß kein deutscher Politiker, dem Kaiser zuzulrauen, er lasse, ohne von der Nothwendigkeit einer einschneidenden militairischen Reform überzeugt zu sein, den Reichskanzler auf gut Glück mit einem solchen Resormprojecte experimentiren und nicht nur daS Inland, sondern auch das Ausland in tiefe Erregung ver setzen. Am meisten dürfte sich der Kaiser selbst darüber Wundern, daß der Herr Reichskanzler cs für nölhig gehalten bat, den Apparat des „NeichS-AnzeigerS" zur Zerstörung eines so unziemlichen, mit dem kaiserlichen Namen groben Mißbrauch treibenden Gerüchtes in Bewegung zu setze». Jeden ernsthaften Politiker überkommt ein Gefühl der Beschämung bei einer der artigen amtlichen Belehrung, an derenStelle die Veröffentlichung der vielbesprochenen Emser Depesche vom 13. Juli 187Ü, die Bismarck gefälscht haben soll, sicherlich besser am Platze gewesen wäre. Daß Kaiser Wilhelm II., der den Fürsten Bismarck nicht zu selbstständig handeln lassen wollte, den Grafen Caprivi nicht nach Belieben cxperimciltircn läßt, ist für ganz Europa selbstverständlich und bedarf keines amtlichen Beweises. Aber wenn ganze Parteien in Deutsckland aus fanatischem Haß gegen den Fürsten Bismarck den Franzosen vordcmonstrircn, sie seien mit Hilfe einer von dem Fürsten mit Bewilligung und Billigung seines Monarchen gefälschten Depesche in Len Krieg hineingezwungen worden: so wartet ganz Europa auf den amtlichen Gegenbeweis. Hoffentlich nimmt der Reichstag Gelegenheit, dies und so manches Andere dem Herrn Reichskanzler klarzulegen. Mil Recht ist lebhafter Tadel erhoben worden, daß die Regierung, während sie neue gewaltige militairische Anforde rungen stellt, den in dem vorigen Sessionsabschnitt in fast einstimmig beschlossenen Resolutionen niedergeleglcn be- sckeidenen und berechtigten Wünschen des Reichstags zur Ab stellung von Uebcl stsä nden i m M i l i t a i rw c s e n so gar keine Rechnung getragen hat. Die Reichstags bcswlüffe betrafen bekanntlich eine neue Regelung der Bor schriften über die militairischen Wachtposten und besseren Schutz der Soldaten gegen Mißhand lungen durch eine Reform der Militairjustiz und eine Er leichterung des Beschwerderechts. Die Berechtigung der letzteren Forderung wird gerade jetzt wieder durch die Schilderung empörender Vorkommnisse, vorausgesetzt, daß sie begründet ist, »achgewiesen. Die Regierung bat bisher diesen Forderungen gegenüber nicht dad mindeste Entgegenkommen bewiesen. Die bevorstehenden Verbandlungen dos Reichstags werden Gelegenheit geben, auf den Gegenstand zurückzukommen, sei es bei der Beralhnng des Militairetatö, sei eS durch selbstständige Anträge, die wohl zu erwarten sind. TieThatsache, daß im Reichstagswahlkreis Marien werder für die bevorstehende Ersatzwahl nicht weniger als sechs Eandidate» sich gegenübcrslchen, wird von der „Kreuzzeilung" — und es ist auch anderwärts schon geschehen — mit Recht als ein bedauerliches Zeichen der zunehmenden Zersplitterung unseres Parteiwesens und, bei dem Charakter dieses Wahlkreises, als ein Beweis für den Rückgang unseres VolkslhumS hervorgehoben. In Wahlkreisen, wo das Teulschlhnm als solches i» einem schweren Kampf mit einer »»deutschen Nationalität liegt, wäre es aller dings die besondere Pflicht der Deutschen, über sonstige politische Meinungsverschiedenheiten hinweg sich mindestens bei Reichstagswahlen die Hand zu reichen; das müßten sie so gut wie die Polen vermögen. Der Vorsatz, bei deu Stichwahlen zusammen zu gehen, nützt erfahrungsgemäß in den seltensten Fällen, denn der Wahlkampf pflegt so viel Erbitterung zu bintcrtassen, daß ein aufrichtiges unk thatkrästiges Zusammen halten dann doch nicht mebr staltsindct, und das Ende ist, daß der Gegner des DcutschthumS durch den Hader der deutschen Parteien den Sieg erringt. Hoffentlich geht cs nicht auch in Marienwerdcr wieder so, aber vielfache Er fahrungen haben uns allerdings mißtrauisch gemacht. Daß daS Ecntrum nicht noch eine» siebenten Eandidalen aufslellt, sondern gleich von vornherein für den Polen stimmt, wollen wir nur zur Kennzeichnung dieser hervorragend „nationalen" Partei erwähnen. Aber auch die „Kreuzztg." hat kein Recht, in den vorliegende» und ähnlichen Fällen Beschwerte zu er hoben. Ihre Anbänger sind es allemal, welche durch rück sichtsloseste Ausstellung der schroffsten Reactionsmänncr ankeren Parteien die Unterstützung anss äußerste erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Eine Berständigung unter verschiedenen Parteien kann doch nur erzielt werden, zumal bei annähernd gleicher Stärke der letzteren, wenn sie sich auf einen Mann der Mäßigung und Vermittelung richtet und nicht auf einen Mann vom alleräußersten Flügel einer ganz extremen Richtung. Im österreichischen Abgeordnetenhanse kam cs am Freilag zu Skandalsceiien so unerhörter Art, wie sic sich noch niemals im Wiener Parlament ereigneten. Hervor- gerusen wurden die Scencn in erster Linie von dem Jung czechen Massarhk, der ungemein herausfordernd gegen die Deutschen loSzog und unter Anderem behauptete, der Dreibund habe eine antiböbmische Spipe. Er citirtc, wie der „M. Z." tclcgraphirt wird, verschiedene Autoren, wie Ratkowskn, Lagarde, Hartman», um zu beweisen, daß die Deutschen Oesterreich vernichten und alle Slawen germanisiren oder ansrotlen wollen. Ter deutsche Geist sei verroht. (Stürmischer Widerspruch. Bismarck habe die europäische Politik corrumpirl.) Stein Wender: Das geht Sie nichts an; die brutale Faust baden die Russen von den Deutschen gelernt. (Gelächter links: Ruf: Sibirien ist auch eine schöne Gegend.) Der nächste Redner, der Deutschliberale Menger, bezeichnete die Ausführungen Massaryk's als den wildeste» Ausbruch des Deutschenhasses, der je im österreichischen Parlamente vorgckommen sei. (Lebhafte Zn skimmung links.) Eine solche Sprache eines österreichischen Professors sei, -ine Gew.sftnlo^ böhmischen Staat (slurmstck <z«ckv errat b, vom den Junge,cchen) und beute ' r ^„chen " Diese Worte böbm >, ch e n csl a a t S r eckt zu . ^ einen un- Menger's,riefen auf be" ^ankm ^ ^ ^f. acbeuren Sturm hervor, sie ^ Mitte des klopften auf die Pulte und e Saales zur Präsid-nten.r'bune ^ , „ung! Das lassen w.r uns ",ck g-fallen^ Bravo Widerrufen!" Dagegen ; ^cken mit Menaer' Nicht widerrufen! Menge» rief ocn Ra,----- -m i° Professor Maffaryk, ist er nicht, ^un "cige N«> . ^ „ der Junaezcckcii zu einem wahre.iTvben. Mit vroycnoge . Fäusten und wilde». Geschrei stürzten ^ ° die L.nte». Man schrie stck, gegense.ng al^ in dem allgemeine» -rumull auf de^ Halene nnv-r,'a ^ bliebe,,. Man fürchtete jeden 'lugcnbUck. eö w de ' gemenge ton.,ne». Der Praf.dent st-nd volstg h fflrö Menaer wollte weiter fprechen, aber so oft " oc, öffnete, steigerte si-b das Toben der Ezecke», denen anck cm. zclne Feudale sceundirlc». Entliw , gelang cs ten i-r'st deuten sich Gehör zu verschaffen; er rief -^"»ger wegen'des Ausdruckes: „wer vom czech,,^ svrecbc sei cm Hockvcrralhcr a"r Krönung. Darauf frenetischer Beifall der Jungczechen. woll e Menger abermals wcitersprcchcn, aber cS war vcrgeleiis t Ererben lebten weiter. Ta rief ihnen Menger zu. „ES gieb m ganz Oesterreich keinen Deutschen, b" die Errichtung eines czcck.sckcn Staates nicht für Hochverrath b'-"e! Jetzt er^ re,wie der Lärm seine» Gipfclpnnct. Der l-rasident erklärte die Fortsetzung der Verhandlung sur unmoglick und schloß die Sitzung. Unter andauernder Erregung und heftigen Discussioncn verließen die Abgeordneten nur lnngfam den Saal. Es verlautet, die Jungczechen wurden Menger so lange nicht reden lassen, bis er die Aeußerung zuruck- genommen. Der ungarische »Ministerpräsident Wekerle con- serirlc gestern in Wien mit den aus Pest eingetroffenen ungarische» Ministern und wurde darauf vom Kcnfer m Audienz empfangen, um dem Monarchen die Mit gliederliste des soeben neugcbildeten Eabmets zur Ge nehmigung vorzulegen. Am Montag wird Wckerle die neue Regierung dem Abgeordnetenhanse i» Pest verstellen und bei dieser Gelegenheit fein Programm entwickeln. Alles hangt davon ab, ob dieses Programm durch seine Entschiedenheit zu befriedigen im Stande ist. Vermag die Negierung die Durchführung der liberalen kirchenpolitischcii Reformen, in erster Reihe die Eivilehc, kür eine nabe Zukunft m Aussicht zu stellen, so wird sie vorerst kaum stärkeren Anfechtungen ansgesctzt sein. Kommt hingegen die Regierung nicht über allgemeine Redensarten hinaus, so dürste gleich die erste Begegnung mit dem Parlament eine keines wegs angenehme sei» In Kreise» der Opposition herrscht ohnehin eine starke Verstimmung über die Zusammen- setznng deö EabinetS, von de», behauptet wird, dasselbe bedeute nur cm Wiederaufleben des Tisza'schcn Einflusses. Diese Meinung stützt sich vorzüglich darauf, daß ein Bruder des che maligen Ministerpräsidenten zum Minister am allerhöchsten Hoflagcr ernannt ist. Dieser Posten besitzt aber derzeit eine außerordentliche Wichtigkeit. Namentlich wünscht die Oppo sition, daß die Krone über ungarische Verhältnisse durch einen volltoinme» iinbefangenen Vertrauensmann unterrichtet werde. Graf Tisza aber ist cm zu alter und leidenschaftlicher Parteimaim, als daß ihm diese Unbefangenheit zugetraut würde. Diese eine Ernennung hätte bereits genügt, um der Opposition jene angenehme Stimmung zu verderben, in welche sie durch die Ernennung Wekerle's anfänglich versetzt worden war. Von ihm hoffte die Linke, er werde den Tisza'schcn Ein fluß beseitigen. Mit großem Mißmutb wird sie nun gewähr, daß diese Erwartung falsch gewesen ist. WaS das Oberhaus anlangt, so schweigt man daselbst vorläufig mit roßer Beharrlichkeit. Allein es scheint nicht, daß der Widerstand der dortigen Opposition eingeschlafen wäre. Offen bar zielt die Drohung der vatikanischen Organe daraus hin daß die ultramontane Partei im Oberhause sich sammelt. Vielleicht geben die päpstlichen Kreise sich unbegründeten Hoffnungen darüber hin, wie groß der Einfluß und der Muth dieser Partei sind. Sv viel scheint jedoch gewiß, daß die Partei den Widerstand vorbereitet. In sonst gut unter richteten Kreisen wird behauptet, daß die Curie selbst davor nicht zurückschreckt, die staatsfeindlichen Nationalitälen in Ungarn, foweit dieselben katholisch sind, zum Widerstande aufzureizen. Thäte sie das, so könnte sie der ungarischen Regierung allerdings aus der einen Seite ernste Ver legenheiten bereiten. Andererseits würde eine solche Agilalion unfehlbar dahin führen, daß sämmtlichc magyarische Elemente ohne jeden Unterschied der Parteistellung für die Regierung einträten. Alle« das beruht heute auf bloßen Vermuthungen, aber es läßt errathen, daß auch die neue Regierung von Anfang an nicht auf Rosen gebettet sein wird. In Paris bat das Ministerium Loubet wieder einmal seine Existenz gerettet — in der gestrigen Sitzung der Tcputirtenkammer wurde mit 329 gegen 228 Stimmen beschlossen, in die Einzelberathung des Preßgesetz- Ent wurfeS ei »zu treten. Allgemein wird das als eine Art Vertrauensvotum für die Regierung erachtet. Dir heutigen Pariser Morgenblätter constatiren den vom Cabinet errungenen Erfolg und schreiben ihn den „entschiedenen und loyalen" Erklärungen des Ministerpräsidenlen Loubet zu. Die endgiltige Votiruug des PreßgesetzoS gelte nunmehr für hochwahrscheinlich. Was die gedachten Erklärungen Loubet'S betrifft, so sind sie weiter nichts als chauvinistisch- patriotisch-selbstgesäUige Redensarten, welche mit voller Wür digung de« französischen NationalcharakterS in die erregte Versammlung abgcfeucrt wurden. Solche schwere Artillerie thut in Frankreich noch immer ihre Schuldigkeit und vor dem Kanonenschuß einer patriotischen Phrase fällt dort jede noch so fest aus guten sachlichen Gründen aufgebaute Mauer zusammen. Der Fortbestand des Cabinets ist sonach gesichert, »heraus wie lange? Demnächst wird die französische Kammer Stellung nehmen zu dem Panama-Canal-Krack und zu teni französisch - schweizerischen Handelsvertrag Beide« sind sehr heikle und bösartige Fragen, bei denen es sehr zweifelhaft ist, wie sich da die verschiedenen Fraktionen zu einander gruppiren werden. Ob es auch hierbei Loubet'S Staatskunst gelingen wird, über die von recht« und von links, ja von allen Seiten drohenden Klippen hinweg zu kommen, daS ist eine Frage, die zu beautworlen wohl gegen wärtig Niemand Neigung haben wird. Sonach ist die Lage de« französischen Cabinets fortdauernd eine prekäre, sein Bestehen ist allenfalls nur von einem Tag zum andern ge sichert — eine Situation, um die Herr Loubet nicht beneidet werden kann. Durch die Etatsdebatte im dänischen Volks thing am 14. November ist zum ersten Male mit einer seit 1885 bestehenden Ucberlieferung gebrochen worden. Dem Finanzgesetz wurde der seither stets versagte Uebergang zur zweiten Lesung bewilligt und zwar mit 62 gegen 25 Stimmen. Zur Bewilligung der Indemnität an das Ministerium Estrup für das seit dem t. April 1885 geführte budgetlose Fouilletsir. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. 411 Nachdruck vrrdolen. (Fortsetzung.) „Unbegreiflich war uns allen Käthchens That; wir konnten sie nur aus einer geistigen Irrung erklären, die sic ja scbo» stets aus einsame Wege getrieben hatte und oft ihre Seele uinnacktele. Wir mußten dies annehmen, denn sie war ja nicht bloS eine verlassene Geliebte, sie war ja doch auch . . . eine liebende Mutter! „Mutier?" rief der Gras auffahrend. „Gewiß . . ihre Liebe war nickt ohne Folgen geblieben." „Und das Kind . . das Kind ist todt?" „Es lebt . ." „Und ick babe nichts von dem Allen erfahren! Sic kennen seinen Aufenthalt?" „Ick kenne ihn!" „Wobl noch in Hell am See?" „O nein ... die Familie dort ist auSgestorben; auch würden Sie dort nickts von ihr erfahren können; denn sic ist längst auf die Wanderschaft gegangen." „Em Sohn? eine Tochter?" „Eine Tochter!" „Sie wissen, wo sie verweilt?" „Ich könnte Ihnen über Alles genaue Auskunft geben; doch das ist eben mein zweites Gebeimniß, und Sie werden mir rugeben. ^ wstbarer als daS erste." „Sir verweigern mir diese Auskunft, zu der Sie ver pflichtet sind durch Ihre Freundschaft zur Mutter deS Mädchens, durch den Ring, den Sie als Pfand derselben besitzen? Und mir . mir verweigern Sic diese Auskunft? der ich Alles gutmacken will an der Tochter, was ich an der Mutter gesündigt" „Herr Gras . . ich habe keine Bedenken, Ihnen gegen über ungefällig zu sein und hauSzuhallen mit meinen Ge bcimnissen Sic verdienen es durchaus nicht, daß ich Ihrer scbr verspäteten Reue entgeaenkomme. Sie haben damals gebandelt, wie ein gewissenloser Verführer, der sich absichtlich m» Dunkel hüllt." „Weib!" rief der Gras, die Faust ballend. „Und ob sich das Mädchen freuen wird, einen Vater kennen zu lernen, der sich, so lange sie lebt, nicht um sic be kümmert bat? Ich verleugne keine heiligen Gefühle, wenn ich mein eigenes Interesse wahre." „Jetzt also . . den Preis, den Preis." „Hier diesen Ring und meine beiden Geheimnisse, deren strengste Wahrung ick gelobe, gebe ich Ihnen hin, wenn Sie mir zwanzigtausend Mark baar auf den Tisch legen." „Das ist eine nnversckämlc Erpressung!" „Wägen Sie Ihre Worte wobl, Herr Gras! Ich kann über mein Eigcnthum verfügen, wie ich will, und Ihnen, dcni Käufer, siebt es ja frei, den Preis zu zahlen oder nicht zu zahlen. Das aber sage ich Ihnen, wenn wir jetzt nicht handelseinig würden, so werde ich von meinem Eigenthums reckt Gebrauch machen und was ich von Ihrer Vergangenheit weiß, erzählen, wo cö mir gut dünkt. Und solche kleine Er sabrinigcn werden Sie vielleicht bewegen, auf meinen Vor schlag einzugehen." Der Graf warf der Frau Abraham noch einen wütbcndcn Blick zu .. er war empört über diesen Schacher und konnte und wollte sich jetzt zu nickts verstehen. Ergriff nach seinem Hut und verließ den iLalon, ohne zu grüßen, ^chcn hatten sich draußen in den Gemächern Gäste versammelt . . . man forderte ihn auf, sich am Baccarat zu bctkeiligcn. Doch er leluite dies ab, indem er mit kurzem Gruß an seinen Spielgenosicn vorübersckritt. 'Alles in ihm war vultanisch aufgewühlt und er stürmte binauS in ein Gewitter, das sich am Himmel zusammeugezogen und schwere Schlossen niederslrcutc. Blitz und Donner folgten dicht hintereinander ... cs stand gerade über ihm. Frau Abrabam aber sagte sich: „Der Knauser ... er soll mir büßen! Wenn ick auch das Geheimniß zur Halste cntwertbe — er soll mir doch für das Uebrige noch den vollen Preis zahlen." Siebentes Capitel. Hoch wogte mit vollen Aebrcn das Korn — und der Sommer flocht seinen dunklen Mohn, seine blauen Chanen und Kornraden in die goldenen Aehrenselder; er wollte zeige», daß er nicht bloS aus den Nutzen bedacht sei, daß er auch Sinn habe für Las Schöne und für rnmuthige Decoratious Malerei. Er machte e- wie die volksschriststellernden Natur forscher, welche mitten in die Saatfelder ihrer Gelehrsamkeit einige schöngeistige Blumen pflanzen, damit die Frauen und Laien mehr Geschmack daran finden. Mit warmem Eifer hatte sich Enrico der Landwirtbschaft bingegcbcn und die Aecker von Buderode zeigten ein gänzlich verändertes Aussehen. Nach rationellen Grundsätzen war der Fruchtwechsel bestimmt; i» dem sorgfältiger gepflegte» Boden gediehen alle Feldfrüchte und mehrere neu angeschaffle Maschinen förderten den raschen Betrieb und steigerten den Gewinn. Mit dem Geldc, das er, selbstständig eingreifend, dem Vater abgerungen, konnte er diese Verbesserungen durch führen. Ilebcrall war or selbst zugegen nnv half oft bei der Arbeit. Beschäftigung, die nie ermattet, war ihm will kommen, sic lenkte sein Gcmütb ab von den bosinungSlosen und verzweifelte» Gedanken, die immer wieder mit dem Bilde des geliebten, für ihn verlorenen Mädchens in seiner Seele austauchtcii. Tort, wo das Ilnland gerodet wurde unter seiner Auf sicht, am Gren^rain, unter der hoben Buche sckweiste von der Höhe des Pügels sein Blick über die dunklen Massen bewegter Waldungen nach einem fernen Thalgrund, aus welche.» der Kirchlhum von Helmersheim sich erhob. Und ofl, wenn die Arbeiter ausruhenb ihre Vesperkost verzehrten, stand er dort und sab hinüber nach der im Sonnenschein blitzenden Thurmspitze, die ibm früher so oft als Leuchte einer schönen Zukunft erfckiencn war und jetzt nur web mütbigc Erinnerungen in ,bm erweckte. Nach der anderen Seite bin aber sah er auf dem Nachbarhügel sei» beimath- lichcs Buderobe, Wirtschaftsgebäude und Wohnhaus, wäh rend des Dorfes Hütten den Hang de« Berges hinab unter cuicm Kranz von Obsibäumcn sich versteckten: über dem traulichen Bilde aber erhob sich der unheimliche Schornstein des Laboratoriums, und cS berührte Enrico selbst Peinlich, daß diesem Schornstein jetzt oft genug keine Rauchsäule ent- stieg. Er wutztc >a, daß dieser Rauch nur der Qual», war in welchciiisein Hab und Gul aufzing; und doch dachte er mit warmem Mitgefühl des Vaters, der"in seiner L-b-n-arbei, in ^auinenund Hoffnungen gehemmt war, weil da« maßlos verschleuderte Bctr.ebsmaterial für veu Stein der Weisen nicht mehr auszureichen schien. Ihn verfolgten d,e entstellten ^°'ers, 'N denen ick seine tiefe Verstimmung aus- k Sohn, daß er ibm die Halft- se.ner HilsSguellen entzogen. Und nicht der geringste Einblick in daS Treibe» des Alten wurde ibm gestattet- cs Ware von dle,em für ein Verbreche» angesehen worden, wenn Enrico sich mit Ratbsckstägen in die Geheimnisse seines Ateliers gemischt hätte ; denn was verstand ein solcher moderner vernünftelnder Chemiker von den Wundern der Alchymie, die sich nicht in Formeln bringen, nicht mit Zahlen ausrechnen lasten? Doch mit Bctrübniß, ja mit wachsender Bestürzung bemerkte der Sohn, daß des Vaters Wesen von Tag zu Tag Zerrütteter wurde und das häusliche Glück, wenn von einem ölchcn noch die Rede sein konnte, der häusliche Frieden immer mehr darunter litt. Die arme Mutter — ihre lieben sorgenvollen Züge machten ihm das Herz schwer! Und das war ja fraglos, daß das letzte Darlchn, das er dem Vater verschafft, fchon wieder erschöpft war durch Bezahlung alter Schulden und neuer Anschaffungen, die aber durchaus nicht für alle Bedürfnisse der Hexenküche ausreichten. Darum gerieth das große Werk oft ins Stocken — und der Gnom der Hexenküche, Basilio, batte oft Ferien, die er dazu benutzte, sich in der Stadt herumzutreibcn. Doch auch diese häufigen Wanderungen erschienen Enrico verdächtig; er hatte jeden falls Aufträge des Batcrs zu vollführen und daS konnten nur bedenkliche Geldgeschäfte sei». Eines TageS traf Enrico bei einem Ritt durch den Wald den Famulus, der, den Stock in der Hand und ein Räuzel an der Seite, behaglich im Schatten der Buchen dahinschritl. Dieser wurde sichtlich verlegen bei der Begegnung und suchte mit einem tiefen Gruß an ihm vorüberzukommcn. Dock Enrico hielt sein Pferd an, ja er stieg sogar ab und führte es am Zaume mit nck, indem er den hcimkchrendcn Jünger der verborgenen Wisscnsckaften begleitete: eine Ehre, welche der Feuermolch durchaus nicht nach Gebühr zu schätzen wußte. „Woher kommst Du, Basilio?" fragte Enrico. „Aus HelmerSheim", anlworlete dieser und er sagte damit die Wahrheit. „Was hast Du in Helmersheini zu suchen?" Basilio zögerte mit der Antwort; nach einigem Besinnen hielt er cS für bester, sein eigenes Geheimniß preiszugcbe« als das deS alten Herrn. „HelmerSheim", sagte er mit schlauem Lächeln, „hat für Budrrode eine merkwürdige Anziehungskraft, etwas Polare-, wie wir Chemiker sagen. Das wißen Sie ja am beste« selbst, Herr Enrico, denn lange Kat Sie ja dorthin ein Magnet gezogen. Auch mich zieht ein Magnet dort hin." (Fortsetzung folgt.)
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